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Serie: Das Wipptal im Zeitraffer
from ERKER 09 2020
by Der Erker
Das Wipptal im Zeitraffer
von Karl-Heinz Sparber (Teil 9)
15. Jh.
Die „Tiroler Habsburger“ Friedrich IV. mit der leeren Tasche (1406 – 1439) und sein Sohn Sigmund der Münzreiche (1439 – 1490)
Die Tiroler tendieren zunehmend zur Selbstständigkeit ihres Landes und halten sich deshalb nicht an die bestehende habsburgische Hausordnung, die eine gemeinsame Regierung und Verwaltung der Länder vorsieht. Für „Tirol und die Vorlande“ setzt sich die Bezeichnung „Oberund vorderösterreichische Länder“ durch. Innsbruck und Schwaz (20.000 Einwohner!) sind die größten Orte. An der Donau liegen die „Unterös terreichischen“ Länder der Habsburger mit dem Regierungssitz Wien; zu „Innerösterreich“ gehören die Steiermark, Kärnten, Krain und Istrien mit dem Hauptort Graz. Landesfürst Friedrich IV. verstrickt sich 1415 in einen Konflikt mit dem deutschen König Sigismund (1411 – 1437, seit 1433 Römisch-Deutscher Kaiser), wofür er geächtet und gebannt wird. Er kann jedoch auf seine treuen Tiroler Bürger und Bauern zählen und verbrieft ihnen ihre Rechte. Bei seinem Tod ist das Land wohlbestellt, die Finanz verwaltung geordnet und die Kasse voll. Sein Sohn Sigmund ist erst zwölf Herzog reiche“ Sigismund (der „Münz) von Tirol zwischen 1465 Jahre alt und übernimmt 1446 das Landesfürstentum Tirol. Er wird zwar und 1470 (Alte Pinakothek, „der Münzreiche“ genannt, vergeudet aber in seiner VerschwendungsMünchen) und Prunksucht all die reichen Einnahmen des Landes und lebt stets in Schulden. Zu seinen großen Bauten gehören Schloss Sigmundskron in Bozen als Festung gegen Venedig (1474 – 1483), die Innsbrucker Hofburg (Kaiser Maximilian baut sie dann aus); bei der Grundsteinle gung des Zwölferturms 1468 ist er persönlich in Sterzing zugegen.
Der Beiname „münzreich“ kommt daher, dass er 1449 eine neue Münzordnung erlässt und 1477 aufgrund der gro ßen Silbervorkommen um Schwaz die Meraner Münzstätte nach Hall verlegt, wo er den begehrten „Taler“ schlagen lässt: eine schwere Silbermünze im Wert des bisherigen Goldguldens.
Er liegt von 1450 bis1464 im Streit mit dem Brixner Bischof Nikolaus Cusa Der Goldgulden Sigmunds, geprägt noch 1477 in Meran nus (eigentlich Nikolaus Chryfftz oder Krebs aus Kues an der Mosel, 1401- 1464), der die Oberhoheit der Bischöfe über das Land wieder zur Geltung bringen will. Der lange Prinzipienstreit endet erst mit dem Tod des gelehrten Kirchenfürsten, der über das Land Tirol zweimal das Interdikt (Verbot jeglicher Seelsorge) verhängt. Johannes Gutenberg (1400
1456 – 1469
Der ehemalige Multscher-Altar in der alten Pfarrkirche
Die vier Flügelgemälde (je 2,1 m x 1,9 m) des Multscher-Al tars zeigen innen Marienleben und außen Passionsszenen, sie befinden sich seit 1986 im Sterzinger Stadtmuseum.
Der abgesandte Zöllner Hans Puechrainer reitet am 9. Jänner 1456 von Sterzing nach Innsbruck zum Altarmeister Hans Multscher aus Ulm und überbringt ihm 5 Pfund Per ner (als „Drauf- und Handgelt“, ein kleiner Vorschuss). Der Bergrichter Thoman Luenczner handelt als Abgesandter der Sterzinger Kirchengemeinde mit dem bedeutendsten süddeutschen Bildhauer für den Flügelaltar einen Vertrag aus, der leider nicht erhalten ist. Die in Ulm fertiggestell ten Altarteile gelangen mit Wagen innerhalb von fünf bis sieben Tagen im Juli/August (nur im Hochsommer sind die schlechten Wege gut befahrbar) über den Brenner. 1458 wird der Hochaltar mit den vier vorne und hinten bemal ten Altartafeln im Chor der Pfarrkirche aufgestellt. Das Aufstellen, Zusammenfügen und Verankern des 12 m ho hen Altars nehmen mehr als sechs Monate in Anspruch. Am Ende erhält Hans Multscher 1.331 Gulden, wobei er für den Transport von Ulm nach Sterzing selbst aufkom men muss (ca. 200 Gulden). Nach über 300 Jahren wird
Erker 1450 – 1500 n. Chr. 09/20 Für diesen Zeitraum listet Karl Schadel bauer die Namen der 51 Bürger meister von Sterzing auf.
1452 – 1454 n. Chr.
der Altar 1779 abgebrochen. – 1468) druckt seine be rühmte 42-zeilige lateinische Bibel. Für 180 Exemplare benötigt er drei Jahre, eine handschriftliche Kopie dau erte bisher auch drei Jahre. Alle Druckwerke aus dieser Pionierzeit bis 1500 werden „Wiegendrucke“ genannt.
1455 n. Chr.
In regelmäßiger Folge werden in Sterzing Passions spiele aufgeführt. *** Überschwemmung im Wipptal Bau einer gewaltigen Mauer gegen den Vallerbach am Nordende der Stadt. Die zahlreichen Überschwemmungen der letzten Jahrzehn -
Die „Stadtritsche“ bringt Frischwasser und auch Löschwasser in die Stadt (15. – 19. Jahr hundert)
STERZING WIRD BEDEUTENDE HANDELSSTADT
2. Hälfte des 15. Jh.
Sterzing wird der wichtigste Rastpunkt für den bereits bedeutenden Durchzugshandel von Süden nach Norden und umgekehrt. Wir finden Kaufleute aus Kempten, Augsburg und Ulm in den Rechnungsbüchern erwähnt. Der Bergsegen in den Tälern von Pflersch und Ridnaun und am Schneeberg zieht viele gebildete Unternehmer in die Gegend: einheimische Ge werkenfamilien wie Jöchl, Tänzl, Kaufmann, Pölsterl, Geizkof ler, Köchl, Stöckl, Streun, Protpauch und Flamm sowie fremde wie die Fugger aus Augsburg im 16. Jahrhundert. Eine gol dene Zeit ist für Sterzing angebrochen. Das Fuhrmannswesen und das Handwerk blühen. Die Der Jöchlsthurn (in Sterzinger besser als „altes Gericht“ Knappen verdienen gut und ge bekannt) und das Peterskirchlein (1474) in der Kapu ben aus. Große öffentliche Bauzinergasse. Im Hintergrund der Zwölferturm mit dem alten Holzdach. ten wie Stadtturm (1468), Rathaus (1468 – 1473) und Pfarrkirche (1417 – 1524) sowie prunkvolle Ansitze wie Fuchsthurn, Gstreinthurn, Haidenschaft (1424 erstmals erwähnt) und Jöchlsthurn (1469) entstehen.
Der Handel zwischen Augsburg und Venedig blüht dank der Niederlas sung der Fugger in der Stadt. Die besten Baumeister, Bildhauer und Maler werden berufen, die Stadt und ihre Bauten zu verschönern. Meister Hans Multscher aus Ulm vollendet 1459 den herrlichen gotischen Flügelaltar der Pfarrkirche. 1469 entsteht die geschnitzte Decke des Jöchlsthurns, ein Juwel der Spätgotik. Jörg Kölderer, der Hofbaumeister Kaiser Maximilians, plant das Rathaus mit dem Monumentalerker und schnitzt das bekannte Lusterweibchen für die Ratsstube. Bald erlangt das blühende Sterzing auch große politische Bedeutung. Seit Sterzing 1474 Mitglied der Tiroler Landschaft ist, werden mehrere Land tage im neuen Rathaus abgehalten (1493, 1499 der Landtagsausschuss, 1502 der Landtag unter dem Vorsitz König Maximilians I. persönlich).
15. Jh. Die Handwerker und die Zünfte in Sterzing
Beispiel einer Sterzinger Zunft truhe (Maße ca. 60 x 40 x 30 cm)
Die Handwerker sind in den mittelalterlichen Städten eine zahlenmäßig ziemlich bedeutende Schicht. Sie schließen sich zu Interessensgemeinschaften zusammen, die man Bruder schaften, Gilden, Innungen, am häufigsten Zünfte nennt. Durch den „Zunftzwang“ innerhalb der Stadt werden Arbeit und Produktverkauf genau geregelt und etwaige Konkurrenz von außen ausgeschaltet. Jeder Handwerksmeister zahlt in die Zunftkasse regelmäßig ein. Diese Kassen erfüllen die Aufga be der späteren Kranken- und Unfallversicherungen. Die verschließbare Zunftlade oder Zunfttruhe dient dabei als Archiv und Tresor und wird meist vom Zunftmeister gut verwahrt. Dietrich Thaler hat in seiner Diplomarbeit den Sterzinger Zunftbestand genau erhoben. 1406: Zunft der Kessler 1426: Die Bruderschaft der Schmiede wird erstmals nachge wiesen. 1460 und 1496: Steinmetzen und Maurer treffen sich zum Hüttentag in Sterzing und begründen die Sterzinger Bauhütte (Meister Hans Feur, Thoman Scheiter). 1462: Zunft der Sattler 1476: Müller- und Bäckerordnung in Sterzing 1484: Handwerk der Metzger. Eine Fleischbank wird bereits 1288 im Urbar Meinhards II. erwähnt. 1491: Zunft der Gerber und Schuster
Weiterführende Literaturhinweise: Dietrich Thaler: Grundrisse und Probleme der Sterzinger Handwerksgeschichte, Diplomarbeit 1992 (Zünfte) Karl Schadelbauer: Sterzing im 15. Jahrhundert, in: Schlern-Schriften 220, 1962 (die Bürgermeister von Sterzing) Helmuth Theodor Bossert: Der ehemalige Hochaltar in Unserer Lieben Frauen Pfarrkirche zu Sterzing in Tirol, 1914 (Multscheraltar)
te führen dazu, dass man die sogenannte „Stadtritsche“ anlegt: Ein mit Schwellbrettern abgedeckter Kanal führt das Wasser des Vallerbaches durch die Alt- und Neustadt von Sterzing hinunter bis zum Untertor. Auf der ganzen Länge kann man so das Hochwasser teils regulieren oder Löschwasser entnehmen und im Falle ei nes Brandes in die Häuser einleiten. Schmutz, Unrat oder Kehrricht in die Ritsche zu werfen, ist strengstens verboten, damit man im Brandfalle immer sauberes Wasser zur Verfügung hat. Wenn es dann wirklich irgendwo brennt, ist es möglich, vor den Hauseingängen ein Schwellbrett vom Kanal abzunehmen und senkrecht in die Ritsche zu stecken, um das Wasser aufzustauen und in das brennende Haus zu leiten. Gegen Hochwassergefahr ist es möglich, die Schwellbretter vor den Hauseingängen der Länge nach in eine Halte rung zu stecken, damit das Wasser des Vallerbaches nicht eindringen kann. Heute noch sieht man die Vorrichtung in der Neustadt vor der alten Apotheke.
1463 n. Chr.
Eine Schule wird in der unteren Vor stadt bereits genannt.
1468 n. Chr.
Herzog Sigmund legt den Grundstein für den Zwölferturm. Der Bau zieht sich bis 1472 hin. 1473 erhält er ein ansehnliches Spitzdach mit höl zernen Schindeln. 1867 bekommt er nach einem Brand seine heutige Form. Zwölferturm heißt er deshalb, weil er nur um zwölf Uhr mittags läu ten darf. Er ist ein Wachturm gegen die Feuergefahr in der Stadt, von dort oben hat ein Wächter den ganzen Überblick über die Stadt und er muss das Feuer „beschreien“ und Alarm schlagen, eben die Glocke läuten. Nur um zwölf Uhr wis sen alle, das Läuten bedeutete keinen Feueralarm. So ähnlich wie heute, wenn samstags um 5 Minuten vor Zwölf die Sirene probeweise einmal vom Zwölferturm er tönt, dann ist es ein Sicherheitstest. Erker 09/20