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Familie Fuchs und die Weiden
FAMILIE FUCHS UND
DIE
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WEIDEN
AUS
STAHL Architektonisch werden beim Archiv der Zukunft drei Teile verbunden: ein historisches Kellergewölbe, das Archivgebäude als leichter, verglaster Stahlbau und darüber drei Weiden aus Metall, bis zu zwölf Meter hoch. Christian Fuchs ist für die Baustelle zuständig – er berichtet von den Herausforderungen bei diesem ambitionierten Projekt. 36
Der Bauingenieur Christian Fuchs stammt aus Lichtenfels, das ist an der oberfränkischen Melodie mit dem weich gerollten R gut zu hören. Mit seiner Frau Undine betreibt er das Ingenieurbüro Fuchs im Ort, für das Archiv der Zukunft machen sie die Tragwerksplanung. Gleichzeitig ist Herr Fuchs auch Bauleiter und für die gesamte Organisation des Baus verantwortlich. Man kann Herrn Fuchs getrost als den „Mann für Alles“ bezeichnen; er sorgt dafür, dass das Archiv der Zukunft am Marktplatz von Lichtenfels baubar ist.
Den Entwurf des Architekten Peter Haimerl hat Fuchs zum ersten Mal gleich nach dem Architekturwettbewerb gesehen und er erinnert sich noch gut, was er damals dachte. „Oh, oh“, hat er gedacht, „da kommt ja ganz schön was zu auf den, der das umsetzen muss.“ Aber es hat ihn auch gereizt, dieses transparente Haus unter den drei künstlichen Weiden. Er spricht mit seiner Frau darüber, sie überlegen, wie man das bauen könnte. Dann kommen die Bauherren auf sie zu, sie wollen den Architekten aus München mit einem lokalen Ingenieurbüro zusammenbringen. Das Büro Fuchs kennen sie aus früheren, gemeinsamen Projekten. „Die haben uns verkuppelt“, sagt Herr Fuchs. „Aber im Nachgang würde ich sagen, wir führen eine glückliche Ehe.“
Die Ideen der Architekten sind sehr anspruchsvoll. Wie lassen sich Weiden aus Metall so bauen, dass sie alle Bauvorschriften und Sicherheitsbestimmungen einhalten? Schnell einigt man sich, das Gebäude in drei Teile zu trennen: den Keller, das Haus und die Weiden. Damit sind nicht alle Probleme gelöst, aber es wird übersichtlicher: „Die größte Herausforderung sind die drei Weiden. Als Metallkonstruktion reagieren die auf das Wetter, den Wind oder auf Temperaturschwankungen ganz anders als das Haus. Hätten wir die miteinander verbunden, dann wären Schäden unvermeidlich gewesen: die Metalläste hätten die Dachhaut zerrissen oder die Konstruktion und Fassaden beschädigt.“ Mit der Dreiteilung hingegen lässt sich jedes Teil in seiner eigenen Logik entwickeln.
Der Keller ist inzwischen fertig. Dabei hatten die archäologischen Grabungen gleich zu Beginn für eine Verzögerung gesorgt, aus vier Wochen wurden wegen der überraschenden Funde rasch über vier Monate. Dann war der historische Keller vollständig ausgegraben, jeder Stein einzeln nummeriert und eingelagert. Danach konnte die Baugrube ausgehoben werden. Weil es aber am historischen Markt so eng ist, wurde die Grube nicht einfach ausgegraben. Stattdessen bohrten die Arbeiter 157 Pfahlbohrungen entlang der Grundstücksgrenze, dicht an dicht, bis zu neun Meter tief. Jedes zweite Loch wurde mit Bewehrungsstahl verstärkt, die Löcher mit Beton verfüllt und so setzen sich die Außenwände aus einer engen Reihe von Rundstäben aus Stahlbeton zusammen. Das bleibt im Keller sichtbar: Die Wände haben ein sehr ungewöhnliches Wellenprofil, in dem sich die Spuren der aufgebohrten Erde deutlich abzeichnen. Sie geben dem Keller eine Haptik, sie fordern die Besucher heraus, mit den Händen über sie zu fahren, den Beton und die Erde zu erspüren.
„Wir müssen bei diesem Projekt genau die richtigen Firmen und Handwerker finden, die bereit sind, sich mit uns zusammen auf dieses Experiment einzulassen“
Der Keller besteht aus einem neuen und einem alten Teil. Im neuen Teil liegen die Nebenräume, die Toiletten und ein kleiner Veranstaltungsraum. Durch eine große Öffnung sieht man auf den historischen Gewölbekeller, der Stein für Stein wieder zusammengesetzt wurde. Ein großer Aufwand für einen historisch nicht besonders bedeutenden Keller. „Das war dem Peter Haimerl ganz, ganz wichtig“, erinnert sich Christian Fuchs. „Den brauchen wir, das ist die Wurzel des Projekts, hat er gesagt, das ist Lichtenfels bis zurück ins 13. Jahrhundert.“ Der Keller gehörte wohl mal zu einem Brau- oder Wirtshaus, ein niedriges Gewölbe, kaum 1,60 Meter im Scheitel, eher ein Lagerraum fürs Essen und die Fässer. Die Fehlstellen in den originalen Steinen wurden ergänzt, Schäden ausgebessert, auch das historische Pflaster aus großen, groben Sandsteinblöcken wieder eingesetzt. Der Umgang mit dem Alltäglichen geschieht mit demselben Respekt wie bei einem historischen Monument, das wird die Aussage dieses vorsichtig wieder eingesetzten alten Gewölbes unter dem Archiv der Zukunft einmal sein.
Auf den Bohrpfählen sitzt die Bodenplatte aus 40 cm Stahlbeton. Das Haus darauf wird ein einfacher, leichter Stahlbau, der im Südwesten an die Brandwand des Nachbarhauses anschließt. Die anderen drei Seiten sind große Glasfassaden, das Haus unter den Bäumen soll so durchsichtig und offen wie möglich sein. Deswegen sollen die Glasscheiben so unsichtbar wie möglich sein, das
ist der Anspruch. Die Wahl fiel auf die übergroßen Schieund Handwerker finden, die bereit sind, sich mit uns zubefenster der Schweizer Firma Sky-Frame, die diesen sammen auf dieses Experiment einzulassen“, sagt Herr Anspruch einlösen sollen. Die Dimensionen sind einFuchs. „Premium-Handwerker, die bereit sind, an der drucksvoll. Manche Elemente reichen über zwei Etagen, gemeinsamen Lösung mitzuarbeiten, mitzudenken und sechs Meter hoch und zweieinhalb Meter breit, und die vielleicht auch mal etwas zurückzubauen, weil es noch Stahlprofile, die diese Scheiben fassen, sind extrem dünn: nicht so gut ist, wie es sein könnte.“ gerade 30 Millimeter sieht man von vorne. Das verspricht Was die Weiden angeht, so soll ein möglichst großer eine tatsächlich extrem transparente Hülle – und für den Teil der Bäume im Werk vormontiert werden, den muss Vogelschutz gibt es eine spezielle Verspiegelung der man auf der Baustelle nur noch aufstellen. Die drei FußScheiben, schwarze Vogelschatten wird man nicht aufpunkte – die „Wurzeln“ – sind in der Bodenplatte einkleben müssen. Die Bodenplatte ist jetzt fertig, der Stahlbetoniert, jeder als eigene Stahlbetonkonstruktion mit bau für das Gebäude wird schnell gehen. „Danach stellen einem Eigengewicht von 3,5 Tonnen. Sie müssen das wir den kompletten Innenausbau fertig, die Fassade Eigengewicht der Bäume, vor allem aber alle Schwingunkommt als letztes – die Elemente sind nicht gerade gen und Schwankungen aufnehmen können. Die Stämme günstig, denen darf auf der Baustelle nichts passieren,“ werden angeschweißt, das weitere Astwerk soll in mögsagt Herr Fuchs. Das Gelichst großen, ebenfalls vorbäude werde im Frühjahr montierten Bauteilen geliebezugsfertig sein, danach fert und dann vor Ort kommen erst die Weiden. angefügt werden. Und wie, „Geht nicht anders. Wenn die schrauben, schweißen, nieBäume erst einmal stehen, ten? Wie baut man einen dann kommen wir nicht mehr Baum, Herr Fuchs? „Wir surichtig ran. Bei der Montage chen noch nach dem idealen der Weiden darf dann einfach Weg. Eine sichere Schraubnichts schief gehen, die rieverbindung sieht nicht schön sigen Scheiben werden wir aus. Aber eine schöne wohl mit Holzplatten schütSchraubverbindung bezen.“ kommt keine Zulassung.“
Die drei Weiden, sie sind Außerdem sollen die Verdas große Experiment des bindungen nicht alle laut Projekts. Sie werden als klappern, sobald ein WindStahlkonstruktion geplant, hauch durch die Konstrukdas natürliche Vorbild haben tion weht. „Wir müssen für die Ingenieure analysiert und all die Anforderungen den in drei verschiedene Zonen richtigen Mittelweg erfinzerlegt: einen Stamm aus den. Wir können nicht unseverschweißten Stahlplatten, re Hand dafür ins Feuer ledie eine borkenähnliche gen, dass die Bäume am Struktur bilden. Es ist ein Ende nicht doch ein bisschen kräftiger Stamm, der Durchklappern: Sie sind aus Metall, messer liegt bei um die 40 das können und das wollen bis 50 Zentimetern. Am Undine und Christian Fuchs sind mit ihrem wir gar nicht ganz verheimStamm werden Äste aus Büro für die Bauleitung verantwortlich. lichen. Alle Beteiligten wussStahlrohr befestigt, in verten vorher, dass wir an vielen schiedenen Profilen zwiStellen Neuland betreten schen 40 und 20 Zentimemüssen. Dafür bauen wir ein tern, ein Baum kennt ja auch nicht nur drei Größen. An Unikat, auf das wir stolz sein werden.“ den Ästen wiederum hängen die Zweige, bis zu sechs Herr Fuchs ist jetzt nicht nur Hausbauer, sondern Zentimeter dünne Profilstäbe. Die Bäume sollen filigrane Baumbauer. „Wenn ein Bauherr kommt und will eine Skulpturen werden, deren Astwerk die Konturen des AltHalle mit 20.000 Quadratmetern bauen, da wissen wir baus nachzeichnen, der hier früher stand. Aber wie soll genau, wo wir anfangen müssen. Das ist bei den Weiden das halten? Herr Fuchs bezeichnet es als „große Tüftelei“, nicht so einfach.“ Da muss alles neu entwickelt werden, einen langwierigen Prozess, mit sehr viel Hin und Her das ist für die Ingenieure genauso schwierig wie für die zwischen den Architekten, den Ingenieuren und der FirArchitekten, die Handwerker und die Prüfbehörden. Inma, die endlich gefunden wurde und die sich den Metallzwischen arbeitet man mit der obersten Baubehörde in bau zutraut: die Firma Gföllner in Oberösterreich, eigentBerlin zusammen, die sind für alle ausgefallenen Baulich Spezialisten für Container- und Klimatechnik. „Wir werke zuständig, spezielle Prüfstatiker nehmen die Abmüssen bei diesem Projekt genau die richtigen Firmen nahme der statischen Berechnungen vor. „Konstruktiv“
sei die Zusammenarbeit. Es müssen physische und digitale Modelle angefertigt werden, die dann im Rechner und zum Beispiel auch im Windkanal bestehen müssen. „Das Institut wird dann für das Projekt individuelle Werte festlegen, die unsere Berechnungen erfüllen müssen; das ist wie eine individuelle Norm, die nur für unser Projekt festgelegt wird, und die wir dann erfüllen müssen. Daraus ergibt sich, was die Verankerung der Weiden im Boden können muss, die Verbindungen für Äste und Zweige oder die notwendige Stärke der Metallprofile.“ Dieser Prozess erfordert erneut viel Abstimmung zwischen den Ideen der Architekten, den Berechnungen der Ingenieure und den Hinweisen der ausführenden Firmen. „Es kann schon sein, dass die Modelle mehrfach geprüft und wieder überarbeitet werden müssen.“ Wenn die Modelle die Tests bestanden haben, „dann haben wir gewonnen“, sagt Herr Fuchs, denn dann ist rechnerisch bewiesen, wie es gehen kann. „Wir arbeiten jenseits der Normen, die für das Bauen normalerweise gelten. Also brauchen wir für viele Lösungen Ausnahmegenehmigungen.“ So wie für den Blitzschutz der bis zu zwölf Meter hohen Metallweiden. Ein Gutachten hat jetzt bestätigt, dass es keine speziellen Anforderungen an den Blitzschutz gibt.
Es ist einer der Reize, die das Projekt für Christian Fuchs von Anfang an so attraktiv gemacht haben: die Grenzen auszutesten und etwas ganz Besonderes zu bauen, am Marktplatz seiner Heimatstadt. Die Weiden sind architektonische Symbole des Wandels in Lichtenfels, von der Korbflechter-Stadt zur High-Tech-Stadt, in der einige der innovativsten digitalen Produktionsbetriebe Süddeutschlands ansässig geworden sind. Diese Veränderung sieht man am Marktplatz bereits, und das Archiv der Zukunft, da ist sich Herr Fuchs sicher, wird diesen Wandel weiter befeuern. „Sie müssen sich vorstellen, Lichtenfels hatte noch vor ein paar Jahren wirklich eine tote Innenstadt. Wenn Sie da sonntags über den Marktplatz gelaufen sind und mit einem Herzinfarkt umgefallen wären, da hätte Sie vor Montag früh keiner gefunden.“ Jetzt gibt es wieder junge Leute, die Cafés sind voll, das liegt an den wachsenden Betrieben, die hochqualifizierte Angestellte anlocken. Diesen Trend wird das Archiv der Zukunft weiter verstärken, da ist sich Christian Fuchs sicher. „So wie es in Blaibach geschehen ist; hätte der Haimerl da nicht dieses Konzerthaus gebaut, Blaibach wäre heute noch ein toter Ort irgendwo im Bayerischen Wald.“ Dasselbe werde auch in Lichtenfels passieren. „Die Leute werden sich anstupsen und sagen, komm, das schauen wir uns einmal an.“
Dabei war das Konzerthaus in Blaibach lange Zeit sehr umstritten, der Bauherr und Opernsänger Thomas Bauer musste sich dort schon anhören, ein „Fitzcarraldo vom Bayerischen Wald“ zu sein – bis das Haus 2014 eröffnete und Blaibach weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt machte. Zu den Konzerten kommen Musiker und Gäste aus aller Welt, die Deutsche Post gab 2019 eine Sonderbriefmarke heraus. Auch in Lichtenfels gab es von Anfang an kritische Stimmen. Allein die Idee von Metallweiden und einem modernen Stahl-Glas-Haus am historischen Markt haben viele als Provokation empfunden. „Das war eine Stimmung, da wollten wir die Baustelle am liebsten komplett einhausen, damit uns nur ja keiner reinschauen kann“, sagt Herr Fuchs. „Aber dann haben wir gemerkt, wie groß das Interesse der Passanten ist und haben die Baustelle geöffnet. Jetzt kann jeder jederzeit reinschauen und es hängen Folien, die erklären, was wir gerade machen.“ Die Stimmung in Lichtenfels ist gekippt, die Transparenz der Baustelle hat dazu sicher beigetragen. „Mein Eindruck ist, die meisten Leute sind jetzt positiv neugierig, wie es mal wird.“ Und er selbst? „Ich bin Lichtenfelser, ich bin der Stadt verbunden. Ich freue mich sehr darauf, wenn meine Frau und ich mit unseren Kindern über den Marktplatz laufen werden und sagen können, schau mal, die Metallweiden da drüben, zwölf Meter hoch, die haben wir gebaut. Das wird etwas ganz Einmaliges.“