Innen
06.07.2006
10:37 Uhr
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A P O K RY P H EN / Z W EI - Q U ELLEN - T H E O RI E
Was sind frühchristliche Apokryphen? Die ersten Christen hatten zunächst keinen Bedarf an einer eigenen heiligen Schrift, denn sie besaßen von Anfang an eine: Die jüdische Bibel, das Alte Testament, das sie auf Jesus Christus hin lasen und auslegten. Außerdem rechneten viele Christen, darunter der Apostel Paulus, mit dem baldigen Wiedererscheinen des Herrn Jesus Christus, sodass für sie anfangs kein Grund bestand, eine eigene schriftliche Tradition zu begründen. Gleichzeitig gab es aber schon im 1. Jahrhundert n.Chr. unter Christinnen und Christen ein Interesse, sich der Worte und Taten Jesu zu erinnern und diese Erinnerung auch schriftlich festzuhalten. So entstanden etwa in den Jahren 50 bis 100 n.Chr. nebeneinander zahlreiche Texte, die unterschiedlichen persönlichen und gemeindlichen Zwecken dienten; etliche von ihnen wurden später zum Neuen Testament zusammengefügt. Die Briefe des Apostels Paulus, die ältesten Schriften im Neuen Testament, sind Gebrauchstexte, mit denen der Apostel die Verbindung zu fernen Gemeinden hält, in ihnen versucht er Probleme zu lösen, er trägt Anliegen vor, tauscht Grüße und Empfehlungen aus. Der Apostel hatte weder die Absicht noch die Ahnung, dass diese Briefe einmal gesammelt und Teil einer heiligen Schrift werden würden. Auch die Evangelien stellten zunächst wohl einfach Versuche dar, sich der Geschichte Jesu und damit der eigenen Geschichte zu vergewissern.
Exkurs: Die Zwei-Quellen-Theorie Eine Seite aus dem Codex Sinaiticus. Erste komplett erhaltene christliche Vollbibel mit Altem und Neuem Testament aus dem 4. Jahrhundert.
Wer die ersten drei Evangelien des Neuen Testaments (Matthäus, Markus und Lukas) aufmerksam liest, wird rasch feststellen, dass sie sowohl im Ablauf des Erzählens als auch im Wortlaut häufig übereinstimmen. Weiterhin fällt auf, dass das Matthäusevangelium und das Lukasevangelium über die Texte, die sie mit dem Markusevangelium gemeinsam haben, hinaus vor allem Redegut Jesu berichten, das man im Markusevangelium nicht findet. 11