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Deutsch Johannes Brahms (1833 – 1897) Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 in B-Dur op. 83 (1878-81) Das erste Klavierkonzert hatte Brahms in eine tiefe Existenzkrise gestürzt. Von 1854-61 hatte sein „Siebenjähriger Krieg“ gedauert, und noch dem fertigen Werk hatte er seine Verwünschungen hinterhergesandt. Doch nun, 1881, kündet er vom Glück des Gelingens. Unter dem Datum vom 7. Juli schreibt Brahms an Elisabeth von Herzogenberg: Erzählen will ich, daß ich ein ganz ein kleines Klavierkonzert geschrieben habe mit einem ganz zarten Scherzo. Es geht aus B-Dur – ich muß leider fürchten, diese sonst gute Milch gebende Euter zu oft und zu stark in Anspruch genommen zu haben. Rechnet man von diesen Worten die brahmsnotorische Scheu vor weithin hallenden Sprüchen ab, so wird man einen geradezu zärtlichen Stolz herauslesen: Wir haben es mit dem seltenen Fall zu tun, dass Brahms, sonst sein unnachsichtigster Kritiker, sein Klavierkonzert op. 83 als rundum gelungen ansah. Folglich konnte nach der Wiener Uraufführung der Kritiker Eduard Hanslick feststellen: Was Brahms den Wienern diesmal an den Christbaum hängte, ist eine Perle der Concertliteratur. Das B-Dur-Concert ist in strengerem Sinne, als dies auch von anderen Concerten behauptet wird, eine große Symphonie mit obligatem Klavier. Nicht die Zurschaustellung pianistischer Virtuosität setzt sich diese Konzertform zum Ziel, sondern deren sinnvolle Einbindung ins sinfonische Geschehen. Die Formkonstruktion des reifen Brahms, obgleich von großer Konsequenz, unterwirft sich niemals akademischen Zwängen. Deutlich wird dies, wenn der Kopfsatz anhebt mit einer präludierenden Einleitung, dem berühmten Dialog zwischen Horn und Klavier. „Zartes Scherzo“, tatsächlich, nennt Brahms den zweiten Satz, überschrieben mit „Allegro appassionato“. Nicht ohne Absicht ist gerade dieser Satz im zitierten Brief erwähnt. Wenn Brahms nämlich die traditionell dreisätzige Form des Instrumentalkonzerts um genau diesen Satz erweitert, so wird das Scherzo schon äußerlich zum Legitimationszeichen des „Symphonischen Klavierkonzerts“. Während sonst die „gute Milch des B-Dur“ vorherrscht, steht dieses „Allegro appasionato“ in d-moll, der Tonart des unglückseligen ersten Klavierkonzerts, dessen Finale Brahms zitiert. Bemerkt man zudem, dass im vierten Takt diesem d-moll ein orgelpunktartiges B entgegengesetzt wird, so scheint uns Brahms folgende Botschaft übermitteln zu wollen: „Seht her, wie ich meine Ankündigung wahr gemacht habe“. Sogleich nach Vollendung des ersten Klavierkonzerts hatte er an Joseph Joachim geschrieben: ...ein zweites soll schon anders lauten!. Zwanzig Jahre hatte er auf die Verwirklichung dieses Traumes hingearbeitet, und in diesem Lichte erhält auch die folgende Briefstelle ihren Sinn: Ich habe mit dem Stück beabsichtigt, zu zeigen, wie der Künstler alle Leidenschaften abstreifen muß, um in reinstem Äther mit vorbedachten Bakterien schwärmen zu können. (Auch dieser Brief, diesmal an Emma Engelmann, datiert vom 7. Juli 1881; Brahms muss, was sein Opus 83 betrifft, an diesem Tage ungewöhnlich mitteilsam gewesen sein). Diesem dramatischen Scherzo stellt Brahms ein zweites Zentrum gegenüber, ein lyrisches Andante. Auffällig an ihm ist eine nachdenkliche Zurückgenommenheit des Klaviersatzes, vorherrschend der Eindruck eines improvisatorischen Für-sich-hin-Sinnens. Das Solocello singt eine Melodie, dessen erste Töne einem Brahms-Lied mit dem vielsagenden Text entstammen: „Immer leiser wird der Schlummer“. Wird dann noch das vorgeschriebene


Tempo eingehalten (was beklagenswert selten geschieht, obwohl doch die Partitur mit genauen Metronomangaben aufwartet!), so begibt sich einer jener kostbaren Augenblicke, wie sie wohl nur die romantische Sensibilität eines Johannes Brahms zu beschwören vermochte: die Entfaltung einer wundervollen Melodie, zugleich getragen und sanft bewegt von einem Spannungsfeld gegenläufiger Metren. Diese lyrische Intimität zeitigt ihre Folgen für den Fortgang des Werkes: Indem sie auf das Finalrondo einwirkt, teilt sie das Klavierkonzert in zwei Hälften mit unterschiedlichem Ausdruckscharakter. Äußeres Zeichen hierfür ist ein sehr ungewöhnlicher Instrumentationseffekt: Trompeten und Pauken werden nach dem Scherzo nicht mehr benötigt. Wenn das Finale, treffend mit „Allegro grazioso“ überschrieben, dennoch leuchtet, so liegt dies an seinem strahlenden Charme. Immer wieder erfindet Brahms in diesem Rondo neue Couplets, und was dem Solisten abverlangt wird, ist nicht tumber Pianistendonner, sondern die ungleich höhere Fertigkeit, grifftechnisch schwierigste Figuren aufs delikateste wiederzugeben. Eduard Marxen, „seinem treuen Freunde und Lehrer“, hat Brahms sein zweites Klavierkonzert gewidmet. Dies konnte er tun in der sicheren Überzeugung, ihm ein Meisterstück präsentieren zu können.

Robert Schumann (1810 – 1856) Fantasie C-Dur op. 17 (1836-39) „Sonate, que me veux-tu?“ Diese ebenso berühmte wie provokante Frage von Bernard de Fontenelle, gestellt im Jahre 1768, liefert bis heute ein beliebtes Thema für musikästhetische Debatten. Noch Pierre Boulez widmete ihr einen Essay im Zusammenhang mit seiner dritten Klaviersonate, einem wuchernden work in progress mit einem dichten Netz von referentiellen Bezügen. Auch Robert Schumann setzte sich mit ihr auseinander. Nachdem er drei Klaviersonaten geschrieben hatte, erklärte er: „Im Übrigen aber, scheint es, hat die Form ihren Lebenskreis durchlaufen, und dies ist ja auch in der Ordnung der Dinge und wir sollten nicht Jahrhunderte lang dasselbe wiederholen und auch auf Neues bedacht sein. Also schreibe man Sonaten, oder Phantasien (was liegt am Namen!), nur vergesse man dabei die Musik nicht, und das andere erfleht vom guten Genius“. Natürlich war Schumann nicht entgangen, dass bereits einige Klaviersonaten Beethovens die klassischen Verlaufsform aufgegeben hatten. Von diesen „Sonate quasi una fantasia“ ließ sich lernen, dass sie durchaus Raum boten für außermusikalische Ideen oder, wie in Beethovens op. 110, für Formen, die der Vokalmusik entstammten. Somit hätte Schumann durchaus weiter „Fantasiesonaten“ schreiben können. Warum er zunehmende Aversionen dagegen entwickelte, sollte er im Jahre 1842 darlegen: Das Publikum kauft schwer, der Verleger druckt schwer, und die Komponisten halten allerhand, vielleicht auch innere Gründe ab, dergleichen Altmodisches zu schreiben. Sieben Jahre früher war er noch anderer Ansicht. Als Franz Liszt für ein Beethoven-Denkmal sammelte, gedachte sich Schumann daran zu beteiligen mit einer „Großen Sonate für das Pianoforte“. Bereits der erste Entwurf zeigte, dass er stark mit programmatischen Ideen durchsetzt war. “Ruinen – Trophaeen – Palmen“, so lauteten die Satzüberschriften. Hatte sich der Kompositionsprozess schon ungewöhnlich lange gezogen (von 1835-38), so stellten sich unerwartete Schwierigkeiten ein, die nur zum Teil mit der Suche nach der richtigen


Gattungsbezeichnung zusammenhingen, ehe der endgültige Titel „Fantasie für das Pianoforte“ feststand. Hinzu kamen Wirren, die den ursprünglichen Plan eines musikalischen Beethoven-Monuments mit biografischen Motiven versetzten. Geschehen war folgendes: Nach zeitweiliger Trennung von Clara im Jahre 1936 suchte er wenig später eine peinvolle Wiederannäherung, und sie fand – für Schumann kaum überraschend - ihren Niederschlag in einer sich ändernden Konzeption der Fantasie. Am Ende des ersten Satzes erscheint nun ein Zitat aus Beethovens Lied „An die ferne Geliebte“. Dieses Zitat wirkt keineswegs nachträglich eingefügt. Vielmehr läuft die gesamte motivische und formale Entwicklung des ersten Satzes darauf hinaus. Es ist zudem verknüpft mit einem unglaublichen harmonischen Kunstgriff: Erst gegen Ende dieses ausgedehnten Satzes erscheint zum ersten Male der CDur-Akkord in seiner Grundstellung! Retrospektiv erklärt sich nun auch, warum der Phantasie das folgende Schlegel-Zitat vorangestellt ist: Durch alle Töne tönet Im bunten Erdentraum Ein leiser Ton gezogen Für den der heimlich lauschet. Das Formschema dieses ersten Satzes hat sich denkbar weit von allen klassischen Vorbildern entfernt. An die Stelle einer Durchführung tritt etwa ein ruhevoller Einschub, überschrieben „Im Legendenton“. „Der erste Satz von Schumanns Fantasie C-Dur“, schreibt Charles Rosen, ...ist schließlich der Triumph des musikalischen Fragments. Schumann war selbst der Meinung, dass sein Talent in diesem Satz den machtvollsten Ausdruck gefunden habe, und es ist sicherlich sein erfolgreichster, originellster Versuch mit einer großen Form...Der erste Satz der Fantasie enthüllt die Ästhetik des einfachen Fragments in vergrößerter Form mit einem Zug und einer Energie, die sonst nirgendwo zu finden sind. Trotz aller Paradigmenwechsel beim Kompositionsprozess ist die C-Dur-Fantasie doch ein Beethoven-Denkmal geblieben. Hierzu bedarf es nicht einmal der Verifizierung der zahlreichen Beethoven-Zitate, übrigens ein beliebter Sport der Schuman-Exgeten. Aber auch den Findigsten ist es nicht gelungen, jene Anspielung auf die 7. Sinfonie dingfest zu machen, die Schumann in einem Brief an den Verleger Kistner angekündigt hatte. Hingegen erkannte Charles Rosen ein Zitat aus dem 5. Klavierkonzert; Brigitte François-Sappey legt in ihrer äußerst lesenswerten Beschreibung dar, wie sich Schumann nicht nur auf die „Missa solemnis“ bezieht, sondern auch mit einem „Fidelio“-Zitat spielt und damit Florestan, sein romantisches Selbstportrait, ins Spiel bringt. Der zweite Satz hat seinen „Triumph-Bogen“-Charakter bis zur letzten Fassung bewahrt. In seiner Fiktion eines musikalischen Parlaments siedelte Schumann die „Beethovener“ am linken Rand an; äußeres Erkennungszeichen ist ihnen die „Phrygische Mütze“, ein Insignium der französischen Revolutionäre. Erinnert der Satz an einen Geschwindmarsch französischer Revolutionsheere, so ist die Schlusscoda mit ihren akrobatischen Sprüngen durchaus für die Pianistenhände Claras geschrieben. „Langsam getragen, durchweg leise zu spielen“, so ist das Finale überschrieben. An ihm hat Schumann seit den ersten Entwürfen die umfangreichsten Revisionen vorgenommen. 1838 schließlich verwandelt sich abermals der ursprüngliche Titel: Aus „Palmen“ wird nun „Sternbild“. Wieder bezogen auf die ursprüngliche Idee eines Beethoven-Denkmals, lässt diese Überschrift natürlich denken an mythische Verklärung, an die Versetzung des Helden an den Nachthimmel. Schumann komponierte ein ungemein ausdrucksvolles Nocturne: einen würdigen Schluss für diese „Fantasia quasi sonata“.


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