Vogel ohne Flügel
Vom Ringen mit Gott. Und vom Freisein trotz Multipler Sklerose
SerainaHintermann-Famos
mitVeraSchindler-Wunderlich
VogelohneFl gel
VomRingenmitGott.
UndvomFreiseintrotz
MultiplerSklerose
MiteinemVorwort
vonRitaFamos
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2023byFontis-VerlagBasel
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DieBibelnachMartinLuthers bersetzung,revidiert2017, 2016DeutscheBibelgesellschaft,Stuttgart.
Umschlag:SpoonDesign,OlafJohannson,Langgçns
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Umschlagfotos: byFamilieHintermann-Famos
FotosimBuchbyFamilieHintermann-Famos
Satz:InnoSetAG,JustinMessmer,Basel Druck:Finidr
GedrucktinderTschechischenRepublik
ISBN978-3-03848-268-0
EinTraum:IchwarinmeinerHeimatLuzern,aberichkam anganzunbekanntenPl tzenvorbei,ganzgroßenPl tzen mitsehrvielenMenschen,undzumTeilwarendaauch großeKathedralenundKirchen.(…)Vielleichtstecktinmir auchdieseVielf ltigkeit,diesegroßen,nochzuentdeckendenPl tze!Ichmçchtesogernenochvielesentdecken,lernen.HabeichdieZeitdazu?
Tagebuch,28.Februar2002,kurznachderDiagnoseMS
Erneuthabeichgetr umt,dassichgehenkann!Undwenn ichimTraumgehe,dannbarfuß.IchkannbeimGehenauch DingeindieHandnehmen,zumBeispieleinenkleinenBlumentopfvomFenstersims,undanihrenPlatzr umen.Das Erwachenistdannwenigerschçn…
ZumTrauminderNachtvom28.aufden29.Juli2022
WartenisteinegroßeTat.
ChristophFriedrichBlumhardt
DiesesBuchwidmeich…
& …Daniel,meinemgeliebtenMann, & meinendreiSçhnenJonathan,JeremiaundSamuel & undmeinenGroßkindernLouis,MaleaundTimael.
HerzlichenDank…
& …anPeterReber!Erhatmirgroßz gigundwarmherzigerlaubt, nichtnurseinzauberhaftesLiebeslied«EVogelohniFl gel»abzudrucken(unddie bersetzunginsHochdeutscheselbstgenehmigt),sondernerhatauchgr nesLichtdaf rgegeben,dass ichdiesenLiedtitelzumTiteldesvorliegendenBuchesmache.
SerainaHintermann-Famos,Mai2023
Vorwort vonRitaFamos
AlsunsdieNachrichterreichte,meineSchw gerinseianMultiplerSklerose(MS)erkrankt,wardasf rdieganzeFamilieund dasUmfeldeinSchock.Nochbeunruhigenderwardieallm hlicheGewissheit,dassessichinihremFallumdenschlimmstmçglichenVerlaufeinerMShandelte:dieprim r-progrediente Variante.MitgroßerBetroffenheitundOhnmachtmusstenwir miterleben,wiemeineSchw gerinraschundzunehmendinihrerkçrperlichenVitalit teingeschr nktwurde–undesimmer nochweiterwird.AbergleichzeitigwurdenwirauchZeugen, wieSeraina,ihrMannundihreFamiliebewundernswerteBew ltigungsstrategienentwickelten.
Vorunsliegteineindr cklicherEinblickineinLebenmitMS.
IndemBuch«VogelohneFl gel»lesenwirvoneinemehrlichen, ungeschçntenUmgangmitdemt glichenLeiden,denSchmerzen,demZweifelundderWut,diedieseKrankheitverursacht. Undgleichzeitigerfahrenwir,wieeseinerauthentischen,aufrichtigen,vomchristlichenGlaubengetragenen,intelligenten undhumorvollenFraugelingt,ihrenLebensmutimmerwieder zur ckzugewinnen–trotzdesLeids,dasihrdieseheimt ckische Krankheit,derenAusgangungewissbleibt,zuf gt.
«Resilienz»istzueinemModewortgeworden,weilunsere GesellschaftgeradeindenletztenKrisenjahrenerfahrenhat, dassçkonomischeundfinanzielleAbsicherungennichtreichen, umKrisenzu berstehen.EsbrauchtMenschen,dief higsind, mitR ckschl gen,Unsicherheiten,VerzichtundLeidumzugehen.WerfenwireinenBlickindasLebenszeugnisvonSeraina Hintermann-Famos,soerkennenwirdreiQuellen,ausdenen sichihreganzpersçnlicheResilienzn hrt.
1.Beziehungen:DenzunehmendenkçrperlichenAbbauvergleichtdieAutorinmitdemBildeinesVogels,demdieFl gelgestutztwerden.UndzugleichbeschreibtsiedieLiebesbeziehung zuihremEhemannalsdasElementinihremLeben,dasihrweiterhinFl gelverleiht,undwirAußenstehendenhabendenEindruck,dassdieBeziehungderbeidenmitzunehmenderKrankheitnochmehranTiefegewonnenhat.Ehrliche,vonLiebeund Zuneigunggepr gteGespr che,geteiltesgeistlichesLeben,gemeinsameLekt re,Ausfl geinKunstausstellungenerçffnenin ihremLebenGl cksinseln,Erf llung,seelischeNahrung.IhregemeinsamendreiSçhnemitihrenEhefrauenundEnkelkindern sindzudemregelm ßigeG steimHausundbringenLebensfreudeundnamentlichauchvielpraktischeUnterst tzung.
2.GelebterGlaube:DieAutorinistimbestenSinndesWortes ein«frommer»Mensch.IhrGlaube,dersieseitihrerJugendbegleitet,wurdeundwirddurchdieKrankheitaufeineharteProbe gestellt.WiederbiblischeHiobringtsiemitGott.Dawirdnichts beschçnigt,ZweifelundWutwerdennichtverleugnet.Undwie JakobausdemAltenTestament,derzuGottsagt:«IchlasseDich nicht,Dusegnestmichdenn»(1.Mose32,27),l sstauchsie nichtabvonihremGott,ringtmitihm,suchtnachseinemSegen –undfindetihnauchimmerwieder.IngutreformierterTraditionst rktsiesicht glichmitderBibelleseunddemGebetund findetaufeindr cklicheWeiseHaltundZuversichtdarin.
3.LogotherapienachViktorFrankl:Sichderfortschreitenden Einschr nkungendurchihreKrankheitbewusst,entschied meineSchw gerin,eineTherapieausbildunginderLogotherapie nachViktorE.Franklzuabsolvieren,inwelcherunteranderem derUmgangmitKrankheitundanderenschwierigenLebenssituationenzentralist.DieAusbildungzurLogotherapeutinerwiessichdanntats chlichnichtnurf rihrtherapeutischesArbeiten,sondernauchf rdieBew ltigungihrereigenen HerausforderungenalswichtigeSt tze.DerTiteldesBestsellers vonViktorFrankl,«…trotzdemJazumLebensagen»,ziehtsich
wieeinroterFadendurchdasLebenvonSerainaHintermannFamos.
ImBucherfahrenwirGenaueresdar ber,wieSerainaHintermann-FamosausdiesendreiQuellenschçpftundsichdadurch tapferundunverzagtdenHerausforderungenihresAlltagsstellt. Wirlesenaberauch,wiesiesichmitdemSchweizerGesundheitswesenauseinandersetzt.Sieistalsfastg nzlichgel hmte FrauaufhçchsteAufmerksamkeitvon rztenundPflegenden angewiesenundstelltfest,dassmanihraufgrundvonPersonalknappheitundauferlegtençkonomischenRahmenbedingungen oftnurteilweisegerechtwerdenkann.DieFragedesassistierten SuizidsistaufdenfolgendenSeitenebensoThemawiedastheologischeRingenumdieFragederTheodizee,alsodieFrage,weshalbderallm chtige,allliebendeGottdasLeidzul sst.
InihremTagebuchschreibtSerainaHintermann-Famoskurz nachihrerDiagnoseMS:«Ichmçchtejemandsein,deretwaszu sagenhat.»Aufeindr cklicheWeisehabenwirAngehçrigenund vieleweitereWegbegleiterinnenundWegbegleiterindenletzten zwanzigJahrenerfahren,dassdieoffene,ehrliche,aberauchzuversichtlicheArt,wiesieundihrMannmitderKrankheitumgehen,unsvielaufunserenLebenswegmitgegebenhat.DasBuch h ltdasWesentlichedavonfest.MçgeesvielenweiterenMenschenzurErmutigungdienen.
8.Januar2023
RitaFamosistPr sidentinderEvangelisch-reformiertenKircheSchweiz
Einleitung:
WarumichmeineGeschichte teilenmçchte
Dennochbleibeichstetsandir;dennduh ltstmichbeimeinerrechtenHand,duleitestmichnachdeinemRatund nimmstmichamEndemitEhrenan.
IchmçchtemitdiesemBuchMenscheninschwierigenLebenssituationenhelfen,konstruktivmitdenHerausforderungenumzugehen,dieihnenimLebenbegegnen.IchwillihnenMutmachen,sozusagendenStierbeidenHçrnernzupacken,nicht aufzugeben,sichnichtentmutigenzulassenundtrotzalleman Gottzubleiben.
Ichweiß,dasssichernichtalleLeserinnenundLeseranGott glaubenkçnnen.EsgibtauchMenschen,dieohneGlaubenan GotteinesoschwierigeAufgabegutmeisternkçnnen.Ichselbst glaubeaberanGottunddaran,dassErmichnichtlosl sst.Und
ichbin berzeugt,dassGottmichnichtimStichl sst,auchwenn dieLebenssituationmehralsherausforderndist.VondiesenmeineneigenenHerausforderungenwerdeichIhnenimFolgenden erz hlen.
Anf nglichwollteichmeineAutobiografie«MeinKrampf» nennen.Dochdaklangnat rlichzustarkdasuns glicheWerk vonHitleran.
StattdessenmçchteichdiesemBuchdenTitel«Vogelohne Fl gel»geben.«VogelohneFl gel»isteininderSchweizsehrbekanntesundbeliebtesschçnesLiebeslieddesLiedermachersPeterReber.Oftfindeichmichundmeineausgepr gteHilflosigkeit indiesemTitelwieder.AlsLiebesliedwidmeichesinTeil3die-
Psalm73,23–24,Luther2017sesBuchsmeinemliebenMann–inmitteneinerAufz hlungder Probleme,diemitderKrankheitMSzusammenh ngen.
MeineAufzeichnungensollenabernichtnurvomVerlustmeiner«Fl gel»handeln.Mirsindn mlichimLaufederJahreviele unterschiedlicheneueFl gelgewachsen,vondenenichIhnen hieraucherz hlenmçchte.–LassenSiesich berraschen!
AuchwenndiePrellbçckemichzuerdr ckendrohen,gibtesimmernoch Schmetterlinge bermirundBlumenvormir.
S. 17 bis S. 51 sind nicht Teil dieser Leseprobe.
DerUmgangmitderKrankheitMS
DerUmgangmitderKrankheitMSistschwierig.Siehatmich ansovieleGrenzengef hrt,undsovielesistmirgenommen worden:dieArbeit,dasTanzen,meineKreativit tbeimMalen undFormenvonSkulpturen,dieF higkeit,denHaushaltzu machen,aufzur umen,einBuchzuhalten,zulesen–was schwerf llt,weilderSehnervbesch digtist–,vonHandzu schreiben,zutippenundsovielesmehr.Ganzaktuellfehltes mirsehr,dassichnichtmeineEnkelkinderimArmhaltenund liebkosenkann. Kr mpfe,
belkeitundUntergewicht
AbgesehenvondenvielenGrenzen,diedieKrankheitmiraufzwingt,istsieauchmitetlichenBeschwerdenverbunden.Die Muskulaturverkrampftsichh ufig,unddasf hrtzustarken Schmerzen,wiesiejedervoneinemheftigenWadenkrampf kennt.W hrendGesundediesenWadenkrampfnacheinigenMinuten berstandenhaben,mussichdieseQualoft berStunden wehrlosertragenunddaraufwarten,dasssieaufhçrt.
SeitvielenJahrennehmeichstarkeMedikamente.DiesegreifendenMagenan,weshalbmirvermutlichoft belist.Ichhabe keinenAppetitundessedeshalbauchsehrwenig–ichmuss michdazusogarmeistzwingen.Fr hereLieblingsspeisenwie zumBeispiel«BrçnntiCr me»(Karamell-Cr me)oderSchokoladeesseichschonlangenichtmehrodernurinkleinstenDosen, damirsoh ufigschlechtist.
Sokommtesauch,dassichst ndiganGewichtverliere.Um
nichtuntergewichtigzuwerden,erhalteichzus tzlichjedenTag «Astronautennahrung».
Wieichweiterobenschonbeschriebenhabe,kannichseiteinigenJahrenwegenderSchw chungmeinerArmeundH nde auchnichtmehreigenst ndigessenundwerde«gef ttert».Das f hrtzueinervollst ndigenKontrolleanderer bermeinEssverhalten.Wermichf ttert,weißjaimmer,wievieleH ppchenich zumirgenommenhabe,undwillmichmeistwieeinwiderspenstigesKleinkinddazubewegen,dochnochetwasmehrzu essen.Dasistf rmich ußerstunangenehm.
Schamgef hl
St ndigpr sentinmeinemAlltagistaufvielenEbeneneinausgepr gtesSchamgef hl.Dennichmussjagepflegtwerden–also mussmeinganzerKçrpergewaschenwerden,undzwaroftnicht vonMenschen,diemirsehrnahestehen,sondernvonFremden.
ZumBeispielmussichmichregelm ßignachdemStuhlgang reinigenlassen.Seit,wiebereitserw hnt,meinDarmseineAktivit t(Peristaltik)grçßtenteilseingestellthat(wassehrgef hrlichist),sindsolcheReinigungsaktionennat rlichnochanspruchsvollerundumfangreicherf ralleBeteiligtengeworden.
Zwarsagenalle,diemirfreundlichundkompetenthelfen,es seidochgarnichtsoschlimmundsiemachtendasjaschonseit zwanzigodergarf nfunddreißigJahren.Ichhaltedannschlicht dagegen:«WennichwieeinBabyinsBettmacheundFremde sichdarumk mmernm ssen,gehtesmirnichtgut!»IneinersolchenSituationw rdesichjawohljedeundjedersch men.
Und:Siealle,diemirhelfen,warenbishernochnieamanderenEnde,alsoinmeinerPosition!Wiew rdensiesichwohlin Windelnf hlen?DahilftauchdieFachbezeichnung«geschlossenesSystem»f rWindelhosennichtweiter,ebensowenigwiedie
cooleBenennung«IDExpertBeltPlusM»f rInkontinenzslips
mitG rtel.Mirscheint,ichwerdemichandieseProdukteund diesesProzedereniegewçhnen.
Zus tzlichmussichjaschont glichmorgensundabends–wie einhilflosesBaby–komplettan-undwiederausgezogenwerden.
Ichhabe,wiebereitsbeiderBeschreibungmeinesAlltagserw hnt,jaeinenBauchkatheter.DerdazugehçrigeUrinbeutel mussregelm ßigvonjemandemgeleertwerden.DieentsprechendenGeruchsemissionenstçrenmichjedesMal;umsomehr, dapeinlicherweisestetseinandererMenschdabeiist.Ichhabe aberaucheinenganzbesondersgutausgepr gtenGeruchssinn, unddaherbraucheichsehrvielParf mundgutduftendeLotionen,ummichvondenGer chenabzulenken.
Eswarhilfreich,sichbeidiesemProzedere,wieauchbeider SituationdesGef ttertwerdens,einegewissestoischeHaltung anzugewçhnen.Ichlasseeseben bermichergehen.–Undbin trotzdeminallemauchdankbarf rdieHilfe.
Schlafprobleme
Mankçnnteannehmen,dassichmitallmeinenBeschwerdenalleinschonausErschçpfungnachtssehrgutschlafenkçnnte.Das istaberleidernichtso.
Um berhaupteinschlafenzukçnnen,mussichMedikamente nehmen.DasisteinbesonderesProzedere:UmPunkt20.30Uhr nehmeichdasersteMedikament.Dann,unmittelbarvordem Schlafen,nehmeichdaszweite,daseinenanderenWirkstoffhat. Danachdarfmichmçglichstniemandmehransprechen,allem ssendenRaumverlassen,unddasLichtimFlur(ichmussbeioffenerT rschlafen)mussgelçschtwerden.Sonstkannichnichteinschlafen.
LeideristmeinSchlafnichtvonlangerDauer.InderRegelwacheichbereitsumeinUhrmorgensschonwiederauf.DerGrund sinddieerw hntenMuskelkr mpfe,dieebenTeilderKrankheit
sind.MeistensverkrampftsichbeimirdieVorderseitedesrechten Oberschenkels,undzwarsosehr,dassesbrutalschmerzt.Nach dreibisf nfSekundenisteszwarvorbei,abernacheinerkleinen PausevondreiSekundengehtessofortwiederlos,undeszieht sichmanchmalhinbisetwaf nfUhrmorgens!TrotzderKr mpfe schlafeichdannmanchmalnacheinerWeilewiederein.
Weiterobenhabeichjaschondavonerz hlt,wasichtue, wennichnichtschlafenkann.IchhçrezurvollenStundedie NachrichtenaufSRF1unddazwischendasMusikprogramm. Sehrgernehçreichw hrenddieserZeitderKr mpfeauchden beruhigenden,freundlichenKlangderGlockenderreformierten KirchevonSchçftland,dieetwa300Metervonunsentfernt stehtundjedeViertelstundeschl gt.Siestrukturiertmirjadie langeNacht.Ichlasse,umsiezuhçren,auchimmerdasFenster einwenigoffen.
Wennichwahrnehme,dassichdieRadiomusikoderdieGlockeschoneinWeilchennichtmehrgehçrthabe,binichvermutlichdocheingeschlafen… bernachteichineineranderenStadt, hoffeichimmer,dassmichauchdorteineGlockebegr ßtund durchdieNachtbegleitet.
OftaberschmerzenmichdieKr mpfesosehr,dassichnach meinemMannrufenmuss.Danielschl ftamanderenEndedes Flurs,beioffenerT r,ummichhçrenzukçnnen.Erstehth ufig dreimalproNachtauf,ummichumzulagern.IchbrauchespezielleKissen,umleichterhçhtzuliegen,unddieseKissenm ssenneuarrangiertwerden.DaniellagertauchmeineBeineum, unddadurchwerdendieKr mpfeetwasgemildert.
Dieserf rmichsehrerlçsendeEinsatzkostetihn,derjaals Pfarrerarbeitet,allerdingsseineNachtruhe.Schonseitvielen JahrenhatereinmassivesSchlafdefizit.Leiderwirdernurein-
malmonatlichvoneinerIV-Assistentin,diebeiuns bernachtet, vertreten.DamitichinjedemFallgehçrtwerde,habenwirdas Kontaktphone«Gustav»inihrundmeinZimmergestellt.SohabenwireineguteakustischeVerbindung.
Ichwerdemanchmalgefragt,warumdieIV-AssistentineigentlichnichtjedeWocheeinmalnachtskommenkçnnte.Meine Antwortistern chternd:Esw reschlichtzuteuer.Dochzuden Kostensp ter.
Gelegentlichversucheichauch,meinenMannnachtszuschonen:Ichpasseab,wanneraufsWCmuss,damitichihnnicht extraweckenmuss.Dar beristermanchmaltats chlichauch froh,aberçftershçreichdannauch,ichsolleihnaufkeinenFall schonen,damitichnichtsoleidenmuss.
AndieserStellewillicheinLiebesliedf rmeinenManneinf gen,daswunderschçneLieddesSchweizerLiedermachersPeterReber,«EVogelohniFl gel».DiesesLied(dasman brigens schnellaufYouTubefindet)istzwarausderPerspektiveeines Mannesf reineFraugeschrieben,aberbringtgenauzumAusdruck,wasichf rDanielempfinde.
EVogelohniFl gel
Wischçn,dassdubimirbisch
DumysL beselixier
Iw rjasoverlore
Wasw rdi chtusmir
EVogelohniFl gel
EFisch,won mmmehschw mmt
EsSchiff,ohniS gel
WemySunnen mmmehbrçnnt
DuteilschmitmirdiTage
Undbischganzeifachda
DubischmyFrou
Undig,ibidyMa
Mitdirischsoschçnzstryte
W lldsoschçnchaschverg
DewiderguetiZyte
WodichaidArmen h
Iw reVogelohniFl gel
W reFisch,won mmmeh
schw mmt
EsSchiff,ohniS gel
WemySunnen mmmehbrçnnt
EinVogelohneFl gel
Wieschçn,dassdubeimirbist
Du,meinLebenselixier
Ichw rjasoverloren
Wasw rdenurausmir
EinVogelohneFl gel
EinFisch,dernichtmehrschwimmt
EinSchiffohneSegel
WeilmeineSonnenichtmehrscheint
DuteilstmitmirdieTage
Undbistganzeinfachda
DubistmeineFrau
Undich,ichbindeinMann
Mirdirl sstsichsoschçnstreiten
weildusoschçnvergebenkannst
DannwiederguteZeiten
IndenenichdichindieArme
nehmenkann
Ichw reinVogelohneFl gel
EinFisch,dernichtmehrschwimmt
EinSchiffohneSegel
WeilmeineSonnenichtmehrscheint
ngsteimZusammenhangmitderMS
ImLaufedervielenJahre,dieichschonmitdieserkomplexen(ich willjanichtsagen«besch…»)Krankheitverbrachthabe,warich schonmitvielenunterschiedlichen ngstenkonfrontiert.
NebenderAngstdavor,dassdieKrankheitsichverschlimmernkçnnte,gibtesinmeinemAlltagnochvieleanderekonkreteBef rchtungen.IchmusszumBeispielst ndigdaraufachten, dassichwederzuwenignochzuvieltrink e.F nfLiterWasser trinkenw ref rdenKatheterideal,manchmalschaffeichsogar f nf.Wennichwenigertrinke,hatdasjeweilsrechtunangenehmeFolgenf rmich.DiekleinenLçcherdesKatheterskçnn-
tensichdannverschließen–erw reverstopft,undderUrin kçnntenichtmehrabfließen,sonderngingeunangenehmerweisedirekt«indieHose».
Dannm ssteichinsParaplegiker-ZentrumNottwil(«Paraplegie»bedeutetQuerschnittl hmung)gebrachtwerden,wo derKatheterausgewechseltwerdenm sste.DieserVorgang ist ußerstschmerzhaft.–DassichinderNotdasParaplegikerZentrumNottwilaufsuchenkann,istallerdingseinPrivileg, weilseineQualit t berdieLandesgrenzehinausbekanntist. Ichhabegelesen,dasszumBeispielauchSamuelKochschon hierinBehandlungwar.
Daichsoh ufigsitzeoderliege,bestehtimmerdieGefahr, wiemirdieFachleuteunerm dlicherkl ren,dasssicheingef hrlichesDruckgeschw r,einsogenannter Dekubitus, bildet.Dieser
Dekubitusw reauchsehrschwierigzuheilen.DieseMçglichkeitschwebtimmerwieeinDamoklesschwert bermir.
DieKrankheitmachtmichaußerdemauch vonderStromversorgungstarkabh ngig. Wirm ssenjaauchinderSchweizinZukunftausverschiedenen,auchsehraktuellenGr ndenmiteiner Stroml ckerechnen.Wasw redannmitmeinerMobilit t?Wie sollteichmichdanninmeinemelektrischenRollstuhlfortbewegen?WiesollteichausmeinemSpezialbett,dasherauf-undheruntergefahrenwerdenkann,herausgeholtwerden,ohnedass diePflegendeneinenR ckenschadenerleiden?
IchbenutzeseitvielenJahrendenschonerw hntenTreppenlift,umvonmeinemZimmerimerstenStockinsErdgeschosszu gelangen.OhneStromm ssteichdieTreppehinuntergetragen werdenundwiederhinauf.
IchbrauchevielextraW rmezufuhr,dabeimirdurchdieMS die TemperaturregelungdesKçrpersgestçrt ist.OhneStromh tte
ichimWinterkeineHeizungundauchkeineW rmes ckchen ausKirschkernen,mitdenenichh ufigundgernemeineH nde w rme,dieichalskaltempfinde.
DurchdieMSunddieBesch digungderSchutzh llenderNer-
venist meinganzesKçrperempfindendurcheinandergebracht. Selbst wennmeinKçrper«gl ht»,meineichbeispielsweise,mirsei kalt.AndersherumreichenmanchmalaberaucheinpaargenießerischeMinuteninderwarmenSonne,dassicheinenSchwcheanfallbekommeundsofortindenSchattengebrachtwerden muss.IchhabealsodennormalenUmgangmitmeinenKçrpersignalen,zumBeispielauchbeiderVerdauung,verlorenund musssieimmerwiederneuindenKategorienderMSinterpretierenlernen.Ichmussalsozum«Kopfmenschen»werden,um nichtdauerndinPanikzugeraten.
IchdenkeauchmanchmalvollerSorgedaran,dassunsdurch dieFolgenderGlobalisierungunddesKlimawandelseinmal ein Trinkwassermangel treffenkçnnte.Dasw renat rlichf rdas ganzeLandeineKatastrophe.Aberf rmichw reschoneine Einschr nkungmeinerpersçnlichendringendnotwendigent glichenWasseraufnahmegef hrlich.
Nat rlichbesch ftigtmichauchseitCoronainvielerHinsicht derGedankean hnlichePandemien(undauchCoronaistja nochnichtwirklich berstanden).EsbewegtmichzumBeispiel dieFrage,wielangeesnochgen gendPflegepersonalinden Spit lerngebenwird.DiesesProblemkçnnteauchf rmich sehrkonkretwerden.DieCorona-PandemieunddiePflicht, Maskenzutragen,hatdamals,wiemansichvorstellenkann, meinLebennochm hsamerundkompliziertergemacht,alses bereitswar.
BedauerlicherweisekannMSauchzu be ngstigendenkognitiven Einschr nkungen f hren.Fr herhatteicheinsehrgutesGed chtnisundkonntezumBeispieldreiKapitelausdemRçmerbrief amSt ckauswendig.Heutegelingtesmirnichtmehr,eine kurzePassagezubehalten.Deshalbistmirdast glicheBibellesensowichtig,weilichmichdabeiandieFormulierungenerinnernundsiemireinpr genkann.Dannkannauchbeimirgeschehen,wasdieTheologinRitaFamossagt:«DasWunderder Verwandlung,dasuralteLese-WorteinganzpersçnlicheLe-
bens-Worteverwandelt.InWorte,dieeinFensterzumHimmel çffnen.»
Zur ckzumeinerVergesslichkeit:Oftpassiertesmir,wenn icheinenFilmsehe,dassichbereitsamn chstenTagnichtmehr weiß,umwasesgegangenist!Damithabeichabereinen«sekund renKrankheitsgewinn»,dennichkanndenFilmschonrelativbaldwiederneugenießen…
Besonders rgerlichistes,wennmirmeinManndenjeweiligenTagesablauferkl rtundichihnschonnachzweiMinuten nichtmehrweiß!DieseVergesslichkeithatauchmeineArbeit alsPsychologinirgendwannempfindlichgestçrtundunmçglich gemacht:BeieinemFolgegespr chbrauchteichbesondersviele Hinweisedarauf,umwasesbeimErstgespr chgegangenwar.
DassdiekognitivenBeeintr chtigungennochschlimmerwerdenkçnnten,machtmirAngst.
Alsbesondersnervenaufreibenderlebeichesimmerwieder, wiedurchdieKrankheit meinAlltagverlangsamtwird. Oftwerde ichsehrungeduldig.Allesscheintewigzubrauchen,undich kannbeiganzvielenBereichen(zumBeispielnurschonbeider EinnahmeeinesMedikamentes)nichtmehrraschzugreifenund eingreifen,wieichesfr herkonnte.EsmachtmirçftersAngst, dassichkeineKontrollemehr berdieDingehabe.
HeutewirdfastallesinunseremHaushaltundinmeinemTagesablaufdurchHilfenerledigt,undichbrauchenurzuzuschauen undkannmicheinfachbedienenlassen…ZudieserEinstellung–wegvonderAngstvorKontrollverlust–mussteundmussich michallerdingsdurchringen,undicherkl resp ter,wieeszudiesergutenWendekam.
GlockengegendieAngst
AndieserStelleistesmireinAnliegen,einenArtikeleinzuf gen, denich2008f rdieZeitschriftderOrganisation Sela, inderich
bis2019alsPsychologinundTherapeutint tigwar,verfassthabe.IchhabedenBeitragf rdiesesBucheinwenigangepasst.
ZumerstenMal berhaupthatteichsorgenvolleGedanken, alsichandasbevorstehendeJahr2008dachte.ImVerlaufder zweitenH lftedesJahres2007hattesichmeinGesundheitszustanddrastischverschlechtert.IchkonntemichaußerHaus nurnochmitdemRollstuhlfortbewegen,unddieKontrolle berdieMotorikmeinerHandhattesosehrnachgelassen, dassichzuweilennichtmehrentziffernkonnte,wasichgeschriebenhatte.AnSilvester2007habeichmichgefragt,was sichimkommendenJahrsonstnochverschlechternkçnnte,ob meineKrankheitmirnochmehrwegnehmenoderobsienun endlichzueinemStillstandkommenw rde.
InderDunkelheitderNachtkçnnensichsolcheSorgenextremaufbauschen.Dasweißjede(r),die/dernachtserwacht undwegensorgenvollerGedankendenSchlafnichtmehrfindet.VielleichtkennenSiedasauch?VielleichthabenSie manchmalebenfallseinmulmigesGef hl,wennSieanIhre eigeneZukunftdenken.
Am30.Dezember2007warichimGottesdienstinSchçftlandunddurftediePredigtvonPfarrerinRosemarieM llerhçren.DiesehatmichmittenindiesenFragenundSorgenangesprochen.IchwillmitIhneneinigeGedankendieserPredigt teilen.
AnSilvesterwirdjeweilsvielL rmmitFeuerwerk,SektkorkenundBçllersch ssengemacht.Warummachtmandas beimJahreswechsel?PfarrerinM llerverstehtesalseinemçglicheVerarbeitungder ngste,diemitdemneuenJahrverbundensind:WaswirddasJahrbringen?MitKrachkannman diese ngstevertreibenundverscheuchen.
AbermittenindemRadaurundumdenJahreswechselruft
JesusChristusunsseineBotschaftzu:«IchbinindieWeltgekommenalseinLicht,damit,weranmichglaubt,nichtinder Finsternisbleibt»(Johannes12,46).DieKirchenglocken,die am1.JanuardasneueJahreingel utethaben,riefenstellvertretendf rJesus:«ErinnertEuchandieBotschaftJesuChristi, jetztumMitternacht,wenndasAltezuEndegehtundein neuesJahranf ngt!VertrautauchimneuenJahrunseremHeilandundErlçser!»
Waskçnntedasheißen?Esbedeutet,dassJesusmirnahe seinwill,wennichAngsthabe,michtrçstet,wennichtraurig bin,dassermirhilft.
Wasf runsalsogleichbleibt,ist,dasswireineZukunftvor unshaben,dieunszuweilenAngstmachenkann.Wasebenfallsunver ndertist,sinddieVersprechenvonJesusChristus; erwillunsweiterhinLichtsein,damitwirnichtimDunkel,in Sorgenund ngstenbleibenm ssen.
Angsttutunsnichtgut,auchwennesreichlichpersçnliche, famili reundglobaleGr ndedaf rgibt.Esistsinnvoll,sichf r dasLichtzuentscheiden.JedenSonntagl utendieGlocken vonvielenKirchen,sowiesiedasauchandiesemJahreswechseltun.SierufenunsinsGed chtnis,dasswirunseremHeilandundErlçservertrauenkçnnen.
SoweitmeineGedankenvomJahreswechsel2007/2008.MittlerweilesindeinigemeinerBef rchtungenWirklichkeitgeworden.DennochhalteichanJesuWortenfest.DieGlockenhelfen mirdabei.
VogelohneFl gel: MeinLebenmitderKrankheitMS
31 IchstrahletrotzharterDiagnose:Portr tausdemJahr2002. 32 und 33 ZuBeginnderKrankheitkannichnochetwa4Jahrelangmit BegeisterungisraelischeVolkst nzeineinerGruppemitmachen.
34 AuchwenndiePrellbçckemichzuerdr ckendrohen,gibtesimmer nochSchmetterlinge bermirundBlumenvormir.
35 Tonskulptur,mitderichversuchthabezuerkl ren,wasMSf rmichist: DieKrankheitistwieeineSchlange,diesichummeinBeinschl ngelt undimmermehrzudr ckt.
36 DieseSkulpturhabeichvorvielenJahrennacheinemEindruckvon Pompejigemacht.AberheutehatsieeinetiefereBedeutungf rmich, weilichmichoftsowieineinemGef ngnisf hle.
37 DiesesAquarellwareinGeschenkvonmiranmeinenMannDaniel.Es zeigtdasneueJerusalem.
38 2002mitdenKindernundmeinenElterninScuol(Graub nden).Ich geheaneinemStock.
39 Schwimmenistnochmçglich:Jeremiaundich2005imSchwimmbad.
40 UnsereFamiliecirca2006aufeinerKreuzfahrt:DerRollstuhlhatEinzug inmeinLebengehalten.
41 MeinedreiBubenundich2006
46 2016:SchwiegermutterElfi,Danielundichin sterreich.Elfiunterst tzt unsseitvielenJahrentreuimHaushalt:durchB geln,Kochenund Gartenarbeit.
47 MitmeinenSçhnenSamuelundJeremiacirca2019
48 LouisistfasziniertvonmeinemRollstuhl!
49 2020inMagliaso(Lugano):Louisbeiseinem«Rollstuhl-Grosi» (hochdeutsch:«Rollstuhl-Oma»)aufdemSchoß
Schçftlandberuhigtmich,wennichnachtswachliege.
54 MeineFreundinundCo-AutorinVeraSchindler-Wunderlichundichim Februar2020
55 2022amPC–mitobligatorischemGetr nkundSteuer-Buttons: berdie
SchultermuskulaturkannichdenleichtangewinkeltenrechtenArm anhebenundsosteuern,dassichmitderrechtenHandaufden gew nschtenButtonschlage.
56 MeineElternSylviaundNikihabenmichdurchihrenunschlagbaren Optimismusgepr gt(Aufnahmevoncirca2021).
57 Nacheinemgemeinsamen«Zmorge»(Fr hst ck)mitVera,diezur St rkungf rdiegemeinsameArbeitamPCdieerstenAdventspl tzchen ausAllschwilmitgebrachthat.
Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie
Seraina Hintermann-Famos (Jg. 1964) ist Psychologin und Logotherapeutin, Pfarrfrau aus Schöftland, verheiratet mit Daniel, dreifache Mutter und Großmutter – und seit über zwanzig Jahren von Multipler Sklerose in der schwerstmöglichen Form betroffen. Obwohl sie wegen zahlreicher Einschränkungen, Beschwerden und Ängste ihre Freiheit – ihre Flügel – verloren hat, möchte Seraina dennoch weiterhin Ja zum Leben sagen. Ihr sind mit der Zeit neue, andersartige Flügel gewachsen, die ihr die erstaunliche Widerstandskraft geben, ihre Krankheit zu tragen. Davon erzählt dieses Buch.
Mit Hilfe der befreundeten Lyrikerin Vera Schindler-Wunderlich hat Seraina ihre Glaubens- und Liebesgeschichte aufgeschrieben: mit allen Schwankungen, Verletzlichkeiten, Fragen und Antworten, mit herausfordernden, aber auch humorvollen Passagen.
«Vogel ohne Flügel» ist eine einladende Kombination aus Erzählung, Glaubenserfahrung, Information, Pragmatik und Weisheit und enthält zudem:
• Einblicke in die Lebenswelt des pflegenden Ehemanns
• Psychotherapeutische Fachartikel der Autorin
• 16 Foto-Seiten
• Zwei Gedichte der Co-Autorin und SchweizerLiteraturpreis-Trägerin Vera Schindler-Wunderlich
ISBN 978-3-03848-268-0