5 minute read

Tracktest Ford Fiesta Rally3

MOTORSPORT TRACKTEST FORD FIESTA RALLY3

DIE NEUE MITTE Die entscheidende Lücke ist geschlossen. Die Kundensport-Spezialisten von M-Sport füllen die neue Rally3-Kategorie der FIA zuerst mit Leben. Und wir saßen schon jetzt am Fies-

Advertisement

ta-Steuer, um dem kleinen Turbo-Allradler auf den Zahn zu fühlen.

So groß die Vorfreude, so klar die vorgegebene Herangehensweise. Erst fahren wir ein paar Meter im sogenannten Road-Mapping. Diese, auf den im öffentlichen Straßenverkehr zu absolvierenden Verbindungsetappen genutzte Motoreinstellung reicht, um den jungfräulichen Testprobanden einem ersten Funk-

tionstest zu unterziehen. Danach erhöhen wir mit lauwarmen Bremsen und Reifen die Schlagzahl im deutlich aggressiveren Stage Mode. Nun wird der brandneue Ford Fiesta Rally3 zum Wolf im Schafspelz und verdeutlicht die Bedeutung des neuen Fahrzeugkonzepts.

MITTELSTÜRMER Mit fester Hand und strengem Gasfuß stürmt Gastfahrer Kuhn zielgenau und entspannt um die Ecken

EIERLEGENDE WOLLMILCHSAU

Nachdem die seriennahen Gruppe-N-Modelle von Mitsubishi und Subaru über Jahrzehnte dominierten, sollen künftig die kleinen Turboallradler der Rally3-Kategorie das Bindeglied zwischen Profi- und Amateursport bilden und künftig aufstrebende Talente ebenso fordern, wie Hobbyfahrer begeistern. Maciej Woda, Geschäftsführer von M-Sport Polen, erklärt: „Ingenieuren geht es vorrangig um die Leistungsfähigkeit, also um Dinge wie die Geometrie und das Design von einzelnen Komponenten. Beim Rally3 war aber das Wichtigste, dass wir uns nicht verzetteln, also ein klares und sinnvolles Paket. Einige wollten, dass diese neuen Fahrzeugkategorie breiter wird, was erhebliche Modifikationen am Chassis und Fahrwerk bedeutet hätte und damit enorme Kosten. Dabei ist der Fiesta Rally3 eher der Gegenentwurf dazu, um trotz nochmals höherem Sicherheitsstandard mit vielen Gleichteilen Kosten zu senken.“

DA SCHAU HER Beim Blick unters Auto sollte man sich nicht von der Abgasanlage ablenken lassen. Wichtiger: der hintere Hilfsrahmen mit dem darunter liegenden Heckdifferential

KLEINKRAFTWERK Der kompakte 1,5-LiterDreizylinderturbo des Fiesta Rally3 liefert 220 PS und satte 400 Nm

STEUERABTEILUNG Über zwei auf dem Lenkradrad ergonomisch platzierte Module wird nicht nur der FahrModus verändert, sondern zusätzlich alle wesentlichen Informationen im Display abgerufen

Bei der Rallye Schweden 2019 haben FIA-Vertreter mit Woda und M-Sport-Techniker Bartlomiej Urbanski erstmals über die Notwendigkeit eines preiswerten Allradlers gesprochen. Ein halbes Jahr später hat Rally3-Projektleiter Urbanski, der auch für den polnischen Motorsportverband arbeitet, in enger Absprache mit der FIA ein erstes Konzept entwickelt und einen frontgetriebenen Ford Fiesta auf Allradantrieb umgerüstet. Das Ziel: ein möglichst robustes und dennoch preiswertes Rallyeauto. In den zwei Jahren von der Idee bis zum fertig homologierten Modell wurden nur zwei wesentliche Punkte verändert: Um das Mehrgewicht auszugleichen musste der Einliter-Turbomotor einem kräftigeren 1,5-l-Aggregat und die auf kernigen Schotterpisten mitunter überforderte elektrische Lenkung einem hydraulischen System weichen. Beides macht das Gesamtpaket stärker und effizienter. Das zeigt sich schon nach wenigen Metern.

WOLF IM SCHAFSPELZ

Mit satten 400 Newtonmeter schiebt der mittels eines 30 Millimeter kleinen Luftmassenbegrenzers auf knapp 220 PS begrenzte Dreizylinder die mit Besatzung rund 1.400 Kilo schwere Fuhre zügig an. Erst einmal in Fahrt hat die Kupplung Ruhe. Die Gangwechsel unter Volllast flutschen dank ausgereiftem und sequentiell zu bedienenden Fünfgang-Getriebe. Nichts stört die Konzentration auf die im Rallyesport so wichtige schnellste Linienwahl. Das gilt nicht nur auf Asphalt, sondern auch auf losem Untergrund. Der kleine Turboallradler will digital, heißt mit Gas und Bremse, gesteuert werden. Herrlich! Selten war ein Rallyeauto leichter am Limit zu bewegen, als dieser Fiesta. Ob in zu langsam – oder schlimmer – allzu schnell angegangenen Kurven, M-Sports neustes Kundensportmodell lässt sich mit strengem Gasfuß und feiner Hand zielsicher in der Spur halten. Das hinterm Kurvenscheitelpunkt bei Fronttrieblern und den meisten Allradlern gefürchtete Untersteuern muss regelrecht provoziert werden. Nie war ein Testwagen neutraler und gutmütiger abgestimmt. Dafür Applaus vom Autor dieser Zeilen, der eher die Amateur- statt Profi-Fraktion vertritt. Oder anders gesagt: Die größte Gefahr für Mensch und Maschine lauert am ehesten in der Selbstüberschätzung des Chauffeurs.

Das Konzept der neuen Mitte spricht für sich: Dank zusätzlichen Streben ist das Chassis nochmals sicherer und stabiler als in der rund doppelt so teuren Rally2-Version. Die Querlenker, Radträger und Bremszangen vorne und hinten sind gleich. Und da die hintere Bremsscheibe sowohl bei den 17-Zoll Asphalt-, als auch den 15-Zoll-Schotterrädern passt, muss beim Terrainwechsel neben den Dämpfern nur noch die vordere Bremsscheibe gewechselt werden. Dem nicht genug, verzichten die M-Sport-Techniker auf eine teure Pedalbox und setzen wie im kleineren Fiesta Rally4 auf die hängenden Pedale aus dem Serienmodell.

WEITERE HERSTELLER FOLGEN

Die Nachfrage scheint riesig. „Aufgrund von Zulieferproblemen durch die Pandemie können wir aktuell pro Monat acht Fiesta Rally3 aufbauen und sind bis zum Sommer ausverkauft“, berichtet Woda und ist überzeugt: „Auf diese Kategorie haben alle gewartet.“ Die FIA hat den Preis für Rally3-Fahrzeuge über Vorgaben bei Materialien, Gewichten oder Herstellungsverfahren einzelner Baugruppen und -teile auf maximal 100.000 Euro festgelegt. Für den zum 1. März homologierten Ford Fiesta Rally3 müssen mit Extras wie Lufthutze oder leichtem

Bordwerkzeug sowie den obligatorischen Zulassungspapieren knapp 120.000 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer veranschlagt werden. Das sind gut und gerne 30.000 Euro weniger, als vor zehn Jahren für die mit deutlich weniger Federweg und H-Schaltung daherkommenden finalen Gruppe-N-Modelle von Mitsubishi und Subaru fällig waren. Verständlich, dass weitere Hersteller an einem Rally3 arbeiten. Die Werkssportler von Renault planen nach den Einsteigermodellen, auf Rally5 und Rally4-Basis im Frühjahr 2022 einen Clio Rally3 zu präsentieren. Toyota geht den entgegengesetzten Weg zur neuen Mitte. Die in der Topliga aktiven Japaner Richtung wollen nach dem künftigen Hybridboliden für die Königsklasse im Herbst 2022 mit dem GR Yaris Rally3 ihr erstes Kundensportmodell folgen lassen.

Reiner Kuhn Bilder: Thomas Gorlt

DATENCHECK FORD FIESTA RALLY3

Motor

Dreizylinder-Turbo Hubraum 1.497 ccm Max. Leistung bei Drehzahl ca. 220 PS bei 5.000 U/min

Max. Drehmoment bei Drehzahl

Antriebsart

ca. 400 Nm bei 3.500 U/min Allradantrieb

Getriebe

5-Gang sequentiell Räder Asphalt 7 x 17, Schotter 6 x 15 Länge/Breite/Höhe L 4.065 / B 1.735 / H 1.440 mm Radstand 2.490 mm Mindest-Leergewicht 1.210 kg

Ford Fiesta WRC

4-Zyl.-Turbo, 1620 ccm ca. 400 PS, ca. 475 Nm Allradantrieb, 6-Gang Schaltwippe Preis ca. 660.000 Euro

Ford Fiesta Rally2

4-Zyl.-Turbo, 1620 ccm 290 PS, ca. 450 Nm Allradantrieb 5-Gang, sequentiell Preis ca. 230.000 Euro

Ford Fiesta Rally3

3-Zyl.-Turbo, 1497 ccm ca. 220 PS, ca. 400 Nm Allradantrieb 5-Gang, sequentiell Preis ca. 115.000 Euro

Ford Fiesta Rally4

3-Zyl.-Turbo, 999 ccm 210 PS, ca. 315 Nm Frontantrieb, 5-Gang, sequentiell Preis ca. 68.000 Euro

Ford Fiesta Rally5

3-Zyl.-Turbo, 999 ccm 150 PS, ca. 200 Nm Frontantrieb 5-Gang, sequentiell Preis ca. 48.000 Euro

This article is from: