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9/2014
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ISSN 1017-8457 L P.b.b GZ 02Z032122 M Verlagsgruppe NEWS Gesellschaft m.b.H., Taborstraße 1-3, 1020 Wien. Retouren an Postfach 100, 1350 Wien
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Der Countdown läuft. Als Vorleistung zum 50-JahreJubiläum, das wir mit der Jännerausgabe 2015 feiern werden, heben wir eine für ihren Zeitabschnitt repräsentative Story aus dem Archiv. Diesmal: „On the Road“ aus Autorevue 1/1993. Die Jänner-Nummer bot viel Lesestoff für die Feiertage. Hier: Lauda, Berger, Wendlinger, ein Grand-PrixBugatti, ein Ampel-Essay und eben Christian Seilers Live-Bericht von der Ostbahn-Kurti-Tournee.
Als die Neunziger in Schwung gekommen waren, zeichnete sich für die Autorevue ein rosaroter Himmel ab. Die Welt hatte das Auto wieder lieb, die Branche erlebte wirklich fette, unbeschwerte Jahre, was sich wiederum in der Blattgestaltung niederschlug. In wenigen Jahren hatte sich ein wahrer Paradigmenwechsel vollzogen. Motorsport spielte längst nicht mehr die erste Geige, auch widmete sich die Redaktion spürbar lieber dem Geschichtenerzählen als dem Autotesten. Im Prinzip war alles erlaubt, was gerade noch peripher das Grundthema der Autorevue streifte, was aber im Verständnis der Redaktion eigentlich eh alles war. Diese Stimmung ließ jede Menge Platz für artfremde Gastautoren, bestes Beispiel jener bunten Tage sind wohl die unmittelbaren Aufzeichnungen Christian Seilers von einer Ostbahn-Kurti-Tournee. In gleichem Maße legte auch die lichtbildnerische (u. a. Manfred Klimek, Peter Vann) und grafische Qualität (Erich Schillinger) dramatisch zu. Der Versuch, sich von den vierrädrigen Fesseln zu befreien, führte jedenfalls dazu, dass ausgerechnet ein Automagazin zum führende Feature-Magazin des Landes wurde.
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ON THE ROAD
mit Ostbahn-Kurti & der Chefpartie Geheizte Schlafautos auf der logischen Route Salzburg-Telfs-Vösendorf-Wolfsberg, diverse Tankstops, Konzerte und sonstige Verzögerungen Text: Christian Seiler
A
ls der Herr Kurt geweckt wurde, wußte er noch nicht, daß ihm schlecht war. Er überbrückte die Morgentoilette anstandslos, nahm statt des Frühstücks eine Vitamintablette samt einem Schluck homöopathischer Grippetropfen und bestieg das Individualfahrzeug der Chefpartie durch die Hintertür. Auf dem breiten Rücksitz des CX-Kombis verkroch er sich in seine Lederjacke, ein Muster an Speckigkeit, und zog den nachzuholenden Gesundheitsschlaf einer fröhlichen Unterhaltung vor. Erst als das Fahrzeug vor einer roten Ampel ausgangs Salzburg ruckartig anhielt, meldetet der Herr Kurt, daß sein vegetativer Zustand angegriffen sei. Er befreite seine Speiseröhre vom Pesthauch des letzten Abends und kroch, inzwischen mißmutig, in seine Jacke zurück. Aus seinem Schneckenhaus jammerte er ein bißchen über die sperrangelweitoffenen Fenster und gab erst auf der Autobahn Ruhe, nachdem Frischluft im Wagen und Frieden eingekehrt war. Am Grenzübergang Kufstein schlief der Herr Kurt bereits tief und fest und versäumte den Spaß, daß Günter Grosslercher, der Lenker des weinroten Chefpartiefahrzeugs, von bayrischen Zollwachebeamten nach Drogen gefilzt wurde. Die Haschischhunde hatten ein Einsehen und fanden nichts Belastendes. Nebenbei bewiesen sie animalischen Anstand, ließen das speckige Kurti-Bündel auf dem Rücksitz unbeachtet liegen und verzichteten sogar darauf, es gebührend zu markieren. So kam der Ostbahn-Kurti nach Innsbruck. Punkt zehn Uhr wurde er von einem Redakteur des dortigen Regionalfunks im ORF-Landesstudio erwartet. Der wollte das abendliche Konzert der Chef-
Fotos: Manfred Klimek
partie in Telfs ankündigen und erwartete sich vom Herrn Kurt eine launige LiveStellungnahme mit spontaner Lachkraft. Dafür war der erfolgreichste Rock ’n’ Roller Österreichs schließlich bekannt. Leider war er nicht zum Scherzen aufgelegt. Er kroch vielmehr zur verabredeten Zeit waidwund aus dem Kombi, schlurfte schwarzledern über den Parkplatz, verpaßte die Tür zum Studio, suchte sich ein trauriges Gewächs neben der kahlen Funkhausmauer aus, um es anzuspeiben, nahm den Geruch seiner morgendlichen Magengymnastik ins Radiostudio mit, die arme Zimmerlinde!, wo er traurig etwas ins Mikrophon sprach, was er augenblicklich wieder vergaß, verließ die Stätte seines Pyrrhussieges mit aufrechtem Gang und bestieg endlich die Rückbank des CX, um zu rasten. Er rastete bis Telfs, wo er im Hotel „Hohe Munde“ sein etwas unterkühltes Einzelzimmer bezog, um weiterzurasten. Es ist schön, mit Karl Horak, dem Bassisten der Chefpartie, zu reisen. Er liebt Musik und Komfort. Von der Gage des Tourneeauftakts im Salzburger Kongreßhaus kaufte er sich bei „Funkberater“ einen Ghetto-Blaster, den er despektierlich „Neger-Disco“ nannte. Das Gerät war ungefähr anderthalb Meter lang und sechzig Kilo schwer, hatte aber über dem CD-Verstärker-Kassetten-Turm einen Henkel und nannte sich „portable“. Der Rest war Lautsprecher. Damit im Auto eine ordentliche Musik ist, sagte der Horak, dabei konnte er gar nicht mit dem Auto nach Innsbruck reisen, denn er hatte seinen Reisepaß wieder einmal verloren. Damit war das Deutsche Eck tabu, die Alternative: der Korridorzug. Die zweite Klasse war voll besetzt, und Herr Horak brauchte mindestens zwei Plätze, weil er unbedingt die Neger-Disco
„Commy num ilismol oborper cipisit“
mitnehmen mußte. Nur in der ersten Klasse fand er einen würdigen Schlupfwinkel, ein halbvolles Abteil, bevölkert von einem alten Fliegergeneral und einem entspannten Schweizer Pastoren-Ehepaar, das gemeinsam in einem Dürrenmatt-Roman las. Horak brachte sein Musikinstrument im Gepäcknetz unter und konnte sich am rothaarigen Schaffner nicht satt sehen, dessen Schnurbart, obwohl eingerollt, ungefähr bis zu den Ohren reichte. Flugs identifizierte ihn Horak als Darsteller in einem deutschen Pornofilm; „einem mit Schweinen“, sagte er versonnen und meinte die
Tag gepudert?“ Die Schweizer schwiegen vernehmlich in ihren Dürrenmatt-Roman. Wahrscheinlich wußten sie nicht, was „pudern“ heißt, aber Horak war auf dem besten Weg, es ihnen zu erklären. Schade, daß sein D-Netz-Telefon läutete. Die Plauderei mit seinem Vater brachte ihn auf die Idee, daheim anzurufen und seinem Schatzi so scharfe Mitteilungen zu hinterlassen, daß der Anrufbeantworter rot wurde. Die Schweizer verabschiedeten sich höflich und gingen in den Speisewagen. Der Fliegergeneral war über der „Presse“ eingeschlafen. Aus seinem Mund-
Der Herr Kurt kroch aus dem Kombi und suchte sich auf dem Weg zum Funkhaus-Studio ein trauriges Gewächs aus, um es anzuspeiben. Gattung des Pornos und nicht dessen menschliche Apologeten. Das Ehepaar schlug kurz und synchron über dem Dürrenmatt-Roman die Augen auf. Der Fliegergeneral knisterte mit der „Presse“. Horak, der musikalisch fast alles drauf hat, nur keine leise Stimme, geriet ins Schwärmen. Oh, die Fleischeslust! Frisch verheiratet, wie er war, schwärmte er von seiner zu Hause gebliebenen jungen, gertenschlanken, wollüstigen Frau und den Raffinessen der gemeinsamen Sexualpraktiken. „Heast“, meinte er voller Emphase, „host du scho amoi 16moi an einem
winkel tropfte der Sabber. Zeit für ein bißchen Musik; Umsteigen in Innsbruck; musikalische Fahrt zum Pendler; Bezug des Hotels „Hohe Munde“; kurze Rast; um fünf Uhr: Soundcheck im Stadtsaal. * Die Konzerte der „A-blede-Gschicht“Tour waren tadellos. Die Verkaufserfolge der gleichnamigen Schallplatte nicht minder. 50.000 Stück vom fünften OstbahnKurti-Tonträger sind inzwischen verkauft, für österreichische Verhältnisse ist das ein Hammer, und die Deutschen werden auch
noch draufkommen. Im Salzburger Kongreßhaus schepperte es ein wenig. In Telfs ließen sich gerecht begeisterte Kurti-Fans kopfüber vom ersten Stock ins Parterre hängen. In Vösendorf flogen volle Bierbecher kreuz und quer durchs zugige Festzelt „Taraba“. In Köflach verfaulten zwei Drittel des Publikums auf der Handballhallentribüne. In Wolfsberg war der Herr Kurt so besoffen, daß er keinen einzigen Songtext fehlerfrei auf den Teppich brachte (seine Lavanttaler Verwandten hatten ihn schon ab Mittag mit Selbstgebranntem abgefüllt, die Falotten). So wurde es zu einem Festspiel für die Band, das war ein schöner Abschluß einer bewegenden Reise. Der Rock ’n’ Roll bedarf der Bewegung, nicht nur auf dem Tanzparkett. Die Straße gehört zu jeder gescheiten Band wie jede gescheite Band auf die Straße. Die Chefpartie zum Beispiel liebt die Westautobahn, weil man dort so viele Lkw-Anhänger der Marke „Kässbohrer“ sieht und laut darüber nachdenken kann, wem dieser Name eingefallen ist und was er wohl bedeutet. Das ist aber ein ausgefallener Grund für eine Konzerttournee. Ostbahn-Kurti und die Chefpartie machen Musik aus Fleisch und Blut, die einen Anspruch darauf hat, lebendig zu Leuten zu kommen. Weil viele Leute die Chefpartie sehen wollen, muß die Band zahlreiche Konzerte geben. Daraus resultieautorevue 9/14
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Während sich die Marschall Lilli (links) und der Herr Kurt ganztägig den lustigen Seiten des Musikantendaseins widmen konnten, war Günter Grosslercher, alias Kohlen-Güntl, gleichzeitig Manager, Respektsperson und Chauffeur der Chefpartie. Was die Grenzer in Kufstein allerdings nicht daran hinderte, ausgerechnet ihn nach Drogen zu durchsuchen.
geschlüsselt nach Raucher- und Nichtraucher-Wägen: Nichts als ein Versuch. Denn für die Zukunft bleibt das Prinzip Bus ungebrochen, die Schistlerei mit den vielen Autos konnte sich nicht bewähren. Einmal, es war in Innsbruck, ging zum Beispiel der Herr Kurt verloren, als er zum vereinbarten Zeitpunkt nicht am vereinbarten Ort auftauchte. (Der Hauptbahnhof um halb drei Uhr früh. Was ist das auch für ein Treffpunkt?) Statt mit dem Automobil mußte er mit einem frühen Zug nach Hause reisen. Da am nächsten Tag das Vösendorfer Samstagabendspektakel auf dem Programm stand, machte sich die Kapelle leise Sorgen um ihren Frontmann, zumal er zum Zeitpunkt seines Verschwindens bereits deutlich von mehreren Gespritzten gezeichnet war, was nichts Gutes für die nahe Zukunft verhieß. Doch traf, allen Sorgen zum Trotz, ein freundlicher, wenn auch blasser Herr Kurt mit glattrasierten Wangen in der Kantine des Vösen-
dorfer Stadtsaals ein, höchstens eine halbe Stunde außerhalb der Marschtabelle. Eine Ostbahn-Kurti-Tournee bedingt neben stetiger Ortsveränderung auch inhaltliche Paradigmenwechsel. Zum Beispiel stellte sich heraus, daß Hotels keinesfalls besser zum Liegen geeignet sind als Autos zum Sitzen, eher umgekehrt. In Karl Horaks smartem Doppelzimmer im ersten Stock des Salzburger Hotels „Jahreszeiten“ saß ein Teil der Band wie ein Rudel Eichkatzerln in Horaks Bett, trank die Minibar aus und legte sich erst nach dem Frühstück zum Schlafen hin. Andere durchstreiften Salzburgs Elite-Gastwirtschaften, fanden weder in der „Imbißstube Strobl“, der „Schwarzen Katz“ noch der „Casanova-Bar“ die Erfüllung und schon gar keinen Schlaf. Geschlafen wurde im Auto. Das präjudiziert die Fahrweise der Ostbahn-KurtiChauffeure: Langsam, sanft und ruckfrei. Nur die Installation von Herrn Horaks Neger-Disco brachte etwas Schwung in die
FOTOS: MANFRED KLIMEK
ren beträchtlich viele Straßenkilometer, die prinzipiell im Tourbus zurückgelegt werden, einem dunkelblauen Fabrikat der Marke Ford Transit, dessen Schiebetür klemmt oder sich aushängt, je nach Bedarf. Die Roadies fahren mit einem Lastwagen, kein Mensch weiß, wie das geht, denn sie schlafen nie und kommen trotzdem ohne Unfall überall an. Wie sagte der Herr Kurt persönlich? „Wir san ja quasi Berufsfahrer. Oder Berufsbeifahrer. Letztes Jahr war zum Beispiel a Rekordjahr. Da sind wir ein Drittel von die 365 Tage im Auto gesessen. 7 Leut. Der Berufsfahrer am Steuer. Und 6 berufsmäßige Beifahrer. Mia kennen ganz Österreich und das befreundetet Ausland in- und auswendig. Durch die Windschutzscheibn. Die Tankstelln und Rasthäuser a persönlich. Mia erledigen die Beifahrerei in einem echt superen Auto. Unseren Bandbus. Der hat alle Extras. Ka Lüftung im Somma. Ka Heizung im Winter. Und einen Aschenbecher für sieben starke Raucher.“ Was der Herr Kurt da verlautbarte, ist ein wenig kokett, zumal überholt, und höchstens im Prinzip wahr (Sie wissen: Nur wenn eine Geschichte gut erfunden ist, wird sie autorisiert und für wahr befunden). In wirklicher Wahrheit legte der Tourbus seine Kilometer ohne Chefpartie zurück, die Chefpartie reiste dafür in diversen Fahrzeugen der Tourbegleiter, exquisiten Automobilen der Marke Citroën, auf-
Angelegenheit. Bis die Batterien erlahmten, weil Herr Brödl partout nicht glauben wollte, daß eine größere Lautstärke mehr Saft braucht. Am Freitag hatte das Café-Restaurant „Stadt-Tor“ in Voitsberg eine „Sturm-Party“ (1/4 Sturm mit Verhackertbrot S 25,-) gefeiert, am Samstag die „Weinlese-Party“ (1/4 Mischung mit Streichwurstbrot S 20,-) und am Sonntag schließlich, zur Krönung der hausgemachten Festtage, die „SolParty“ (Trink 2 bezahle 1). Es war dies der Abend der Fremdworte. „Sol-Party? Meinen die G’scherten eine Soul-Party?“ fragte jemand aus dem Chefpartie-Troß nicht ohne Hochmut. „Depperter“, antworteten die G’scherten prompt und streng, „Sol is a mexikanisches Bier. Und wenns’d jetzt kan’s zahlst, hauma dir ane in die Goschen.“ So versöhnte man sich schnell, und als gegen Mitternacht eine Runde knuspriger Cordon-Bleus aufgetragen wurde, hatte die mexikanische Fiesta einen zusätzlichen Heimische-Küche-Aspekt und damit die volle Zustimmung der versammelten Musikanten. Nur Pianist Mario Adretti litt. Als Vegetarier und Nicht-Biertrinker schlemmte er zwei, drei Teller etwas öligen Salats, schüttete ein Viertel Güssinger nach und verließ das Etablissement aufrecht und zeitig Richtung „Hotel Gußmack“. Karl Horak telefonierte D-Netz-mäßig mit seiner Gattin und vergaß, die Verbindung abzubrechen: Sein Telefon übertrug rauschfrei die nächste Dreiviertelstunde aus dem Café-Restaurant „Stadt-Tor“ auf den Anrufbeantworter der Familie Horak. Dann war das Band aus. „Es gibt nichts Schöneres, als einer fashion cradle nachzuschauen“, sagte der Herr Kurt. Fashion cradle? Cassell’s Dictionary würde das wohl als Modewiege übersetzen, aber, soviel ist sicher, eine Modewiege war das Restaurant „Stadt-Tor“ nicht. An der Wand hingen rustikale Ornamente. Bunte Glühbirnen beleuchteten das Geschehen auf der Tanzfläche. Holz und Resopal, im Dampf der Tschik so bleich wie eine Extrawurst. Zwar liefen allerhand ansehnliche Damen durch das halboffene Extrazimmer, wo die Chefpartie speiste, lächelten vor allem dem Herrn Kurt zu, der mit CordonBleu-Bröseln zwischen den Zähnen zurücklächelte, aber eine Modewiege? Leuchtfarben-Anoraks. Schnürlsamthosen. Disco-Streifen-Jeans. Lederjacken aus
mehr oder weniger Leder. Selbstverständlich jede Menge „Leiwand-oda-Oasch“T-Shirts aus der Ostbahn-Kurti-Factory. „Hochachtung dieser fashion cradle“, sagte der Herr Kurt und bescheinigte der Kellnerin, die ihm zu seinem Soul-Bier einen tiefgekühlten Fernet Branca in der herzigen 3-cl-Flasche servierte, magistral nickend ein großes Herz, wie man so sagt, oder deren zwei, wie man so sah. Dann spitzte er die Lippen, um deutlich zu sprechen, und klärte so das Mißverständnis um die ominöse Auslands-Vokabel auf: „A fesche Gretl“, wiederholte er genießerisch und schluckte brav runter, bevor er sich die nächste Gabel Pommes Frites in den Mund schob. Gegen zwei Uhr dreißig übernahm Günter Brödl im Handstreich das Kommando über die Plattenzentrale. Er kippte die bis dahin rauf und runter gespielten Hip-HopSingles kurzerhand in den Mistkübel („Happy Birthday!“) und vergaß dabei nicht, freundlich zu lächeln, wie immer, wenn er nichts arbeiten mußte, also meistens, und ersparte sich so etwaige Raufhändel. DJ Brödl legte Pretiosen der sechziger und siebziger Jahre auf (T-Rex, Bad Company), die er aus den finsterhintersten Ecken seiner Pilotenkanzel ans Licht förderte. Er zwang die auch um diese Tageszeit noch reichlich vorhandenen Teenies zuerst auf die Tanz-
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Auf der Tanzfläche schwappten die Sardinen im Öl. Dann war es plötzlich wieder hell und der Ernst des Lebens mahnte. Die Reise müsse weitergehen, jetzt und sofort. Ihr könnt’s ja im Auto weiterschlafen. fläche, dann bei einem konstant höchstem Tempo auf die Knie. Das war angenehm, denn es leerte sich der Tisch im halboffenen Extrazimmer, wo der Herr Kurt saß und mit der Herrschaft des Etablissements „Grad oder ungrad“ spielte, ein Vabanque-Spiel um einen Haufen Geld, das durch seine übersichtlichen Regeln besticht: Du nimmst einen Geldschein aus der Tasche und fragst dein Gegenüber: gerade oder ungerade? Dann vergleichst du seine Antwort mit der letzten Ziffer des von dir gewählten Geldscheins. Stimmt sie, gehört der Schein dem Gegner. Stimmt sie nicht, bezahlt der Gegner den Nennwert in bar. Der Herr Kurt und die Herrschaft waren gerade in eine fortgeschrittene Variation diese Spiels vertieft: Sie spielten nicht um einen Schein, sondern um viele, um
genau zu sein, um immer mehr Scheine. Diese gingen nach aufregendem Hin und Her in den Besitz des Wirtes über, der sich darauf mit vielen Seelen-Bieren und noch mehr herzigen Fernet-Brancas in der Tiefkühlpackung revanchierte. Das rührte den Herrn Kurt. Er ließ das drahtlose Mikrophon aus Brödls Führerstand kommen und erfreute die im Nebenraum shakenden Schweißtänzer (und die zweifellos einer Weihnachtspointe harrenden Autorevue-Leser) mit seiner vokalen Version des seeelenruhigen Weihnachtsliedes „Maria durch ein Dornwald ging“, ganz Soul-Party-mäßig, was ein Erfolg war, und dann fuhr der große Seelennebel ein, leckte in die hintersten Ecken des Seelenwirtshauses, wo die feschen Greteln sich abfinden mußten mit den unabdingbaren Begleiterscheinungen einer Seelenparty und allein nach Haus gingen gegen alle ihre guten, doppelherzigen Absichten. Auf der Tanzfläche schwappten die Sardinen im Öl. Dann war es plötzlich wieder hell, und Ernst des Lebens mahnte, die Reise müsse weitergehen, genaugenommen nach Wolfsberg im oberen Unterkärnten, 45 Kilometer am Stück, quer über den Packsattel, jetzt und gleich und sofort und unverzüglich, was wollt’s, ihr könnt’s ja im Auto schlafen. ■
FOTO: MANFRED KLIMEK
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