… Und, was macht ihr so?
NA, WIR TIPPELN!
UND MACHEN MUSIK.
Wir haben uns gerade in StuttgarT gemeldet. Hier.
Uijuijui, da bist du ja ziemlich offiziell unterwegs.
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Muss sein. Vor ein paar Wochen haben sie mich in Köln verhaftet. Angeklagt wurde ich wegen …
… Vagabundierens und öffentlichen Musizierens ohne Genehmigung und zum bloßen Vergnügen.
Und obendrein als Weibsperson! Ich dulde keine Unzucht!
Ich zitiere Paragraf 361 des Strafgesetzbuchs: Mit Haft wird bestraft, wer als Landstreicher umherzieht, wer bettelt und wer sich dem Spiel, Trunk oder Müßiggang hingibt.
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Hohes Gericht, ihr Beruf ist, zu richten und zu strafen. Mein Beruf ist, durchs Land zu stromern und zu betteln. Ich bin die notwendige Entsprechung zu einem Milliardär.
Ohne mich gäbe es Sie nicht. Oder – was wahrscheinlicher ist – umgekehrt? Bin ich, weil Sie sind? Gesellschaftsordnung nennen Sie das.
Natürlich bin ich ein Lumpen …
… ein ausgewrungner, zerfetzter und auf die Straße geworfener Lumpen! Sie haben recht.
Ihre Gesellschaftsordnung fabriziert erstaunlich viel Lumpen, Herr Richter! Sie sagten, es sei uns ein „Vergnügen“, zu betteln.
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… Erstaunlich, dass Ihre Millionäre, die sich sonst doch kein Vergnügen entgehen lassen, an unsern „Vergnügen“ nicht teilnehmen.
Und Sie sagten, die Aufgabe des Gerichts sei die Wahrheitsfindung. Nun – hier haben Sie die Wahrheit.
Das hast du wirklich gesagt?
Ja, sechs Wochen haben sie mich ins Arbeitshaus gesteckt. Die Hölle. Und ich darf mich nicht mehr in Köln blicken lassen.
Aber dann singen wir halt woanders …
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Bravo! Ihr werdet noch berühmt!
Lieber nicht, es verlangt mich tief danach, namenlos und heimatlos zu sein.
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* Text: Otto Ziese, „Verdammte“, in: der Kunde, Heft 7/8, 2. Jg.
Seit wann bist du auf der Walz?
Während des Kriegs war ich Hebamme – ich sah mehr Kinderlein in den Himmel gehen als ich zur Welt brachte.
Ich war voller Wut. Da nahm ich meine Gitarre UND vielleicht drei Mark und ging und ging – und fand es herrlich! ich war endlich glücklich! Sagt mal, wollt ihr mit mir nach Berlin tippeln? HM, warum nicht.
Da kann ich hoffentlich ein paar meiner Bilder verkaufen.
Und ich kann dort vielleicht tanzen!
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Ist das Leben nicht wunderbar?!
ja, bis auf den kohldampf.
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Lasst uns mal ausbaldowern, ob’s da vorne Arbeit und Essen gibt!
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He, was lungert ihr hier rum?
Wo wohnen sie?
Nirgends!
Und sie?
nebenan!
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oha. Drei Spaßvögel also. Und warum malocht ihr nicht?
ach, wir haben eben ein paar groschen verdient.
und dann?
dann könnt ihr euch einen faulen lenz machen!
nun, wenn ihr noch mehr arbeitet, könnt ihr euch einen kleinen acker kaufen. und dann werkzeug und bald habt ihr einen gutshof und große Maschinen und werdet steinreich …
aber das tun wir doch schon!
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tsss, ackern bis ins grab – wozu?
du weißt ja, wie die spießer ticken. … Man ist ein anständiger mensch! Hat ein bankkonto, zahlt seine Steuern, geht in die kirche … … spendet gelegentlich an „Berdürftige“ – man hat ein gutes, Prächtiges gewissen. die wissen gar nicht, was für ein schönes Vagabundenleben sie haben könnten. wer wenig braucht, hat immer genug!
romantisiere das mal nicht zu sehr, gregor.
das herz der kunden ist zwar reicher als jeder bonze … sie sind aber bitterarm.
Hunger, kälte, Läuse, polente, … kein zuckerschlecken, wirst du noch sehen.
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Die Straße ist ein wunderbarer Lehrer, Bruder.
Wer darauf wandert, der sieht durch die Masken von Schmutz und Staub und lernt die Liebe, die zum Leben für eine Gemeinschaft notwendig ist.
Schwarze, rote, gelbe und weiße Menschen: eine große Bruderschaft. Denn wir sind alle verbunden durch das Leid – du heute und ich morgen, und ein jeglicher ist wert, dass ihm geholfen wird.
So, los geht’s! Berlin, Berlin, wir laufen nach Berlin!
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berlin, alexanderplatz, 1926. Mit über 4 millionen einwohnern ist berlin die fünftgrößte stadt der welt.
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