Leseprobe Klezmer 5

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Kischinew.

… lasst sie in der Sonne liegen.

Was für ein Jude sind Sie bloß?

. Lassen Sie uns die Trauerriten halten

Wenn wir nicht jetzt bei ihnen beten, dann bleiben sie schutzlos.

Sie waren nicht da, als das Pogrom stattfand! Und jetzt kreuzen Sie hier auf mit Ihrem Ordnungsdienst und quälen uns! Wir konnten uns nicht gegen die Russen und Moldawier verteidigen. Wir können uns nicht mal gegen Sie verteidigen. Was für ein Jude sind Sie bloß, Vladimir Jabotinsky?

Was für ein Jude? Alle Gesichter. Ich will alle Gesichter. Im Quer-? format Was? Falls wir Postkarten machen wollen, ist es besser im Querformat.

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Ich bitte euch, noch ein paar Stunden zu warten. Gott wird es vergeben. Die Wartezeit. Die Bilder.

Ich verspreche euch, beim nächsten Mal bringe ich euch Gewehre mit.

seine Kamera Aber jetzt müssen wir den Fotografenmüss en den Wir ! ihr? aufbauen lassen. Hört n. lasse iten arbe en Fotograf

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Es war nicht das erste Mal, dass sie Kneifzangen benutzt haben, um unseren Rabbinern die Zungen herausrauszureißen.

dass die Polizei Es war nicht das erste Mal, euert haben, und die Ochrana sie angef , aus und uns daran gehindert haben unseren brennenden Häusern zu fliehen.

Es war nicht das erste Mal, dass ihre Frauen uns alles stahlen, was wir besaßen, hemmungslos, Schubkarren voll.

Aber zum ersten Mal, als wäre das alles nicht schon schlimm genug, kreuzte ein paar Stunden später dieser Jabotinsky auf. Und er verbot uns, unsere Toten zu begraben.

Es war nicht das erste Mal, dass sie die Säuglinge aus den Fenstern geworfen und ihre zerbrechlichen Schädel eingetreten haben, wenn sie den Sturz überlebt hatten.

Einige von uns waren schon entstellt, das Gesicht zerschlagen von Hammerschlägen früherer Pogrome. Es war nicht das erste Mal, und wer nur ein Auge verlor, konnte noch froh sein.

Wer nur ein Kind verlor, konnte noch froh sein.

Zum ersten Mal gab es Fotos von dem, was man uns hier antut.

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Ich muss über die jüdischen Angelegenheiten berichten. Nimm mich mit zu den Versammlungen. Welche Versammlungen?

Nein. Dieses ist anders. Jetzt gibt es Bilder. Sogar der amerikanische Präsident hat reagiert.

Und was genau sollst du machen? Schreiben! Und nach London, New York, Shanghai weiterleiten! Ich bin die einzige Journalistin hier.

Du brauchst mich nicht.

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Lebst du auf dem Mars oder wie? Es hat ein Massaker an den Juden stattgefunden, so schlimm wie noch nie. Aber davon gibt es doch andauernd welche.

Er will seine Verbindungen zu Russland einstellen. Er hat den Zaren einen Unmenschen genannt.

Ich flehe dich an, komm! Ich weiß nicht ... ich kann schon die Russen nicht ab, und jetzt diese Moldawier …


Du redest von schrecklichen Dingen, aber ich bin bloß ein Dummchen mit Problemen wie dass ich keine Titten mehr haben will, dabei gefallen sie mir eigentlich ... also ...

Gut … tun? Entschuldige.

… und mit dir wäre ich wenigstens ... was? Findest du es obszön, dass ich von meiner mickrigen Panik rede, während die Welt …

Ja. Das wird mir gut tun.

Ich meine nicht die Massaker. Ich wollte sagen, mit dir unterwegs zu sein, ist besser als mit Männern. Es ist deplatziert, jetzt von meinen kleinen Sorgen zu reden, aber ich habe Panikattacken wegen der Art, wie mich die Männer angucken. Immer wollen alle Männer mich küssen. Mein Körper will in Ruhe gelassen werden. Ich will nicht mehr, dass sie mich angucken wie ... stell dir vor! Sogar mein Klavierschüler …

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… Und darum, Morai Verabotai, liebe Brüder, müssen wir etwas tun …

Der redet gut!

Die merken doch, dass ich nicht jüdisch bin. Aber nein.

… wir können nicht die Polizisten feuern, die ihnen geholfen haben, unsere moldawischen Brüder zu pogromieren … Ist das ein Rabbiner? …

Wir können nicht mal hoffen, dass Jesus, der König der Juden, dem Zaren in die Eier treten wird, damit der seine Geheimpolizei davon abhält, uns abzuschlachten … Ist das ein Gemeindeverordneter?

s Sag mir, wer das ist! Ich mushen nisc rika ame Die n. iere not das Leser wollen wissen, wer die jüdischen Führer sind. Das ist kein Jude.

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… wir können sie nicht bestrafen für das, was sie gemacht haben …

Das ist ein Sympathisant. Wie heißt er? Tchokola,und weiter?

Tchokola. Tchokola.


Wir müssen einen Dichter entsenden.

Aber wir müssen uns eingestehen: Selbst wenn alle sagen „es gibt zu viele Juden“, sind wir nicht genug, um uns gegen ganz Russland zu verteidigen.

Hört mich an! Morai Verabotai! Meine Freunde Israel. Wir brauchen einen Dichter. Findet den größten jüdischen Dichter für diese heilige Mission: sehen, hören, die Worte finden und erzählen, was passiert. Wer ist unser Dichter? Schicken wir ihn nach Kischinew!

Und glaubt nicht, dass mir das gefällt. Ich würde die Verantwortlichen liebend gern kurz und klein hauen für das, was sie gemacht haben.

Ihnen direkt in die Augen schauen und sagen: „Komm, von Mann zu Mann“. Uns fehlen diese Augen. So ist das. Pure Arithmetik.

Willst du, dass sie ihn auch umbringen?

Und auch im Nahkampf. Dabei bin ich eine Ausnahme, aber die, die beim Gebet ständig hin und herschaukeln, haben ein anfälligeres Gehirn und lahme Bizepse. Die stehen keine Runde mit einem Kosaken durch.

Ich werde ihn beschützen.

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Macht auf! Scheiße!

Sagt der Gemeinschaft, dass ich es mir ANDERS überlegt habe … ich ERKLÄRE hiermit, dass ich nicht auf der Höhe dieser TRAGÖDiE bin … ich bleibe hier… ich kann nicht … …

Ich trete die Tür ein!

Ich habe es mir überlegt. Ich kann nicht. Ich bin nicht der richtige Mann dafür. Ich habe Ihre Bücher nicht gelesen, ich kann das nicht beurteilen. Ich kann nicht lesen.

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Aber wenn Sie nicht kommen, verprügele ich Sie. Alle jüdischen Analphabeten wie ich zählen auf Sie. Sie sollten schon im Zug sitzen. Welcher Zug?

Ein Dichter, versteckt in einer Ladung harmloser Gewehre. Ha! Ha! Ha! Das ist traurig.

Jabotinsky schickt Männer und Waffen nach Moldawien. Sie reisen mit. Hu! Hu! Hu!

Nehmt jemand anderen. Ich bin seit zehn Tagen betrunken.

Was?

Glauben Sie, dass Sie mit Ihrem Unglück alleine sind? Alle Welt dreht durch! Einige beten sogar!

mit Entschuldigung. Das hat tun. Kischinew nichts zumic h. e äm sch Ich

Ich weine, weil eine Frau mich verlassen hat. Schlagen Sie mich ruhig, wenn Sie wollen, ich werde nicht mitkommen …

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FAHRT ohne MiCH findet jemand anderen ich bin bloß ein Egoist

ich verdiene es nicht …

Wer … … ist dieses Mädchen? Freundinnen, sie kommen auch mit. Eine singt, die andere schreibt, aber nicht wie Sie, nichts Echtes, bloß für die Zeitung. Wenn Sie das stört, kommen sie nicht mit.

Nein Nein. Sie sollen mitkommen.

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How do they say �ant“ in German?

My Ameise is for you

Wer ist dieser Irre? Der Scotsman. Ist er Jude? Nein.

They say A-meise

Take my A-meise

Aber er liebt die aussichtslosen Kriege.

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Journalismus ist unbequem.

Hm …

eibst, Wenn du echte Bücher schr e ganz eine auch du st krieg dann Bank. Rutsch ein Stück. Fass mich nicht an. Hä?

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Der Schriftsteller hat die ganze Bank.

Du stehst nicht auf Männer. Wenn du mich berührst, verliere ich mein Selbstvertrauen.

Und ich muss mit einem Zigeuner teilen.

Wegen dir kriege ich dann keinen mehr hoch.


Hi! Hi! Lass mich ganz nah an dich kuscheln.

He! Ich mache keine Witze. Du bist eine Erniedrigung.

Dass du dir nichts aus Männern machst, ist egal. Aber dass du mich nicht begehrst!

Das ist nicht deine Schuld.

Wenn ich ein Mädchen wäre, könnte ich meine Hände nicht zurückhalten …

Du hast gewonnen. Ich mache Platz. Pff ...

… ich meine, die Hände Tchokolas.

Es geht nicht um „ich liebe Frauen“ oder „ich liebe Männer“. Es geht um „ich liebe Tchokola“. Komm!

Ich kann dich genauso gut ficken wie eine Lesbe.

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