Professor Bell Bd. 1 - Der Mexikaner mit den zwei Köpfen

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»Wir brauchen keine Beweise. Wir verlangen von niemandem, uns Glauben zu schenken! Dieser Junge wird eines Tages wissen welch tapfere Frau seine Mutter ist. Bislang kennt er nur ihre Zärtlichkeit und Fürsorge. Später wird er begreifen warum einige Männer sie so liebten, dass sie alles für sie wagten. Jonathan Harker.«

Dracula! Brrr, eine Vampirgeschichte. Das ist ein Stück, das ich gerne gesehen hätte. Schade, dass man mir nicht erlaubt auszugehen.

Sie zittern, Eliphas? Ich wusste gar nicht, dass Gespenster sich vor Vampiren fürchten.

Der Direktor ist verrückt nach mir. Sobald er mir erlaubt auszugehen, werde ich Sie mitnehmen. Möchten Sie noch einen Kaffee?

Ich weiß nicht, ob das für alle Gespenster gilt, aber ich bin ängstlich. Es sind jetzt 800 Jahre, seitdem ich es nicht wage, dieses Schloss zu verlassen.

Kakao bitte, liebste Célia.

Jetzt stehe ich Ihnen ja bei. Glauben Sie wirklich, dass Herr Pinon sich eines Tages dazu durchringen kann, Sie hier herauszulassen? Aber sicher, Eliphas. Er wird mich doch nicht in einer Zwangsjacke heiraten wollen.

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Natürlich war er ein Monster. Zwei Köpfe! Aber wir haben doch alle unsere kleinen Macken. Nach dem Tod meiner Frau sind z. B. meine Haare über Nacht weiß geworden. Aber Sie wollten etwas über Pinon hören.

Ich glaube, ihn vor einigen Wochen bei meinem Seminar in Chirurgie zum ersten Mal gesehen zu haben. Ein reicher, exzentrischer Mann mit einem starken Akzent. Ich bin Teratologe, spezialisiert auf Monster. Das zieht sie an. Er hat um einen Termin in meiner Praxis in der Melville Street ersucht.

Mein Diener ist krank. Deshalb bin ich gezwungen, den Portier zu geben. Treten Sie ein, Herr...

Pinon. Pascual Pinon.

Er legte ab und ich verstand, warum er während der Kurse damals nie den Hut abgenommen hatte. Und schon bevor er in meinem Behandlungszimmer Platz nahm, wusste ich, was er mich fragen würde.

Der Eingriff, den Sie verlangen, ist viel zu gefährlich, Herr Pinon. Und wenn diese Dame Sie wirklich liebt, wird sie Sie ohne Zweifel so akzeptieren, wie Sie sind.

Und ich wusste auch, dass ich ablehnen würde. Professor Bell, ich liebe eine Frau, aber ich würde es nie wagen, sie mit dieser Deformation zu heiraten. Sie müssen mich operieren.

Es handelt sich um ein vornehmes Haus.

Da bin ich mir nicht sicher, Doktor. Sie ist eine zarte Person. Ich leite ein Spital für verwirrte Frauen.

Ein Irrenhaus?

Sie glaubt an Gespenster und sie redet mit ihnen. Und Sie? Wer? Ich?

Wir vermeiden solche Bezeichnungen.

Glauben Sie nicht, dass Tote wiederkehren? Machen Sie sich lustig? Nein, so etwas ist mein täglich Brot.

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Na gut. Fest steht, dass Sie in eine Verrückte verliebt sind, oder?


Weisen Sie mich nicht ab. Dieser kleine Kopf macht mich verrückt. Er schneidet die ganze Zeit Fratzen und nachts knirscht er mit den Zähnen.

Hören Sie. Als Mediziner ist es meine oberste Pflicht, niemandem zu schaden. Rechnen Sie nicht mit mir, wenn Sie aus eitlen oder sentimentalen Gründen Ihr Leben riskieren wollen.

Gehen Sie zu einem Zahnarzt.

Können Sie sich vorstellen, wie es ist, jeden Morgen diesem Parasiten den Bart zu rasieren? Ihn zu waschen und zu kämmen?

Ich will Ihre Behinderung nicht verharmlosen, Herr Pinon, aber ein für allemal: Nein. Ich werde Sie nicht operieren. Ich könnte Ihr Überleben nicht garantieren.

Das ist aber noch nicht alles, Professor. Er redet mit mir. Keiner hört es aber er redet die ganze Zeit.

Wenn Sie sich weigern, werde ich mir eine Kugel durch den Schädel jagen.

Hören sie auf.

Ich habe Sie vergeblich angefleht, Professor, aber ich kann auch andere Mittel einsetzen, um sie zu überzeugen.

Wer redet von Geld?

Ich brauche kein Geld.

Auf der Türschwelle drohte er mir noch, er könne mich zwingen, ihn zu operieren. Aber ich bin nicht darauf eingegangen, Humpty Dumpty.

Ich hasse diesen Spitznamen. Bitte nennen Sie mich „Inspektor Mazock“.

Ich war ernsthaft besorgt und habe die ganze Nacht damit verbracht, mir die unmöglichsten Operationen auszudenken, Inspektor Mazock. Danke, Professor Bell.

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Ich überlegte sogar, dem Parasiten Wundbrand zu injizieren, um ihn entfernen zu können. Das erscheint mir genauso riskant wie die klassische Methode.

Ich sagte ja bereits, dass ich sehr durcheinander war.

Naja, für Sie ist diese Geschichte nun beendet, da er tot ist. Wenn Sie nun zur Identifikation des Körpers schreiten würden. Ja.

Professor! Geht es Ihnen nicht gut? Was ist los?

Das ist nicht Pinon. Der kleine Kopf Oh Gott! Sie haben recht. auf der Stirn ist eine Attrappe! Ein Kopf aus Wachs. Und er verdeckt eine Schusswunde.

Dies ist mein Bruder.

Es scheint als ob Pinon Ihnen eine Botschaft schickt. Kennen Sie das Opfer, Professor?

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Mein Meister schickt mich, um Sie zu fragen, ob Sie heute geneigt wären, Ihn zu operieren oder ob Sie es vorziehen zu warten, bis er Ihre gesamte Verwandtschaft getötet hat.

Professor Bell.

Mit ihrer Erlaubnis möchte ich Sie nun unverzüglich zu meinem Meister geleiten.

Wir müssen erst in meine Praxis in der Melville Street. Ich arbeite nur mit meinen eigenen Instrumenten. Da haben wir etwas gemeinsam, Professor Bell.

In der Praxis. Hübscher Revolver. Ist das die Waffe, mit der Sie meinen Bruder getötet haben?

Das piekt ein wenig. Die Birmesen nennen es „May Tua“, den hölzernen Körper. Es lähmt...

...aber man bleibt bei Bewusstsein. Ich werde Ihnen nun einige meiner chirurgischen Werkzeuge vorführen. Sie haben doch Zeit, nicht wahr?

Werter Professor, ich bin wie die Köche und Zauberer. Ich verrate niemals...

Wir beginnen mit Raverdins Nadel, dann zeige ich Ihnen die Schere, mit der man den Rumpf öffnet und zum Schluss den Schädelspalter von Blot.

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Wer ist da?

Kommen Sie herein.

Mazock.

G! N i i i R

Sie taten gut daran, Ihren Rachegefühlen nicht nachzugeben.

Rede oder ich schlage dir die Zähne mit diesem Schuhlöffel ein. Das ist ein Geburtshelfer, aber er wird Ihnen nicht antworten.

Pinon schickte einen Revolvermann vorbei aber ich konnte Sie wollten ihn nun der Polizei ihn ausschalten. übergeben? Genau.

Hm...fesseln Sie ihn. Wir verhören ihn später. Wohin gehen wir? Pinon suchen.

Er steht unter Drogen.

Ich gehe zum Club der Hüte, seiner neuesten Investition. Sie versuchen doch nicht etwa, mich von ihm fern zu halten, aus Angst, ich könnte ihn erschiessen.

Hier ist eine Zugfahrkarte, Bell. Sie fahren zum Schloss von Loch Lomond, dem Heim, das Pinon mit seinen Söhnen leitet. Ich brauche Beweise. Und Sie?

Hier, bitte.

Überlassen Sie die Rolle des gewalttätigen Bullen mir. Sie sind ein anständiger Mensch, Bell.

Gehen Sie. Morgen treffen wir uns zum Tee in Ihrer Praxis und Sie teilen mir die Ergebnisse ihrer Untersuchungen mit. Nur Mut, Professor. Bis morgen, Mazock.

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Aber nein. Geben Sie mir den Revolver, den Sie dem Killer abgenommen haben.

Ich hoffe, dass Sie es nicht bedauern werden, mich ohne Waffe gehen zu lassen.


Im Club der Hüte.

Wie bitte?

Herr Pascual Pinon. Ihr Hut.

Kennen Sie die Spitznamen aller Beamten Edinburghs?

Nur die witzigsten... Humpty Dumpty sat on a wall...

Wissen Sie warum ich hier bin? Nein.

…Humpty Dumpty had a great fall...

Kennen Sie den jungen Benjamin Bell, den Bruder von Professor Joseph Bell? Nein. Ihr Hut!

Ich kenne Richter, Zeugen, Anwälte. Sie können mir gar nichts, Humpty Dumpty.

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Hier drin behält man seinen Hut auf, Inspektor Mazock, alias Humpty Dumpty.

Schnauze. Setzen Sie Ihren Hut auf, Sie sind im Club der Hüte.

Ich könnte Sie auf der Stelle verhaften. Ohne Beweise? Das wäre schlecht für Sie. Ich habe viele Freunde, die darauf brennen, mich zu verteidigen.


Ich bedauere, mein Herr. Aber der Direktor ist nicht da.

Verwalten Sie dieses Anwesen?

Ich bin verrückt.

Nein. Aber ich wohne hier.

Das merkt man kaum. Ist das ein Kompliment?

Ich meinte, wenn Sie gefährlich wären, würde man Sie nicht einfach so im Schloss herumlaufen lassen. Ich beschränke mich darauf, mit Vorhängen zu sprechen.

Ich kenne Sie ja kaum.

Dann haben wir das gleiche Leiden. Den Hang zu Gardinen?

Stellen Sie mir Ihr Gespenst vor.

Bleiben Sie ein wenig bei mir. Außer Pinon und seinen idiotischen Söhnen besucht mich niemand. Ich mache Ihnen einen Kaffee und dann lese ich Ihnen eine Gruselgeschichte vor. Mögen Sie es, wenn man Ihnen vorliest?

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Nicht so schnell.


Ich bin gekommen, um Sie zu töten.

Dazu müssten Sie das Blut eines Vampirs trinken. Nein, es braucht mehr als einen Revolverschuss, damit schöne Frauen unsterblich werden. Was wissen Sie schon?

HA! ! HA! HA

HHAA! HA!

Pinon hat meinen Bruder getötet. Ich wollte ihn umlegen aber er wird noch mehr leiden, wenn ich ihm seine Liebe wegnehme. Nur zu.

Mir fehlt der Mut, Ihnen weh zu tun.

Das ist Jesus, der älteste Sohn des Herrn Direktor.

Wenn Sie mich töten, werde ich als Vampir wiedergeboren. Das glaube ich kaum.

Töten Sie mich ruhig. Wer hier stirbt, wird wieder zum Leben erweckt.

Mein Vater hat mir beigebracht, dass wenn man eine Waffe zieht, man sie auch benutzen muss.

Er meinte es ernst.

Ich werde die Frau töten und es Ihnen anhängen.

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Ach was. Er ist ein Schwätzer.


Er rauchte ohne Unterlass, um seine Haut zu gerben, damit sie nicht reißt oder sich infiziert.

Ausgezeichnet, aber das hier ist kein gewöhnlicher Zombie. Er ist kalt.

Der Qualm ist gut für die Toten?

Trifft dies auf die beiden anderen Brüder auch zu? Sie sind allesamt gleich!

Seine Muskeln sind trocken, denn er ist schon seit Jahren tot. Der Schädel klingt hohl. Keine zerebrale Aktivität feststellbar. Es scheint als würde er von einer äusseren Kraft bewegt. Er ist das, was Pretorius als Marionette bezeichnet.

Uarrgh!

Alle Drei sind schon vor langer Zeit in Mexiko gestorben. Pinon hat sie wieder zum Leben erweckt. Nein. Nicht Pinon. Nicht er allein.

Vielleicht ist es eine der Verrückten, die man gefesselt hält. Vielleicht ist es ihre Mutter, die noch lebt und die man hier irgendwo eingekerkert hat. Dies sieht nicht wie das Werk einer Mutter aus.

Ein Medium, das drei Tote gleichzeitig am Leben erhält, müsste dazu seine ganze Konzentration aufwenden. Zum Schaden seines eigenen Körpers, denn dieser könnte sich in dieser Zeit weder ernähren noch bewegen.

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Ich denke da eher an eine böswillige und gleichzeitig frustrierte Kreatur, die nur ein Kopf ohne Körper ist.

Ich vermute, es ist der kleine Kopf der sie belebt. Das ist auch der eigentliche Grund, warum Pinon ihn loswerden wollte. Denn seine Kinder machen ihm Angst.

Ein Baby?

Bringen Sie mich weit weg von hier. Ich hasse dieses Monster und seine schrecklichen Kinder.

Ja. Das denke ich auch. Er sagte, dass seine Söhne eifersüchtig sind. Und dass sie eine Heirat nicht zulassen wollen.

Ich bin sehr enttäuscht, Célia.

Um meine Söhne bei mir zu haben, musste ich auf die Liebe der Frauen verzichten. Aber was soll’s.

Wenn das so ist, behalte ich meinen Kopf und Sie verlieren stattdessen den Ihren. Sie werden sterben, wie schon so viele vor Ihnen.

Sie sind eh nicht treu.

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Bevor ich Sie töte, werde ich Sie auf den Mund küssen. Sie werden sich ekeln.

Hast du schon mal einem Jungen einen Zungenkuss gegeben?

!

! !

Das ist mein Freund Eliphas.

Ich wusste, dass ich mich auf mein Gespenst verlassen kann.

Eliphas, Sie sind mein Prinz.

Glauben Sie, es kennt auch die Adresse meines Appartements in Edinburgh?

Und ich? Ohne Zweifel.

Na gut. Sie sind der Prinz und Eliphas ist das weiße Pferd.

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Edinburgh – am Morgen darauf. Man hat gesehen, dass sogar Gespenster umziehen können. Sie brauchen keinen Exorzisten, sondern eher einen Psychoanalytiker.

Sie verschanzen sich hinter ihrem Status als Geist, um Ihr zwanghaftes Verhalten zu rechtfertigen.

Verstehen Sie mich nicht falsch, aber mehr als 800 Jahre lang jede Nacht dieselben Dinge zu tun ist nicht übernatürlich, sondern in erster Linie neurotisch.

Ich nehme die Abfolge der Nächte nicht wie Sie wahr. Ich schlage mich seit 800 Jahren mit der selben Nacht herum.

Da muss ich Ihnen widersprechen.

Ich glaube, ein Neurotiker würde genauso argumentieren.

Sie haben mir das Leben gerettet und ich werde mich um Ihren Fall kümmern, aber unter einer Bedingung: Ich würde es begrüssen, wenn Sie sich nicht wie ein Gespenst aufführen würden. Vergessen Sie, dass Sie tot sind, und betrachten Sie sich von nun an als Patient.

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Ich sehe, Sie haben Bekanntschaft geschlossen.

Störe ich?

Ja. Der Professor Bell erklärte mir gerade seine Leiden: Es scheint, er möchte die ganze Welt heilen.

Überhaupt nicht, wir sprachen gerade über Vorhänge. Célia, das ist Inspektor Mazock, den die Kinder Humpty Dumpty nennen, weil er sie an ein Ei erinnert.

Was haben Sie eigentlich dem Mörder Ihres Bruders verpasst, Professor Bell?

Mein Diener erholt sich gerade von einer schweren Verletzung. Bis zu seiner Rückkehr würde ich die Hilfe einer Assistentin sehr begrüssen.

Der Professor möchte zum Ausdruck bringen, dass er sich seit dem Tod seiner Gattin nie mehr so wohl in Gegenwart einer anderen Frau gefühlt hat.

Aber er hasst das.

Meine Verehrung, Madame. Ich bin entzückt, eine solche Blume in diesen Gemächern anzutreffen.

Weil er tot ist. Seine Innereien verfaulten und anschliessend hat er sich auf dem Parkett des Kommissariats aufgelöst.

Nur eine leichte Droge, warum?

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Irren ist menschlich.


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