12 Gegenst채nde
Herausgegeben von Sophie Jung
Inhalt Vorwort 1907–1914 Plan für die AEG-Anlage Brunnenstraße von Peter Behrens
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Die industrielle Massenproduktion manifestiert sich in der Architektur von Thorsten Dame, Architekturhistoriker
1928 Sessel Grand Confort, LC2 von Le Corbusier, Pierre Jeanneret, Charlotte Perriand
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Stahlrohrfabrikat, politisches Objekt und Namensträger – die vielen Funktionen eines Avantgarde-Möbels Gespräch mit Pernette Perriand-Barsac und Jacques Barsac
1938 Go-Pen von László Bíró
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Die Kugeln in unseren Schreibern: Der prekäre (Patent-)Schutz für László Bíró und seine Erfindung von Margrit Seckelmann, Rechtshistorikerin
1948 Wonder Bowl von Earl Silas Tupper
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Der Konsum macht die Ikone Gespräch mit Alison J. Clarke
1956 Phonosuper SK 4 von Hans Gugelot, Dieter Rams
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Twenties revisited – ein Funktionalismus der Nachkriegsmoderne im Spiegel der „Vorkriegsmoderne“ von Sophie Jung, Kunsthistorikerin
1969 Valentine von Ettore Sottsass Auf der Schreibmaschine tippen die Postmodernen schon längst nicht mehr von Veronika Steininger, Literaturwissenschaftlerin und Dramaturgin
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1972 Liniennetzplan Subway New York City von Massimo Vignelli
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Klare Zeichen missverstanden
von Daniela Baumann, Designhistorikerin
1988 Dr. Best Plus von Studio Hans Halm
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Biegbarer Kopf, Mann im weißen Kittel und eine Tomate: der Marketingerfolg einer Zahnbürste Gespräch mit Manfred Scheske und Charles Greene
1993 Comic Sans von Vincent Connare
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Der Laie ersetzt den Typografen
von Till A. Heilmann, Medienwissenschaftler
1999 Nokia 3210 von Alastair Curtis
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Ein Handy für alle, überall
von Stephan Becker, Architekturkritiker und Architekt
2004 iPod mini von Jonathan Ive
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Pazifische Woge: Das ästhetische Regime einer kalifornischen Firma erfasst die Massen von Wahiba Hammaoui, Soziologin und Politologin
Das Nicht-Objekt
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Das Verhältnis zu Objekten ist wie das zu Menschen Gespräch mit Kengo Kuma
Autorenindex
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Fotonachweis
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Sophie Jung: Der Grand Confort wurde vor dem Zweiten Weltkrieg kaum verkauft, was passierte dann? Pernette Perriand-Barsac: Eine Galeristin aus Zürich, Heidi Weber, hat 1959 fünf Möbel aus der Reihe von 1928 neu editiert. Das waren kleine Auflagen. Erst als der Möbelhersteller Cassina 1964 die Produktion übernommen hatte, verkaufte sich der Grand Confort besser. Richtig erfolgreich wurde der Sessel erst in den Siebzigern, also erst knapp ein halbes Jahrhundert, nachdem er entstanden ist. Sophie Jung: Man sieht ihn heute in Privatwohnungen, Hotellobbies, Chefvorzimmern oder als Filmrequisit. Auch billige Imitate tauchen vom Grand Confort auf. Wie erklären sie sich seinen Erfolg seit den Siebzigern? Pernette Perriand-Barsac: Es ist seine Form. Es ist ein Möbelstück mit geringem Volumen. Er integriert sich überall. Selbst wenn man einen ganz anderen Einrichtungsstil hat, fügt er sich in jedes Arrangement. Jacques Barsac: Die Maße des Grand Confort sind ausgeglichen. Dieser Sessel stört das Auge nicht. Seine Konstruktion ist so angelegt, dass er sehr niedrig ist, aber trotzdem komfortabel. Er ist ja auch für das komfortable Sitzen entworfen worden. Ob man sitzt oder steht, der Blick geht über ihn hinweg, egal, an welchem Ort der Sessel sich befindet. Er ist präsent, jedoch unauffällig. Er hat eine Diskretion und er hat eine Exaktheit. Alle Möbel dieser Zeit sind nach der Volumetrie ausgerichtet. Eine Haltung des Architekten, nicht des Designers. Charlotte dachte und gestaltete immer als Architektin. Sophie Jung: Das Möbelstück umschließt also ein einheitliches Volumen, wie ein Baukörper. Was zeigt noch, dass Charlotte Perriand als Architektin gestaltete? Jacques Barsac: Charlotte hat ihre Möbelstücke nicht als singuläre Objekte entwickelt. Der Raum, in dem sie stehen sollten, war von Bedeutung. Der
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1938 Go-Pen
von L谩szl贸 B铆r贸
es gar nicht erst, ihr Patent „mitzunehmen“. Mit letzterem Umstand spekulierend, hat Coco Chanel einen Versuch unternommen, sich die Anteile ihrer vertriebenen Geschäftspartner, der Familie Wertheimer, an den Rechten der gemeinsam entwickelten Parfums zu sichern. Doch die Wertheimers waren umsichtig genug, die Rechte von „Parfums Chanel“ vorab an den christlichen Geschäftsmann Félix Amiot zu übertragen. Coco Chanels schamloser Versuch, aus der Arisierungspolitik der Nationalsozialisten Gewinn zu schlagen, scheiterte. Im autoritär regierten Ungarn war es, wie auch in NS-Deutschland und den von ihm besetzten Gebieten, nicht unmittelbar möglich, einem jüdischen Patentinhaber das Patent zu entziehen, wenn er es nicht (vor allem aufgrund der horrenden Abgaben) zu Geld machen musste. Anders als die jüdischen Patentanwälte, die gnadenlos aus ihren Berufen herausgedrängt wurden, blieben die Patente selbst für die Laufzeit eingetragen, wenn es ihren Inhaber gelang, im Inland einen Beauftragten zu finden, der für sie die Patentgebühr entrichtete. Das war den Wertheimers im Fall Coco Chanels und der gemeinsamen Rechte an „Parfums Chanel“ letztendlich gelungen. Was mit Bírós ungarischem Patent geschah, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Mithilfe eines französischen Patents aber und vor allem eines britischen, das sie rechtzeitig beantragt hatten, verfügten die Brüder Bíró über einen Grundstock, um in Argentinien ihre Erfindungen fortzusetzen. Dort meldeten sie schließlich erneut ein Patent an. Der Durchbruch kam schließlich, als sich im Krieg die Erfindung der Brüder für die britische Royal Airforce als nutzbar erwies. Der Kugelschreiber hatte sich, inzwischen bestückt mit recht hochwertigen Kugeln der schwedischen Firma SKF, zu einem zuverlässigen Schreibgerät entwickelt. Auf einer Reise nach Argentinien hatte der englische Geschäftsmann Henry George Martin ein (recht
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auch denkbar, sie für mobile Kommunikationsformen begeistern zu können. Die Firma Nokia lag damit goldrichtig, denn einer finnischen Studie von 2002 zufolge besaßen schon um das Jahr 2000 über 93% der Einpersonenhaushalte unter dreißig ein Mobiltelefon, aber nur 64% der gleichen Gruppe im kaufkräftigsten Alter zwischen 40 und 59 Jahren.
Evolution der Kommunikation Schon immer klang Nokias berühmter Slogan „Connecting People“ von 1992 eher nach Party als nach Business. Diesem Slogan in der Form eines Produkts gerecht zu werden, war die Aufgabe von Alastair Curtis. Das Mobiltelefon musste sich von einem Werkzeug und Statussymbol der Banker und Broker in ein preisgünstiges Spaßprodukt für Jugendliche und junge Erwachsene verwandeln. Erschwinglich war schon der unmittelbare Vorläufer des 3210, das 3110, doch positioniert und beworben wurde es noch als Businesshandy. Im biederen Werbespot von 1997 vergisst eine Geschäftsfrau während eines Meetings ihre Handtasche, bekommt diese aber dank eines schnellen Anrufs schon kurze Zeit später zurück. Hier wurde noch einmal deutlich, worum es seit der Einführung des ersten Mobiltelefons, dem Motorola DynaTAC 8000X, im Jahr 1984 gegangen war: Das Handy erscheint als der kürzeste Weg zwischen zwei Geschäftspartnern und ermöglicht ein vollkommen neues, viel effizienteres Arbeiten jenseits der Büros. Telekommunikation dient demnach vor allem dem Austausch von wichtigen, oft zeitkritischen Informationen, wobei darin noch immer die Assoziation von Mobiltelefonen mit Macht und Erfolg mitschwingt, wie sie prototypisch im Film Wallstreet von 1987 zu sehen war. Der Finanzinvestor Gordon Gekko, gespielt von Michael Douglas, steht da früh morgens am Strand und erledigt mit seinem Modell DynaTAC den entscheidenden Anruf der im Film erzählten Geschichte.
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Genie und Know-How des Silicon Valley entsprungen ist, treffen in dieser zeremoniellen Szene aufeinander. Sie markiert eine Wende: „Think different“ – der berühmte Slogan der Firma wurde nun auf einen Staatsakt übertragen. Die Figur Barack Obamas stand bei seinem Amtsantritt 2009 für eine politische und kulturelle Zäsur in einem Land der ehemaligen Rassentrennung. Die Firma Apple wiederum vertritt einen Bruch in der Geschichte der Informatik. Steve Jobs unternehmerische Anfänge in der Computerbranche sind aus einer studentischen Protestbewegung heraus entstanden, die das Establishment von IBM und Pentagon in der Informatik während des Vietnamkriegs ablehnte. Dass Präsident Obama der Königin des Vereinigten Königreichs einen iPod schenkte, verband den neuen Vorsitz im Weißen Haus mit Werten wie Mut, Innovation, Coolness und Jugend. Die Wahl Obamas für den iPod weihte das Gerät zu einem Objekt der „Gabe“ und „Gegengabe“, wie es der Soziologe Marcel Mauss in seiner Schenkökonomie formuliert hat. Nunmehr war der iPod nicht nur ein einfacher High-Tech-Gegenstand; eingebunden in den Akt der Schenkung manifestierte er die Beziehung zwischen den zwei Staaten, zwischen der „alten Welt“ Europas und der „neuen Welt“ der USA, die sich in diesem Zeremoniell begegneten. Werden bei offiziellen Besuchen von hohem Rang der Königin üblicherweise Kunstwerke oder kostbare Handschriften überreicht, so hob Obama den iPod in eine Sphäre, die sonst rare Kunstgegenstände umgeben. Der iPod, eigentlich ein Massenprodukt, erhielt nun die Aura eines Techno-Kunstwerks. Eigentlich ist der erste iPod ein schlichtes, technisches Gerät, das auf seiner 1,8-Zoll großen Festplatte Musik speichert und abspielt. Auf Initiative von Steve Jobs und unter der Leitung von Jon Rubinstein wurde er von einem Arbeitsteam aus Ingenieuren und Designern entwickelt. Der Brite Jonathan Ive war Chef-
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Zwölf Gegenstände erzählen hundert Jahre Geschichte des Industriedesigns. Entstanden zwischen 1914 und 2004, werden Produkte präsentiert, die das tägliche Leben der Menschen veränderten, Entwürfe, die mit neuen Strategien vermarktet wurden oder Objekte, die das Lebensgefühl eines Jahrzehnts greifbar werden lassen. Ob die Wonder Bowls von Earl Silas Tupper, die Schreibmaschine Valentine von Ettore Sottsass oder der iPod mini von Jonathan Ive – in zwölf Beiträgen und Interviews mit renommierten Gestaltern und Autoren werden Ikonen des Designs lebendig und zu Zeugen unserer Kulturgeschichte.
€ 29,00 ISBN 978-3-89986-223-2
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