Ornament und Verbrechen

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O R N A M E N T U N D V E R B R E C H E N

A DOL F L O OS D I E S C H R I F T E N Z U R A RC H I T E K T U R U N D G E S TA LT U N G

Herausgegeben von Oliver Ruf avedition


INHALT 8

ORNAMENT UND VERBRECHEN 18

ARCHITEKTUR 32

ORNAMENT UND ERZIEHUNG 40

MEINE BAUSCHULE

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ZWEI AUFSÄTZE UND EINE ZUSCHRIFT ÜBER DAS HAUS AUF DEM MICHAELERPLATZ 54

MÖBEL 60

DIE MÖBEL AUS DEM JAHRE 1898 66

DIE ABSCHAFFUNG DER MÖBEL 70

VON EINEM ARMEN REICHEN MANNE


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HEIMATKUNST 86

ARNOLD SCHÖNBERG UND SEINE ZEITGENOSSEN 90

MÖBEL UND MENSCHEN 96

HANDS OFF!

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DAS MYSTERIUM DER AKUSTIK

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REGELN FÜR DEN, DER IN DIE BERGE BAUT

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DIE BAUMATERIALIEN

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DAS PRINZIP DER BEKLEIDUNG

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DIE POTEMKINSCHE STADT

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OLIVER RUF: »SCHWELLEN« DES ZEIGBAREN Designtheorie bei Adolf Loos



MEINE BAUSCHULE (1913)


MEINE BAUSCHULE

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s gibt kein größeres unglück, als zur untätigkeit verdammt zu sein. Als ich vor fünfzehn jahren an professor losef Hoffmann die bitte richtete, das sitzungszimmer Secession, einen raum, den ja sowieso niemand zu sehen bekommt und auf dessen ausstattung nur einige hundert kronen verwendet werden sollten, einrichten zu dürfen, wurde mir das rundweg abgeschlagen. Als mir durch vermittlung Wilhelm Exners gestattet wurde, im schneidermeisterkurse des technologischen museums vorträge zu halten, mußte ich diese auf veranlassung des damaligen sekretärs hofrat Adolf Vetter sofort einstellen. Dieses zweite erlebnis war das schmerzlichere. Ich fühlte, daß ich meinen mitmenschen nicht nur durch das beispiel, sondern auch durch meine lehre etwas geben könne. Und der schmerz wurde zur qual, als ich es erleben mußte, daß meine beispiele, die nach und nach doch durch einige öffentliche arbeiten an das tageslicht kamen, von meinen künstlerischen gegnern in eine falsche lehre umgemünzt wurden. Ein lichtstrahl in meinem leben! Einige Wagnerschüler, meiner meinung nach die besten, ersuchten mich, für die verwaiste lehrkanzel Otto Wagners zu kandidieren. Selbstverständlich war ich von der erfolglosigkeit eines solchen beginnens überzeugt. Aber das vertrauen unserer besten jugend gab mir die kraft, meine eigene schule ins leben zu rufen. Und so entstand die Adolf Loos-bauschule. An die stelle der auf unseren hochschulen gelehrten bauweise, die teils aus der adaptierung vergangen er baustile auf unsere lebensbedürfnisse besteht, teils auf das suchen nach einem neuen stil gerichtet ist, will ich meine lehre setzen: die tradition. Im anfange des neunzehnten jahrhunderts haben wir die tradition verlassen. Dort will ich wieder anknüpfen. Unsere kultur baut sich auf der erkenntnis von der alles überragenden größe des klassischen altertums auf. Die technik unseres denkens und fühlens haben wir von den römern übernommen. Von den römern haben wir unser soziales empfinden und die zucht der seele. Seitdem die menschheit die größe des klassischen altertums empfindet, verband die großen baumeister ein gedanke. Sie dachten: so wie ich baue, hätten die alten römer diese aufgabe auch gelöst. Diesen gedanken will ich meinen schülern einimpfen.

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MEINE BAUSCHULE

Das heute baue sich auf das gestern auf, so wie sich das gestern auf das vorgestern aufgebaut hat. Nie war es anders — nie wird es anders sein. Es ist die wahrheit, die ich lehre. Infolge der falschen lehren, die alle schulen und die öffentlichkeit in beschlag genommen haben, werde ich den sieg der wahrheit nicht erleben. Ob meine schüler ihn erleben werden, hängt von ihrer kraft ab. Ich warne kraftlose, meine schüler zu werden. Ausgeschlossen aus der kameraderie, die sich durch bünde, vereine, kunstzeitschriften und die tagespresse die öffentlichkeit erobert hat, müssen sie ihre eigenen wege gehen. Staatsaufträge und lehrkanzeln kann es für sie nicht geben. Aber das bewußtsein, ihr leben den forderungen des tages geweiht zu haben, möge ihnen vollen ersatz für titel, orden und sinekuren bieten. Meine schüler teilen sich in ordentliche und außerordentliche hörer. Die ordentlichen hörer arbeiten in meiner baukanzlei, die außerordentlichen können meine vorträge anhören. Es bereitete mir eine große genugtuung, daß die hörer unserer bei den staatlichen bauschulen. der technischen hochschule und der akademie, ein starkes kontingent meiner zuhörerschaft lieferten. Drei gegenstände wurden gelehrt: das bauen von innen nach außen, kunstgeschichte und materialkunde. Die Schwarzwaldschen schulanstalten stellten mir ihre schulräume zur verfügung, wofür ich der leiterin, frau dr. Eugenie Schwarzwald, meinen und meiner hörer innigsten dank sage. Die anstalt hatte sicher sehr unter anfeindungen zu leiden. Der andrang jedoch war so groß, daß ich durch zwei schulsäle, die durch eine doppeltüre verbunden waren und von denen jeder vierzig personen faßte, durchsprechen mußte. Aus allen kreisen kamen hörer, gäste aus dem auslande, die sich zu kurzem aufenthalt in Wien befanden, wollten mich hören, und der arme student saß neben der prinzessin. Ein lehrer unserer hochschule hat seinen schülern mitten im schuljahre den besuch meiner vorträge verboten. Ich bin ihm dafür dank schuldig. Die charaktervollen blieben, und von den andern hat er mich befreit. Ordentliche hörer hatte ich nur drei. Einer hatte die höhere gewerbeschule absolviert, zwei waren einige semester an der technischen hochschule inskribiert gewesen, hatten aber keine bautechnischen vorkenntnisse. Meine methode ist es, sofort an einem projekt alle technischen und architektonischen details durchzunehmen. Die äußere gestaltung knüpft traditionell dort an, wo die wiener architekten die tradition verlassen haben.

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MEINE BAUSCHULE

Es liegt in der art der schule, daß die schüler ihre arbeiten vergleichen, daß einer vom andern lernt. Die projekte mußten von innen nach außen gestaltet werden, fußboden und decke (parketten und kassettenteilung) waren das primäre, die fassade das sekundäre. Auf genaue achsenausteilung, auf die richtige möblierung wurde das größte gewicht gelegt. Auf diese weise brachte ich meine schüler dazu, dreidimensional, im kubus zu denken. Wenige architekten können das heute; mit dem denken in der fläche scheint die erziehung des architekten heute abgeschlossen. Es liegt in der art der schule, daß die Ich werde im nächsten jahre meine bauschule ausgestalschüler ihre arbeiten vergleichen, daß ten. Es soll auch baumechanik und baukonstruktionslehre einer vom andern lernt. gelehrt werden, so daß absolvierte gymnasiasten und realschüler aufnahme finden können. Und schließlich wird in jedem jahr ein wiener bauwerk vollständig aufgenommen werden, ein bauwerk aus jener zeit, an die wir anzuknüpfen haben. Im nächsten jahre soll das hauptwerk Hohenbergs von Hetzendorf, das palais Pallavicini am Josefsplatz, die reihe beginnen.

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MÖBEL UND MENSCHEN (1929)


MÖBEL UND MENSCHEN

Zu einem handwerksbuch

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ls ich als kleiner knabe zum ersten male das Österreichische Museum — so heißt in Wien das kunstgewerbemuseum — betrat, fielen mir vor allem andern zwei mächtige holztafeln auf. Sie waren so zusammengefügt, daß durch die farbe und den flader der verschiedenen hölzer ein historiengemälde entstand, und haben noch auf mich als mann den nachhaltigsten eindruck gemacht. Die figuren hatten lebensgröße, die tafeln maßen je 360 cm in der höhe und 373 cm beziehungsweise 377 cm in der breite. Woher ich das weiß? Ich entnehme diese daten dem biographischen werk von Hans Huth: »Abraham und David Roentgen und ihre Neuwieder Möbelwerkstatt«. Es ist der werkstätte gewidmet, aus der jene »hölzernen tapisserien« hervorgegangen sind. Dieses buch macht uns nicht nur mit dem leben und werk des »größten ebenisten des jahrhunderts« — so nennt der enzyklopädist baron Grimm in einem empfehlungsbrief an Katharina II. David Roentgen — bekannt, sondern wir lernen auch seinen vater Abraham und die anfänge der werkstätte kennen. Abraham Roentgen, ein rheinländer, arbeitete in Holland und ließ sich dann in London nieder. Darin liegt das entscheidende. In Huths buch wird gezeigt, daß man, als die werkstätte schon nach Neuwied bei Koblenz verlegt war, stiche aus Chippendales werk verwendete. Auch wurden die schubladen nach englischem muster mit einem kleinen, vorstehenden wulst umrandet, was bei den deutschen tischlern nicht üblich war. Ich bin glücklich, dies buch in händen zu halten. David Roentgen ist immer als idol neben meinem leben hergegangen, obwohl ich nicht mehr von ihm wußte, als daß er gelebt und der großen Katharina einen schreibtisch für zwanzigtausend rubel verkauft hatte, den sie so exorbitant billig fand, daß sie den kaufpreis erhöhte. Wohl niemand hat diese geschichte so häufig und mit solchem nachdruck erzählt wie ich; denn ich bin davon überzeugt, daß sich das handwerk durch solche anerkennung zur vollsten blüte entfaltet. Aber die Katharinen scheinen ausgestorben zu sein. Dabei war der schreibtisch schon fertig, er hätte nicht nach vorangegangenem preis drücken schlechter ausfallen können. Aber der nächste wäre schlechter ausgefallen! Es ist selbstverständlich, daß die erzeugnisse einer werkstätte, wenn sie freiwillig überzahlt werden, immer besser und besser werden müssen. Deswegen gilt im gewerbe der grundsatz: die werkstätte erzieht die kundschaft. Aus dem buche erfuhr ich, daß sich David Roentgen englischer tischler, nein, cabinetmaker nannte.

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MÖBEL UND MENSCHEN

Die folgende reklame wird darin wiedergegeben: »David Roentgen, englischer cabinet-macher in Neuwied a. Rh. Fabriziert und verkauft alle möglichen sorten von cabinets-ameublements, sowohl nach dem englischen wie französischen gout, nach der neuesten art und erfindung, als nämlich schreibtische, commoden, toilettetische, spieltische, chatoullen, arbeitstische und tambourins, wohl fassonierte stühle, canapées etc.« Wo bleibt aber das wichtigste möbel, nach dem sich die ganze profession nennt? Wo bleibt der schrein, der schrank oder meinetwegen nach damaliger form die armoire, die chiffoniere? Der schrank wird in der anzeige nicht angekündigt. Der autor des neuen buches bringt trotz der reichhaltigkeit und trefflichkeit der bildtafeln keine wiedergabe eines schrankes. Wird denn der schrank einfach verschwiegen? Nein, er wurde nicht mehr erzeugt, er war nicht mehr modern. Zur zeit der Roentgenwerkstätte wurden die kleider nicht mehr in mächtigen schränken aufbewahrt, sondern in kleinen gelassen, weIche bei den engländern closets, das heißt verschluß, genannt wurden. (Daher kommt closet, wasserverschluß, was aber etwas ganz anderes ist.) Bei den franzosen hieß das penderie, was bei den deutschen wandschrank heißt. Engländer und franzosen hielten an dieser neuerung fest, die deutschen haben wieder die kleideraufbewahrung aus dem siebzehnten jahrhundert übernommen und dekorieren ihre räume mit kleiderschränken, und zwar selbst dann, wenn sie bloß einsiedegläser darinnen haben. Es liegt am architekten, den kleiderschrank abzuschaffen. Das moderne bestreben in der architektur in allen ehren. aber was nützt es uns, wenn wir noch gebrauchsgegenstände aus der zeit der lichtputzscheren benützen? Im gegenteil! Wir sind doch um mehr als hundert jahre weiter! Aus der liste Roentgens müßte man heute schon einiges streichen. Heute werden von den tischlern überhaupt nur möbel erzeugt, also nur mobiles zum kaufe angeboten. Alles übrige gehört zum haus, daher in das arbeitsgebiet des architekten. Der Menschen, die das beste schaffen nachfolger in einer wohnung übernimmt alles von seinem vorwollen, was ihnen erreichbar ist, ohne gänger durch kauf oder miete. Mit decken, fußböden, wänden zu wissen, was modern ist. und schrankmöbeln (eingebauten möbeln) im stil unserer zeit ist heute jeder zufrieden. Natürlich darf aber der architekt dem tischler nicht ins handwerk pfuschen. Die möbel, die vom tischler herrühren, sind modern, die vom heutigen architekten nicht. »Entwirft« der architekt die möbel, so fragt man sich: werden alle diese dinge zusammenpassen? Sie tun das nur dann, wenn sie modern sind. Moderne dinge passen immer zusammen: schuhe, socken, kleider, hem-

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MÖBEL UND MENSCHEN

den, lederkoffer. Vom architekten darf all das nicht sein. Denn er kann nicht wissen, was modern ist. Aber zur zeit David Roentgens gab es so moderne menschen, wie es heute nur unsere ingenieure und unsere schneider sind. Menschen, die das beste schaffen wollen, was ihnen erreichbar ist, ohne zu wissen, was modern ist. Denn das wissen darum schließt die modernität aus! Hier ist die scharfe grenzscheide zwischen menschen und auchmenschen. Die zeit sondert die spreu vom weizen und läßt einmal nur die menschen geIten. Durch seine hölzernen wandbilder ließ mich David Roentgen einen blick in mein jahrhundert werfen. Ich verstand ihn sofort: nicht mehr um möbel handelt es sich, sondern um wände. Wir würden sagen: um eingebaute möbel. Darauf beruht der starke eindruck jener tafeln auf jeden unverdorbenen menschen, also auf jedes kind. Denn jeder mensch verläßt mit modernen nerven den mutterleib. Diese modernen nerven in unmoderne zu verwandeln, nennt man erziehung. Der zufall wollte es, daß ich in Amerika in eine marqueteriemanufaktur hineingeriet. Zuerst als unterzeichner, dann als schattierer vor dem heißen sand teller, dann als parkettmacher (12 fourniere wurden immer Denn jeder mensch verläßt mit modergeschnitten), dann als einleger, als säger. Der gedanke an nen nerven den mutterleib. Diese mojene »tapisserien« gab mir die kraft, mein handwerk lieb dernen nerven in unmoderne zu verzu gewinnen, obwohl ich ein gelernter maurer war, was wandeln, nennt man erziehung. ich für wichtiger halte, als am polytechnikum studiert zu haben. Jeder leser dieses handwerkbuches möge sich daran erinnern, daß es eine große umwälzung in der tischlerei war, an der David Roentgen teilgenommen hat: sie liegt in dem begriff der qualität. Es ist ganz falsch, wenn behauptet wird, daß so gute arbeit heute nicht geleistet werden könne. Das gegenteil davon ist wahr. Solche arbeit ist heute gemeingut jeder tischlerei. Für das handwerk hat der verstorbene künstlerhausmaler gewiß recht, der sagte: Wir wollten schon alle so malen wie der Raffael oder der Michelangelo, wenn es uns nur bezahlt würde.

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DAS MYSTERIUM DER AKUSTIK (1912)


DAS MYSTERIUM DER MUSIK

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an hat mich gefragt, ob der Bösendorfersaal erhalten werden solle. Der frager ging wohl von der voraussetzung aus, daß es eine sache der pietät wäre, einen saal, der in der musikgeschichte Wiens eine so große rolle gespielt hat, nicht zu demolieren. Aber diese frage ist nicht eine sache der pietät, sondern eine frage der akustik. Diese frage will ich nun beantworten. Es war gut, daß ich gefragt wurde, sonst hätte ich die antwort mit ins grab genommen. Seit jahrhunderten beschäftigen sich die architekten mit der frage der akustik. Sie wollten sie auf konstruktivem wege lösen. Sie zeichneten gerade linien vom tongeber nach der decke und meinten, daß der schall wie eine billardkugel im selben winkel von der bande abspringe und seinen neuen weg nehme. Aber alle diese konstruktionen sind unsinn. Denn die akustik eines saales ist nicht eine frage der raumlösung, sondern eine frage des materials. Einen akusDenn die akustik eines saales ist nicht tisch schlechten saal kann man durch weiche stoffe, durch eine frage der raumlösung, sondern vorhänge und wandbespannungen verbessern. Ja, ein miteine frage des materials. ten durch den saal gespannter zwirnsfaden kann die akustik eines raumes völlig verändern und verbessern. Das aber sind surrogate. Denn diese weichen stoffe saugen den ton auf und nehmen ihm seine fülle. Da wußten die griechen besser bescheid. Unter den sitzen ihrer theater hatten sie in gleichen abständen kammern angebracht, in denen sich jeweils ein riesiges metallenes becken befand, das mit trommelfell bespannt war. Sie versuchten, den ton zu verstärken, nicht, ihn zu schwächen. Und der Bösendorfersaal hat die herrlichste akustik, ohne alle vorhänge, mit geraden, nackten mauern. Also gilt es wohl, einen neuen saal zu bauen, mit den genauen abmessungen des alten, um den anhängern der bisherigen akustiktheorie recht zu geben, und aus demselben material, um mir recht zu geben? Das resultat: der saal wäre vollständig unakustisch. Man hat diese versuche schon gemacht. In Manchester wurde der berühmte bremer konzertsaal genau kopiert, der als der bestakustische weltberühmt ist. Mit negativem erfolge. Aber bisher war jeder neue saal schlecht akustisch. Manche erinnern sich der eröffnung der wiener hofoper. Man klagte damals, daß es mit der wiener gesangskunst durch das unakustische haus für immer vorbei sei. Und heute gilt die oper als das muster eines akustischen theaters.

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DAS MYSTERIUM DER MUSIK

Haben sich unsere ohren geändert? Nein, das material, aus dem der saal besteht, hat sich geändert. Das material hat durch vierzig jahre immer gute musik eingesogen und wurde mit den klängen unserer philharmoniker und den stimmen unserer sänger imprägniert. Das sind mysteriöse molekularveränderungen, die wir bisher nur am holze der geige beobachten konnten. Um einen raum akustisch zu machen, muß man also darin musik machen? Nein, das genügt nicht. Gute musik muß man drinnen machen. Denn die seelen der menschen kann man wohl betrügen, aber nicht die seele des materials. Säle, in denen man bisher nur blechmusik gespielt hat, bleiben ewig unakustisch. Aber, so fein empfindlich ist die seele des materiales: man lasse durch acht tage eine militärmusik im Bösendorfersaal schmettern, und die berühmte akustik des raumes ist sofort beim teufel. Wie die geige eines Paganini durch einen stümper sofort ruiniert werden würde. Überhaupt wird blechmusik vom baumaterial nicht gut ertragen. Daher ist immer die eine seite eines opernhauses weniger akustisch. Säle, in denen nie blechinstrumente spielen, weisen mit der zeit die beste akustik auf. Im mörtel des Bösendorfersaales wohnen die töne Liszts und Meschaerts und zittern und vibrieren bei jedem tone eines neuen pianisten und sängers mit. Das ist das mysterium der akustik des raumes.

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Sich auf das Tempo der kulturellen Entwicklung einzustellen, ist für Adolf Loos kein einfaches Unterfangen. Ausdrücklich weist er die Nachzügler von sich, die ihrer Zeit regelrecht hinterher hinken und nicht Schritt halten können mit den Tendenzen einer schöneren und zugleich funktionierenden Zukunft, zumal in der Architektur und ganz besonders im Design. Gegen das Unmoderne, Rückwärtsgewandte und Zögerliche gerichtet ist dieses gestalterische wie gestaltende Denken. Zugewandt ist es dem »Fehlen des Ornaments«, das für ihn die Künste zu »ungeahnter Höhe« bringt. Damit ist der Blickwinkel dieser Anthologie bezeichnet, die einen Querschnitt der theoretischen Überzeugungen von Adolf Loos am Beispiel einer Auswahl seiner bedeutendsten Schriften versammelt. Loos erläutert darin seine Thesen zur guten Gestaltung in kritischer Auseinandersetzung sowohl mit den Dingen und den Entwürfen, die er erblickt, als auch mit den Umständen jener Kultur, der er begegnet. Dabei zeigt er einerseits eine Tradition, die er verachtet, und andererseits ein Ideal, dem er sich verpflichtet. Wie und auf welche Weise dies geschehen kann, wird in den ausgewählten Texten erwiesen, die hier in einer eigens zu diesem Zweck erstellten und dem Thema auch ästhetisch gerecht werdenden Buchumsetzung neu präsentiert sind.

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