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Waffen und militärische Ausrüstung in Systemspielzeugwelten

Melanie Kurz

Als der unabhängige Lego-Händler Citizen Brick im März 2022 eine Minifigur auf den Markt bringt, die den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj darstellt, und dazu Molotowcocktails im Miniaturformat anbietet, auf denen die ukrainische Flagge zu sehen ist, entbrennt eine Diskussion. Unter dem Titel „Spielen mit dem ukrainischen Präsidenten – gute Idee oder völlig irre?!“ fasst ein Beitrag des Südwestrundfunks die Positionen der Kontroverse zusammen. Für rund 90 Euro gehandelt, ist die limitierte Auflage der Selenskyj-Figur in wenigen Tagen ausverkauft und bringt zusammen mit dem etwa 10 Euro teuren Zubehör insgesamt etwas mehr als 130 000 Euro ein.02 Weil Citizen Brick von Anfang an kommuniziert, den Erlös für humanitäre Hilfe in der Ukraine zu spenden, ist davon auszugehen, dass der Käuferschaft neben Fans von Lego-Minifiguren auch Menschen angehören, denen in erster Linie an der Hilfsaktion gelegen ist. In den Augen von Kritiker/innen steht die Spielzeugfigur – insbesondere in Kombination mit ihrem Utensil – dennoch für eine Verharmlosung von Krieg und Gewalt.

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Ein kurzer Rückblick

Physische Kampfhandlungen und Kriegsszenarien im Spieltisch- und Kinderzimmerformat sind zwar keine Erfindungen des 19. Jahrhunderts,03 erreichen in der industriell

01 Alle Abbildungen in diesem Aufsatz – mit Ausnahme von Abb. G – stammen von Melanie Kurz.

02 <https://www.dasding.de/newszone/lego-selenskyj-citizen-brick-spenden-100.html>, 24.05.2022.

03 Während des 18. und 19. Jahrhunderts etablieren sich im Bürgertum die Schlachten auf dem Schachbrett und werden auch in Form von Wettbewerbsveranstaltungen populär. Clausen, Lars: Hypothesen zu einer Soziologie des Schachs. Beiträge der Sektions- und Ad-hoc-Gruppen. In: Friedrichs, Jürgen (Hg.): 23. Deutscher Soziologentag 1986: Sektions- und Ad-hoc-Gruppen (S. 389–392). Opladen 1987, S. 390ff. <https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-150788>, 15.06.2022.

Abb. A: Als Game-Design Geschichte schrieb: zwei Auflagen von Super Mario Bros.01

In der japanischen Sprache gibt es einen oft verwendeten Begriff, der sich in seiner Gesamtheit kaum übersetzen lässt. Die Rede ist von kirei – einem Adjektiv, das als zentrales Element der japanischen Ästhetik gilt. Die höchste Form von kirei ist ein weißes Blatt Papier, das illustriert, dass in Japan mit dem Schönheitsbegriff sowohl der Terminus der Reinheit als auch das Prinzip des Minimalismus einhergeht. Als sich Japan im 19. Jahrhundert öffnete, begann eine Zeit der kulturellen Begegnung. Insbesondere Farbholzschnitte, genannt Ukiyo-e, wurden im Westen mit Begeisterung aufgenommen. Der Austausch setzte sich fort. In den 1980er Jahren faszinierten japanische Digitalspiele die westliche Welt – eine Faszination, die sich auch in der Ästhetik des heutigen Retrotrends wiederfindet. In unserem Beitrag betrachten wir diese kulturellen Bestrebungen von Ost nach West, analysieren und deuten spielinhärente Bewegungsräume sowie eine ästhetische Rückwärtsgewandtheit.

Digitalspielartefakte als kulturelle Spiel-Zeugen. Auf den Spuren des japanischen Minimalismus in der gegenwärtigen Retrobewegung

Caroline Knoch, Markus Böhm

Einleitung

Digitale Spielkultur kann als eine Praxis der Begegnungen bezeichnet werden – nicht nur im kompetitiven, sondern ebenso im kulturellen Sinne. Gerade in den frühen Jahren digitaler Spielgeschichte ist dabei ein Streben von Ost nach West zu konstatieren, eine Ausrichtung, die gleichfalls in der Geschichte Japans und der bildenden Künste zu erkennen ist. Das Land war bis 1854 fast vollständig von der Außenwelt abgeschottet. Nach einer über 200 Jahre andauernden Phase der Isolationspolitik brach dann die Zeit der Öffnung des Landes an. Über den einsetzenden Schiffsverkehr erreichten fortan nicht nur westliche Waren den Inselstaat, auch japanische Kulturgüter wurden mit Begeisterung aufgenommen, besonders von westlichen Kunstschaffenden. Auf der Suche nach einem Neuanfang war dies ein Stimulus, der einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zur modernen Kunst ermöglichte.02

130 Jahre später kam es zu einer weiteren bedeutsamen kulturellen Begegnung: Seit den 1980er Jahren sind japanische Digitalspiele mitverantwortlich für die Faszination gegenüber allem Fernöstlichen. Dabei kann der japanische Einfluss auf die heutige westliche Popkultur mit den damaligen Transformationsprozessen in Kunst und Malerei verglichen werden.

Während der westliche Konsolenmarkt einbrach, veröffentlichte Nintendo 1983 mit dem Famicom03 seine erste Heimkonsole und startete seinen bis heute andauernden Triumphzug. Der Erfolg gründet auf der Entscheidung für qualitatives Game Design und Narrationen. Als Exempel für Ersteres dient die populäre Super Mario Bros.-Reihe. 04

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03

Raum. Köln 2014, S. 10.

Nintendo: Famicom. Kyōto 1983.

04 Nintendo: Super Mario Bros. Kyōto 1985.

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