5 minute read
Rückblick
from FLOTTE 02-03/2022
Rückblick Endspiel
Er hätte durchaus ein Erfolg werden können. Nur gestaltete sich nicht nur die Entwicklung zur Zerreißprobe, auch der Abgang des Rover 75 hätte konfuser kaum sein können.
Text: Roland Scharf, Fotos: Werk
Man kann die Geschichte des 75 nicht ohne die von BMW und MG Rover erzählen. Von der Übernahme, die alles versprach und dann irgendwie merkwürdig ausging. Jedenfalls begab es sich, dass 1994 British Aerospace sich bereit erklärte, MG Rover von der britischen Regierung abzukaufen. Mit der Garantie, ein paar Jahre niemanden zu entlassen und auch nicht zu verkaufen. Man ahnt, was nach Ablauf dieser Frist kam: Richtig, man veräußerte die Bude sofort wieder und zwar an BMW, wo zu dieser Zeit Bernd Pischetsrieder das Zepter führte, der zudem ein entfernter Verwandter von Alex Issigonis ist, dem Erfinder des Mini.
Metrischer imperialismus
Man hatte jedenfalls viel vor, um die Traditionsmarke Rover zu etwas ganz Besonderem machen. Indes entdeckte man erst nach der Übernahme ein paar Schwierigkeiten. Es ging damit los, dass Rover sehr günstig Autos bauen konnte dank des Joint Ventures mit Honda. Dieses fiel fortan natürlich flach, weswegen man also erst einmal viel Geld in die Hand nehmen musste, um ein neues Modell zu entwickeln: den 75. Natürlich nahm man bewährte Komponenten aus dem BMW-Regal, dennoch sollte der Wagen ein typisch britischer sein. Also nahm man auch viel aus britischer Konstruktion und hier prallten erst einmal Welten aufei-
Britische Noblesse, zumindest wie sich das ein Deutscher vorstellt; das Design des Rover 75 war stets kritisiert worden, wirkte für viele zu altbacken und kam wirklich gut nur auf den britischen inseln an
nander. Die Ingenieure, die zwischen Birmingham und München pendelten, sprachen nämlich lange Zeit nicht die gleiche Sprache. Die einen berechneten im metrischen System, die anderen im imperialen. Auf diese Probleme zu kommen, kostete viel wertvolle Zeit. Das führte zu faszinierenden Detaillösungen. Nicht nur, dass sowohl metrische als auch zöllische Schrauben verbaut waren. Für einen möglichst reibungslosen Ablauf der Produktion konstruierte man sogar metrische Schrauben mit zöllischem Kopf. Man legte viel Wert auf wichtige Details. Zum Beispiel, dass die Türen wie bei einem Safe ins Schloss fallen. Oder, dass der Wagen optisch sofort als Rover zu erkennen sein sollte. Da aber setzten sich die Deutschen wohl ein wenig zu sehr durch, denn im Endeffekt sah der Wagen so aus, wie man sich in Bayern einen Rover vorstellte, aber nicht wie in England. Altbacken war ein leider recht passendes Wort und dennoch freuten sich alle auf den Neuankömmling,
den es als schnittige Limousine und als praktischen Kombi gab. Aber irgendwie erkannte man das nur auf der Insel und noch schlimmer: BMW verlor schlagartig – so scheint es – die Lust an der Tochtergesellschaft und stieß sie im Jahr 2000 – also nur wenige Monate nach Verkaufsstart des 75 – bei gutem Wind wieder ab. Allerdings erst, nachdem man sehr clever verhandelt hatte und einen Kaufpreis von zehn britischen Pfund vereinbaren konnte. Wie? Was? Z-e-h-n Pfund? Korrekt. Man muss aber dazu sagen, dass dieser Deal ein paar interessante Details enthielt. Während der BMW-Herrschaft entstand unter Rover-Regie die neue Generation des Mini.
Ehrliche ansprachen
Diesen Schatz wollte man auf jeden Fall behalten, also verhandelte man mit den neuen Eigentümern – ein Konglomerat aus Investoren – aus, dass sie sich das große Werk in Longbridge, den 75, den 45 und den 25 (beide noch auf Honda-Basis) behalten konnten. Aber Mini blieb bei BMW. Ein geschickter Schachzug der Bayern, denn die Rover Group war schon vor BMWs Engagement kaum zu sanieren gewesen. Es gab eine fragwürdige Ansprache des BMW-Chefs bei der 75-Präsentation 1998 in Birmingham, bei der er eher darüber redete, wie hoffnungslos es um die Firma stehe, als darüber, wie toll der neue Wagen sei. Und damit war die Sache für den neuen Rover eigentlich schon geritzt: Wer möchte schließlich ein Auto kaufen, dessen Hersteller demnächst den Bach runtergehen würde? Das Timing war jedenfalls perfekt. Im Herbst 2000 lief der Ur-Mini nach 41 Jahren Produktion ohnehin aus. Also musste man keine unnötigen Altlasten mehr nach Oxford (dem neuen MiniStammwerk) transportieren, von wo währenddessen alle 75-Produktionsanlagen nach Longbridge geschickt wurden. Dort legten die neuen Eigentümer recht unbekümmert los, ohne eigentlich viel Ahnung vom Autogeschäft zu haben. Interessant zudem im Nachhinein, dass sich keiner Gedanken machte, warum die Bude so dermaßen günstig zu haben war. Zumal man als Zuckerl mit dem 75 ja ein praktisch brandneues Modell dazubekam. Bei den neuen Bossen fehlte aber nicht das Geld für Neuentwicklungen. Man wollte lieber das Maximum an Gewinn herausholen und nicht noch mehr Kohle investieren. Also machte man stattdessen immer wildere MG-Versionen, die aber immer weniger erfolgreich waren. Und Sporteinsätze, die zwar tolle Partys auf die Piste brachten, aber keine nennenswerten Erfolge. Den Gipfel markierte schließlich der MG ZT-T, dem man den V8 des damaligen Mustang einpflanzte und auf Heckantrieb umrüstete. Klingt super, war aber gegen die PS-Eskalation zu Beginn der Nuller-Jahre ziemlich machtlos.
Finale Party
Mitte der Nuller-Jahre konnte man das viel zu große Werk Longbridge nicht einmal ansatzweise mehr auslasten. Mittlerweile war die komplette Produktpalette schon überfällig für eine Neuauflage, weswegen das kam, was kommen musste: Man verkaufte den ganzen Laden 2005 an die Chinesen. Und zwar so spontan, dass man zum Beispiel einem Team aus Ingenieuren, das mit dem x-ten Facelift des 75 gerade in Australien Ausdauerfahrten absolvierte, mitteilte, es möge die Autos stehen lassen und nicht mehr angreifen. Zu der Zeit war der 75 schon fast zehn Jahre alt. Dennoch bekam er unter der neuen Führung wieder ein Facelift verpasst und wurde weiter angeboten. Kaufen wollte zu der Zeit in Europa den Wagen kaum jemand mehr. Aber in China vielleicht? In der Zwischenzeit montierte man die Anlagen, die schon einmal von Oxford nach Longbridge transferiert wurden, ab und verschiffte sie nach China, wo der 75 unter dem Markennamen Roewe auf dem Heimmarkt angeboten wurde. Der Abgang war dann erschreckend schnell und leise. Irgendwann lief die Produktion aus, so um 2010 herum, wobei das ganz genau eigentlich niemand weiß. Und Longbridge? Tja, dieses Werk, das an die 100 Jahre die Heimat von Austin und dann Morris und dann eben Rover war, stand lange Zeit leer. Mittlerweile ist es jedoch komplett verschwunden. Genauso wie MG Rover an sich. •