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Er macht den Chueligurt

Brauchtum

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Als einer der letzten Sennensattler der Schweiz stellt Roger Dörig Hosenträger, Hundehalsbänder, Schellenriemen und die weltbekannten Chueligurte her – alles in Handarbeit. Wie es gelingt, traditionelles Handwerk am Leben zuerhalten, erzählt uns der Appenzeller im Gespräch.

Das «Büdeli» in Appenzell hat Roger Dörig von seinem Grossvater übernommen. In der Werkstatt, in der es aussieht wie noch vor 125 Jahren, bearbeitet der Sennensattler von Hand Leder und Metall. Hier sägt er aus Messing und Silberblech Kühe, Ornamente oder Sennen aus und ziseliert – also beschlägt – die Figuren. So entstehen prachtvolle Hosenträger, kunstvoll geschmückte Schellenriemen und reich verzierte Chueligurte. Die Produkte sind echte Kostbarkeiten: Ein handgefertigter Chueligurt kann bis zu 3’000 Franken kosten. In der Schweiz hat Kunsthandwerk eine lange Tradition. Gleichzeitig ist es vielerorts vom Aussterben bedroht.

Herr Dörig, was verbinden Sie mit Tradition?

Ich schätze es sehr, dass Tradition im kulinarischen, musikalischen und handwerklichen Bereich im Appenzell gelebt wird. Ich bin stolz, dass ich als Sennensattler eine Tradition am Leben erhalten kann. Gleichzeitig bin ich ein sehr offener Mensch, der gern ausprobiert. Ich verreise auch ein- bis zweimal im Jahr mit meiner Familie, an einen Ort, an dem mich niemand kennt. So kann ich mental etwas «auslüften» und schätze es dann umso mehr, wenn ich wieder zu Hause bin.

Ihre Offenheit zeigt sich auch in Ihrer Arbeit. Sie probieren gerne Neues und betreiben einen Onlinehandel. Gleichzeitig scheint in Ihrem Büdeli die Zeit stehen geblieben zu sein. Wie erleben Sie dieses Spannungsfeld?

Für mich ist es kein Spannungsfeld, denn ich habe eine klare Linie. Es gibt Produkte wie Hosenträger, bei denen ich sehr traditionell bin und bei den klassischen Motiven der Tracht bleibe. Davon rücke ich nicht ab. Im Gurtbereich probiere ich hingegen gern Neues aus. Ich fertige Gurte, die sich ums Motorradfahren oder Golfen drehen. Zudem gefällt es mir sehr, neue Produkte zu entwickeln. So verbinde ich Modernes mit Traditionellem.

Wir leben in unsicheren Zeiten. Hat Bewährtes da an Wichtigkeit gewonnen?

Bewährtes gewinnt seit der Globalisierung an Wichtigkeit. Bei Gesprächen mit meinen Kundinnen und Kunden stelle ich fest, dass ihnen immer wichtiger wird zu wissen, wer oder was hinter einem Produkt steht. Sie möchten keine Klischees, sondern Authentizität.

Wer sind Ihre Kundinnen und Kunden?

Ich habe Kunden jeden Alters, aus verschiedensten Ländern und aus allen Gesellschaftsschichten –

vom Schüler bis zur Unternehmerin. Ich schätze alle und behandle alle gleich.

Sie haben auch prominente Kundschaft.

Ja, das stimmt. Ich habe für Barack Obamas Hund Bo ein Halsband gefertigt. Für Wolfgang Niedecken, den Sänger der Band BAP, habe ich einen Gitarrengurt gemacht. Natürlich ehrt es mich, wenn ich weiss, dass eine solche Person eines meiner Stücke besitzt. Es ist mir aber nicht wichtig. Für mich ist das Schönste, wenn sich jemand über meine Arbeit freut – egal, wer es ist.

Welches ist Ihr persönliches Lieblingsstück?

Die erste Kuh, die ich gemacht habe. Bei ihrer Herstellung ist mir ein Fehlschlag passiert. Als ich sie meinem Grossvater zeigte, sagte er: Das spielt keine Rolle, so sieht man, dass sie handgemacht ist.

Wie sieht ein typischer Arbeitstag in Ihrer Werkstatt aus?

Mein Tag beginnt zwischen 6 und 6.30 Uhr. Zuerst nehme ich eine Arbeit zur Hand, auf die ich gerade Lust habe, und vertiefe mich darin. Dann widme ich mich den Bestellungen. Grundsätzlich sind meine Tage nicht sehr strukturiert. Ich entwerfe, schneide Leder zu, sticke, ziseliere und erledige Administratives. Spätestens um 18 Uhr gehe ich nach Hause, weil ich Zeit mit meiner Familie verbringen will.

Und was von alledem machen Sie am liebsten?

Das ist mit Abstand das Ziselieren. Wenn ich das Metall beschlage, kann ich meine Gedanken schweifen lassen. Das hat etwas Meditatives.

Wie hat sich Ihre Arbeit im Lauf der Zeit verändert?

Das Handwerk ist eigentlich gleich geblieben. Die Wünsche der Kunden und die Motive sind vielfältiger geworden. Mit dem Onlinehandel ist auch die Nachfrage gestiegen. Das ist natürlich toll, der Druck ist dadurch aber auch gewachsen.

Welchen Reiz hat es für Sie, trotz dieses stei- genden Drucks ein traditionelles Handwerk auszuüben?

Gerade in der heutigen schnelllebigen Zeit finde ich es wichtig, einen Gegenpol zu bilden und den Leuten aufzuzeigen, dass man auch mal auf etwas warten muss. Interessanterweise stört das meine Kundschaft gar nicht. Im Gegenteil: Viele haben nichts dagegen, sich gedulden zu müssen und Vorfreude zu haben.

Sie wollten eigentlich Skirennfahrer werden. Wie kam es, dass Sie nun doch die Familientradition weiterführen?

Eigentlich wollte ich weg aus Appenzell und die Welt sehen. Als Skirennfahrer war ich mit Bruno Kernen im Schweizer B-Kader, bis ich aufgrund einer Verletzung aufhören musste. Das war eine schwierige Zeit. In der Werkstatt meines Grossvaters bin ich immer schon ein und aus gegangen. Mit dem Ende meiner Skikarriere wuchs mein Interesse für seine Arbeit, und schliesslich brachte er mir das Handwerk bei. Heute bin ich überzeugt, dass alles so gekommen ist, wie es kommen musste. Sonst wäre ich nie zum Sennenhandwerk gekommen – auch weil es für diesen Beruf keine Ausbildung gibt.

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Was hat Ihnen Ihr Grossvater mit auf den Weg gegeben?

Er sagte immer: Bleib klein und allein. Das war nicht meine Philosophie. Ich wollte wachsen. Nach und nach habe ich aber verstanden, was er meinte. «Klein und allein» klingt zwar konservativ, aber es gefällt mir sehr. Ich habe direkten Kontakt mit meinen Kunden, kann innovativ sein und mich auf das Handwerk konzentrieren.

Denken Sie schon über Ihre Nachfolge nach? Gibt es Interessenten aus Ihrer Familie?

Meine Töchter sind 14 und 16 Jahre alt und finden das, was der Vater macht, gerade nicht so cool. Aber bei mir hat es ja auch etwas gedauert, bis das Interesse da war. Es kann also noch kommen.

Machen Sie sich keine Sorgen, dass das Sennenhandwerk aussterben könnte?

Es bringt nicht viel, mir jetzt schon den Kopf da- rüber zu zerbrechen, wie es in 20 Jahren weitergehen soll. Irgendwie bin ich sicher, dass die richtige Person die Tradition weiterführen wird. Vielleicht ist es eine meiner Töchter, vielleicht jemand anderes.

Was braucht es denn, dass solche Traditionen überleben?

Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Ein zentraler Punkt sind die Mietpreise. Es muss für Handwerker möglich sein, an einem attraktiven Standort etwas zu einem bezahlbaren Preis zu mieten. Daneben sollten sich Handwerker vermehrt vernetzen, um Synergien zu nutzen, gemeinsam Neues zu kreieren und sich gegenseitig zu helfen.

War diese Idee des Vernetzens der Grund, warum Sie das Zunfthaus in Appenzell gegründet haben?

Ja. Mit dem Zunfthaus möchte ich der traditionellen Arbeit Raum geben. Das Konzept funktioniert sehr gut. Zurzeit arbeiten im Zunfthaus eine Zinngiesserin, ein Schuhmacher, ein Fotograf, ein Schmied, eine Floristin, ein Zimmermann und ein Geigenbauer, teilweise realisieren sie gemeinsame Projekte. Das ist schön zu sehen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich möchte meinem Handwerk treu bleiben und noch etwas vermehrt kreativ tätig sein. Ausserdem würde es mir gefallen, längerfristig etwas zu entschleunigen und weniger zu produzieren.

Interview: Samantha Taylor Fotos: Selina Meier

Roger Dörig ist 1970 in Appenzell geboren und als Sennensattler eine Mischung aus Sattler und Goldschmied. 1994 hat er die 125-jährige Werkstatt von seinem Grossvater übernommen und betreibt diese in vierter Generation. Hosenträger, Hundehalsbänder, Schellenriemen oder Chueligurte verziert er mit Metallbeschlägen, die Motive aus dem Alltag der Sennen zeigen. Ein zentraler Teil ist das Ziselieren. Dabei werden die Metallteile mit Punzen und Hammer präzise bearbeitet und erhalten ihr traditionelles Aussehen.

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