6 minute read

Auf der letzten Reise

Next Article
DROPA Persönlich

DROPA Persönlich

«Die Trauer ist wie eine anspruchsvolle Dame. Sie will gehört, gesehen und verstanden werden.»

IN SCHWEREN ZEITEN

Stille Begleiterin

Bea Ramseier hat gemeinsam mit ihrem Mann und ihrem Bruder 2005 das Bestattungsunternehmen Ramseier & Iseli in Lenzburg gegründet. Im Interview erzählt sie uns, wie sie in ihrem Berufsalltag das Leben mit dem Tod vereint.

Frau Ramseier, haben Sie Angst vor dem Tod?

Nein, denn ich glaube daran, dass wir getragen und geführt werden – im Leben wie auch darüber hinaus.

Wie kamen Sie zu Ihrem heutigen Beruf?

Eigentlich war es eine Kurzschlussreaktion. Einer meiner Brüder ist Arzt. Für ihn habe ich lange Sekretariatsarbeiten von zu Hause aus verrichtet. Mit dem PC stand ich aber immer auf Kriegsfuss. Zudem fehlte mir der Austausch mit Menschen. Im Dezember 2004, als das System mal wieder nicht so wollte wie ich, kam mein anderer Bruder zu Besuch. Er hatte mir schon oft geraten, einen Bestattungsdienst aufzubauen. Das hatte ich mir bisher nicht zugetraut, doch an jenem Abend war mein Impuls stärker und ich sagte zu.

Wie ging es weiter?

Als Erstes wurde ein Leichenwagen angeschafft. In diesem Moment wusste ich, jetzt wird es ernst. Die Akquisition von Auftraggebern wie auch der gesamte Aufbau waren herausfordernd, aber auch interessant. In der Betreuung von Verstorbenen und Angehörigen fühlte ich mich von Anfang an wohl und daheim.

Welche Eigenschaften sollte man als Bestatterin mitbringen?

Für mich stehen Mitgefühl und Authentizität an vorderster Stelle. Einfühlen, spüren. Sich selbst treu bleiben und die Menschen gernhaben.

Wie erlernt man das nötige Handwerk?

Wir haben die Ausbildung mit eidgenössischem Abschluss beim Schweizerischen Bestatterverband absolviert. Das setzte einen dreijährigen ModulLehrgang und fünf Jahre Berufserfahrung voraus. Bei einem befreundeten Bestatter haben wir uns zusätzliches Wissen angeeignet und über «learning by doing» unseren eigenen Weg gefunden.

Was haben Sie in den Schulungen gelernt?

Das Bestatterhandwerk: wie man eine Starre löst oder was es für die hygienische Grundversorgung braucht. Wie man eine verstorbene Person anzieht. Auch administrative Abläufe oder welche Lieferanten es für Särge oder Urnen gibt, sind Teile der

Ausbildung. Für mich war aber nie das Zertifikat entscheidend, sondern das Gespür für Menschen.

Wer nimmt nach einem Todesfall Kontakt mit Ihnen auf?

Das ist ganz unterschiedlich. In den Altersheimen sind es die Familie oder das Pflegepersonal. Bei Unfällen und bei unbeaufsichtigten Todesfällen die Polizei. Wenn uns Private anrufen, leiten wir die nötigen Schritte ein. Der Arzt muss in jedem Fall verständigt werden, um den Tod und die Ursache zu klären und zu bezeugen.

Wie gehen Sie bei einem Todesfall vor?

Wir fragen zuerst nach dem Befinden der Angehörigen. Danach informieren wir uns über das Ableben und den Ort der Abholung. Wenn sich die Familie mit dem Abschied Zeit lassen möchte, treffen wir gemeinsam die nötigen Vorkehrungen. Eine Aufbahrung ist daheim oder in den entsprechenden Gemeinden möglich, aber auch in unseren Räumlichkeiten in Lenzburg. Wir möchten die Hinterbliebenen kompetent informieren: Was wird von der Gemeinde verlangt? Welche Form der Beisetzung ist möglich? Wir kümmern uns auch um Todesanzeigen, Trauerkarten, Blumenarrangements oder Grabreden. Das Wichtigste aber bleibt das Informieren. Niemand soll vergessen werden.

Wie schaffen Sie den Spagat zwischen mitfühlend und gleichzeitig professionell sein?

Das Ziehen von Grenzen ist nicht immer einfach. Es braucht einen «Schutzanzug», um die nötige Distanz zu wahren. Es geht darum, zu begleiten, aber nicht die Trauer der Hinterbliebenen zu übernehmen. Als Bestatterin bin ich in erster Linie ein Mensch, der zuhört und die Angehörigen unterstützt, um gemeinsam einen Abschied zu gestalten. Wenn ich glaube, dass jemand professionelle Hilfe braucht, vermittle ich gerne Fachpersonen.

Gibt es Momente, an die Sie sich nie gewöhnen? Ein Kind zu Grabe zu tragen, fällt enorm schwer. In solchen Momenten schimpfe ich laut mit denen da oben. Dann können auch bei mir Tränen fliessen.

Können Sie sich an ein spezielles Ereignis erinnern?

Ich erinnere mich an eine Mutter, die ihr dreimonatiges Baby durch Kindstod verloren hatte. Das Pflegeteam und die Polizei waren schon länger vor Ort, doch die Mutter wollte ihr Kind nicht loslassen. Beim Eintreffen erkannte ich schnell, dass hier etwas ins Stocken geraten war. Nach einer halben Stunde bin ich erneut ins Zimmer, habe mich vorgestellt und mich sachte neben sie gesetzt. Als wieder etwas Zeit vergangen war, fragte ich, ob ich ihr Kind halten dürfe. Warum sie mir ihr Baby gab, kann niemand erklären. Wir sassen lange nebeneinander und sie begann zu weinen und zu erzählen. Obwohl der Moment herzzerreissend war, konnte ich ihr die nötige Stärke und Kraft geben, um loszulassen. Wenn mir das gelingt, erfüllt es mich mit tiefer Dankbarkeit.

Worauf kommt es bei der Betreuung der Angehörigen an?

Wir geben den Hinterbliebenen die Zeit, die sie für ihren Abschied benötigen. Dass sich Hinterbliebene von den Verstorbenen verabschieden können, ist wichtig, um den Trauerprozess einzuleiten. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, sie kompetent zu begleiten. Wir fragen, hören zu und reagieren auf individuelle Bedürfnisse. Ich kann mich an eine

Gemeinsam mit ihrem Mann Hanspeter kümmert sich Bea Ramseier um die Anliegen und Wünsche der Hinterbliebenen.

Frau erinnern, die ihren Schmerz nicht zulassen wollte. Ihr Mann war im Spital verstorben. Als mein Mann und ich den Toten gegen 22 Uhr abholten, entschlossen wir uns kurzerhand, noch bei der Frau vorbeizufahren. Als sie ihren Mann ein letztes Mal erblickte, schossen die lange unterdrückten Tränen endlich hervor. Manchmal ist es nötig, dieses Ventil zu öffnen.

Wie schicken Sie die Verstorbenen auf ihre letzte Reise?

Wir haben ein Ritual. Wenn wir Verstorbene einbetten, geben wir ihnen drei Federn mit. Sie stehen für Glaube, Liebe und Hoffnung. Dazu sprechen wir ein Gedicht und ein paar Worte. Bevor wir die Verstorbenen den Hinterbliebenen ein letztes Mal zeigen, machen wir sie auf Wunsch der Angehörigen zurecht. Schminke verwende ich in der Regel ganz dezent. Welche Kleider gewünscht werden, klären wir zuvor mit den Familienmitgliedern ab. Und manchmal helfen die Hinterbliebenen auch beim Einkleiden mit.

Haben sich die Bedürfnisse für Bestattungen in den letzten Jahren geändert?

Wir stellen schon länger einen Trend weg von Friedhofsbestattungen hin zu privaten Beisetzungen fest. Corona hat diesen sicher verstärkt. Heute wird aber grundsätzlich mehr in der Natur bestattet: an Flüssen und Seen oder im Wald.

Woher holen Sie die Kraft für Ihre Arbeit?

In der Regel empfinde ich sie nicht als kräftezehrend. Sie gibt mir viel, ist abwechslungsreich und interessant. Kein Tag gleicht dem anderen. Daneben schöpfe ich viel Kraft bei meiner Familie und unserem Hund. Mit ihm gehe ich oft joggen. Auch Natur und Wald spenden mir Energie.

Was haben Sie aufgrund Ihres Berufs am meisten vom Leben gelernt?

Dass das Leben endlich ist. Die Kostbarkeit des Lebens ist mir zutiefst bewusst und ich empfinde grosse Dankbarkeit. Deshalb ist es mir auch wichtig, das zu tun, was mir Freude bereitet.

Was geniessen Sie in Ihrem Leben besonders?

Ruhe durch Malen, Lesen oder Meditation. Das Zusammensein mit meinen Kindern und Enkelkindern. Und natürlich das Reisen. Gut drei Jahre haben mein Mann und ich durchgearbeitet – jetzt wird es dann auch mal Zeit dazu.

Text: Sarah Schumacher Fotos: Fabian Hugo

Seit 2005 begleitet das Bestattungsunter‑ nehmen Ramseier & Iseli Hinterbliebene dabei, Verstorbene auf ihre letzte Reise zu schicken. Es führt im Schnitt 350 Bestat‑ tungen pro Jahr durch. Die heute 60‑jährige Bestatterin Bea Ramseier ist Mutter von vier erwachsenen Töchtern und sechsfache Grossmutter. ramseier-iseli.ch

This article is from: