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Bern bewegt gegen Rassismus
from BÄRN! 3 /2020
Text Luca Hubschmied, Journal B, Fotos Jana Leu www.janaleu.com
An die 4000 Personen demonstrierten Mitte Juni auf dem Bundesplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt. Die Bewegung Black Lives Matter hat die Schweiz und auch Bern erreicht, wo sich verschiedene Organisationen mit dem Thema auseinandersetzen.
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Als die Black-Lives-Matter-Demonstration am 14. Juni durch Bern zog, war an der Kramgasse 12 die an der Fassade prangende Statue der «Zunft zum Mohren» ausnahmsweise eingepackt. Schon vor sechs Jahren war die Repräsentationsfigur der Zunft zum Thema eines Vorstosses im Stadtrat geworden: Die SP-Stadträte Halua Pinto de Magalhães und Fuat Köçer forderten im Mai 2014, anhand der Figur solle geprüft werden, inwiefern rassistische Relikte noch dargestellt werden dürften oder allenfalls entfernt werden müssten. «Wir wollten damals eine Debatte anstossen über solche unhinterfragten Symbole im öffentlichen Raum», erklärt Halua Pinto de Magalhães, «auch wenn solche Diskussionen für mich oft ambivalent sind.» Einerseits eröffne dies Möglichkeiten, über tiefer liegende Themen wie Kolonialgeschichte zu sprechen, andererseits komme es bei identitätsstiftenden Symbolen oft zu Polemik und Abwehrreflexen, die von den Medien stark aufgegriffen würden.
Den Stammtisch umdeuten
Pinto de Magalhães, der während acht Jahren im Berner Stadtparlament sass, engagiert sich nicht nur auf politischer Ebene gegen Rassismus und Diskriminierung. Anfang 2016 gründete sich der Berner Rassismus Stammtisch aus einer losen Gruppe von Kolleg/ innen, die sich bei der Arbeit oder ihrem politischen Aktivismus mit Rassismus auseinandersetzen. Der Stammtisch trifft sich einmal monatlich, um sich zu vernetzen und Erfahrungen austauschen. Daneben bringt sich die Gruppe in öffentliche Debatten ein und organisiert Veranstaltungen. So zuletzt Anfang Juni auf der Berner Schützenmatte. Unter dem Titel «Arena der Vielen» fand eine Art Gegenstück zur viel kritisierten SRF-Arena statt. Eingeladen dazu hat der Berner Rassismus Stammtisch.
Nach wie vor gebe es viel aufzuarbeiten, gerade auch in Bern, sagt Pinto de Magalhães: «Wir sollten mehr darüber sprechen, was Berns Rolle im Kolonialismus und Frühkapitalismus war. Viele Strukturen, wie etwa die Burgergemeinde, sind ein heute noch existierendes Produkt dieser Zeit.»
Kontrolliert aufgrund der Hautfarbe
Dass ein Begriff wie Racial Profiling heute bekannt ist und diskutiert werden kann, ist unter anderem der Arbeit der «Allianz gegen Racial Profiling» geschuldet. Für grosses öffentliches Interesse sorgte der von der Allianz unterstützte Prozess um Mo Wa Baile, der sich 2015 bei einer Polizeikontrolle weigerte, seinen Ausweis zu zeigen. Er erlebte die Kontrolle als rassistisch motiviert und wehrte sich auf dem Rechtsweg gegen die erhaltene Busse. Der medial begleitete und viel dokumentierte Fall kam bis vors Bundesgericht, und nachdem dieses die Beschwerde abwies, zog Wa Baile sie weiter zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Dieser dürfte sich voraussichtlich Ende dieses Jahres damit befassen. «Mir geht es nicht darum, recht zu haben», sagt Wa Baile am Telefon, «aber mein Fall ermöglicht es, die Problematik des Racial Profiling öffentlich bekannt zu machen.» Die Allianz gegen Racial Profiling dokumentiert und unterstützt Gerichtsprozesse wie jenen von Wa
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Baile. Zudem veröffentlichte die Gruppe eine qualitative Studie zu Erfahrungen mit Racial Profiling in der Schweiz. «Darin zeigt sich, dass mein Erlebnis kein Einzelfall ist», erläutert Wa Baile, «manche schwarze Personen vermeiden Orte wie den Bahnhof als Treffpunkt oder kleiden sich bewusst schick, um nicht ins Visier der Polizei zu geraten.»
Sich gegen rassistisch motivierte Polizeikontrollen zu wehren, sei nicht für alle möglich, betont Wa Baile, etwa wenn es sich um Menschen ohne Papiere handle. Und einen Gerichtsprozess anzustrengen brauche viel Zeit, Geld und Energie. Es seien Hürden, die für viele zu gross sind, erklärt der Aktivist: «Wir wollen deshalb mit meinem Fall strategisch Druck aufbauen, denn die Bereitschaft der Polizei, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ist bisher kaum vorhanden.»
Die weissen Privilegien
Auf der Warmbächlibrache sitzt Marianne Naeff in der warmen Julisonne. Seit zwei Jahren ist sie Teil des «Kollektivs Kritisches Weisssein Bern». Die Gruppe trifft sich regelmässig, um sich mit eigenen weissen Privilegien auseinanderzusetzen und ein anti-rassistisches Bewusstsein zu schärfen. Naeff hat das Kollektiv mitgegründet und erinnert sich: «Die Idee entstand, als wir einen Critical Whiteness Workshop von Bla*Sh, einem Netzwerk schwarzer Frauen, besuchten, der sich an weisse Personen richtete. Wir haben sehr viel gelernt und wollten noch andere weisse Menschen zur Selbstreflexion anregen. Bei uns kam die Frage auf: Wie können wir die Energie von BIPoCs [Black, Indigenous, Person of Color] sparen und stattdessen die umfassende Literatur, die bereits existiert, verwenden und uns selbst mit dem Thema auseinandersetzen?» Von da an begann das Kollektiv, sich in regelmässigen Treffen mit dem eigenen Verhalten zu beschäftigen und Literatur zum Thema zu suchen und zu diskutieren. «In unserer Gesellschaft sind wir alle von Rassismus betroffen,» betont Marianne Naeff, «Rassismus hat uns alle dehumanisiert – einige leiden darunter, andere profitieren davon. Damit das System von Ausbeutung funktioniert, wurden weisse Menschen seit Jahrhunderten gefühllos gemacht, um nicht zu spüren, welche Unterdrückung wir aufrechterhalten. Der erste Schritt sollte daher das Erkennen sein, wie man selbst rassistisch geprägt ist.»
Journal B Die unabhängige Online-Zeitung aus Bern. Sie finanziert sich durch Mitglieder. www.journal-b.ch
Infos Stadt Bern Die Stadt Bern versteht die Bekämpfung von Rassismus als wichtigen Teil ihrer Integrationspolitik. Deshalb ist sie seit 2009 Mitglied der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus und setzt eine Reihe von Massnahmen gegen Rassismus und Diskriminierung um. Mehr Infos: www.bern.ch
Haben Sie einen rassistischen Vorfall erlebt oder beobachtet? Glauben Sie, rassistisch diskriminiert worden zu sein? Meldungen hier: www.gggfon.ch
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