Schubert-Woche
Kuratiert von / Curated by Thomas Hampson
THOMAS HAMPSON & WOLFRAM RIEGER Montag
24. Januar 20.00 Uhr
Johann Friedrich Reichardt (1752–1814) Der Musensohn (Goethe) Schäfers Klage (Goethe)
Carl Friedrich Zelter (1758–1832) Nähe des Geliebten (Goethe) Rastlose Liebe (Goethe)
Ludwig van Beethoven (1770–1827) An die ferne Geliebte Liederkreis nach Gedichten von Alois Jeitteles op. 98 I. Auf dem Hügel sitz’ ich spähend II. Wo die Berge so blau III. Leichte Segler in den Höhen IV. Diese Wolken in den Höhen V. Es kehret der Maien VI. Nimm sie hin denn diese Lieder
Franz Schubert (1797–1828) Einsamkeit D 620 (Mayrhofer) Lieder nach Gedichten von Ludwig Rellstab aus Schwanengesang D 957 I. Liebesbotschaft II. Kriegers Ahnung III. Frühlingssehnsucht IV. Ständchen V. Aufenthalt VI. In der Ferne VII. Abschied
Keine Pause Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen.
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THERESA PILSL & HARTMUT HÖLL Dienstag
25. Januar 20.00 Uhr
Theresa Pilsl Sopran Hartmut Höll Klavier
Fanny Hensel (1805–1847) Wanderlied op. 1 Nr. 2 (Goethe)
Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847) Die Liebende schreibt op. post. 86 Nr. 3 (Goethe) Suleika op. 34 Nr. 4 (Willemer/Goethe)
Franz Schubert (1797–1828) Das Mädchen D 652 (F. Schlegel) An die Nachtigall D 497 (Claudius)
Felix Mendelssohn Bartholdy Allnächtlich im Traume op. post. 86 Nr. 4 (Heine) Gruß op. 19a Nr. 5 (Heine) Pagenlied WoO 17 Nr. 2 (Eichendorff)
Franz Schubert An Silvia D 891 (Shakespeare) Heidenröslein D 257 (Goethe)
Fanny Hensel Warum sind denn die Rosen so blass op. 1 Nr. 3 (Heine)
Franz Schubert Erster Verlust D 226 (Goethe) Du liebst mich nicht D 756 (Platen) Lachen und Weinen D 777 (Rückert) Die Männer sind méchant D 866 Nr. 3 (Seidl) An den Mond „Geuß, lieber Mond“ D 193 (Hölty)
Felix Mendelssohn Bartholdy Der Mond op. post. 86 Nr. 5 (Geibel)
Fanny Hensel Die Mainacht op. 9 Nr. 6 (Hölty)
Franz Schubert Im Freien D 880 (Seidl)
Felix Mendelssohn Bartholdy Wenn zwei Herzen sich scheiden op. post. 99 Nr. 5 (Geibel)
Franz Schubert Auf dem Wasser zu singen D 774 (Stolberg)
Felix Mendelssohn Bartholdy Scheidend op. 9 Nr. 6 (Droysen)
Franz Schubert Abschied von der Erde D 829 (Pratobevera) Keine Pause Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen. 5
YOUNG SINGERS SUSAN ZARRABI & JEEYOUNG LIM mit GRAHAM JOHNSON Mittwoch
26. Januar 20.00 Uhr
Susan Zarrabi Mezzosopran Graham Johnson Klavier
Franz Schubert (1797–1828) Lied eines Kindes D 596 (unbekannt) Die Knabenzeit D 400 (Hölty) Über allen Zauber Liebe D 682 (Mayrhofer) Der Vater mit dem Kind D 906 (Bauernfeld) Schlaflied D 527 (Mayrhofer) Drang in die Ferne D 770 (Leitner) Lied „Mutter geht durch ihre Kammern“ D 373 (Fouqué) An den Schlaf D 447 (unbekannt) Totengräbers Heimwehe D 842 (Craigher) Wandrers Nachtlied I „Der du von dem Himmel bist“ D 224 (Goethe) Auf dem Wasser zu singen D 774 (Stolberg)
Jeeyoung Lim Bassbariton Graham Johnson Klavier
Franz Schubert Willkommen und Abschied D 767 (Goethe) Geheimes D 719 (Goethe) An Emma D 113 (Schiller) Abendstern D 806 (Mayrhofer) Des Mädchens Klage D 191 (Schiller) Alinde D 904 (Rochlitz) Am Grabe Anselmos D 504 (Claudius) Greisengesang D 778 (Rückert) Auf den Tod einer Nachtigall D 201 (Hölty) Der Zwerg D 771 (Collin) Wehmut D 772 (Collin) Der Jüngling und der Tod D 545 (Spaun)
Keine Pause Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen.
JUSSI JUOLA & GEROLD HUBER Donnerstag
27. Januar 20.00 Uhr
Jussi Juola Bassbariton Gerold Huber Klavier
Carl Loewe (1796–1869) Erlkönig op. 1 Nr. 3 (Goethe) Herr Oluf op. 2 Nr. 2 (Herder) Edward op. 1 Nr. 1 (Herder)
Franz Schubert (1797–1828) Romanze des Richard Löwenherz D 907 (Scott)
Carl Loewe Heinrich der Vogler op. 56 Nr. 1 (Vogl) Prinz Eugen, der edle Ritter op. 92 (Freiligrath)
Franz Schubert Romanze D 114 (Matthisson) Ballade D 134 (Kenner)
Carl Friedrich Zelter (1758–1832) Der König in Thule (Goethe) Berglied (Schiller)
Franz Schubert Der Alpenjäger D 588 (Schiller)
Carl Friedrich Zelter Einsamkeit (Harfenspieler I) Harfenspieler II Klage (Harfenspieler III) (Goethe)
Franz Schubert Der Wanderer an den Mond D 870 (Seidl) Der Wanderer „Wie deutlich des Mondes Licht“ D 649 (F. Schlegel) Der Pilgrim D 794 (Schiller) Der Wanderer „Ich komme vom Gebirge her“ D 489 (Schmidt von Lübeck)
Keine Pause Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen.
Öffentlicher Workshop Freitag
28. Januar 15.00 Uhr
Julia Duscher Sopran Katrīna Paula Felsberga Sopran Isabel Weller Sopran Ekaterina Chayka-Rubinstein Mezzosopran Beatriz Miranda Mezzosopran Zhuohan Sun Tenor Yuriy Hadzetskyy Bariton Giacomo Schmidt Bariton Elitsa Desseva Klavier Teodora Oprisor Klavier Rebeka Stojkoska Klavier Jong Sun Woo Klavier Thomas Hampson Künstlerische Leitung
In Zusammenarbeit mit der Lied-Akademie des Internationalen Liedzentrums Heidelberg und der Hampsong Foundation
Der Workshop wird per Videostream live übertragen. boulezsaal.de • heidelberger-fruehling.de • hampsongfoundation.org
SAMUEL HASSELHORN & JOSEPH MIDDLETON Freitag
28. Januar 20.00 Uhr
Samuel Hasselhorn Bariton Joseph Middleton Klavier
Franz Schubert (1797–1828) Der Zwerg D 771 (Collin) Sehnsucht „Ach, aus dieses Tales Gründen“ D 636 (Schiller) An den Mond in einer Herbstnacht D 614 (Schreiber) Glaube, Hoffnung und Liebe D 955 (Kuffner) Rastlose Liebe D 138 (Goethe) Der blinde Knabe D 833 (Cibber) Am Tage Aller Seelen D 343 (Jacobi) Erlkönig D 328 (Goethe) Auf dem Wasser zu singen D 774 (Stolberg) Des Fischers Liebesglück D 933 (Leitner) Lied eines Schiffers an die Dioskuren D 360 (Mayrhofer) Totengräbers Heimwehe D 842 (Craigher) Nacht und Träume D 827 (Collin) Abschied „Über die Berge zieht ihr fort“ D 475 (Mayrhofer)
Keine Pause Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen.
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Öffentlicher Workshop Samstag
29. Januar 15.00 Uhr
Julia Duscher Sopran Katrīna Paula Felsberga Sopran Isabel Weller Sopran Ekaterina Chayka-Rubinstein Mezzosopran Beatriz Miranda Mezzosopran Zhuohan Sun Tenor Yuriy Hadzetskyy Bariton Giacomo Schmidt Bariton Elitsa Desseva Klavier Teodora Oprisor Klavier Rebeka Stojkoska Klavier Jong Sun Woo Klavier Thomas Hampson Künstlerische Leitung
In Zusammenarbeit mit der Lied-Akademie des Internationalen Liedzentrums Heidelberg und der Hampsong Foundation
Der Workshop wird per Videostream live übertragen. boulezsaal.de • heidelberger-fruehling.de • hampsongfoundation.org
CHRISTIANE KARG & GEROLD HUBER Samstag
29. Januar 20.00 Uhr
Christiane Karg Sopran Gerold Huber Klavier Jörg Widmann Klarinette
Franz Schubert (1797–1828) Iphigenia D 573 (Mayrhofer) Thekla – Eine Geisterstimme D 595 (Schiller) Klaglied D 23 (Rochlitz) Gretchen am Spinnrade D 118 (Goethe) Klage der Ceres D 323 (Schiller) Morgenlied „Eh die Sonne früh aufersteht“ D 685 (Werner) Der Schmetterling D 633 (F. Schlegel) Die Forelle D 550 (Schubart) Frühlingsglaube D 686 (Uhland) Die Rose D 745 (F. Schlegel) Herbstlied D 502 (Salis-Seewis) Abendlied „Groß und rotentflammet“ D 276 (Stolberg) Abends unter der Linde D 235 (Kosegarten) An die untergehende Sonne D 457 (Kosegarten) Der Hirt auf dem Felsen D 965 (Müller / Varnhagen von Ense)
Keine Pause Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen.
Workshop-Abschlusskonzert Sonntag
30. Januar 15.00 Uhr
Thomas Hampson Künstlerische Leitung
Franz Schubert (1797–1828) Ausgewählte Lieder Das detaillierte Konzertprogramm wird kurzfristig bekanntgegeben.
In Zusammenarbeit mit der Lied-Akademie des Internationalen Liedzentrums Heidelberg und der Hampsong Foundation
Das Abschlusskonzert wird per Videostream live übertragen. boulezsaal.de • heidelberger-fruehling.de • hampsongfoundation.org
MARIE SEIDLER & WOLFRAM RIEGER Sonntag
30. Januar 20.00 Uhr
Marie Seidler Mezzosopran Wolfram Rieger Klavier
Johann Rudolph Zumsteeg (1760–1802) Thekla (Schiller)
Franz Schubert (1797–1828) Gesang der Norna D 831 (Scott) Iphigenia D 573 (Mayrhofer) Alinde D 904 (Rochlitz)
Antonio Salieri (1750-1825) Der Zufriedene (Reissig)
Franz Schubert Der blinde Knabe D 833 (Craigher)
Carl Loewe (1796-1869) Der heilige Franziskus op. 75 Nr. 3 (Wessenberg)
Franz Schubert Am Grabe Anselmos D 504 (Claudius)
Carl Loewe Edward op. 1 Nr. 1 (Herder)
Franz Schubert Mignon „Kennst du das Land“ D 321 Lied der Mignon I „Heiß mich nicht reden“ D 877 Nr. 2 Lied der Mignon II „So lasst mich scheinen“ D 877 Nr. 3 (Goethe)
An Mignon D 161b (Goethe) An die Entfernte D 765 (Goethe) Dass sie hier gewesen D 775 (Rückert) Romanze „Der Vollmond strahlt“ D 797 Nr. 3 (Chézy) Atys D 585 (Mayrhofer) Der Zwerg D 771 (Collin) Meeres Stille D 216 (Goethe) Gruppe aus dem Tartarus D 583 (Schiller)
Keine Pause Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen.
Herberge der Romantik Lieder von Schubert und seinen Zeitgenossen
Ker stin Schüssler-Bach
Tagelanges Schwelgen Johann Rudolph Zumsteeg Mag es angesichts der überreichen Fülle von Franz Schuberts Liedschaffen auch manchmal so scheinen – vom Himmel gefallen ist seine Gabe nicht. Als der elfjährige Sängerknabe ins k.k. Stadtkonvikt, das Internat der Wiener Hofkapelle, aufgenommen wurde, wo er sich vor der strengen Erziehung in die Musik flüchtete und sich rettungslos in ihr verlor, standen neben geistlichen Werken auch Balladen von Johann Rudolph Zumsteeg auf dem Lern programm. Der schwäbische Mitschüler Friedrich Schillers, heute nur noch wenigen bekannt, war um die Wende zum 19. Jahrhundert ein populärer Lied- und Opernkomponist. Zumsteegs ausufernde, teils fast halbstündige Balladen beeindruckten den schwärmerischen jungen Schubert sehr: Er könne „tagelang in diesen Liedern schwelgen“, gestand er dem Freund Josef von Spaun. Und so folgte er Zumsteegs Spuren, seinen musikalisch-dramatischen Erzählungen und emotionalen Stimmungsbildern, zunächst ganz buchstäblich: Dem ersten erhaltenen Lied des 14-jährigen Komponisten liegt ein bereits von Zumsteeg vertonter Text zugrunde. Auch später ließ sich Schubert nicht davon abhalten, ein von seinem frühen Vorbild in Musik gesetztes Gedicht erneut zu wählen. Unter dem Titel Des Mädchens Klage legte er gleich drei Versionen von
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Schillers Gedicht Der Eichwald brauset vor, das Zumsteeg bereits als Thekla vertont hatte. (Schiller verwendete den Text, zuerst in seinem Musen-Almanach veröffentlicht, auch im zweiten Teil der Wallenstein- Trilogie, wo das Gedicht von Thekla, der Tochter des Titelhelden, gesungen wird.) Zumsteegs Vertonung, die im Rahmen der diesjährigen Schubert-Woche zu hören ist, erschien 1801 bei Breitkopf & Härtel in der Sammlung Kleine Balladen und Lieder. Das kurze Klaviervorspiel beginnt ausdrucksstark mit schwebenden Synkopen, verliert sich dann aber mit seinen Verzierungen etwas im Gefälligen. So scheint es zumindest unseren romantisch geschulten Ohren – Zumsteegs im 18. Jahrhundert aufgewachsene Hörerinnen und Hörer mögen darin vielleicht eher das Vokabular des ihnen vertrauten empfindsamen Stils entdeckt haben. Genau diese historische Hör erfahrung ist es, die die Rezeption vor-Schubert’scher Lieder für uns nicht immer ganz einfach macht. Wie leicht wäre es, in ihnen die psychologische Tiefe der Romantiker zu vermissen. Wenn die Gesangslinie Theklas aber am Schluss die Triolenfigur des Vorspiels aufgreift, verleiht Zumsteeg dieser rhetorischen Figur profunde Bedeutung: als geradezu ekstatischem Ausruf der Lebensbeichte „Ich habe genossen das irdische Glück!“ „Unser aller Großpapa“ Antonio Salieri Neben Zumsteegs Einfluss wurde der junge Franz Schubert ganz direkt durch den Wiener Hofkapellmeister Antonio Salieri geprägt, bei dem er 1812 Kompositionsunterricht erhielt, was durchaus als besondere Auszeichnung galt. Salieri war zu dieser Zeit bereits über 60 Jahre alt, so dass ihn der 15-jährige Konviktzögling mit Recht als „unser aller Großpapa“ verehren konnte. Salieri machte seinen hochbegabten Schüler mit den Partituren des eigenen Lehrers Gluck bekannt, ließ ihn aber auch in seinen großen Erfahrungsschatz als Komponist für die menschliche Stimme blicken. Denn der später in der populären Wahrnehmung (und historisch unzutreffend) zum „Rivalen Mozarts“ stilisierte Salieri war nicht nur ein vielgespielter Opernkomponist, sondern hatte in Wien auch eine erfolgreiche Gesangsschule aufgebaut. Für pädagogische Zwecke und zum Vortrag im privaten Kreis schrieb er etliche schlichte Kanzonen, meist auf Italienisch und in unkompliziertem, anmutigem Tonfall. Zu seinen wenigen Liedern auf deutsche Texte
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zählt das erstmals 1816 erschienene (aber wohl früher entstandene) Der Zufriedene. Mit seiner frischen Melodie und munteren Sechzehntel-Begleitung atmet das Stück eine heitere Behaglichkeit. Gut möglich, dass Schubert Salieris Vertonung bereits kannte, als er sich das Gedicht von Reissig 1815 selbst vornahm und ebenfalls als heiteres Lied in zwei Strophen komponierte. Salieris erster Biograf Ignaz von Mosel beschreibt dessen Lieder als „theils liebliche, theils launige kleinere Gesangstücke“, die „mancher Gesellschaft von gebildeten Musikfreunden zur ange nehmen Unterhaltung aus dem Stegreife dienen, da sie leicht auszuführen sind, und keine Ansprüche weder auf ungewöhnlichen Stimmen-Umfang, noch auf besondere Kehlenfertigkeit machen“. Damit umreißt Mosel zugleich die Funktion, die das Lied vor Schubert im Wesentlichen einnahm – an den konzertmäßigen Vortrag im repräsentativen Rahmen dachte man damals kaum. „Humane Seelenlieder“ Die Berliner Liederschule mit Schulz, Reichardt und Zelter Doch es gab bereits Tendenzen, die Gattung aus dem rein g esellig-gefälligen Ambiente herauszulösen und in einen höheren Kunstanspruch zu überführen. Die Pflege dieses Liedverständnisses war an das bürgerlich-städtische Musikleben gekoppelt, weshalb sie in Berlin, der geistigen Metropole der Aufklärung, zunächst intensiver und ernsthafter betrieben wurde als im vom Adel dominierten Wien. Die Blüte der beiden „Berliner Liederschulen“ mit ihren Vertretern von Carl Philipp Emanuel Bach über Johann Abraham Peter Schulz und Johann Friedrich Reichardt bis zu Carl Friedrich Zelter legt mit der Orientierung am „Volkston“ davon ein beredtes Zeugnis ab. Vor allem die zweite Berliner Liederschule mit ihren Protagonisten Schulz und Reichardt strebte nach einer vertieften Durchdringung des Textes. Schulz formte die Melodie aus dem Sprachduktus heraus: Bei einer Vertonung müsse sie sich der Deklamation „wie ein Kleid dem Körper“ anschmiegen, verlangte er in seinen Beiträgen zu Johann Georg Sulzers Allgemeinen Theorie der Schönen Künste. Nur dadurch erhalte das Lied „den Schein des Ungesuchten, des Kunstlosen, des Bekannten, mit einem Wort den Volkston, wodurch es sich dem Ohre so schnell und unaufhörlich zurückkehrend einprägt.“ Auf unvergängliche Weise gelungen ist Schulz die Verwirklichung dieses ästhetischen Ideals in
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seinem Lied Der Mond ist aufgegangen, dessen Popularität seinen Schöpfer längst vergessen gemacht hat. Mit rund 1500 Liedern steuerte Johann Friedrich Reichardt mehr als doppelt so viele Werke zur Gattung bei als Schubert. Anders als Schulz beschränkte er sich nicht auf die Forderung nach Volkstümlichkeit und Natürlichkeit, sondern bezog in sein Liedschaffen ganz verschiedene stilistische Einflüsse ein. Reichardts bleibende Bedeutung manifestiert sich in einem gesteigerten literarischen Anspruch: Er war mit Goethe, Schiller, Moses Mendelssohn und Herder persönlich bekannt und vertonte als Erster eine größere Anzahl von Gedichten Goethes. Vor allem aber machte Reichardt seinen Wohn ort auf Gut Giebichenstein bei Halle zu einem geistigen Zentrum der literarischen Frühromantik: Hier gingen Novalis, Tieck, Brentano, Schlegel, Schleiermacher, Jean Paul, Arnim, die Grimms und Fichte ein und aus. Die Ehrennamen „Herberge der Romantik“ oder „Reichardts Garten“ beschwören die Aura dieses „Dichter paradieses“, das in seiner Verschmelzung von landschaftlichem Reiz, Gartenkunst und Gastlichkeit der poetischen Seele Nahrung bot. In diesem märchenhaften Ambiente entwickelte Reichardt, der selbst eine schöne Tenorstimme besaß und sich als „Singekomponist“ bezeichnete, eine expressive Kunst, die er „humanes Seelenlied“ nannte. Die Pforte zum romantischen Stimmungslied war aufgetan – zumal, wenn Reichardt und seine musikalischen Töchter ihre Gäste mit Gartenkonzerten bezauberten. Letzter Vertreter der Berliner Liederschule war Carl Friedrich Zelter, heute vor allem durch seine enge Freundschaft mit Goethe bekannt. Mit der Berliner Liedertafel gründete er zudem eine wichtige Einrichtung für die Institutionalisierung der bürgerlichen Musikpflege. Zelters Ausdruckshorizont reicht vom schlichten Strophenlied bis zum opernhaften Koloraturgesang, und seine Breitenwirkung ist nicht zu überschätzen. Die Nachwelt hat es ihm nicht recht verziehen, dass der Weimarer Dichterfürst seine Ver tonungen so überaus schätzte, während er das ihm in tiefer Verehrung übersandte Paket mit Schuberts Kompositionen offenbar ungeöffnet wieder zurückgehen ließ. Dafür ist Zelter kaum verantwortlich zu machen, auch wenn er Goethes musikalischen Geschmack nicht eben herausforderte. Seine rund 200 publizierten Lieder sind zweifellos von uneinheitlicher Qualität – und die Goethe-Vertonungen wie Gretchen am Spinnrade, Erlkönig oder Der Sänger lassen sich angesichts von Schuberts Geniestreichen kaum vorurteilsfrei betrachten.
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Von Goethe überhört Schuberts Erlkönig und Mignon-Lieder Goethe bevorzugte das einfache Strophenlied, während das „Durchcomponieren“ nach seinem Verständnis „den Eindruck des Ganzen durch vordringende Einzelheiten zerstören“ würde. So hätte er das ihm nach Weimar geschickte Liederheft Schuberts wohl eher irritiert zur Kenntnis genommen. Im Programm dieser Schubert-Woche sind nicht nur einige der populärsten Goethe- Vertonungen des Komponisten wie Erlkönig und die Lieder der Mignon aus Wilhelm Meisters Lehrjahre enthalten, sondern auch weniger Bekanntes wie Meeres Stille. Die „vordringenden Einzelheiten“, die Goethe monierte, brechen sich in ihnen radikal erschütternd Bahn. Als selbst die Freunde beim ersten Hören des Erlkönig über eine „mehrmals wiederkehrende Dissonanz“ diskutierten, erklärte ihnen der alte Hoforganist Wenzel Ruzicka, „sie auf dem Klavier anschlagend, wie selbe hier notwendig dem Text entspreche, wie schön sie vielmehr sei“, berichtet Spaun. Die Sicherheit, mit der der 18-jährige Schubert die Fieberphantasien des Kindes und die einschmeichelnde Verführungskraft des Erlkönigs in einem wahren Höllengalopp erfasste, ist geradezu spektakulär. Immer höher schraubt sich angstvoll der Gesang, immer lockender tänzelt der Rhythmus des Erlkönigs, bis die in Triolen dahinrasende Bewegung des nächtlichen Ritts zum plötzlichen Stillstand kommt. Ein fast lakonisches Rezitativ kündet vom Tod des Kindes und zieht den brutalen Schlussstrich. Die unerhörte, dramatisch durchgeformte Struktur der Ballade überholt die Zumsteeg’schen Vorbilder mit Siebenmeilenstiefeln. Selbst Mignons so harmlos beginnendes Strophenlied Kennst du das Land wird plötzlich von der eigenen, sehnsüchtigen Emphase hingerissen: „Dahin, dahin!“ wiederholt sie unablässig, sich selbst in visionärer Entrückung den Weg weisend, in der dritten Strophe in Moll abgedunkelt. An Mignon erinnert in seiner rollenden Sechzehntel-Bewegung und der Führung der Sing stimme zunächst an das viel später komponierte Lied Am Feierabend („Hätt ich tausend Arme zu rühren“) aus der Schönen Müllerin, verlässt anders als dieses die Strophenform aber nicht. Dafür wird die scheinbar gleichmäßige Gestaltung mit Tonartenwechseln und harmonischen Ausweichungen unterlaufen, wird das ausdrucksvolle Mitleiden der „Schmerzen im Herzen“ musikalisch umgesetzt. Die beiden Lieder der Mignon Heiß mich nicht reden und So lasst mich scheinen beleuchten den unergründlichen Charakter des Mädchens aus Wilhelm Meister: Sparsam und intim in der Faktur, im konzent23
rierten Spätstil – soweit man bei einem 29-Jährigen davon sprechen mag –, verweigern die 1826 entstandenen Kompositionen jegliche dekorative Wirkung. Mit der Schlichtheit eines Chorals und der Eindringlichkeit einer Totenglocke verlässt Mignon diese Welt. Kurze Dur-Aufhellungen leuchten auf wie Erinnerungen an Verlorenes oder nie Erlangtes. Die einst so brennende Sehnsucht weicht einer resignativen Müdigkeit. „Ein Prachtlied“ Schubert und Vogl Schuberts Talent, Freundschaften zu schließen, ist legendär. Musikalisch huldigte er dem Ideal im Lied eines Schiffers an die Dioskuren: Die beiden Dioskuren („Söhne des Zeus“) sind die Sterne Castor und Pollux, die den Seemann auf nächtlicher Fahrt behüten. Als unzertrennliche Zwillinge gingen sie in die Mythologie ein, denn der unsterbliche Pollux will nicht von seinem sterblichen Bruder Castor lassen. So halten sie sich abwechselnd im Totenreich des Hades und im Olymp bei den Göttern auf. Schuberts ruhig dahingleitende Vertonung ist vom Vertrauen und der Zuversicht auf die Schutzgötter geprägt, die auch ein leiser Wasserwirbel in der dritten Strophe nicht trüben kann. Als der 20-jährige Komponist dem berühmten und von ihm verehrten Hofopernsänger Johann Michael Vogl endlich einige Lieder vorspielen durfte – Freund Schober bereitete mühevoll die Bahn – war es dieses Lied gewesen, das Vogl ganz für ihn einnahm. Spaun berichtet, wie Vogl erklärte, „es sei ein Prachtlied und geradezu unbegreiflich, wie solche Tiefe und Reife aus dem jungen kleinen Mann kommen könne.“ Mit seiner langen Bühnenerfahrung, die den Bariton nun im Herbst seiner Karriere dem Lied entgegenführte, erfasste Vogl die inneren Dimensionen von Schuberts Tonsprache. Spaun erzählt weiter: „Bei dem Weggehen klopfte er Schubert auf die Schulter und sagte ihm: ‚Es steckt etwas in Ihnen, aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Charlatan. Sie verschwenden Ihre schönen Gedanken, ohne sie breit zu schlagen‘“. Obwohl Vogl fast 30 Jahre älter war, entspann sich zwischen dem hünenhaft groß gewachsenen Sänger und dem mehrere Köpfe kleineren Komponisten eine ungleiche, aber herzliche Freundschaft. Bald trat Vogl für Schuberts Lieder ein, sowohl aktiv als Sänger auf der Bühne wie auch als Fürsprecher und nach Schuberts Tod als Nachlassverwalter und Herausgeber.
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Zu den Liedern, die Schubert mit Vogls Stimme im Hinterkopf schuf und ihm widmete, zählt Am Grabe Anselmos, 1816 nach einem Gedicht von Matthias Claudius komponiert und vier Jahre später als einer der „Lieblingsgesänge“ Vogls veröffentlicht. Besonderen Wert legt Schubert hier auf die musikalische Gestaltung des dreifach wiederholten „mein Schmerz“ – eine Stimmung, die sich schon im schwermütigen Klaviervorspiel ankündigt. Überhaupt versteht er sich auf das Evozieren von Trauer und Todesgedanken, klammert dabei aber Pathos und Wehleidigkeit aus, ja findet immer wieder Töne des Trostes und der Hoffnung auf Erlösung im Tode. Diese Disposition bezeugen Lieder wie Klaglied (das erste überlieferte Strophenlied des Konviktschülers), Klage der Ceres (eine ausgedehnte Szene nach Schiller, in der die Göttin der Fruchtbarkeit den Tod ihrer Tochter Proserpina betrauert) oder Totengräbers Heimwehe (dessen finstere Gewalt und abschließende Transzendenz Dietrich Fischer-Dieskau einen „Ausdrucks-Gefährten der Symphonien Bruckners“ nennt). Niemand hat diese Eigenart der Ambivalenz von Licht und Schatten besser charakterisiert als der Komponist selbst. In seiner kurzen Erzählung Mein Traum findet sich die berühmten Passage: „Wollte ich Liebe singen, ward sie mir zum Schmerz. Und wollte ich wieder Schmerz nur singen, ward er mir zur Liebe.“ Schuberts Traum-Erzählung endet in „innerer Andacht und festem Glauben“, in einer Entrücktheit der „ewigen Seligkeit“. Diese Ruhe zum Tode verströmt sich in einem der innigsten Schubert- Lieder, Am Tage Aller Seelen, einem Legato-Bogen von gebetshafter Schlichtheit. Mit seinen sacht die Schwingen ausbreitenden Doppelschlagfiguren streift der Gesang das reine Ornament ab und weist schon in die Entgrenzung der unendlichen Melodie mit ihrer Überdehnung von Zeit und Raum. „Die vollendet süßen Traum, / Lebenssatt, geboren kaum“, wie es in den Versen des Anakreontikers Johann Georg Jacobi heißt. Ein Lied, das in einem Lieblingswort der Romantik aufgeht: Unendlichkeit. Die Ausweitung des Seelen- und Tonraums gelingt Schubert nicht nur durch die Verdichtung nach innen. Immer wieder experimentiert er mit ausgedehnten Formen, wie in der Szene für Sopran, Klarinette und Klavier Der Hirt auf dem Felsen. Diese im Todesjahr 1828 entstandene Komposition auf einen Text von Wilhelm Müller und Karl Varnhagen von Ense beginnt ganz naturhaft-idyllisch, beschwört mit Kuhreigen-Imitation und Echowirkung pastorales Flair herauf, wendet sich dann zum mollgefärbten Ausdruck von
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Sehnsucht und Hoffnungslosigkeit, um überraschend in einer fröhlichen Anrufung des Frühlings zu enden – eine opernhafte, brillante Cabaletta, wie sie der Auftraggeberin Anna Milder-Hauptmann, einer gefeierten Bühnendarstellerin (und Beethovens erster Leonore), wohl gefallen haben dürfte. Leider erhielt sie die Noten erst nach Schuberts Tod, so dass die Uraufführung – wieder durch Vermittlung von Johann Michael Vogl – postum stattfand. „Sie setzen mich über ihren besten Schubert“ Carl Loewe und die Ballade Nicht direkt ins Opernhafte, gewiss aber ins Dramatisch- Theatralische spielen die großen Balladen Schuberts. Von seiner Anknüpfung an die Vorbilder Zumsteegs war bereits die Rede. Mit Carl Loewe findet sich ein auf diesem Feld ebenbürtiger Kollege. Vor allem das Dämonische war Loewes Domäne. Nur zwei Monate älter als Schubert, wurde er noch von Reichardt persönlich auf Giebichenstein gefördert und legte, nach einem Theologiestudium, bei Zelter seine Prüfung zum Kirchen- und Schulmusiker ab. Zu diesem Zeitpunkt hatte Loewe, selbst ein ausgezeichneter Sänger, einige seiner besten Balladen bereits geschrieben, wie den 1818 entstandenen Edward, die erste Nummer seines Opus 1. In seinen Werken treffen ein dramatischer Zug und eine Begabung für koloristische Effekte aufeinander, um das „Mysteriöse, Geheimnisvolle“, das Goethe als Charakteristikum der Ballade hervorhob, zur plastischen Wirkung zu bringen. Tonmalerisch folgen seine Vertonungen dem Handlungsverlauf, bewahren aber durch Motive und Strophen relikte Form und Orientierung. Edward ist hierfür das beste Beispiel: Kontrastreich stehen sich das angstvolle Flehen der Mutter und die grimmige Entschlossenheit ihres Sohnes gegenüber, was der Sängerin oder dem Sänger Gelegenheit zu dankbarer Profilierung gibt. Die beiden Pointen des blutigen Textes, von Johann Gottfried Herder aus dem damals beliebten Fundus schottischer Legenden nachgedichtet, kostet Loewe triumphal aus: das Geständnis des Vatermords mit plötzlichem Tonartenwechsel und dramatischem Tremolo im Klavier und schließlich die Enthüllung, dass die Mutter selbst ihn zu dieser Tat aufforderte, mit rasenden, gegenläufigen Arpeggien. Das Stammeln und Stocken der Mutter ist mit pausenzerrissener, schockstarrer Deklamation geradezu körperlich beklemmend spürbar. Sie täuscht ihr aus Unwissenheit geborenes
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Entsetzen jedoch nur vor, denn wie der Schluss verrät, wissen beide Figuren von Anfang an um die Anstiftung zum Mord – ein musikalisch-psychologisches Meisterstück. Loewes spätere Balladen zeigen eine verstärkte Neigung zum Sentimentalen, Beschaulich-Biedermeierlichen. In Der heilige Franziskus von 1837, einer seiner „musikalischen Legenden“, zirpt zierlich die Grille zum Gotteslob und zur Freude des tierlieben Heiligen – mit einer naiv leuchtenden Frömmigkeit, wie sie dem 46 Jahre lang als Kantor in Stettin wirkenden Loewe auch persönlich zu eigen gewesen sein muss. Und wie sehr der „pommersche Balladenkönig“ in der italienischen Oper zuhause war, zeigt die melodische Eleganz von Meeresleuchten, dessen Ornamente von Vincenzo Bellini stammen könnten. Loewe wurde 1820 in Jena zuteil, was Schubert vergeblich ersehnte: die Aufmerksamkeit, ja die persönliche Begegnung mit Goethe. Freundlich empfing der Olympier den Studenten, der ihm seine Vertonung des Erlkönig vorsingen wollte, was daran scheiterte, dass kein Klavier verfügbar war. Eifersüchtig verhinderte Goethes Intimus Zelter dann, dass es zu näherer Beschäftigung mit Loewe kam: Der „junge Mann“ sei zwar „weder ohne Wissen noch ohne Geschick“, doch die beigelegten Kompositionen Loewes leitete Zelter nicht weiter. Stattdessen belehrte Zelter ihn, der heilige Text sei wirkungssüchtigen Komponisten wie ihm „nur ein Faden, ein Draht, seine Puppen daran zu hängen“. Mehr als 50 Goethe-Ver tonungen – darunter Der Schatzgräber mit seinem jähen Umschlag vom teuflisch-wütenden Graben bis zur lichten Erscheinung der neuen Lebensmaxime – schrieb Loewe, der in Verbindung mit Goethes Familie blieb und eine besonders herzliche Beziehung zu dessen komponierendem Enkel Walther unterhielt. Von Schuberts Liedern hatte Loewe natürlich Notiz genommen, und da er ihn um 41 Jahre überlebte, konnte er auch noch dessen postumen Ruhm erleben. Selbstbewusst meldete er 1844 nach einem Konzert in Wien: „Ich kann nicht wenig stolz darauf sein, dass mein Erlkönig hier so zündet, da das Wiener Publikum mit dem Schubertschen groß geworden ist.“ Loewe bemühte sich, den Erfolg zu objektivieren: „Es ist, als ob die Wiener bei meinen Sachen wie in einen Zauberkreis gebannt wären. Sie setzen mich über ihren besten Schubert.“ Zum „besten Schubert“ gehört gewiss die Ballade Der Zwerg. Komponiert um 1822/23, stammt sie aus einer Phase, in der Schuberts gesundheitliche Probleme massiv zunahmen und sich depressive
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Stimmungen einstellten. Todessehnsüchtige Lieder entfließen der Feder des erst 26-Jährigen. In Der Zwerg portraitiert er gleich zwei Todgeweihte: die junge Königin, die sich „wahrlich gerne“ aufs Sterben vorbereitet, und den Zwerg, der sich nach ihr verzehrt und sie doch aus Eifersucht ermordet. Die schauerliche Stimmung wird im Klavier durch das klopfende Viertonmotiv im Bass und das durchgehende Tremolo der rechten Hand vorangetrieben. Für die Singstimme besteht die gestalterische Herausforderung im Rollenwechsel zwischen dem anteilnehmenden Erzähler, der todgeweihten Königin und dem von Leidenschaft überwältigten Zwerg. Und in aller düsteren Entschlossenheit schleudert der liebende Mörder den zweifach wiederholten Ruf heraus: „Jetzt weckt dein Sterben einzig mir noch Freude.“ Ein plötzlicher Ruck nach Dur untermalt dieses trügerische Aufleuchten eines Glücksversprechens, an das der am Leben Verzweifelte selbst nicht mehr glaubt. Da ist er wieder, dieser Schubert’sche Moment, der sich in fast jedem seiner Lied findet und einem das Herz umdreht.
Dr. Kerstin Schüssler-Bach arbeitete als Opern- und Konzertdramaturgin in Köln, Essen und Hamburg und hatte Lehraufträge an der Musikhochschule Hamburg und der Universität Köln inne. Seit 2015 ist sie für den Musikverlag Boosey & Hawkes in Berlin tätig. Sie verfasste Werkessays und Radiosendungen für den WDR, NDR, die Berliner Philharmoniker, die Staatskapelle Dresden und die Elbphilharmonie Hamburg sowie wissenschaftliche Beiträge zu Brahms, Mahler, Frank Martin und Brett Dean.
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A Worldlier Schubert His Songs and His Time
Gavin Plumley
Among Friends Franz Schubert was thoroughly Viennese. Unlike many of his musical idols and contemporaries, he was born and lived his entire (short) life in Vienna, before dying in his brother’s apartment on Kettenbrückengasse on November 19, 1828. But he was Viennese in another regard, given that he traveled little beyond the city’s bounds: on the one hand, because of his youth; and on the other, due to persistent ill health. His journey to the Salzkammergut with his friend, the baritone Johann Michael Vogl, in the summer of 1825 was a rarity, though there were, even in his very last months, trips to the environs of his hometown. In many ways, there was no need for Schubert to travel extensively, given the world so often came to the Habsburg imperial capital. But even if a former member of the Hofkapelle was highly aware of the magnetism of the dynasty’s seat of power, Schubert was to remain a comparably minor figure within its society. His was a closed circle, made famous by his friend Moritz von Schwind’s much later drawing, Schubert-Abend bei Josef von Spaun, in which Vogl is seen sitting alongside the composer in a performance of, we imagine, cherished songs from Schubert’s output—cherished, in the main, by a capacity audience of friends and acquaintances. They are, nearly without
e xception, Viennese or what, today, we might call Austrian. And although the spectators in Schwind’s image form a semi-circle, facing the viewer and inviting us to take our place within such a gemütlich setting, this is an exclusive rather than inclusive gathering, the result, perhaps, of the exclusion Schubert often felt during his lifetime—certainly at the hands of publishers and promoters— despite the manifest success of works that managed to spread beyond Vienna. And yet such a narrative, of a local boy responding directly to the traditions of the city in which he had the good luck to live— albeit for not even 32 years—only skims the surface. The limitations of Schubert’s physical and mental health, to say nothing of his intermittent penury, were largely irrelevant to the sheer breadth of his imagination, his reading and his knowledge of contemporary music and literature, both from within and beyond the bounds of the Habsburg Empire. It is due to the wealth of Schubert’s output, particularly as appreciated now, that we are often tempted to see the composer in isolation—even excluding Beethoven’s significant contribution to the development of the art song, let alone others who nurtured the genre through its infancy. Perceived today as a point of orbit, Schubert was perhaps more a satellite, albeit with his own gravitational pull. German Song and Other Influences Chief among influences in Schubert’s early life was Josef von Spaun, the host of that famous (if imagined) Schubertiade. Nearly nine years the composer’s senior, Spaun met Schubert in 1808 at the Stadtkonvikt, the boarding school associated with the Hofkapelle. Officially, the choirboy Schubert was tutored by the resident Piarist monks, reflecting the order’s founding purpose to educate the poor, though, arguably, he gleaned more from his composition lessons with Antonio Salieri—unsurprisingly rooted in the Italian repertoire —and Spaun’s generosity when it came to the purchase of manuscript paper, trips to the opera (at which Schubert heard Vogl sing for the first time) and introductions to the works of Goethe and Schiller. Schubert’s early knowledge of these literary greats was a blue touch paper moment, spurring wild bouts of creativity, not least the composition of his first Goethe setting, Gretchen am Spinnrade, and
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the creation of the first official opus: Erlkönig. Spaun was also responsible for presenting Schubert to his cousin Matthäus von Collin (who opened further doors), as well as the civil servant and poet Johann Baptist Mayrhofer, a melancholy but crucial figure in the composer’s life, and the more fickle but doubtless faithful Franz von Schober. Together, these figures formed a “Bildung Circle,” through which Schubert absorbed a wide variety of poetry. And yet his knowledge of contemporary song and the acquisition of tools with which to respond to this wealth of literary material were seemingly self-taught, with Spaun recalling how he discovered his young charge studying songs by the Stuttgart-based composer, and friend of Schiller’s, Johann Rudolph Zumsteeg. According to Spaun, Schubert “wanted to modernize Zumsteeg’s song form, which appealed very much to him” and he could “revel in these songs for days on end.” As early as 1811, Schubert began resetting some of the Schiller ballads that Zumsteeg had made his own. In these compositions, melodies, formal decisions, and choices of key and meter are often indebted to the original. And although Schubert soon took a more mature, individualized approach to the texts, as demonstrated by the complexity and independence of accompaniments that move beyond the continuo-based style of the past, Zumsteeg’s influence should not be underplayed. He was, in turn, responding to other spheres of influence, including the “Berlin Lieder School,” a somewhat mutable term, with various chapters in its history. Throughout, however, the Berlin School was characterized by a sense of unaffectedness, which in song meant music that was finely nuanced, with periodic melodies supported by lightly textured accompaniments. Later in the 18th century, it was strongly linked to the Empfindsamkeit of C.P.E. Bach, as well as the Weimar Classicism of Goethe and his contemporaries. It was therefore not an idiom “characterized by masses of embellishments,” according to the critic Friedrich Wilhelm Marpurg; instead, its “qualities spring from entirely different things, which do not create as much stir, but touch the heart the more directly.” Often, the songs of figures such as Johann Gottlieb Graun, Christoph Schaffrath, Otto Dresel, Bernhard Hupfeld, and others are demotic in style and were to provide a benchmark for Ludwig Berger, the first composer to set the poems of Wilhelm Müller’s Die schöne Müllerin. Indeed, the Viennese critic Eduard Hanslick later wrote how Berger’s response to the texts was much closer in atmosphere to the original than those in Schubert’s more famous
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cycle. That these verses had emerged from a liederspiel first performed at the home of Friedrich August von Stägemann on Bauhofstrasse, just a stone’s throw from the Pierre Boulez Saal, should also not be forgotten. A vaudevillian genre, the liederspiel was strongly linked to another composer who enjoyed great success in Berlin: Johann Friedrich Reichardt. Born in Königsberg in 1752, Reichardt was eight years Zumsteeg’s senior. In his youth, he traveled throughout Europe, including to Berlin, where he heard operas by Hasse and Handel. He also studied in Leipzig and Dresden, eventually returning home with a pile of youthful compositions and a critique on the state of German comic opera, as well as extensive notes relating to his travels. A confident figure, Reichardt successfully applied to be kapellmeister to Frederick the Great in 1775, further galvanizing his position at the accession of Frederick William II, for whom he conducted the Italian court opera and wrote singspiels and songs in the German language—a link between these vernacular genres was endemic within the Berlin School. Sadly, Reichardt’s success would not last. Following explorations of revolutionary France, during which the composer felt a strong kinship to the cause, he returned to his country estate in Giebichenstein, close to Halle. He was eventually denounced as a republican and lost the favor of both Goethe and Schiller, though his home soon became a “hostel of Romanticism,” drawing together various literary figures, not least the Brothers Grimm, in a celebration of lieder, poetry, and folksong. Unsurprisingly, Reichardt’s own songs answer these early Romantic ideals with an unfussiness that draws on folk art, albeit moving away from the rigidity of his predecessors. Simplicity was absolutely key to the works of many of the composers Schubert appreciated as a young man: not only Zumsteeg and Reichardt, but also the Czech-born Joseph Anton Steffan and, significantly, Carl Friedrich Zelter. The antique plainness with which the young Schubert often sets words by Schiller and, in particular, Goethe was perhaps a direct response to Zelter’s example. It was, after all, to Zelter that Goethe expressed his musical ideals—no doubt also iterated to Reichardt when they collaborated on the 1789 singspiel Claudine von Villa Bella. “The purest and noblest form of painting in music,” Goethe wrote, “is the one which you also practice—it is a question of transporting the listener into the mood of the poem. To depict sounds by sounds: to thunder, warble, ripple and splash is abominable.”
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Goethe had ample models to draw on, given that 75 of Zelter’s 210 solo songs feature his words. Consequently, there are many points of contrast with Schubert’s 74 Goethe songs—the advanced pianism of Zelter is of particular interest—though direct comparisons are less revealing. And Goethe himself offered guidance in this regard. While he appears to have overlooked the bound manuscript of Schubert’s finest settings of his poetry, as sent to him in April 1816 by Josef von Spaun, the poet later acknowledged Schubert’s contribution to the development of Romantic song, even admitting that his initial impressions of the famous setting of Erlkönig had been wrong. It was a poem, of course, that Schubert “shared” not only with Zelter, whose major-key response strikes an eerily detached sense of menace, but also with Carl Loewe. Born near Halle—and Reichardt’s “hostel of Romanticism” at Giebichenstein—just two months before the birth of Schubert, Loewe long outlived his Viennese contemporary. And unlike Schubert, Loewe spent most of his life traveling around Europe, singing a vast repertoire of songs, including many of his own. At first, the compositions were simple, strophic settings of contemporary verse—again, the influence of the Berlin School is clear—though he soon began to absorb new trends. His 1818 setting of Edward, a German translation of a Scottish folk song, was probably written as an entertainment for fellow students at the University of Halle, though it marks a style, influenced by Zumsteeg, that he would continue to perfect. Later in the 19th century, a figure no less than Wagner came to state his preference for Loewe’s setting of Erlkönig. The Radical in Context Tempting as it is to separate Schubert from such a history in order to establish his genius on an even firmer footing, that goal is better achieved by seeing his work in context. Reflecting the traditions of the Berlin School, as well as figures such as Zumsteeg and Zelter, Schubert—like his contemporary Loewe—was able to fashion a new brand of Romantic song that was simultaneously disarming, responded to a contemporary lust for melodrama, and even looked ahead to the theatrical symphonism of Wagner. Answering the Empfindsamkeit of the previous generation, Schubert was able to create guileless but emotionally perspicacious
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songs, as witnessed in his responses to Mignon’s words from Goethe’s Wilhelm Meisters Lehrjahre. Or we might look to the chiaroscuro of Schubert’s setting of Reichardt’s friend Friedrich von Schlegel’s Die Rose, where the serene and searching are held in dialectical tension. That, of course, was the very quality Schubert would bring to the song cycle, again indebted to figures from Berlin—not least Reichardt and his abortive genre of the liederspiel—albeit one in which the juxtaposition of innocence and experience is heightened further. Perhaps, in order to establish just how much Schubert drew from the world around him, we might turn to the very last of his song compositions included in this eponymous week of concerts and events: Der Hirt auf dem Felsen D 965. This song-cum-scena sets texts by Müller and Karl Varnhagen von Ense, both literary figures from Berlin, to which Schubert responds with a quasi-operatic overture, bubbling clarinet lines that echo through the landscape, and a heart-rending and emotionally perspicacious modulation in the middle section. Furthermore, the work contains elements of singspiel, Italian opera, and folk music, as well as looking to the through-composed operas that would follow. It is the music of a man who defied his background and circumstances, instead drawing on the richness of the repertoire available to him in order to reimagine the art song entirely.
Gavin Plumley is a cultural historian whose work spans many periods and disciplines. He has written, lectured, and broadcast widely on the music and culture of Central Europe and appears frequently on the BBC. He has been the commissioning editor of English-language program notes for the Salzburg Festival since 2013. His first book, A Home for All Seasons, will be published in 2022.
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