New York Gypsy All-Stars
New York Gypsy All-Stars Samstag
26. Mai 2018 19.00 & 22.00 Uhr
Ismail Lumanovski Klarinette Tamer Pinarbasi Kanun Panagiotis Andreou Bass Engin GĂźnaydin Schlagzeug Marius van den Brink Klavier
Das Programm wird von den Musikern angesagt. Konzert um 19.00 Uhr: eine Pause Konzert um 22.00 Uhr: etwa 75 Minuten ohne Pause The program will be announced from the stage. There will be one intermission in the 7pm concert. The 10pm concert will run approximately 75 minutes without intermission.
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Zwischen den Welten Die Musik der New York Gypsy All-Stars
Michal Shapiro
Identität ist eine komplizierte Angelegenheit. Für einen Musiker, der in einer bestimmten Kultur aufwächst und sich später in einer anderen wiederfindet, gewinnt Identität eine entscheidende Bedeutung – oder kann womöglich zweideutig erscheinen. In den Jahren ihres Bestehens haben die New York Gypsy All-Stars nie aufgehört, sich als Künstler und als Gruppe neu zu finden und immer wieder neu auszurichten. Einflüsse von außen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln. Wie ihr Name vermuten lässt, schlug die Geburtsstunde der All-Stars in New York, einem Ort, der schon immer Künstler aller Disziplinen angezogen hat – sei es, weil man hier Gelegenheit findet, gleichgesinnten kreativen Köpfen zu begegnen und seinen musikalischen Horizont zu er weitern, sei es, um die eigenen Fähigkeiten zu erproben. Es ist eine Stadt, die einem so leicht nichts verzeiht und in der Inspiration und Konkurrrenzkampf dicht nebeneinander liegen. Gemeinschaft zu finden ist lebenswichtig. So viel und so unterschiedliche Musik wie möglich zu hören, ist ebenso unverzichtbar wie möglichst viel Musik zu machen. In dieser Stadt werden Bands gegründet und lösen sich wieder auf; Musiker gehen ihrer Wege. Doch die All-Stars sind nach zehn Jahren immer noch zusammen. Im Leben wie in der Musik sind sie miteinander verbunden. Neue Klänge zu suchen und sie sich zu eigen zu machen, ist ein nie endender Prozess. Die Stammmitglieder der Band kommen aus Mazedonien, der Türkei, Griechenland und Australien, und sie alle brachte ihr ganz persönlicher Weg nach Amerika. Ismail Lumanovski, geboren im mazedonischen Bitola, lernte Klarinette erst an der Interlochen Arts Academy in Michigan und studierte später an der Juilliard School in New York. Drummer Engin Günaydin, in Australien als Sohn einer türkischen Familie geboren, wuchs mit volkstümlicher Musik auf und erhielt seine Ausbildung als klassischer Schlagzeuger in der Türkei, bevor er 2004 in die USA kam, um am Berklee College of Music in Boston zu studieren. Der Bassist Panagiotis Andreou 5
absolvierte sein Studium in klassischer und Volksmusik (auf mehreren Instrumenten) am Konservatorium in Athen und mit Hilfe des Berklee International Network, studierte dann in Berklee Jazz und kam schließlich nach New York, um dort seinen Masterabschluss zu machen. Als „alter Hase“ der Band hat Tamer Pinarbasi nie in den USA studiert – als er 1994 dorthin kam, eilte ihm bereits ein Ruf als Virtuose voraus und er wurde sofort zu einem gefragten Kanun-Lehrer. In der Türkei hatte er ausschließlich die klassische Spieltechnik studiert, die sich im Wesentlichen auf zwei Finger und Unisono-Spiel beschränkt; nun entwickelte Pinarbasi seinen eigenen „pianistischen“ Stil, bei dem alle zehn Finger zum Einsatz kommen. Mit dieser Neuerung eröffnete er dem Instrument zusätzliche musikalische Möglichkeiten, während er gleichzeitig Angebote erhielt für zahlreiche Auftritte und Studioaufnahmen, bei denen er mit einigen der besten Musiker New Yorks zusammenarbeitete. Damit war die Bühne bereitet für die Begegnung dieser vier Künstler – sie ergab sich durch verschiedene Clubs, in denen Musik aus der Türkei, Osteuropa, dem Kaukasus und dem Balkan gespielt wurde. In einem von ihnen – Maia Meyhane, geführt von dem Unternehmer Serdar Ilhan – hörte Andreou eines Abends den 19-jährigen Lumanovski (zu diesem Zeitpunkt noch Juilliard-Student) auf der Klarinette Musik der Band Laco Tayfa spielen, mit der sich Andreou zuhause in Griechenland intensiv beschäftigt hatte. Beiden war sofort klar, dass sie musikalisch auf einer Wellenlänge lagen. Pinarbasi begegnete Andreou durch den Oud-Spieler Ara Dinkian, der auf der Suche nach einem Bassisten war, der einen sicheren Neunachteltakt spielen konnte (wie er in traditioneller Hochzeitsmusik der Roma häufig vorkommt). Die drei beschlossen, noch einen Pianisten zu finden, um ihrer Besetzung Farbe und eine harmonische Stütze zu geben. Jason Lindner, ein erfahrener Arrangeur und Sounddesigner, brachte gleichzeitig ein ausgezeichnetes Gespür für Rock, Jazz, Electronica und Fusion mit.
Die Band trat zunächst mit verschiedenen Schlagzeugern auf, bis Günaydin zur Gruppe hinzustieß – damit waren die All-Stars komplett und wurden zur Hausband in Ilhans neuem Club DROM im East Village, was ihnen die Mög6
lichkeit gab, zu experimentieren und Arrangements von traditionellen Liedern und zeitgenössischen Songs aus zuprobieren. (Inzwischen hat der niederländische Pianist, Komponist und Arrangeur Marius van den Brink Lindners Position übernommen.) Zu einem musikalischen Wendepunkt wurde der Moment, als Pinarbasi begann, eigene Stücke ins Repertoire zu bringen. „Tamer hatte wirklich eine Vision für die Band“, sagt Lumanovski. „Er hat uns ermutigt, etwas Neues auszuprobieren, was sehr wichtig war, denn als wir anfingen, war er der Erfahrenste und Älteste von uns, und wir waren auf der Suche nach unserem eigenen Weg. Durch Tamer haben wir unseren Sound gefunden und sind auch von den Klischees weggekommen, die zu dem gehören, was wir gemacht haben. Mit seinen ersten vier Songs haben wir begonnen, unsere eigene Sprache zu finden, die wirklich e twas Besonderes ist.“ Das erste Stück, New York 9, war entscheidend dafür, diese Sprache zu entwicklen. Andreou erinnert sich daran, als er es zum ersten Mal hörte. „Ich hatte mich mit lateinamerikanischer Musik beschäftigt, vor allem mit kubanischer Timba-Musik, und habe mich gefragt, wie ich Elemente davon auf andere Arten von Musik übertragen könnte. Als Tamer mit New York 9 kam, dachte ich: Okay, das ist es! An keinem anderen Stück haben wir so viel gearbeitet. Dabei haben wir alle denkbaren Fehler gemacht, aber dadurch eben auch unsere Identität gefunden.“ Für Pinarbasi war es eine Entwicklung in zwei Richtungen: mit so hochkarätigen Musikern in einem festen Ensemble zu arbeiten, gab ihm die Möglichkeit, sich neue Ausdrucksformen zu erschließen. „Ich habe angefangen, für meine Freunde, für diese Band Musik zu schreiben. Songs hatte ich vorher auch schon geschrieben, aber keine Instrumentalstücke.“ Bald begannen auch andere Bandmitglieder, eigene Musik zu komponieren. Stücke von Günaydin finden sich erstmals auf dem zweiten Album der Band, Dromomania, mit dem der Klang der Gruppe sich in eine etwas groovigere Richtung entwickelte. Lumanovski, der immer schon vom „ferneren“ Osten fasziniert war, schrieb mit Balkan Bollywood und Melandia zwei Stücke, die von Bhangra-Rhythmen aus dem Punjab beeinflusst sind. In Pinarbasis neuester Komposition Rockwood findet die Band zu einem fast orchestralen Klang. Immer am Puls der Musik bleibend, spielt Pinarbasi hier an eine Gitarre erinnernde rhythmische Figuren, die dem Ganzen Dichte und Intensität geben. Das Arrangement bietet 7
außerdem ein modulationsreiches tonales Gerüst, über dem sich gut improvisieren lässt.
Beobachtet man heute einen Auftritt der All-Stars, fällt einem sofort das hohe musikalische und musikantische Niveau des Ensembles auf, in dem jedes Mitglied die anderen trägt und unterstützt. Während Lumanovski mit der lyrischen Ausdruckskraft der Klarinette im Zentrum steht, ist die Aufmerksamkeit des Publikums gleichermaßen von Pinarbasis Kanun-Spiel gefesselt, das für Farbe, Struktur und temporeiche Soli sorgt. Andreous Bass bewegt sich auf mehreren Ebenen und sorgt für rhythmisches Profil ebenso wie für harmonische und melodische Elemente. Schlag zeuger Günaydin bleibt selbst dann noch elegant, wenn er die Gruppe auf dynamische Höhepunkte treibt, und bildet zusammen mit Andreou eine immer bewegliche und flexible Rhythm Section. Flexibilität ist gefragt, denn auch wenn die Musik festen Arrangements folgt, geht es gleichzeitig immer um Improvisation. Im Spiel des Ensembles vermischen sich Elemente vieler musikalischer Stile, und doch bleiben es unverkennbar die All-Stars. Man könnte auf die Idee kommen, dass ein so einheitlicher Sound fast mühelos entsteht, so natürlich wirkt er. Doch Andreou erklärt: „Wir kommen alle aus ganz unterschiedlichen Richtungen. Das zu mischen, ist ein ständiger Prozess, aber dabei muss man die Zutaten eben auch kochen und sie nicht einfach nur in einem Topf zusammenwerfen. Bei uns kommen östliche und westliche Welt zusammen, die melodische Welt verbindet sich mit der harmonischen und rhythmischen. Das ist nicht leicht, und es braucht Zeit.“ Wie soll man diese Musik nun nennen: Marketing verlangt immer nach einschlägigen Kategorien. Ist es „World Music“? Ist es „Fusion“? Pinarbasi, kein Mann vieler Worte, fasst es so zusammen: „Es ist kein Jazz. Es ist keine Balkan- Musik. Es ist unsere Musik.“ Übersetzung: Philipp Brieler Michal Shapiro wurde für ihre Arbeit als World Music-Produzentin mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Sie ist außerdem Videokünstlerin, Autorin, Musikerin und Malerin. Ihre Videos und Artikel zu den Themen Musik, Kultur und Reise veröffentlicht sie auf ihrer Website unter worldmusicandculture.com.
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Between Worlds The Music of the New York Gypsy All-Stars
Michal Shapiro
Identity is a complicated thing. For a musician raised in one culture and transplanted into another, identity becomes crucial, even convoluted. In their many years together, the New York Gypsy All-Stars have continued to find and redefine themselves as artists and as a band, absorbing other influences while never ceasing to tap into their roots. As their name implies, the All-Stars formed in New York City, a place that continues to draw artists from every discipline—partly for the opportunity to meet other like- minded creatives and expand their musical horizons, but also to test their mettle. It is an unforgiving town, filled with inspiration and competition. Finding community through networking is essential. Hearing as many kinds of music as possible, and making music whenever possible, is paramount. Bands start up and then die in this city; musicians go their separate ways. But the All-Stars are still together ten years on. Their lives are entwined, as is their music-making. Finding new sounds that are their own is an ever-evolving work in progress. The core members are from Macedonia, Turkey, Greece, and Australia, and each found his way to America through a personal journey. Ismail Lumanovski, born in Bitola, Macedonia, studied clarinet at Interlochen Arts Academy in Michigan and attended the Juilliard School for his undergraduate and graduate degrees. Born in Australia to a Turkish family, drummer Engin Günaydin was raised on folkloric music and studied classical percussion in Turkey until he moved to the U.S. in 2004 to enroll at Boston’s Berklee College of Music. Bassist Panagiotis Andreou completed his classical and folkloric studies at the Athens Conservatory (where he was a multi-instrumentalist) and as part of the Berklee International Network, attended that college for jazz, and subsequently came to New York to earn a master’s degree. The elder statesman of the band, Tamer Pinarbasi, never studied in the U.S.—he arrived in 1994 with a full-fledged reputation as a virtuoso and was almost immediately sought out as a teacher of the kanun. Having learned only the stan10
dard “classical” style of playing in Turkey, which is essentially two-fingered and in unison, Pinarbasi developed his own “pianistic” approach, using all ten fingers. This innovation opened the instrument up to a far wider range of musical possibilities and put him in demand for a myriad of gigs and sessions at which he worked with some of the finest players in New York. And so the scene was set for these four musicians to meet through several clubs that presented music from Turkey, Eastern Europe, the Caucasus, and the Balkans. It was at one of these, Maia Meyhane, run by entrepreneur Serdar Ilhan, that one night Andreou heard the sound of 19-year-old Lumanovski (still working his way through Juilliard) on the clarinet, playing riffs from the music of the band Laco Tayfa, which Andreou had studied obsessively back home in Greece. The two recognized an immediate musical affinity. Andreou met Pinarbasi through oud player Ara Dinkian, who was searching for a bass player who could “hold down 9” (in other words, play in 9/8, a time signature typical in Romani wedding music). The three decided to find a keyboard player to provide ambiance and harmonic support. Jason Lindner, an accomplished arranger and sound designer, also brought with him his own considerable musical sensibilities for rock, jazz, electronica, and fusion.
The group began performing with several drummers, but with the addition of Günaydin, the All-Stars were complete, becoming the house band at Ilhans’s new East Village club DROM. This gave them space to jam and work up arrangements of traditional and contemporary songs. (Since then, Dutch pianist, composer, and arranger Marius van den Brink has taken over Lindner’s position.) A musical turning point came when Pinarbasi started bringing in original music for the ensemble to play. “Tamer could see a vision for this band,” says Lumanovski. “He pushed us into doing something new, which we really needed because he was the oldest and most mature of us when we started, and we were trying to find our way. Tamer led us to discover our sound, to get away from the clichés of what we were doing. With his first four songs we started to discover our own language, one that is very unique to us.” The first song, New York 9, was pivotal to finding that language. 11
ndreou recalls first hearing the tune. “I had been working A with Latin music, particularly Cuban timba, and was always looking for ways to apply that to other music. When Tamer brought in New York 9 I said to myself, okay, this is it! It’s the song we worked on most. We made all our mistakes on this one, but we discovered our identity through it.” It was very much a two-way street for Pinarbasi: working with such high-caliber musicians in a stable ensemble gave him a vehicle for expression on a different level. “I started writing because of my friends, because of this band. I was writing songs before, but not instrumental pieces.” Other band members soon felt inspired to create original material as well. Günaydin started contributing his own compositions for the band’s second album, Dromomania, a project that added more of a groove element to the group’s sound. Lumanovski, always fascinated with the “further East,” wrote Balkan Bollywood and Melandia, both of which are laced with Punjabi bhangra rhythms. Pinarbasi’s latest, Rockwood, is the All-Stars at their most orchestral. Solidly pulse-oriented, Panerbasi plays guitar-like rhythmic figures that keep the sound dense—and intense. The arrangement also presents a modulating tonal matrix over which exciting improvisation can occur.
Watching the All-Stars perform today, one is immediately struck by the high level of musicianship shared by the ensemble and by how each member supports the others. While Lumanovski holds the center of the stage with the lyric power and expression of the clarinet, one’s attention is equally drawn to Pinarbasi, whose kanun playing provides color, texture, and lightning-fast solos. Andreou plays on multiple levels, laying down rhythmic patterns while also insinuating harmonic and melodic structures. Drummer Günaydin has an elegant touch even when driving the band to its most dynamic peaks, and is always connecting with Andreou to form a flexible rhythm section. That flexibility is needed, since even if the songs follow set arrangements, there is always a premium on improvisation. Elements of many kinds of music swirl through the ensemble’s playing, yet it is unmistakably the All-Stars. It is easy to discount the work that has gone into this cohesive sound because it seems so natural. But, as Andreou explains, 12
“We come from completely different backgrounds. It’s a constant process to mix them up, but to cook them, not just throw them in a pot.We are bridging the eastern and western world, the melodic world with the harmonic, rhythmic world. It’s hard and takes time.” Call this music what you like: marketing always requires a category. Is it “world music”? Is it “fusion”? Pinarbasi, a man of few words, sums it up this way: “It’s not jazz. It’s not Balkan music. It’s our music.”
Michal Shapiro is an award-winning world music producer and a videographer, writer, musician, and painter. Her videos and articles on music, culture, and travel can be seen on her website worldmusicandculture.com.
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