Claude Debussy

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Claude Debussy Zum 100. Todestag Einführungstext von Wolfgang Stähr Program Note by Harry Haskell


CLAUDE DEBUSSY Zum 100. Todestag Sonntag

3. Juni 2018 19.00 Uhr

Daniel Barenboim Klavier Marianne Crebassa Mezzosopran Emmanuel Pahud Flรถte Michael Barenboim Violine Yulia Deyneka Viola Kian Soltani Violoncello Aline Khouri Harfe


Claude Debussy (1862–1918) Sonate für Violoncello und Klavier d-moll (1915) I. Prologue. Lent II. Sérénade et Finale. Modérément – Animé Chansons de Bilitis (1897/98) I. La Flûte de Pan II. Le Chevelure III. Le Tombeau des naïades Syrinx für Flöte solo (1913) Trés modéré Sonate für Violine und Klavier g-moll (1917) I. Allegro vivo II. Intermède. Fantastique et léger III. Finale. Très animé

Pause

Trois poèmes de Stéphane Mallarmé (1913) I. Soupir II. Placet futile III. Éventail Sonate für Flöte,Viola und Harfe (1915) I. Pastorale. Lento, dolce rubato II. Interlude. Tempo di Minuetto III. Finale. Allegro moderato, ma risoluto Trois mélodies de Verlaine (1891) I. La Mer est plus belle que les cathédrales II. Le Son du cor s’affige vers le bois III. L’Échelonnement des haies

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Frankreich, Form und Freiheit Musik von Claude Debussy

Wo l f g a n g S t ä h r

Der lieblichste Ton Wer seinen Namen im Lexikon nachschlägt, bekommt unweigerlich die eine Auskunft: „Meister des Impressionismus in der Musik“. Claude Debussy aber reagierte nachgerade allergisch auf dieses Wort, das in seinen Ohren wie ein Vorwurf klingen musste, wie ein schlecht getarntes Synonym für verschwommene Farben und konturlose Formen. Und genau so war es auch gemeint, als die gestrengen Messrichter der Pariser Académie des Beaux-Arts den jungen Debussy vor einer bedenklichen Neigung zum „Absonderlichen“ warnen zu müssen glaubten: namentlich vor dem Kult der „couleur musicale“, dem Verlust der Klarheit und der ­akkuraten Linienführung, kurzum vor jenem gefährlichen „impressionnisme“, dem Feind der Wahrheit in den Werken der Kunst. Immerhin hatte der aufstrebende französische Komponist, Jahrgang 1862, als Gewinner des Grand Prix de Rome die höchsten akademischen Weihen empfangen, doch lasteten die Privilegien – der Zwangsaufenthalt in der Ewigen Stadt, die väterliche Sorge der Académie um das unfertige Schaffen des Preisträgers – wie bleierne Bürden auf seinem Gemüt. Sehen wir von allem ab, was noch folgen sollte an Streit und Widerspruch: dieses frühe Erlebnis genügte vollauf, ­Debussys lebenslange Aversion gegen das Unwort vom ­Impressionismus zu nähren. „Wann immer dieser Begriff in seiner Gegenwart benutzt wurde, zeigte er sich verärgert und wollte nichts davon wissen“, erinnerte sich der Pianist Maurice Dumesnil. „Er nahm vielmehr für sich in Anspruch, dass er von den französischen Clavecinisten des 18. Jahrhunderts abstamme.“ Maurice Dumesnil besuchte den etablierten 5


Meister in seiner eleganten Pariser Villa nahe der Porte Dauphine am Bois de Boulogne. Der Hausherr empfing ihn durchaus höflich und zuvorkommend, allerdings ziemlich wortkarg. Mit unverkennbarem Besitzerstolz führte Debussy den Gast an einen Flügel aus dem Hause Blüthner, hörte ihm aufmerksam zu, als er etwas aus den Images spielte, um dann selbst seine Vorstellungen von Klang und Vortragsstil zu demonstrieren. „Der Ton, den er aus dem Blüthner hervorzauberte, war der lieblichste, der mir je zu Ohren kam, unwirklich und ätherisch“, staunte Dumesnil. „Wie konnte ihm dies gelingen? Mir fiel auf, dass er zuweilen die Finger nahezu flach ausstreckte, insbesondere bei sanften Akkordfolgen. Er streichelte die Tasten, schlug sie nicht senkrecht hinab, sondern glitt schräg über sie hinweg.“ Die Flöte des Pan

Verschlungene Linien und Figurationen

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Die Musik ist dem Märchen verwandt. Und dem ­Mythos – daran erinnert die antike Sage der Syrinx, einer Najade, die sich auf der Flucht vor dem Hirtengott Pan in Schilfrohr verwandelte. Zugleich ist Syrinx der Name eines Instruments, das sich Pan aus den Rohren ungleicher Länge schuf, und einer Komposition, die Claude Debussy erdachte: als ein hochexpressives Solo für die Querflöte. Seit etwa 1889 war Debussy mit dem Dichter Gabriel Mourey bekannt, der auch als Kunstkritiker und Übersetzer Swinburnes und Poes hervortrat. Für sein dreiaktiges Versdrama Psyché bat er Debussy um eine Bühnenmusik. Die nur wenigen Takte für Flöte solo waren die einzige, allerdings kostbare Gabe, die ihm der Komponist überließ. La Flûte de Pan ist das 1913 entstandene Stück überschrieben, das in den letzten ­Momenten des sterbenden Pan erklingen sollte. Der Widmungsträger, der Flötist Louis Fleury, verwahrte das Werk, dessen Arabesken den Vergleich zur Ornamentik des Art nouveau nahelegen, lange Jahre exklusiv für den eigenen Konzertgebrauch. Erst 1927 konnte es posthum erscheinen: unter dem seither bekannten Titel Syrinx, der Flöte des Pan. Die Aufgabe der klassischen, klar umrissenen und metrisch gebundenen Melodik zugunsten verschlungener Linien und zerfließender Figurationen lag für einen Komponisten am Beginn des 20. Jahrhunderts in der Luft. Claude Debussy, der ungleich stärker von der zeitgenössischen Literatur als von den Musikern seiner Epoche geprägt war, bestätigte


eine Beobachtung seines Pariser Freundes, des Dichters Stéphane Mallarmé, der das Ende der „früheren, sehr konturierten Melodien“ konstatiert und mit der Überwindung der traditionellen Versformen in der Lyrik verglichen hatte. Die Lieder der Bilitis Im 6. Jahrhundert v. Chr. lebte auf Zypern die berühmte Hetäre Bilitis. In Pamphylien als Tochter eines Griechen und einer Phönizierin geboren, hatte sie nach einer sorglosen Jugendzeit einige Jahre auf Lesbos verbracht und dort die Freundschaft der Dichterin Sappho gewonnen. Den Ex­ kursionen des Leipziger Professors Heim verdanken wir die Entdeckung ihres Grabes bei Paläo-Limisso, in dessen Wände ein Zyklus autobiographisch motivierter Gedichte eingeschrieben war. Heim stellte dieses einzigartige Dokument der Öffentlichkeit vor; 1894 erschien der literarische Nachlass der Bilitis auch in französischer Sprache, übersetzt von Pierre Louÿs, einem Literaten, der mit André Gide und Claude Debussy eng befreundet war. Doch das Ganze war eine Erfindung: Louÿs selbst war der Urheber der Chansons de Bilitis, und die geschilderte Überlieferungsgeschichte, die er im Vorwort der angeblichen Übersetzung referierte, entstammte vollständig seiner ­Phantasie. Gleichwohl wurde der sensationelle „Fund“ von der Fachwelt euphorisch begrüßt. Louÿs’ Privatsekretär ­erinnerte sich: „Nach dem Erscheinen der Chansons de Bilitis entflammte eine leidenschaftliche Debatte unter den namhaften Archäologen, die Louÿs’ Schwindel mit dem ganzen Gewicht ihrer Gelehrsamkeit unterstützten. Insbesondere die Entdeckung des Grabes der Bilitis wurde hervorgehoben. Pierre Louÿs hatte eine Übersetzung der Chansons de Bilitis an einen gewissen M. X., Professor für Griechische Archäologie an einer der führenden Universitäten, geschickt. M. X. ­bekannte in einem Dankesbrief, dass Bilitis ihm nicht unbekannt sei und er sie seit langem als eine persönliche Freundin ansehe.“ Drei der Bilitis-Gedichte seines Freundes Louÿs hat ­Debussy 1897 und 1898 vertont: mit einer traumwandlerisch hellsichtigen, beinah andächtigen Psalmodie, einem schwerelosen französischen Sprechgesang und dem fließenden und filigranen Spiel des Klaviers, das im ersten der drei Lieder, das ebenfalls La Flûte de Pan heißt, die lieblichen Töne der 7


Syrinx und die dissonanten Laute der nächtlich quakenden Frösche imitiert. Wenige Monate nach ihrer Uraufführung am 17. März 1900 trat Louÿs mit einem neuen Vorschlag an den Komponisten heran: Er plante eine Einstudierung ausgewählter Chansons, in der sich Rezitation, Melodram, „lebende Bilder“ und musikalische Zwischenspiele kunstvoll verbinden sollten. In großer Eile schrieb Debussy einige ­instrumentale Miniaturen für das Projekt, flüchtig hingeworfene, fragmentartige Stücke, für die er die denkbar unorthodoxe Kombination von zwei Flöten, zwei Harfen und Celesta wählte. Aber das Meer ist viel schöner

Lied und mélodie

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Das singende, klingende Deutschland stand bei vielen Franzosen hoch im Kurs – im Widerspruch zum politisch anmaßenden, von verspäteten imperialen Phantasien berauschten „Reich“. Das deutsche Kunstlied zum Beispiel (bei Licht besehen: das deutschsprachige) war wie selbst­ verständlich auch in den französischen Salons beheimatet und fand als „le lied“ obendrein Eingang in den Wortschatz der Franzosen. Die gleichwohl, trotz Schubert, Schumann oder Wolf, ihren ganz eigenen, unverwechselbaren Liedgesang kultivierten: im Wechselspiel mit der zeitgenössischen ­Literatur und der elitären Pariser Szene, in der die Avantgarde der Aristokratie und der reiche Erbe dem unterfinanzierten Genie begegnete. Berlioz, Fauré, Debussy und Ravel schufen in dieser inspirierenden Atmosphäre ihre Lieder oder „mélodies“, wie sie zur Unterscheidung genannt werden. Von Zeit zu Zeit „entdeckt“ man sie auch diesseits der Grenze, obschon ein beträchtlicher Teil der französischen Musik in Deutschland nie über den Status eines Geheimtipps hinausgelangt ist. Ein Versäumnis, das unter den Aspekten von Neugierde und Nachbarschaft zwar unverständlich, im Fall der ­„mélodies“ allerdings nicht unerklärlich ist, da vor dem ­Genuss dieser Kunst eine doppelte Hürde überwunden werden muss: die französische Sprache und insbesondere die esoterische Lyrik, die sich nur unter Verlusten oder überhaupt nicht ins Deutsche übersetzen lässt, namentlich wenn sie von Paul Verlaine stammt, dessen Gedichte Claude Debussy 1891 zu einer verzückten, entrückten, hymnischen und opulenten Musik verführten, mit dem programmatischen


Ausruf: „La mer est plus belle que les cathédrales.“ Die späten Poèmes de Stéphane Mallarmé von 1913 klingen dagegen ­abstrakter und zeichenhafter, karg und klar, avantgardistisch und altmeisterlich in einem: Schönheit ohne Schein. 30 Millionen Boches Musik in Zeiten des Krieges: Lügt sie? Oder schweigt sie? Die antike Lehre vom Ethos der Musik sprach den Tönen und Tonarten eine enorme Wirkungsmacht zu. Heldenmut und Kampfeswillen sollten sie beflügeln, den Krieger siegessicher in die Schlacht geleiten. Unter dem Schmettern der Fanfaren und dem Gleichschlag der Trommeln marschierten die Massen, Jahrhundert für Jahrhundert, voran in den Ruhm, voran in den Tod. Wer aber käme je auf solche ­Gedanken, wenn er Claude Debussys späte Sonaten hört? Und doch – die Zeit, der Grund und das Ziel ihrer Entstehung war der Krieg, war der Geist des aggressiven Nationalismus, der verbitterten Feindseligkeit. „Seit man Paris von allen diesen lästigen Ausländern gesäubert hat, sei es durch Erschießen, sei es durch Ausweisung, ist es augenblicklich ein reizvoller Ort geworden“, heißt es in einem Brief Debussys vom August 1914. In den Monaten nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs war er als Komponist beinah verstummt, um sich schließlich doch wieder auf sein Werk zu besinnen: „Ich bin zu dem Schluss gekommen“, erklärte er, „dass es bei Licht besehen einer Feigheit gliche, sich in die Reihen der Untauglichen einzuordnen. Ich kann meine Zeit nicht damit verbringen, mir die Gräueltaten auszumalen, die begangen wurden, ohne darauf zu antworten und nach besten Kräften etwas von jener Schönheit zu schaffen, die der Feind in ­seiner Raserei vernichten will.“ Komponieren als ein Akt der Landesverteidigung? Im Sommer 1915 begann Debussy mit der ersten von sechs geplanten Sonaten wechselnder Besetzung, doch in den nicht einmal drei Jahren, die dem todkranken Komponisten noch blieben, konnte er den Zyklus nur zur Hälfte vollenden. Der Sonate für Violoncello und Klavier folgte das Trio für Flöte,Viola und Harfe, dem sich wiederum die Duosonate für Violine und Klavier anschloss, Debussys opus ultimum. Nicht für sich selbst schreibe er diese Werke, so betonte ­Debussy mit Nachdruck: Er wolle vielmehr den Beweis erbringen, „dass 30 Millionen Boches den französischen Geist 9


nicht zerstören können, auch wenn sie ihn zu erniedrigen versuchten, um ihn dann auszulöschen“. Der Krieg erschien Debussy als der längst überfällige Aufstand gegen die deutsche Kulturhegemonie, der sich seine Landsleute würdelos unterworfen hätten. Die französische Musik werde aus dieser „Feuerprobe“ gestärkt und geläutert hervorgehen: „Das Glück unserer Waffen muss seinen unmittelbaren Widerhall im nächsten Kapitel der Geschichte unserer Kunst finden; wir müssen endlich begreifen, dass der Sieg dem französischen Musikbewusstsein die notwendige Befreiung bringt.“ Derlei martialische Töne schlug Debussy nur in seinen Schriften an. Seine Sonaten dagegen, „composées par Claude Debussy. Musicien français“, wie er sie voller Stolz zeichnete, erteilen aller auftrumpfenden Rhetorik und heroischen ­Gebärde eine kompromisslose Absage. Französische Musik besteche durch Klarheit und Eleganz, befand Debussy, sie wolle vor allen Dingen erfreuen. Den „unschönen Lärm“, Pomp, Pathos und Tiefensucht überließ er gerne den verhassten „Boches“. Debussy sah sich als Erbe einer ver­ schütteten Tradition, als Nachfahre Couperins und Rameaus, deren Schaffen ihm als Inbegriff jener „immerwährenden Schönheit“ galt, die er jetzt verteidigen zu müssen glaubte: „Finden wir unsere Freiheit wieder, unsere Formen; da wir sie zum großen Teil selbst erfunden haben, ist es nicht mehr als recht und billig, dass wir sie bewahren. Es gibt keine schöneren.“ Pierrot singt ein Freiheitslied Im Juli und August 1915 entstand als erstes Werk des neuen Zyklus die Sonate für Violoncello und Klavier, eine Sonate allerdings nicht im klassischen Sinne der motivisch-­ thematischen Arbeit und Durchführung, sondern im beinahe wörtlichen Verständnis einer „klingenden“ Komposition. Schon der Einleitungssatz, „Prologue“ überschrieben, verrät Debussys Besinnung auf die französischen Leitbilder der großen Vergangenheit: Das Eröffnungsthema mit seinen Dreierfiguren, betonten absteigenden Schritten und punktierten Rhythmen verweist ebenso wie das folgende synkopische Thema auf die filigrane Sprache der Violinsonaten Jean-Marie Leclairs. Debussy wollte die Cellosonate ­zunächst unter dem Titel „Pierrot fâché avec la lune“ („Pierrot im Zwist mit dem Mond“) veröffentlichen – eine 10


„Weiß des Mondes und der Lilie“

nachvollziehbare Idee, denn der bleiche Pierrot lunaire aus den gleichnamigen Gedichten des belgischen Lyrikers Albert Giraud repräsentiert als zentrale Gestalt des Fin de siècle auch die wehmütige Beschwörung einer versunkenen Zeit der Reinheit und Erhabenheit: „Weiß des Schnees und der Schwäne, / Weiß des Mondes und der Lilie, / Ihr wart in dahingegangener Zeit / Des Pierrot bleiche Insignien.“ Dem Cellisten Louis Rosoor teilte Debussy sogar eine knappe Handlungsskizze mit, die nicht verschwiegen werden soll, obgleich sie als „Schlüssel“ zum Werkverständnis sicherlich nicht unentbehrlich ist: „Pierrot erwacht plötzlich, schüttelt seine Starre ab. Er läuft davon und gibt seiner Schönen ein Ständchen; sie bleibt aber davon trotz seiner Bitten unberührt. Er tröstet sich über sein Missgeschick, ­indem er ein Freiheitslied singt.“ Die Sonate für Flöte,Viola und Harfe, die Claude Debussy im September und Oktober 1915 komponierte und die er zunächst mit einer Oboe als zweitem Melodieinstrument besetzen wollte, ehe er sich mit untrüglichem Klangsinn für den sonoren Ton der Bratsche entschied – diese Sonate spielt mit den alten Formen, streift musikalische Erinnerungen an die Lieder der Trouvères oder die Trommelrhythmen der provenzalischen Tambourins, an die „liebenswerte Vornehmheit“ Rameaus, aber auch an den Debussy des Faune oder der Nocturnes. Diese Musik schwebt, verwandelt sich unmerklich, changiert in ihren Farben, Harmonien, Stimmungen – „und ich weiß nicht, soll man lachen, soll man weinen? Vielleicht beides?“, fragte sich Debussy. Die Sonate für Violine und Klavier, Claude Debussys letzte vollendete Komposition, schrieb er in den Monaten von Oktober 1916 bis April 1917: ein rätselhaftes, verwirrendes, janusköpfiges Werk. Es bietet, wie Debussy erklärte, „ein Beispiel für das, was ein kranker Mann in Kriegszeiten schaffen kann“. Doch zugleich und oft von einem Takt zum anderen offenbart sie „eine freundliche, jugendliche Art, einfach und jedem zugetan“: Mit diesen Worten charakterisierte Debussys Jugendfreund, der Schweizer Schriftsteller Robert Godet, die Sonate. Am 5. Mai 1917 bestritt Debussy gemeinsam mit dem Geiger Gaston Poulet die Pariser ­Uraufführung des Stücks. Es war sein letzter Auftritt in einem öffentlichen Konzert. Der Krieg scheint unvorstellbar fern in dieser Musik, fern und fremd wie der nationalistische ­Eifer des „Musicien français“. Debussy selbst begriff seine Kompositionen als Waffe, als Stütze „im Kampf gegen die 11


Barbaren, die viel schrecklicher geworden sind, seit sie ihr Haar in der Mitte scheiteln“. Doch seine Sonaten, in Zeiten des Krieges entstanden, sie wissen nichts von Freund und Feind, von Kanonendonner und Giftgas. Sie sind das Werk eines französischen Komponisten, den die Welt verehrt, ­einschließlich ungezählter „Boches“.

Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur für ­Tageszeitungen, Rundfunkanstalten, die Festspiele in Salzburg, Luzern und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, Schallplatten­ gesellschaften und Opernhäuser. Er verfasste mehrere Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption, über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler.

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The Poetry of Night and Day Claude Debussy and the “Pure French Tradition”

Har r y Haskell

At once radical and traditionalist, Claude Debussy r­ ebelled against the French Wagner cult and the ponderous academic style of establishment composers like Camille Saint-Saëns and Vincent d’Indy. Instead, he urged his fellow composers to cultivate the “pure French tradition” represented by Jean-Philippe Rameau, whose operas Debussy was ­instrumental in reviving in the early 1900s. “For a long time, and for no apparent reason, Rameau remained almost ­completely forgotten,” he wrote in an appreciation that ­revealed just how closely he identified with the Baroque master. “His charm, his finely wrought forms—all these were replaced by a way of writing music concerned only with dramatic effect… Rameau’s major contribution to music was that he knew how to find ‘sensibility’ within the harmony itself; and that he succeeded in capturing effects of color and certain nuances that, before his time, musicians had not clearly understood.” Debussy might have been writing about himself. He first made his mark in the early 1890s with a series of boldly ­unconventional and quintessentially gallic masterpieces, such as the emotionally turbulent String Quartet; La Damoiselle élue, a Wagnerian “lyric poem” for women’s voices and ­orchestra; and his revolutionary masterpiece Prélude à l’après-­ midi d’un faune. By the time Debussy published his first book of Images for solo piano in 1905, the composer and his aesthetic principles—loosely subsumed under the rubric “Debussyism”—had attracted praise and censure in equal measure. Together with the symbolist opera Pelléas et Mélisande, Debussy’s great piano and orchestral pieces came to define musical impressionism—a term he vehemently ­rejected—in the popular mind. Although many critics ­associated him with painters like Manet and Whistler, he maintained that his music depicted not superficial impressions 14


but essential “realities.” Musicians alone, he declared, enjoyed “the privilege of being able to convey all the poetry of the night and the day,” whereas painters could “recapture only one of her aspects at a time.” Three Wartime Sonatas

“...it’s seemed to me more beautiful than ever!”

Composed in the summer of 1915, the Cello Sonata was the first of six projected sonatas for sundry instrumental ensembles, of which only two more—scored for flute, viola, and harp and for violin and piano—were completed. It marked Debussy’s emergence from a long fallow period, ­exacerbated by depression and the pitiless onslaught of cancer, during which he had felt incapable of producing any music of substance. “I’ve almost had to relearn” how to compose, he wrote to the Italian conductor Bernardo Molinari. “It was like a rediscovery and it’s seemed to me more beautiful than ever! Is it because I was deprived of it for so long? I don’t know. What beauties there are in music ‘by itself,’ with no axe to grind or new inventions to amaze the so-called dilettanti.” The freshness and spontaneity of the D-minor Sonata may owe something as well to the restorative landscape of the Normandy coast, where Debussy had sought refuge from the tense, bellicose atmosphere of Paris. True to his nationalist credo, Debussy signed himself “musicien français” on the title pages of his three wartime sonatas. The cello work, cast in three short movements of more or less equal length and weight, exemplifies the “clarity of expression” and “precision and compactness of form” that he considered the hallmarks of the French style. Debussy’s music is predominantly spare and delicate, almost neoclassical in its transparency. Despite the piano’s grandiloquent opening, it is the cello’s graceful arabesques and tenderly swooning melody that set the tone for the Prologue. The Sérénade is fantastical and rhapsodic in character, with crisp staccato accents, quirky, free-flowing rhythmic patterns, and subtle chromatic harmonies. The movement comes to rest on a quietly sustained A, then pivots without pausing for breath into the buoyant, lighthearted Finale. The Violin Sonata, written during the winter of 1916–17, was the last work Debussy completed before his death on March 25, 1918. Unlike its two predecessors, which fell into shape quickly and easily in a rush of euphoria, it proved 15


s­omething of an ordeal for the ailing and increasingly dyspeptic composer. During its protracted gestation he remarked half-jokingly he only persisted in writing the sonata so as “to be rid of the thing,” under pressure from his publisher, and to provide “an example of what an invalid can write in time of war.” In what would prove to be his swansong as a concert pianist, Debussy and violinist Gaston Poulet introduced the sonata to the Parisian public at the Salle Gaveau on May 5, 1917. For all that, the Violin Sonata hardly sounds like the work of a sick old man. Its stylistic referents are notably eclectic and up-to-date, ranging from African-American jazz and gypsy fiddling to Stravinsky. Formally, too, the sonata is ­something of a hybrid, combining elements of traditional sonata form with the cyclical structure favored by Franck and other composers. For instance, both the sweetly contemplative main theme of the Allegro vivo and the plaintive modal tune of the Intermède return, subtly transfigured, in the Finale. Debussy’s fertile melodic and harmonic imagination extended to the rhythmic sphere: throughout the sonata, ­regular-as-clockwork ostinato figures are mixed with passages in flexible rubato rhythm, now pressing forward, now holding back. Swooning portamentos, shimmering tremolos, ethereal harmonics, and other special effects further enrich the work’s expressive and tonal palette. Debussy had the spirit, if not the actual sounds, of the French Baroque suite in mind when he composed the Sonata for Flute,Viola, and Harp in the fall of 1915. The work was cast, he said, “in the ancient, flexible mold, with none of the grandiloquence of modern sonatas.” It pays homage to tradition in the historically evocative titles of its three ­movements, in their refined, dancelike character (the Interlude is a disguised minuet, in leisurely three-quarter time), and in its “trio sonata” instrumentation. Debussy relished the challenge of combining instruments whose disparate modes of tone production—blown, bowed, and plucked— lent themselves to his subtly nuanced palette of timbre, ­sonority, and articulation. Despite the sonata’s rhapsodic ­arabesques and roulades, Debussy’s colors are often muted, and the mood of the music is one of chaste restraint rather than unbridled ecstasy. Upon hearing a private performance of the piece in late 1916, Debussy mused to a friend: “The sound of it is not bad, though it is not for me to speak to you of the music. I could do so, however, without embarrassment 16


for it is the music of a Debussy whom I no longer know. It is frightfully mournful and I don’t know whether one should laugh or cry—perhaps both?” Debussy and the Poets

“A jewel of discreet tenderness and poetry”

The sensual, erotically charged poetry of Pierre Louÿs’s exerted a strong appeal for Debussy throughout his career. In the late 1890s he set three of Louÿs’s Chansons de Bilitis—a collection of prose poems inspired by Sappho and purportedly translated from originals by an ancient Greek courtesan—for soprano and piano. Louÿs subsequently invited him to write incidental music for a staged recitation of selected Chansons in Paris, featuring five female performers in various states of antique dress and undress. Debussy ­composed a dozen short pieces for two flutes, two harps, and celesta to accompany the fashionable tableaux vivants. In the summer of 1914 he recast six of them as piano pieces under the title Six épigraphes antiques, the first of which evokes the rustic reed pipes associated in Greek mythology with the mountain god Pan. Debussy had explored the very same territory a year or so earlier, when the playwright Gabriel Mourey asked him to compose incidental music for his dramatic poem Psyché. Mourey described Syrinx, the short, rhapsodic flute solo that Debussy wrote for the dying Pan to play offstage in the third act, as “a real jewel of restrained emotion, of sadness, of plastic beauty, of discreet tenderness and poetry.” As ever, the goal of the highly sexed god is seduction—in the play, a nymph listening to his rapturous melody likens its intoxicating allure to that of sweet, fragrant wine—but Debussy’s languorous roulades convey more than mere physical passion, for their sensuousness is tinged with the melancholy anticipation of Pan’s impending death. Syrinx shares both its satyr-like subject and its original ­title, “La Flûte de Pan,” with the first of the Chansons de ­Bilitis. But whereas the flute piece consists of a simple melodic line, devoid, as Debussy said, of “any intervention of color,” the three songs that the musician and poet put into the mouth of their imaginary courtesan are sophisticated dramatic creations, as nuanced tonally as they are poetically. Pentatonic and other exotic scales, delicately perfumed harmonies, gauzy sonorities, insistent ostinato rhythms, and halo-like pedal 17


e­ ffects conjure an atmosphere of misty antiquity and sublimated passion. Debussy told Louÿs that his poems “contain, couched in marvelous language, all that is passionate, tender, and cruel about being in love.” Debussy’s unerring sensitivity to the subtle stresses, rhythms, and contours of the French language is further evidence of his allegiance to the “pure French tradition.” During his coming-of-age years, that tradition had been ­refreshed by the literary innovations of symbolist poets like Paul Verlaine and Stéphane Mallarmé. Their hauntingly ­allusive, rhythmically supple verses were well matched to Debussy’s evolving musical prosody. Indeed, the three Verlaine settings that comprise his Trois mélodies of 1891 are so faithful to the poet’s unaffected, natural-sounding declamation, with its mellifluous assonances and speech-like cadences, that Louÿs described them as “Verlainian down to the last eighth note.” Twenty-two years later, in Trois poèmes de Stéphane Mallarmé, Debussy turned for the last time to the poet whose L’Après-midi d’un faune had inspired one of his earliest triumphs. Here the composer’s settings are even more self-effacing, the piano accompaniments featuring simple repeated motifs, like the delicately tinkling triplet ­figures of Soupir or conjuring evanescent moods, as in the fine-spun silken reveries of Éventail. With good reason did the English critic Arthur Symons salute Debussy as “the Mallarmé of music.”

Harry Haskell is a former music editor for Yale University Press and a program ­annotator for New York’s Carnegie Hall, the Edinburgh Festival, and other venues. His books include The Early Music Revival: A History and Maiden Flight, a novel about his grandfather’s marriage to Katharine Wright, sister of Wilbur and Orville.

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