Morgenland All Star Band
MORGENLAND ALL STAR BAND
Sonntag
10. Juni 2018 19.00 Uhr
Dima Orsho Gesang (Syrien) Ibrahim Keivo Gesang (Syrien) Kinan Azmeh Klarinette (Syrien) Moslem Rahal Ney (Syrien) Frederik Köster Trompete (Deutschland) Michel Godard Tuba, Serpent (Frankreich) Ziya Gückan Violine (Türkei) Salman Gambarov Klavier (Aserbaidschan) Andreas Müller Bass (Deutschland) Rony Barrak Perkussion (Libanon) Bodek Janke Schlagzeug (Polen)
Das Programm, einschließlich einer Pause, wird von den Künstlern angesagt. The program, including one intermission, will be announced from the stage.
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Dialog der Kulturen Die Morgenland All Star Band
Ralf Döring
Das Restaurant Arabesque war einmal eine feine Adresse für gutes Essen und gute Gespräche in der Altstadt von Damaskus. An einem Abend im Frühsommer 2008 saßen dort der Leiter der Syrian Big Band, Hannibal Saad, und der syrische Komponist Nouri Iskandar mit dem Filmemacher Frank Scheffer aus Amsterdam und dem Leiter des Morgen land Festivals Osnabrück, Michael Dreyer, zusammen. Der Zufall wollte es, dass gleichzeitig Kinan Azmeh seine Heimatstadt besuchte und mit dem befreundeten Tubaspieler Charbel Asphahan seinen ersten Abend in Damaskus eben falls im Arabesque feierte. Hannibal Saad bat die beiden an den Tisch mit den Gästen aus Europa – und auch wenn die Unterhaltung zwischen Dreyer und Azmeh an diesem Abend nur kurz währte, war damit der Grundstein gelegt für eine vielfältige musikalische Zusammenarbeit, deren Dimension und Potential zu diesem Zeitpunkt noch niemand erahnen konnte. Seitdem ist der syrische Klarinettist – der auch dem Pierre Boulez Saal schon seit der Eröffnung eng verbunden ist – zu einer zentralen Figur beim Morgenland Festival geworden; seine Kompositionen, seine Inspiration und vor allem sein betörend schönes, aufpeitschend wildes Klarinettenspiel haben das Festival maßgeblich geprägt. Weil Azmeh neben allen musikalischen Qualitäten auch über die Gabe verfügt, seine Ideen zu vermitteln, ist er zu einem Stützpfeiler der Morgenland All Star Band geworden. Wenn man so will ist die Formation, die Sie heute abend erleben, im Arabesque in Damaskus entstanden. Bis sie das Bühnen licht der Musikwelt erblickte, sollten allerdings noch vier Jahre vergehen.
Wie es sich für eine All Star Band gehört, hatte sich jeder der beteiligten Musiker bereits vor dem ersten gemeinsamen Auftritt 2012 in Osnabrück einen klangvollen Namen erworben – in der vielfältigen westlichen wie in der ebenso vielfältigen Welt der Musik des Nahen Ostens und Nord afrikas, im Jazz wie in der Klassik. Ein gutes Beispiel dafür ist der Tuba- und Serpent-Virtuose Michel Godard, der in den unterschiedlichsten Stilen zu Hause ist. Trompeter Frederik Köster zählt zu den profiliertesten und kreativsten Protagonisten der experimentierfreudigen Kölner Jazzszene, Drummer Bodek Janke bewegt sich virtuos und authentisch sowohl auf dem Feld der westlichen Klassik und des Jazz, als auch auf dem der indischen klassischen Musik. Oder Salman Gambarov aus Baku in Aserbaidschan: Der Pianist lässt sich von der Polyphonie Bachs inspirieren, verwandelt John Lennons Imagine in eine zauberhafte Jazz-Träumerei und kombiniert das Ganze mit den Skalen, Rhythmen und der Metrik seiner musikalischen Wurzeln. Ähnlich geprägt ist Moslem Rahal: Einerseits fest verankert in der Tradition seiner syrischen Heimat, bereichert er andererseits mit seinem Spiel auf dem Holzblasinstrument Ney schon seit Jahren das Ensemble Hespèrion XXI von Jordi Savall (der seinerseits beständig den gesamten Mittelmeer-Raum musikalisch erkundet). Rony Barrak spielt die Bechertrommel Darbuka mit Chick Corea ebenso wie mit dem österreichischen Perkussionisten Martin Grubinger. Sängerin Dima Orsho und Kinan Azmeh schließlich sind beide in Damaskus geboren und aufgewachsen, um dann in den USA klassischen Gesang bzw. Klarinette zu studieren. Ihren arabischen Wurzeln spüren sie gemeinsam unter anderem im Ensemble Hewar nach. Eine ähnliche musikalische Sozialisation hat Geiger Ziya Gückan durchlaufen; der türkische Musiker spielt im Orchester der Oper in Izmir. Bassist Andreas Müller ist nicht nur das Osnabrücker Element der Morgenland All Star Band, sondern mit seiner unbedingten Verlässlichkeit auch bei den kompliziertesten Akkordfolgen und Rhythmen so etwas wie der ruhende Pol der Band. Sänger Ibrahim Keivo schließlich bringt das unverfälschte Element der traditionellen Musik in die All Star Band ein: Wie Anfang des 20. Jahrhunderts Béla Bartók und Zoltán Kodály die Volksmusik ihrer ungarisch-rumänischen Heimat aufzeich neten, hat Keivo die Musik der Kurden, Jesiden und Syrer gesammelt – bis ihn der Bürgerkrieg aus seiner Heimat, der Region Al-Jazeera im Nordwesten Syriens, vertrieb. 5
Im Zusammentreffen all dieser unterschiedlichen Einflüsse symbolisiert sich eine Grundidee der Morgenland All Star Band: zu erkunden, welche Energie sich entfaltet, wenn unterschiedliche musikalische Welten aufeinandertreffen und respektvoll miteinander umgehen. Denn es ist keineswegs selbstverständlich, dass dieser Austausch Früchte trägt. So sehr immer wieder die universelle Macht der Musik beschworen wird als Sprache, die ohne Worte auskommt, so wenig wird sie automatisch zur Lingua franca für den Dialog der Kulturen. Sicher wurzelt die Musik des Westens wie die des Nahen Ostens in der Region zwischen Mittelmeer und Persischem Golf. Die Vorläufer von Geige, Gitarre und vielen europäischen Perkussionsinstrumenten stammen aus dieser Gegend, wie auch die Ursprünge des Gregorianischen Chorals, einem der Ausgangspunkte der westlichen Kunst musik. Doch die Idiome entwickelten sich höchst unter schiedlich – und so mag heute die Tonmalerei in Beethovens „Pastorale“ einem von der arabischen Tradition geprägten Hörer beim ersten Eindruck ebenso schwer verständlich erscheinen wie einem europäischen Hörer die vielschichtige Bedeutung eines arabischen Maqams. (Christof Lauer, Saxophonist der NDR Big Band und 2009 Gast beim Morgenland Festival, bekannte damals im Interview, er kenne nicht einmal den Begriff.) Dabei konstituiert dieses Tonsystem die Musik der arabischen und persischen Welt – rein musikalisch und spirituell.Weil es aber mit anderen Intervallen, anderen Tonfolgen arbeitet als die westliche Musik, entstehen zwangsläufig Spannungen, Reibungen. Die Frage ist: Setzen diese Reibungen Energie frei, oder verpufft die Hitze mit einem Knalleffekt, aber weitgehend wirkungslos? Seit Jahrhunderten beschäftigen sich westliche Kompo nisten mit der Musik des östlichen Mittelmeerraums. Wer möchte, kann im Mittelteil von Mozarts „Alla Turca“ Anklänge an die sprudelnde einstimmige Melodik der osmanischen Musik erkennen – und wir dürfen Mozart durchaus zutrauen, dass er diese Anspielung bewusst gesetzt hat. Dennoch entspringt sie dem gleichen Exotismus, der später Giuseppe Verdi in Aida oder Alexander Borodin in seiner symphonischen Dichtung Eine Steppenskizze aus Mittel asien angetrieben hat: Ein paar übermäßige Sekundsprünge in der Melodie genügen, um „orientalisches“ Kolorit zu evozieren. Nun steckt wohl in diesem wie in jedem Klischee ein Körnchen Wahrheit – dem Maqam kommt man so jedoch nicht wirklich näher.Vereinfacht gesagt beschreiben 6
Maqamat zunächst Tonleitern, Skalen, wie sie auch in der westlichen Musik gebräuchlich waren, bevor sich im Barock die Vielfalt der alten Modi, der Kirchentonarten, auf zwei nivelliert hat: unser heutiges Dur-Moll-System. Der Jazz war es unter anderem, der zunächst die Kirchentonleitern mit ihren charakteristischen Tonfolgen neu entdeckte, um sich damit schließlich auch Tonräume außereuropäischer Kulturen zu erschließen.Vielleicht ist das ein Geheimnis der Morgenland All Star Band: Ihre Musik fußt auf den Errungen schaften des Jazz, gibt einen ordentlichen Schuss Fusion dazu und räumt dabei den Mikrotönen des Maqam den gleichen Raum ein. Die Formation pflegt diesen Dialog mit einigem Erfolg und mit weltweiter Wirkung. Konzerte im Amsterdamer Bimhuis, eine vierwöchige Tournee durch chinesische Großstädte und zuletzt Gastspiele in Kasachstan verbindet, bei aller Unterschiedlichkeit, eines: die überaus positive Resonanz beim Publikum. Dabei fordert der experimentelle Charakter der Musik die Zuhörer durchaus heraus.Womöglich war Perkussionist Rony Barrak deshalb beim Gastspiel in seiner Heimatstadt Beirut nervös wie selten im Vorfeld eines Konzerts: Erstmals spielte die Morgenland All Star Band vor seinen Freunden und Verwandten. Seine Sorge erwies sich als unbegründet: Das Publikum in einem ausverkauften Theater im Stadtteil Hamra war voller Begeisterung – nicht zuletzt aufgrund der herrlichen Soloduelle, die sich Barrak mit Bodek Janke lieferte. Die urtümliche Kraft, die Ibrahim Keivos Gesang entfaltet, lässt kaum jemanden kalt, der sie erlebt; die Virtuosität im Dialog zwischen Dima Orshos Gesang und der Klarinette Kinan Azmehs ist beeindruckend; und Frederik Kösters Trompetensoli bersten vor Energie. Doch das eigentlich Faszinierende an der Morgenland All Star Band ist die Sensibilität und Freude, mit der die Künstler aufeinander reagieren und miteinander Musik machen. So funktioniert der Dialog der Kulturen.
Ralf Döring ist Kulturredakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung mit Schwerpunkt Musik und beobachtet die klassische Musikszene von Hamburg bis Berlin und Bayreuth. Die Morgenland All Star Band hat er von Anfang an begleitet – auch auf Gastspielreisen nach Kurdistan und Beirut.
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Cultures in Dialogue The Morgenland All Star Band
Ralf Döring
The restaurant Arabesque was once a fashionable a ddress for good food and good conversation in the historic center of Damascus. One evening in the early summer of 2008, the leader of the Syrian Big Band, Hannibal Saad, and the Syrian composer Nouri Iskandar were having dinner there with the filmmaker Frank Scheffer from Amsterdam and the director of Osnabrück’s Morgenland Festival, Michael Dreyer. As luck would have it, Kinan Azmeh was also visiting his hometown and celebrating his first night in Damascus at the Arabesque with his friend, the tuba player Charbel Asphahan. Hannibal Saad asked the two to join his table with the guests from Europe—and even if the conversation between Dreyer and Azmeh that evening was brief, it laid the foundation for a multi-faceted musical collaboration whose dimension and potential nobody could have guessed at the time. Ever since, the Syrian clarinetist—who is also closely associated with the Pierre Boulez Saal—has become a central figure at the Morgenland Festival; his compositions, his inspiration, and especially his entrancingly beautiful, stirringly unrestrained clarinet playing have become a hall mark of the festival. Because Azmeh combines his musical qualities with the gift of conveying his ideas convincingly, he has become a pillar of the Morgenland All Star Band. If you like, the group you are hearing tonight was born at the Arabesque in Damascus. Four more years would pass, however, until it saw the (foot)lights of the music world. As it should be with an All Star Band, each of the musicians involved had made a name for him- or herself before their first joint performance in Osnabrück in 2012—both in the diverse world of Western music and in the equally diverse one of the Middle East and Northern Africa, in jazz as well as in the classical repertoire. A good example of this is the 9
tuba and serpent virtuoso Michel Godard, who is at home in many different styles. The trumpeter Frederik Köster is among the most high-profile and creative protagonists of the experimentally inclined jazz scene in Cologne; drummer Bodek Janke moves virtuosically and authentically between the fields of Western classical music and jazz, but also of classical Indian music. Or consider Salman Gambarov from Baku in Azerbaijan: the pianist takes inspiration from Bach’s polyphony, turns John Lennon’s Imagine into an enchanting jazz reverie and combines it all with the scales, rhythms, and meters of his musical roots. Moslem Rahal has a similar background: firmly rooted in the tradition of his native Syria, he has also brought his mastery of the woodwind instrument ney to Jordi Savall’s ensemble Hespèrion XXI for many years (Savall himself, of course, has been steadily exploring the music of the entire Mediterranean region). Rony Barrak has played the goblet drum darbuka not only with Chick Corea, but also with the Austrian percussionist Martin Grubinger. Singer Dima Orsho and Kinan Azmeh were both born and raised in Damascus and went on to study classical singing and clarinet, respectively, in the US. They explore their Arabic roots by performing together with the ensemble Hewar, among others. Violinist Ziya Gückan experienced a similar form of musical socialization; the Turkish musician is a member of the orchestra of the Izmir Opera. Bass player Andreas Müller not only is the “local” Osnabrück element of the Morgenland All Star Band, but with his absolute reliability, even in the face of the most complex chord sequences and rhythms, has become something of the band’s eye of the storm. last but not least, singer Ibrahim Keiva brings a true element of traditional music to the All Star Band: just as Béla Bartók and Zoltán Kodály recorded the folk music of their Hungarian-Romanian homelands in the early 20th century, Keivo collected the music of the Kurds,Yazidis, and Syrians—until the civil war drove him from his home in the region of Al-Jazeera in Northwestern Syria. The meeting of all these different influences symbolizes a fundamental idea behind the Morgenland All Star Band: to explore the energy that is released when different musical worlds come together and treat each other with respect. By no means, after all, should it be taken for granted that this kind of exchange will actually bear fruit. Much as the universal power of music is evoked, time and again, as a language that does not need words, it is not 10
automatically a lingua franca serving the dialogue of cultures. Certainly both Western and Middle Eastern music have their roots in the region between the Mediterranean and the Persian Gulf. The precursors of violins, guitars, and many European percussion instruments hail from this area, as do the roots of Georgian Chant, one of the sources of Western art music. But the idioms developed in highly divergent manners—and so the tone painting in Beethoven’s “Pastoral” Symphony may seem just as hard to understand to a listener steeped in the Arabic tradition as the multi- layered meaning of an Arabic maqam will appear to a European listener. (Christof Lauer, saxophone player in the NDR Big Band and a guest at the 2009 Morgenland Festival, freely admitted in an interview at the time that he wasn’t even familiar with the term.) Yet this tonal system constitutes the music of the Arabic and Persian world—both in purely musical and in spiritual terms. But because it employs intervals and tone sequences that are different from Western music, tension and friction ensue. The question is: does such friction release energy, or does the heat expire with a bang, but without consequences? For centuries, Western composers have studied the music of the Eastern Mediterranean. Anyone with an open ear can recognize allusions to the bubbling unison melodies of Ottoman music in the middle section of Mozart’s Alla turca— and we may trust that Mozart knew what he was doing when he employed this allusion. Still, the reference stems from the same kind of exoticism that later drove Giuseppe Verdi in Aida or Alexander Borodin in his symphonic poem In the Steppes of Central Asia: a few augmented seconds in the melody are enough to evoke “oriental” color. Certainly, this cliché contains a grain of truth, as do all clichés—but it does not help in understanding the maqam. Simply put, maqamat first and foremost are scales, as they were wide spread in Western music as well before the multitude of ancient modes, the church modes, was reduced to two during the Baroque era: the ones that constitute our system of major and minor. It was jazz, among other styles, that rediscovered the church scales with their characteristic sequences of tones, and from there went on to explore the musical realms of non-European cultures. Perhaps this is one of the secrets of the Morgenland All Star Band: its music is rooted in the accomplishments of jazz, adds a healthy dose of fusion, and gives equal space to the microtones of the maqamat. 11
The group has been pursuing this dialogue with consider able success and worldwide effect. As different as they may seem—concerts at Amsterdam’s Bimhuis, a four-week tour of Chinese cities, and, most recently, guest appearances in Kazakhstan have one thing in common: audience reactions are overwhelmingly positive, despite the fact that the experi mental character of the music is not without challenges for the listeners. That may be the reason why percussionist Rony Barrak was more nervous about performing in his hometown of Beirut than he had been prior to most other concerts: for the first time, the Morgenland All Star Band was to play for his friends and relatives. His worries proved unfounded: the audience at a sold-out theater in the Hamra neighborhood was full of enthusiasm—not least because of the wonderful solo “duels” Barrak engaged in with Bodek Janke. The primeval power of Ibrahim Keivo’s singing leaves nobody who has heard it untouched; the virtuosity of the dialogue between Dima Orsho’s vocals and Kinan Azmeh’s clarinet is impressive; and Frederik Köster’s trumpet solos are simply bursting with energy. But what is truly fascinating about the Morgenland All Star Band is the sensitivity and the joy of these artists reacting to one another and making music together.This is how dialogue between cultures actually works. Translation: Alexa Nieschlag
Ralf Döring is the cultural editor of the newspaper Neue Osnabrücker Zeitung, focusing on music and observing the classical music scene from Hamburg to Berlin to Bayreuth. He has accompanied the Morgenland All Star Band since its very beginnings—including on tours to Kurdistan and Beirut.
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