Sir András Schiff

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Sir András Schiff Einführungstext von / Program Note by Wolfgang Stähr



SIR ANDRÁS SCHIFF Freitag

15. Juni 2018 19.30 Uhr

Einführungsvortrag In englischer Sprache

Montag

18. Juni 2018 19.30 Uhr

Einführungsvortrag In deutscher Sprache

16. Juni 2018 19.00 Uhr Dienstag 19. Juni 2018 19.30 Uhr Samstag

Johann Sebastian Bach Sechs Partiten BWV 825–830

Sir András Schiff Klavier und Moderation


Johann Sebastian Bach (1685–1750) Sechs Partiten BWV 825–830 (1725 –30) (Klavierübung Teil I)

Partita Nr. 5 G-Dur BWV 829 I. Praeambulum II. Allemande III. Corrente IV. Sarabande V. Tempo di Minuetta VI. Passepied VII. Gigue Partita Nr. 3 a-moll BWV 827 I. Fantasia II. Allemande III. Corrente IV. Sarabande V. Burlesca VI. Scherzo VII. Gigue Partita Nr. 1 B-Dur BWV 825 I. Praeludium II. Allemande III. Corrente IV. Sarabande V. Menuet I VI. Menuet II VII. Giga


Partita Nr. 2 c-moll BWV 826 I. Sinfonia II. Allemande III. Courante IV. Sarabande V. Rondeaux VI. Capriccio

Pause

Partita Nr. 4 D-Dur BWV 828 I. Ouverture II. Allemande III. Courante IV. Aria V. Sarabande VI. Menuet VII. Gigue

Partita Nr. 6 e-moll BWV 830 I. Toccata II. Allemande III. Corrente IV. Air V. Sarabande VI. Tempo di Gavotta VII. Gigue


Blick zurück nach vorn

Meine erste Aufnahme der sechs Bach-Partiten ­entstand 1983 in der Londoner Kingsway Hall. Seitdem habe ich die großen Bachschen Klavierwerke intensiv ­weiterstudiert und oft auch zyklisch aufgeführt. Die Matthäus-­Passion und h-moll-Messe mehrfach dirigiert zu haben, das waren Erlebnisse, die auch meine Klavierinterpretationen wesentlich ­beeinflusst haben: Häufig begegnen wir in den Sakralwerken tänzerischen Sätzen, während die Instrumentalmusik vielfach von den geistlichen Kompositionen inspiriert ist. Große Werke sind viel größer als ihre Interpreten. Wir bemühen uns ein Leben lang, ihre Geheimnisse zu entdecken, ihre einzigartige Botschaft zu vermitteln. Wenn wir das ­imaginäre Ziel auch nie ganz erreichen werden, gewinnen wir durch zahlreiche Aufführungen doch Erfahrungen und Kenntnisse, die uns Jahre früher noch verborgen geblieben waren. Wir verstehen die Strukturen, die Zusammenhänge immer besser, wir sehen weitere Horizonte. Für meine zweite Einspielung der „Goldberg-Variationen“, einen Konzertmitschnitt aus dem Jahr 2003, galt dies ebenso wie für die 2007 entstandene Live-Neuaufnahme der Partiten. Bach dachte gewiss nicht an Gesamtaufführungen der Partiten in einem Konzert. Ziel seiner „Clavierübung“ ist es ja, die Formen und Genres seiner Zeit systematisch zusammenzufassen; das Werk ist gleichermaßen enzyklopädisch, wissenschaftlich und pädagogisch angelegt. Dennoch bilden die sechs Partiten ein ideales – wenn auch langes – Konzert­ programm: Immer wieder gelingt es Bachs Musik, eine ­ enge Gemeinschaft zwischen Interpreten und Zuhörern herzustellen. Logisch und einfach wäre es, diese exmplarischen Suiten­ kompositionen in ihrer herkömmlichen Reihenfolge zu spielen, wie ich es früher auch getan habe. Dabei hatte ich jedoch immer das Gefühl, dass irgendetwas nicht ganz stimmte. Das B-Dur-Stück verlangt nach großer innerer Ruhe, die zu Beginn eines öffentlichen Konzerts noch gar

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nicht vorhanden ist. Ist es wirklich zwingend, damit an­ zufangen? Keineswegs. Wenn wir mit der G-Dur-Partita ­ein­setzen, bilden die Tonarten der sechs Werke einen ­Hexachord: G–a–B–c–D–e. In dieser stufenweise ansteigenden Folge verteilen sich die Dur- und Moll-Werke gleichmäßig, und das sonnig-anmutige G-Dur-Stück bildet eine so ­wohltuende wie adäquate Eröffnung. Diese Anordnung ist meine persönliche Wahl; sie erhebt selbstverständlich keinen Anspruch auf Verbindlichkeit.

András Schiff

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Die schönen Schwierigkeiten der Musik Johann Sebastian Bachs Klavierpartiten

Wo l f g a n g S t ä h r

Mit der Zeit wandelt sich die Sprache. Die Worte ä­ ndern ihren Sinn, verlieren ihren Wert, wie eine alte ­Währung. Der Amateur trägt die Liebe im Namen, der ­Dilettant immerhin das Vergnügen, und dennoch steht der eine und vor allem der andere Begriff heute längst nicht mehr hoch im Kurs. In den Tagen Johann Sebastian Bachs sah die Welt noch anders aus. Ein Zeitgenosse, der venezianische Dichter und Komponist Benedetto Marcello, ­bezeichnete sich selbstbewusst als „nobile Veneto dilettante di contrappunto“ – und war doch mitnichten ein Laie und schon gar kein Stümper. Er repräsentierte vielmehr das ­aristokratische Ideal der freien, vornehmen, ungebundenen Kunst, unbelastet von materiellen Sorgen, von Dienst und Pflicht. „Was macht die Kunst?“, fragt der Prinz am Beginn der Emilia Galotti von Lessing. „Die Kunst geht nach Brot“, antwortet ihm der Maler, zum Missfallen seines adeligen Gönners: „Das muß sie nicht; das soll sie nicht, – in meinem kleinen Gebiete gewiß nicht. – Aber der Künstler muß auch arbeiten wollen.“ Worauf ihm der Maler entgegnet: „Arbeiten? Das ist seine Lust. Nur zu viel arbeiten müssen, kann ihn um den Namen Künstler bringen.“ Johann Sebastian Bach schrieb seine sechs Partiten ­ BWV 825–830 erklärtermaßen für adelige und bürgerliche Dilettanten, für Müßiggänger im damaligen, durchaus ­positiven Verständnis, denen die Musik eine Lust war und kein Broterwerb, ein Lebensinhalt, kein Lebensunterhalt. 1731 veröffentlichte Bach diese Sammlung im Selbstverlag,

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gab ihr den Titel Klavierübung („Clavir Ubung“) und widmete sie ausdrücklich den „Liebhabern zur Gemüths Ergoetzung“. Der Terminus „Clavi[e]r“ umschloss seinerzeit noch rundweg alle besaiteten Tasteninstrumente, meinte in diesem Fall aber das Cembalo. Ein teures Vergnügen – der Liebhaber, der sich an Bachs Partiten ergötzen wollte, musste sich einen solchen „Flügel“ erst einmal leisten können, er musste ihn besitzen und obendrein beherrschen, denn die spieltechnischen Anforderungen verlangten außer der Liebe auch die höchste Fingerfertigkeit. „Dieß Werk machte zu seiner Zeit in der musikalischen Welt großes Aufsehen“, wusste der Göttinger Universitätsmusikdirektor Johann Nikolaus Forkel, Bachs erster Biograph, mitzuteilen; „man hatte noch nie so ­vortreffliche Claviercompositionen gesehen und gehört. Wer einige Stücke daraus recht gut vortragen lernte, konnte sein Glück in der Welt damit machen; und noch in unserm ­Zeitalter [Anfang des 19. Jahrhunderts] wird sich ein junger Künstler Ehre damit erwerben können, so glänzend, wohlklingend, ausdrucksvoll und immer neu sind sie.“ Eine Domäne der Frauen „Noch in unserm Zeitalter“: Auch im Jahr 2018 legt der Künstler höchste Ehre ein, wenn er auf die leichten Siege und lauten Triumphe verzichtet und sich das manuelle und mentale Wagnis der Bachschen Partiten zumutet. Da diese Werke jedoch erst spät und gegen ihren ursprünglichen ­Bestimmungszweck in die Konzertliteratur Eingang fanden, wäre es überaus erhellend zu wissen, wer damals den Kreis der Liebhaber bildete, der Cembalisten, die Bachs Klavierübung daheim studierten und zur eigenen Erbauung in glücklichen Stunden musizierten. Wie dürfen wir uns die zeitgenössische Klientel vorstellen, Bachs kunstsinnige und zahlungskräftige Kunden in Leipzig, Hamburg, Dresden oder Berlin? Zunächst einmal lässt sich feststellen – bei aller prinzipiellen Unsicherheit der historischen Ferndiagnose –, dass die meisten Liebhaber offenbar Liebhaberinnen waren. Im auffallenden Gegensatz zur beruflichen Realität der Zünfte, Stadtpfeifer, Ratsmusiker und Hofkapellen erweist sich die anspruchsvolle Hausmusik der Bach-Zeit als eine Domäne der Frauen, die im deutschsprachigen Kulturraum fast eine Zweidrittelmehrheit unter den Klavier spielenden Amateuren erreichten. Die soziale Herkunft der „Dilettanten“ dokumentiert unmissverständlich, dass es sich bei der 10


„Jetzt spielt, schlägt, ­trommelt und dudelt ­alles...“

­ usikalischen Gemütsergötzung einstweilen noch um ein m recht exklusives Vergnügen handelte. Zur einen Hälfte ­kamen die solventen Privatmusiker aus dem mittleren Adel oder der Hocharistokratie; zur anderen waren sie dem Großbürgertum zuzurechnen: vermögende Kaufleute, Ärzte, Rechtsanwälte, Geistliche, Universitätslehrer, hohe Beamte, Ratsmitglieder (oder eher deren Gattinnen). Als Bachs ­Partiten 1731 komplett im Druck erschienen, mussten die Liebhaber in Thüringen oder Sachsen bis zu 200 Reichstaler für ein zweimanualiges Cembalo bezahlen, den zehnfachen Preis einer erstrangigen Violine – und mehr als etwa ein Hoforganist im ganzen Jahr verdiente. Die 74 Seiten um­ fassende Gesamtausgabe der Klavierübung I (der sechs Partiten BWV 825–830) kostete zwei Reichstaler. Denselben Betrag verlangte ein renommierter Klavierlehrer im Monat für ­seine Unterweisungen. Um das vielsagende Zahlenwerk noch etwas fortzuspinnen: Ein Musiker aus Bachs Verwandtschaft, Johann Gottfried Walther, empfing als Organist an der Weimarer Stadtkirche ein Jahresgehalt von lediglich 100 Reichstalern (also den Gegenwert eines „halben Cembalos“). In seinen guten ­Tagen jedoch konnte er mit reger Unterrichtstätigkeit – für Lehrlinge ebenso wie für Liebhaberinnen – diese bescheidenen Einkünfte vervielfachen und über 500 Taler zusätzlich erwirtschaften. Ein ehemaliger Schüler Bachs, Johann Friedrich Agricola, ging 1741 nach Berlin und konnte dort jahrelang ausschließlich von den Lektionen für die gut betuchten Liebhaber existieren, die er auf dem Clavichord, dem ­Cembalo und dem neuen Hammerklavier unterrichtete – ein Zukunftsmodell: der freiberufliche Klavierlehrer, materiell unabhängig von Kirche, Hof und Ratsmusik. In den folgenden Jahren wurden die ersten Klavier-Lehrwerke publiziert, von Philipp Christoph Hartung (1749), Friedrich Wilhelm Marpurg (1750) und 1753 der Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen von Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel. Der unaufhaltsame Siegeszug des Claviers, unter dem schließlich nur noch das Klavier verstanden wurde, nahm seinen Lauf. 1784 zog der Literat, Musiktheoretiker – und Pianist – Christian Friedrich Daniel Schubart eine zwiespältige Zwischenbilanz: „Im vorigen und in der ersten Hälfte des laufenden Jahrhunderts fand man in ganzen ­Provinzen kaum einen Klavierspieler; jetzt spielt, schlägt, trommelt und dudelt alles: der Edle und Unedle, der Stümper und Kraftmann; Frau, Mann, Bube, Mädchen. Ja, das Klavier ist sogar 11


einer der wichtigsten Artikel in der modischen Erziehung geworden.“ Im weiteren Verlauf der Geschichte entwickelte sich das Klavierspiel gleichzeitig zum Breiten- und zum Hochleistungssport, zum pädagogischen Pflichtprogramm und zur priesterlichen Kunst. Und mit der Zeit wandelte sich die Sprache: Die Übung hatte fortan weniger mit ­Ergötzung als vielmehr mit saurem Fleiß und strenger Selbstdisziplin zu tun, der Amateur genoss seine Musik nur noch nach Feierabend, und der Dilettant fiel vollends der Verachtung anheim. Der Liebhaber allerdings sitzt auch heutzutage nicht zwangsläufig im Publikum, um anderen zuzuhören, den Meistern des Metiers, die im Rampenlicht stehen. „Leidenschaftliche Bach-Anhänger spielen oder singen seine Musik selbst“, betont der niederländische Schriftsteller Maarten ’t Hart in seinem herzerfrischenden Buch Bach und ich – und spricht mit dieser Aussage gewiss vielen Leserinnen (und Konzertbesuchern) aus der Seele. „Als die Öffentlichkeit zum ersten Mal gedruckte Werke von Bach zu Gesicht bekam, war das erste Stück, das jeder Käufer der Clavier-Übung ­aufschlug, das Präludium der ersten Partita [BWV 825]. Raffiniert setzte Bach eines seiner schönsten Stücke an den Anfang. Es fehlen die Worte, um die Anmut, Gefälligkeit, Lieblichkeit, Zärtlichkeit,Verspieltheit und Einzigartigkeit des ersten Präludiums zu beschreiben. Beim Spielen kommt es mir vor, als hätte Bach schon vor langer Zeit gewusst, dass ich einst auf der Welt sein würde. Das Stück fügt sich den Fingern, als hätte er es allein für mich komponiert.“ Französische Ouverture, welsche Giga, vermischter Geschmack Die Partita Nr. 1 in B-Dur BWV 825 hatte Bach bereits 1726 separat zur Leipziger Michaelismesse herausgegeben, eine Suite aus kunstreichen Tänzen und modischen ­„Galanterien“, wie man die Sätze leichteren Charakters ­gelegentlich nannte. Bach schrieb seine Komposition im „vermischten Geschmack“, der in Deutschland als der wahre und „ächte“ Geschmack galt. Diese reizvolle Mischung aus französischen und italienischen Elementen findet sich sogleich in der Allemande, wenn Bach die „nouvelle virtuosité“ der Clavecinisten mit ihrem arpeggierenden style brisé oder style luthé (nach dem Vorbild der Lautenmusik) in eine ­rasche, am Violinspiel orientierte Bewegungsstudie integriert, 12


Tänze und „Galanterien“

wie die Italiener sie liebten. Oder wenn er danach für die rechte Hand eine in Achteltriolen durchlaufende Corrente erfindet (ihr Name ist Programm), während die linke sich auf die punktierten Rhythmen der langsamen französischen Courante kapriziert („C’était une danse lente“, lehrte Alfred Cortot in seinen Meisterklassen). Und an das Ende setzte Bach zwar eine „welsche Giga“ im Zwölfachtel-Metrum, würzte sie jedoch mit einem Effekt, dem Überschlagen der Hände, den er gerade bei seinem französischen Zeitgenossen Jean-Philippe Rameau kennengelernt hatte: in dessen Pièces de clavecin von 1724, namentlich in dem Stück Les Cyclopes. Zur Leipziger Herbstmesse des folgenden Jahres 1727 ­erschienen die Einzelausgaben der Partiten in c-moll BWV 826 und in a-moll BWV 827 – und auch sie waren ganz der „réunion des goûts“ verschrieben. Schon im Einleitungssatz der c-moll-Partita überblendet Bach die majestätische ­„Ouverture“ der Hofmusik von Versailles mit der dreiteiligen Opern-Sinfonia aus Italien. Die französische Courante im sperrigen Dreihalbetakt verbindet er abermals mit der ­raschen, flüchtigen Motorik der italienischen Corrente. Und der vergnügliche Schluss, das Capriccio mit seinen aufmüpfigen Dezimensprüngen, ließe sich doppeldeutig auch als Caprice wahrnehmen, als ein imitatorisch durchwirktes Suitenfinale à la française. In der a-moll-Partita wiederum wurde Bach unverkennbar von François Couperin „Le Grand“ inspiriert, dessen Pièces de clavecin ihm seit Jahren vertraut waren. Nach dem Vorbild des Franzosen ersetzte er die „Galanterien“ zwischen Sarabande und Gigue durch Charakterstücke, eine Burlesca und ein Scherzo, humoristische Gegengewichte zur erhabenen, noblen und aristokratischen Seite der Barockmusik, ein wohlkalkulierter Anflug von Lustspiel, Rüpeltanz und sozialer Travestie. Am Anfang wie am Ende: die Liebe zur Musik „Es scheint übrigens“, bemerkt Maarten ’t Hart, „als würde die Atmosphäre der Partiten sich ab der vierten ­vergeistigen, als erreiche jede ein höhere Maß an Abstraktion und als wolle Bach den Ausführenden mit jeder Partita weiter in schwindelerregende Fernen führen. Die fünfte Partita [G-Dur BWV 829] mit dem großzügigen Præambulum, der Triolen-Allemande, der lieblichen Corrente, der Terzen-­ Sarabande, dem halsbrecherischen Menuett, dem kuriosen Passepied und der für einen Amateur fast unspielbaren Gigue 13


Vergeistigung und Abstraktion

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nimmt gewissermaßen einen Anlauf zur letzten, am meisten vergeistigten Partita.“ Es ist diese Partita, die fünfte, „das sonnig-anmutige G-Dur-Stück“, die András Schiff an den Beginn seines Konzerts stellt, „eine so wohltuende wie ­adäquate Eröffnung“. Dass Maarten ’t Hart mit seiner Ansicht einer Werk um Werk aufsteigenden Vergeistigung keineswegs allein steht, beweist ein Blick in Hermann Kellers 1950 ­publizierte Studie über Die Klavierwerke Bachs, in der er über die vierte Partita in D-Dur BWV 828 schreibt: „Eine glückliche, bald heiter festliche, bald sinnierende Stimmung ist über alle Sätze des Werks gebreitet: keine zweite Allemande Bachs ist so melodieerfüllt wie diese, die (ebenso wie die Sarabande) wie für eine Solostimme über einem Basso continuo ­gedacht zu sein scheint.“ Die Einzelausgabe der sechsten und letzten Partita in e-moll BWV 830 kam zur Michaelismesse des Jahres 1730 heraus, aber offenbar war sie schon vor der ersten entstanden. Eine Frühfassung trug Bach 1725 in das „Clavier-­Büchlein vor Anna Magdalena Bachin“ ein; zwei ihrer Sätze gaben obendrein ein Gastspiel in einer mehrfach umgestalteten Sonate für Violine und Cembalo (BWV 1019a). In der endgültigen Version dieser Partita folgt auf eine jeden Takt bis zum Äußersten ausreizende Allemande sogleich eine Corrente, flink und filigran – und synkopisch entzweit, indem der Diskant dem Bass stets um einen Wimpernschlag voraus ist. Nach dem Vorbild Couperins rückte Bach eine leicht ­bewegte Air (mit „Petite reprise“) in die Suite der Tänze ein und eine Sarabande „grave“, die gleichwohl von italienischen „tirate“, pfeilschnell in die Oktave schießenden Verzierungsnoten, durchkreuzt wird. Noch ein „Tempo di Gavotta“: dann beschließt eine „auf Giguen-Art gesetzte Fuge“ die sechste Partita, an deren Beginn ebenfalls eine Fuge steht, eingerahmt von den Fanfaren und Passaggi einer Toccata, wie sie Bach schon als junger Arnstädter Organist zur ­Verwunderung seiner Gemeinde improvisiert hatte. Kurzum – wer diese Klavierübung zu meistern verstand, konnte ­tatsächlich „sein Glück in der Welt damit machen“: die große barocke Szenerie, gebannt in den pianistischen Mikrokosmos einer Bachschen Partita. „Denen Liebhabern zur Gemüths Ergoetzung“? Es bleibt nach bald 300 Jahren schwer zu begreifen, dass derart anspruchsvolle Werke für Amateure bestimmt waren: Werke, von denen wir heute meinen, nur die Crème der Pianisten könne sie meistern! Und dazu sollte die schweißtreibende


Übung auch noch der Ergötzung dienen? Um es abermals auf eine schlichte Formel zu bringen: die Zeiten haben sich geändert. Doch hindert der historische Wandel uns nicht, auch aus fernen Epochen zu lernen: dass am Anfang wie am Ende die Liebe zur Musik steht und nicht das Spezialistentum; dass auch das Üben ein reines Vergnügen sein kann, die ­versprochene Ergötzung allerdings nur mit Zeit, Geduld und Hingabe sich einstellen wird. Diese Selbstverständlichkeiten wurden erst durch das stumpfsinnig mechanische Etüden-­ Wesen und den pianistischen Technik-Kult späterer Zeiten verdunkelt – aber völlig in Vergessenheit geraten ist das ­Wissen um die schönen Schwierigkeiten der Musik nie.

Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur für ­Tages­­zeitungen, Rundfunkanstalten, die Festspiele in Salzburg, Luzern und Dresden, ­Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, Schallplatten­ gesellschaften und Opernhäuser. Er verfasste mehrere Buchbeiträge zur Bach- und ­Beethoven-Rezeption, über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler.

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Looking Back into the Future

I made my first recording of Bach’s six partitas in London’s Kingsway Hall in 1983. Since then I’ve continued to study his great keyboard works and often performed them in cycles. Conducting the St. Matthew Passion and the B-minor Mass several times ­ were experiences that have left an indelible mark on my piano performances: we frequently find dance movements in Bach’s church­­music, and his instrumental works were often inspired by his sacred compositions. Great music is far greater than its performers. We try our entire lives to unveil its secrets and to convey its unique message. Even if we never quite reach that imaginary goal, our many performances give us experience and knowledge that was hidden from us years ago. We form a better understanding of its structure and inner ­workings; horizons b­ roaden before our eyes. This was just as true of my second recording of the “Goldberg”  Variations, made live in concert in 2003, as it was for the partitas I recorded during a recital in 2007. To be sure, Bach never imagined performing all the ­partitas in a single concert. The object of his “Clavierübung” was, of course, to systematically summarize the forms and genres of his day. T   he work is designed to be at once e­ ncyclopedic, scholarly, and instructive. Nonetheless, the six partitas form an ideal, if long, concert program: Bach’s music succeeds over and over again in forging an intimate bond between performer and audience. It would be simple and logical to play these exemplary suites in their conventional order, as I used to do in the past.Yet I always had the feeling that something was not quite right. The B-flat major Partita calls for great inner tranquility of the sort that never exists at the beginning of a public ­recital. Is it really mandatory to place it at the beginning? I think not. If we start with the G-major Partita, the keys of the six works form a hexachord: G–a–B flat–c–D–e, with the major and minor modes evenly distributed among the ascending pitches and the sunlit, graceful G-major work forming an ingratiating and appropriate opening. This sequence is my personal choice; needless to say, it raises no claims to universal truth.

—András Schiff

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The Beautiful Difficulties of Music Johann Sebastian Bach’s Piano Partitas

Wo l f g a n g S t ä h r

Language changes over time. Words alter their meaning, lose their value, like an old currency. Linguistically, the amateur bears love in his name, the dilettante, pleasure—yet neither term is particularly appreciated today. In Johann ­Sebastian Bach’s time, things were looked at differently. One of his contemporaries, the Venetian poet and composer Benedetto Marcello, self-confidently styled himself a “nobile  Veneto dilettante di contrappunto”—but he was not a layman and certainly no incompetent. Instead, he represented the aristocratic ideal of art as free, noble, unfettered—unburdened by material cares, service, and obligation. “How does art thrive?” asks the Prince at the beginning of Lessing’s Emilia Galotti. “Art is starving, Prince,” answers the painter, to his noble patron’s chagrin: “That must not—shall not be, within the limits of my small dominions.—But the artist must be willing to work.” To which the painter rejoins: “Work! That is his happiness. But too much work may ruin his claim to the title of artist.” Johann Sebastian Bach avowedly wrote his six Partitas BWV 825–830 for noble and bourgeois dilettantes, for idlers in the positive sense ascribed to the term in those days: ­individuals to whom music was pleasure, not a livelihood— giving life meaning rather than sustenance. Bach self-published this collection in 1731 under the title Klavierübung (“Clavir Ubung,” or “Keyboard Exercises”), dedicating it expressly “den Liebhabern zur Gemüths Ergoetzung”—“to music lovers, to refresh their spirits.” At the time, the term “clavi[e]r” included all stringed keyboard instruments, but in this case, it indicated a harpsichord. A music lover seeking ­refreshment in Bach’s Partitas first had to be able to afford such an instrument, had to own it and have mastered its 18


playing, for the pieces demanded not only love, but also the utmost dexterity and nimbleness. As Bach’s first biographer, Johann Nikolaus Forkel, University Music Director in ­Göttingen, reported, “This work caused quite a sensation among his contemporaries in the world of music; such splendid keyboard compositions had never previously been seen or heard. Whoever learnt to perform any of these pieces to a high standard could make his fortune in the world; and even in our times [the early 19th century] a young artist might make a name for himself with them, so brilliant, harmonious, expressive, and constantly novel are they.” A Female Domain

Economical perspectives of piano playing

“Even in our times”: in 2018, an artist can still win the highest regard by foregoing easy victories and raucous triumphs, rising to the manual and mental challenge and risk of Bach’s Partitas instead. But since these works only found their way into the concert repertoire late, and quite against the intentions of their composer, it would be illuminating to know who exactly formed this circle of music lovers, of amateurs, of harpsichordists who studied Bach’s “keyboard exercises” at home and played them for their own edification in happy hours. How shall we imagine the contemporary clientele, Bach’s art-loving and solvent customers in Leipzig, Hamburg, Dresden, or Berlin? First of all, we may state—the general uncertainties of historical remote diagnostics notwithstanding—that most of these music lovers were­ ­female. In striking contrast to the professional reality of guilds, city pipers, municipal musicians, and court orchestras, elevated music-making in the home at Bach’s time was a female ­domain, with women accounting for almost two thirds of the piano-playing amateurs in German-speaking lands. The social background of these “dilettantes” clearly shows that spiritual refreshment through music was still quite an exclusive pleasure. Half of these private musicians with deep pockets hailed from the middle nobility or the high aristocracy; the other half were grand bourgeois: affluent merchants, doctors, lawyers, clergy, university teachers, high-ranking civil servants, councilors (or rather, their wives). When Bach’s Partitas were published as a set in 1731, music lovers in Thuringia or Saxony had to pay up to 200 reichstaler for a two-manual harpsichord, ten times as much as a first-rate violin would have cost—and more than a court organist, for example, 19


“...one of the foremost articles of a fashionable upbringing”

would have earned in an entire year. The 74 pages of the complete edition of the Klavierübung, part I (the six Partitas BWV 825–830), cost two reichstaler—the same sum a well-­ respected piano teacher would ask for a month of lessons. Extending this telling assembly of numbers a little further, one of Bach’s musician relatives, Johann Gottfried Walther, received an annual salary of only 100 reichstaler as an organist at Weimar’s Stadtkirche (in other words, the equivalent of “half a harpsichord”). In his best days, however, he was able to increase this modest income by giving lessons—to male pupils and female music lovers alike—by more than 500 ­additional taler. One of Bach’s former students, Johann ­Friedrich Agricola, moved to Berlin in 1741, making a good living for many years solely by instructing affluent music lovers, teaching them to play the clavichord, the harpsichord, and the newly developed pianoforte. It was a model for the future: the freelance piano teacher, economically independent of church, court, and municipal offices. The following years saw the first publications of textbooks for pianists, by Philipp Christoph Hartung (1749), Friedrich Wilhelm ­Marpurg (1750), and Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen (“Essay on the True Art of Playing Keyboard Instruments”) by Bach’s son Carl Philipp Emanuel, in 1753. The unstoppable rise of the clavier, which ultimately came to mean the piano alone, took its course. In 1784 the writer, music theorist— and pianist—Christian Friedrich Daniel Schubart came to an ambiguous conclusion: “In the previous and in the first half of the current century, one could hardly find a single piano player in an entire province; nowadays, everyone plays, beats, drums, and tootles: nobleman and commoner, bungler and strong man; women, men, boys, girls. Indeed, the piano has become one of the foremost articles of a fashionable ­upbringing.” During the further course of history, piano playing developed into a mass sport and an elite sport at the same time: a pedagogical “must” and an art form practiced by the high priests of the instrument. And with time, language also changed: exercise had less to do with refreshment of the spirit than with sour diligence and strict self-discipline; the amateur enjoyed his music only after working hours, and the dilettante earned nothing but disdain. Even today, music lovers are not necessarily found in the audience, ready to listen to others, the masters of their craft who occupy the limelight. “Passionate admirers of Bach play or sing his music themselves,” Dutch writer Maarten ’t Hart


declares in his refreshingly candid book on the composer— certainly speaking for many readers (and concert-goers). “When the public got its first glimpse of Bach’s works in print, the first piece that every purchaser of the Clavier-Übung would open was the Prelude of the first Partita [BWV 825]. Clever as he was, Bach placed one of his most beautiful pieces first. There are no words to describe the grace, ­pleasantness, mellifluence, tenderness, playfulness, and unicity of this first Prelude. Playing it, it seems to me that Bach knew ages ago that I would be in this world one day. The piece yields to my fingers as if he had written it for me alone.” French Ouverture, Italian Giga, Mixed Taste Bach had already separately published the Partita No. 1 in B-flat major BWV 825 in 1726 to coincide with Leipzig’s Michaelmas Fair; it was a suite of artful dances and fashionable “gallantries,” as the movements with a lighter character were sometimes called. Bach wrote his composition in the “mixed taste,” which was considered the one true taste in Germany. This attractive blend of French and Italian elements is immediately recognizable in the Allemande, where Bach integrates the nouvelle virtuosité of the clavecin players with their arpeggio-heavy style brisé or style luthé (based on the model of lute music) into a fast movement study inspired by violin playing as it was popular in Italy. Directly thereafter, he invents a corrente (the name says it all) in steady eighth-note triplets for the right hand, while the left keeps up the dotted rhythms of the slow French courante (“C’était une danse lente,” Alfred Cortot would say in his master classes).  And although Bach placed an “Italian giga” in 12/8 time at the end, he spiced it up by using an effect—crossing hands while playing—he had just learned from his French contemporary Jean-Philippe Rameau and his Pièces de clavecin of 1724, ­especially the piece Les Cyclopes. In time for Leipzig’s Autumn Fair of the following year, 1727, the Partitas in C minor BWV 826 and A minor ­ BWV 827 also appeared in individual editions—again, they were dedicated to the réunion des goûts, or “reunion of tastes.” Even in the introductory movement of the Partita in C minor, Bach blends the majestic ouverture of the courtly music of Versailles with the three-part sinfonia of Italian ­opera. Once again, he combines the French courante and its ­cumbersome 3/2 meter with the quick, fleeting movement 21


of the Italian corrente. And the amusing finale, the Capriccio with its obstreperous tenth leaps, could also be interpreted as a caprice, a finale to a suite à la française, full of imitation. In the Partita in A minor, on the other hand, Bach was clearly inspired by François Couperin le grand, whose Pièces de clavecin had been familiar to him for many years. Following the Frenchman’s example, he replaced the “gallantries” between Sarabande and Gigue with character pieces, a Burlesca and a Scherzo, providing a humoristic counter­ balance to the august, noble, and aristocratic side of Baroque music—a calculated whiff of comedy, loutish dance, and ­social travesty. The Beginning and the End: Love for Music “Incidentally, it seems,” Maarten ’t Haart remarks, “as if the atmosphere of the Partitas becomes more spiritual from the fourth one onwards, as if each of them reaches a higher level of abstraction, and as if Bach meant to lead the player further to dizzying, distant heights with each Partita. The fifth Partita [in G major BWV 829] with its generous Praeambulum, the Allemande with its triplets, the gentle Corrente, the Sarabande with its thirds, the breakneck Minuet, the curious Passepied, and the Gigue, which is almost ­unplayable for an amateur, seems to be gathering strength to scale the heights of the last Partita, the most spiritual of them all.” It is this Partita, the fifth, “the sunlit, graceful G-major work,” that András Schiff has placed at the beginning of his concert, “an ingratiating and appropriate opening.” The fact that Maarten ’t Haart is by no means the only one to perceive an increasing level of sublimation from one work to the next work is borne out by a glance at Hermann Keller’s 1950 study of Bach’s keyboard works, in which he writes about the D-major Partita No. 4 BWV 828: “A happy atmosphere, now cheerfully festive, now pensive, is common to all the movements of this work: no other Allemande of Bach surpasses this one in melodiousness, conceived as it seems to be (like the Sarabande) for a solo voice rising above a basso continuo.” The individual edition of the sixth and last Partita in ­ E minor BWV 830 was published in time for the Michaelmas Fair of 1730, but had apparently been written long before the first. Bach included an early version of it in the Clavier-­ Büchlein for Anna Magdalena Bach in 1725; two of its move22


ments also made a guest appearance in a Sonata for Violin and Harpsichord (BWV 1019a), which was rewritten several times. In the final version of this Partita, the Allemande, which makes the utmost of every single measure, is followed immediately by a Corrente, brisk and delicate—and broken by syncopations, with the descant always a hair’s breadth ahead of the bass. Following Couperin’s model, Bach placed both a gently moving Air (with a petite reprise) within the suite of dances as well as a sarabande grave, which is crisscrossed by Italianate tirate, ornamentations of rapid scale ­figures. Another Tempo di Gavotta follows: then a “fugue set in the manner of a gigue” concludes the sixth Partita, which had begun with a fugue, framed by the fanfares and passaggi of a toccata. As a young organist in Arnstadt, Bach had ­improvised such fugues, to his congregation’s astonishment. In short, anyone able to master this keyboard exercise might indeed “make a name for himself ” with it: a great Baroque setting condensed in the pianistic microcosm of a Bach ­Partita. “To music lovers, for their spiritual refreshment”? Almost 300 years later, it remains hard to understand that such ­demanding works could have been intended for amateurs: works of which we believe today that only the greatest pianists can do them justice! And on top of it all, this strenuous ­exercise was meant to be refreshing? Simply put, once again: times have changed. But historical change should not stop us from learning from distant epochs: that the love of music is the beginning and the end, not specialization; that ­practicing can be pure pleasure as well, but that the promised refreshment of the spirit can only be attained through time, patience, and dedication. These self-evident truths were only obscured by the mindless, mechanical busyness of the etude and the cult of pianistic technique of later eras—and yet, the knowledge of the beautiful difficulties of music has never been completely lost. Translation: Alexa Nieschlag

Wolfgang Stähr, born in Berlin in 1964, writes about music and literature for newspapers, radio stations, the festivals of Salzburg, Lucerne, and Dresden, orchestras including the Berliner Philharmoniker and Munich Philharmonic, record labels, and opera companies. He has contributed essays to books on the reception of Bach and Beethoven, and on Haydn, Schubert, Bruckner, and Mahler.

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