Der Pierre Boulez Saal - von der Idee zum Bau

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Der Pierre Boulez Saal – von der Idee zum Bau Der Pierre Boulez Saal zählt zu den kleinsten Bauprojekten Frank Gehrys aus jüngerer Zeit, doch gleichzeitig zu den emotional ausdrucksstärksten. Dieser Saal ist nicht nur sichtbarer Ausdruck seiner Liebe zur Musik, sondern auch seiner Beziehung zu Daniel Barenboim, einem von vielen Musikern – darunter auch der Namensgeber Pierre Boulez –, mit denen Gehry eine enge persönliche Freundschaft verbindet (oder verband), die auf gemeinsamen Werten und Über­ zeugungen gründet ebenso wie auf ­seiner Bewunderung für ihre künstlerischen Leistungen. Im Falle Daniel ­Barenboims entstand diese Freundschaft durch die Wertschätzung, die Gehry schon lange für Barenboims West-Eastern Divan Orchestra hegte. Für ihn stellte dieses Orchester einen musikalischen Gegenpol dar zu seinen eigenen langjährigen Bemühungen, Kunst und ­Architektur als Mittel zur Über­windung sozialer und politischer Grenzen ein­zu­ setzen. Im Jahr 2012 wandte sich Barenboim an seinen Freund mit der Frage, ob er sich vorstellen könne, einen kleinen Kammermusiksaal in Berlin zu entwerfen, der ihrem gemeinsamen Freund Pierre Boulez gewidmet sein und gleichzeitig als Herzstück der Barenboim-Said ­Akademie dienen sollte, die Barenboim im gleichen Jahr gegründet hatte, um den Auftrag des transkulturellen Dialogs, der einen zentralen Aspekt in der Arbeit des Divan ausmacht, weiterzuentwickeln. Das Budget war ebenso überschaubar

wie der Raum: der Saal mit seinen 680 Plätzen würde nicht in einem neuen Bauwerk untergebracht sein, sondern im ehemaligen Magazingebäude der Staatsoper Unter den Linden. Barenboim betonte, dass es aufgrund der finanziellen Beschränkungen und der Notwendigkeit, den Saal in ein bestehendes ­Ensemble zu integrieren, nicht darum gehen könne, eine zweite Walt Disney Concert Hall zu bauen – jenen bemerkenswerten Konzertsaal in Los Angeles, dessen ­Äußeres nicht minder beein­druckend ist als sein Inneres. Wie die meisten Musiker teilte Barenboim die Begeisterung der Architekturkritiker für das, was Gehry mit der Disney Hall ­ge­lungen war. Doch hier würde sich der Architekt einer anderen Heraus­forderung stellen müssen: zu ergründen, ob ein schlichter, verhältnismäßig kleiner Raum, als Teil eines bestehenden Gebäudes und mit begrenztem Budget errichtet, eine ebenso starke emotionale Reaktion auslösen kann. Statt sich von diesen ­Bedingungen abschrecken zu lassen, war Gehry Feuer und Flamme und ­ver­­stand den Auftrag als Chance, sich a­ nderer Werkzeuge zu bedienen und zu ­erforschen, wie ein architektonisches Werk der leisen Art das Erlebnis des Musikhörens noch intensiver machen könnte. Durch seine Erfahrungen beim Bau der Disney Hall, der New World Symphony in Miami Beach und des Fisher Center im Bard College im Bundesstaat New York war Gehry klar, dass er imstande war, große Räume zu

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entwerfen, die sich ausgezeichnet für Orchestermusik eignen. Würde ihm Gleiches auch in den Dimensionen eines Kammermusiksaals gelingen? Gehrys anfänglicher Plan für Berlin sah vor, in den rechteckigen Bau des Magazins ein Oval hineinzusetzen, und diese Idee skizzierte er für Barenboim, als die beiden sich zu einem ersten ­Gedankenaustausch über den Saal trafen. (Diese allererste Skizze ist auf dem Umschlag dieses Programmhefts zu ­sehen.) Stets selbstkritisch veranlagt, ­begann sich Gehry nicht lange nach Anfertigung dieser ursprünglichen Skizzen zu fragen, ob die Idee des Ovals nicht doch zu ambitioniert und es in diesem Fall angemessener sei, seinen instinktiven Drang hin zu kühnen Formen zu zügeln. So begann er stattdessen mit einem traditionellen Schuhschachtel-Entwurf zu experimentieren, der sich dem vorhandenen Raum ohne weiteres anpasste. Als Barenboim diese neuen Skizzen zu Gesicht bekam, ­vermisste er das Oval und ermutigte Gehry, es wieder aufzugreifen und sich nicht um vermeintlicher Bescheidenheit oder Einfachheit willen irgendeine Art von Selbstbeschränkung aufzuerlegen. Es spricht für den gegenseitigen ­Respekt dieser beiden Künstler, dass sich ­Barenboim nicht scheute, Gehrys ­konventionelleren Plan rundheraus ­abzulehnen, weil er spürte, dass es ihm an emotionaler Kraft und Ehrgeiz fehlte – zwei Qualitäten, für deren Abwesenheit Gehry üblicherweise nicht bekannt ist. Erleichtert, um nicht zu sagen erfreut über die Reaktion seines Freundes, wandte er sich wieder seinem ursprünglichen Konzept zu. Indem er die Musiker

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in der Mitte des Ovals platzierte, gelang es ihm, die Grenzen zwischen Bühne und Publikum zu verwischen. Ein zweites Oval diente als Rang, in der Achse leicht verschoben, nicht nur um die Sichtlinien zu verbessern, sondern auch um in die Gesamtkomposition ein Moment der Bewegung hinein­ zubringen. Rechtwinklige Linien waren für Gehry nicht die natürlichen Linien der Musik. Die beiden gegeneinander ver­ schobenen Ovale sorgten für eine lyrische Qualität ebenso wie für die Komplexität harmonischer Balance. Und so entwickelte sich der Entwurf weiter. Über viele Monate hinweg ­wurde er verfeinert, mit Hilfe von Yasuhisa Toyota und seiner Firma Nagata Acoustics, die Gehry dabei unterstützten, die Höhe des oberen Rangs und die Position von gewölbten Glasblenden festzulegen und damit nach und nach das ideale Gleichgewicht zwischen der zartgliedrigen Intimität eines kleinen Raums und der Gravitas eines großen Saals herzustellen. In seinem Büro in Los Angeles widmete sich Gehry den verschiedenen Modellen mit der gleichen Hingabe, die er sonst 50-stöckigen ­Wolkenkratzern und mächtigen ­Museumsbauten angedeihen ließ. Seine Leidenschaft für diesen kleinen Saal war sichtbar für jeden, der in sein Atelier kam und ihn dabei beobachtete, wie er einen Raum schuf, der sowohl die der darin erklingenden Musik angemessene Würde besitzen sollte, als auch die Unkompliziertheit eines Saals, in dem kein Zuhörer mehr als 15 Meter von den Musikern entfernt ist und mancher sogar nur einen Meter. Der Pierre Boulez Saal war das Projekt, bei dem Frank

Gehry spürte, dass er aufs Neue darüber nachdenken konnte, wie Architektur das Erleben von Musik positiv beeinflussen kann, doch auf neue Art und Weise: ein Gefühl von Nähe würde hier das Ziel sein, in einem Raum, der im kleinen Maßstab ebenso vollkommen sein sollte wie die Disney Hall im ­großen. Das Ergebnis ist ein Saal, der nach außen hin kaum auffällt, der beim

ersten Betreten bescheiden und zurückhaltend wirkt, und doch dazu fähig ist, uns in einen Zustand intensiverer ­Emotionen zu versetzen wie auch ­Musik es tut, subtil und kraftvoll zugleich – ein Raum, der seinen Zauber erst entfaltet, wenn die Musik beginnt, wenn Architektur und Klang eins w ­ erden. Paul Goldberger

Der Autor war Architekturkritiker der New York Times und des New Yorker und hat zahlreiche Bücher zum Thema veröffentlicht, darunter Why Architecture Matters und Building Art: The Life and Work of Frank Gehry, das 2019 ­erschienen ist.

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