Elisabeth Leonskaja

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Elisabeth Leonskaja

Einführungstext von Antje Reineke Program Note by Harriet Smith


ELISABETH LEONSKAJA Donnerstag  7.

Oktober 2021 19.30 Uhr

Elisabeth Leonskaja Klavier


Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Klaviersonate D-Dur KV 284 (205b) (1775) I. Allegro II. Rondeau en Polonaise. Andante III. Tema. Andante – Variationen I–X – Var. XI. Adagio cantabile – Var. XII. Allegro

Jörg Widmann (*1973) Elf Humoresken für Klavier (2007) Auswahl I. Kinderlied IV. Waldszene VI. Warum? – VII. Intermezzo VIII. Zerrinnendes Bild – IX. Glocken X. Lied im Traume – XI. Mit Humor und Feinsinn

Johannes Brahms (1833–1897) Klaviersonate Nr. 3 f-moll op. 5 (1853) I. Allegro maestoso II. Andante espressivo – Poco più lento – Andante molto – Adagio III. Scherzo. Allegro energico – Trio IV. Intermezzo. Andante molto V. Finale. Allegro moderato ma rubato – Più mosso – Presto – Tempo I

Keine Pause

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„Also schreibe man Sonaten …“ Klavierwerke von Mozart, Widmann und Brahms

Antje Reineke

Die Sonate habe „ihren Lebenskreis durchlaufen“ und dies sei „ja in der Ordnung der Dinge“, erklärte Robert Schumann 1839. Man solle „auf Neues bedacht sein. Also schreibe man Sonaten oder Phantasien (was liegt am Namen!), nur vergesse man dabei die Musik nicht […].“ Damit wandte sich der Komponist weniger gegen die Gattung selbst als gegen ihren Missbrauch „als Formstudien“. Von den Sonaten, die ihm der junge Johannes Brahms im Oktober 1853 bei seinem ersten Besuch in Düsseldorf vorspielte, war er begeistert. Clara Schumann schrieb in ihr Tagebuch: „Er spielte uns Sonaten, Scherzos etc. von sich, alles voll überschwänglicher ­Phantasie, Innigkeit der Empfindung und meisterhaft in der Form.“ Die Vorherrschaft der Sonate in der Klaviermusik, die zur Zeit Mozarts bestanden hatte, war in der Tat vorbei, auch wenn die ­Gattung nie so tot war, wie sie nicht nur von Schumann gesagt wurde. An ihre Stelle war das lyrische Klavierstück getreten, das der zeitgenössischen Vorstellung von Musik als Poesie entgegenkam. Schumann bildet einen wichtigen Bezugspunkt für das Programm von Elisabeth Leonskaja. Jörg Widmanns Elf Humoresken, 2007 im Auftrag der Carnegie Hall komponiert und dort im ­folgenden Jahr von Yefim Bronfman uraufgeführt, sind eine Hommage an die ­große Ikone der deutschen Romantik. Und Brahms’ Dritte Klaviersonate entstand in großen Teilen während seines ­Besuchs bei den Schumanns.

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Wolfgang Amadeus Mozart komponierte seine D-Dur-Sonate KV 284 Anfang 1775 im Auftrag des Freiherrn von Dürnitz in München, wo er sich für die Uraufführung seiner Oper La finta ­giardiniera aufhielt. Zugleich schließt das Stück eine Gruppe von sechs Sonaten für den eigenen Gebrauch ab (KV 279–284), die Mozart in den folgenden Jahren vielfach aufführte. In die Zeit dieses München-Aufenthalts fällt zudem der erste überlieferte Auftritt Mozarts an einem Hammerklavier, wobei diese Sonaten für Cembalo oder Clavichord konzipiert worden sein dürften. Bezeichnenderweise weicht der Erstdruck von KV 284 aus dem Jahr 1784 in ­zahlreichen Details speziell der Dynamik vom Autograph ab, was die zunehmende Bedeutung von Hammerklavieren zu reflektieren scheint. Als Mozart im Oktober 1777 in Augsburg die Instrumente des Klavierbauers Johann Andreas Stein ausprobierte, die über die zukunftsweisende Prellzungenmechanik verfügten, spielte er unter anderem die D-Dur-Sonate und äußerte sich begeistert. Das Werk komme „auf die Pianforte vom stein unvergleichlich heraus“, meinte er. Noch im selben Monat musizierte er im Rahmen einer eigenen Akademie erneut auf einem Stein’schen Instrument. Die Augsburgische Staats- und Gelehrten Zeitung berichtete: „Alles war außerordentlich geschmackvoll und bewundernswerth. Die Composition gründlich, feurig, mannigfaltig und einfach: die Harmonie so voll, so kräftig, so unerwartet, so erhebend; die Melodie so angenehm, so tändelnd, und alles so neu […].“ Für diese Mannigfaltigkeit, Mozarts charakteristischen Ideenreichtum, bietet das Allegro der Sonate KV 284 ein gutes Beispiel. Der Komponist bedient sich hier einer Vielzahl kurzer kontrastierender Ideen, die sich in rascher Folge aneinanderreihen: Der Satz beginnt wie eine Symphonie mit einem Akkordschlag und anschließendem Unisono, geht nach drei Takten zu ­einer gesanglichen Figur über, der ein brillanter Lauf, eine neue gesangliche Passage sowie eine abermals orchestral wirkende Sequenz mit Tremoli und Oktaven im Bass folgen. Mit der Vorstellung von klar abgegrenzten Themen kommt man hier nicht weiter. Wieder einmal zeigt sich, dass die sogenannte Sonatensatzform keinem ­festgelegten Schema folgte, sondern äußerst variabel war. Die Überzeugung, „dass eine gelungene Komposition einen einheitlichen Charakter haben müsse, und auch, worin sich die Einheit zu ­beweisen hatte: in der Organisation der Themen und ihrer motivischen Verknüpfung“, sei erst im 19. Jahrhundert entstanden, betont die Musikwissenschaftlerin Marie-Agnes Dittrich.

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Dass hier dennoch der Eindruck eines umfassenden Zusammenhangs entsteht, hat unterschiedliche Erklärungsversuche zur Folge gehabt. Diese verweisen auf den Rhythmus, insbesondere die schwungvolle Motorik des Satzes, die orchestrale Klangfarbe oder die Wiederkehr bestimmter Gesten wie des absteigenden Skalenmotivs im ersten Takt. Eine zentrale Rolle spielt in jedem Fall die Harmonik, die die einzelnen Ideen zusammenfasst und den großräumigen Verlauf regelt. Entscheidend ist die Gliederung der ­Exposition in zwei tonale Bereiche, der erste in der Grundtonart, der zweite in der Dominante A-Dur. Die Reprise steht üblicherweise vollständig in der Grundtonart. Mozarts gesanglicher Seitensatz beginnt dort insofern tiefer als zuvor, wird dann aber in der oberen Oktave fortgesetzt, so dass ein gegenüber der ursprünglichen Version neuer Klangkontrast entsteht. Überraschend ist auch der mit „Rondeau en Polonaise“ überschriebene zweite Satz. Zwar waren Menuette an dieser Stelle nicht ungewöhnlich und Polonaisen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beliebt – eine andere Verwendung dieser Tanzform innerhalb einer Sonate ist allerdings nicht bekannt. Der abschließende Variationensatz ist länger als Allegro und Rondeau zusammen und stellt mit der ornamentierten Adagio cantabile-Variation an vorletzter sowie dem lebhaften Allegro an letzter Stelle fast so etwas wie eine Sonate in der Sonate dar. Sein Thema ist im Stil einer Gavotte ­gehalten – Rousseau beschreibt diesen Tanz als „anmutig und oft fröhlich“, was auf Mozarts Thema durchaus zutrifft. Die Variationen sind mal verspielt wie die zweite, in der sich die Hände erst unterschiedlich artikulieren und dann zusammenfinden, oder die vierte, die den Auftakt über drei Oktaven spreizt und ihre Melodie nach zwei Takten abbricht, um mit der rechten Hand die arpeggierte Begleitung der linken zu spiegeln; mal sind sie brillant wie die sechste, in der sich die Hände immer wieder kreuzen. Momente der Ruhe bilden die fünfte Variation mit Tonrepetitionen und Terzgängen im Legato sowie die siebte in Moll. Die Nr. 9 ist kontrapunktisch ­gearbeitet, das abschließende Allegro wiederum steht im Dreivierteltakt und verleiht dem Tanz damit einen völlig neuen Charakter.

Die Frage nach Gattungsnormen stellt sich bei einer Humoreske nicht. Ein solches Stück definiert sich über den Inhalt und ist damit

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durch Kontrastreichtum und formale Freiheit gekennzeichnet. Es war Robert Schumann, der die Bezeichnung aus der Literatur in die Musik überführte. Seine Humoreske für Klavier op. 20 ist ein knapp halbstündiges, einsätziges Stück, das aus einer Vielzahl relativ kurzer Teile besteht. Humor im Sinne Schumanns ist als vielschichtiges Konzept zu verstehen, das nicht grundsätzlich komisch ist, sondern, so der Musikwissenschaftler Bernhard R. Appel, „die Brüchigkeit, Widersprüchlichkeit und Gebrochenheit der humanen Existenz“ thematisiert. Schumanns Humorbegriff war von Jean Paul geprägt, der ihn in der Vorschule der Ästhetik als „das umgekehrte Erhabene“ definiert: „Wenn der Mensch […] mit der kleinen [Welt], wie der Humor tut, die unendliche ausmisset und verknüpft: so entsteht jenes Lachen, worin noch ein Schmerz und eine Größe ist.“ Schumann nannte seine Humoreske „vielleicht mein Melancholischstes“. Auch Jörg Widmann erklärt, bei seinen elf Humoresken gehe es „um ein wirklich ernstes Anliegen“. Die musikalische Humoreske kennzeichnen insofern unvermittelte Stimmungswechsel, die Kombination scheinbar gegensätzlichen Materials, Mehrdeutigkeiten, das Spiel mit Erwartungen, Zitate und Allusionen. Dieses Spiel mit dem Vertrauten findet sich gleich in Widmanns erster Humoreske, dem „Kinderlied“, das auf einem kurzen Melodiefragment basiert. In der Art und Weise, wie es in immer neuen Varianten dieser Phrase spielerisch die Welt (des ­Klaviers) erkundet, scheint es ähnlich Schumanns Kinderszenen ein Stück über Kinder zu sein. Die Melodie hebt traditionell an, beginnt aber rhythmisch „zu eilen“ und begibt sich sodann in dissonantere Sphären. Als Gegenstimme kommt ihre verkürzte Umkehrung in einer anderen Tonart hinzu. Dieses Interesse an kontrapunktischen Strukturen verbindet Widmann mit Schumann. Zwischen die ­Varianten der Anfangsphrase tritt hier ein erregtes Arpeggio, dort ein „inniger“ Moment, dann wieder ein lebhafter Walzer und ­gegen Ende eine „misterioso“ überschriebene Steigerung voller ­Triller und Tremoli, die von dem kleinsten möglichen Intervall in der Mitte der Tastatur (der kleinen Sekunde f–e) bis an ihre Enden führt. Dabei paart sich auf engstem Raum scheinbare Einfachheit mit Virtuosität. Ein abgründiger Humor kennzeichnet dagegen die „Waldszene“, die Jagdhornmotive als Natursymbol einbezieht, aber alles andere als idyllisch daherkommt. Der forsche Beginn verliert sofort an Schwung und endet ein ums andere Mal im Pianissimo. Zum ersten, natürlichen Hornpaar gesellt sich ein zweites, das nicht nur mit ihm

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dissoniert, sondern auch in sich „verzerrt“ scheint. „Schüchtern, fragend“ lautet die Spielanweisung an einer Stelle, an der von dem Hornruf nur mehr zwei leise Terzen übrig sind. Schumann hat ­einen ganzen Zyklus von Waldszenen mit zwei Jagdstücken komponiert. Eine weitere Parallele, auch in der Form des Hornrufs, scheint das verstörende Waldesgespräch aus den Eichendorff-Liedern op. 39 zu bieten, das von einer fatalen Begegnung mit der Lorelei handelt. Die elf teils sehr kurzen Humoresken sind als Zyklus angelegt, bilden in ihrer ganz individuellen Ausprägung also ein größeres Ganzes. Ihre poetisch-assoziativen Titel lehnen sich nicht nur an Schumann an, einige sind sogar wörtlich von ihm übernommen, etwa „Fast zu ernst“ aus den Kinderszenen oder „Warum?“ aus den Fantasiestücken op. 12. Nicht wenige schließen attacca aneinander an. Bei allem Abwechslungsreichtum durchläuft der Zyklus eine Entwicklung vom spielerischen Beginn zu etwas sehr viel Ernsterem. Eine verstörende Spiegelung ergibt sich zwischen „Glocken“ und „Lied im Traume“: Die Glocken werden durch den repetierten Ton G vertreten, der anschließende Traum wiederholt von einem ­ „jäh dreinfahrenden“ A gestört. Das ist insofern bezeichnend, als Schumann in den Tagen vor seinem Suizidversuch im Februar 1854 permanent den Ton A gehört haben soll. Dazu bricht das Stück mitten in einem Zitat aus Schumanns letzter Komposition, den Geistervariationen, ab. Mit dem gleichen Ton beginnt auch „Mit Humor und Feinsinn“, das Widmann als „fast schon wie ein Stück im Stück“ bezeichnet. „Schumann hätte es wahrscheinlich ‚Nachklänge aus dem Theater‘ genannt“ (was natürlich ein Titel aus dem Album für die Jugend ist). Das kurze Walzerfragment aus dem „Kinderlied“ erhält nun eine prominente Rolle. In einem Interview mit der Musikredakteurin Meret Forster äußerte sich Widmann recht ausführlich zu diesem Stück und erzählte, „dass Schumann oft ohne Grund auf Zehenspitzen durch die Wohnung gegangen sein“ müsse und dass er ­offenbar „den Gang von Leuten am Klavier unglaublich gut imitieren konnte. […] Und diese Charakterisierungskunst von Schumann spielt hier eine Rolle.“ Widmanns Vorwort zur Partitur der Elf ­Humoresken schließt mit dem Wunsch: „Möge der Interpret in ­jedem der Stücke dessen ganz eigenen Tonfall entdecken und ihn, mal spöttisch, dann wieder trocken, hier melancholisch-verhangen, aber immer mit Humor und Feinsinn zum Klingen bringen.“

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Brahms’ Klaviersonate f-moll datiert, wie bereits erwähnt, vom Oktober 1853, wobei die beiden langsamen Sätze offenbar schon früher entstanden waren. Darauf dürfte die ungewöhnliche Fünfsätzigkeit der Sonate zurückgehen, für die der Komponist mögliche Vorbilder bei Schumann fand. Dessen f-moll-Sonate op. 14 bestand in ihrer unveröffentlichten Urfassung ebenfalls aus fünf Sätzen, und auch der fünfsätzige Faschingsschwank aus Wien, ­zunächst als „große romantische Sonate“ bezeichnet, bietet eine ­Parallele. Das Allegro maestoso ist durch das Prinzip der „entwickelnden Variation“ geprägt, das insbesondere mit Brahms assoziiert wird, aber schon in der Generation von Schumann, Mendelssohn und Chopin verbreitet war. Alles Wesentliche in diesem Satz ist aus dem punktierten Kopfmotiv des Hauptthemas abgeleitet, das aus einer Abwärtsbewegung abrupt aufwärts springt. Dem mächtigen Fortebeginn folgt eine leise, tiefer liegende Passage, die eine rhythmisch glattere Motivversion verwendet, durch das Ostinato des Basses aber auch von einer fundamentalen Unruhe erfüllt ist. Die Überleitung kombiniert das Motiv mit einer augmentierten Version, aus der schließlich das lyrische Seitenthema hervorgeht. Die Vermittlung ist zugleich emotionaler Natur, beginnt die Überleitung doch „fest und bestimmt“ und endet zart, leise und in hoher Lage. „Entwicklung“, so vermutet der Musikwissenschaftler Gero Ehlert, äußere sich hier „in der ‚Erforschung‘ der Ausdrucksmöglichkeiten eines thematischen Einfalls“. All dies muss man nicht unbedingt bewusst nachvollziehen – die Konstruktion ist kein Selbstzweck, sondern dient der Poesie, indem sie innerhalb eines höchst kontrastreichen und variablen Gebildes unterschwellige Einheit schafft. Ein weiteres gesangliches Thema erscheint im Zentrum der Durchführung. Von ihm spannt sich ein Bogen zum Schluss des zweiten Satzes, mit dem es die Tonart Des-Dur teilt. Entscheidend ist nicht nur die melodische Ähnlichkeit, die über die Distanz ­hinweg unauffällig bleibt, sondern auch die Wirkung des Neuen und der ausdrucksstarke Charakter der Themen. Denn am Ende des zweiten Satzes öffnet sich in den Worten von Ludwig Finscher „schlagartig ein neuer Horizont“. Das führt mitten hinein in das schwierige Gebiet der Poesie. Während der Drucklegung der Sonate entschied Brahms, dem zweiten Satz Verse von C. O. Sternau voranzustellen, da sie „zum Verständnis […] vielleicht nötig oder ­angenehm“ wären: „Der Abend dämmert, das Mondlicht scheint. / Da sind zwei Herzen in Liebe vereint / Und halten sich selig um-

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fangen.“ Seither wird gerätselt, ob diese Worte ein verstecktes ­Programm andeuten oder lediglich die musikalische Stimmung ­charakterisieren. Offensichtlich sind jedenfalls die Nähe dieses ­Andante espressivo zur Gattung des Nocturne und der dialogartige Charakter vieler Passagen. Für den Schlussabschnitt, der leidenschaftlich gesteigert wird und dann allmählich verlischt, wandelt Brahms eine Liedmelodie von Johann Friedrich Reichardt ab. Hier liegt insofern der Ursprung sowohl des vorangehenden dialogartigen zweiten Teils des Satzes, der in seiner Kontur dieser Melodie ähnelt, als auch des Durchführungsthemas aus dem ersten Satz. Brahms kannte die Melodie mit einem Text von Wilhelm Hauff, in dem ein Soldat an seine ferne Geliebte denkt. Da der Komponist die Verwendung des Liedes ­allerdings nie erwähnte, ist es zumindest fraglich, ob der Gedanke der Trennung für die Satzkonzeption tatsächlich relevant war. Das verstörende Intermezzo, laut Finscher der „Rückblick auf das zerstörte Idyll des Andantes“, verwandelt den Beginn des zweiten Satzes in einen Trauermarsch in b-moll, unterlegt mit Trommel­ motiven und ergänzt um scharf dissonante fanfarenartige Akkorde. Später erscheint eine in breiten Akkorden fast bis zur Unkenntlichkeit entstellte Reminiszenz an Reichardts Liedmelodie. Die Art, wie sie nach kräftigem Beginn leise und mitten in der Kadenz endet und nach einer Pause zaghaft und hell die absteigenden Terzen ­wiederkehren, ist geradezu gespenstisch. Für den Trauermarsch als Bestandteil einer Klaviersonate finden sich natürlich Vorläufer bei Beethoven und Chopin. Zugleich beinhaltet auch die Tradition des Nocturnes die Assoziation von Nacht und Tod. Zwischen den beiden Andante-Sätzen kombiniert das Scherzo einen walzerartigen Haupt- mit einem zarten, quasi-improvisatorischen Mittelteil und einem Trio, das in ruhigen Akkorden eine weitere kantable Des-Dur-Melodie präsentiert. Das Finale ist ein freies virtuoses Rondo, dessen erstes Couplet auf der Tonfolge F–A–E für „Frei, aber einsam“ aufbaut, dem von Brahms übernommenen Motto des Geigers Joseph Joachim. Das zweite Couplet verarbeitet die Melodie von Joseph Haydns Kaiserhymne bzw. des Deutschlandlieds von Heinrich Hoffmann von Fallersleben (den Brahms im Sommer 1853 kennengelernt hatte): choralartig, kantabel und erneut in Des-Dur. Als mögliche Motive für dieses Zitat führt Ehlert „Wertschätzung für das dichterische Werk“ und Begeisterung „für die politischen Ziele“ Hoffmanns an sowie eine „Anspielung auf das gesellige Studentenleben“, das „Brahms im Sommer 1853

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[…] in Göttingen genoß“. Das Thema bleibt für den weiteren ­Satzverlauf bestimmend. Es wird zunächst mit dem scherzohaften Refrain verschränkt und bildet die Grundlage für die brillant ­gesteigerte, apotheotische Coda, die sich wie schon der erste Satz nach F-Dur wendet.

Antje Reineke studierte Historische Musikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Neuere ­deutsche Literatur an der Universität Hamburg und promovierte dort mit einer Arbeit über ­Benjamin Brittens Liederzyklen. Sie lebt als freie Autorin und Lektorin in Hamburg.

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Role Models and References Piano Works by Mozart, Widmann, and Brahms

Harriet Smith

Tonight’s program is bookended by two extraordinarily confident examples of young composers taking the sonata—that most august of genres—and making it entirely personal. Brahms was only 20 when he composed his Third Piano Sonata, a work combining flair, virtuosity, and a cheeky desire to put his own stamp on it with an unorthodox five-movement structure. At 19, Mozart was younger still (though already an old hand, compositionally speaking) when he completed his D-major Sonata K 284 in 1775. Like Brahms, he toys with convention, creating a variation-form finale that ensures that it is here, rather than in the first movement, that the real emotional weight of the work lies. In between comes Jörg Widmann’s Elf Humoresken (Eleven ­Humoresques), music that dances effortlessly between the past and the modern day. Schumann is a particular love of his, both as a player (he is an esteemed clarinetist) and a composer. As he has commented: “I learnt a lot from Schumann’s piano writing and would even say that my piano music would be unthinkable without his.” These pieces were commissioned by Carnegie Hall for Yefim Bronfman, where he premiered them in 2008.

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Mozart’s D-major Sonata is the last of a set of six written in 1775, and it was a work of which he was particularly proud— deservedly so, for in spirit it seems to anticipate his mature music. The opening Allegro has an endearing swagger and sounds almost orchestral in its thinking, as well as brilliantly virtuosic. Even the foray into the minor in the development section cannot dent its sturdy self-confidence, while in the frugal use of material, it looks both to Haydn and forward to Beethoven. The second movement, strikingly described as a “Rondeau en Polonaise,” is a study in elegance that owes more to galant French keyboard sonatas than the Italian models usually regarded as Mozart’s starting point. On its first hearing, the unadorned rondo theme seems to be crying out for ornamentation—something that pianists of the day would have supplied off the cuff. And indeed, every time it returns, it is decorated in a slightly different manner. Elegance is to the fore in the theme that launches the variation­form finale too, initially heard against a simple Alberti bass. This is by far the most substantial movement, going against the notion that the Classical sonata was fundamentally a front-heavy beast: here the tail is unequivocally wagging the dog. Each of the 12 variations focuses on a particular aspect of keyboard writing—tremolos, hand-crossings, octaves, and such like—all elements that featured in the opening movement. Mozart also creates the sense of gathering momentum with the introduction of triplets (No. 1 and 2) and ­semiquavers (Nos. 3 and 4). The extrovert Variation 6 abounds in hand-crossings, followed by a switch in mood in the minor-key ­seventh, while the following three again build in brilliance, with the ninth an adroit canon and the tenth presenting a variant of the theme in the left hand against scurrying right-hand figuration. But just as we seem to be heading for a triumphant coda, we’re stopped in our tracks: Variation 11 is a spacious and ravishing aria-like ­Adagio cantabile dripping with limpid ornamentation. In the 12th we finally get our anticipated big send-off, now in a cheeky 3/4, as Mozart gleefully exploits the capabilities of both instrument and performer.

In the preface to his Humoresken Jörg Widmann writes: “May the performer discover the specific tone of each of the pieces and

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make it sound sometimes scornful, sometimes dry, tinged with ­melancholy, yet always with humor and sensitivity.” He borrows more than just the name from Schumann, and, like his great forebear, his interpretation of the term “humoresque” is far from merely light­ hearted. Some of the titles of pieces within the set are direct ­Schumann borrowings, such as the second “Fast zu Ernst” and the sixth “Warum?”, which derive from Kinderszenen and the Op. 12 Fantasiestücke, respectively, while “Waldszene” (No. 4) harks back to Schumann’s Waldszenen Op. 82. It’s easy to play “spot the quote” in this score, but perhaps more pertinent is the way that Widmann takes Schumannesque devices, such as the sequence of short pieces with highly contrasting moods, and turns them into something new. The first piece, initially tentative, has moments of virtuosity; No. 2 is altogether gentler, its sighing mood brutally cut short, while No. 3 beings snarlingly deep in the piano’s register, its ire cut through by a motif that Widmann uses in many different registers and rhythms before a return to the abyss. The fourth piece channels its forest title through horn calls and galumphing hunting rhythms, while “Choral” (No. 5) is in complete contrast, initially richly chordal and majestic, before the texture thins out as it rises upwards. The central piece is full of anger, grabbing attention with a smashing opening at the extreme ends of the keyboard. The ironically titled “Intermezzo” (No. 7) is equally ­dramatic but in a different way, its energy almost out of control. For No. 8 things turn more quizzical, a falling-second interval dominating the piece; both Nos. 9 and 10 are highly concentrated, the first contrasting a repeated note high in the treble with often-dissonant chords, followed by “Lied im Traume,” in which the Schumannesque opening phrase is ultimately silenced by the insistent repetition of a single note. The final piece is the longest by some way, and the most overtly tonal—at least in parts, its whirring energy only stilled as it reaches the extremes of the piano.

The date of September 30, 1853 was a red-letter day for Johannes Brahms, for it marked his first encounter with Robert and Clara Schumann in Düsseldorf. He arrived clutching two piano sonatas and a scherzo, hoping to impress Robert. And, as history relates, he did, for just a month later Schumann famously praised him to the

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skies in an essay entitled New Paths. With Schumann’s encouragement Brahms immediately resumed work on his unfinished Third Sonata (started earlier the same year), the F-minor. Even though it followed hot on the heels of the previous two, it demonstrates further giant strides in its pianism and the composer’s handling of form. It is evident on every page that Brahms was writing for his own instrument, yet the sonata also possesses an almost symphonic quality in its range of sonorities and the serious drama that unfolds over nearly 40 minutes. That supreme confidence is evident from the opening, which strides in with considerable aplomb. There is confidence, too, in the way that, having written two sonatas in the standard four-­ movement form, he felt sufficiently certain of his own abilities to add an additional one, placing an Intermezzo between the Scherzo and Finale. This was as personal a take on the vexed question of how to write a post-Beethovenian sonata as Liszt’s great B-minor (completed the same year, 1853) and Charles-Valentin Alkan’s ­Grande Sonate from the previous decade. And, like Liszt, Brahms ensures structural coherence by cross-referring material across the entire work. Another of the things that so impresses about the piece is the economy with which the composer uses his material. This is ­particularly apparent in the opening Allegro maestoso, which is in fact a compact sonata-form construction, but which sounds anything but small-scale thanks to the varied way in which Brahms draws on the various elements of the opening idea—rhythm, melodic motifs, harmony—for most of the subsequent material. Equally striking is the interplay between fervor and quiet withdrawal, the two elements constantly played out right up to the brilliantly assertive coda. The drawn-out slow movement is the most personal one that Brahms had written up to that point. As if its consoling melody were not enough, its poetic nature is made explicit by a quotation at the head of the page from a poem by C. O. Sternau: “Der Abend dämmert, das Mondlicht scheint. / Da sind zwei Herzen in Liebe vereint / Und halten sich selig umfangen.” (Evening shades gather, the moon shines forth. Two hearts are united in love and enfolded in a blissful embrace.) Its hushed opening idea and simple accompaniment are constructed from a chain of falling thirds (an interval that obsessed Brahms throughout his life). It is the simplest of notions, yet it has an almost seraphic demeanor. This is answered by a second theme, quieter still

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and full of a wistfulness worthy of Schumann himself. The middle section, in a sonorous D flat and the unusual key signature of 4/16, builds to an intense climax, its emotionalism made explicit by the instruction “con passione e molto espressivo”—perhaps a graphic depiction of Sternau’s two hearts “united in love.” The return of the opening material is followed by a section marked “Andante molto” which, though sounding new, is in fact derived from the central section. The voluptuous warmth of the coda is disturbed by an ­incessantly repeated A flat in the left hand (coincidentally or not the same note that Chopin uses to such effect in his so-called “Raindrop” Prelude), which gives way to one more impassioned cry before the music sinks down once again, with a final reminiscence of the falling thirds that launched the movement what seems light years earlier. As Beethoven knew so well, the only riposte to such ardor is a movement of extreme energy. And that is what Brahms provides in the Scherzo, which enters with a bang. But, just as in the first ­movement, it is the juxtaposition of extremes of dynamic and mood that drive the music forward, this manic caper of a waltz veering precipitously between the Mephistophelean and the charming to disconcerting effect. The trio section is no slower but feels so with longer note values and the sustained hymn-like textures that Brahms so loved. Even in writing that seems so highly contrasted, he still manages to combine ideas from both the scherzo and trio in the lead-back to the repetition of the former. The Intermezzo, which must have come as such a surprise to early audiences, is subtitled “Rückblick” (Backward look) and recalls the falling thirds from the beginning of the slow movement, while the repeated triplets in the bass hark back to the opening pages of the first movement. With its dark-hued key of B-flat minor and its striking discords, it seems grief-stricken, the discords becoming more and more violent. If this is a look back at love lost, it is a very sour recollection. The finale of a sonata presented huge challenges to any composer writing in a post-Beethovenian landscape. The solutions were highly diverse—from the spectral dash of Chopin’s Second Sonata to Schumann’s rather more stream-of-consciousness ending to his First Sonata. Brahms uses a rondo form, but that gives little idea of the ingenuity and brilliance of the results. Just as in the Allegro maestoso, the opening idea sets up a great sense of anticipation. The first contrasting episode makes reference to the musical motto

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“F–A–E” (“Frei, aber einsam”: free but alone) of his friend, the great violinist Joseph Joachim. The second episode grows, in spirit at least, from the Scherzo’s trio and this comes to dominate much of the finale, with Brahms unable to resist the temptation to develop it canonically. It is this idea that challenges the rondo theme itself for supremacy, ultimately proving triumphant when it brings the sonata to an unashamedly ebullient close. Thanks to Schumann, all three of Brahms’s piano sonatas were in print by the time he was 21. And it was Clara who gave the first complete performance of the Third, in Magdeburg in the autumn of 1854. The tantalizing question is why, having shown such mastery and confidence in the form, did Brahms never write another piano sonata?

Harriet Smith is a classical-music journalist, editor, and broadcaster based in the UK.

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