Boulez Ensemble XXXIX Einführungstext von Michael Horst Program Note by Katy Hamilton
BOULEZ ENSEMBLE XXXIX Mittwoch 17.
November 2021 19.30 Uhr
Giuseppe Mentuccia Musikalische Leitung und Cembalo Virginie Verrez Mezzosopran Alberto Acuña Almela Flöte Julia Obergfell Oboe Tibor Reman Klarinette Jiyoon Lee, Yamen Saadi Violine Michael Barenboim Viola Astrig Siranossian Violoncello Anton Kammermeier Kontrabass Pedro Alcàcer Theorbe Aline Khouri Harfe Lorenzo di Toro Celesta, Klavier Dominic Oelze, Elias Aboud Schlagzeug
Antonio Vivaldi (1678–1741) Sonate für zwei Violinen und Basso continuo d-moll RV 63 op. 1 Nr. 12 „La Follia“ (1705) Variation I–XX
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Serenade für Streicher G-Dur KV 525 „Eine kleine Nachtmusik“ (1787)
I. Allegro II. Romance. Andante III. Menuetto. Allegretto – Trio IV. Rondo. Allegro
Luigi Dallapiccola (1904–1975) Piccola musica notturna für Kammerensemble (1954/61)
Luca Francesconi (*1956) Insieme II für sechs Instrumente (2016)
Luciano Berio (1925–2003) Folk Songs für Mezzosopran und sieben Instrumente (1964) I. Black is the colour II. I wonder as I wander III. Loosin yelav IV. Rossignolet du bois V. A la femminisca VI. La donna ideale VII. Ballo VIII. Motettu di tristura IX. Malurous qu’o uno fenno X. Lo fiolaire XI. Azerbaijan Love Song
Keine Pause
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Volkslieder und Nachtmusiken Zum Programm des Boulez Ensembles
Michael Horst
Italien als Land der Oper? Das mag für das 19. und beginnende 20. Jahrhundert zutreffen. Doch in der Zeit davor wie danach hat auch die Instrumentalmusik im Schaffen italienischer Komponisten einen breiten Raum eingenommen – in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt auch als Reaktion auf die als ästhetisch überholt angesehene Gattung der Oper. Insofern gleicht das heutige Programm einer Entdeckungsreise durch drei Jahrhunderte italienischer Instrumentalmusik – mit allen Möglichkeiten, die auch ein kleines, aber fantasievoll eingesetztes Ensemble bietet. Antonio Vivaldi war bereits 27 Jahre alt, als er sich 1705 mit seinem Opus 1 erstmals dem Publikum mit eigenen Werken präsentierte. Der Schritt dürfte wohl überlegt, die Wahl der Stücke genau kalkuliert gewesen sein. Die Triosonate – also die Sonate für zwei Melodieinstrumente plus Basso continuo – zählte neben dem Solokonzert zu den beliebtesten Instrumentalgattungen; dementsprechend groß war also auch die Zahl erfolgreicher Kollegen, von denen nur die Namen Corelli, Locatelli und Albinoni genannt seien. Vivaldi forderte sie heraus, indem er in seinem Erstlingswerk gleich zwölf Triosonaten zusammenfasste und damit auf einen Schlag das ganze Panorama seines Könnens zeigte. Als krönenden Abschluss stellte er ans Ende der Sammlung eine Variationenfolge, die wiederum ein zu Barockzeiten äußerst beliebtes Thema zum Ausgangspunkt nahm: „La Follia“ (Die Verrücktheit), ein von der iberischen Halbinsel stammendes, in seiner langsamen Bewegung einer Sarabande nicht unähnliches Musikstück, dessen schlichtes harmonisches Fundament wie geschaffen ist, um darüber ein kunstvolles Gebäude von Variationen zu errichten. Zu den Bewunderern
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und Bearbeitern dieser Melodie zählten später auch Bach Vater und Sohn Carl Philipp Emanuel. Ganz sicher dürfte Vivaldi die nur fünf Jahre zuvor entstandene Komposition Arcangelo Corellis bekannt gewesen sein, der „La Follia“ eine Variationenfolge für Solovioline und Basso continuo gewidmet hatte. Einer direkten Konfrontation ging der Jüngere insofern aus dem Weg, als er sich für zwei Melodieinstrumente entschied. Das gab ihm reiche kompositorische Möglichkeiten, die er ausgiebig nutzte: Nicht weniger als 20 Variationen werden in nur zehn Minuten vorgestellt. Dabei bleibt – anders als etwa in den „klassischen“ Variationszyklen eines Mozart oder Beethoven – die Grundstruktur jeder Variation immer gleich. Was sich ändert, ist allein die musi kalische Ausgestaltung der thematischen „Substanz“: Die Melodie selbst wird durch zusätzliche Punktierungen, Sechzehntelläufe und Sprünge, die für größere Klangfülle sorgen, rhythmisch belebt. Mal treten die beiden Solostimmen in einen Dialog, dann wieder demonstrieren sie duettierenden Gleichklang oder liefern sich einen virtuosen Schlagabtausch. Einige wenige ruhige Variationen sorgen für den notwendigen Ausgleich zu den immer brillanter zugespitzten Allegro-Abschnitten. Ob süße Klangschattierungen der beiden Violinen oder kontrapunktische Dichte – Vivaldi gibt mit diesen „Follia“-Variationen ein brillantes Beispiel dafür, was auf derart begrenztem Raum kompositorisch möglich ist.
Keine Entdeckungsreise ohne Überraschungen – wie sie in diesem Italien gewidmeten Programm Wolfgang Amadeus Mozarts G-Dur-Serenade KV 525 darstellt. Besser bekannt unter dem Namen „Eine kleine Nachtmusik“, darf sie mit Fug und Recht als sein populärstes Werk bezeichnet werden. Ihr beispielloser Siegeszug begann allerdings erst lange nach Mozarts Tod. Zu seinen Lebzeiten ist keine einzige Aufführung dokumentiert. Gedruckt wurde das Werk erstmals 1883 im Rahmen der bei Breitkopf & Härtel erschienenen Mozart-Gesamtausgabe, und im Zeitalter der Wagner-Begeisterung sollte es noch bis 1900 dauern, bevor das Stück bei professionellen wie auch Liebhaber-Ensembles mehr und mehr Interesse fand. Gesichert ist zumindest die Entstehungszeit: Mozart trug die Serenade am 10. August 1787 in sein eigenhändiges „Verzeichnüß aller meiner Werke“ ein, das er 1784 in Wien begonnen hatte, ohne dabei allerdings einen Anlass oder eine etwaige geplante Aufführung
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zu vermerken. Von einem solchen Anlass darf man allerdings aus gehen, war Mozart doch gleichzeitig mit der Komposition des Don Giovanni mehr als ausgelastet. Zudem stammen alle weiteren Serenaden aus früheren Salzburger Zeiten, während diese Gattung in Mozarts Schaffen der 1780-er Jahre nicht mehr auftaucht. Und noch eine Frage bleibt offen: Was ist mit dem weiteren Menuett plus Trio geschehen, das Bestandteil des vom Komponisten als fünfsätzig aufgelisteten Werks gewesen ist? Die uns vertraute viersätzige Fassung entspricht jedenfalls nicht der Originalgestalt. Der unwiderstehliche Charme, die Anmut der „Kleinen Nachtmusik“, die sich beim Hören unmittelbar erschließt, ist selbst innerhalb des Mozart’schen Œuvres bemerkenswert. Sie erklärt sich zum einen sicherlich aus der geradezu mathematischen Symmetrie der Themen, die Helligkeit und Klarheit ausstrahlen. Molltrübungen sind nicht vorgesehen, kontrapunktische Verwicklungen genauso wenig. Faszinierend, so der Würzburger Mozart-Forscher Ulrich Konrad, sei jedoch, wie trotz dieser Einfachheit nie der Eindruck von Simplizität entstehe: „Die Reduktion erscheint ja beinahe als besondere Kunstfertigkeit: Mozart gestaltet mit drei oder vier Harmonien einen ganzen Satz und hinterlässt trotzdem den Eindruck der Mannig faltigkeit.“ (Dabei sollte auch der Titel „Nachtmusik“ – was nichts Anderes als die deutsche Entsprechung des Begriffs Serenade ist – nicht in die Irre führen; der Gattung in ihrer klassischen Form wurde nichts Bekenntnishaft-Düsteres zugeschrieben, dergleichen Konnotationen kamen erst in der Romantik in Mode.) Gleiches gilt im Großen und Ganzen auch für den langsamen Satz, die Romance, die von einem federleichten Thema in C-Dur mit zarten Terzklängen getragen wird. Der Mittelteil wendet sich vorsichtig nach c-moll, behält sich aber die zügige Rückkehr in Dur-Gefilde vor – nicht mehr als ein interessantes Wölkchen am tiefblauen Himmel. Klar, geradlinig und dafür umso eingängiger ist auch das kurze Menuett. Etwas mehr von seiner kompositorischen Raffinesse lässt Mozart im Finale aufblitzen. Das Hauptthema mit seiner energischen, auffahrenden Geste zielt in immer wieder neue Richtungen, das nach unten weisende Gegenthema sorgt für die rechte Balance. Auch hier ist klare Gliederung Trumpf; alles fügt sich wie in einem Musterbaukasten zu einem musikalischen Juwel zusammen, das es verdient, mit unverdorbenen Ohren angehört zu werden.
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Als „kleine Nachtmusik“ betitelte auch der Italiener Luigi Dallapiccola sein kurzes, auf weniger als zehn Minuten konzentriertes Werk, doch folgt diese Piccola musica notturna selbstverständlich völlig anderen Gesetzen. Während seine Zeitgenossen Alfredo Casella, Gian Francesco Malipiero und Ildebrando Pizzetti die Neuerungen Schönbergs in Grund und Boden verdammten, wandte sich Dallapiccola als einer der ersten Komponisten in Italien dessen Zwölftontechnik zu. Die Folge waren massive Restriktionen, unter denen er während der Zeit des Faschismus und der deutschen Besetzung zu leiden hatte. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg fand Dallapiccola schnell international Gehör, in den USA wie auch in Deutschland, wo Karl Amadeus Hartmann für eine Aufführung der Oper Il prigioniero bei den Münchner Musica-Viva-Konzerten sorgte. Weitere erfolgreiche Werke Dallapiccolas für das Musik theater sind Volo di notte und Ulisse; daneben stehen jedoch auch Gedichtvertonungen von der Antike bis zu Goethe, Kammermusik – und aparte andere Werke wie die Piccola musica notturna. Gewidmet ist sie einem weiteren Förderer Dallapiccolas, dem Dirigenten Hermann Scherchen. Der Uraufführung der Erstfassung für klassisch besetztes Orchester 1954 in Hannover ließ der Kom ponist 1968 eine Version für achtköpfiges Kammerensemble folgen, die dem Gedanken von Transparenz und Entmaterialisierung noch stärkere Überzeugungskraft verleiht. Als Ausgangspunkt für seine Komposition wählte Dallapiccola ein Gedicht des spanischen Lyrikers Antonio Machado (1875–1939) mit dem Titel Noche de verano (Sommernacht). Eine schöne Sommernacht, hohe Häuser, deren geöffnete Fenster zur weiten Piazza des alten Dorfes weisen. Im rechten Winkel der verlassenen Ecke zeichnen steinerne Bänke, symmetrisch angeordnete Hecken und Akazien ihre schwarzen Schatten auf dem weißen Sand. Am Himmel der Mond; am Turm die Kugel der erleuchteten Uhr. Ich schlendere durch dieses nächtliche Dorf, allein, wie ein Geist.
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Dallapiccola greift den magischen Realismus dieses Gedichtes auf und setzt ihn musikalisch mit großem Feingefühl um: hingetupfte Töne, zarte Tremoli, das alles zumeist in feinsten dynamischen Nuancen zwischen einfachem und vierfachem Piano. Es finden sich keine durchgehenden melodischen Linien, sondern kurze Tonfolgen, die zumeist um das Intervall der Sekunde kreisen und damit der ganzen Komposition eine wiedererkennbare Struktur geben. Ein harmonisches Zentrum ist nicht auszumachen, und auch die Zeit scheint stillzustehen; der Komponist verzichtet auf eine klare Tempo angabe. Doch unter der Oberfläche brodelt das Mysterium der Nacht. Mehrfach unterbrechen Fortissimo-Akkorde überraschend das feingesponnene musikalische Gewebe – ein wohlkalkulierter Kontrast, durch den die scheinbare Idylle eine tiefere, unheimliche Dimension gewinnt.
Der 1956 in Mailand geborene Luca Francesconi ist ein gern gesehener (und regelmäßig aufgeführter) Gast im Pierre Boulez Saal. Im vergangenen Sommer erlebte im Rahmen des digitalen Festival of New Music seine Komposition Lichtschatten für Flöte und Ensemble ihre Premiere. Schon 2018 hatte er für die gleiche Besetzung das Werk Daedalus geschrieben, und im Oktober 2020 kamen mehrere seiner Ensemblestücke zur Aufführung. Zeitgleich erlebte sein weltweit erfolgreiches Musiktheaterwerk Quartett nach einer Vorlage von Heiner Müller an der Staatsoper Unter den Linden eine Neuproduktion. Die große stilistische Spannbreite und Ausdruckskraft, die sich Francesconi – ein Schüler von Karlheinz Stockhausen und Luciano Berio – zu eigen gemacht hat, ist damit gut umrissen. In seinem Werkverzeichnis stehen Solokompositionen für Klarinette, Violoncello oder Cimbalom dem musikalischen Spektakel Fresco für fünf marschierende Blasorchester gegenüber. Auch den 150. Geburtstag der italienischen Republik hat Francesconi mit einem großen Orchesterwerk mitgefeiert. Insieme II, uraufgeführt 2016 in Mailand, ist der Werkkategorie für filigrane Kleinbesetzung zuzurechnen. Die Partitur wirkt wie eine Experimentieranordnung für die beiden Streicher, zwei Bläser, Klavier und Schlagzeug, bei der dieselben thematischen Elemente immer wieder neu ins Feld geführt werden. Jedes einzelne Instrument bringt sich dabei gleichberechtigt ein, sowohl melodisch als auch perkussiv, immer linear und quasi stromlinienförmig nach vorne ge-
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dacht. Diese unentwegten musikalischen Anläufe verleihen Insieme II eine ansteckende Nervosität, die erst im letzten Abschnitt nachlässt, wenn sich der Pulsschlag der Musik beruhigt und endlich eine Art „Miteinander“ – wie es der Titel eigentlich suggeriert – erreicht wird.
Wer sich mit Luciano Berios Folk Songs beschäftigt, stößt schnell auf einige Besonderheiten, gar Ungereimtheiten, die klare Aussagen über dieses Werk erschweren – einmal abgesehen vom Entstehungsjahr 1964. Um echte „Volkslieder“ handelt es sich bei den elf Stücken nur bedingt; so hat Berio etwa für die Nr. 6 und 7, La donna ideale und Ballo, eigene Melodien zu vorhandenen Texten komponiert. Die übrigen Stücke stellen eine abwechslungsreiche Mischung von Liedern dar, die abgesehen von Italien auch aus Frankreich und den USA, aus Armenien und Aserbaidschan stammen – zusammengestellt aus alten Schallplattenaufnahmen, entnommen aus gedruckten Ausgaben oder von Freunden Berios mündlich mitgeteilt. Den kuriosesten Weg nahm das letzte Stück, ein Liebeslied aus Aserbaidschan: Cathy Berberian, Muse und damalige Ehefrau des Komponisten, entdeckte es auf einer Moskauer Schallplatte und transkribierte es – ohne ein Wort Aseri zu sprechen. Einen sinnvollen, verständlichen Text sollte man hier also nicht erwarten. Eher wird man dieser Sammlung gerecht, wenn man Luciano Berio selbst betrachtet, den komponierenden Bastler und Tüftler neben dem strengen Dallapiccola und dem wahren Avantgardisten und Elektronik-Fan Luigi Nono. Nicht zufällig zählte das Spiel mit musikalischen Vorlagen für diesen „homo ludens“ zu den Lieblingsbetätigungen. Erwähnt seien nur Berios Sinfonia (1968), in der er wie in einem Palimpsest unter mehreren Schichten immer wieder das Scherzo aus Mahlers Zweiter Symphonie hindurchklingen lässt, oder seine Komposition Rendering (1988), in der er aus Schuberts Skizzen zu einer unvollendeten zehnten Symphonie eine eigenwillige Mischung aus Rekonstruktion und Neukomposition schuf. In diese Reihe gehört auch sein letztes bedeutendes Werk, die Ver vollständigung von Puccinis nachgelassenen Entwürfen zum Finale von Turandot. In einem Kommentar zu den Folk Songs hat Berio keinen Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Volksliedbearbeitungen allein für Singstimme und Klavier gemacht. Zwangsläufig wählte er stattdessen
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ein kleines Instrumentalensemble: „Der instrumentale Diskurs hat eine klare Funktion: jene Elemente darzustellen und zu kommentieren, die für mich die kulturellen Wurzeln jedes Stücks ausdrücken.“ Berio bedient sich dafür der Kombination von zwei Holzbläsern und zwei Streichern (ohne Violine), zu denen noch Harfe und doppelt besetztes Schlagwerk hinzutreten. Mit großem Geschick wählt er immer wieder neue Kombinationen der sieben Instrumente, selten geht er dabei über drei oder vier Stimmen hinaus. So beschränkt er sich im eröffnenden Black is the colour auf eine Bratsche – „im Stil eines Country Dance Fiddler“ – plus Harfe; im zweiten Lied I wonder as I wander, ebenfalls aus den USA, legen zuerst Klarinette, Bratsche und Violoncello den immer dichter werdenden Klangteppich aus, über dem die Singstimme das weihnachtliche Lied von der Geburt Jesu anstimmt. Im vierten Lied Rossignolet du bois kommt zum ersten Mal das Schlagwerk zum Einsatz, das auch dem fünften, dem sizilianischen A la femminisca, durch ausgeklügelte instrumentale Effekte eine weit über sonstige „Bearbeitungen“ hinausgehende Note verleiht. Nr. 7 Ballo stützt sich auf einen atemlos im Presto dahinjagenden Dreiachteltakt, und in Nr. 8, dem sardischen Motettu de tristura, untermalen kaum hörbare Quinten in Viola und Violoncello den Gesang mit düsteren Farben, während die Piccolo flöte dazu spitze Schreie ausstößt. Das instrumentale Tutti spart sich Berio für das allerletzte Lied auf, jenes quasi „unverständliche“ Liebeslied aus Aserbaidschan. Es scheint, als habe der Komponist bewusst ein Patchwork zusammengestellt, in dem Nationalitäten und Stile, raffinierte und banale Melodien, schlichte und hochartifizielle Begleitung per Zufall gemischt werden. Dennoch sah er die Folk Songs als eine Einheit an, deren einzelne Teile ohne Unterbrechung aufgeführt werden sollen. Es bleibt dem Zuhörer überlassen, sich seinen eigenen Reim darauf zu machen – oder das Zufallsprinzip als Ordnung à la Berio anzuerkennen.
Der Berliner Musikjournalist Michael Horst arbeitet als Autor und Kritiker für Zeitungen, Radio und Fachmagazine. Außerdem publizierte er Opernführer über Puccinis Tosca und Turandot und übersetzte Bücher von Riccardo Muti und Riccardo Chailly aus dem Italienischen.
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Intersections From Vivaldi to Francesconi: A Musical Tapestry
Katy Hamilton
To bring together pieces from across several centuries, as the Boulez Ensemble and Giuseppe Mentuccia do tonight, is to lay bare the multiple and sometimes tangled strands that connect music written at different points in history. The Vivaldi Sonata that opens the program is both a specific act of homage towards (and imitation of) a senior colleague, and a piece connected to folk music—just as Berio’s Folk Songs combine traditional melodies and newly- composed material. Dallapiccola’s Piccola musica notturna makes clear reference in its title to Mozart’s Eine kleine Nachtmusik. And the Boulez Ensemble itself has a close working relationship with Luca Francesconi, who collaborated with Berio in the 1980s on various projects including a reworking of Monteverdi’s L’Orfeo. Such rich legacies remind us that within the tradition of Western art music, there are many creative paths that a composer might take—a surprising number of which seem to intersect across time, deliberately or otherwise. Although we do not know the precise date of composition of Vivaldi’s Sonata in D minor for two violins and basso continuo, it was included as the 12th and final work in his Opus 1, published in 1705 when the composer was 27 years old. We can narrow the window still further: it was probably not written long before its publication, since the theme and structure of the piece are modelled on the last violin sonata from Arcangelo Corelli’s Opus 5, issued in 1700. Corelli was the most famous violinist-composer of his generation, and as his published works circulated around Italy in the late 17th and early 18th centuries, it became increasingly fashionable for other composers to imitate his style. It is impossible to say
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whether Vivaldi knew Corelli’s Opus 5 directly or whether he was simply aware of some of the multiple imitations; but to close his first work in print with a set of variations on “La Follia” was clearly intended as a means of linking his music to that of the famous older colleague’s—and perhaps of throwing down the gauntlet, as another virtuoso violinist-composer. “La Follia” (or “La Folía”) is a simple melody with bassline, supposedly of Spanish folk origin, and was a popular basis for variations sets by 17th-century composers. It is a steady, stately theme with which to begin this one-movement Sonata, and once the variations begin, Vivaldi takes full advantage of the slow-moving harmonies to allow his two violinists every opportunity of dotting, leaping, and galloping around on their instruments, with an equally busy part for the continuo player. The violins sometimes work as a unit and sometimes echo each other or play in alternation, as if egging each other on. Vivaldi is careful with his pacing, however—this is not just a dash to the finish—and slows certain variations down to allow for more lyrical, reflective moments (including a lilting Sicilienne in the 15th variation). In this, he follows his model, since Corelli’s variations also incorporate dramatic shifts of tempo. And in the closing variation, both men agree: one must finish with fireworks and a graceful bow to the audience. While Vivaldi’s Sonata sits snugly within a compositional tradition that is clearly linked to his contemporaries, the origins of Mozart’s G-major Serenade K. 525—despite its being one of his most famous and enduring works, known as Eine kleine Nachtmusik—remains something of a mystery. Serenades, like divertimenti, were occasion pieces within quite specific regional traditions, and Mozart’s pieces tend to be linked to the places in which he was living or working at the time. Salzburg, for instance, had a taste for divertimenti; Vienna, by the end of the 18th century, was becoming increasingly partial to Harmoniemusik, written for wind ensemble. Mozart’s string serenades were generally composed for particular events and were rather more orchestral than chamber-like in their textures: weddings, grand ceremonies, and the end of the university academic year in Salzburg all prompted him to compose works of this kind. But it is still unclear what led him, in the summer of 1787—in the middle of work on Don Giovanni—to compose “Eine kleine Nachtmusik.” What we do know, from Mozart’s own catalogue of his compositions, is that the work initially had five movements, with an additional minuet and trio coming second in the sequence. This
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has since been removed or lost. Instead, the familiar fanfares of the opening movement are followed by an elegant Romance, the violin melody containing little syncopations to blur our sense of the beat, and a busy, rather darker middle section provides contrast to the graceful bows and curtsies of the outer parts. The surviving minuet is poised and perky, its trio gently sinuous—and the finale seems to hint at Die Zauberflöte in its bustling jollity.
Originally written for full orchestra, Luigi Dallapiccola’s Piccola musica notturna had its premiere at the Jeunesses Musicales Festival in Hanover in 1954 under the direction of Hermann Scherchen. The work is unusual among Dallapiccola’s output: he composed relatively little instrumental music, working more frequently with voices. It is also a rare example in his catalogue of a single-movement instrumental work. Most unusually, though, Dallapiccola prefaces the score with the poem Noche de verano (Summer Night) by the Spanish writer Antonio Machado (1875–1939). It is a beautiful summer night. In the tall houses, They have the balconies open from the old town to the wide plaza. In that broad deserted rectangle, stone benches, kurikas, and acacias draw their symmetrical black shadows upon the white sand. At its zenith, the moon, and on the tower the sphere of the illuminated clockface. I am walking in this old town alone, like a ghost. The 18th-century genre of the serenade is strongly associated with the evening (from the Italian “sera”). Dallapiccola cements this connection to the nocturnal not only in his title, but in a rare moment of poetic reflection that seems to color—or at least hint at ways of listening to—the music that follows. In tonight’s program, the piece is heard in its arrangement for eight instruments, made in 1961 for Queen’s College in New York. A wind trio (flute, oboe and clarinet) and string trio (violin, viola and cello) are positioned
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on either side of a harp and celesta, and shades of Bartók and indeed Schoenberg’s Pierrot lunaire are never far away. Dallapiccola’s score is based on a tone row that emphasizes certain familiar tonal harmonies, and the result is an evocative mix of fluid lyrical writing with mysterious, shuddering interjections. Fragments of melodies are passed across the ensemble, and the soft, otherworldly tones of the celesta tiptoe across the texture. Machado’s poem draws stark contrasts between the moon’s illumination and the black shadows that it casts—perhaps it is these shadows that prompt the forceful fortissimo interruptions from certain sections of the ensemble. The protagonist’s phantom-like presence is beautifully conjured in the final page of the score, the music shimmering and fading from pianissimo to triple to quadruple piano—before it vanishes before our eyes and ears. The most recent work of tonight’s concert, Luca Francesconi’s Insieme II was first performed in Milan in 2016. The title suggests a wordplay of sorts. “Musica d’insieme” is music played by an ensemble; but the word “insieme” on its own is more ambiguous, hinting at a broader notion of “being together.” The makeup of the ensemble, then—of who is together—is important here (the first Insieme, composed in 2014, features a slightly smaller group of players than this follow-up work). Flute, clarinet, violin, and cello are joined by piano and vibraphone in Insieme II, each with distinctive sonorities that can cut through the whole. Indeed, certain passages are marked “solo” within the score, and players tumble through busy passagework and rhythmic chords before passing them across the group to others. There are moments of greater repose, too, the texture disintegrating into prolonged silences and slower-moving phrases. The result is a work filled with frenetic energy and a strong sense of anticipation, since we never quite know what will happen next. The program closes with one of Luciano Berio’s best-loved pieces: his Folk Songs for mezzo-soprano and seven instruments written in 1964 for Cathy Berberian, in the last year of their marriage. Working with folk melodies was something that had fascinated Berio since his student years in Milan, when he made arrangements of several Sicilian folksongs and also composed a set of three Canzoni popolari for female voice and piano. Two of the Canzoni made their way into the Folk Songs for Berberian, alongside melodies from the United States, France, Armenia, Sicily, Sardinia, and Azerbaijan. But the purpose here was not to retain any sense of
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a uthenticity of the originals. “I am interested in taking possession of that treasure with my own means,” Berio explained. “I return again and again to folk music because I try to establish contact between that and my own ideas about music. I have a Utopian dream, though I know it cannot be realized: I would like to create a unity between folk music and our music—a real, perceptible, understandable continuity between ancient, popular music-making which is so close to everyday work and our music… My transcriptions are analyses of folk songs and at the same time convey the flavor of that music as I see it.” The result of these “analyses” is a kaleidoscopic set of songs, from the melancholic American melodies with which we begin, through the bright jangling of the Sicilian A la femminisca and the curiously fragmented Sardinian Motettu di tristura, to the jaunty energy of the closing Azerbaijan Love Song. Again, the instrumental combination is crucial: the ensemble contains no violins, but the violist and cellist each take leading roles in certain numbers (with the viola asked to play “like a wistful country dance fiddler” in Black is the colour). Two percussionists strike wood blocks, clattering spring coils, and the resonant tam-tam at various points, while the harp and wind players are given gently circling textures to support the singer. It is a work of great wit, vivid orchestration, and striking poetry—though it is worth offering one final word on the closing number. Its text was transcribed from a radio broadcast and, as presented in Berio’s score, does not mean a great deal at all. It is thus listed in at least one source in a way that, given the composer’s attitude to folk materials, seems wholly appropriate: “defies translation.”
Katy Hamilton is a writer and presenter on music, specializing in 19th-century German repertoire. She has published on the music of Brahms and on 20th-century British concert life and appears as a speaker at concerts and festivals across the UK and on BBC Radio 3.
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Luciano Berio
Folk Songs 1. Black is the colour USA
Black is the colour of my true love’s hair, his lips are something rosy fair, the sweetest smile and the kindest hands; I love the grass whereon he stands. I love my love and well he knows. I love the grass whereon he goes; if he no more on earth will be, ’twill surely be the end of me.
2. I wonder as I wander USA
I wonder as I wander out under the sky how Jesus our Saviour did come for to die for poor orn’ry people like you and like I, I wonder as I wander out under the sky. When Mary birthed Jesus ’twas in a cow stall with wise men and farmers and shepherds and all, but high from the Heavens a star’s light did fall, the promise of ages it then did recall.
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If Jesus had wanted of any wee thing, a star in the sky or a bird on the wing, or all of God’s angels in Heav’n for to sing, he surely could have had it ’cause he was the king.
3. Loosin yelav Armenien
Loosin yelav en sareetz saree partzòr gadareetz shegleeg megleeg yeresov pòrvetz kedneen loosni dzov shegleeg megleeg yeresov pòrvetz kedneen loosni dzov. Jan a loosin Jan ko loosin Jan ko gòlor sheg yereseen. Jan ain loosin Jan ko loosin Jan ko gòlor sheg yereseen. Xavarn arten tchòkatzav oo el kedneen tchògatzav loosni loosov halatzvadz moot amberi metch mònadz loosni loosov halatzvadz moot amberi metch mònadz. Jan a loosin Jan ko loosin Jan ko gòlor sheg yereseen Jan ain loosin Jan ko loosin Jan ko gòlor sheg yereseen
4. Rossignolet du bois Frankreich
Rossignolet du bois rossignolet sauvage apprends-moi ton langage apprends-moi-z à parler apprends-moi la manìère comment il faut aimer. Comment il faut aimer je m’en vais vous le dire faut chanter des aubades deux heures après minuit faut lui chanter: «La belle c’est pour vous réjouir.» On m’avait dit la belle que vous avez des pommes des pommes de renettes qui sont dans vot’ jardin. Permettez-moi, la belle, que j’y mette la main. Non je ne permettrai pas que vous touchiez mes pommes, prenez d’abord la lune et le soleil en main, puis vous aurez les pommes qui sont dans mon jardin.
5. A la femminisca Sizilien
E Signuruzzu miù faciti bon tempu ha iu l’amanti miù ’mmezzu lu mari l’arvuli d’oru e lintinni d’argentu la Marunnuzza mi l’av’ aiutari
chi pozzanu arrivòri ’nsarva mentu e comu arriva ’na littra ma fari ci ha mittiri du duci paroli comu ti l’ha passatu mari, mari.
6. La donna ideale Italien
L’ómo chi mojer vor piar de quatro cosse déespiar la primiera è com’el è naa, l’altra è se l’è ben accostumaa, l’altra è como el è forma, la quarta è de quanto el è dotaa. Se queste cosse ghe comprendi a lo nome de Dio la prendi.
7. Ballo Italien
La la la la la la… Amor fa disviare li più saggi e chi più l’ama meno ha in sè misura più folle è quello che più s’innamura. La la la la la la… Amor non cura di fare suoi dannaggi co li suoi raggi mette tal calura che non puo raffreddare per freddura
8. Motettu de tristura Sardinien
Tristu passirillanti comenti massimbillas tristu passirillanti e puita mi consillas a prangi po s’amanti
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Tristu passirillanti cand’ happess interrada tristu passirillanti faimi custa cantada cand’ happess interrada.
9. Malurous qu’o uno fenno Auvergne
Malurous qu’o uno fenno, Malurous qué n’o cat! Qué n’o cat n’en bou uno, Qué n’o uno n’en bou pas! Tradèra, ladèrida rèro ladèra, ladèridèra! Urouzo lo fenno Qu’o l’omé qué li cau! Urouz inquéro maito O quèlo qué n’o cat! Tradèra, ladèri dèrèro Tradèra, ladèrida rèro ladèra, ladèridèra!
10. Lo fiolaire Auvergne
Ton qu’èrè pitchounèlo, Gordavè loui moutous. Lirou lirou… la la diri tou tou la lara. Obio n’o counoulhèto è n’ai près un postrou. Lirou lirou... la la diri tou tou la lara. Per fa lo biroudèto mè domond’ un poutou. Lirou lirou... la la diri tou tou la lara.
È ièu soui pas ingrato en lièt d’un nin fav dous. Lirou lirou... la la diri tou tou la lara.
11. Azerbaijan Love Song Aserbaidschan
Da maesden bil de maenaes di dilamnanai ai naninai Go shadaemae hey ma naemaes yar go shadaemae hey ma naemaes. Sen ordan chaexman boordan tcholoxae mae dish ma naemaes yar tcholoxae mae dish ma naemaes, Kaezbe li nintché dirai nintché Lebleri gontchae de le gontchae kaezbe linini je deri nintché lebleri gontcha de le gontcha Na plitye korshis sva doi ax kroo gomshoo nyaka mae shi ax pastoi xanaem pastoi jar doo shi ma nie patooshi. Go shadaemae hey ma naemaes yar go shadaemae hey ma naemaes. Sen ordan chaexman boordan tcholoxae mae dish ma naemaes yar tcholoxae mae dish ma naemaes, Kaezbe li nintché dirai nintché Lebleri gontchae de le gontchae Nie didj dom ik diridit boost ni dietz stayo zaxadit ootch to boodit ai palam syora die limtchésti snova, papalam!
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