Boulez Ensemble XXXX Einführungstext von Kerstin Schüssler-Bach Program Note by Gavin Plumley
BOULEZ ENSEMBLE XXXX Sonntag 12.
Dezember 2021 16.00 Uhr
Paul Hindemith (1895–1963) Thema mit vier Variationen für Klavier und Streicher Die vier Temperamente (1940)
I. Thema. Moderato – Allegro assai – Moderato II. Melancholisch. Langsam – Presto – Langsamer Marsch III. Sanguinisch. Walzer IV. Phlegmatisch. Moderato – Allegretto – Allegretto scherzando V. Cholerisch. Vivace – Appassionato – Maestoso
Sir Antonio Pappano Musikalische Leitung und Klavier Wolfram Brandl, Yamen Saadi, Kerem Tuncer, David Strongin Violine I Petra Schwieger, Bilal Alnemr, Mariana Lopes, Jamila Asgarzade Violine II Volker Sprenger, Katrin Spiegel, Sindy Mohamed Viola Claudius Popp, Raffaella Cardaropoli Violoncello Christoph Anacker Kontrabass
Johannes Brahms (1833–1897) Sonate für Violoncello und Klavier e-moll op. 38 (1862/65) I. Allegro non troppo II. Allegretto quasi Menuetto – Trio III. Allegro Sir Antonio Pappano Klavier Claudius Popp Violoncello
Franz Schreker (1878–1934) Kammersymphonie für 23 Instrumente (1916) Langsam, schwebend – Allegro vivace – Adagio – Scherzo. Allegro vivace – Langsam, schwebend – Adagio Sir Antonio Pappano Musikalische Leitung Denizcan Eren Flöte Fabian Schäfer Oboe Matthias Glander Klarinette Ingo Reuter Fagott Ben Goldscheider Horn Alper Çoker Trompete Filipe Alves Posaune Dominic Oelze, Elias Abboud Schlagzeug Aline Khouri Harfe Giuseppe Mentuccia Celesta Holger Groschopp Harmonium Markus Appelt Klavier Wolfram Brandl, Petra Schwieger, Yamen Saadi, David Strongin Violine Volker Sprenger, Katrin Spiegel Viola Claudius Popp, Killian White, Raffaella Cardaropoli Violoncello Christoph Anacker, Anton Kammermeier Kontrabass
Keine Pause
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„… daß man’s anders versuchen müsse“ Werke von Hindemith, Brahms und Schreker
Ker stin Schüssler-Bach
Charaktervolle Variationen Paul Hindemith: Die vier Temperamente Als junger Konzertmeister im Frankfurter Opernorchester, das auch die symphonischen Museumskonzerte spielte, lernte Paul Hindemith die Moderne der letzten Jahrhundertwende un mittelbar kennen: Dort wirkten die Dirigenten Willem Mengelberg und Ludwig Rottenberg, die sich für die Musik Franz Schrekers, Richard Strauss’ und Gustav Mahlers einsetzten. Diesen Vorbildern sind auch die Jugendwerke Hindemiths verpflichtet, ebenso wie dem verehrten Max Reger. „Bald fand ich aber, daß man’s anders versuchen müsse“, konstatierte der 20-Jährige selbstbewusst. Bislang sei er nur „herumgewackelt“, nun aber prägte sich allmählich ein eigener Stil aus. Bei aller Vielfältigkeit, die sein Schaffen auf dem Weg vom expressionistischen „Bürgerschreck“ zum souveränen Klassizisten über die Jahrzehnte prägte, blieb Hindemith doch zwei unverwechselbaren Eigenschaften treu: einer ausgesprochenen Meisterschaft des Kontrapunkts und einer musikantischen Urwüchsigkeit. So hat man ihm in seiner handwerklichen Perfektion und unromantischen Haltung eine Nähe zu den Künstlern des Spätmittel alters und der Renaissance attestiert, und die Tatsache, dass er Matthias Grünewald, den Schöpfer des Isenheimer Altars, zum Gegenstand seiner Oper Mathis der Maler machte, entspringt sicher auch einer geistigen Wahlverwandtschaft.
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Ein „altdeutsches“ Interesse brachte Hindemith auch der Alchemie und Astronomie entgegen. Dem Astronomen Johannes Kepler, der die Weisheit des Altertums zum umfassenden, naturwissenschaftlich gestützten System fügte, widmete er ebenfalls eine ganze Oper (Die Harmonie der Welt). Für sein Thema mit vier Variationen ließ sich Hindemith wiederum von der antiken Temperamentenlehre inspirieren, die auf den griechischen Arzt Hippokrates zurückgeht. Danach kann jeder Mensch in seiner geistigen und seelischen Konstitution einem der vier Temperamente zugeordnet werden: Choleriker, Melancholiker, Sanguiniker und Phlegmatiker. In der frühen Neuzeit wurde die Temperamentenlehre noch um weitere Parameter wie Sternzeichen, Himmelsrichtungen oder Tonarten erweitert. Hier fühlte sich Hindemith offenbar angesprochen in seiner Neigung zu Zahlenverhältnissen und mathematischen Über legungen, die ins Theologisch-Metaphysische übertragbar waren. Eigentlicher Ursprung der Komposition Die vier Temperamente war jedoch ein Szenario auf Gemälde von Bruegel, also wiederum ein Sujet aus dem Spätmittelalter, eine Idee, die ihm der Choreograph Léonide Massine unterbreitete. Doch zur weiteren Ausarbeitung kam es nicht, und von der Musik, die Hindemith 1940 im New Yorker Exil komponiert hatte, sollte er dann in einer anderen, gleichnamigen Ballettarbeit für George Balanchines American Ballet Gebrauch machen. Die geplante Uraufführung auf einer Tournee im Folgejahr konnte jedoch nicht stattfinden: Den Deutschen Hindemith – obwohl von den Nationalsozialisten als „entartet“ gebrandmarkt, gerade erst aus der Schweiz in die USA emigriert und dort zum Professor berufen – kurz vor dem amerikanischen Kriegseintritt aufs Programm zu setzen, erschien der Compagnie möglicherweise als zu riskant. So kam es 1943 zur konzertanten Uraufführung im schweizerischen Winterthur unter Leitung von Hermann Scherchen. Erst über ein Jahr nach Kriegsende, im November 1946, wurde die Premiere durch Balanchines neu gegründete Ballet Society (ihrerseits die Vorgängerin des New York City Ballet) nachgeholt. „Obwohl die Partitur auf dieser Idee der vier Temperamente basiert, ist weder die Musik noch die Choreographie selbst eine spezifische oder literarische Interpretation dieser Idee“, erklärte Balanchine. Vordergründig Illustratives sucht man vergebens in den abstrakten Linien der Komposition, was gut zu Balanchines geometrisch konzipierten Figuren passte. Dennoch ist die Einteilung des Werks in fünf Abschnitte der Temperamentenlehre geschuldet. Im ersten wird das zentrale Thema, das selbst dreiteilig ist, vorgestellt:
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Zunächst erklingt die lyrische, durch einen emphatischen Sext aufschwung gekennzeichnete Melodie der Streicher. Dann setzt das Soloklavier mit lebhaften Sprüngen und Läufen ein, in die sich die Streicher munter einmischen. Den Abschluss bildet eine sanfte Pastorale im wiegenden Siciliano-Rhythmus, eingeführt von der Solovioline. Diese drei durch subtile Fäden miteinander verbundenen Themenkomplexe werden nun in den folgenden vier „Temperamenten“ variiert. Zunächst begegnet uns der grüblerische Melancholiker mit vollgriffigen Klavierakkorden, begleitet vom wehmütigen Klagegesang der gedämpften Solovioline. Der zweite, lebhafte Themenkomplex wird als leise dahinhuschendes Presto der Streicher wiedergegeben, und das Siciliano-Thema ersteht neu als eindringlicher Trauermarsch. Das sanguinische, also lebhafte oder leichtsinnige Temperament stürzt sich in einen graziösen Walzer, der die Unterschiede zwischen den drei Thementeilen sorglos verwischt und sich zu einem mit reißenden Strudel steigert. Der Phlegmatiker hält es kurz und mühelos. Etwas matt schleicht er in den Streichern gemächlich dahin, und für die Variation des Siciliano-Themas dudeln Violine und Bratsche zu den Brummbässen von Cello und Kontrabass und den ostinaten Akkorden des Klaviers eine etwas einfältige Melodie. Schließlich macht der Choleriker seinem Namen alle Ehre und fährt mit einer herrischen Streichergeste im Fortissimo dazwischen. Sofort übernimmt der Solist mit heftigen Akkorden die Führung und liefert sich mit dem Orchester ein grimmiges Duell. Im Mittelteil jagen Streicher (mit messerscharf gezupften Tönen) und Klavier einander – „eine sehr wilde Sache“, wie Hindemith trocken bemerkte. Doch nach allen Ausbrüchen von Zorn und Leidenschaft im dritten Thema kommt es doch zur finalen Apotheose im strahlenden C-Dur. Hindemiths Biograph Heinrich Strobel bezeichnete Die vier Temperamente 1948 zu Recht als den „musikalische(n) Widerhall der humorigen Natur des Komponisten, in der sich lächelnde Güte mit einer unerhört scharfen Beobachtungsgabe mischt. Hindemith hat kaum etwas geschrieben, das Geist und menschliche Aufrichtigkeit in so liebenswürdiger Weise verbindet.“
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„Ein kleines Juwel“ Johannes Brahms: Sonate für Violoncello und Klavier e-moll „Hast du dir schon Sorgen über die Programme gemacht? Wenn möglich, keine oder nur eine Brahms-Sonate. Dem Götzen Brahms opfert jedermann…“. So schrieb der junge Hindemith 1919 an seine Kommilitonin und Kammermusikpartnerin, die Pianistin Irene Hendorf. Sein Überdruss an den Werken Johannes Brahms’ wird vielleicht verständlich, wenn man berücksichtigt, dass er an Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt studierte. Dort hatten die engen Brahms-Freunde Bernhard Scholz und Clara Schumann gewirkt, und bei Studienbeginn des 13-jährigen Paul trat Iwan Knorr sein Amt als Direktor an, der seinerzeit sehr von Brahms unterstützt worden war. Der „Götzendienst“ dürfte also in Frankfurt stark ausgeprägt gewesen sein. Auch später als Dirigent vermied es Hindemith, Brahms’ Werke aufs Programm zu setzen. Vielleicht rührte seine Abneigung auch daher, dass Brahms in dieser Zeit wie kaum ein anderer Komponist als Inbegriff der bildungsbürgerlichen Lebenswelt galt: Seine Kammermusik, die doch eigentlich den Kern seines kompositorischen Denkens ausmacht, hatte die gehobene Hausmusik und kultivierten Salons erobert. In ihrem nach innen gerichteten Ton, ihrem Verzicht auf dekorative Virtuosität und ihrer warmen Emotionalität stillte sie die Sehnsucht nach dem Rückzug ins Private vor den Herausforderungen einer sich immer schneller drehenden Welt. „Behaglichkeit“ war ein von Brahms oft gebrauchtes Wort. Dabei machen seine kammermusi kalischen Werke hinsichtlich ihres geistigen und satztechnischen Anspruchs keine Konzessionen, und gerade die Klavierparts der Sonaten oder Trios sind beileibe nicht von den sprichwörtlichen „höheren Töchtern“ (oder Söhnen) zu bewältigen. Brahms Cellosonate Nr. 1 in e-moll gilt als weitaus fasslicher und beliebter als die 21 Jahre später entstandene zweite in F-Dur, die bereits dem konzentrierten Spätstil zuzuordnen ist. Doch auch mit der ersten Sonate machte es sich der Komponist keinesfalls leicht: 1862 begonnen, wurde sie erst 1865 vollendet und ein möglicherweise bereits komponierter vierter Adagio-Satz nachträglich wieder ausgeschieden. Zur ersten öffentlichen Aufführung kam es 1867 in Basel mit Moritz Kahnt und Hans von Bülow. Kurz darauf folgte eine Präsentation in Leipzig mit Emil Hegar, Solocellist des Gewandhausorchesters, und dem Komponisten und Dirigenten Carl Reinecke am Klavier. Schon vorher, im Mai 1866, hatte der
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Chirurg Theodor Billroth, der damals in Brahms’ engen Freundeskreis eintrat, im privaten Rahmen den Klavierpart der Sonate übernommen, „die auch ein kleines Juwel ist, sowohl was die Er findungen als was den sicheren und doch so zierlichen Bau in allen Einzelheiten betrifft“, wie er dem Komponisten meldete. Wenig später nahmen sich bedeutende Solisten wie David Popper dieser willkommenen Bereicherung der Celloliteratur an. Der ausgedehnte Kopfsatz scheint den Vorzügen des Instruments denn auch geradezu auf den Leib geschrieben: Aus der sonoren tiefen Lage steigt das erste Thema in breiter Gesanglichkeit empor, während das Klavier sich zunächst mit leiser Akkordbegleitung zurückhält. Erst nach ausführlicher Entwicklung des Hauptthemas setzt das zweite Thema mit seinem von Quartsprüngen und Pendelmotivik bestimmten Charakter ein: Hier folgt das Klavier dem Cello so dicht auf den Fersen, dass längst nicht mehr von Melodie- und Begleitinstrument die Rede sein kann, viel zu eng sind ihre Stimmen ineinander verwoben. Nach dem elegischen Pathos des ersten Satzes wirkt das helle Menuett fast überraschend beschwingt. Der stilisierte Tanzcharakter und der durchgehende Verzicht auf das tiefe Register des Cellos geben diesem Mittelsatz ein graziöses, elegantes Gepräge. Wie so oft in Brahms’ Kammermusik sind die Themen und Motive durch gemeinsames Material miteinander verwandt, was man jedoch beim ersten Hören selten wahrnimmt. Das gilt auch für das in Achteln wohlig dahinfließende Trio, das zwar zunächst als starker Kontrast erscheint, sich aber ganz organisch aus dem Menuett-Thema entwickelt. Im Finale beweist der junge Brahms seine kontrapunktische Meisterschaft: Fugato-Einsätze und motorische Triolen haben ihr Vorbild in barocken Mustern. Bachs Kunst der Fuge dürfte als konkretes Vorbild gedient haben – auf welchen Contrapunctus aber sich Brahms hier konkret bezieht, wird bis heute diskutiert. Der energische, nach dem Oktavsturz unablässig vorwärtsdrängende Gestus des Fugenthemas wandelt sich erst in den weichen Bewegungen des zweiten Themas, das aber wiederum aus dem Fugenthema ab geleitet ist. Bei aller Strenge verleugnet Brahms nie den kantablen Charakter des Cellos. Kein Wunder, dass der Komponist und Kritiker Selmar Bagge schon in seiner 1867 erschienenen Besprechung der e-moll-Sonate feststellte, dass sie dem „Schönheitssinn fortwährend neue Nahrung“ biete.
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Reduzierte Pracht Franz Schreker: Kammersymphonie Siebzehn Jahre älter als Hindemith, wuchs Franz Schreker noch in der unmittelbaren Brahms-Nachfolge auf – zumal der gebürtige Monegasse in Wien studierte und somit quasi die gleiche Luft atmete, in den gleichen Gassen wandelte wie Brahms. Als Schreker 1900 sein Studium bei Robert Fuchs beendete, war Brahms erst drei Jahre tot und noch allgegenwärtig. So nimmt es nicht wunder, dass die Frühwerke Schrekers stark in dieser Tradition stehen. Bald aber machte sich der Komponist einen eigenen Namen als unerhörter Klangzauberer. In den 1920er Jahren feierten seine Opern sagenhafte Erfolge mit ihren sexuell aufgeladenen, freudianisch unterfütterten Sujets. Doch eigentlich sind diese Bühnenwerke – insbesondere Der Schatzgräber, Der ferne Klang und Die Gezeichneten – Kinder des Fin de Siècle, zumal durch ihre üppig schwellenden Orchesterwogen und stimmlichen Entladungen. Schon früh hatte Schreker in diesem Stil brilliert, wie etwa seine Phantastische Ouvertüre von 1904 zeigt. Im Alter von 26 Jahren zog er hier alle Register der spätromantischen Orchestrierungskunst: mit schwerem Blech, glitzerndem Glockenspiel und schmeichelnd lockenden Violinen. Diesem Hang zur Opulenz blieb er verpflichtet – auch dort, wo er für kleinere Besetzungen schrieb. In der Kammersymphonie vermeint man sehr viel mehr Instrumente zu hören als die tatsächlich eingesetzten 23: „sieben Bläser, elf Streicher, Harfe, Celesta, Harmonium, Pauke und Schlagwerk“, wie die Partitur vermerkt. Die irisierenden, schillernden Farben betören trotz des kleiner dimensionierten Apparats. Dies liegt nicht zuletzt am geschickten Einsatz der Tasten instrumente, dem orgelähnlichen Harmonium und den silbrigen Fäden der Celesta. Ihr Flirren, begleitet von sanften Klavierarpeggien, untermalt geheimnisvoll den „schwebend“ zu spielenden Beginn mit den Arabesken der Flöte. Das einsätzige Werk lässt noch die konventionelle Viersätzigkeit erkennen: Auf Einleitung und Hauptsatz folgen Adagio, Scherzo und Reprise, die Übergänge sind jedoch fließend und spielerisch. Immer wieder findet Schreker zu hinreißenden Klangwirkungen, wirbelnden Tänzen und berückenden Kantilenen, wobei Wieder holungen und die ausgeprägte thematische Arbeit beim Hören klare Orientierung geben. Mit Arnold Schönbergs radikalerer, freitonaler Kammersymphonie von 1906 hat Schrekers zehn Jahre später entstandenes Werk, das einen ekstatischen Reigen voller Verführungs-
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kraft entfaltet, wenig gemein. Wie Schönberg suchte Schreker zwar nach einer Alternative zu den riesig besetzten Orchestern der zu Ende gehenden Spätromantik, wie sie Mahler oder Schönberg selbst in seinen Gurre-Liedern eingesetzt hatten. Doch anders als dieser wollte Schreker nicht von den traumhaften ästhetischen Gegen welten und der ornamentalen Pracht lassen, die die Kunst des Wiener Jugendstils prägte. Geradezu symbolisch erscheint, dass Schrekers Kammersymphonie Motive seiner unvollendeten Oper Die tönenden Sphären von 1915 verwendet, in der sich ein Künstlerschicksal durch das Sammeln von Klängen bestimmt und die mit einem riesigen Friedensfest schließen sollte. Zu diesem Zeitpunkt war ein rasches Ende des Ersten Weltkriegs jedoch in weite Ferne gerückt. Im Folgejahr arbeitete Schreker dann die Kammersymphonie aus: Geschrieben anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Wiener Akademie für Musik und darstellende Kunst, wurde sie dort im März 1917 von Lehrenden der Akademie und Mitgliedern der Wiener Philharmoniker uraufgeführt. Schreker war an diesem Institut als Professor tätig gewesen, bevor er 1920 zum Direktor der Berliner Musikhochschule berufen wurde, der heutigen Universität der Künste. Dort holte er unter anderem auch Hindemith ins Kollegium der Lehrenden, wurde als Jude jedoch 1933 von den Nazis aus dem Amt gejagt. Nur ein Jahr später starb er, zwei Tage vor seinem 56. Geburtstag. Die Kammersymphonie beschwört in einer Krisenzeit, die dem Untergang der alten Welt entgegentaumelte, noch einmal deren Glanz, jedoch wie durch einen geschärften Brennspiegel betrachtet. Der Wiener Musikjournalist Richard Specht urteilte einmal sehr treffend über Schrekers Stil: „Es gibt Klänge darin, wie man sie vielleicht in solcher Kombination nie vorher gehört hat: halluzina torische, rätselhafte, mystische Klänge von unheimlichem Reiz, wirr raunende, sehnsüchtig flüsternde Stimmen, deren Rauschen und Glimmen sich schließlich zu aufatmender, verklärter Entrücktheit löst.“
Dr. Kerstin Schüssler-Bach arbeitete als Opern- und Konzertdramaturgin in Köln, Essen und Hamburg und hatte Lehraufträge an der Musikhochschule Hamburg und der Universität Köln inne. Seit 2015 ist sie für den Musikverlag Boosey & Hawkes in Berlin tätig. Sie verfasste Werkessays und Radiosendungen für den WDR, NDR, die Berliner Philharmoniker, die Staatskapelle Dresden und die Elbphilharmonie Hamburg sowie wissenschaftliche Beiträge zu Brahms, Mahler, Frank Martin und Brett Dean.
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The Metamorphosis of Music and Mood Hindemith—Brahms—Schreker
Gavin Plumley
Despite all advances in medical science, the ancient “Father of Medicine,” Hippocrates, remains a constant. The principles of his eponymous oath, to “abstain from all intentional wrong-doing and harm” and never to divulge “whatsoever I shall see or hear in the course of my profession” are still central to modern healthcare, even when embraced by more recent ethical codes. Less cherished today, perhaps, is the Greco-Roman idea of the four temperaments and their associations with bodily secretions: the sanguinic (blood), the choleric (yellow bile), the melancholic (black bile), and the phlegmatic (phlegm). But even if such proto-psychological theorizing has been debunked, the terminology endures. Carl Nielsen had already written his Second Symphony (1901–2), featuring four movements charting the four temperaments, by the time that Paul Hindemith responded to the ancient medical philosophy in the late 1930s. The project came into being thanks to an ongoing collaboration with the choreographer Léonide Massine. They had initially worked together on Nobilissima visione, first performed at the Royal Opera House, Covent Garden in July 1938— shortly before Hindemith’s exile to Switzerland. The success of this balletic tale of the life of St. Francis led the pair to ponder ideas for a possible successor. It was never to come to fruition, though Hindemith was able to rescue two musical works from the process: his Symphonic Metamorphosis after Themes by Carl Maria von Weber; and the Theme
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with Four Variations for piano and strings subtitled The Four Temperaments. The latter is likely to have been the upshot of a scenario initially inspired by the paintings of Bruegel, which Hindemith seems to have adapted for his new score in 1940. In both cases, the music would eventually find its way to the stage thanks to George Balanchine, in whose Manhattan apartment a private performance of the Theme with Four Variations was given. The public premiere took place at a concert in Winterthur on March 18, 1943—not, as is often suggested, in Boston in 1944— with Rudolf am Bach at the piano, conducted by Hermann Scherchen, three years before Balanchine’s choreography was seen with his own Ballet Society (the predecessor to New York City Ballet) in November 1946. The four variations represent the melancholic, sanguinic, phlegmatic, and choleric moods, though all take their lead from the initial section, as if signifying the body entire. Hindemith’s basic description of “a brief instrumental introduction without dance with a simple uncomplicated theme” glosses over the chromatic richness of this music and its subdivision into three contrasting sections. The strings lead the first, nominally in C major, which harks back to the mood and manner of Hindemith’s 1936 Trauermusik, written in response to the death of King George V. The piano then announces the theme’s spryer second part, with tumbling high jinks, before the third brings the soloist and the strings together in a lilting sicilienne. The subsequent dances are developments of this multifaceted theme, expressed across a dizzying array of groupings and textures. “Melancholic” opens with an air of Baroque austerity before becoming more brooding. “Sanguinic” is by turns joyous, brilliant, and romantic, while “Phlegmatic” inverts these aspects, offering a triptych of sulky, nonchalant, and petulant portraits. Finally, the work’s concerto grosso differentiation of soloist and ensemble reaches a peak in the “Choleric” finale, characterized by a constant fight for supremacy that eventually returns to C-major unity at the close.
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A similar exchange of voices is witnessed in Johannes Brahms’s First Cello Sonata in E minor Op. 38, in which melody and accompaniment are freely passed between the two players, with the cellist often providing the bedrock for the keyboard’s richer harmonic language. This exchange speaks of a complexity that would typify many of the composer’s instrumental sonatas, though the E-minor Cello Sonata is the first that Brahms allowed to be published. Indeed, while much of his juvenilia did not survive, the cello and piano, two of the three instruments he learned as a child—along with the horn—are prevalent throughout and the Cello Sonata can therefore be seen as the conclusion to the first part of the composer’s career. Simrock issued the score of Op. 38 in 1866, by which time Brahms had been working on the piece for four years. The Sonata is dedicated to Josef Gänsbacher, a keen amateur cellist who was more readily known in Vienna as a singing teacher. It was through this latter work that Gänsbacher became one of Brahms’s closest allies when the composer applied for the directorship of the Sing akademie, a mainstay of the imperial capital’s public music-making. As a gesture of thanks, once Brahms had secured the role, he dedicated the new Sonata to his friend, with whom he reportedly played the work on at least one occasion, crashing through the piano part in a hasty, loud manner. At the time, the work took a slightly different guise. While the sonata-form Allegro and the Allegretto quasi Menuetto were already present, there was also an Adagio. This was then abandoned, at which point Brahms decided to shift the Allegretto to the middle and follow it with a fugal finale, which he completed in 1865. It is an impassioned and, at times, somber work. Certainly, the profile of the opening melody, beginning low in the cello, with offbeat, richly harmonized chords in the piano, suggests a melancholic temperament. The Allegro is persistently in this minor mood, only shifting briefly to a tender lullaby in the relative major. The development shows the players at their most expressive and expansive, employing the full range of both instruments to deliver the music with great fire. The recapitulation, on the other hand, is generated out of simple but effective variations on the material of the exposition, with the movement ending in the soft glow of its gentle lullaby. The Allegretto is in the manner of a valse triste, certainly in its elegiac trio section, which acts as a kind of slow movement in
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the absence of the original Adagio. But if this second movement suggests some kinship with Beethoven, the finale reveals Brahms’s debt to Bach—persuasive links have been made with the generative material of Die Kunst der Fuge. The fugal subject here is announced by the piano before being passed to the cello, as the ardent nature of the first movement returns. The countersubject provides a secondary thematic area, with Brahms maintaining an elegant battle between the two performers. A more serene middle section recalls the Allegro’s hushed cradle song, before cellist and pianist hurl themselves into an outlandish coda, drawing the lines together.
Tonight’s program comes full circle with the music of Franz Schreker, a colleague and contemporary of both Hindemith and Schoenberg—the figure who would later name Brahms “the Progressive.” As leader of the Frankfurt Opera Orchestra, Hindemith performed throughout principal conductor Ludwig Rottenberg’s advocacy of Schreker’s work, both before the First World War, with Der ferne Klang, and after 1918. It was during the hostilities, “a time against art and all creative things,” that Schreker wrote both Die Gezeichneten, which he completed in June 1915 and which was first seen in Frankfurt on April 25, 1918, and Der Schatzgräber, the gestation of which spanned 1915 to 1918, before being staged, again in Frankfurt, on January 21, 1920. Both were staggering successes, announcing Schreker, alongside Strauss and Korngold (with Die tote Stadt, also 1920), as champions at the operatic box office—even rivalling the ubiquitous Puccini. And it was within the orbit of the tragic Die Gezeichneten and the more mythical Der Schatzgräber, together concerning a fetishistic obsession with beauty—its creation, preservation, and loss—as well as the abandoned stage work Die tönenden Sphären, about a man who collects sounds, that Schreker wrote his Chamber Symphony. Several commentators, following the title of the work and its telescopic structure of several moments in one, have seen it as a response to Schoenberg’s Op. 9 of 1906, which was similarly written for a large group of soloists and, in itself, offered a tribute to Brahms. But Paul Bekker, Schreker’s greatest advocate, was keen to draw a much clearer distinction between the Viennese contemporaries, whose working relationship had become rather strained during preparations for the 1913 world premiere of
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Schoenberg’s Gurre-Lieder, which was conducted by Schreker. There would be no greater mistake than to link Schreker to, say, Schoenberg. Schoenberg’s talent is abstract and speculative, thoroughly cerebral and by nature given primarily to instrumental thought. Next to his gruff, relentless intellectuality Schreker seems almost primitive, tame, and conventional. Just as Schreker needs the stage in order to release himself as an artist, so too is his musical language rooted in the sensuousness of sound. Bekker arguably overstated the case about Schreker’s need for theatrical inspiration, given the lusciousness present in the Chamber Symphony. A “ghostly beckoning” of the “wonder of aural experience,” suggestive of “the truly transcendental element of music,” is manifest in the 25 minutes of this work, which Schreker wrote in response to a commission to mark the centenary of the Music Academy in Vienna. He had been appointed its professor of counterpoint, harmony, and composition in 1913, and the Chamber Symphony was first performed there by faculty colleagues on March 12, 1917. The opening is cut from the same diaphanous cloth as Die Gezeichneten—“misty deliquescence,” Bekker called it—with a combination of piano, celesta, harmonium, harp harmonics, and flute. This searching introduction, luring us here only to melt towards another tonal center, reaches a brief summit in E major, before dissolving once more. Its tonal fluidity reflects the mutability of the entire structure, as rhapsody becomes kinesis at the launch of the principal movement. This too has a lilting core, as well as more brooding sections, which look ahead to the Adagio (introduced by a reprise of the initial shimmering). Following the slow movement’s juxtaposition of fervent strings, late-heroic horn calls, and moments of eerie submission, often with the hollow toll of the celesta, there is an—almost— unclouded diatonic tutti. This is, in turn, preparation for the more crystalline sound world of the scherzo, with its suggestion of Schreker’s earlier pantomime Der Geburtstag der Infantin (written for Vienna’s Wiesenthal sisters and first seen at the Kunstschau curated by Gustav Klimt in 1908). Each of the unfolding sections is as much part of a larger exposition as a movement in its own right. Together, they point to the continuing development of the material, right through to the end of the Chamber Symphony. And for all the dance’s suggestion of harmonic clarity, the Adagio’s combination of major and minor
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moods likewise endures, with an even more cadaverous boom from the tam tam. Finally, Schreker’s “ethereal vision of sound” comes to rest in a numinous D major, though its allusion to music in the same key from Die Gezeichneten may well suggest that rest and realization are just another imago.
Gavin Plumley is a cultural historian whose work spans many periods and disciplines. He has written, lectured, and broadcast widely on the music and culture of Central Europe and appears frequently on the BBC. He has been the commissioning editor of English-language program notes for the Salzburg Festival since 2013. His first book, A Home for All Seasons, will be published in 2022.
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