Sir András Schiff
Einführungstext von Kerstin Schüssler-Bach Program Note by Harry Haskell
SIR ANDRÁS SCHIFF Montag 20.
Dezember 2021 19.30 Uhr Dienstag 21. Dezember 2021 19.30 Uhr Sir András Schiff Klavier
Johann Sebastian Bach (1685–1750) Französische Suiten (1722–24)
Suite Nr. 1 d-moll BWV 812 I. Allemande II. Courante III. Sarabande IV. Menuet I – Menuet II V. Gigue
Suite Nr. 2 c-moll BWV 813 I. Allemande II. Courante III. Sarabande IV. Air V. Menuet I – Menuet II VI. Gigue
Suite Nr. 3 h-moll BWV 814 I. Allemande II. Courante III. Sarabande IV. Gavotte V. Menuet – Trio VI. Gigue
Suite Nr. 4 Es-Dur BWV 815 I. Allemande II. Courante III. Sarabande IV. Gavotte V. Air VI. Menuet VII. Gigue
Suite Nr. 5 G-Dur BWV 816 I. Allemande II. Courante III. Sarabande IV. Gavotte V. Bourrée VI. Loure VII. Gigue
Suite Nr. 6 E-Dur BWV 817 I. Allemande II. Courante III. Sarabande IV. Gavotte V. Polonaise – Menuet VI. Bourrée VII. Gigue
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Ein Schweben ohne Zeit Johann Sebastian Bachs Französische Suiten
Ker stin Schüssler-Bach
„Französischer Schaum“ Hatte sich „der alte Bach“ als „Sohn seines Landes“ leicht fertig dem „Französischen Schaum“ hingegeben? So zeterte 1827 jedenfalls Carl Friedrich Zelter in einem Briefwechsel mit Johann Wolfgang von Goethe. Bach habe, so Zelter, „seine Söhne die feinen niedlichen Couperins mit all den Frisuren der Notenköpfe üben“ lassen; „ja er selber versuchte sich mit größtem Glücke als Componist in dieser Manier und so schlich sich das Französische Gekräusel bey ihm ein.“ Goethe blieb gelassen und äußerte sein Verständnis, „wie, bey damaliger großer Bewegung in Künsten und Wissenschaften, etwas Gallicinisches herüberwehen konnte“. Mit dem Abstand einiger Jahrzehnte und national gefärbten Klischees warnte der brave Zelter vor dem frivolen Zungenschlag einer ge fälligen nachbarlichen Mode. Doch noch ein Menschenalter zuvor hatte man mit gutem Grund im „Französischen Schaum“ gebadet, und Bach machte da keine Ausnahme. Woher der Name „Französische Suiten“ für die sechs Werke BWV 812–817 stammt, wissen wir nicht. Doch dass er von Bachs intensiver Beschäftigung mit der französischen Musik seiner Zeit herrührt, liegt auf der Hand. Schon Johann Nikolaus Forkel erklärte den Beinamen in seiner ersten Bach-Biographie von 1802 wie folgt: „Man nennt sie gewöhnlich Französische Suiten, weil sie im
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Französischen Geschmack geschrieben sind“ – was auch bedeutete: „weniger gelehrt als in seinen anderen Suiten“ und meist mit „einer lieblichen, mehr hervorstechenden Melodie“ versehen. Unter einer Suite („Folge“) verstand man die lockere Aneinanderreihung von Tänzen, die aktuell in Mode standen. Der „Französische Geschmack“ gab zwischen 1650 und 1750 in ganz Europa den Ton an – in der Zeit der prunkvollen Feste, bei denen die Musik nicht erst seit der Regentschaft des begeisterten Tänzers Ludwig XIV. eine herausragende repräsentative Funktion einnahm. Ludwigs Hof in Versailles war Fixpunkt für die absolutistischen Fürsten aller Länder. Am „goût“ der Franzosen bewunderte man Beherrschtheit und Formvollendung, gepaart mit geschliffener Konversation und der erhabenen Einfachheit einer rationalen Ordnung. „Klein-Versailles“ in Lüneburg und Celle Bach hatte die französische Hofkultur, ihre Manieren, Mode und nicht zuletzt ihre Musik als 15-jähriger Chorschüler zu St. Michaelis in Lüneburg kennengelernt. Der Schule war eine Ritterakademie für adlige Zöglinge angegliedert: Französische Konversation – in der auch der junge Sebastian sich übte – und die Aufführung französischer Theaterstücke waren Bestandteil ihres Lehrstoffes. Die Chorsänger mussten den gleichaltrigen Monsieurs der Ritterakademie gelegentlich wie Kammerdiener aufwarten oder sie zu höfischen Anlässen ins Lüneburger Schloss begleiten. Sehr wahrscheinlich erhielt Bach bei solchen Gelegenheiten mehr als einmal Zutritt zur Lüneburger Residenz, einem Zweitwohnsitz von Georg Wilhelm, Herzog von Braunschweig-Lüneburg. Der lebenslustige Welfen spross hatte in einer Ehe „zur linken Hand“ (womit die gemeinsamen Nachkommen nicht erbberechtigt waren) die Französin Eléonore Desmier d’Olbreuse geheiratet. Die kultivierte Hugenottin nahm etliche aus Frankreich vertriebene hugenottische Musiker in herzog lichen Dienst und sorgte dafür, dass der Hof Georg Wilhelms bald als „ganz verfranzt“ galt. Als „Klein-Versailles“ übte sich vor allem die Hauptresidenz Celle in der Nachahmung französischer Hof haltung. Die Celler Hofkapelle pflegte die Musik Jean-Baptiste Lullys und seiner deutschen Epigonen, spielte Comédie-Ballets, Tänze und Suiten. Am Celler Hof wie an der Michaelisschule in Lüneburg wirkte der französische Geiger und Ballettmeister Thomas de la
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Selle, ein Schüler Lullys, und es ist bezeugt, dass der junge Bach ihn gelegentlich auf der 90 Kilometer langen Reise durch „die übel beschriene Lüneburger Heyde“ begleitete. Kaum vorstellbar, dass er diese Mühen auf sich nahm, ohne sich dort als Musiker, womöglich als Geiger oder Bratscher, nützlich gemacht und so die neueste französische (Suiten-)Literatur kennengelernt zu haben. Im Nekrolog auf Bach, verfasst von seinem Sohn Carl Philipp Emanuel und seinem Schüler Johann Friedrich Agricola, erfahren wir, wie der Verstorbene „durch öftere Anhörung einer damals berühmten Capelle, welche der Herzog von Zelle unterhielt, und die mehren theils aus Frantzosen bestand, im Frantzösischen Geschmacke, welcher, in dasigen Landen, zu der Zeit was ganz Neues war“ wichtige Anregungen erhielt. Doch nicht durch höfischen Glanz wurde Bach bereits zwischen 1700 und 1703 mit der Manier „à la française“ vertraut. In Lüneburg schaute er sich außerdem die französische Ornamentik vom Organisten Georg Böhm ab, der nicht nur Orgelwerke, sondern auch Suiten für Clavier (der damalige Oberbegriff für Tasteninstrumente) komponierte. Zudem studierte Bach in seiner Lüneburger Zeit die brandaktuelle Musik der französischen Clavecinisten, also jener Virtuosen des Cembalos (französisch „clavecin“ oder „clavessin“), die eine eigenständige Musik für Tasteninstrumente entwickelten, wie Jacques Champion de Chambonnières, Louis und François Couperin oder später Jean-Philippe Rameau. Von Bachs Hand sind Abschriften der Pièces de Clavessin (1677) von Nicolas Lebègue oder Suiten von François Dieupart (1701) überliefert. Nach seiner Lüneburger Zeit brachte er sie nach Thüringen zurück und überließ sie seinem Bruder für die Herausgabe von Anthologien, die in der Forschung als „Andreas-Bach-Buch“ und „Möllersche Handschrift“ bekannt sind. Gesellschaftsmusiken in Köthen An diese frühe Begegnung mit der höfischen Kultur Frankreichs mochte sich Bach erinnert haben, als er 1717 eine neue Stellung bei Hofe antrat: Im Dezember tauschte er seine Position als Organist und Konzertmeister in Weimar, die unrühmlich mit einem Gefängnis aufenthalt geendet hatte, gegen den Titel „Hochfürstlich Anhalt- Cöthenischer Capellmeister“ ein. Seinen neuen Dienstherrn Leopold von Anhalt-Köthen schätzte Bach als „einen gnädigen und Music
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so wohl liebenden als kennenden Fürsten“, der immerhin 17 hervorragende Musiker in seiner Kapelle versammelte. Die kultivierte Atmosphäre des kleinen, feinen Hofs inspirierte zu gesellschaftlichem Musizieren, und dabei lag natürlich auch Musik nach der neuesten französischen Mode auf den Pulten. 1722, ein Jahr vor Beendigung seines Dienstverhältnisses in Köthen, schrieb Bach die Frühform der Französischen Suiten nieder – als Zeichen seiner Auseinandersetzung mit einer hochmodernen Gattung, aber auch als intime Spielart der Gesellschaftsmusik. Bach hatte sich 1721 nach dem plötzlichen Tod seiner ersten Frau wieder verheiratet: Seine glück liche Wahl fiel auf Anna Magdalena Wilcke, eine ausgezeichnete und gut bezahlte Sängerin am Köthener Hof. Sie legte 1722 das Clavier-Büchlein vor Anna Magdalena Bachin an, in das ihr Mann Kompositionen eintrug: Übungs- und Unterhaltungsstücke, darunter fünf kurze Cembalosuiten, die späteren Französischen Suiten Nr. 1 bis 5. Ein zyklischer Zusammenhang oder gemeinsamer Name bestand jedoch im Clavier-Büchlein nicht. Die sechste Suite wurde wohl nach 1722 komponiert, und nur durch nicht-autographe Abschriften ist ihre Vereinigung mit den ersten fünf Suiten zur Werkgruppe bezeugt. In der Köthener Zeit legte Bach weitere Suitenkompositionen vor: die Partiten für Violine solo, die sechs Cellosuiten und die Englischen Suiten für Clavier, die trotz ihres Namens ebenfalls französische Tänze vereinen. Im Unterschied zu den Französischen werden die Englischen Suiten allerdings jeweils von einem aus gedehnten Präludium eröffnet, sie gelten als elaborierter und klavieristisch anspruchsvoller. Die Französischen Suiten sind dagegen bewusst knapp und konturiert gehalten. In ihrer durchsichtigen, eher homophonen als polyphonen Satzart und ihrer Begrenzung von virtuosem Figurenwerk sind diese Suiten wohl dezidiert für Bachs pädagogische Zwecke konzipiert worden: Nicht nur Anna Magdalena Bach studierte sie, auch beim häuslichen Unterricht für den ältesten Sohn Wilhelm Friedemann standen die Suiten „sans préludes“ auf dem Programm. Höfische Tänze in Stilisierung Alle sechs Suiten reihen stilisierte Tänze der höfischen französischen Tradition aneinander. Das Grundgerüst besteht aus der seit Mitte des 17. Jahrhunderts gültigen Standardfolge Allemande – Courante –
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Sarabande – Gigue, wobei zwischen Sarabande und Gigue Modetänze wie Menuet(t), Gavotte oder Bourée als „Galanterien“ ein gestreut werden und eine bunte Fülle unterschiedlichster Charaktere einbringen. Die Stammsätze sind kontrastierend aufgebaut: Die Allemande schreitet in ruhigem Viervierteltakt und fließenden Sechzehnteln dahin; sie ist, so Johann Mattheson in seinem Vollkommenen Capellmeister (1739), eine „aufrichtige Teutsche Erfindung […], das Bild eines zufriedenen oder vergnügten Gemüts, das sich an guter Ordnung und Ruhe ergetzet“. Bei der Courante teilt Bach zwischen dem rhythmisch diffizileren französischen und dem beschwingten italienischen Typus auf. Der ursprünglich aus Spanien stammenden Sarabande eignet durch ihren langsame Gangart und die gravitätische Betonung auf der zweiten Zählzeit etwas Festlich- Zeremonielles. Die geschmeidige Gigue basiert auf einem keltischen Tanzliedtypus und jagt im gestrafften, oft punktierten Rhythmus fröhlich dahin. Der höfisch-galante Tanzstil bewegte sich in engen Schritten, nicht in ausgreifenden Sprüngen. Gleich die Allemande der ersten d-moll-Suite unterstreicht dies. In sanften Sechzehnteln, ohne scharf profiliertes Thema gleitet die Bewegung in kleinen Intervallen elegant dahin, fein ziseliert mit wohldosierten Ornamenten und Arpeggien. In der folgenden Courante im Dreihalbetakt wird das Thema fugiert und ein enger Zusammenhalt zwischen den Stimmen gewahrt. Typisch für die Sarabande ist der ostinate Charakter der Bassstimme; auch hier werden drei gleichmäßige Viertel, oft auf demselben Ton, wiederholt. Das grazile Paar von Menuett I und II hält die tänzerische Dreivierteltakt-Bewegung durch Triller und fließende Achtel in der Schwebe. Schon die Clavecinisten versahen die Gigue oft mit fugenartigen Abschnitten. Auch Bach arbeitet die Fugentechnik in seine Gigue ein: Der Themenkopf mit seinem markanten Quart- bzw. Quintsprung, der scharfen Punktierung und dem abwärtsgerichteten Lauf wandert gut hörbar durch die Stimmen. Im zweiten Teil der Gigue ist das Thema in der Um kehrung zu hören, also mit abwärtsgerichtetem Sprung und aufwärtsfahrendem Lauf. Auch diese Umkehrungstechnik war bei den Clavecinisten vorgebildet. Zur Unterstreichung des zyklischen Zusammenhangs zwischen erstem und letztem Satz weist die motivische Kombination aus Quartsprung und abwärtsgerichtetem Lauf zudem Verwandtschaft zur Allemande auf. In der zweiten Suite in c-moll wird eine mit typisch Bach’schem „Swing“ aufwartende Courante von zwei Sätzen in die Mitte ge-
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nommen, die ganz nach innen schauen: die zartgliedrige Allemande und die durch Verschiebung der Taktschwerpunkte schwerelos dahingleitende Sarabande. Vor die beiden Menuette ist noch eine grazile Air gesetzt. Allemande und Courante waren zu Bachs Lebzeiten als Gesellschaftstänze bereits aus der Mode gekommen. In ihrer kunstvollen Stilisierung stehen sie hier freilich über den zweckdienlichen Dingen. Die eigentlichen Modetänze wie das Menuett erscheinen bewusst einfacher gesetzt. Umso wirkungsvoller hebt sich die Schlusssteigerung durch die polyphon gearbeitete Gigue ab. Dies lässt sich gut in der Suite Nr. 3 h-moll verfolgen mit ihrem spieluhrartigen Menuett und Wiederholung, die ein schlichtes Trio umrahmen. Der lockere, springende Gestus des Menuetts liegt im „style brisé“ begründet: der Brechung des Akkords durch das Nacheinanderspielen der Töne, wie es die französischen Lautenisten entwickelt hatten. Die Gigue ist von einem imitatorisch geführten, entschlossenen Thema und virtuoser Sechzehntelmotorik geprägt. Hier ist sie dem Typus der Canarie nachgebildet, erkennbar an der Folge von Achtelauftakt und Viertel, dem Dreiachteltakt sowie einem tendenziell noch schnelleren Tempo. Johann Mattheson schreibt: „Die Canarischen müssen große Begierde und Hurtigkeit mit sich führen“. Den Charakter eines in seiner transparenten Schlichtheit perfekten, aber durchaus nicht tanzbaren Präludiums trägt die Allemande aus der vierten Suite in Es-Dur. Ihre zweistimmige Courante im Dreivierteltakt und sequenzierter, sprunghafter Motivik orientiert sich am italienischen Typus der Corrente – hier lässt sich besonders gut nachempfinden, dass der Name im Französischen und Italienischen „Die Laufende“ bedeutet. Eine federleichte Gavotte, eine perlende Air und ein ruhiges Menuett folgen vor der abschließenden Gigue. Die Suite Nr. 5 in G-Dur weist zwei weitere Tänze auf: die Bourée und die Loure – erstere ein rascher Tanz mit kurzem Auftakt im Allabreve, heiter und beschwingt, den Bach in vielen seiner Werke gerne verwendet hat, hier noch gewürzt mit chromatischen Schritten. Die langsamere Loure im Sechsvierteltakt entspricht mit ihrer Vorhaltmotivik, ihrer Punktierung und einer gewissen Weitschweifigkeit angemessen dem „stoltze[n], aufgeblasene[n] Wesen“, das Mattheson diesem Tanz attestiert. Klavieristischen Glanz verströmt die dreistimmig fugierte Gigue mit leicht dahinhüpfenden Sechzehnteln. Die Nr. 6 in E-Dur gilt als die brillanteste der Französischen Suiten. Zum Teil mag dieser Eindruck ihrer besonders hellen Ton-
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art geschuldet sein, aber auch Virtuosität wird gefordert, wie in der quecksilbrigen Courante, ebenfalls nach italienischem Typus. In eine aparte, festliche Robe ist die vollstimmige Sarabande gekleidet. Bach verwendet in dieser sechsten Suite einen weiteren, damals hochmodernen Tanz: die graziöse Polonaise im Dreivierteltakt. Ursprünglich ein würdevoller Schreittanz mit langgezogenem Schritt, gelangte sie Anfang des 18. Jahrhunderts aus Polen nach Frankreich und verbreitete sich von dort aus schnell in den Ballsälen der europäischen Höfe. Bach verschiebt den charakteristischen Rhythmus allerdings, indem er die schnellere rhythmische Figur nicht auf die zweite, sondern auf die erste Zählzeit setzt. Nach diesem „dernier cri“ der höfischen Unterhaltung kehrt er zu den gewohnten Sätzen Bourée, Menuett und der abschließenden Gigue zurück. Der Frage der Bach’schen Ornamentik wäre ein eigenes Kapitel zu widmen. Im Clavier-Büchlein für Wilhelm Friedemann ist eine Verzierungstabelle in Bachs Handschrift überliefert, die zu aufführungspraktischen Fragen herangezogen wird. In den Französischen Suiten (wie in anderen Werken Bachs) hat die französische Aus führungsart mit scharfen Punktierungen, angeschärften Pausen, den „notes inégales“ und leicht verschleiernden Ornamenten deutliche Spuren hinterlassen. Zur Grazie des galanten Stils, der schwebenden Zeit seiner Rhythmen tritt eine Transparenz und Gelöstheit hinzu, die diese schwer erklärbare, geradezu heilsame Wirkung der Bach’schen Klaviermusik ausmacht: ihre Luzidität und Pathoslosigkeit auf der einen Seite – mag man von französischer clarté sprechen? –, ihre meditative Versunkenheit und geistige Konzentration auf der anderen. Selten war Unterhaltsamkeit mit solcher Gedankentiefe gepaart. Die intellektuelle, emotionale und physische Lockerung des Menschen sei Bachs Musik geradezu eingeschrieben, erklärt András Schiff: „Bach am Morgen ist wie ein Seelenbad.“ Und am Abend, möchte man hinzufügen, die beste Reinigung von allen Beschwernissen, die uns am Tage auferlegt werden.
Dr. Kerstin Schüssler-Bach arbeitete als Opern- und Konzertdramaturgin in Köln, Essen und Hamburg und hatte Lehraufträge an der Musikhochschule Hamburg und der Universität Köln inne. Seit 2015 ist sie für den Musikverlag Boosey & Hawkes in Berlin tätig. Sie verfasste Werkessays und Radiosendungen für den WDR, NDR, die Berliner Philharmoniker, die Staatskapelle Dresden und die Elbphilharmonie Hamburg sowie wissenschaftliche Beiträge zu Brahms, Mahler, Frank Martin und Brett Dean.
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“Pleasing, More Predominant Melody” Bach’s French Suites
Har r y Haskell
In the years before and after his move to Leipzig in 1723, Johann Sebastian Bach devoted much of his energy to composing didactic works for the clavier (the generic term for a keyboard instrument in the 18th century). Among them were his Inventions and Sinfonias, the first part of The Well-Tempered Clavier, the Chromatic Fantasy and Fugue, and the two anthologies he compiled for his son Wilhelm Friedemann and his wife. The latter collection, the so-called “Notebook for Anna Magdalena Bach” of 1722, contained early drafts of five of the six French Suites—so named, in the words of Bach’s early biographer Johann Nikolaus Forkel, “because they are written in the French taste. By design, the composer is here less learned than in his other suites, and has mostly used a pleasing, more predominant melody.” Based on courtly dances of the day, the French Suites illustrate the suavely melodious galant style, long on elegance and short on contrapuntal complexity, that appealed to well-bred amateurs and cultured aristocrats alike in Bach’s time. Each suite is built around a core group of four dances of contrasting characters, meters, and tempi. By convention, all four of these dances within a given suite are in the same key, although they are seldom related thematically.
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Bach varies the standard pattern by inserting other dances, chiefly of a lighter character, after the obligatory slow sarabande. The composer had already demonstrated his fluency in the florid French idiom in the six English Suites. (These took their familiar, if slightly misleading, name either because they were “made for an Englishman of rank,” as Forkel supposed, or possibly because they were modeled on harpsichord works published in London.) Unlike the English Suites, however, the French Suites dispense with leisurely contrapuntal preludes and open instead with allemandes. Although no one can say for certain how this dance got its name (allemande is the French word for “German”), the quasi-improvisational character of these introductory movements serves a purpose similar to that of the prelude in fixing the listener’s attention and giving the performer a chance to stretch her or his fingers. The Baroque Suite In the early 18th century, the terms suite and partita (which translates as “little part” or “division”) both described a set of stylized instrumental dances, typically including a stately allemande in moderate duple meter, a vivacious triple-time courante, a broadly lyrical sarabande, with its characteristic emphasis on the second of the bar’s three beats, and a bouncy gigue. To these basic ingredients might be added a variety of other courtly or popular dances, as well as expository preludes, fantasias, and other movements of a less explicitly dance-like character. Part of the appeal of the suite format was its flexibility, since neither the number nor the order of the pieces was rigidly prescribed. For George Frideric Handel, the suite served mainly as a convenient way of packaging miscellaneous pieces—often written at different times and for various occasions—for popular consumption. Sometimes he gave these motley groupings a semblance of unity by linking the pieces thematically as well as tonally. In general, however, the suite form seems to have held no special interest for Handel, although no one knew better than he how to exploit its crowd-pleasing potential in works like Water Music and Music for the Royal Fireworks. Bach, on the other hand, showed a serious and sustained interest in the suite throughout his career. It was characteristic of his methodical approach to composition that he used the form both as an organizational device and as a pedagogical tool. This systematic mindset is
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most clearly shown in his monumental Clavier-Übung, or “Keyboard Practice,” a four-part compendium of contemporary keyboard styles, genres, and techniques. The first volume, published in 1731, consisted of six Partitas for single-manual harpsichord, while sub sequent volumes focused on music for the organ and double-manual harpsichord. The French Suites Nos. 1–3 Bach keeps his “learned” style in check in the winsome and predominantly light-textured Suite No. 1 in D minor. The smoothly flowing 16th-note pulse of the opening Allemande bears out the observation of a contemporary German writer that such pieces “must be composed and likewise danced in a grave and ceremonious manner.” As in many of Bach’s works, the music, once set in motion, seems to generate its own effortless momentum. A triple-time Courante in the moderately fast French style leads to a dreamy Sarabande, whose poignant, aria-like melody moves from the right hand to the left and back again. The two contrasting Menuets are played alternativement, with the first repeated after the second in ABA form. The work concludes with an unusually introspective Gigue, characterized by crisp dotted rhythms and rolling flourishes. In the Suite No. 2 in C minor, the rippling runs that permeate the Allemande impart a sense of restlessness and renewal, like freshets bubbling from the earth in early spring. Only here and in the serenely meditative Sarabande, also in three voices, does Bach depart from the two-part texture that gives the other movements of the suite their beguiling transparency. Between these two dances comes a fleet Courante in the Italian manner (the brisk tempo belies the French form of the name). The Air, as its title implies, is simple and lyrical, like a two-part invention, while the Menuet sounds less complicated than it really is. (Listen for the melodic sequences—the same music repeated at different pitch levels—in the second half.) The final Gigue is similarly delicate, the dotted triple meter imparting a gentle lilt to the music. Bach demonstrates his contrapuntal mastery in the intricate imitative textures of the opening Allemande of the Suite No. 3 in B minor, as the performer’s two hands play an elaborate game of follow-the-leader that is full of engaging twists and turns. The Courante is equally unpredictable: despite the music’s metrical
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r egularity, the changing rhythmic patterns and accents make the movement an adventure for the ear. The Sarabande, with its tenderly yearning theme, provides a tranquil interlude before the strikingly subdued and somewhat bittersweet Gavotte. The Menuet features bright, bell-like peals of eighth notes above a bare-bones bass line, in contrast to the richer three-part harmonies of the central Trio section, and a spitfire Gigue brings the work to a close in a burst of brilliance. The Suites Nos. 4–6 Whether by accident or design, Bach organized the French Suites in two equal tonal divisions: the first three are in minor keys, the last three in major. Although the mood of the Suite No. 4 in E-flat major is predominantly bright and outgoing, it begins on a decidedly introspective note, with a leisurely Allemande whose “broken” figurations and harmonic suspensions recall the style brisé associated with French lute music of the 17th century. Bach adds spice to the mix by varying the music’s harmonic motion (the rate at which the harmonies change). The Courante and Gigue, both in lively triple meter, play on the contrast between stepwise, or conjunct, motion and athletic leaps. A calmly measured Sarabande, a strutting Gavotte, and a lissome Air round out the suite of dances. Bach’s melodic genius is on display throughout the Suite No. 5 in G major, especially in the luminous, elegantly ornamented Sarabande and the leisurely Loure, the latter a theatrical dance often characterized by swaying dotted rhythms. The opening Allemande evokes the broad, majestic sweep of a French overture, while the ensuing Courante features sprightly imitative writing. The pairing of Gavotte and Bourrée offers a similar contrast, the former foursquare and emphatic, the latter nimble and fleet-footed, with its quick duple meter and wide leaps. In the final Gigue, Bach tempers the driving triplets of the main theme with a slight elongation in the second phrase, like a momentary pause for breath. Forkel observed that all seven movements of the Suite “are of the smoothest melody,” adding that “in the last jig none are used but consonant intervals, especially sixths and thirds.” The jovial, effervescent spirit of the Allemande sets the overall tone for the Suite No. 6 in E major. The work is unified in more than its buoyant atmosphere and generally bravura character, how-
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ever. The oscillating repeated-note figurations at the beginning of the Allemande, for example, make a vigorous comeback in the energetic Bourrée. In similar fashion, the cascading passagework of the Courante finds an echo in the Gigue’s billowing waves of 16th notes. Bach clearly had fun writing the optional dances—a pert, playful Gavotte, a delicately mincing Polonaise, and a gentle, sweettempered Menuet. Amid the gaiety, the Sarabande stands out for its unforced pathos and nobility of expression.
A former performing arts editor for Yale University Press, Harry Haskell is a program annotator for Carnegie Hall in New York, the Edinburgh Festival, and other venues, and the author of several books, including The Early Music Revival: A History, winner of the 2014 Prix des Muses awarded by the Fondation Singer-Polignac.
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A former performing arts editor for Yale University Press, Harry Haskell is a program annotator for Carnegie Hall in New York, the Edinburgh Festival, and other venues, and the author of several books, including The Early Music Revival: A History, winner of the 2014 Prix des Muses awarded by the Fondation Singer-Polignac.
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