Holger Falk, Julius Drake & Burghart Klaußner Lied und Lyrik II Einführungstext von Wolfgang Stähr Program Note by Richard Wigmore
HOLGER FALK, JULIUS DRAKE & BURGHART KLAUSSNER Lied und Lyrik II Freitag
18. März 2022 19.30 Uhr
Holger Falk Bariton Julius Drake Klavier Burghart Klaußner Rezitation und Gesang
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Hanns Eisler (1898–1962) Lieder nach Texten von Bertolt Brecht aus Hollywooder Liederbuch (1942/43)
I. Flucht
An den kleinen Radioapparat Spruch 1939 Über die Dauer des Exils Lied einer deutschen Mutter Der Sohn I. Wenn sie nachts lag und dachte II. Mein junger Sohn fragt mich In den Weiden Frühling Speisekammer 1942 Auf der Flucht Die Flucht Über den Selbstmord
Ostersonntag Der Kirschdieb Hotelzimmer 1942 Die Maske des Bösen Winterspruch Gedenktafel für 4000 Soldaten Epitaph auf einen in der Flandernschlacht Gefallenen Spruch Panzerschlacht II. Hollywood
Kantate im Exil op. 62 (1935) (Ignazio Silone)
Hollywood-Elegie Nr. 7 Nightmare (Hanns Eisler) Fünf Elegien I. Unter den grünen Pfefferbäumen II. Die Stadt ist nach den Engeln genannt III. Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen IV. Diese Stadt hat mich belehrt V. In den Hügeln wird Gold gefunden Die letzte Elegie Vom Sprengen des Gartens Die Landschaft des Exils Die Heimkehr
Auszüge aus Bertolt Brechts Arbeitsjournal sowie aus Briefen und anderen Texten von Hanns Eisler
Wir bitten, die Liedgruppen nicht durch Applaus zu unterbrechen. Keine Pause
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In diesem trübsinnigen ewigen Frühling Eisler und Brecht in Hollywood
Wo l f g a n g S t ä h r
Hanns Eisler wurde gleich zweimal vertrieben, aus Deutschland fort, nach Deutschland zurück: ein Emigrant, ein Remigrant. „Ich verlasse dieses Land nicht ohne Bitternis und Zorn“, ließ er alle Welt wissen, nachdem ihn das „Komitee für unamerikanische Umtriebe“ aus den USA verwiesen hatte. „Ich konnte es gut verstehen, als 1933 die Hitlerbanden einen Preis auf meinen Kopf aussetzten“, bekannte Eisler. „Sie waren das Übel der Epoche, ich war stolz darauf, vertrieben worden zu sein. Aber ich fühle mich betroffen davon, auf derart lächerliche Weise aus diesem wunderbaren Land verstoßen zu werden.“ Der Untersuchungsausschuss behandelte ihn wie einen Staatsfeind, den „Karl Marx der Musik“, wie einen Verschwörer in einem kommunistischen Komplott. „Ich bin jetzt zum Verlassen gezwungen. Doch das Bild der wahren amerikanischen Menschen, die ich liebe, nehme ich mit mir.“ Es blieb ihm gar nichts anderes übrig als die Erinnerung, im Jahr 1948, bei seiner erzwungenen Ausreise aus den Vereinigten Staaten. Doch darin hatte es Eisler bereits zur Meisterschaft gebracht: „Das ist eine ganz große Kunst, sich zu erinnern“, wusste er. „Wenn man aber mal vierzehn Jahre in der Emigration ist und sich erinnert an dieses verdammte Deutschland, dann sieht man die Sache auch
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anders. Man erinnert sich zurück – ohne Sentimentalität.“ Wehmut, Heimweh, Nostalgie – diese Vokabeln hätte Eisler allesamt von sich gewiesen, obgleich seine Lieder, die er im amerikanischen Exil schrieb, von der Vergangenheit sprechen (und sogar in fremden Stimmen mit den Toten reden), von der Entfernung, von Trennungen, von einem verletzten Kämpferherzen und der Angst vor dem Vergessenwerden. „Aber daß man sich erinnert, das gehört auch zur Sache der Intelligenz in der Musik.“ Und manchmal trat dem einen oder dem anderen die Erinnerung als lebender, überlebender Mensch in den Weg: zum Beispiel als sich Eisler und Brecht in Hollywood wiedersahen. „ein wenig ist es, als würde ich, in irgendeiner menge stolpernd, mit unklarem kopf plötzlich angerufen mit meinem alten namen, wenn ich eisler sehe“, vermerkte Bertolt Brecht in seinem Arbeitsjournal. In diesem Lande und in dieser Zeit Mit seinem alten Namen. Schon zu Beginn der Flucht, an Dänemarks Küste, hatte Brecht geklagt, wie sehr ihm die Gespräche fehlten, die gemeinsame Zeitungslektüre, die Gegenwart. Ein Radioapparat hielt die Verbindung in die Welt offen und musste ihm die verlorene Gesellschaft ersetzen. Weshalb er ihn mit einem Gedicht rühmte, zart anachronistisch im Ton, wie das Albumblatt für einen treuen Freund und Begleiter: „Du kleiner Kasten, den ich flüchtend trug / Daß seine Lampen mir auch nicht zerbrächen / Besorgt vom Haus zum Schiff, vom Schiff zum Zug / Daß meine Feinde weiter zu mir sprächen.“ Hanns Eisler vertont diese Verse, wie sie sind, als ein intimes Zwiegespräch mit Herzklopfen, aber ohne Antwort, sehr leise, sehr leicht. Und todtraurig. Der Gesang changiert zwischen elegantem Parlando und empfindsamen Kantilenen. Kein Fall von Eindeutigkeit, zumal das Lied sich als Palimpsest erweist, als Überschreibung. An den kleinen Radioapparat ist ein Werk von Eisler, unter dessen Oberfläche ein anderes, ein älteres, ein erinnertes Lied mitschwingt: Franz Schuberts An die Musik. „Hast mich in eine bessre Welt entrückt“? Das war gewiss nicht Eislers Absicht. Auch im Lied Über den Selbstmord (der Titel stammt von Eisler, nicht von Brecht) geht Franz Schubert um, aber der Schubert der Winterreise: in der stockenden, versiegenden Begleitung, dem lebensmüden „Wanderschritt“, in den langsamen Schwüngen
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der vokalen Linien, die das romantische Thema schlechthin umschreiben: „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus.“ Doch diese vagierenden, raunenden, abschweifenden Melodien mit ihrem aparten harmonischen Reiz rufen zugleich auch die morbiden und verstiegenen Lieder von Hugo Wolf herauf. Schubert und Wolf, zwei früh verstorbene Wiener, denen im fernen kalifornischen Exil ein Dritter nachblickt, der in Wien sozialisierte Sachse Hanns Eisler. Sein verstohlenes Lied vom Selbstmord ist freilich eine zwielichtige Geschichte, eine verführerische Einladung auf Abwege, eine Verlockung ins Nichts: Singt es der Tod selbst als böser Conférencier? Jedenfalls endet alles mit einem Aufschrei, und wenngleich Eisler solche stimmungstötenden Schockeffekte liebte, steckt in diesem Ausbruch doch der rohe, schonungslose Ausdruck, wie unerträglich das ganze Leben sei, „in diesem Lande und in dieser Zeit“, in der es trübe Abende und hohe Brücken nicht geben dürfte. Im Lied vom Kirschdieb, das sich auffallend genug der humoristischen Seite von Hugo Wolf annähert, wirkt auch das Wiener Volkstheater nach, Nestroy-Couplets, Satire und Kabarett, aber alles nur wie in Andeutungen, lang schon vergangen, längst verweht. Das Hotel zimmer 1942 (in dem wieder Brechts kleiner Radioapparat seinen Auftritt hat) könnte als ein Klavierstück frei nach Franz Schubert gespielt werden, ganz ohne den Text, als ein ausgenüchtertes Moment musical, dem sich ein lässiger, lebensmüder Sprechgesang einpasst, eine depressive Rezitation. Der Spruch 1939 allerdings, den Eisler im nämlichen Jahr komponierte, als er in Mexiko festsaß und von den US-amerikanischen Einwanderungsbehörden schikaniert wurde, ist ein Akt des trotzigen musikalischen Widerstands, ein Stück der unbeugsamen Moderne, schroff und angriffslustig, mit dem sich Eisler zu der anderen Wiener Schule und zu seinem Lehrmeister Arnold Schönberg bekannte, den er in Los Angeles wiedertraf (und den er auch später in den „Formalismus“-Debatten der DDR niemals verleugnen sollte). Warum sollte das Volk nicht so singen? Auch gegenüber Brecht nicht, den er vor einem gemeinsamen Besuch bei Schönberg in Brentwood Park sogar ausdrücklich vor hässlichen Worten warnte: „Wenn du dich gehenläßt und du gegen Schönberg grob wirst, dann muß ich dir sagen – bei aller Freundschaft –, ich breche mit dir sofort den Verkehr ab.“ Doch ging alles
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glatt im Hause Schönberg, bei gegenseitiger respektvoller Beachtung: „Es kam nicht zu einem Konflikt. Im Gegenteil, der Schönberg, der keine Ahnung hatte, wer Brecht ist, hat diesen seltsam ausschauenden Mann – er schaut doch aus wie eine Mischung zwischen Ignatius von Loyola und einem römischen Konsul in Bayern, nicht wahr? – mit Interesse betrachtet.“ Und so ahnte der Meister auch nicht, wie garstig Brecht sonst über seine Musik sprechen konnte. „Schönberg war ihm zu melodiös“, berichtet Eisler. „Aber das ist nicht nur ein koketter, geistvoller Einwand, nein, das war ihm zu hitzig. ‚Eine Art gebrochener Lehár‘, sagte er oft. ‚Das ist ja wie Lehár‘ – was es nun wirklich nicht ist.“ Die „Hitze“ war eine Auswirkung der Musik, die Brecht wie ein Unheil für die menschliche Gesundheit bekämpfte. 1942 schrieb er in sein Arbeitsjournal: „danach kann ich es mir nicht versagen, sie zu schockieren mit einem angriff auf schönberg. eines der wichtigsten werkzeuge für die beurteilung der musik ist das fieberthermometer. die normale körpertemperatur beträgt ungefähr 37 grad. bei leidenschaftlicher, hitziger oder auch nur intensiver musik muß man nachprüfen, ob diese temperatur noch intakt ist.“ Und nur drei Tage später notiert er: „es fiel mir ein, wir könnten versuchen, neue volkslieder zu schreiben, komponiert in der neuen art. warum sollte das volk nicht so singen, natürlich mit 37 grad.“ Brecht und Eisler kannten sich seit den vorerst vergangenen Berliner Tagen, seit dem „hitzig“ umkämpften Lehrstück Die Maßnahme und gemeinsamen Projekten „angewandter Musik“ wie beim Theaterstück Die Mutter oder dem Film Kuhle Wampe mitsamt dem Solidaritätslied: „Vorwärts, und nicht vergessen …“ Und sie kannten sich in- und auswendig: „Wissen Sie, wir wohnten sehr nahe, und es gab doch keinen Tag, wo ich Brecht nicht mindestens einmal gesehen habe“, sagte Eisler über die gemeinsame Exilzeit in Amerika. Aber mit und nach der Emigration und selbst noch im „Aufbau des Sozialismus“ in der DDR wuchs Eislers Abneigung gegen aktivistisches Liedgut zum Mitmarschieren. Ja, Eisler beklagte sich über den Stempel auf seinen Noten, das von Freund und Feind verliehene Etikett des Agitpropkünstlers: „Man redet von mir als Propagandisten, als Verbündetem der Arbeiterklasse, als Kommunisten – von Musik ist schon lange nicht mehr die Rede.“ Eisler komponierte 1941 im Exil das Schönberg gewidmete Zwölfton-Variationswerk Vierzehn Arten den Regen zu beschreiben, ein Quintett (eigentlich für einen experimentellen Stummfilm bestimmt), das Brechts Wohlgefallen und Fundamentalkritik
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g leichermaßen auf sich zog. Einerseits bewunderte er das Stück und verglich es mit einer chinesischen Tuschzeichnung, doch andererseits, so gestand Eisler, „sich in diesen schwierigen Zeiten so eindringlich mit dem Regen – und nicht nur mit dem Regen, sondern mit den Arten, wie es regnet – zu beschäftigen, hielt er auch irgendwie für unmoralisch“. Nichts Anderes hatte Brecht zuvor in einem seiner berühmtesten Gedichte An die Nachgeborenen geschrieben: „Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Und Eisler hatte diese Verse vertont, in Mexiko, und mit dem Titel Elegie 1939 versehen; und auch den zweiten und dritten Teil des Gedichts hatte er komponiert und zu Elegien umgewidmet, aber bereits 1937, als er mit Brecht in Dänemark zusammengekommen war: „Er legte mir gar nicht das Gedicht ‚An die Nachgeborenen‘ vor, sondern gab mir so einen Umschlag mit ungefähr dreißig Gedichten und sagte: ‚Schau doch mal nach, vielleicht ist etwas Brauchbares für dich drin.‘ Es war also das als Kompositionsvorlage gedacht. Das waren diese gelben Schreibmaschinenzettel. Ich schaute da nach und fand dieses Gedicht – und ging zu Brecht und sagte: ‚Du, Brecht, das ist kolossal!‘ Sagte er: ‚Wirklich? Hältst du das für brauchbar?‘ Mehr hat er nie gesagt. ‚Brauchbar‘ – das war die Formulierung.“ Die quälende Langeweile eines Emigranten Die meisten aber der Gedichte, die Brecht im Exil oder über das Exil schrieb, vertonte Eisler erst, nachdem er an die amerikanische Westküste gezogen war und in Hollywood, Pacific Palisades und schließlich in Malibu Beach Quartier bezog, in Rufweite zu den Filmstudios, die ihn mit lukrativen Kompositionsaufträgen bedachten. Trotzdem fand er es „scheußlich“ in Hollywood, „denn hier gibt es zwei Typen. Die einen sind korrumpiert (in einem ungeheuerlichen Ausmaß). Die anderen sind deprimiert, weil niemand sie korrumpieren will.“ Immerhin war er weder der erste noch der einzige, den es in die kalifornische Diaspora verschlagen hatte: Außer Schönberg und Brecht erwarteten ihn in Los Angeles Otto Klemperer und Bruno Walter, Theodor W. Adorno, die Gebrüder Mann, Lion Feuchtwanger, Fritz Kortner und Peter Lorre. Aber es blieb doch eine abgekapselte und aussichtslose Welt, in der sich die Emigranten bewegten – alle Tage Leerlauf, tote Zeit, Warten und Entsinnen.
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Und Langeweile. „Was soll ich denn ab acht Uhr früh machen in der Emigration außer komponieren?“, fragte Eisler. „Die größte Inspiration in der Emigration ist nicht nur unsere Einsicht in die Klassenverhältnisse, unser echter und – ich hoffe – anständiger Kampf gegen den Faschismus, für den Sozialismus, sondern die quälende – als Marxist muß man sagen die Realität –, die quälende Langeweile eines Emigranten, der zwölf Stunden nur sich betrachten kann. Das ist produktive Kraft.“ Und so schuf Eisler beinah wie ein „nobile dilettante“ des 18. Jahrhunderts aus Ennui seine Lieder, nicht allesamt, aber überwiegend nach Gedichten Brechts aus den skandinavischen Exil jahren, aus der vorangegangenen Zeit in Dänemark, Schweden und Finnland. „Ich schrieb fast jeden Tag zumindest ein Lied – manchmal auch mehr – entweder nach einem Text von Brecht oder nach Hölderlin (ich schrieb natürlich eine Menge nach Hölderlin) oder andere Sachen zum Beispiel nach Pascal. Und auf eine große Mappe schrieb ich drauf: ‚Hollywooder Liederbuch‘ – oder ‚Hollywooder Tagebuch‘ (daran erinnere ich mich nicht) – und sagte: ‚Das ist so mein Zeitvertreib.‘“ Bertolt Brecht vermerkt am 16. Juli 1942 in seinem Arbeitsjournal: „er erzählt, wie die gedichte bei längerer beschäftigung mit ihnen gewonnen hätten. für mich ist seine vertonung, was für stücke eine aufführung ist: der test. er liest mit enormer genauigkeit.“ Und Eisler erlaubte sich manchen Widerspruch, ersetzte nicht nur die Überschriften, sondern strich aus, schrieb um, griff ein und „widerstand“. So hat er es wortwörtlich genannt: „Wenn man mich einmal rühmen wird, wird man mich dafür rühmen, daß ich dem Text widerstanden habe. Ich habe dem Inhalt des Gedichtes widerstanden und habe ihn in meiner Weise aufgefaßt. Das gehört zur Intelligenz in der Musik, und wer das nicht macht, ist ein Dummkopf.“ Und übersieh mir nicht das Unkraut Aus den täglichen Treffen und der Nähe in der Fremde ergab sich für Eisler und Brecht eine ganz neue und andere, bis ins Mikroskopische der Sprache hineinleuchtende Zusammenarbeit. Und das lag auch am Klima, am allzeit schönen Wetter, mit dem sich die beiden deutschen Emigranten gar nicht befreunden mochten. „In diesem trübsinnigen ewigen Frühling von Hollywood sagte ich Brecht, kurze Zeit nachdem wir uns wieder zusammenfanden in
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Amerika: ‚Das ist der klassische Ort, wo man Elegien schreiben muß.‘“ Doch dachte Eisler bei diesem Vorschlag nicht an schwermütige Stimmungslyrik (auch wenn ein Grauschleier von Depressivität über diesen Werken liegt und unweigerlich auch seine Musik einfärbt), er sann vielmehr auf Klarheit und Kürze, auf ausgesparte und eingegrenzte Formen. „In dieser seltsamen, getünchten Idylle muß man sich auch knapp ausdrücken. Man leidet ja auch ungeheuer in diesem ozeanischen Klima an einer fehlenden Konzentration. Brecht beklagte sich auch gesundheitlich. Es wäre ihm alles zu lau und zu milde, und es gäbe keinen Unterschied zwischen den Jahreszeiten, und diese ewige Blumenblüherei wäre überhaupt schon zum Kotzen. Kurz und gut, er war bitterlich, er war ganz verbittert darüber. Und das führte eben auch zu diesem ganz knappen und konzisen Stil als Gegengift.“ Brechts und Eislers Hollywood-Elegien bilden eine Sammlung in der Sammlung, einen eigenständigen Zyklus, der mit der „Traum fabrik“, der Filmindustrie, der Selbstausbeutung, Marktgängigkeit und „Prostitution“ der Künstler abrechnet. Aber der Lakonismus dieser Gedichte prägte auch andere Texte Brechts, die allenfalls abstrakt oder sinnbildlich mit Hollywood zu tun haben, etwa Vom Sprengen des Gartens, das Eisler seinerseits als „Elegie“ bezeichnete und das unverkennbar zur späten Gedankenlyrik und Weisheitslehre tendiert, zur politischen Parabel in reiner, klarer, schmuckloser Form. „Und übersieh mir nicht / Zwischen den Blumen das Unkraut, das auch / Durst hat.“ Eisler wechselt in diesen Elegien (von denen eine nur in englischer Übersetzung erhalten ist) zwischen bitterböser Parodie, klassenkämpferischer Attacke, doppelbödigem Sentiment und Wiener Liedern „à la manière de“ Schubert und Wolf. Er spielt ein Spiel mit Erinnerungen, ohne zu wissen, wer ihm in Zukunft eigentlich zuhören wird. Diese Elegien erscheinen grotesk überspitzt und parodistisch überdreht und sind dennoch von einer tiefen Traurigkeit erfüllt. „In einer Gesellschaft, die ein solches Liederbuch versteht und liebt, wird es sich gut und gefahrlos leben lassen. Im Vertrauen auf eine solche sind diese Stücke geschrieben“, notierte Eisler auf dem Autograph des Hollywooder Liederbuchs. Aber auch später noch, lange nach dem Ende des Exils, dem Rauswurf aus den Staaten, nach der Heimkehr in das „andere Deutschland“, als sich Eisler beschwerte, dass seine alten neuen Landsleute den Rachmaninow („der immer ein Gegner der Sowjetunion war“) viel lieber hörten als die eigenen Werke, im Juli 1961, war er ganz frei von Illusionen über seine
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ieder: „Die Schwierigkeiten, so etwas zu schreiben in der Emigration, L und die Schwierigkeiten, so etwas zu komponieren – nun, das ist eine Sache, die man in fünfzig Jahren besser wissen wird wie heute.“
Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur für Tageszeitungen, Rundfunkanstalten, die Festspiele in Salzburg, Luzern und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, Schallplatten gesellschaften und Opernhäuser. Er verfasste mehrere Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption, über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler.
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“Paradise and Hell Can Be the Same City” Brecht and Eisler’s Hollywood Songbook
Richard Wigmore
“Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück!”—“There, where you are not, is happiness.” The final lines of Schubert’s song Der Wanderer could stand as an epigraph to the songs Hanns Eisler composed during his American exile in World War II. Born in Leipzig but brought up in Vienna, Eisler served in a Hungarian regiment during World War I, and from 1919 to 1923 studied composition with Arnold Schoenberg. During these years in Vienna he became a committed Marxist. After moving to Berlin in 1925 he joined the German Communist Party and began to compose songs and choral works for the Socialist Workers’ Movement in a pungent, popular style—a world away from the Schoenberg-influenced atonality of his early works. His marching songs became favorites of left-wing groups throughout Europe. Eisler’s association with fellow Communist Bertolt Brecht dates from 1930, just as the poet-playwright’s working relationship with Kurt Weill was turning sour. Brecht and Eisler quickly became friends, collaborating on the vicious agitprop cantata Die Massnahme (“Measures Taken”) and the adaptation of Gorky’s novel Die Mutter (“The Mother”). When Hitler seized power in 1933, both men became peripatetic exiles. As Brecht put it in his poem An die Nachgeborenen (“To those born afterwards”), twice set by Eisler: “We went through class wars, changing countries more often than our shoes.” Both eventually settled in California, a magnet for émigré musicians, writers, and artists including Schoenberg, Otto Klemperer, Bruno Walter, Max Reinhardt, Thomas and Heinrich
Mann, Fritz Lang and Franz Werfel. After moving to Hollywood in 1942, Eisler took up a teaching post at the University of Southern California. Living in Santa Monica since 1941, Brecht quickly felt disillusioned and dispossessed in what he dubbed “the center of the international narcotics trade,” where fellow German émigrés were “selling out” to the Hollywood film industry. Encountering his old friend again after five years seemed like a lifeline. In his journal he noted: “When I see Eisler it is a bit as if I am stumbling around muddle-headedly in some crowd and suddenly hear my old name called.” Eisler had already set a number of Brecht’s verses before their 1942 reunion, including the elegy Über die Dauer des Exils, from a time when the composer was reluctantly travelling to and fro between Mexico and the U.S., and the melancholy Lied einer deutschen Mutter. In June 1942, staying in a Hollywood hotel, he embarked on what became the Hollywood Songbook: a collection of 46 pithy songs, of which some 30 are settings of verses by Brecht. Many of these poems were written specifically for the collection, reaching their final form only after discussion with Eisler. In the songs, poet and composer meditate, now ruefully, now caustically, sometimes violently, on their Nazi-enforced Californian exile. To quote a line from the song Diese Stadt hat mich belehrt: “Paradise and hell can be the same city.” Invoking the alienation of a Schubertian exile, the baritone Matthias Goerne has aptly dubbed the Songbook “the 20th-century Winterreise.” The title Hollywood Songbook immediately evokes a conflict between a city given over to mass entertainment and the intimate art of the lied as practiced by Schubert, Schumann, Brahms, and Hugo Wolf. Many years later Eisler recalled the Songbook’s genesis: “In that gloomy eternal spring of Hollywood I said to Brecht, shortly after we had come together again: ‘This is the classic place in which one should write elegies… We are not absolved in Hollywood. We must simply go along with describing it…’ ‘It’ was the dreadful idyll of that landscape which of itself had arisen more from the ideas of land speculators… If the water there was shut off for three days, the jackals would be back and so would the desert sands… So in that strange whitewashed idyll it was necessary to express oneself concisely.”
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Sarcasm, protest, and profound melancholy are the keynotes of these epigrammatic songs, many lasting barely a minute. The first half of tonight’s program, “Flucht” (“Flight”), centers on settings of poems Brecht wrote in Scandinavia between 1938 and 1940. Many of the songs exude a faintly curdled Romantic lyricism, in a distorted evocation of innocence irrevocably lost. Except for a few “wrong-note” harmonies, the opening An den kleinen Radioapparat could almost be by Schumann until its tender Innigkeit is gently deflated by the keyboard’s final “stab.” Several of the poems in the Hollywood Songbook, including Frühling, Ostersonntag, and Der Kirschdieb, recall the landscape of Finland, where Brecht lived for several years before his move to the U.S. Brecht grouped his Finnish poems under the title Steffinische Sammlung, in memory of his friend and collaborator, the writer-actress Margarete Steffin. Eisler’s songs in turn are a tribute to Steffin, who died of tuberculosis in a Moscow hospital in June 1941. The opening “water music” of Frühling, played dolce in triple piano, contrasts shockingly with the brutal declamatory violence as the focus shifts from the seductive sounds and sights of nature to the toiling refugee. Originally titled by Brecht “Larder on a Finnish Estate,” Speisekammer 1942 opens as a floating idyll (shades, again, of the Romantic lied composers) and ends in anguished protest at the “war of empty stomachs.” In Über den Selbstmord, to a poem from Brecht’s drama Der gute Mensch von Sezuan, the country evoked is self-evidently Nazi Germany. Rising to a terrifying final climax, this magnificent, nihilistic song carries distant reminiscences of Schubert’s Der Doppelgänger. Opening with a vivid evocation of snow flurries, Ostersonntag is an aching reflection on the imminence of war. Perhaps the most sheerly charming song in the Songbook is Der Kirschdieb, a vision of boyhood innocence roughly punctured in the brief piano postlude. In Hotelzimmer 1942 (whose dissolving chromatic harmonies recall Hugo Wolf) and the stark Die Maske des Bösen, Brecht reflects on the evils of war from his Californian hotel room. The poem of the fleeting Winterspruch comes from Brecht’s play Die heilige Johanna der Schlachthöfe (“Saint Joan of the Stockyards”), a modern urban reworking of the story of Joan of Arc. The first part of this recital ends with a group of bitter anti-war songs. Brecht’s full title for Gedenktafel für 4000 Soldaten—a 40-second crescendo of violence—was “Epitaph for the 4000 drowned in Hitler’s war against Norway.” Listening “blind,” you might mistake
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the numb, haunted Epitaph for a song of Schoenberg’s. After the impassioned defiance of Spruch, the remorseless repeated-note accompaniment of Panzerschlacht echoes the desperate night-ride of Schubert’s Erlkönig.
Elegies dominate the second half of the program, devoted to settings of Brecht poems written in Hollywood specifically for the Songbook. Hollywood-Elegie Nr. 7 and Nightmare set lurid English poems that portray Hollywood as a putrid swamp. The first is a translation of Brecht’s lost original, while the text of the second was written by Eisler himself. Here and in the Fünf Elegien, poet and composer inveigh against the compromises and degradation forced on the exiles in the face of Hollywood’s philistinism, glitzy consumerism, and celluloid obsession. A recurring theme is the need to cling on to one’s artistic integrity at a time when so many musicians and writers were obliged to “sell out.” The first of the Fünf Elegien, Unter den grünen Pfefferbäumen, sneers at artistic prostitution of a city where Bach carries a “streetwalker’s quartet” (Brecht’s punning “Strichquartett”) in his bag. Die Stadt ist nach den Engeln genannt, marked to be sung “with morose sentimentality,” is a parody of a slow, sleazy waltz, while Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen conveys the idea of the babbling marketplace in slithery canons between voice and piano and, after the voice has dropped out, piano left and right hands. The fourth elegy, Die Stadt Hollywood hat mich belehrt, with its mournful tolling accompaniment, somberly exposes an idyll that has become a hell for the poor, while the fifth, In den Hügeln wird Gold gefunden, sounds like a gently distorted Schubertian barcarolle. Brecht’s social protest is at its most mordant in the song titled Die letzte Elegie, with its bitter indictment of the “defense department.” Eisler duly responds with a tortuous vocal line and vast (and symbolic) chasms between the keyboard treble and bass. The final three numbers in the Hollywood Songbook draw overtly on a Romantic past. The regenerative imagery of Vom Sprengen des Gartens inspires a gently affectionate Schubertian homage. In Die Heimkehr, Eisler responds to the mingled nostalgia and horror of Brecht’s poem (the hometown in question is the poet’s own Augsburg) with music whose lyrical bleakness evokes Mahler. In a
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final Schubertian echo, Die Landschaft des Exils contemplates the beauties of California—its sweet-scented gardens and shadowy ravines —to the melancholy lilt of a barcarolle. Eisler completed his Hollywood Songbook in December 1943. Grimly acerbic though many of the songs are, Eisler’s is an essentially lyrical art; and his diary-in-exile represents a fugitive artist’s belief in the redeeming power of music and poetry. In a sketch for a preface, he wrote: “In a society that understands and loves such a songbook, life will be lived well and without danger. These pieces have been written with such a society in mind.” Eisler’s vision remained unfulfilled. Despite worldwide protests, he and Brecht were hauled before Senator Joe McCarthy’s notorious Committee on Un-American Activities in 1947. After their release both men returned to Berlin, where they collaborated on numerous plays and invested their hopes for the future in the Soviet Union. Neither ever heard a public performance of the Hollywood Songbook, which lay virtually forgotten for half a century.
Richard Wigmore is a writer, broadcaster, and lecturer specializing in Classical and Romantic chamber music and lieder. He writes for Gramophone, BBC Music Magazine, and other journals, and has taught at Birkbeck College, the Royal Academy of Music, and the Guildhall. His publications include Schubert: The Complete Song Texts and The Faber Pocket Guide to Haydn.
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