KREMER, DIRVANAUSKAITĖ & OSOKINS

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Gidon Kremer, Giedrė Dirvanauskaitė & Georgijs Osokins Einführungstexte von Thomas May und Martin Wilkening Program Note by Thomas May


GIDON KREMER, GIEDRĖ DIRVANAUSKAITĖ & GEORGIJS OSOKINS Mittwoch

30. März 2022 19.30 Uhr

Gidon Kremer Violine Giedrė Dirvanauskaitė Violoncello Georgijs Osokins Klavier


Igor Loboda (*1956) Requiem für Violine solo (2014)

Robert Schumann (1810–1856) Klaviertrio Nr. 3 g-moll op. 110 (1851) I. II. III. IV.

Bewegt, doch nicht zu rasch Ziemlich langsam Rasch Kräftig, mit Humor

Valentin Silvestrov (*1937) Serenade für Violine solo (2009) Hommage à J. S. B. für Violine und Klavier (2009) I. Andantino II. Andantino III. Andante

Sergej Rachmaninow (1873–1943) Trio élégiaque Nr. 2 d-moll op. 9 (1893) I. Moderato II. Quasi variazione III. Allegro risoluto

Keine Pause

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Elegie und Echo Zu den Werken von Igor Loboda und Valentin Silvestrov

Thomas May

Anlässlich eines Konzerts in Berlin im Jahr 2013 machte Gidon Kremer vor dem Hintergrund der damaligen angespannten Situation im Ukraine-Konflikt auf die Menschenrechtsprobleme in Russland aufmerksam. „Ich habe ein komplexes Verhältnis zu Russ­land“, ­erklärte er in einem Interview mit dem Bayerischen Rundfunk. Während er seine Liebe zur russischen Kultur bekräftigte (der ge­ bürtige Litauer lebte selbst 15 Jahre lang in Moskau), unterstrich er gleichzeitig seine Opposition zum Regime Wladimir Putins. Wie wir alle wissen, hat sich die Situation neun Jahre später in unvorstellbarer Weise verschlimmert. Kremer, der im vergangenen Monat seinen 75. Geburtstag feierte, hat deshalb sein ursprünglich angekündigtes Programm geändert, um angesichts der akuten Krise in der Ukraine ein musikalisches Zeichen zu setzen: Im heutigen Konzert spielt er das Requiem für Solovioline des georgischen ­Komponisten Igor Loboda sowie Serenade und Hommage à J. S. B., zwei Werke des großen ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov. Als vehementer Fürsprecher zeitgenössischer russischer und ost­ europäischer Musik hat Kremer entscheidend dazu beigetragen, ­Silvestrov einem westlichen Publikum bekannt zu machen.

Der 1956 im georgischen Tiflis geborene Igor Loboda ­begann seine Ausbildung als Violinist bei Konstantin Vardeli und Leo

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Shiukashvili und nahm nach seinem Abschluss ein Kompositionsstudium bei Alexander Shaverzashvili an der Staatlichen Musikakademie Tiflis und bei Vladimir Zitovitch in St. Petersburg auf. Preise erhielt er u.a. bei Kompositionswettbewerben 1976 in Tiflis und 1978 in Moskau. 1981 wurde er Mitglied des Georgischen Kammerorchesters, das seit 1990 in Ingolstadt beheimatet ist und für das er zahlreiche Arrangements schrieb. Seine Werke zeichnen sich durch eine Nähe zur Volksmusik und zum Jazz aus. „Meine Kompositionen sind ­immer eine Mischung aus georgischen Volksliedern, Jazz und Bach“, erklärte er 2015 in einem Interview. Den Kompositionsauftrag zu Requiem für Solovioline erhielt ­Loboda 2014 von Lisa Batiashvili, die ebenfalls aus Georgien stammt; Anlass war der Konflikt in der Ukraine nach Putins Invasion und Annexion der Krim. Die Grundlage des Stücks, erklärte der Komponist, dessen Vater ukrainische Wurzeln hatte, „ist die Melodie des ukrainischen Volksliedes Reve ta stohne Dnipr shyrokyy („Der breite Fluss Dnjepr braust und stöhnt“) von Taras Schewtschenko“, einem ukrainischen Dichter, Künstler und Volkskundler, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wirkte. Loboda verwendet ein breite ­Palette virtuoser Spieltechniken, mit deren Hilfe er die Melodie ­variiert und in unterschiedlichster Weise beleuchtet. Rezitativartige Passagen zählen dazu ebenso wie seelenvoller Gesang; gezupfte Klänge am Ende des Stücks evozieren das Geräusch eines Herzschlags. „Mit diesem Werk möchte ich meinen seelischen Schmerz über die ­Tragödie in der Ukraine zum Ausdruck bringen“, schreibt Loboda. „Mein Requiem widme ich allen, die seit 2014 in dem schrecklichen Ukraine-Konflikt ums Leben kamen.“

Anfang März war in den Nachrichten zu hören, dass Valentin Silvestrov darauf bestanden hatte, seine Heimatstadt Kiew nicht zu verlassen, bis Familie und Freunde den 84-jährigen Komponisten schließlich dazu bewegen konnten, in Berlin Zuflucht zu suchen. In einem Interview mit der Deutschen Welle nahm er Bezug auf den russischen Waffeneinsatz gegen die Maidan-Aktivisten im Jahr 2014, der ihn zur Komposition der Chorwerke Maidan Hymns und Prayers for Ukraine anregte, und sprach über die Tötung junger, unbewaffneter Ukrainer und Russen im Zentrum von Kiew: „Und nun werden die ganze Ukraine und die ganze Welt zum Maidan.“ Bestrebungen, russische Kunst zu verdammen, tritt er entgegen und verweist darauf,

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„dass die ukrainische Musik, wie auch die russische, in erster Linie europäische Musik ist. Sie ist Teil der europäischen Kultur.“ Alfred Schnittke – auch für ihn hat sich Gidon Kremer oft eingesetzt – bezeichnete Silvestrov einmal als den „größten Komponisten unserer Generation“. Als einziger unter seinen Kolleginnen und Kollegen, die in der Sowjetunion zu Ausgestoßenen geworden waren, entschied sich Silvestrov dafür, in seiner Heimatstadt zu bleiben – wo er bis zur Invasion in einer bescheidenen Wohnung lebte – statt in den Westen zu übersiedeln. Silvestrovs Schaffen erinnert an die „in der russischen Kultur ­typische Tradition des autodidaktischen künstlerischen Genies, dessen Werk die Kultur seiner Zeit transzendiert – Dostojewski, Tolstoi und Platonow sind Musterbeispiele dafür in der Literatur, Mussorgsky in der Musik“, schrieb Martyn Harry in einem Interview für das englische Magazin Gramophone im Jahr 2003. „Und auf eben dieses transzendente Moment nehmen Silvestrovs Zeitgenossen Bezug, wenn sie seine Arbeit beschreiben.“ Silvestrovs Studienzeit fiel zusammen mit der von Chruschtschow eingeleiteten post-stalinistischen „Tauwetter“-Periode, während der der konformis­tische Druck auf Künstlerinnen und Künstler für kurze Zeit nachließ und es möglich wurde, sich mit den jüngsten Entwicklungen west­licher Musik zu beschäftigen. In seiner ersten Schaffensphase schloss sich Silvestrov der Kiewer Avantgarde an und bezog auch Performance-Kunst in seine Werke ein. Anfang der 1970er Jahre wurde er aus der Union sowjetischer Komponisten ausgeschlossen und vollzog eine radikale ästhetische 180-Grad-Wende. Er besann sich zurück auf ­traditionelle Methoden und Genres ­sowohl der Alten Musik als auch der Romantik und verlieh dabei vertrauten auditiven Ankerpunkten – Kadenzen, Bruchstücken von Melodie – einen tiefempfundenen elegischen Ausdruck. Die daraus resultierende Musik unterstreicht den unüberbrückbaren Abgrund, der den Komponisten (und uns) von der musikalischen Vergangenheit trennt, deren Präsenz gleichzeitig beschworen wird. In Werken wie dem großformatigen Liederzyklus Simple Songs (1974–77) und dem Klavierzyklus Kitsch-Music (1977), der auf Werke Schumanns und Chopins anspielt, begann Silvestrov seine Vorstellungen von „metaphorischer Musik“ – die er auch als „Meta-Musik“ bezeichnet – zu illustrieren. In „Meta-Musik“ dienen Bezüge zur Vergangenheit nicht als bloße Zitate oder Beispiele für „Eklektizismus“. Sie repräsentieren ein ständiges Bewusstsein der „Nachkommen­ schaft“ und den Versuch, dem Widerhall dessen, was nur mehr in

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Form kultureller Fragmente überdauert hat, nachzuspüren. Diese „Musik über Musik“ funktioniert als Sinnbild für Verlust und ­Erinnerung. „Ich schreibe keine neue Musik“, erklärt Silvestrov. „Meine Musik ist eine Antwort auf und ein Echo dessen, was bereits existiert.“ Eine Zeitlang glaubte Silvestrov, selbst das Ende seines Wegs als Komponist erreicht zu haben mit dem bewegenden Requiem for ­Larissa (1999–97) – seine Reaktion auf den plötzlichen Verlust seiner Frau, der Musikwissenschaftlerin Larissa Bondarenko im Jahr 1996. Doch die letzten Jahrzehnte waren von einer schöpferischen ­Explosion gekennzeichnet, deren Ertrag von Soloklavierwerken bis zu Symphonien reicht, mit einem besonderen Fokus auf A-cappella-­ Chormusik und instrumentalen Miniaturen. Sowohl Serenade als auch Hommage à J. S. B. stammen aus dem Jahr 2009. Übersetzung: Philipp Brieler

Thomas May ist Autor, Kritiker, Pädagoge und Übersetzer. Er schreibt für die New York Times, Gramophone und viele andere Publikationen. Außerdem ist er als Redakteur für die englischsprachigen Programmhefttexte des Lucerne Festival verantwortlich und verfasst Beiträge für das Ojai Festival in Kalifornien.

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Romantischer Geist und elegische Trauer Klaviertrios von Schumann und Rachmaninow

Mar tin Wilkening

Klassischen Formen und Gattungen näherte sich Robert Schumann oft erst auf dem Umweg über freier angelegte Kompositionen. So gingen seinen drei Klaviertrios vier Phantasiestücke in derselben Besetzung voraus. Ein solcher Exkurs ist das äußere Zeichen jener Spannungen zwischen freien musikalischen Gedanken und klassischen Strukturen, die Schumanns Musik von innen heraus prägen. Es war Franz Liszt, der in einem Aufsatz über den Komponisten 1855 diese Paradoxie als das erkannte, „was man den geheimen Gedanken Schumanns nennen möchte, nämlich die classischen Formen mit Romantik zu durchdringen oder wenn man will, den romantischen Geist in classische Kreise zu bannen.“ Einer Komposition wie dem Trio op. 110 scheint dieses Verständnis in besonderer Weise ­angemessen, ja geradezu als ihr Gehalt eingeschrieben. Das Stück stammt aus dem Jahr 1851, dem Beginn von Schumanns letzter, kurzer Schaffensphase, die er mit seiner Frau Clara und der auf sieben Kinder anwachsenden Familie in Düsseldorf verbrachte. Das einzige Mal in seinem Leben bekleidete Schumann dort eine ­öffentliche Stellung. Glanzvoll war 1850 der Empfang des neu ernannten Städtischen Musikdirektors in der durch bürgerliche Kunstbegeisterung geprägten Stadt gewesen; die Familie hatte bald eine repräsentative Wohnung in bester Lage gefunden, und Schumann gelang es, neben seiner öffentlichen Tätigkeit auch den unterschied-

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lichsten kompositorischen Herausforderungen innerhalb kurzer Zeit gerecht zu werden – er schrieb symphonische Musik, große Chorwerke, aber auch anspruchsvolle Kammermusik in so schnellem Wechsel wie nie zuvor. Dass er neben seiner Tätigkeit als Musik­ direktor zu Beginn dieser Düsseldorfer Zeit so viel komponieren konnte, erklärt sich daraus, dass die Ausführung seiner Kompositionen nach der inneren Vorbereitung außerordentlich schnell vonstatten ging. Für die „Rheinische“ Symphonie etwa brauchte er zwei ­Monate, für das Trio nur wenige Tage im Herbst 1851. Seine Arbeit als Musikdirektor wurde für den eher verschlossenen als weltgewandten Schumann jedoch bald zu einer kaum mehr zu ­bewältigenden Last. „Ewige Ärgernisse“ notierte er schon im ­Frühjahr 1851 im gemeinsam mit Clara geführten Haushaltbuch, im Orchester verlor er bald den Rückhalt. Zwar feierte Schumann auch in Düsseldorf Erfolge, wie etwa mit seiner „Rheinischen“ Symphonie, aber musikalisch zu Hause fühlte er sich nach wie vor in Leipzig, wo er bis 1844 gelebt hatte und wohin er zu Aufführungszwecken immer wieder reiste. Im Leipziger Gewandhaus fand am 21. März 1852 auch die öffentliche Uraufführung seines Klaviertrios op. 110 statt, bei der Clara Schumann und Ferdinand David, der Leipziger ­Konzertmeister, mitwirkten. Mit Leipzig ­verbunden ist das Klaviertrio auch durch die Widmung an Niels W. Gade, den dänischen Komponisten, der neben und nach Felix Mendelssohn am Gewandhaus als Kapellmeister wirkte. Es beginnt mit einem Satz, dessen Bewegung in einen leidenschaftlich drängenden Sechsachteltakt gefasst ist. In der Melodik des ersten Themas verbinden sich unterschiedliche Energien, durch ­ausgreifende Figurationen wird der Tonumfang aufgerissen, die ­melodischen Bögen tauchen immer wieder ein in den Sechzehntel­ fluss der Begleitung und erheben sich daraus aufs Neue. Fester ­umrissene Gestalt besitzt das aus kurzen Phrasen sich entwickelnde zweite Thema. Seine aufsteigende Sexte mit dem folgenden Sekund­ abstieg gewinnt Bedeutung für das ganze Stück. Sie wird zur moti­ vischen Keimzelle, die alle Sätze miteinander verbindet – breit ­ausgespielt im gesanglichen Thema des langsamen Satzes und verkürzt auf das Anfangsintervall im Schlusssatz, der die Bezeichnung „Mit Humor“ trägt. Die Suche nach Einheit, die ihr Ziel in der ­zyklischen Verbindung der vier Sätze erreicht, ist eine Seite des ­romantischen Geists, von dem Liszt sprach. Doch der Humor, den Schumann dafür einsetzt, den er dem Schlusssatz zuschreibt wie auch einschreibt, ist kein leichter. Der wiederholte Sextaufschwung,

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mit Akzenten auf den metrisch eigentlich unbetonten Spitzentönen, kann schon fast als Ironie gedeutet werden, er macht unterschwellig die Anstrengung, vielleicht Verzweiflung spürbar, der dieser Humor abgerungen ist. Als Vereinigung von Widersprüchen tritt solch eine humoristisch-ironische Haltung – die andere Seite des romantischen Geists – auch in den fremdartigen Charakteren hervor, die dem Stück episodisch eingelagert sind: im Scherzo-Satz mit den Gegenwelten seiner zwei Trios, aber vor allem in einer geisterhaften Fuge, die überraschend im Zentrum der Durchführung des ersten Satzes erscheint.

Das Jahr 1893 brachte für den 20-jährigen Sergej Rachmaninow den lange ersehnten Aufbruch in die Freiheit. Er hatte sein Kompositionsstudium am Moskauer Konservatorium mit höchsten Auszeichnungen abgeschlossen; seine Diplomarbeit, der Operneinakter Aleko, war am Bolschoi-Theater zur Aufführung angenommen ­worden, und er konnte zum ersten Mal eine eigene Wohnung be­ ziehen. Der Wohnblock, in dem er mit seinen bescheidenen Mitteln untergekommen war, trug den Namen „Amerika“ wie zum Hohn auf die Tristesse, die er ausstrahlte – und gleichzeitig wie eine seltsame Prophezeiung des späteren Emigrantenlebens, das der Kom­ ponist ab 1918 führen sollte. Innerlich fühlte er sich bei diesem ­Neuanfang am Ende. An die Cousine Natalja, eine Vertraute, die er zehn Jahre später heiraten sollte, schrieb er Anfang 1893: „Meine ­Familie scheint sich bloß ein Ziel gesetzt zu haben, mich zu Tode zu martern und ins Grab zu bringen […]. Ich bin irgendwie psychisch gealtert, müde geworden, alles wird mir unerträglich schwer. […] Ich bin nach Lage der Dinge ein unglücklicher Mensch und als Mensch werde ich meinen Charakteranlagen nach niemals glücklich sein.“ Etwas Halt fand der junge Komponist durch die Anteilnahme, mit der Pjotr Tschaikowsky für seine Musik eintrat, gegen die von anderen schon früh der Vorwurf der Maß- und Ziellosigkeit erhoben wurde. Mit Tschaikowsky konnte er sich über die Einstudierung ­seiner Oper beraten, er durfte ihm seine symphonische Dichtung Der Fels am Klavier vorstellen und stand als Pianist für die Erprobung von Tschaikowskys Sechsten Symphonie in der Fassung für zwei Klaviere zur Verfügung. Für das Frühjahr 1894 plante Rachmaninow sein erstes eigenes Konzert in Moskau, zu dem auch Tschaikowsky

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gerade sein Kommen zugesagt hatte, als Rachmaninow die Nachricht von dessen plötzlichem Tod empfing. Noch am selben Tag entschloss er sich dazu, seine Gefühle in einer Komposition zu verarbeiten. So entstand zwischen dem 25. Oktober und dem 15. Dezember 1893 das Klaviertrio op. 9, das Rachmaninow „Dem Andenken eines ­großen Künstlers“ widmete. Die Dramaturgie des Werkes bahnt einen Weg durch Erstarrung und Schmerz, Erinnerung und Beschwörung der transzendenten Kraft der Kunst, schließlich der Fügung ins Unabänderliche. Die scheinbar improvisatorischen Züge mit ihren Rachmaninow­typischen Wiederholungen vermitteln den Eindruck psychologischer Unmittelbarkeit, und noch die teilweise gewaltsam anmutenden Steigerungen der Ausdrucksmittel, wie Tremoli und vollgriffige ­Akkorde, zeigen im Kontrast mit extrem kargen Momenten die ­Suche nach einer Sprache für das Unaussprechliche. Rachmaninow selbst war der unerfüllbare Anspruch seiner Arbeit ebenso bewusst wie deren Notwendigkeit, und nach dem Ende dieses Verarbeitungsprozesses kommentierte er das entstandene Werk in einem Brief an seine Cousine mit Sarkasmus. Er schrieb, auch wenn er seine Arbeit aufrichtig, eindringlich und schmerzhaft empfunden habe, „ist leider das Gelingen solcher Sachen eher eine Angelegenheit für Priester oder Pathologen.“ Der Tschaikowsky-Bezug von Rachmaninows Trio ist nicht erst in der Widmung angedeutet, sondern schon im Titel. Auch das Klaviertrio seines großen Vorbilds von 1882 trug die Bezeichnung „Trio élégiaque“, und auch dieses Werk war dem Gedenken an einen verstorbenen Künstler gewidmet – Nikolai Rubinstein, den genialen, aber weniger berühmten Bruder des seinerzeit in Europa allgegenwärtigen Anton Rubinstein. Und in der Musik selbst greift Rachmaninow in bewusster und kunstvoller Weise Tschaikowskys Trio wieder auf. Das Thema des Variationssatzes, der den zweiten Teil seines Trios bildet, ist im Grunde ebenfalls schon eine Variation über das Thema des Andantes aus Tschaikowskys Trio. Rachmaninow hat dieses, mit seiner Intervallstruktur und offenen Metrik typisch „russisch“ wirkende Thema vom Viervierteltakt Tschaikowskys in einen Dreivierteltakt verschoben, der als solcher beim Hören zunächst kaum wahrnehmbar wird und in der Schwebe bleibt. Trotz dieser raffinierten metrischen Verunklarung tritt der Variationssatz insgesamt durch seine Festigkeit dem schweifenden Charakter gegenüber, in dem sich der erste Satz mit seinen trauernd absinkenden Ostinato-Figuren, den frei ausgesponnenen melodischen Linien

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und großen Steigerungswellen entwickelt. Dass sich dahinter eine Anlage in Form eines Sonatenhauptsatzes verbirgt, fällt wahr­ nehmungspsychologisch kaum ins Gewicht. Der relativ kurze Schlusssatz erscheint einerseits als Weiterentwicklung der Variation, nimmt aber auch den ersten Satz wieder auf und steigert sich noch einmal in extreme Kontraste von üppigen Klangballungen und karger ­Zurücknahme. In manchen Varianten der motivischen Zellen, um die das ganze Stück kreist, vermeint man Anklänge an die ersten Töne (F-E-F-D) der mittelalterlichen „Dies irae“-Sequenz zu hören – zumal aus der Erfahrung mit späteren Stücken Rachmaninows heraus, wo dieses Melodiefragment immer wieder erscheint. Auch die Tonart d-moll stellt das Stück in den allgemeinen Kontext der Requiem-Kompo­ sition. Diese Tonart ist, seinem berühmten cis-moll-Prèlude zum Trotz, Rachmaninows persönlichste. Sie ist allgegenwärtig in seinem Schaffen, von einer Jugendsymphonie über die Erste Symphonie von 1895, die Erste Klaviersonate oder das Dritte Klavierkonzert bis hin zu den späten Paganini-Variationen – auch dort mit direktem Bezug auf die mittelalterliche Melodie als Symbol der Allgegenwart des Todes.

Martin Wilkening, geboren 1959 in Hannover, lebt seit 1977 in Berlin, unterbrochen von mehrjährigen Aufenthalten in Korea und Albanien. Er studierte Musik und Literatur­ wissenschaft und arbeitet seit 1981 als Autor, Musikkritiker, Dozent, Lektor und Verleger.

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Elegy, Echo, Homage Music by Loboda, Schumann, Silvestrov, and Rachmaninoff

Thomas May

In 2013, as part of a Berlin concert, Gidon Kremer drew a­ ttention to the problem of human rights in the Russian Federation, spurred by the troubling situation in the Ukraine conflict at the time. “I have a complex relationship with Russia,” Kremer stated in an interview with Bayerischer Rundfunk, reaffirming his love of Russian culture (the Latvian violinist himself lived in Moscow for more than 15 years) while underscoring his opposition to Vladimir Putin’s regime. Nine years later, as the entire world knows, the situation has grown unimaginably worse. Kremer, who just turned 75 last month, has therefore altered his originally scheduled program to ­include two musical statements in response to the urgent crisis ­unfolding in Ukraine: the solo violin piece Requiem by the Georgian composer Igor Loboda, and two works, Serenade and Hommage à J. S. B., by the great Ukrainian composer Valentin Silvestrov. As one of the leading champions of contemporary Russian and Eastern European music, Kremer has played an indispensable part in bringing Silvestrov to the attention of Western audiences. He is joined by his colleagues Georgijs Osokins and Giedrė ­Dirvanauskaitė to present his latest insights into music by two other composers who hold special significance for him. Kremer once named Robert Schumann his favorite composer (though Schubert is also a contender). For a violinist, Schumann is an especially ­unpredictable—and characteristically unconventional—preference.

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Like the Violin Concerto, the composer’s violin sonatas and G-minor Piano Trio are of late vintage, dating from his final years of activity before his ultimate nervous breakdown and the suicide attempt that resulted in Schumann’s being confined for the last two and a half years of his life in a psychiatric hospital. In other words, they belong to a series of works that have received a notoriously biased reception, clouded by facile associations with his deteriorating mental and physical state. Completing the program is music by the young Sergei ­Rachmaninoff, another composer whom Kremer particularly ­cherishes. Inspired by the death of Tchaikovsky, the Trio élégiaque in D minor is an homage that encapsulates the profound gratitude of one musician for another—a gratitude that motivates Kremer’s own projects of discovery as well as mentorship of the young ­generation.

The Tragedy in Ukraine Igor Loboda’s Requiem Born in 1956 in Tbilisi, Georgia, Igor Loboda studied violin with Konstantin Vardeli and Leo Shiukashvili and, after obtaining his diploma, focused on composition at the Tbilisi State Music Academy with Alexander Shaverzashvili and in Saint Petersburg with Vladimir Zitovitch. He won awards at composition competitions in Tbilisi in 1976 and in Moscow in 1978. Loboda has been a member of the Georgian Chamber Orchestra since 1981 and in 1990 relocated along with the ensemble to Ingolstadt in Bavaria. His works show an affinity for both folk music and jazz, and he has created many arrangements for his orchestra. “My compositions are always a mix of Georgian folk songs, jazz, and Bach,” he remarked in a 2015 interview. Fellow Georgian violinist Lisa Batiashvili commissioned Requiem for solo violin in 2014, in response to the conflict in Ukraine ­resulting from Putin’s invasion and annexation of the Crimean ­Peninsula. The composer, whose father was of Ukrainian origin, notes that Requiem “is based on the melody of the Ukrainian folk song Reve ta stohne Dnipr shyrokyy (‘The Broad River Dnieper Roars and Moans’) by Taras Shevchenko,” a Ukrainian poet, artist, and folklorist who flourished in the first half of the 19th century

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and who laid the foundations for contemporary Ukrainian literature. Loboda deploys a wide range of virtuoso violin techniques to vary and illuminate the melody, moving between a kind of recitative and soulful singing, ending with the plucked sounds of a heartbeat. “In this work, I wish to express the anguish I feel over the tragedy in Ukraine,” writes Loboda. “My Requiem is dedicated to all those who have lost their lives in the terrible conflict in the Ukraine since 2014.”

Trio Thoughts Revived Schumann’s Piano Trio Op. 110 Robert Schumann’s career entered a dramatically new phase when he was invited to take on the post of municipal music director in Düsseldorf in 1850. Intensely busy, he strove to become an ­influential musical citizen by organizing regular meetings of private clubs to explore early vocal music and chamber repertoire. In the midst of these obligations, in September 1851, he composed his first two violin sonatas. The following month, he also reported entertaining new “trio thoughts”—to use the term with which he ­described his first “official” foray into the genre in June 1847—and wrote his third and final piano trio, Op. 110, between the violin ­sonatas. (An earlier, more loosely constructed piano trio in 1842 was published as the Phantasiestücke Op. 88.) There has been much speculation about the extent to which Robert was influenced by—and competing with—Clara Schumann’s achievement in her Piano Trio in G minor Op. 17, composed in 1846 and hailed as one of her finest achievements. His first two numbered trios were written in close proximity in the summer of 1847, conceived as a pair. Both are marked as well by his interest in counterpoint. Schumann’s close study of Bach in 1845 had proved to be a healing experience as he emerged from of a debilitating period of depression. When Schumann took up the genre again in 1851, he also incorporated traits of his earlier style, such as a “prevalence of mosaic-­ like designs (redolent of the Novelletten),” according to the musicologist John Daverio, who likewise perceives a reemergence of the Florestan/Eusebius dichotomy (the composer’s alter egos as the ­impassioned virtuoso versus the introverted dreamer) in the

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just-completed A-minor Violin Sonata. Clara was intrigued by her husband’s secretive work on the new Trio, writing in her diary that “he won’t let me hear any of it until he is completely finished. I know only that it is in G minor.” She played the piano part, ­together with Wilhelm Joseph von Wasielewski on violin and Christian Reimers (concertmaster and principal cellist, respectively, of the Düsseldorf Orchestra), in a private chamber music evening in November 1851. The public premiere followed in March 1852 in Schumann’s native Saxony as part of an honorary “Schumann Week” that was given in Leipzig. The score is dedicated to the Danish composer Niels W. Gade, who had been Mendelssohn’s ­assistant and successor in Leipzig. Cast in four movements, the G-minor Trio begins with a rising and falling melody traded between the strings, its agitated passion emphasized by the piano’s riptide of arpeggios. Schumann’s contrapuntal fascination comes to the fore in the development beginning with an idea plucked out by the cello, which makes a surprise ­reappearance in the coda. The string duet that opens the second movement is among Schumann’s loveliest moments. Accelerations of tempo bring contrasting, agitated music before a return to the serene melody, now joined by the piano’s own melodic elaborations. Clara noted that she was especially taken with the scherzo, which, she wrote, “carries one along with it into the wildest depths”— its mercurial shifts the fodder for aspiring psychobiographers. Schumann transforms previous thematic ideas into an assured, ­extroverted finale in G major—with particularly notable references to the scherzo. The music here echoes the spirit of Schumann’s outgoing humoresques of years past.

Reverberating Echoes The Music of Valentin Silvestrov In early March, it was reported that Valentin Silvestrov had insisted on remaining in his hometown Kyiv until his family and friends prevailed upon the 84-year-old composer to finally take refuge in Berlin. Referring in an interview with Deutsche Welle to the 2014 Russian firing on the Maidan Uprising, which led him to compose the choral works Maidan Hymns and Prayers for Ukraine, Silvestrov spoke of the killing of young, unarmed Ukrainians and

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Russians in central Kyiv: “And now all of Ukraine and the whole world has become the Maidan.” Countering efforts to demonize Russian art, he points out that “Ukrainian music, like Russian music, is first and foremost European music. It is part of European culture.” Alfred Schnittke—another figure famously championed by Gidon Kremer—once called Silvestrov “the greatest composer of our generation.” Alone among his peers who had similarly become outcasts in the Soviet Union, Silvestrov opted to remain in his native city—where he lived in a modest apartment until the invasion— rather than resettle in the West. Silvestrov is reminiscent of “a tradition in Russian culture of the auto-didactic artist genius whose work transcends the culture of his time—Dostoevsky, Tolstoy, Platonov being prime examples in literature, Mussorgsky in music,” wrote Martyn Harry in a 2003 ­interview for Gramophone magazine. “And this transcendental model is what Silvestrov’s contemporaries draw on when they describe his work.” Silvestrov’s student years coincided with the post-Stalinist “thaw” instigated by Khrushchev, which, for a brief period, eased conformist pressures on artists somewhat, making exposure to the latest trends in Western music possible. In the first phase of his work, he became associated with Kyiv’s avant-garde and encompassed performance art. Silvestrov was expelled from the Union of Soviet Composers in the early 1970s and underwent a radical about-face in his aesthetics. He re-introduced traditional methods and genres from early music as well as Romanticism; but onto familiar aural signposts—cadences, wisps of melody—he grafted a deeply elegiac expression. This is music that underscores the unbridgeable gulf separating the composer (and us) from the musical past, even as its presence is evoked. In such works as the vast song cycle Simple Songs (1974–77) and the piano cycle Kitsch-Music (1977), which alludes to pieces by Schumann and Chopin, Silvestrov began to elucidate his ideas of “metaphorical music”—which he also calls “meta-music.” In ­“meta-music,” references to the past are not mere quotations or ­examples of “eclecticism.” They signify an abiding awareness of coming “after,” of trying to savor the echoes of what now endures only as cultural fragments. This “music about music” serves as an emblem of loss and memory. “I do not write new music,” Silvestrov has remarked. “My music is a response to and an echo of what ­already exists.”

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Silvestrov for a time believed he himself had come to the end of his road as a composer with the moving Requiem for Larissa (1997–99) —his response to the sudden loss of his wife, the musicologist ­Larissa Bondarenko, in 1996. But a creative outburst has characterized the past decades, ranging from solo piano pieces to symphonies, with a special concentration on a cappella choral music and miniature ­instrumental pieces. Serenade is an unpublished piece from 2009.

Mourning His Idol Rachmaninoff’s Trio élégiaque in D minor Sergei Rachmaninoff is another composer who knew how to strike the “lacrimae rerum note,” to quote W. H. Auden’s apt phrase in his poem A Walk after Dark. Born into old Russia’s landed gentry, he endured the first in a series of setbacks that marked his life when his father, an army officer and amateur pianist, was forced to sell the family’s multiple estate holdings and move them to cramped quarters in Saint Petersburg. His mother recognized Sergei’s talent and encouraged his training early on, enrolling the boy at the Saint Petersburg Conservatory when he was 10. Rachmaninoff transferred to the Moscow Conservatory at 12, which is where he first encountered Pyotr Tchaikovsky. (His beloved sister Yelena, whose sudden death in 1885 devastated him, had first kindled Rachmaninoff’s love for the celebrity composer.) He was never actually a student of Tchaikovsky, but Rachmaninoff later wrote: “To him I owe the first and possibly the deciding success of my life…. Tchaikovsky at that time was already world-famous and honored by everybody, but he remained unspoiled. He was one of the most charming artists and men I ever met. He had an unequalled delicacy of mind. He was modest, as all really great people are, and simple, as very few are. (I met only one other man who at all resembled him, and that was Chekhov.)” Tchaikovsky encouraged Rachmaninoff and helped pave the way to a Bolshoi staging of his one-act student opera Aleko in 1893; he was so impressed by the young man’s early tone poem The Rock that he offered to conduct it. But before Tchaikovsky could make good on that promise, he died in November 1893, a little over a week after he had premiered his Sixth Symphony (“Pathétique”). Overwhelmed by a sense of loss, the 20-year-old Rachmaninoff com-

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posed his Piano Trio No. 2 as a musical memorial to his idol and completed the score in December. Curiously, both this work and the unpublished Piano Trio No. 1 in G minor from 1892 carry the heading Trio élégiaque, and the earlier work also pays tribute through musical allusions to Tchaikovsky (who was very much alive at the time). Like Tchaikovsky’s own 1882 Trio in A minor Op. 50 in honor of his mentor Nikolai ­Rubinstein, Rachmaninoff’s D-minor Trio is dedicated “to the memory of a great artist” and, formally, includes a massive variations movement. Playing the piano part at the premiere in Moscow on January 31, 1894, Rachmaninoff was joined by Yuly Konyus on violin and Anatoly Brandukov on cello. He later revised the score (which initially allowed for a harmonium to complement the second movement). The descending pattern of the opening theme is an insistent, fateful lamento against which the cello superimposes its sad song. A secular transformation of the Orthodox music Rachmaninoff carried subliminally within—like the sonority of church bells, ­artefacts of his childhood experiences—this material returns to powerful effect later in the work. Rachmaninoff seems to throughcompose a kaleidoscope of emotional reactions through changes in tempo and intensity, from agitated outcries to subdued despair. The ending descends into a state of unassuageable grief. Next is a lengthy theme and variations, the theme first stated by the piano alone and taken from the piece Tchaikovsky never got to conduct, The Rock. The piano continues to dominate in several of the eight variations. A notably brief finale follows in which the piano again holds pride of place. Rachmaninoff later reprises the elegiac music with which the Trio began, muting its colors and echoing the tragic, inescapable depths that bring Tchaikovsky’s “Pathétique” to its close.

Thomas May is a writer, critic, educator, and translator whose work appears in The New York Times, Gramophone, and many other publications. The English-language editor for the ­Lucerne Festival, he also writes program notes for the Ojai Festival in California.

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