Mitglieder der Wiener Philharmoniker
MITGLIEDER DER WIENER PHILHARMONIKER Freitag
1. April 2022 19.30 Uhr
Rainer Honeck Violine Milan Šetena Violine Tobias Lea Viola Herbert Mayr Kontrabass Josef Reif Horn Tobias Jöbstl Horn
Werner Pirchner (1940–2001) Emigranten-Symphonie Schauspielmusik zu Bertolt Brechts Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui für zwei Violinen, Viola und Kontrabass (1987) I. Mozart und Schubert II. Die logische Konsequenz des Marschierens III. Sie haben nichts gewusst IV. Sie wollen auch jetzt NICHT wissen V. Ein Emigrant – hat sich verrannt – in diese Symphoney (Young and Old Children)
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791) Divertimento D-Dur für zwei Violinen, Viola, Kontrabass und zwei Hörner KV 334 (1780) I. II. III. IV. V. VI.
Allegro Tema con variazioni. Andante – Var. I–VI Menuetto – Trio Adagio Menuetto – Trio I – Trio II Rondo. Allegro
Keine Pause
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Elegante Unterhaltungsmusik Mozarts Divertimento D-Dur KV 334
„Wo ihrer viele reden, da höret niemand was deutliches.“ Das schrieb im frühen 18. Jahrhundert der Komponist und Musiktheoretiker Johann Mattheson über das Streichquintett. Für Kammermusik-Besetzungen, die über fünf Spielerinnen und Spieler hinausgehen, gilt natürlich erst recht, dass ein transparentes Klangbild nicht einfach herzustellen ist. Umgekehrt stehen dieser Herausforderung auch besondere Chancen gegenüber: Eine liegt in der Möglichkeit, in einem größeren Ensemble abschnittsweise verschiedene Teilgruppen zu bilden und so insgesamt mehr klangfarbliche Abwechslung zu erzielen. Rein rechnerisch bietet schon das Quartett immerhin 15 Varianten, die Instrumente zu gruppieren – einschließlich Soli und Gesamtbesetzung. Im Sextett sind es bereits 63, im Oktett wären es gar 255. Und wie Robert Schumann feststellte, gewinnt gerade auch das Tutti-Spiel mit wachsender Größe des Ensembles eine neue Qualität: „Man sollte kaum glauben, wie die einzige hinzukommende Bratsche die Wirkung der Saiten instrumente, wie sie sich im Quartett äußert, auf einmal verändert, wie der Charakter des Quintetts ein ganz anderer ist als der des Quartetts. Mitteltinten haben mehr Kraft und Leben; die einzelnen Stimmen wirken mehr als Massen zusammen; hat man im Quartett vier einzelne Menschen gehört, so glaubt man jetzt eine Versammlung vor sich zu haben.“ Große, klanglich vielfältige Ensembles waren im 18. Jahrhundert vor allem in unterhaltenden Gattungen wie Divertimento, Serenade, Cassation, Nachtmusik oder Finalmusik gefragt. All diese Bezeichnungen beschrieben mehr oder weniger die gleiche Art von Musik:
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gefällige Ständchen, die von einem freudig gestimmten Publikum leicht erfasst werden konnten. Aufgeführt wurden sie im Freien oder auch in der Kammer, häufig zu festlichen Anlässen. Das konnten fürstliche oder akademische Feiern, aber auch private Hochzeiten oder Namenstage sein. Wolfgang Amadeus Mozart komponierte gerade in seinen Salzburger Jahren eine ganze Reihe derartiger Gelegenheitswerke für befreundete Familien. Über die Entstehung des Divertimentos D-Dur KV 334 ist zwar nichts Genaueres bekannt, man vermutet aber, dass Mozart es 1779 oder 1780, jedenfalls nach seiner Paris-Reise schrieb. In Briefen bezeichnete er das Werk als „die Musique vom Robinig“ oder die „Robinische Musique“. Gemeint war damit wohl Sigmund (von Mozart „Sigerl“ genannt), der einzige Sohn der vornehmen Salzburger Familie Robinig. Er legte im Juli 1780 sein Jura-Examen ab – es ist gut möglich, dass das Divertimento zu diesem Anlass erstmals gespielt wurde. In ihrer Besetzung ist die Gattung der Divertimenti und Serenaden nicht näher festgelegt; häufig finden sich aber gemischte Ensembles aus Streichern und Bläsern. Die Kombination eines Streichquartetts mit zwei Hörnern hat Mozart mehrfach verwendet, so auch in den beiden „Lodronischen Nachtmusiken“ KV 247 und KV 287, die er 1776 und 1777 für die wohlhabende Adelsfamilie Lodron schrieb. Dabei sorgen die Hörner vor allem für klangliches Kolorit: Die Instrumente verfügten im 18. Jahrhundert noch nicht über Ventile und mussten sich daher weitgehend auf die Töne der natürlichen Obertonreihe beschränken, also auf Signalmotive sowie Füllund Haltetöne. Nur Virtuosen beherrschten die Technik, durch „Stopfen“ des Schalltrichters mit der Hand zusätzliche Töne zu erzeugen. Typisch für Divertimento und Serenade ist weiterhin die Vielzahl der Sätze. Oft sind es sechs, wobei zwei Menuette und zwei langsame Sätze von zwei schnellen Sätzen umrahmt werden. Diesem Muster folgt Mozart auch im Divertimento KV 334, wie bereits in KV 247 und KV 287. Die „Robinische Musique“ beginnt mit einem verspielten Allegro. Darin erhält neben der ersten Violine auch die zweite wichtige Aufgaben, wie beispielsweise die Vorstellung des Seitenthemas. Vielleicht übernahmen Mozart selbst und sein Vater Leopold bei der Uraufführung diese beiden Partien. Weitgehend athematisch, mit unerwarteten chromatischen Modulationen in entfernte Tonarten ist die Durchführung, der Mittelteil der Sonatenform, gestaltet. Die Hörner schweigen hier. Recht ungewöhnlich für ein Divertimento erscheint die düstere Tonart d-moll des folgenden Andante, eines
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Themas mit sechs Variationen. In der vierten Variation (in Dur) dürfen die Hörner doch einmal solistisch hervortreten, und in der sechsten wirkt das Passagenwerk der Violine über Unisono-Begleitung der zupfenden Streicher fast gespenstisch. Eine melancholische Coda beendet den Satz. Danach führt das gemütliche erste Menuett zurück in die Grundtonart. Sein kontrastierender Trio-Mittelteil lässt an ein Miniaturkonzert für die erste Violine denken. Ein weiterer langsamer Satz, dieses Mal nur für Streicher, folgt mit dem Adagio in A-Dur. Im Zentrum steht erneut die erste Violine, deren ausdrucksvoller Gesang mit eleganten Verzierungen geschmückt ist. Gleich zwei Trioabschnitte, beide in Molltonarten, untergliedern das zweite Menuett mit seinem lebhaft-energischen, markant rhythmisierten Hauptteil. Ein ausgedehntes Rondo im Sechsachteltakt schließt sich an, dessen Episoden eine verwirrende Vielzahl thema tischer Ideen enthalten. Doch das Refrainthema erweist sich hier – trotz variierter Wiederholungen – als wahrer Ohrwurm. Jürgen Ostmann
Der Autor studierte Musikwissenschaft und Orchestermusik (Violoncello). Er lebt als freier Musikjournalist und Dramaturg in Köln und arbeitet für verschiedene Konzerthäuser, Rundfunkanstalten, Orchester, Plattenfirmen und Musikfestivals.
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Der Komponist Werner Pirchner
Als „Urvieh und enfant terrible der österreichischen Musik szene“ bezeichnete der Musikwissenschaftler Hartmut Krones den Komponisten Werner Pirchner. Geboren 1940 in Hall in Tirol, begann er seine künstlerische Laufbahn als Musiker und Arrangeur für verschiedene Tanzbands. Ab den 1960er Jahren widmete er sich als Autodidakt dem Jazz und erlangte insbesondere als Vibraphonist des Oscar-Klein-Quartetts internationale Anerkennung; daneben entstanden Kompositionen für Filme und Rundfunk sowie für verschiedene eigene Ensembles. ein halbes doppelalbum von 1973 wurde mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet und diente ein Jahr später als Soundtrack für den satirischen Kurzfilm Der Untergang des Alpenlandes mit Pirchner in der Hauptrolle. Mit dem Gitarristen Harry Pepl bildete er von 1975 bis 1985 das Pirchner- Pepl-JazzZwio, das 1984 gemeinsam mit dem Schlagzeuger Jack DeJohnette ein ebenfalls mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik prämiertes Album veröffentlichte. Sein letztes Jazzkonzert gab Pirchner 1988, gemeinsam mit dem Posaunisten Albert Mangelsdorff. Er starb im August 2001 im Alter von 61 Jahren. Seit 1981 komponierte Pirchner vermehrt Werke für den Konzert saal, die u.a. im Wiener Musikverein und Konzerthaus uraufgeführt wurden, sowie zahlreiche Film- und Theatermusiken, darunter für die Neuinszenierung von Hugo von Hofmannsthals Jedermann bei den Salzburger Festspielen 1995. Von 1994 bis 2017 prägten seine Audiosignets außerdem das Radioprogramm des österreichischen Kultursenders Ö1. Die Emigranten-Symphonie entstand 1987 für eine Aufführung von Bertolt Brechts Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui am Akademietheater in Wien.
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Gäbe es nicht Haydn, Mozart, Schubert, Bruckner, die Strauß-Familie, Mahler, S chönberg, Berg, Webern und Zawinul, wäre Hitler der weltweit bekannteste Ö sterreicher … Grauslig! Die Emigranten-Symphonie ist einer meiner Versuche, mich mit unserer Geschichte auseinanderzusetzen. Werner Pirchner
Subtlety and Sophistication Mozart’s Divertimento in D major K. 334
In January 1779, Mozart returned to Salzburg from his fateful 15-month journey to Mannheim and Paris with nothing to show for his pains. He had failed to secure a permanent appointment (though we sense he did not really want one); he had been rejected by his first love, Aloysia Weber; and had suffered personal tragedy in the death of his mother. Heavily in debt to his father, he was forced to petition for the post of Salzburg court organist; and for the next 18 months he led a spectacularly uneventful life as dutiful son and reluctant employee in the service of the (by him) loathed Prince- Archbishop Hieronymus Colloredo. As he had written from Paris to a family friend, the Abbé Bullinger, “Salzburg is no place for my talent. In the first place the court musicians do not enjoy a good reputation; secondly one hears nothing; there’s no theatre, no opera!—and even if they wanted to stage one, who is there to sing?” During this period of dreary professional and social routine we can sense Mozart itching to escape the cloying, opera-starved atmosphere of Salzburg and what he dubbed its “coarse, slovenly, dissolute court musicians.” After his move to Vienna in 1781 he complained that he could never produce serious work in Salzburg. The evidence suggests otherwise. The music Mozart composed there between early 1779 and the summer of 1780 reveals a new maturity and emotional richness. Among the finest works of this period are the “Posthorn” Serenade K. 320, the Sinfonia concertante K. 364, the Symphony No. 34 and the Divertimento for string quartet and horns K. 334. Although the Divertimento’s autograph is lost, we can infer that it was commissioned by the Robinig von Rottenfeld family, probably
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in the summer of 1780, for celebrations marking Sigmund Robinig’s graduation from Salzburg University. Mozart had composed a clutch of serenades and divertimenti for solo strings and (usually) horns in Salzburg in the years before his Mannheim-Paris journey. But K. 334, in six expansive movements, surpasses all its predecessors in subtlety and sophistication. We can assume that what Mozart called the “Musique vom Robinig” was first played at the family’s grand Salzburg residence, preceded by the associated march, K. 445. Whereas most of Mozart’s Salzburg celebratory works open with an emphatic call to attention, the D-major Divertimento begins with a gentle piano theme for strings alone. Horns are held back for the first quasi-orchestral tutti, where they provide a background to the merrily sparring violins and viola. While the first violin is primus inter pares, Mozart is careful to give plenty of interest to the lower strings. The demure second theme is introduced by the second violin, then friskily varied by the first—a delightful moment. In the central development, a suave new cantabile melody gives way to chromatic sequences that cast a momentary shadow over the music. In the “Posthorn” Serenade Mozart had set off the prevailing D-major brightness with a somber Andantino in D minor. He follows suit in the D-minor Andante of K. 334, a set of six variations on a plaintive, march-like theme. The march rhythm disappears in the decorative triplets of the first variation, then reasserts itself with a new vehemence in the third. Minor brightens to major in variation four, where the horns, hitherto allotted a discreet supporting role, come gloriously into their own. D minor returns for the last two variations, capped by a brief, poignant coda. Variation 5 adds telling new harmonic details, while Variation 6, for strings alone, features skittering virtuosity for the first violin above pizzicato march rhythms. The Salzburg nobility expected at least two minuets in their entertainment music. Mozart duly obliged here, firstly in a leisurely galant minuet that has become independently famous. Its daintily seductive melody, like an idealized ländler, is sounded by first violin and viola in octaves against strumming pizzicati that evoke a guitar or mandolin. The following Adagio is a delicately ornamented violin solo whose Arcadian innocence recalls the slow movements of Mozart’s violin concertos. Animated by tootling horns, the ceremonial swagger of the second minuet is offset by two darker trios, both in minor keys. The first is anxious and questioning, while the second begins with an assertive
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B-minor cadence that is immediately contradicted by a soft F sharp– minor response. An exuberant, feel-good ending was de rigueur in Salzburg serenades. We can guess that Mozart’s sonata-rondo finale, in a bouncy 6/8 meter, delighted the Robinigs with its catchy tunes, bouts of violin virtuosity, and (especially when the horns are unleashed) whiff of the chase. —Richard Wigmore
The author is a writer, broadcaster, and lecturer specializing in Classical and Romantic chamber music and lieder. He writes for Gramophone, BBC Music Magazine, and other journals, and has taught at Birkbeck College, the Royal Academy of Music, and the Guildhall. His publications include Schubert: The Complete Song Texts and The Faber Pocket Guide to Haydn.
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The Composer Werner Pirchner
An “original and the enfant terrible of the Austrian music scene”—that is how musicologist Hartmut Krones described the composer Werner Pirchner. Born in 1940 in Hall, Tyrol, he began his career as a musician and arranger for various dance bands. In the 1960s, he started exploring jazz as an autodidact, gaining international recognition as vibraphonist with the Oscar Klein Quartet, and began composing for film and radio productions as well as several of his own ensembles. ein halbes doppelalbum of 1973 received the German Record Critics’ Award and the following year was used as the soundtrack for the satirical film Der Untergang des Alpenlandes, in which Pirchner played the leading role. Together with guitarist Harry Pepl he performed as Pirchner-Pepl-JazzZwio from 1975 to 1985, winning another German Record Critics’ Award for a 1984 album recorded with drummer Jack DeJohnette. He played his last jazz concert in 1988 with trombonist Albert Mangelsdorff. He died in August 2001 at the age of 61. In 1981, Pirchner began composing works for the concert hall, which have been performed at Vienna’s Musikverein and Konzerthaus, among others, as well as numerous film scores and incidental music, including for the a new production of Hugo von Hofmannsthal’s Jedermann at the 1995 Salzburg Festival. From 1994 to 2017, his audio jingles were a hallmark of Austrian cultural radio station Ö1. The Emigranten-Symphonie was written for a 1987 production of Bertolt Brecht’s Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui (The Resistible Rise of Arturo Ui) at Vienna’s Akademietheater.
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If it wasn’t for Haydn, Mozart, Schubert, Bruckner, the Strauss family, Mahler, Schoenberg, Berg, Webern, and Zawinul, Hitler would be the world’s most famous Austrian… Horrifying! The E migranten-Symphonie is one of my attempts to come to terms with our history. —Werner Pirchner
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