Hagen Quartett Schostakowitsch-Zyklus V Quartett-Woche 2022 Einführungstext von Michael Kube Program Note by Harry Haskell
HAGEN QUARTETT Schostakowitsch-Zyklus V Mittwoch
1. Juni 2022 19.30 Uhr
Lukas Hagen Violine Rainer Schmidt Violine Veronika Hagen Viola Clemens Hagen Violoncello
Dmitri Schostakowitsch (1906–1975) Streichquartett Nr. 13 b-moll op. 138 (1970) Adagio – Doppio movimento – Tempo primo
Streichquartett Nr. 14 Fis-Dur op. 142 (1973) I. Allegretto – II. Adagio – III. Allegretto
Pause Streichquartett Nr. 15 es-moll op. 144 (1974) I. Elegie. Adagio – II. Serenade. Adagio – III. Intermezzo. Adagio – IV. Nocturne. Adagio – V. Trauermarsch. Adagio molto – VI. Epilog. Adagio
3
Musik als schöpferische Selbstverteidigung Schostakowitschs Streichquartette – Teil 5
Michael Kube
Sucht man in der Gattung Streichquartett nach Spuren privater Äußerungen ihrer Komponistinnen und Komponisten, findet man derlei nur selten. In ihrer mehr als 270-jährigen Geschichte galt und gilt sie vielmehr als Hort der absoluten Musik, die in idealer Weise den „reinen Satz“ (Ferdinand Hand, 1841) repräsentiert. Quartette mit offen formulierten programmatischen Ideen, poetischen Titeln oder privaten Mitteilungen wirken beinahe befremdlich. In der Instrumentalmusik sowohl des 19. und 20. Jahrhunderts blieben solche außermusikalischen Andeutungen in der Regel Orchesterwerken und Klavierkompositionen vorbehalten, während das Streichquartett als „Gedankenmusik der reinen Kunst“ erscheint, wie es Friedrich Theodor Vischer 1846 formulierte. Umso bemerkenswerter sind jene nicht sehr zahlreichen Quartettkompositionen, die Äußeres in sich aufzunehmen scheinen. Dass es sich dabei nahezu ausschließlich um autobiographische oder religiöse Motive handelt (das 1923 nach Tolstois Kreutzersonate komponierte Quartett von Leoš Janáček einmal ausgenommen), bekräftigt allerdings bestimmte Aspekte der Gattung. So gilt das Streichquartett zum einen als jene Besetzung, in der ein Komponist sein ganzes musikalisches Können und Wollen kondensiert, zum anderen verbindet sich mit ihm aber
5
schon im ausgehenden 18. Jahrhundert ein gewissermaßen spirituelles Denken. Es war wohl nicht nur merkantilen Interessen zuzuschreiben, dass Joseph Haydn seine ursprünglich für Orchester komponierten Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze außer für Klavier auch für Streichquartett bearbeitete.Ludwig van Beethoven überschrieb den langsamen Satz seines späten a-moll-Quartetts mit Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart. 1830 komponierte Carl Loewe gar ein Quatuor spirituel, in welchem er den Sätzen biblische Sprüche voranstellte. So wie bei diesen Kompositionen das Verhältnis zwischen dem jeweiligen Motto und der musikalischen Substanz stets neu auszu loten ist, gilt dies umso mehr für jene Werke, die autobiographisch geprägte Titel aufweisen oder zu denen programmatische Notizen überliefert sind. Der Titel Voces intimae reicht etwa kaum aus, um die originelle, in sich gleichwohl schlüssige Konzeption des Streichquartetts d-moll von Jean Sibelius zu erklären. Ebenso ist fraglich, ob der in seiner tieferen Bedeutung nur für Janáček selbst verständliche Zusatz Intime Briefe die äußerst ungewöhnliche Satztechnik seines Zweiten Streichquartetts hinreichend erläutert. Auch Bedřich Smetanas Streichquartett e-moll, das den Beinamen Aus meinem Leben trägt, wird – nicht zuletzt aufgrund mehrfach gedruckter Äußerungen des Komponisten – meist als ein Stück tönende Autobiographie verstanden. In diesem Spannungsfeld sind letztlich auch die 15 Streichquartette Dmitri Schostakowitschs zu verorten – freilich nicht als Komposi tionen mit einem dezidiert poetischen Programm, sondern als Werke eines Komponisten, der seinen musikalischen Ideen (trotz absehbarer öffentlicher Aufführungen) auf ganz persönliche Weise Form und Gestalt gab. Programmatisch daran ist das Verschleiern des eigenen schöpferischen Wollens – insbesondere in einer Zeit, in der Komponistinnen und Komponisten von staatlicher Seite propagandistisch instrumentalisiert wurden. Auch wenn die Authentizität der erstmals 1979 von Solomon Wolkow herausgegebenen Memoiren des Dmitri Schostakowitsch bezweifelt werden kann, so dürften darin doch die Schwierigkeiten mit der sowjetischen Kulturbürokratie realistisch benannt worden sein: „Es gibt ja bei uns eine spezielle Form der Selbstverteidigung: Um nicht gesteinigt zu werden, behauptet man, an dem und dem Werk zu arbeiten, der Titel muss natürlich bombastisch klingen. Dabei schreibt man ein Quartett und empfindet leise Befriedigung. Den Potentaten erklärt man aber, eine Oper ‚Karl Marx‘ oder ‚Junge Garde‘ reife heran. Dann verzeihen sie dir
6
das Quartett als Freizeitbeschäftigung, lassen dich in Ruhe. Unter dem mächtigen Schutz dieser ‚schöpferischen Pläne‘ kann man dann ein Jährchen oder zwei unbehelligt leben.“ Tatsächlich lässt sich eine solche chamäleonartige Tarnung vielfach in Schostakowitschs Werkkatalog beobachten, so auch noch 1970, als direkt neben dem Streichquartett Nr. 13 ein Marsch der sowjetischen Miliz steht – eine in jeder Hinsicht beiläufige Komposition ohne jeden persönlichen Charakter, die allerdings mit einem ersten Preis ausgezeichnet wurde. Die starke persönliche Identifikation Schostakowitschs mit seinen Quartetten zeigt sich auch in einer Szene, die der kirgisische Schriftsteller und Diplomat Tschingis Aitmatow in seinen Erinnerungen festhielt. Sie zeigt, wie sehr der Komponist gerade um diese Partituren bemüht war, mit welcher Intensität er selbst die Probenarbeit des von ihm hoch geschätzten Beethoven-Quartetts begleitete, die Interpretation kommentierte und das Ensemble in geradezu privater Weise in die Pflicht nahm. Auf den Notenpulten lag das Streichquartett Nr. 14 von 1973: „Schostakowitsch saß am Tisch mit dem Rücken zur Tür, neben ihm [der aserbaidschanische Komponist] Kara Karajew. Vor Ihnen, in der Mitte des Zimmers, saßen die vier Interpreten […]. In höchster Anspannung und Aufmerksamkeit lauschten Schostakowitsch und Kara Karajew leicht nach vorn gebeugt der Musik. Sie lauschten so angestrengt, als ob jeden Augenblick etwas Unglaubliches geschehen müsste, als ob sie irgend ein für mich unsichtbares Phänomen beobachteten. […] Schostakowitsch war völlig versunken, als wollte er aus der Musik das heraushören, was nicht voll ausgesprochen, noch nicht richtig gefunden war. Mit Erstaunen und Furcht betrachtete ich seinen verkrampften, steifen Rücken und sein verzerrtes, eingespanntes Gesicht. Meine Vorahnung hatte mich nicht betrogen. Als die Musiker zu spielen aufhörten, wich die Spannung nicht sofort aus Dmitri Schostakowitschs Gesichtszügen […]. Ich erkannte ihn nicht wieder. Es schienen in ihm irgendwelche Kräfte erbarmungsloser Ansprüche gegenüber sich selbst und gegenüber den Interpreten geweckt worden zu sein. Auch er bedankte sich zunächst bei den Musikern, danach aber machte er sich an eine genaue Analyse der Ausführung. […] Der Komponist aber verlangte eine noch größere Meisterschaft, eine noch größere Genauigkeit und noch größere Inspiration. Einem der Musiker warf er sogar vor, dass er zu laut schnaufe. Dabei war er doch mit dem Quartett seit über 30 Jahren eng verbunden. […] Schließlich beschlossen die Musiker, das ganze Werk nochmals zu spielen. Ich hörte zu und dachte mir: Sieh
7
mal an! Der liebenswürdige, gütige, schüchterne Schostakowitsch. Bei der Arbeit jedoch ist er der reinste Teufel.“ Streichquartett Nr. 13 b-moll op. 138 (1970) Obwohl während des Sommers 1970 in der Idylle von istwjanka am nördlichen Ufer des sibirischen Baikalsees entstanden, L scheint mit dem am 10. August abgeschlossenen Streichquartett Nr. 13 eine neue Phase innerhalb von Schostakowitschs kammermusikalischem Schaffen zu beginnen. Mit der bewussten Auswahl entlegener Tonarten ziehen ein veränderter Tonfall und dunklere Charaktere ein, die auf immer wieder andere Weise die weit gefassten Ausdrucksbereiche von Stille und Resignation klingend ausleuchten. In diesem Fall ist es b-moll, das schon Christian Friedrich Daniel Schubart in seinen 1784/85 entstandenen Ideen zu einer Ästhetik der Tonkunst als „ein[en] Sonderling, mehrentheils in das Gewand der Nacht gekleidet“, bezeichnet hatte. Die Tonart sei „etwa mürrisch, und nimmt höchst selten eine gefällige Miene an. […] Missvergnügen mit sich und allem.“ Dazu ist das Quartett einsätzig angelegt und umfasst neben den rahmenden Adagio-Abschnitten einen ausgedehnten mittleren Teil im doppelten Tempo. Musikalische Grundlage des Verlaufs bildet ein zunächst von der Viola solo vorgetragenes Thema, mit dem Schostakowitsch wie schon zwei Jahre zuvor im Quartett Nr. 12 den Raum der chromatischen zwölf Töne vollständig durchmisst. Hier ist es eine Linie in drei Abschnitten (ohne dass diese fortan als strenge Reihe behandelt würde): zunächst die Folge b–des–ges–f, dann daraus abgeleitet sequenziert a–c–e–es und schließlich d–as–g–h – wobei der letzte Ton h sich als Vorhalt zum Ton b auflöst. Damit schließt Schostakowitsch nicht nur den tonalen Kreis, sondern setzt auch durch die jeweils letzten Töne der Abschnitte eine plagale Kadenz (b-f-es-b). Neben diesem Thema durchziehen einzelne, aus Intervallen gebaute Motive die gesamte Komposition: die Quarte in ihrer Klarheit als Symbol für spürbare Starre, die fallende Sekunde als über Jahrhunderte gültiges Klagemotiv und die zwischen hell und dunkel pendelnde Terz. Als besonderer klanglicher Effekt kommen im Mittelteil dezidiert einkomponierte Klopfgeräusche auf den Instrumenten hinzu. Angesichts der politischen Weltlage jener Zeit wird somit das Werk selbst politisch – wenn auch nicht nach außen, wie bei George Crumbs mit dem Zusatz „in tempore belli“ versehenen
8
Streichquartett Black Angels von 1970, sondern nach innen. Rostislaw Dubinsky, Primarius des Borodin-Quartetts, erinnerte sich an eine Probe des Streichquartetts Nr. 13, bei der Schostakowitsch anwesend war und offenbar aus Niedergeschlagenheit verstummte: „Als wir spielten, hielt er zunächst die Partitur in den Händen, legte sie aber später weg und senkte den Kopf. Während wir spielten, konnten wir aus den Augenwinkeln beobachten, wie sein von der Hand gestützter Kopf immer tiefer sank […]. Als das Quartett beendet war, legten wird die Instrumente zur Seite und warteten auf Bemerkungen. Es kamen jedoch keine und Schostakowitsch hob seinen Kopf nicht hoch. Da standen wir auf, packten geräuschlos unsere Instrumente ein und verließen unbemerkt den Saal. Schostakowitsch saß bewegungslos da.“ Die Uraufführung des Werks erfolgte am 13. Dezember 1970 in Leningrad durch das Beethoven- Quartett. Isaak Glikman berichtete über die Erschütterung des Auditoriums, das sich „am Ende des neuen Quartetts erhob und blieb stehen, bis es in voller Länge ein zweites Mal gespielt wurde.“ Streichquartett Nr. 14 Fis-Dur op. 142 (1973) Geradezu systematisch verfolgte Schostakowitsch zuletzt ffenbar die Vervollständigung seines Streichquartett-Zyklus’ o entsprechend der Ordnung des Quintenzirkels. Jedenfalls lässt sich ausgehend von dem motivisch so persönlich gefärbten, 1960 entstandenen Achten Quartett eine Folge beobachten, in der die B-Tonarten konsistent abwärts und mit der jeweiligen Parallele durchschritten werden: c–Es, As–f, Des–b und schließlich Fis–es. Dass Schostakowitsch an dem C-Dur gegenüberliegenden Pol statt des zu erwartenden Ges-Dur in seinem Streichquartett Nr. 14 die enharmonisch verwechselte Tonart Fis-Dur vorzeichnete, entspricht einer schon von Bach im Wohltemperierten Klavier angewendeten Konvention und hat vor allem schreib- und lesetechnische Gründe. Zugleich handelt es sich bei dem Werk um das letzte im „Quartett der Quartette“ – jenen vier Kompositionen, die den Mitgliedern des mit Schostakowitsch eng verbundenen Beethoven-Quartetts gewidmet sind. Es ist Sergej Schirinski zugeeignet, und das von ihm gespielte Violoncello übernimmt auch musikalisch in allen drei Sätzen mehr als üblich exponierte Aufgaben. (Ob ihn Schostakowitsch darüber hinaus im Finale durch ein sogenanntes „soggetto cavato“ – ein Motiv, in dem die Buchstaben oder Initialen eines Namens
9
Und Schostakowitschs Musik – das sind wir selbst, das ist unser noch nicht vollständig erkanntes Leben. In dieser Musik finden wir die ungeheure Spannweite unseres Lebens, von den Enttäuschungen und tragischen Konflikten bis zum Aufstrahlen des Lichts, bis zu den stolzen Hoffnungen. Mstislaw Rostropowitsch
durch gleichlautende Töne dargestellt werden – verewigt hat, bleibt umstritten, da diese mögliche Anspielung sowohl musikalisch wie in der Herleitung nicht zwingend erscheint.) Komponiert zwischen dem 23. März und 23. April 1973 in Repino und Moskau, beginnt das Werk gewissermaßen mit einem Scherzo, einem Allegretto im Dreivierteltakt. Das fast schon volkstümlich wirkende Hauptthema – zunächst im Violoncello, dann in der erste Violine – bleibt mit seinem wiederkehrenden Rhythmus zwar motivisch prägend, verliert aber rasch seine anfängliche Unschuld und wird durch die für Schostakowitsch so typischen bohrenden Gesten überformt. Das nachfolgende Adagio erinnert nach Anlage und Duktus des tragenden Themas an eine Passacaglia – jene alte Form einer streng gebundenen und doch besondere gestalterische Möglichkeiten bietenden Variationsfolge, die Schostakowitsch vielfach in seinem Schaffen verwendete. Hier jedoch entfaltet sich aus dem zunächst von der Violine solo vor getragenen Thema ein freier Verlauf, bei dem später das Cello die langgezogene Linie nochmals aufnimmt (von der Violine nun kontrapunktiert) – es spielten somit bei der Uraufführung die beiden aus der ursprünglichen Besetzung des Beethoven-Quartetts verbliebenen Musiker. Eigenwillig zeigt sich das abschließende Allegretto, das an seinem klar in Fis-Dur formulierten Ende erneut an Schubarts Tonartencharakteristik denken lässt, der in diesem Fall Ges-Dur beschreibt als „Triumph in der Schwierigkeit, freyes Aufathmen auf überstiegenen Hügeln; Nachklang einer Seele, die stark gerungen, und endlich gesiegt hat.“ Das Werk erklang erstmals am 12. November 1973 in Leningrad. Streichquartett Nr. 15 es-moll op. 144 (1974) Das Streichquartett Nr. 15 ist ein Werk des Abschieds. Auch wenn noch im Sommer 1974 einige Klavierlieder und im Frühjahr 1975 die bereits wie entrückt anmutende Sonate für Viola und Klavier folgen sollten, so hat Schostakowitsch offenbar mit dem am 17. Mai 1974 vollendeten Quartett bereits einen Schlusspunkt hinter sein umfangreiches Schaffen setzen wollen. Die Partitur spiegelt dabei nicht nur die physische Verfassung, sondern auch den beschwerlichen, immer wieder angegriffenen Lebensweg des Kom ponisten. Die sich für Schostakowitsch aus den vorigen Quartetten geradezu zwangsläufig ergebende Tonart stellt sich auf merkwürdige
11
Weise als passend heraus: Hector Berlioz bezeichnete das mit sechs Vorzeichen versehene es-moll als „très triste“, und Schubart hatte schon früher die dunklen Farben umfänglich geschildert: „Empfindungen der Bangigkeit des allertiefsten Seelendrangs; der hinbrütenden Verzweiflung; der schwärzesten Schwermuth, der düstersten Seelenverfassung. Jede Angst, jedes Zagen des schaudernden Herzens, athmet aus dem grässlichen es-Moll. Wenn Gespenster sprechen könnten; so sprächen sie ungefähr aus diesem Tone.“ Schostakowitsch legte sein letztes Streichquartett als Folge von sechs Sätzen an. Sie sind sämtlich mit „Adagio“ überschrieben und gehen attacca ineinander über (der vorletzte, mit „Adagio molto“ bezeichnete Satz ist in der Metronomangabe nochmals im Tempo reduziert). Ferner zeigen die Satzüberschriften an, welche Ausdruckssphären insgesamt berührt werden: Elegie, Serenade, Intermezzo, Nocturne, Trauermarsch, Epilog. Das weitaus größte Gewicht kommt der Elegie zu, in der Schostakowitsch in nahezu ausschließlich engen diatonischen Schritten und weit ausgesungenen Linien eine grau getönte Landschaft voller Tragik, Leid und Resignation entfaltet. Die doppelbödige Serenade findet erst nach einem längeren, den Einzelton zuspitzenden Einschwingungsprozess zu sich; das Intermezzo hat vermittelnde Funktion als instrumentales Rezitativ zum Nocturne, dessen Melodie zunächst von der Viola ausgesungen wird und durch die aufgesetzten Dämpfer eine fahle Klanglichkeit erhält. Der wie von außen eindringende und sich entfernende, mehrstrophig angelegte Trauermarsch geht schließlich in einen Epilog über, der mit Skalenläufen und Wechselbewegungen aufzubegehren scheint, jedoch in das Thema der Elegie zurückfällt, mal nach Ges-Dur aufgehellt, am Ende aber im Rhythmus des Marsches in es-moll erstirbt. Uraufgeführt wurde das Streichquartett am 14. November 1974 im Leningrader Glinka-Saal durch das Tanejew-Quartett. Das Ensemble hatte diese Aufgabe auf Wunsch des Komponisten nach dem plötzlichen Tod von Sergej Schirinski, dem bereits erwähnten Cellisten des Beethoven-Quartetts, übernommen. Über die außergewöhnliche Atmosphäre des Konzerts berichtet Krzysztof Meyer, Freund und späterer Biograph Schostakowitschs: „Im überfüllten Saal saß ein alter Mann im Sessel, der kaum noch in der Lage war, sich zu bewegen. Er war in Begleitung seiner Frau. Sein Gesicht war aufgedunsen und durch Medikamente verunstaltet, die farb losen Augen blickten durch dunkle, stark gewölbte Gläser. Allen Anwesenden war klar, dass der Künstler bald keine Konzerte mehr
12
würde besuchen können. Als die letzten Akkorde des Quartetts leise verhallten, wurde es im Saal völlig still, und schweigend erhoben sich alle, um dem Komponisten ihre Ehrerbietung zu bekunden. Danach aber brach ein nicht enden wollender Beifallssturm los. Der ratlos lächelnde Komponist schleppte sich nur beschämt zu den Interpreten vor, war aber nicht mehr in der Lage, auf das Podium hinaufzugehen.“
PD Dr. Michael Kube ist Mitglied der Editionsleitung der Neuen Schubert-Ausgabe, Herausgeber zahlreicher Urtext-Ausgaben und Mitarbeiter des auf klassische Musik spezialisierten Berliner Streaming-Dienstes Idagio. Seit 2015 konzipiert er die Familienkonzerte der Dresdner Philharmoniker. Er ist Juror beim Preis der Deutschen Schallplattenkritik und lehrt an der Musikhochschule Stuttgart sowie an der Universität in Würzburg.
13
Music at the Close Shostakovich’s String Quartets—Part 5
Har r y Haskell
Dmitri Shostakovich occupies a special niche in the annals of 20th-century Russian music. Unlike Prokofiev, Rachmaninoff, and Stravinsky, he did not come of age before the Bolshevik Revolution and immerse himself in Western culture. And unlike younger composers such as Alfred Schnittke and Sofia Gubaidulina, he did not live long enough to witness the fall of the regime that had muzzled artistic experimentation in the name of sterile “socialist realism.” Outwardly, Shostakovich remained a loyal citizen of the Soviet Union, alternately lionized and demonized by the Communist Party’s cultural apparatchiks. Yet throughout his life, the highly strung composer played an elaborate game of feint and attack with the Soviet establishment, cannily balancing his more abrasive, cuttingedge music with a stream of reassuringly patriotic and artistically conservative works. As a result, his output veers wildly between mordent satire (for instance, the opera The Nose and the ballet The Age of Gold), patriotic bombast (the Second Symphony and the symphonic poem October, both eulogizing the 1917 Revolution), and bleak introspection (almost any of his string quartets). Born in 1906, Shostakovich grew up artistically in the 1920s, during the brief halcyon period of the workers’ state. But his
15
incorrigible political cynicism, and his contempt for the proletarian pap promoted by the authorities in the Kremlin, repeatedly landed him in hot water. The international success of the “Leningrad” Symphony—composed during the Nazi siege of Leningrad in World War II and widely hailed as a symbol of Russian resistance—finally brought him a measure of security. In the “thaw” that followed the death of Stalin in 1953, Shostakovich reached a precarious entente with his political masters, who needed his support almost as much as he needed theirs. He traveled abroad, established contact with Benjamin Britten and other Western composers, and achieved performances of works that had long been suppressed. With acute misgivings, he accepted a number of official posts, becoming secretary of the state-run Composers’ Union and belatedly joining the Communist Party under duress. Yet he remained at heart an iconoclast. His music, fundamentally tonal but laced with pungently dissonant harmonies and raw kinetic energy, epitomizes the turbulent, existentialist spirit of W. H. Auden’s Age of Anxiety. Like Mahler, with whom he is often bracketed, Shostakovich was in the most literal sense a composer of extremes: many of his works juxtapose jarringly disparate styles and elements. It is in the reconciling of these opposing tendencies, the harmony he forged out of the discordant raw materials of human life and emotion, that much of the power and beauty of Shostakovich’s music lie. The Last Quartets: 1970 to 1974 The final decade of Shostakovich’s life was a time for valedictions and taking stock. Like the Eleventh and Twelfth Quartets of the late 1960s, Nos. 13 and 14 bear dedications to members of the venerable Beethoven Quartet, with which the composer collaborated closely for more than three decades. The genesis of the Thirteenth Quartet is bound up with Shostakovich’s rapidly declining health as well: he put the finishing touches on the score in the summer of 1970 while undergoing treatment for a rare form of polio at a clinic in Kurgan, some 1,200 miles east of his Moscow home. Those trying circumstances no doubt helped bring out the gallows humor that had always been present in Shostakovich’s music, serving as an emotional bulwark against adversity. Yet the composer’s resilience was clearly flagging; apart from the Fifteenth Symphony of 1971, he wrote no more music for nearly three years. This worrisome fallow spell
16
came to an end in the spring of 1973 with the comparatively upbeat Quartet No. 14. Buoyed by the work’s unexpectedly quick and easy gestation, Shostakovich even took part in the first rehearsal, substituting for the Beethovens’ indisposed second violinist. Soon afterward, however, the composer’s world began closing in on him. In early 1974 he finished the last of his fifteen quartets and once again looked forward to hearing it performed by the Beethoven Quartet. But fate intervened when cellist Sergei Shirinsky, the dedicatee of the Fourteenth Quartet, died in the middle of rehearsals. Consequently, it fell to the Taneyev Quartet to premiere the E flatminor Quartet in Leningrad that November 15. Almost unremittingly dark and elegiac in character, the work’s six interconnected movements convey a mixture of fatalistic resignation and grim, almost morbid intensity. Shostakovich had less than a year to live. String Quartet No. 13 in B-flat minor Like its predecessor, the Twelfth Quartet of 1968, the Thirteenth opens with a bleak twelve-tone row played by a single instrument— in this case the viola, a salute to Vadim Borosovsky, the Beethoven Quartet’s retired violist. The solo’s mournful falling strain exploits the viola’s burnished lower register and prefigures the very different viola solo at the end of the Quartet, another poignant twelve-tone melody that climbs high into the stratosphere and dissolves in a mist of insubstantial harmonics. The tonality of the B flat–minor Quartet is equally fragile. As in so much of Shostakovich’s music, the searching, unstable harmonies never seem to find a permanent resting place. Even after the nominal home key is belatedly established in bar 9, with the entrance of the full ensemble, the work’s harmonic center remains stubbornly elusive. The Quartet is structured as an unbroken span, with a short Adagio prelude and postlude framing a quicker middle section marked “Doppio movimento” (double time). The first transition is heralded by a series of three short, sharp shocks in the first violin, a motif traditionally associated with fate knocking at the door. Whereupon another twelve-note tune, now played by the second violin, ushers us into a phantasmagorical world of violent outbursts, buzzing trills, fragmented melodies, obsessive repetitions, and, most macabre of all, passages in which players are instructed to tap the bellies of their instruments with the wood of the bow. Shostakovich called the Thirteenth “a short lyrical quartet with a joke middle.” 17
Because of Shostakovich we have a contact, a link with the past generations, with the people who had passed away long ago, but still exist in him. All this atmosphere of the 1920s, 1930s, 1940s, 1950s, 1960s— all these continued to exist in him, and we all felt it. —Alfred Schnittke
But Wendy Lesser, in her study of the Shostakovich quartets, describes it more acutely as “at once bleak and inventive, despairing and disruptive. Its horrors are those of the human condition, particularly as they manifested themselves in the twentieth century, but they are also the funhouse horrors of dancing skeletons and rattling bones. Creepiness has been elevated to the highest form of art here.” String Quartet No. 14 in F-sharp major True to form, Shostakovich awarded a starring role in his next quartet to its dedicatee, the Beethoven Quartet’s long-serving cellist Sergei Shirinsky. The cello’s amiable, briskly bouncing melody in the opening bars sets the tone for a work whose tunefulness and comparatively carefree disposition set it apart from the two other quartets on tonight’s program. Like the Thirteenth Quartet, the Fourteenth displays a symmetrical ABA structure, but here the elements are reversed: the two outer fast movements carry most of the work’s expressive load, while the central Adagio is an extended aria for the first violin that expresses lamentation and joy in equal measure. Indeed, musicologist Judith Kuhn hears in the violin’s opening solo an echo of Beethoven’s “song of thanksgiving” from his Op. 132 Quartet, composed when he, like Shostakovich, was reveling in the restoration of his creative powers. The Adagio flows seamlessly into the concluding Allegretto, the transition marked by a sudden quickening in the tempo of the first violin’s plucked C sharps. (Shostakovich uses pizzicato liberally in the F sharp–major Quartet, which may account for his self- deprecating remark that he “only played with one finger” in his runthrough with the Beethoven Quartet.) Although the finale, too, is largely the first violinist’s show, Shostakovich pays tribute to Shirinsky twice over: not only is the cellist’s nickname, Seryozha, musically encrypted in the Allegretto’s dance-like opening theme; Shostakovich later alludes to Katerina’s love aria “Seryozha, my darling” from his opera Lady Macbeth of the Mtsensk District. Even the work’s final “dying” cadence on a simple F sharp–major triad (indicated by the Italian marking morendo) bespeaks a more peaceful conclusion than those of his earlier quartets.
19
String Quartet No. 15 in E-flat minor Mirroring the suite-like structure of Shostakovich’s Eleventh Quartet, the Quartet No. 15 comprises six uncompromisingly dark-minded movements, all marked “Adagio” (in one case, “Adagio molto”), that run together without pauses. The opening Elegy establishes the prevailing mood in a slow, dirge-like melody that flows and ebbs with a lassitude so profound that the music almost seems frozen in its tracks. (Sardonic as ever, Shostakovich counseled the Beethoven Quartet to play the movement “so flies drop dead in mid-air, and the audience start leaving the hall from sheer boredom.”) A high, sustained B flat in the first violin serves as a bridge to the incongruously titled Serenade, with its layers of surging crescendos, savage staccato chords, disorienting atonal harmonies, and fractured waltz strains. The cello winds the movement down on a low, pulsating E flat that is held over into the brief Intermezzo, where it provides a scarcely audible tonal foundation for the first violin’s loud, frenzied contortions. A mournful, arching melody in the violins, built on the interval of a falling half step, anticipates the muted intensity of the fourth movement. The Nocturne features a plangent aria for the viola, enmeshed in undulating eighth notes. The baton passes to the first violin and then to the cello, which reprises the melody in its sonorous bass register. A repeated figure in dotted rhythm (long-short) introduces the anguished Funeral March, in which the players take turns leading the lamentation. The final Epilogue begins with a pair of skittering cadenzas for the first violin and cello, separated by an echo of the first movement’s languorous dirge. Further fragmentary reminiscences ensue, and the music gradually dissolves into nothingness. Vladimir Ovcharek, the Taneyev Quartet’s first violinist, testified that he and his colleagues “were shaken to the core by the scale and tragedy” of Shostakovich’s swan song in the quartet genre. For his part, the composer congratulated the foursome on “having penetrated so deeply the essence of this philosophical work, which I hold most dear.”
20
A former performing arts editor for Yale University Press, Harry Haskell is a program annotator for Carnegie Hall in New York, the Edinburgh Festival, and other venues, and the author of several books, including The Early Music Revival: A History, winner of the 2014 Prix des Muses awarded by the Fondation Singer-Polignac.
21