Heath Quartet & Jörg Widmann Quartett-Woche 2022 Einführungstext von Wolfgang Stähr Program Note by Gavin Plumley
HEATH QUARTET & JÖRG WIDMANN Samstag
4. Juni 2022 19.00 Uhr
Sarah Wolstenholme, Natalia Klouda Violine Gary Pomeroy Viola Christopher Murray Violoncello Jörg Widmann Klarinette
Im heutigen Konzert übernimmt Natalia Klouda (Violine) den Part der erkrankten Marije Johnston. In tonight’s concert, Natalia Klouda joins the Heath Quartet on violin, replacing Marije Johnston, who is ill.
Henry Purcell (1659–1695) Chacony g-moll Z. 730 Bearbeitung für Streichquartett von Benjamin Britten (1948)
Benjamin Britten (1913–1976) Streichquartett Nr. 3 G-Dur op. 94 (1975) I. Duets. With moderate movement II. Ostinato. Very fast III. Solo. Very calm IV. Burlesque. Fast, con fuoco V. Recitative and Passacaglia (La Serenissima). Slow
Pause
Jörg Widmann (*1973) Klarinettenquintett (2017) Lento assai
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Der Grund und das Nichts Kammermusik von Purcell, Britten und Widmann
Wo l f g a n g S t ä h r
Tanz mit dem Phantom Ein Vorurteil muss heute fallen: die üble musikhistorische Nachrede gegen England, das als „Land ohne Musik“ verschrien ist, sehr zu Unrecht. Der kontinentale Trotz mag zwar einwenden, dass die Engländer keine ununterbrochene Reihe großer und größter Komponistinnen und Komponisten hervorgebracht hätten, ja dass zwischen Purcell und Elgar sogar eine auffallende Traditionslücke klaffe. Doch dieser genealogische Mangel müsste gerechterweise auch oder erst recht anderen Ländern angekreidet werden. Allerdings – als Henry Purcell 1659 das Licht Britanniens erblickte, ging in seinem Heimatland tatsächlich eine Epoche „ohne Musik“ zu Ende. Das Militärregime des Lord Protector Oliver Cromwell hatte eine unter religiösen Eiferern keineswegs seltene Kulturfeindlichkeit an den Tag gelegt. Die erzpuritanischen Tugendwächter des Commonwealth of England beargwöhnten jede Pracht und höfische Repräsentation, sie reglementierten die Kirchenmusik fast bis zum Verstummen, verbrannten Noten, vernichteten Instrumente, demolierten oder demontierten Orgeln und verriegelten die Theater. In der Ära der Restauration jedoch, ab 1660, erneuerte der aus dem Exil auf den englischen Thron zurückgekehrte König Charles
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II. nicht allein die Herrschaft der Stuarts, sondern auch die welt offene höfische Musikkultur. Und zu einem ihrer Protagonisten avancierte schon in jungen Jahren der Musikersohn Henry Purcell, der 1677 in das Amt eines „Composer for the Violins“ berufen wurde: an die Spitze eines Ensembles der besten Streicher, das der frankophile Charles nach dem Beispiel der Violons du Roi des französischen Sonnenkönigs etabliert hatte. In rascher Folge eroberte Purcell obendrein die Schlüsselpositionen eines Organisten an Westminster Abbey, eines „gentleman“ in der Chapel Royal (das bedeutete: Gesang und Orgelspiel) und schließlich des „keeper of the King’s instruments“. Die Chacony in g-moll Z 730 (der Buchstabe Z steht für das Purcell-Werkverzeichnis des Amerikaners Franklin B. Zimmerman) komponierte Purcell möglicherweise gleich zu Beginn seiner Amtszeit für die Violinen des Königs, um das Jahr 1678. Er schrieb sie, um genau zu sein, für zwei Violinen, eine Viola und Basso continuo, und es steht die sympathische, aber unbewiesene Vermutung im Raum, er habe sie als Tombeau für seinen mutmaßlichen Lehrmeister und tatsächlichen Amtsvorgänger Matthew Locke erdacht, der im Vorjahr verstorben war. Eine ganz andere, um nicht zu sagen ent gegengesetzte Theorie sucht den Ursprung der Chacony im Theater, in einer aus dem Abstand der Jahrhunderte nicht mehr identifizierbaren Schauspielmusik: Sie wäre demnach zuerst auf einer Londoner Bühne erklungen, im Theatre Royal oder im Duke’s Theatre, von Musikern gespielt, die nicht in einem Orchestergraben saßen, sondern im „Musick Room“ oberhalb des Proszeniums, sofern sie nicht kostümiert in die Inszenierung einbezogen wurden. Ob bei Hofe, im Theater oder als Trauermusik: In dieser Chaconne, die Purcell in eigenwillig anglisierter Schreibweise Chacony nennt, treffen sich die Traditionen des zwischen Zeremonie, Improvisation, Disziplin und Divertissement wechselnden Tanzes. Der achttaktige „ground bass“, über dem und um den herum sich die Variationen der anderen Stimmen abspielen, kehrt wieder von Anfang bis Ende, zuweilen steigt er durch die Etagen, schiebt sich aus dem Takt, wird zum Phantombass, eine ungreifbare, unheimliche Lenkungsinstanz. Der „ground“ stellt sich als musikalisches Orakel unserer fragilen Existenz dar und konfrontiert uns mit der Frage, auf welchem Grund wir stehen – oder zu stehen glauben. Aus dem französischen Ballet de cour und der Tragédie en musique kannte Purcell den Brauch, einen Akt oder die gesamte Handlung mit einer feierlichen Chaconne zu beschließen. Oder buchstäblich aus-
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klingen zu lassen: Purcell ruft mit den letzten Takten seiner Chacony das Bild eines fallenden Vorhangs, der verlöschenden Lichter herauf. The rest is silence. „Henry Purcell ist in der Geschichte der englischen Musik die letzte Erscheinung von internationaler Bedeutung gewesen“, befand sein wahrer Nachfolger und 254 Jahre jüngerer Landsmann Benjamin Britten, der 1948 die Chacony für Streichquartett oder Streichorchester einrichtete, mit höchstem Respekt vor Geist und Buchstaben der Musik. Zum Abschied eine Frage Venedig im November. Das Meer treibt seine Fluten über Straßen und Plätze, der Nebel verschleiert Türme und Kuppeln. Benjamin Britten, dem Tod schon nah, sieht die geliebte Stadt, „La Serenissima“, noch einmal wieder. Gedankenverloren sitzt er am Fenster seines Hotelzimmers, blickt über den Canal Grande, hinüber zur Kirche Santa Maria della Salute, hört die Glocken, eine, zwei, nah, fern, sie geben ihm ein Thema ein, auf das er eine Passacaglia gründet, seinen Abschiedsgesang: das Finale des Streichquartetts Nr. 3 op. 94. Denkt er an Gustav von Aschenbach, den Schriftsteller aus Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig? „Er gedachte des schwermütig-enthusiastischen Dichters, dem vormals die Kuppeln und Glockentürme seines Traumes aus diesen Fluten gestiegen waren, er wiederholte im stillen einiges von dem, was damals an Ehrfurcht, Glück und Trauer zu maßvollem Gesange geworden, und von schon gestalteter Empfindung mühelos bewegt, prüfte er sein ernstes und müdes Herz, ob eine neue Begeisterung und Verwirrung, ein spätes Abenteuer des Gefühles dem fahrenden Müßiggänger vielleicht noch vorbehalten sein könne.“ Die Figur des Dichters Aschenbach begleitete den Komponisten Britten als ein Alter Ego, seit er sie auf die Bühne geholt hatte in seiner jüngsten, seiner letzten Oper Death in Venice: der Künstler, der „die Schönheit angeschaut mit Augen“. Für wen schrieb Britten diese Trauermusik, mit der sein Streichquartett endet? In einem Rezitativ lässt er, ehe die Passacaglia anhebt, Themen und Motive aus seiner Oper erklingen, je einem der Instrumente anvertraut, wie Phantome, wie Gestalten aus undurchdringlichem Nebel steigen sie auf, verblassende Erinnerungen. Seit 30 Jahren hatte Britten kein Streichquartett mehr geschrieben, als er im Herbst 1975 sein drittes begann. Der Wiener Emigrant
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Hans Keller, ein Quartettmusiker, Publizist und Wissenschaftler, hatte ihn freundschaftlich zu dieser Komposition gedrängt, die ihm schließlich im Gefühl der Dankbarkeit und Verbundenheit gewidmet wurde. Britten, so sagte Hans Keller, habe sich mit diesem Werk in „das Mozartsche Reich einer instrumentalen Läuterung der Oper“ gewagt. Und schon der erste Satz gibt ihm recht. Er trägt den Titel „Duets“, ein Präludium, das die sechs Konstellationen der möglichen Stimmpaare erprobt – und alles, Tonart, Form und Ziel, befremdlich in der Schwebe lässt. Die insgesamt fünf Sätze scheinen auf den ersten Blick einer symmetrischen Ordnung zu folgen, eine Brückenform, wie Bartók sie für die Architektur seiner Quartette ausgeprägt hatte. Das selbstquälerische „Ostinato“ und die „Burlesque“, die den grotesken Momenten in der Musik von Mahler und Schostakowitsch nahekommt, umschließen das zentrale „Solo“, einen entrückten, glasklaren Gesang der ersten Violine über ge brochenen Dreiklängen der anderen drei Instrumente. Diese asketische Klangkunst lässt uns begreifen, weshalb ein Komponist der „frei willigen Armut“ wie Arvo Pärt in Britten einen Vorgänger und Seelenverwandten erkennt. Aber die Lauterkeit dieser erdenfernen Sphäre bleibt nicht unversehrt: „als zeige die Welt“, wie es bei Thomas Mann heißt, „eine leichte, doch nicht zu hemmende Neigung, sich ins Sonderbare und Fratzenhafte zu entstellen“. Dem venezianischen Finale, „Recitative and Passacaglia“, gab Benjamin Britten den Beinamen der erwählten Stadt: La Serenissima, die Durchlauchtigste. Streng und würdevoll nahm er seinen Abschied aus der Welt der Fluten und Nebel, brach auf zu einer Reise ins Lichte, ins Offene, „ins Verheißungsvoll-Ungeheure“, wie Gustav von Aschenbach, sein Doppelgänger. Deshalb versagte er seinem Schlusssatz den Schluss: „Ich wollte das Werk mit einer Frage beenden.“ Und mit einer Frage ließ er seine Hörer zurück, die das Streichquartett am 19. Dezember 1976 zum ersten Mal erleben durften, gespielt vom Amadeus Quartet, nur wenige Tage nach Brittens Tod. Die Frage ließ er auch uns zurück. Er selbst kennt nun die Antwort. Gesang, Schweben, Liebe Zum Streichquartett kommt ein Klarinettist hinzu, und schon wird alles anders: Ein Fremder betritt den Raum. Die Geschichte dieser Begegnung ist rasch erzählt und längst entschieden. Sofern
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man das Klarinettenquintett als „Gattung“ verstehen wollte, wäre sie mit Mozarts A-Dur-Quintett von 1789 vollkommen begründet, entfaltet und ausgeschöpft. Allenfalls das späte h-moll-Quintett von Brahms ließe sich dem an die Seite stellen. Oder, mit einem gewissen Abstand an Prominenz und Popularität, das zum Miniaturkonzert tendierende Quintett von Weber und das Opus ultimum von Reger. Der Rest ist betretenes Schweigen? Jedenfalls muss ein Komponist, der noch einmal Klarinettenquintette schreiben wollte, nicht nur mit dem Vergleich leben, mit der Einzigartigkeit dieser Werke, sondern auch mit der musikhistorischen Tatsache, dass bereits alle Plätze besetzt sind. Außer dem Platz zwischen den Stühlen. Und so erging es Jörg Widmann, als er 2009 ein Klarinettenquintett zu komponieren begann: Aus lauter „Demut und Bewunderung“ vor den klassischen Meisterwerken von Mozart bis Reger – „sie sind in ihrer Tiefe, Melancholie und handwerklichen Meisterschaft ein nie versiegender Quell ewiger Freude und Erkenntnis“, bekannte er feierlich – sah sich Widmann alsbald zum Scheitern verurteilt: „Die Musikgeschichte, die mir sonst Lust bereitet, darauf aufbauend Neues, Anderes zu erfinden, wurde mir plötzlich zur Last. Ich war dieser magischen Gattung offenkundig noch nicht gewachsen, hatte ihr noch zu wenig an Reife, vielleicht auch an Lebenserfahrung entgegenzusetzen. Nach Wochen verzweifelter Anläufe mit einer Vielzahl unausgegorener Adagio-Takte legte ich damals also das Thema ‚Klarinettenquintett‘ zerknirscht und ratloser als zuvor vorerst zur Seite.“ Die berühmten Quintette, die erdrückenden Vorbilder, waren allesamt für bestimmte zeitgenössische Klarinettisten bestimmt: Mozart komponierte für Anton Stadler, Weber für Heinrich Baermann, Brahms für Richard Mühlfeld (obgleich er eigentlich gar nichts mehr komponieren wollte). Jörg Widmann aber schuf sein Quintett für einen Klarinettisten, den er kannte, seit er denken konnte, mit dem er nicht nur die meiste, sondern die gesamte Zeit seines Lebens verbrachte: für sich selbst. Ein bemerkenswerter Sonderfall, sollte man meinen, freilich nicht zu allen Zeiten der Musikgeschichte. Im 18. Jahrhundert, betont Widmann, wäre die Personalunion von Komponist, Kapellmeister und Instrumentalist gar nicht der Rede wert erschienen: eine Normalität. Erst in der jüngeren Vergangenheit trennten sich die Wege der Professionen, von Gegenbeispielen wie Benjamin Britten, Pierre Boulez oder Heinz Holliger abgesehen. Oder Jörg Widmann: „Für mich hat diese Einheit nie aufgehört zu existieren, auch wenn es in der Praxis
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manchmal schwer ist.“ Wie bei der Komposition eines Klarinettenquintetts. Aber dann war plötzlich alles ganz selbstverständlich, mittlerweile im Jahr 2017: „Ich spürte sofort, dass sich das Warten gelohnt hatte, die Musik strömte nur so aus mir heraus.“ Jörg Widmann liebt an seinem Instrument die Magie des Klangs, der aus dem Nichts entsteht und wieder im Nichts verschwindet. Wie in seinem Klarinettenquintett, das ihm schließlich doch noch gelingen wollte, „ein einziges etwa 40-minütiges Adagio“, das sich anfangs ganz allmählich nur von der Stille abhebt, um zuletzt im Stillstand zu verstummen. „Bis auf wenige Ausbrüche spielt sich das ganze Werk in dem so faszinierenden wie gefährlichen Zwischenbereich von Statik und Fluss ab, immer wieder verlöscht die Musik fast ganz, um dann in noch tieferen oder höheren Sphären zu singen, zu schweben. So wünsche ich es mir zumindest. Gesang, Schweben, Liebe: in kaum einem anderen Stück habe ich mich diesen Topoi so hemmungslos gewidmet wie in diesem meinem Klarinettenquintett.“ Widmanns Quintett lebt aus der Erinnerung, nicht nur an die großen, tiefen, melancholischen Quintette vor seiner Zeit, auch an Franz Schubert und Alban Berg oder an eine Chaconne oder an den Fado: Es klingt wie die Heimkehr an einen Ort, der nicht mehr wiederzufinden ist. „Sehnend“ lautet eine Vortragsbezeichnung – die Sehnsucht nach der verlorenen Schönheit? Aber es gibt einen Umschlagspunkt, beinah wie in Schumanns letzten Tagen, als der Komponist Engel zu hören glaubte, um im nächsten Augenblick von imaginären Dämonen und Hyänen gequält zu werden. „Engelhaft“, dieses Wort steht in Widmanns Partitur, bevor das Paradies in einen Höllenlärm umschlägt, mit einem grellen Flatterzungen-Ton der Klarinette. Auch die geisterhaften Multiphonics, die sonderbar jenseitigen, schwebend schönen Mehrklänge der Klarinette, kehren als hässliche, grässliche Wiedergänger ihrer selbst zurück, als wilde „Elefantenschreie“. Eine verführerische Folge von Walzern zieht vorüber, „wienerisch“, „etwas halbseiden“, „selig wiegend“, „amoroso“. Und doch lässt sich nicht verkennen, dass die Sehnsucht nach Schönheit, dass die Nostalgie, die Melancholie ihren Preis fordern, als müsse der „hemmungslose“ Traum von Gesang und Liebe unweigerlich mit einem Albtraum bezahlt werden. Oder als wäre mit dem lebenslangen Wunsch, ein Klarinettenquintett zu schaffen, zugleich ein Verbot berührt, ein Siegel gebrochen, eine Grenze überschritten. „Reglos verharren“ steht als letzte Anweisung in der Partitur. Die Musik entzieht sich und lässt uns mit dem
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Nichts zurück, das überhaupt erst der Grund ist, Musik zu schreiben, zu spielen und zu hören.
Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur für Tageszeitungen, Rundfunkanstalten, die Festspiele in Salzburg, Luzern und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, Schallplattengesellschaften und Opernhäuser. Er verfasste mehrere Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption, über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler.
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Reconciliation and Reimagining Music by Purcell, Britten, and Widmann
Gavin Plumley
Benjamin Britten left the United Kingdom for North America in April 1939. He was to remain absent from his homeland for much of World War II, with his years in self-selected exile proving crucial. Although the composer was already living with tenor Peter Pears, the man who was to be his partner for life, their time away from the pressures and prejudices of home allowed Britten to reconcile himself to his sexuality. He also composed prolifically, writing in various genres, including his first attempt at opera, the somewhat uneven but ingenious Paul Bunyan, created with another gay exile, W. H. Auden. And Britten was, at a suitable distance, also able to re-examine his relationship with the musical traditions of his native country. As a student in London under John Ireland and Frank Bridge, Britten had been caught between the introverted pastoralism of the former and the more international outlook of the latter. Consequently, these poles were to play out in Britten’s own music, as well as in his highly critical response to Vaughan Williams as opposed to his more immediate interest in the Second Viennese School. Britten had even hoped to study with Alban Berg, whose death at the end of 1935 was a moment of sharp grief and disappointment. Fundamentally, however, Britten’s inner debate was concerned with how he might carve out his own niche and reconcile himself to the English tradition. Eventually, that resolution came by going even further back in time, principally to the work of Henry Purcell.
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Given the sheer preponderance of vocal music within Britten’s output, Purcell would initially represent a benchmark of “brilliance, freedom, and vitality” when it came to setting the English language. The young composer learned as directly as he could from his 17th-century example, creating the first of a series of “realizations” of Purcell’s songs and operatic arias for voice and piano, which began to appear in Britten’s wartime recitals with Pears, alongside various new folksong arrangements. But Purcell’s influence was to prove much more profound, pervading not only the vocal music in its style of declamation but also Britten’s wider output. Most obvious was the use of the Rondeau from Purcell’s incidental music to Abdelazer in The Young Person’s Guide to the Orchestra of 1945, yet an enduring interest in the ground-bass forms of the instrumental works, including the chaconne and passacaglia, is present in Britten’s music right up to his death in 1976. The arrangement of the Chacony in G minor, “for string quartet or string orchestra,” was begun in the winter of 1947–8, by which time Britten was back in England. It was first performed by Collegium Musicum Zürich in the Swiss city on January 30, 1948. In 1963, the year after the premiere of the War Requiem, Britten decided to revise the score for a concert given by the London Symphony Orchestra at the BBC Proms to mark the composer’s 50th birthday. Programmed alongside the Cantata misericordium, which was receiving its UK premiere, as well as the Sinfonia da Requiem and the ebullient Spring Symphony, the Chacony in G minor would have struck a markedly antique note. The original was probably composed by the young Purcell when, in September 1677, possibly around his 18th birthday, he became “Composer for the Violins” at the court of Charles II, replacing the late Matthew Locke. It was a prestigious appointment, though Purcell appears to have spent more time composing sacred works. This Chacony therefore represents a rare survival of purely instrumental music for the King’s violin band, even if Britten thought the piece, unfolding over 18 variations, had originated in the theater, “most likely a tragedy, judging by the serious and severe nature of the music.”
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Equally thoughtful was the subject of Britten’s own last work for the stage: Death in Venice. Indeed, the composer was born to adapt Thomas Mann’s famous novella as an opera. By the time he asked his now regular collaborator Myfanwy Piper to write a libretto on the subject, in September 1970, Britten had been pondering the idea for quite some time. Unsurprisingly, the tension between public persona and private thought, to say nothing of the palpably homoerotic content of the original, even embracing the taboo of pubescent sexuality, drew music of incredible pathos from Britten, with Pears, his partner of over 30 years, in the principal role of Gustav von Aschenbach. The opera was truly the culmination of a life’s work. Its completion was, however, not the end of the story. Two years after its successful 1973 premiere at Snape Maltings as part of that year’s Aldeburgh Festival, Britten began a further reflection on the theme, now in chamber-music form. The Amadeus Quartet managed to play the resulting pendant to the opera, the Third String Quartet, to the ailing composer at home at Red House in Aldeburgh on September 28, 1976, though Britten died shortly before its public premiere, also given at Snape, that December. Begun in Aldeburgh, work on the score continued during Britten’s final trip to Venice, a city he had long loved, not least as the site of the world premiere of The Turn of the Screw. The Quartet is cast in five movements, beginning with “Duets,” an oscillating study in two-part textures, with passages of imitation and heterophony, together offering a vivid distillation of the opposing forces in Mann’s story (and Britten’s opera). The briefer second movement, “Ostinato,” is abrupt, with a central cell featuring a jarring seventh. While the figure is present throughout the movement, Britten does turn down a more reflective path, with the two moods jostling for our attention. “Solo” is the keystone of the entire Quartet, its sparse cantilena offering an obvious contrast to the bipartite textures of the first movement. Indeed, the outer movements provide mirrors or satellites to this central confession. It is characterized by music of great poignancy, though the underlying tonality of C major—Britten’s favored key, with all its claims, specious and otherwise, to purity— and an unruffled dynamic suggest resignation. Sudden energy provides a burst of sunshine in the middle section, here inverting the contrasts of the second movement, before coming to rest on the tonic, now decorated with fluting harmonics. The fourth movement
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follows the model of a minuet and trio, thereby providing another tripartite structure within the work’s overarching form. Finally, the waters of the Venetian lagoon lap against the last movement, “La Serenissima.” This crucial declaration, citing various passages from Britten’s last opera in its opening Recitative, was composed at the Hotel Danieli in November 1975. But it is the bells of the Church of Santa Maria della Salute, visible—and, indeed, audible—from Britten’s hotel room, that provide the basis for a final passacaglia. Slowly, the structure, which harks back to the composer’s fascination with Purcell, moves from Britten’s C major to E major —the key associated with Mann’s “master writer.” Though whether the ensuing hush offers closure or, indeed, reconciliation remains untold, as “a shocked and respectful world received the news of his decease.”
Born in Munich, Jörg Widmann has very different traditions to reconcile, though there are surprising commonalities with Britten —not least, in this context, the Bavarian roots of Aschenbach, the “master writer.” Widmann might, of course, have decided to pursue a more scorched-earth approach, preferring not to look back at the vast Germanic repertoire behind him, but as a clarinetist and conductor—a performer in the widest sense—such an option was impossible. Nonetheless, embracing tradition is not without its problems, especially when it comes to writing a clarinet quintet, a genre that is “a special undertaking for any composer,” according to Widmann. It requires judicious acknowledgment of the works of Mozart and Weber and, later, Brahms and Reger. “These masterpieces have accompanied me throughout my life and still provide a never-ending source of eternal joy and understanding in their profundity, melancholy and master craftsmanship.” But while any such salute would be highly involved, this “magic genre” is even more freighted for a clarinetist-composer. In 2009, Widmann began writing his own contribution, but, as he explained, “my humility and admiration for these masterpieces brought my life project clarinet quintet to a temporary halt. Music history which had otherwise brought me the greatest pleasure in my invention of new and different music suddenly appeared as a great burden.” He consequently decided to abandon the work; it was not so much a matter of writer’s block, given the preponderance of other compositions on his desk at the time, but specifically 16
c entered around the work in question, which Widmann left “even more at a loss than before.” In 2017, however, after completing the original version of his opera Babylon, Drittes Labyrinth, Trauermarsch, his Viola Concerto, the clarinet chamber work Es war einmal… with viola and piano, and his oratorio ARCHE, among other compositions, Widmann was able to return to the plans. “I immediately sensed that the long wait had been worth it, I felt that the music was simply pouring out of me.” In April 2017, the Quintet finally saw the light of day in a world premiere given by the composer and the Hagen Quartett in Madrid, with further performances across Europe and in New York. Its Pierre Boulez Saal premiere followed in January 2018, when it was programmed alongside one of Widmann’s professed touchstones: Mozart’s Clarinet Quintet in A major. Over its long gestation, Widmann had written what he describes as a “single 40-minute Adagio in which the initial tempo marking ‘Lento assai’ could stand as a program for the entire work.” Through- out, the musical material is concentrated. The piece opens with an audible effect from the four members of the string quartet, created by lightly pressing the bow against the strings and immediately releasing it, in order to deliver a soft, very fast, and, if possible, cracking staccato-like noise. It is against this that the clarinet sounds its first gesture: a bare fifth, perhaps looking back to the contours of the initial phrase of the Mozart. The bareness, however, continues, both in the droning fifths that pass through the texture as part of the whole work’s Klangfarbenmelodie exchange and in the music’s prevailing dynamic. Occasionally, this rises to points of impassioned crisis, or what Widmann calls “a handful of outbreaks.” There are also moments suggesting cantabile ease, marked to be “sung out broadly,” though the Quintet largely proceeds “in an equally fascinating and perilous intermediate area between stasis and flux.” Evanescence prevails, as Widmann presents themes of “song, floatation, and love.” And yet, even within the various waltzing passages, at one point marked to be played with a “Viennese-style folkloric tone, numerous portamentos, somewhat shadily,” any hint of slavish homage, including to Brahms’s autumnal nightingale and Mozart’s “Stadler” Quintet, is kept in check by statements of passing but searing violence. “Tradition,” as another Viennese composer once explained, “is not the worship of ashes, but the preservation of the fire.”
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Gavin Plumley is a writer and broadcaster specializing in the music and culture of Central Europe. He appears frequently on the BBC and writes for newspapers, magazines, and opera, concert, and festival programs worldwide. He also commissions and edits the English-language program notes for the Salzburg Festival.
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Heath Quartet Das Heath Quartet wurde 2002 am Royal Northern College of Music in Manchester gegründet. Gefördert u.a. durch ein Stipendium des BorlettiBuitoni Trust, war das Quartett 2013 das erste Ensemble seit 15 Jahren, das mit dem Young Artists Award der Royal Philharmonic Society ausge zeichnet wurde. Daran schlossen sich Auftritte in vielen wichtigen Musik zentren weltweit an. Regelmäßig arbeitet das Heath Quartet dabei mit zeitgenössischen Komponistinnen und Komponisten wie Hans Abrahamsen, Helen Grime, Louis Andriessen, Brett Dean, Sofia Gubaidulina, Thomas Larcher und John Musto zusammen, dessen Another Place es gemeinsam mit der Sopranistin Carolyn Sampson in
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der Londoner Wigmore Hall zur Uraufführung brachte. Zu den musikalischen Partnern des Ensembles zählen außerdem Anna Caterina Antonacci, James Baillieu, Ian Bostridge, Adrian Brendel, Stephen Hough, Mark Padmore und das Tokyo Quartet. Im Pierre Boulez Saal präsentierten die vier Musikerinnen und Musiker bisher die Streichquartette Nr. 1 bis 5 von Jörg Widmann sowie Werke von Britten, Ravel und Schönberg. Das Heath Quartet hat eine Reihe hochgelobter Einspielungen vorgelegt, darunter sämtliche Streichquartette von Bartók und Sir Michael Tippett. Für letztere Aufnahme erhielten das Ensemble 2016 einen Gramophone Award. Das jüngste, in wenigen Wochen erscheinende
lbum des Quartetts enthält Werke A der Zweiten Wiener Schule. Im Sommer 2021 löste Violinistin Marije Johnston Gründungsmitglied Oliver Heath ab und leitet das Ensemble seitdem gemeinsam mit Sara Wolstenholme. Im heutigen Konzert übernimmt Natalia Klouda (Violine) den Part der erkrankten Marije Johnston.
The Heath Quartet was founded in 2002 at the Royal Northern College of Music in Manchester. A recipient of the Borletti-Buitoni Ensemble Scholarship, the quartet was the first ensemble in 15 years to win the Royal Philharmonic Society’s Young Artists Award in 2013 and has since appeared at many major chamber music venues around the world. The Heath Quartet frequently collaborates with con temporary composers such as Hans Abrahamsen, Helen Grime, Louis Andriessen, Brett Dean, Sofia Gubaidulina, and John Musto, whose Another Place the group premiered together with soprano Carolyn Sampson at London’s Wigmore Hall. Among the Heath Quartet’s other musical partners are Anna Caterina Antonacci, James Baillieu, Ian Bostridge, Adrian Brendel, Stephen Hough, Mark Padmore, and the Tokyo Quartet. At the Pierre Boulez Saal, the ensemble previously performed Jörg Widmann’s first five string quartets and works by Britten, Ravel, and Schoenberg. The Heath Quartet’s acclaimed recordings include the complete string quartets of
Bartók and Sir Michael Tippett, the latter having received a Gramophone Award in 2016. Their latest album, to be released in a few weeks, includes music of the Second Viennese School. In the summer of 2021, Marije Johnston became the ensemble’s new joint leader, alongside Sara Wolstenholme, when founding member Oliver Heath left the quartet. In tonight’s concert, Natalia Klouda joins the Heath Quartet on violin, replacing Marije Johnston, who is ill.
Jörg Widmann Als Interpret wie als Komponist zählt Jörg Widmann zu den herausragenden Musikern der Gegenwart. Geboren 1973 in München, studierte er Klarinette an der Hochschule für Musik und Theater seiner Heimatstadt und an der Juilliard School in New York sowie Komposition bei Wilfried Hiller, Hans Werner Henze, Heiner Goebbels und Wolfgang Rihm. Als Klarinettist beschäftigt er sich vor allem mit Kammermusik und arbeitet regelmäßig mit Partnerinnen und Partnern wie Daniel Barenboim, Sir András Schiff, Tabea Zimmermann, Mitsuko Uchida und dem Hagen Quartett zusammen. Komponisten wie Wolfgang Rihm, Aribert Reimann und Heinz Holliger widmeten ihm neue Werke. Er war Artist in Residence bei internationalen Festivals und Institutionen wie den Salzburger Festspielen und dem
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ucerne Festival, am Wiener Konzert L haus, beim Cleveland Orchestra und beim WDR Sinfonieorchester. In der Spielzeit 2019/20 hatte er den Richard and Barbara Debs Composer’s Chair an der Carnegie Hall in New York inne. Seit einigen Jahren wirkt Jörg Widmann auch als Dirigent; 2017 übernahm er die Position des Principal Conductor beim Irish Chamber Orchestra. Er ist Inhaber des Edward W. Said-Lehrstuhls für Komposition an der Barenboim-Said Akademie und dem Pierre Boulez Saal seit seiner Eröffnung eng verbunden. Zuletzt wurden hier 2019 sein Labyrinth IV für Sopran und Ensemble sowie (im Rahmen des digitalen Festival of New Music) im Juli 2020 die Ensemblekomposition empty space uraufgeführt. As a composer and performer, Jörg Widmann is among the most acclaimed musicians of our time. Born in Munich in 1973, he studied clarinet at his hometown’s Hochschule für Musik und Theater and at the Juilliard School in New York and composition with Wilfried Hiller, Hans Werner Henze, Heiner Goebbels, and Wolfgang Rihm. As a clarinetist, he is an active
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chamber musician and regularly performs with artists including Daniel Barenboim, Sir András Schiff, Tabea Zimmermann, Mitsuko Uchida, and the Hagen Quartett. Composers such as Wolfgang Rihm, Aribert Reimann, and Heinz Holliger have written new works for him. He has been artist in residence at international venues and institutions, among them the Salzburg and Lucerne festivals, the Vienna Konzerthaus, the Cleveland Orchestra, and Cologne’s WDR Symphony. In the 2019–20 season, he held the Richard and Barbara Debs Composer’s Chair at Carnegie Hall in New York. Over the past several years, Jörg Widmann has also made a name for himself as a conductor, taking over the position of principal conductor with the Irish Chamber Orchestra in 2017. He holds the Edward W. Said Chair as Professor of Composition at the Barenboim-Said Akademie and has been closely associated with the Pierre Boulez Saal since its opening. Most recently, his Labyrinth IV for soprano and ensemble (2019) and the ensemble work empty space (2020, as part of the digital Festival of New Music) had their world premieres here.
QUARTETT-WOCHE 2022 28. Mai – 6. Juni 5. Juni 18.00 SIGNUM QUARTETT So
6. Juni 18.00 ARDITTI QUARTET & JAKE ARDITTI Mo
7. Juni 19.30 ALINA IBRAGIMOVA & CÉDRIC TIBERGHIEN Di
9. / 10. Juni AUSTRALIAN ART ORCHESTRA
Der Vorverkauf für die Saison 2022/23 beginnt am 23. August. Informationen & Tickets boulezsaal.de +49 30 4799 7411 23
Impressum Herausgeber Pierre Boulez Saal Präsident Daniel Barenboim Intendant Ole Bækhøj Redaktion Philipp Brieler, Christoph Schaller Gestaltung Annette Sonnewend Marketing Kurt Danner
Textnachweise Die Einführungstexte von Wolfgang Stähr und Gavin Plumley sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Abbildungsnachweise Radierungen von James McNeill Whistler, Cleveland Museum of Art (S. 4, 15 ) und Freer Gallery of Art Washington, D. C. (S. 10/11, 16) • Werner Rackwitz (Hg.), Il caro sassone. Georg Friedrich Händel – Lebensbeschreibung in Bildern, Leipzig 1986 (S. 7) • The Britten-Pears Foundation (Hg.), Britten in Pictures, Suffolk 2012 (S. 8, 19) • Marco Borggreve (S. 22) • Patrick Ford (S. 24) Im Fall bestehender und nicht berücksichtigter Urheberrechte bitten wir den oder die Rechteinhaber um Nachricht.
Herstellung Druckhaus Sportflieger, Berlin Programmheft Nr. 73 der Saison 2021 /22 Redaktionsschluss: 30. Mai 2022 Verantwortlich für das heutige Konzert Künstlerische Planung und Produktion Kirsten Dawes Projektmanagement Gosia Cnota Veranstaltungstechnik Oliver Klühs Produktion und Inspizienz backlight! GmbH Pierre Boulez Saal Barenboim-Said Akademie gGmbH Rektorin Regula Rapp Geschäftsführer Carsten Siebert Französische Straße 33d 10117 Berlin