Boulez Ensemble XLV

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Boulez Ensemble XLV Einführungstext von Wolfgang Stähr Program Note by Richard Bratby


BOULEZ ENSEMBLE XLV Freitag

1. Juli 2022

19.30 Uhr

Matthias Pintscher Musikalische Leitung Nathalia Milstein Klavier Claudia Stein Flöte, Piccoloflöte Leonid Grudin Flöte, Bassflöte Julia Obergfell Oboe Tibor Reman Klarinette Jussef Eisa Klarinette, Kontrabassklarinette Miri Saadon Bassklarinette Ingo Reuter Fagott Aziz Baziki Fagott, Kontrafagott Ben Goldscheider, Sebastian Posch Horn Alper Çoker Trompete Filipe Alves Posaune Elias Aboud, Roman Lepper, Adrian Amir Salloum Schlagzeug Aline Khouri Harfe Holger Groschopp Klavier, Celesta, Harmonium Klaus Sallmann Klavier Jiyoon Lee, Krzysztof Specjal, David Strongin, Kerem Tunçer, Mariana Lopes, Sarah Jégou-Sageman, Jamila Asgarzade, Ayda Demirkann Violine Volker Sprenger, Sindy Mohamed, Özüm Şemis Viola Astrig Siranossian, Alexander Kovalev Violoncello Anton Kammermeier Kontrabass


Richard Wagner (1813–1883) Siegfried-Idyll (1870) Ruhig bewegt – Leicht bewegt – Lebhaft – Sehr ruhig

Matthias Pintscher (*1971) NUR für Klavier und Ensemble (2018) I. lightly, floating II. sospeso, sospirando III. erratico, con durezza

Pause

Anton Webern (1883–1945) Konzert für neun Instrumente op. 24 (1931–34) I. Etwas lebhaft II. Sehr langsam III. Sehr rasch

Arnold Schönberg (1874–1951) Fünf Orchesterstücke op. 16 (1909) Fassung für Kammerorchester (1920) I. Vorgefühle II. Vergangenes III. Der wechselnde Akkord (Der Traunsee am Morgen) IV. Peripetie V. Das obligate Rezitativ

Detaillierte Angaben zu den Besetzungen der einzelnen Werke finden Sie auf Seite 28/29. For a detailed list of musicians performing in the individual works, turn to page 28/29.

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Was bleibt nach dem Feuer Musik von Wagner bis Pintscher

Wo l f g a n g S t ä h r

Ohne Worte „Es ist ein Verhängnis, daß die größten Komponisten ihre Werke für diese Sau-Anstalt von Theater schreiben mußten, die ­ihrer Art nach jede Vollkommenheit ausschließt“, ereiferte sich Gustav Mahler, der als geprüfter Kapellmeister und Wiener Hofoperndirektor wusste, wovon er sprach. In diese Klage hätte wohl auch Richard Wagner selbst eingestimmt, jedenfalls in den finsteren Stunden seiner historischen Mission. „Ach, es graut mir vor allem Costüm- und Schminke-Wesen“, gestand er verbittert ein. Überaus unangenehm fühlte er sich an die „ekelhaften Künstlerfeste“ mit ­ihrem Mummenschanz erinnert, wenn er die Produktionen der zeitgenössischen Opernhäuser zu Gesicht bekam: „Und nachdem ich das unsichtbare Orchester geschaffen, möchte ich auch das ­unsichtbare Theater erfinden!“ Am 25. Dezember 1870, als sie ihren 33. Geburtstag feierte, in der Tribschener Villa südlich von Luzern, notierte Cosima Wagner im Tagebuch: „Wie ich aufwachte, vernahm mein Ohr einen Klang, immer voller schwoll er an, nicht mehr im Traum durfte ich mich wähnen, Musik erschallte, und welche Musik! Als sie verklungen, trat R[ichard] mit den fünf Kindern zu mir ein und überreichte mir

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die Partitur des ‚Symphonischen Geburtstagsgrußes‘–, in Tränen war ich, aber auch das ganze Haus; auf der Treppe hatte R. sein Orchester gestellt und so unser Tribschen auf ewig geweiht! Die ‚Tribscher Idylle‘ so heißt das Werk.“ Unter strengster Geheim­ haltung hatte es Wagner für seine Frau komponiert, eine intime Huldigungsmusik, der er Themen und Motive aus seinem wenige Wochen später abgeschlossenen Siegfried zugrunde legte. Der nachträgliche Titel Siegfried-Idyll bewahrt aber zugleich die Hommage für Cosima, die Mutter des am 6. Juni 1869 geborenen ­Sohnes Siegfried „Fidi“ Wagner. Überwältigt von dem unerwarteten Geschenk fühlte sich Cosima zu dem Ausruf „Laß mich sterben“ hingerissen. Und Wagner entgegnete ihr: „Es war leichter, für mich zu sterben als für mich zu leben.“ Das Orchester der „Treppenmusik“, die ursprünglich den scherzhaft familiären Namen „Tribschener Idyll mit Fidi-Vogelgesang und Orange-Sonnenaufgang“ erhielt, andererseits mit dem lapidaren und ehrwürdigen Titel „Symphonie“ überschrieben war, bestand bei der weihnachtlichen Geburtstagspremiere aus nur 13 Instrumentalisten der Züricher Tonhalle, mitsamt dem Dirigenten Hans Richter als Gelegenheitstrompeter. Später erst wurde die Besetzung orchestraler und symphonischer, als Wagner das Idyll zur Publikation vorbereitete, unter Cosimas unverhohlener Missbilligung, die sich um ihren privaten Schatz betrogen fühlte: „Ich sage ihm, daß es mir schrecklich wäre, dieses Werk der Öffentlichkeit hingeliefert zu ­sehen“ – dieses Werk, mit seinen Selbstzitaten, den unausgesprochenen Liebeserklärungen, dem eingewobenen Wiegenlied („Schlaf, Kindchen, schlafe“ in der Oboe), das unsichtbar bleiben sollte, zu schön, um ausgestellt, zu intim, um vorgeführt zu werden. Und das sich zuweilen aufzulösen scheint im Klanggewebe und neben der jubilierenden auch eine ganz verschwiegene, herzklopfende Seite kennt: die subtilste Musik, ohne Kostüm und Schminke. Verschwiegene Worte „Ich strebe an: Vollständige Befreiung von allen Formen. Von allen Symbolen des Zusammenhangs und der Logik. Also: weg von der ‚motivischen Arbeit‘. Weg von der Harmonie, als Zement oder Baustein einer Architektur. Harmonie ist Ausdruck und nichts ­anderes als das.“ Dieses bilderstürmerische Manifest – nicht das ­einzige seiner Art in den wilden Jahren der Moderne – findet sich

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in einem Brief, den Arnold Schönberg im August 1909 an Ferruccio Busoni richtete. „Meine Musik muß kurz sein“, betonte der Wiener Komponist. „Knapp! in zwei Noten: nicht bauen, sondern ‚aus­ drücken‘!! Und das Resultat, das ich erhoffe: keine stilisierten und sterilisierten Dauergefühle. Das gibts im Menschen nicht.“ Im selben Monat, da er diese bekenntnishaften Zeilen niederschrieb, voll­ endete Schönberg auch das letzte seiner als Opus 16 gedruckten Fünf Orchesterstücke. Schon der absichtsvoll spröde gewählte Werktitel verheißt das radikale Anti-Programm dieser Kompositionen, die „absolut nicht symphonisch“ konzipiert seien, wie Schönberg dem Kollegen Richard Strauss darlegte, von dessen Fürsprache er sich (vergebens) eine Aufführung in Berlin versprach. „Bloß ein ununterbrochener Wechsel von Farben, Rhythmen und Stimmungen“ zeichne die Stücke aus. Das Leipziger Verlagshaus Peters allerdings bestand auf Überschriften wenigstens für die einzelnen Sätze, und Schönberg gab dieser Forderung nach, wenngleich widerwillig. „Im ganzen die Idee nicht sympathisch. Denn Musik ist darin wunderbar, daß man alles sagen kann, so daß der Wissende alles versteht, und trotzdem hat man seine Geheimnisse, die, die man sich selbst nicht gesteht, nicht ausgeplaudert“, vermerkte Schönberg im Tagebuch. „Die Titel, die ich vielleicht geben werde, plaudern nun, da sie teils höchst dunkel sind, teils Technisches sagen, nichts aus. Nämlich: I. Vor­ gefühle (hat jeder), II. Vergangenes (hat auch jeder), III. Akkord­ färbungen (Technisches), IV. Peripetie (ist wohl allgemein genug), V. Das obligate (vielleicht besser das ‚ausgeführte‘ oder das ‚unendliche‘) Rezitativ. Jedenfalls mit einer Anmerkung, daß es sich ums Verlagstechnische und nicht um den ‚poetischen Inhalt‘ handelt.“ Als er die Partitur 1920 für Kammerorchester reduzierte, versah er das dritte Stück aber doch mit einem ausgesprochen malerischen, assoziationsreichen Namen, „Der Traunsee am Morgen“, der dem „technischen“ Experiment, der wechselnden Einfärbung und ­orchestralen Registrierung eines Fünftonakkords, eine idyllische Naturpoesie andichtet – oder vielleicht einen ursprünglichen Schaffensimpuls „ausplaudert“? Im Jahr 1909 jedenfalls lag der Versuch eines allein den Klang­ farben nachsinnenden Komponierens durchaus in der Luft (und keineswegs in der „von anderem planeten“). Ohnehin klingen die Fünf Orchesterstücke für unsere heutigen, durch manche Phasenwechsel der Avantgarde trainierten Ohren doch recht zeitgebunden, gerade in ihrem unbedingten Ausdruckswillen. Darin aber, in dieser

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unberechenbaren, oftmals erschreckenden Expressivität, nehmen sich die Stücke wie Seismogramme der fiebrigen Vorkriegsjahre aus, wie „Vorgefühle“ aufziehender Katastrophen und Albträume un­ geahnter, unbegriffener Verhängnisse: „Geheimnisse, die man sich selbst nicht gesteht“. Dieses Wort im höchsten Sinne Ursprünglich hatte Anton Webern mit dem Gedanken gespielt, bei Hans Pfitzner in Berlin zu studieren – aber das sollte nicht sein, das durfte nicht sein. „Kaum war ich in Berlin ist es mir ganz klar geworden, daß dies zu großer Unsinn sei und daß ich nach Wien zurückmüsse, um Ihr Schüler zu werden. Ich möchte Ihnen damit nur sagen, daß es mir ganz klar ist, daß für mich überhaupt nichts anderes möglich gewesen wäre, daß es einfach so kommen mußte“, beteuerte Webern in einem Brief an Arnold Schönberg, der sein Lehrer war, der für ihn bestimmte Meister und Mentor – und mehr als dies! „Liebster, so unendlich verehrter Freund“, schrieb er seinem Förderer und Entdecker, „wie macht es mich glücklich, Dich so ansprechen zu dürfen, wie ehrst Du mich durch diese Verbrüderung. Ich kann mich wirklich kaum fassen. Ich habe das Gefühl dieser Ehre nicht wert zu sein. Aber mir ist eingefallen, ich spreche doch auch Gott mit ‚Du‘ an. So will ich dieses Wort in diesem höchsten Sinne zu Dir sagen.“ Und noch im Alter von fast 30 Jahren verriet Webern seinem Lehrer: „Das ist mein Glaube, daß Du absolut recht hast. Ich denke immer an Dich, wenn ich arbeite. Ich bin noch nicht mündig. Ich klammere mich an Deine gütig führende Hand – in allem. Mein teuerster Freund, es ist mir, als ob Du irgendwie Abschied genommen hättest von mir. Ich kann nicht allein sein. So wunderbar es mich auch berührt, daß Du mich sozusagen selbständig gemacht hast, es macht mich traurig. Ich bitte Dich inständigst, sei weiterhin mein Führer, schimpf ’ mich wieder ordentlich zusammen.“ Diese erstaunliche, in ihrer unterwürfigen Gebetshaltung allerdings auch erschreckende Anhänglichkeit an den gütig lenkenden, gerecht strafenden Freund und geistigen Vater bewies Anton ­Webern ein Leben lang. Von Anfang an war er in den Bann dieses missionarischen Musikers geraten, er hatte sich von Schönbergs prophetenhaftem Sendungsbewusstsein mitreißen lassen, seit er bei ihm in die Schule gegangen war – und das zunächst im buchstäblichen Sinne, denn der Unterricht begann 1904 tatsächlich in einer

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Schule, im Wiener Privatgymnasium der Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald. Bald jedoch verlagerten sich die erlesenen Lektionen in Schönbergs privates Domizil. In einem düsteren Zimmer zum Hof, bei offenem Fenster (selbst im Winter), formulierte er seine Theorien, mit heiserer Stimme und im Wiener Dialekt, ging auf und ab, ohne Unterlass, den Blick zu Boden gesenkt, rauchte eine Zigarette nach der anderen und verlor sich allmählich in Qualm und Halbdunkel, völlig seinen einsamen Gedanken hingegeben, fast wie in Trance – bis ihm endlich wieder seine Zuhörer in den Sinn kamen, seine andächtig lauschenden Schüler und Jünger. Ein Minimum an Worten Manche Kompositionen gleichen einem klingenden Tagebuch, sie ähneln tönenden Memoiren oder einer melodramatischen Selbst­inszenierung. Kunst und Biographie verwirren sich: „Mein Leben ist ein Roman, der mich sehr interessiert“, bekannte der Franzose Hector Berlioz. Andere Komponisten hingegen ergeben sich uralten kollektiven Überlieferungen, archaischen Ritualen oder dem zeitlosen Formenkanon der Liturgie. Wieder andere verpflichten sich auf strenge, objektive Prozeduren, sie unterwerfen sich einem Gesetz, das vor ihnen war und nach ihnen bleiben wird. Einem Naturgesetz vorzugsweise, dem Schöpferspruch, der die Welt im Innersten zusammenhält, der die Harmonie der Sphären regiert. Und der auch im musikalischen Mikrokosmos walten sollte. Der naturbegeisterte, von Blume, Gebirgsbach und Alpenpanorama inspirierte Anton Webern fand in Goethes Lehrgedicht von der Metamorphose der Pflanzen die Losung, nach der er seine Kom­positionskunst ausrichten wollte: „Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern; / Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz, / Auf ein heiliges Rätsel.“ In seinem Konzert op. 24, das Webern im September 1934 nach mehrjähriger, hingebungsvoller Arbeit vollendete und Schönberg zum 60. Geburtstag widmete, trieb er diesen schöpferischen Gedanken auf die Spitze: Er schrieb drei Sätze für drei mal drei Instrumente (drei Holzbläser, drei Blechbläser, drei Saiteninstrumente) und gründete das gesamte Werk mit beispielloser Radikalität auf drei Töne, die er nach den Regeln der Schönberg’schen Dodekaphonie drehte und wendete. Aus Grundgestalt, Krebs, Umkehrung und Krebsumkehrung dieser „Keimzelle“, dieser Dreitonkonstellation, entstand die Zwölftonreihe,

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die sich ihrerseits in denselben vier Erscheinungsformen entfaltet. „Was bedeutet das alles? – Das Bestreben höchster Zusammen­ fassung. Es ist alles aus Einem abgeleitet“, betonte Webern. „Immer verschieden und doch immer dasselbe! Wo immer wir das Stück anschneiden – immer muß der Ablauf der Reihe festzustellen sein.“ Und so deutet das Konzert auf ein geheimes Gesetz, auf ein heiliges Rätsel. Der italienische Komponist Luigi Dallapiccola beschrieb es als „ein Werk von unglaublicher Dichte (sechs Minuten Musik) und einmaliger Konzentration“: „Jegliches dekorative Element ist eliminiert“, vermerkte er am 4. September 1935, am Abend der Prager Uraufführung, in seinem Tagebuch. „Ich konnte mir noch keine präzise Vorstellung von dem Werk machen, es ist für mich zu schwer verständlich; es scheint aber ohne jede Frage eine ganze Welt darzustellen. Wir finden uns in der Gegenwart eines Mannes, der ein Maximum an Ideen durch ein Minimum an Worten ausdrückt.“ Ein einziges Wort Matthias Pintschers Klavierkonzert (das kein Klavierkonzert ist) trägt einen flammenden Namen: NUR heißt im Hebräischen wie im Arabischen „Feuer“ oder „Licht“. Diese sprachliche Einigkeit ist für sich schon ein Bekenntnis und ein Programm, bevor auch nur ein Ton erklungen ist, denn der Titel kommt einer Hommage an Daniel Barenboim gleich, für den Pintscher das Werk im Sommer 2018 komponierte, und feiert zugleich den zivilisatorischen und friedensstiftenden Gründungsgedanken des West-Eastern Divan Orchestra und der Barenboim-Said Akademie: die Idee der Ver­ brüderung im Wort, in der Musik, in der Kultur. „Ich stelle fest“, verrät Matthias Pintscher, „dass ich in den letzten Jahren immer stärker durch die Titel inspiriert wurde, die ich für meine Werke gewählt habe. Oder besser gesagt, von den Titeln, die mich ausgewählt haben, zusammen mit der Aufforderung, ihre Bedeutung durch meine eigene Klangwelt zu ergänzen. Manchmal hat ein ­einziges Wort oder eine Phrase eine Vertonung inspiriert, die mir unerwartet und unaufgefordert einfiel. Das ist das Schöne am Schaffensprozess: Das Gleichgewicht zwischen dem Rationalen, der Erfahrung und der Inspiration verschiebt sich ständig und führt ­einen manchmal zum ‚Unbekannten‘, zu Orten, von denen wir nichts wussten.“

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Pintschers NUR für Klavier und Ensemble evoziert alle denkbaren Daseinsformen des Feuers vom Fanal über die Stichflamme, den zündenden Funken, das Züngeln der Flammen, den Flächenbrand, die Explosion – bis zum Verlöschen im kurzen, heimlichen, nachtgrauen Mittelsatz, „wo die Asche spricht, was bleibt nach dem Feuer, in feinen zarten, isolierten Punkten“, wie Pintscher sagt. „Die ­Musik geht dorthin zurück, wo die Stille das eigentliche Ereignis ist.“ Insofern steht der Titel für das Leben, die Energie, die Vitalität, aber auch für deren versengende, verheerende, zerstörerische Auswirkungen, für die dunkle Seite der Schöpfung oder die destruktiven Konsequenzen der Kreativität. Von der Finsternis und dem Licht, vom Aufleuchten und Verglimmen, von den Schatten, dem Zwielicht, dem Halbdunkel handelt das ebenso furiose wie obskure Konzert. Doch es ist ja gar kein Klavierkonzert. Von dieser Versuchung, noch eines zu schreiben, nach Mozart, Beethoven, Tschaikowsky oder Rachmaninow, hielt Pintscher eine langjährige Blockade ab, eine Scheu vor der erdrückenden Traditionslast. Sie ließ ihn gleichwohl nicht zögern, sein Werk mit einem Hornruf zu eröffnen, ganz wie das Zweite Klavierkonzert von Brahms. Aber: „Das Solo­ instrument und das Ensemble sind Partner“, betont Pintscher. „Es gibt nicht ein Konzertieren im üblichen Sinne, sondern eine ­Begegnung auf Augenhöhe, ein echtes dialogisches Musizieren.“ Und noch über den Dialog des Einen mit den Anderen hinaus lässt Pintscher die Klänge und Stimmen ineinander übergehen, so dass aus dem Einen und den Anderen ein drittes Instrument entsteht. Oder dass die Töne des Klaviers im Ensemble fortklingen, nach­ hallen, mitschwingen, sich verwandeln, sich erneuern: Resonanz und Sympathie sind gleichermaßen menschliche wie musikalische Vorzüge. Am 20. Januar 2019 wurde NUR von Daniel Barenboim, dem Boulez Ensemble und Matthias Pintscher uraufgeführt: hier, im Pierre Boulez Saal. Die Musik kehrt an ihren Ursprung zurück.

Wolfgang Stähr, geboren 1964 in Berlin, schreibt über Musik und Literatur für ­Tageszeitungen, Rundfunkanstalten, die Festspiele in Salzburg, Luzern und Dresden, Orchester wie die Berliner und die Münchner Philharmoniker, Schallplatte­n­ gesellschaften und Opernhäuser. Er verfasste mehrere Buchbeiträge zur Bach- und Beethoven-Rezeption, über Haydn, Schubert, Bruckner und Mahler.

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An Entire World Works by Wagner, Schoenberg, Webern, and Pintscher

Richard Bratby

The thunderous popular stereotype of the music of Richard Wagner hardly bears repeating. The Siegfried Idyll contradicts it on every level—but then, it is a score that was never meant to be made public. In June 1869 Wagner’s lover Cosima von Bülow had given birth to their youngest son Siegfried. The following summer, her divorce was completed and the couple were finally married. Their first Christmas as a true family was spent at Wagner’s Villa Tribschen on the shores of Lucerne, and it so happened that Christmas Eve was also Cosima’s birthday, though they always celebrated it on Christmas Day. Here is Cosima’s own account of what happened that Christmas morning of 1870: “As I woke up, I heard a sound that grew louder and louder; I could no longer imagine I was dreaming—all about me music rang out—and what music it was! When it had faded, R. came into my room with all five children and presented me with the score of his ‘Symphonic birthday ­greetings’—I dissolved into tears; in fact the whole household did. R. had arranged his orchestra on the stairs, and thus consecrated our Tribschen for ever more!” This was the world premiere of the Siegfried Idyll—or, as Wagner originally christened it, “Tribschen Idyll, with Fidi- [their pet name for baby Siegfried] Birdsong and Orange Sunrise, presented as a

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symphonic birthday greeting to his Cosima by her Richard, 1870.” Written for just 13 players (all that could be fitted on the staircase and landing), it was not just a tender aubade. Each of its melodies had some personal meaning. Many were taken from Wagner’s uncompleted music drama Siegfried—the first theme is the so-called “motif of love’s peace,” the second (on flute) is the theme of ­“enchanted sleep.” Later there is the rising, hymn-like theme known in the opera as “Siegfried, hope of the world.” There is also an old German cradle song (solo oboe), and, appropriately enough for a piece written to be played at daybreak, a magical sprinkling of woodland birdsong. Cosima would have known every motif ­intimately. So this is not just a patchwork of Wagnerian highlights, but an adoring and extremely personal musical love letter from the composer to the mother of his children. Both were heartbroken when, eight years later, financial pressures forced them to sell it—“the ­secret treasure is to become public property,” sighed Cosima. It is often played today by a full orchestra, and in its original scoring it can feel, at times, almost too personal. After all, we are eavesdropping.

In a 2017 interview, Matthias Pintscher was asked, “Do you compose when you’re experiencing strong feelings?” “Never,” replied Pintscher. “There are no tears when you’re writing. Before or after, maybe, but not during. You’re searching. For me it’s like Japanese calligraphy. All the inspiration and preparation goes towards the moment when you dunk your brush into the ink, and you execute the stroke, the sign, the gesture. Maybe you prepare two days or 20 years for it. But you can’t alter it. It’s done. And it represents some sort of perfection. Even if there’s only a hint of perfection in that gesture, it’s valid.” The sensation of emotion recollected—and imprinted—in ­tranquility is evident throughout the three movements of NUR, a chamber concerto for piano and ensemble composed in 2018 and premiered by Daniel Barenboim and the Boulez Ensemble at the Pierre Boulez Saal on January 20, 2019. That the emotion is real, indeed, that it can burn, is beyond question: “nur” is the Hebrew-­ Arabic word for fire and light (it is also an Arabic given name,

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a­ pplicable to male and female alike), and it seems reasonable to suppose that the work was the result of the kind of extended inner search Pintscher describes. Not so. “To be honest, I felt I had nothing to contribute to the [concerto] repertoire,” he told an interviewer shortly before the premiere. “Then, suddenly, everything seemed to align. It turned out to be one of the pieces I’ve most naturally been able to put down on paper,” he says, and NUR was written in a matter of weeks in the summer of 2018. “My main inspiration for the title was that it could comprise multiple layers and represent various forms of fire, all sorts of states,” Pintscher told the writer Thomas May shortly before the premiere; he went on to speak of the contrast between the “metallic brilliance” of the piano and, beneath and around it, the “shadow sound” of the chamber ensemble. “The piano rises up from this acoustically dark space,” says Pintscher. This is a concerto conceived less as a contest or display piece than a “dialogue between this metallic instrument and what it elicits in the sonic realm of the orchestra.” In part, that is down to his perception of Barenboim’s own “intellectual acuity and at the same time incredible spontaneity.” But there is a whole imaginative world underpinning the work’s subtle (yet often dazzling) superstructure: fire is both elemental force and the enabler (and destroyer) of civilization. If the work’s opening horn calls (“lontano”—from a distance), or the doom-laden rumblings and “sighing” canto sospeso of the central movement (with its title half-remembered from Luigi Nono’s lament for a time of conflict) evoke deeper and more complex memories, that, after all, is simply how art works. And perhaps the spirit (though certainly not the letter) of Wagner’s trickster Loge is present in the erratico ­finale: uniting past and present, playfully creating even as it destroys and leaving behind sparks that smolder in the memory—ever ready to burst back into imaginative flame.

“Consider what moderation is required to express oneself so briefly. You can extend every glance out into a poem, each sigh into a novel. But to express a whole novel in a single gesture, a joy in a single indrawn breath—such concentration is only possible in proportion to the absence of self-pity.”

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The preface that Arnold Schoenberg contributed when Anton Webern’s Six Bagatelles were published by Universal Edition in 1924 stands as the definitive statement on Webern’s mature music. Schoenberg’s support, both artistic and practical, for his restless, radical disciple was unstinting and enduring. It is understandable, then, that Webern should have dedicated his Concerto for Nine ­Instruments to Schoenberg, as a tribute on the older man’s 60th birthday. It had begun life in 1931 as a projected orchestral work; by its completion, in September 1934, he had refined it into a three-­ movement Concerto, not (as the title and the presence of the piano might imply) in the classical sense of a work for soloist and ensemble, but in the Baroque sense of a work in which diverse instruments (here, flute, oboe, clarinet, trumpet, horn, trombone, violin, viola, and piano) move together in concert. The Concerto’s concentration is even more potent than in ­Webern’s previous works: the opening 12-note row is immediately spread between oboe, flute, trumpet, and clarinet in groups of three notes apiece (Schoenberg, after all, was celebrating his three score years). You do not have to know that these four microgroups of three notes are themselves the retrograde inversion, retrograde, and inversion of the initial three notes. Indeed, to worry unduly about Webern’s meticulous intellectual process might even be counter­ productive—the music’s logic is as audible as its clarity, its concentration, and its jewel-like colors. That sense of color assumes an ­intense poetry in the second movement (Sehr langsam), as the ­instruments quietly assemble a single, expressive melodic line over a ghost of a piano continuo. And the individual cogs of this supremely efficient music turn and mesh together to develop an energetic ­forward momentum in the finale (Sehr rasch). The Concerto was premiered at the ISCM Festival in Prague in September 1935, where the young Italian composer Lugi Dalllapiccola was in the audience. “Every decorative element has been eliminated” he wrote in his ­diary. “I could not form a precise idea of the work … however, it seems to represent, without question, an entire world.”

In the autumn of 1918, Schoenberg and Webern conceived the idea of a “Verein für musikalische Privataufführungen” (Society for Private Musical Performances) in Vienna. The prospectus was strict: no applause was permitted, critics were inadmissible. They

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aimed as high as was possible in those straitened years: “From Mahler and (Richard) Strauss to the very youngest, the total spectrum of modern music is to be represented. In addition to songs, piano pieces, and chamber music, choral and orchestral works will be considered for performance. These last, while the Society does not presently have the means to perform them in their original form, can, for the time being, be reproduced only as arrangements for chamber orchestra (string quintet, piano, harmonium, flute, clarinet, etc.) or in specially adapted arrangements for piano four-to-eight hands.” Between 1919 and 1922 (when funds ran out), the Society performed more than 150 works—including chamber versions of a wide spectrum of contemporary orchestral classics, ranging from Mahler’s Fourth Symphony to Debussy’s Prélude à l’après-midi d’un faune, in chamber arrangements by members of the Society including Hanns Eisler, Erwin Stein, and Benno Sachs as well as Alban Berg and Webern. Schoenberg made this chamber version of his own Five Pieces for Orchestra Op. 16 for a guest appearance by the Society at the Mozarteum in Prague, on March 13, 1920. Determined to avoid any appearance of self-aggrandizement, Schoenberg had excluded his own works from the Society’s Viennese concerts, but since the Prague music lovers who had extended the invitation had specifically requested to hear some of his music, he temporarily rescinded the ban: “Since in Prague the reasons that prevent me from performing my own music in Vienna do not apply, I was able to comply with this wish.” The Five Pieces had enjoyed a checkered career since their completion in the summer of 1909, when Schoenberg had described them to Richard Strauss as “short orchestra pieces (between one and three minutes long), not cyclically related.” (“I am expecting colossal things of them, sound and mood especially,” he continued. “That is all they are about: absolutely not symphonic—precisely the opposite—no architecture, no structure. Merely a bright, uninterrupted interchange of colors, rhythms and moods.” Strauss demurred; the Pieces were not heard complete until a performance by Sir Henry Wood at one of his Promenade Concerts in London in ­September 1912. Eight years later in Prague, Schoenberg was assured at least of a sympathetic hearing, if not a full orchestra (the arrangement utilizes wind quintet plus string quintet, supported by piano and harmonium). The performance went well, according to Webern, but the score

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was subsequently lost in the political chaos around the Kapp Putsch in Germany—though Schoenberg was enthusiastic when his ­publisher Peters offered to issue a reconstructed version in 1924: “a good arrangement can contribute a lot to the understanding and thus to the dissemination of this work.” Under pressure from Peters, he had appended titles to each movement, and for Prague he subtly amended them: the third, in particular, became “Der wechselnde Akkord (Der Traunsee am Morgen)” (The shifting chord—Lake Traunsee in the morning). We are free to use these images, or not, as we prefer, though Schoenberg was always clear that the music— and the individual emotional response—must be paramount. “The wonderful thing about music is that one can say everything so that sensitive people understand it, and yet it can retain its secrets. ­Besides which, the music has said what had to be said. What need, then, for words?”

Richard Bratby lives in Lichfield, UK, and writes about music and opera for The Spectator, Gramophone, BBC Music Magazine, and The Arts Desk. He is the author of Forward: 100 Years of the City of Birmingham Symphony Orchestra.

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