Waed Bouhassoun & Orpheus XXI

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19. November 2022

WAED BOUHASSOUN & ORPHEUS XXI

La Voix de la nature

Pierre Boulez Saal Saison 2022 / 23

WAED BOUHASSOUN & ORPHEUS XXI La Voix de la nature

Waed Bouhassoun Gesang, Oud, musikalische Leitung

Hakan Güngör Kanun

Neşet Kutas Schlaginstrumente Mojtaba Fasihi Gesang Shahab Azinmehr Gesang, Setar, Tar Artyom Minasyan Duduk

Sandra Bourdonnec Rezitation

L’Armada turca era comandada (traditionell sephardisch, aus Smyrna)

Dialogue des voix de la montagne (vokale Duo-Improvisation)

Bi man maro Melodie von Shahab Azinmehr Gedicht von Rumi (1207–1273)

Parviz Meshkatian (1955–2009) Khazan (persisch)

Samstag 19. November 2022 19.00 Uhr

Dede Efendi (1778–1846)

Ferâhfezâ Sarki (osmanisch)

Safar karde (traditionelles persisches Lied)

Alfons X. (1221–1284)

Saltarello

Pause Menk kadj tohmi (armenisch)

Passion Melodie von Waed Bouhassoun Gedicht von Ibn Arabi (1165–1240)

Segâh nefes (osmanisch)

Abolhassan Saba (1902–1957) Tamarine Dashti (persisch)

Tanburi Cemil Bey (1873–1916) Çeçen kızı (türkischer instrumentaler Tanz)

Traditionelles Lied

Kevokê (traditioneller syrischer Tanz)

Traditionelles iranisches Tanzlied

Die Stimme der Natur

Dieses Projekt entstand während eines Aufenthalts in der Abtei von Fontfroide in Südfrankreich. Es ist ein Ort inmitten der Natur, der sich harmo nisch mit Bäumen und Bergen verbindet. Das Programm ist eine Hommage an diese Umgebung und inspiriert von der Atmosphäre, die sie ausstrahlt.

Musik ist ihrem Wesen nach mit der Natur verbunden. Durch Stimme und Musikinstrumente versuchen Menschen, ihre urzeitlichen Klänge zu imitieren. Die Musiker:innen und Instrumente für dieses Programm wurden aufgrund dieser Beziehung zur Natur ausgewählt. Die Klänge der Instrumente, die aus Holz, Fell und Darm gefertigt sind, beschwören die Kraft der Elemente herauf. Das kontinuierliche Blasen der arabischen Ney lässt an den Wind denken und gibt Raum für Meditation. Das Spiel des Kanun erinnert an das Rauschen eines Wasserfalls. Schlaginstrumente imitieren das Geräusch von im Wind bewegten Ästen, durch Schritte zerdrücktes Gras und den Klang des Herzschlags. Komposition ist inspiriert durch das Echo der Berge, Improvisation durch die Bewegung der Wellen. Sänger:innen bringen mit ihren Stimmen die Kraft der Berge, der Wüsten, der Landschaften, aus denen sie ihr Repertoire schöpfen, zum Ausdruck. Dank der Poesie und der Klänge jeder einzelnen Sprache zeichnen sie auf ihre eigene Weise die Lieder der Vögel und Rufe der Tiere nach.

Die Monate, die wir während der Pandemie durchlebt haben, haben sich auf die Natur ausgewirkt und sind das Ergebnis unserer Beziehung zu ihr. Die Menschen haben sich nicht um ihre Umwelt gekümmert, haben sie übermäßig ausgebeutet und Wälder und Tiere immer weiter zurückgedrängt. Doch durch den weitreichenden Lockdown haben Vögel und Tiere die Abwesenheit der Menschen genutzt, um an den Orten wieder in Erscheinung zu treten, die sie zuvor verlassen hatten. Umweltverschmutzung nahm ab. Stille kehrte zurück. Die Stille ist ein wesentliches und strukturierendes Element der Musik. Sie ermöglicht den Zuhörer:innen, von der Leere gefesselt zu werden. Und in unserem Leben brauchen wir manchmal Stille und Erholung.

Ziel dieses Projekts ist es, die Beziehung zwischen Musik und Natur näher zu betrachten, zum Wesen der Musik zurückzukehren und der Natur unsere Dankbarkeit zu zeigen. Menschen haben Musik geschaffen, um sich enger mit ihrer Umwelt zu verbinden. Dieses Programm möchte einen Weg dahin zeigen, diese Verbindung wiederherzustellen, uns neu mit der Natur und miteinander in Einklang zu bringen. Das bedeutet, dem gleichen organischen Prozess zu folgen, durch den das Ensemble Orpheus XXI entstanden ist und seine eigenen Klänge entwickelt hat: Musiker:innen unterschiedlicher Herkunft zusammen zubringen, einen Dialog zwischen verschiedenen Kulturen anzustoßen und Musiker:innen in Europa, deren Leben durch Flucht und Migration geprägt ist, eine Integration in die Gesellschaften zu ermöglichen, in denen sie leben.

The Voice of Nature

This project was developed during a residency at Fontfroide Abbey in the south of France. It is a place steeped in nature, blending harmoniously with the trees and mountains. The program is a tribute to its environment and was inspired by the atmosphere this place exudes.

Music has an intrinsic link with nature. Through voice and musical instruments, humans seek to imitate its primeval sounds. Musicians and instruments for this program were chosen based on this relationship with nature. The instruments are made of wood, skins, and gut, and their respective sounds conjure up the power of the elements. The continuous blowing of the ney evokes the wind and facilitates meditation. The playing of the qanun is reminiscent of tumbling water in a waterfall. Percussion instruments recall the sound of branches stirring in the wind, of grass crushed by footsteps, or of a beating heart. Composition is fed by the echo of the mountains; improvisation by the back-and-forth motion of the waves. Singers express through their voices the power of the mountains, of the deserts, of the landscapes that gave birth to their repertoires. Thanks to the poetry and sounds of each language, they reproduce in their own way the songs of birds and the cries of animals.

The months we have lived through during the pandemic have had an impact on nature and are the result of our relationship with it. Humans have not taken good care of their environment and have over-exploited it, pushing forests and animals ever further away. But with widespread lockdown, birds and animals took advantage of the absence of humans to re-emerge in the places they had previously abandoned. Pollution decreased. Silence returned. Silence is an essential and structuring element of music. It allows the listener to be captivated by emptiness. And in our lives, we sometimes need silence and rest.

The aim of this project is to go further in exploring the relationship between music and nature, to return to the essence of music, and to show our gratitude to nature. Human beings created music to better integrate with their environment. This program aims to propose a way to recreate this link and to reintegrate, to reconnect with nature and with each other. This means following the same organic process by which the Orpheus XXI ensemble was formed and created its own sounds: bringing together musicians from different backgrounds, creating a dialogue between different cultures, and enabling migrant and refugee musicians in Europe to integrate into the societies in which they live.

L’homme est devenu sourd

Il n’entend plus le son du vent, ni le chant des oiseaux, Il n’écoute plus la mélodie des rivières À cause de lui, la nature souffre L’homme coupe, creuse, exploite et rejette Et elle, elle se lamente en silence

Au bord des nids, ouvrant ses ailes longtemps closes, L’oiseau disait le jour avec un chant plus frais Que la source agitant les verts buissons de roses, Que le rire amoureux du vent dans les forêts.

Les abeilles sortaient des ruches naturelles Et par essaims vibraient au soleil matinal ; Et, livrant le trésor de leurs corolles frêles, Chaque fleur répandait sa goutte de cristal.

Leconte de Lisle, extrait de La Fontaine aux lianes

Voix qui nagez dans le bleu firmament, Voix qui roulez sur le flot écumant, Voix qui volez sur les ailes du vent, Chantres des airs que l’instinct seul éveille, Joyeux concerts, léger gazouillement, Plaintes, accords, tendre roucoulement,

Der Mensch ist taub geworden

Er hört den Wind nicht mehr rauschen und die Vögel nicht mehr singen, Er hört die Melodie der Flüsse nicht mehr Seinetwegen leidet die Natur Der Mensch holzt ab und gräbt, beutet aus und verräuchert Und sie, sie klagt lautlos ihr Leid

Man has become deaf

He no longer hears the rustle of the wind and the song of the birds, He no longer hears the melody of the rivers

He is the reason nature is suffering Man cuts down and digs, exploits, and denies And nature, it laments in silence

Am Nestrand spreizte der Vogel die lange nicht entfalteten Flügel

Und begrüßte den Tag, mit einem Gesang frischer als die Quelle, Die die grünen Rosenbüsche bewegt, Und als das verliebte Lachen des Winds in den Wäldern.

Die Bienen schwärmten aus den Baumhöhlen Und flirrten in der Morgensonne; Und aus dem zarten Blütenkelch ließ jede Blume Ihren kostbaren, kristallklaren Tropfen entfließen.

At the edge of the nest the bird spread its wings, long unfurled And greeted the day with a song fresher Than the spring that awakens the green rose bushes, Than the amorous laughter of the wind in the woods.

The bees swarmed from their hives Flickering in the morning sun; And from its delicate calyx Each flower shed its precious, crystal-clear drop.

Ihr Stimmen, die am blauen Firmament ihr hinschwimmt; Stimmen, die auf schäumenden Gewässern schweben; Stimmen, die ihr fliegt auf Windesflügeln; Ihr der Lüfte Sänger, die der Naturtrieb weckt; Ihr freudigen Konzerte, leises Gezwitscher, Wehklagen, Verschmolzene Akkorde, zartes Girren –

You voices that swim in the blue firmament, Voices that roll on the foaming stream, Voices that soar on the wings of the wind, Singers of the air that instinct alone awakens, Joyous concerts, light twittering, Laments, chords, tender cooing,

Qui chantez-vous pendant que tout sommeille ?

La nuit a-t-elle une oreille Digne de ce chœur charmant ?

Attendez que l’ombre meure, Oiseaux, ne chantez qu’à l’heure Où l’aube naissante effleure Les neiges du mont lointain.

Dans l’hymne de la nature, Seigneur, chaque créature Forme à son heure en mesure

Un son du concert divin; Oiseaux, voix céleste et pure, Soyez le premier murmure Que Dieu reçoit du matin.

Alphonse de Lamartine, extrait de L’Hymne du matin

Le confinement a mis le monde en pause

La nature a repris ses droits, Les animaux sont sortis de leur cachette, Fébriles, ils ont retrouvé les espaces dont l’homme les avait chassés

Les oiseaux dans les villes se sont mis à chanter sans plus avoir à s’égosiller

On avait oublié ce son du vent qui caresse les feuilles des arbres, et la mélodie de l’eau qui coule sur les galets Que cette divine musique de la nature encourage les hommes à la respecter et à l’honorer de nouveau

Renaud Brizard / Waed Bouhassoun

Warum erklingt ihr, während alles schläft?

Verdient die Nacht, So holden Chor zu hören? Harrt, bis die Schatten fliehn!

Ihr Vögeln, singt nur, Wenn aufglühend an den fernen Spitzen Des Schneegebirges das Frührot widerstrahlt!

Herr, in der großen Hymne der Natur Gibt jegliches Geschöpf In rechter Art und Stunde Zum göttlichen Konzert auch seinen Ton.

Drum Vögel, werdet laut! Es sei euer himmlisches und reines Lied Der erste Morgengruß, den Gott empfängt.

Why do you sing while all is sleeping? Does the night have ears Worthy of this charming chorus?

Wait for the shadow to die, Birds, sing only at the hour When the nascent dawn touches The snow of the distant mountain.

In the hymn of nature, Lord, every creature In its own time and measure Forms a sound of the divine concert; Birds, heavenly and pure voices, Be the first whisper That God receives in the morning.

Der Lockdown zwang die Welt zum Pausieren

Die Natur kam wieder zu ihrem Recht, Die Tiere kamen aus ihren Verstecken, Nahmen emsig die Räume, aus denen der Mensch sie verjagt hatte, wieder ein

In den Städten fingen die Vögel zu singen an, ohne heiser zu werden Das hatten wir vergessen: dieses Geräusch des Windes, der den Bäumen die Blätter streichelt, und die Melodie des Wassers, das über Kiesel rieselt Diese herrliche Musik der Natur soll die Menschen ermuntern, die Natur wieder neu zu achten und zu ehren

Lockdown made the world pause Nature came back into its own, Animals came out of their hiding places, Busily taking back those spaces from which man had driven them. The birds in the cities began to sing without becoming hoarse We had forgotten the sound of the wind caressing the leaves of the trees, and the melody of water trickling over pebbles

Let this glorious music of nature encourage man to respect and honor nature anew

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