19. März 2023
YEHUDI MENUHIN
Live Music Now Berlin e.V.
Pierre Boulez Saal Saison 2022/23Grußwort
Live Music Now bringt Musik zu Menschen, die nicht selbst zur Musik kommen können. Dabei werden gleichzeitig junge talentierte Musiker:innen gefördert. Ich freue mich, dass das von Yehudi Menuhin ins Leben gerufene Projekt zum ersten Mal im Pierre Boulez Saal zu Gast ist. Ich unterstütze die wichtige Arbeit von Live Music Now von ganzem Herzen und wünsche allen Beteiligten ein erfolgreiches Benefizkonzert.
Daniel BarenboimWir danken den Künstler:innen für ihre großzügige ehrenamtliche Mitwirkung in diesem Konzert.
Eine Veranstaltung von YEHUDI MENUHIN Live Music Now Berlin e.V. in Zusammenarbeit mit dem Pierre Boulez Saal und der Barenboim-Said Akademie
YEHUDI MENUHIN
Live Music Now Berlin e.V.
Benefizkonzert unter der Schirmherrschaft von Daniel Barenboim
Sonntag 19. März 2023 18.00 Uhr
LEONKORO QUARTET
Jonathan Schwarz Violine
Amelie Wallner Violine
Mayu Konoe Viola
Lukas Schwarz Violoncello
Gerd Wameling Lesung
Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791)
Divertimento für Streicher F-Dur KV 138 (125c) (1771)
I. Allegro
II. Andante
III. Presto
Maurice Ravel (1875–1937)
Streichquartett F-Dur (1902/03)
I. Allegro moderato. Très doux
II. Assez vif. Très rythmé
III. Très lent
IV. Vif et agité
Keine Pause
Zum Programm
Bereits 1770 in Italien komponierte der 14-jährige Wolfgang Amadeus Mozart sein erstes Streichquartett („Quartetto“) – den drei im folgenden Frühjahr in Salzburg entstandenen Werken mit den Köchelverzeichnis-Nummern 136 bis 138 gab er jedoch den Titel „Divertimento“. Ein Begriff, der weniger auf die Gattung als auf den Charakter der Stücke verweist: Das italienische Wort bedeutet „Vergnügen“ oder „Amüsement“ und ordnet die so bezeichnete Musik in die Sphäre gehobener Unterhaltung ein. Die drei bezaubernden Jugendwerke werden sowohl von Streichquartetten als auch, oft mit dem Beinamen „Salzburger Symphonien“, von Kammerorchestern gespielt, und in der Forschung ist bis heute umstritten, ob Mozart die einfache oder mehrfache Besetzung der vier Stimmen vorschwebte. Vielleicht ließ er die Frage aber auch offen, um die Aufführung seiner Musik bei verschiedenen Anlässen des Salzburger Hofes zu ermöglichen.
Als Mozart seine Divertimenti schrieb, existierte noch kein verbindliches Modell für Form und Gestaltung des Streichquartetts, das erst mit Haydns etwa zehn Jahre später veröffentlichtem Opus 33 etabliert wurde. Zum Vorbild nahm sich Mozart die italienische Opernouvertüre, die Sinfonia, in der zwei schnelle Abschnitte einen langsamen einrahmen. Im Vergleich zum später für lange Zeit kanonischen Ablauf des Streichquartetts fehlt ein zusätzlicher schneller Menuett- oder Scherzo-Satz und die prominente Stellung der Durchführung, in der das thematische Material verarbeitet wird. Wie stark der Komponist von den zwei vorangegangenen ItalienReisen profitiert hatte, denen eine dritte folgen sollte, zeigt gerade das F-Dur-Divertimento KV 138 auf bestechende Weise. Aus der italienischen Oper stammt die blühende Melodik des langsamen Satzes, der betonte Dissonanzen den für den späteren Mozart so typischen Charakter von Melancholie und Sehnsucht verleihen. Von der italienischen Instrumentalmusik lernte der junge Komponist die liebevolle Gestaltung der Mittelstimmen und den virtuos-konzertanten Stil, der in den großen Intervallsprüngen des Eröffnungssatzes ebenso wie in den rasanten Passagen des Final-Rondos zutage tritt.
Als eine der zentralen Gattungen der deutsch-österreichischen Tradition von der Wiener Klassik bis zur zweiten Wiener Schule hatte das Streichquartett in Frankreich lange einen schweren Stand. Einige der bedeutendsten Komponist:innen des Landes hinterließen nur einen einzigen Beitrag zur kammermusikalischen Form für vier Streicher. Umso heller leuchten diese Werke als Solitäre. César Franck und Gabriel Fauré schrieben ihr erstes und zugleich letztes Streichquartett in ihren späten Lebensjahren, Debussy und Ravel ließen es sozusagen umgekehrt mit einem Jugendwerk bewenden. Die letzteren beiden Komponisten standen festgefügten Gattungen mit ihrem impliziten Auftrag zur Serienproduktion grundsätzlich skeptisch gegenüber.
Mit Franck, Fauré und Debussy ist Ravels in den Jahren 1902/03 entstandenes Quartett sowohl stilistisch als auch entstehungsgeschichtlich in verschiedener Hinsicht verknüpft. In der von Franck entwickelten sogenannten „zyklischen Form“ werden alle Sätze eines Werks durch ein zentrales und immer wieder abgewandeltes Thema oder Motiv miteinander verbunden. Wie vor ihm Debussy erwies auch Ravel diesem Modell in seinem Streichquartett auf diskrete Weise Reverenz. Gewidmet ist das Werk seinem Lehrer Fauré, dessen Einfluss im noblen Gestus und der sanften Melodik spürbar ist. Farbigkeit und Harmonik wiederum verweisen auf den großen Eindruck, den Debussys Musik in dieser Zeit auf Ravel machte. Der Klassizismus, den man Ravel zugeschrieben hat, zeigt sich in der Orientierung an überlieferten Formen, woher auch immer diese stammen mochten und wie sehr auch der Komponist diese Vorlagen in etwas ganz Anderes verwandelte. Klassisch ist in diesem Sinne auch sein Streichquartett, das durch die Viersätzigkeit und in den Satzcharakteristiken der Gattungsnorm entspricht.
Beide Themen des ersten Satzes sind lyrischen Charakters. Die dramatische Klimax am Ende der Durchführung wird konsequent aus diesem Material entwickelt und in der Rückführung zur Reprise behutsam wieder eingehegt. Wild und elegant zugleich erscheint der durch die von Ravel so geliebte spanische Idiomatik eingefärbte zweite Satz, elegisch die CelloKantilene des Mittelteils. Der langsame dritte Satz verbindet Gesanglichkeit und Rhapsodik mit einer untergründigen, durch zahlreiche Taktwechsel verursachten Unruhe. Weitere Transformationen des Hauptthemas begegnen im Finale, das rasante Tremolo-Passagen mit reflexiven Momenten kontrastiert, bevor das Quartett mit einer geradezu triumphalen Geste endet.
Benedikt von BernstorffYEHUDI MENUHIN Live Music Now Berlin e.V. veranstaltet jährlich etwa 200 Konzerte in sozialen Einrichtungen mit derzeit 120 jungen Musiker:innen, unseren Stipendiat:innen. „Musik spricht für sich allein, vorausgesetzt wir geben ihr eine Chance“, erklärte Yehudi Menuhin. Der Humanist und Weltbürger verstand Musik nicht nur als Kunst, sondern als Beitrag zu einer besseren Gesellschaft. Dieser Gedanke liegt Live Music Now zugrunde. LMN vermittelt die Überzeugung, dass Musik auch Therapie ist, und fördert dabei junge, besonders qualifizierte Künstler:innen, die an den Musikhochschulen Berlins studieren und von einer hochkarätigen Jury im Zuge einer Audition ausgewählt werden. Schenken Sie notleidenden Menschen die Kraft heilender, tröstender, Freude bringender Musik.
Geben Sie jungen, begabten Musiker:innen eine Chance, die Kraft ihres Musizierens anders und tiefer zu erfahren. Wir freuen uns, dass Sie hier sind – und über Ihre Spende!
Das Team
Dr. Annette Beer • Alexandra Behr • Andrea Gräfin von Bernstorff •
Dr. Susanne Brakemeier • Donata Gräfin von Brockdorff • Kerstin
Dobrowohl • Amelie von Gizycki
Monika von Grawert-May
Claudia König-Suckel
Dr. Hans-Georg von Goldbeck
Donata Freifrau von Hake
Angelika Lachmann
Marion von Mettenheim
Asta von Oppen
Stefanie Kirner
Dr. Mireille Liebermann
Pauline Reguig-Piasetzki
Ingeborg Runge
Hanne Schäfer
Angelika Schnarrenberger
Prof. Dr. Karin Schumacher
Sabine Sieveking
Christa Stark • Sabine von Sydow
Wir danken unseren Förderern
Das Bankhaus Metzler hatte an der Gründung von YEHUDI MENUHIN Live Music Now in Deutschland 1992 maßgeblichen Anteil und steht seitdem an der Seite vieler Live Music Now-Vereine, so auch in Berlin. Wir bedanken uns von Herzen für dieses einzigartige Engagement und die großzügige finanzielle Unterstützung, die viele Konzerte und Gespräche nach den Konzerten möglich macht.
Die AXA Fink & Wagner GmbH ermöglicht durch eine großzügige Spende den Mitschnitt des heutigen Konzerts, aus dem später eine CD entstehen wird. Wir danken dem Unternehmen herzlich für die wiederkehrende Unterstützung.
Das Restaurant Casalot, Partner des Pierre Boulez Saals, sorgt für das Catering zum Empfang im Anschluss an das Konzert.
Yehudi Menuhin, Skizze von Ursula WielandDer im März 2017 eröffnete Pierre Boulez Saal ist Teil der BarenboimSaid Akademie und im ehemaligen Magazingebäude der Staatsoper Unter den Linden beheimatet. Als ellipsenförmiger, wandlungsfähiger Raum, in dem sich Klang und Architektur auf einzigartige Weise verbinden, bietet der Konzertsaal fast unbegrenzte Möglichkeiten, Musik zu erleben. Das Programm steht unter dem Leitgedanken der „Musik für das denkende Ohr“ und umfasst neben Kammermusik des 18. bis 21. Jahrhunderts, einschließlich zahlreicher Uraufführungen, schwerpunktmäßig auch arabische und persische Musik sowie Jazz. Auf der neuen digitalen Plattform Pierre Boulez Saal Online sind außerdem Audio- und Videoproduktionen sowie digitale Lerninhalte verfügbar. Die Barenboim-Said Akademie bietet seit Herbst 2016 für bis zu 90 Studierende, die überwiegend aus den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas stammen, eine vierjährige BachelorAusbildung an, in der Geisteswissenschaften und Musikwissenschaft einen höheren Stellenwert einnehmen, als dies im professionellen Musikstudium allgemein üblich ist. Beide Institutionen sind dem pädagogischen Geist von Edward W. Said und Daniel Barenboim verpflichtet, der ideologische Gräben zu überwinden versucht.