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Barenboim, Barenboim & Soltani

Ein Schatz, ein Vergnügen, eine Herausforderung

Wolfgang Amadeus Mozart: Die Klaviertrios

Wolfgang Stähr

Als ein Wunderkind von acht Jahren komponierte Mozart seine ersten Klaviertrios und widmete sie der englischen Königin. Klaviertrios? Die sechs Werke (KV 10–15), die damals in London gedruckt wurden, entsprechen durchaus nicht der Vorstellung einer Kammermusik zu dritt oder gar dem Ideal der musikalischen Gleichberechtigung. Davon allerdings war auch nie die Rede – schon der Titel wies den Zyklus als „Six / Sonates / pour le / Clavecin“ aus und fügte den stark relativierenden Besetzungsvorschlag hinzu: „… qui peuvent se jouer avec / L’accompagnement de Violon, ou Flaute / Traversière et d’un Violoncelle“. Zu Deutsch: diese Stücke konnte, wer wollte, mit der „Begleitung“ einer Violine (wahlweise einer Querflöte) und eines Violoncellos musizieren; er konnte sich aber genauso gut allein am Klavier unterhalten. Bezeichnenderweise erschien ebenfalls in London gleichzeitig noch eine zweite Ausgabe, die auf die Mitwirkung eines Cellos von vornherein verzichtete, und diese Druckfassung war offenbar der beliebtere und gängigere Artikel. Egal ob mit oder ohne Cello – es handelt sich so oder so um den typischen Fall der ad libitum begleiteten Klaviersonate, die den Cellisten auf untergeordnete (bassverstärkende) Dienste beschränkt, während der Geiger gelegentlich zwar in die Selbständigkeit entlassen wird, zumeist aber die Oberstimme des Tasteninstruments verdoppelt, eine Mittelstimme spielt oder ebenfalls den Klavierbass nachzeichnet. Der Weg zum „klassischen“ Klaviertrio war noch weit, und in Mozarts gesammelten Werken markierte er lediglich einen selten begangenen Nebenpfad – kein Vergleich mit den rund 40 Klaviertrios, die Joseph Haydn hinterließ (eine präzise Zählung wird von offenen Echtheitsfragen erschwert).

Auf die Londoner „Sonaten“ folgte erst nach zwölf Jahren das „Divertimento à 3“ KV 254, das Mozart 1776 in Salzburg schuf und das zumindest der Violine bereits einen großzügigen Entfaltungsspielraum gewährt; das Cello freilich verharrt nach wie vor in der überkommenen Basso-continuo-Rolle, ein folgsamer Diener des Herrn am Klavier, denn der Pianist bleibt der unangefochtene Alleinherrscher, ein „primus“, aber mitnichten „inter pares“. Nach diesem Salzburger Divertimento mussten wiederum Jahre ins Land gehen, ehe sich Mozart noch einmal für das Klaviertrio zu interessieren begann. Inzwischen lebte er als „freier Künstler“ in Wien, mit wechselndem Glück und schwankendem Erfolg, und war unentrinnbar darauf angewiesen, den Markt zu beobachten: das Milieu der Kenner und Liebhaber, Angebot und Nachfrage der Musikalien, die Vorzeichen der Publikumsgunst und der musikalischen Moden. Mit auffallender, doch gewiss nicht zufälliger Konzentration auf die Jahre 1786 und 1788 schrieb Mozart ein Trio nach dem anderen, oftmals im Abstand weniger Wochen, insgesamt sechs an der Zahl, wenn man das unorthodox besetzte „Kegelstatt-Trio“ KV 498 mitrechnet, das Mozart für seine Schülerin Franziska von Jacquin (Klavier), seinen Freund Anton Stadler (Klarinette) und sich selbst (Bratsche) erdachte. Diesem wie den fünf anderen Werken merken wir die Lebensfreude des Komponisten an, die glänzende Schaffenslaune, in der er diese unbeschwerte, aber auch experimentierfreudige Kammermusik erfand. Wir spüren die gesellige, ja freundschaftliche Atmosphäre, der sich die Trios verdanken, die Lust am Musizieren, die sich unweigerlich einstellt, wann und wo auch immer Mozarts Stücke gespielt werden.

Als das Verlagshaus Artaria die Klaviertrios KV 502, 542 und 548 den Wiener Musikfreunden 1788 zum Kauf anbot, wurden diese Werke als „3 ganz neue Sonaten für das Clavier, mit Begleitung einer Violin und Violoncell“ annonciert. Diese Bezeichnung aber führt in die Irre, sie gehorcht einer Konvention, die Mozart in seinen Trios längst überwunden hatte. Zwar nimmt das Klavier als führendes Melodieinstrument noch immer eine privilegierte Stellung ein, doch ließe sich auf Violine und Violoncello keineswegs mehr verzichten (wie einst bei den Londoner „Sonaten“). Im vierstimmigen Satz oder im konzertierenden Wechselspiel, in den vielfältigsten Kombinationen und Dialogen der Instrumente kommen alle Beteiligten vollauf zu ihrem Recht. Überdies begnügt sich der Pianist immer wieder auch mit der Höflichkeit des Begleiters und überlässt der Violine oder beiden Streichern den melodischen Vorrang. Nein, Mozart hatte diesmal zweifellos keine verkappten Sonaten komponiert, sondern Trios, die ihren Namen verdienen, Muster und Meisterwerke der bürgerlichen Kammermusik. Dem Klaviertrio gehörte die Zukunft. Aber den unangefochtenen Rang und Nimbus des Streichquartetts sollte es gleichwohl nie erlangen, auch nach über 100 Jahren nicht, trotz Beethoven, Mendelssohn, Schumann und Brahms.

Programm I – 19. Januar Unter gleichgestimmten Seelen

1776, im Salzburger Sommer der „Ersten Lodronischen Nachtmusik“ und der „Haffner-Serenade“, komponierte Mozart im August das erwähnte Divertimento in B-Dur für Klavier, Violine und Violoncello KV 254, das womöglich für ein Privatkonzert im Tanzmeisterhaus bestimmt war, vielleicht für die „Musick beym Mozart“, die der Hofrat von Schiedenhofen unter dem 22. August in seinem Tagebuch erwähnt und die noch um Mitternacht im vollen Gange war. Jedenfalls hatte Mozart dieses Klaviertrio mit und zum Vergnügen geschrieben, wie schon der Titel bekanntgibt, für sich, als den „grösten geiger in Ganz Europa“ (ein Selbstlob, halb im Ernst, halb im Scherz), und seine Schwester Maria Anna am Klavier, das damals vermutlich noch ein „flügl“ war, also ein Cembalo. Ja, und ein Cellist, „gewährt mir die Bitte“, war auch noch mit dabei: „in eurem Bunde der Dritte“, zur linken Hand des Pianisten (oder in diesem Fall der Cembalistin). Der Name des Ganzen, Divertimento, sollte jedoch nicht überbewertet werden. Das Trio steht überhaupt nicht in der Tradition der vielsätzigen Suite oder der Sonata da camera; Mozart beschränkt sich auf drei Sätze, wobei allerdings der letzte gleich drei in einem bietet: ein französisches Rondeau, ein italienisches Tempo di Menuetto und einen unterschwellig amtierenden Sonatensatz. Vorherrschend präsentiert sich das B-Dur-Trio als ein Duo, ein geschwisterlicher Wettstreit, ein Zwiegespräch (im ersten) und Zwiegesang (im zweiten Satz), ein Dialogisieren, ein Geben und Nehmen. Aber in manchen unerwartet kontrastreichen und dramatischen Momenten klingt das Werk, als müsse es dem Komponisten andere, einstweilen verschlossene Spielräume ersetzen: das Theater, das Klavierkonzert, die große Symphonie.

Im August 1788 erhielt „Nannerl“ Mozart als verspäteten Geburtstagsgruß ihres Bruders aus Wien eine Sendung mit seinen „Neuesten klavierstücke[n]“, darunter auch das Trio in E-Dur für Klavier, Violine und Violoncello KV 542, das Mozart am 22. Juni als „Ein Terzett“ ins „Verzeichnüß aller meiner Werke“ aufgenommen hatte. Über diese terminologische Unbestimmtheit mag man sich wundern, aber ein Trio war es ohne jeden Zweifel, und keine „begleitete Sonate“. Mozarts Klaviertrios bewahren – wie auf andere Weise auch seine Serenaden oder seine Klavierkonzerte – die historische Situation der Aufführung, für die sie einmal bestimmt waren: die anspruchsvolle Hausmusik in den Salons des aufstrebenden Bürgertums, das in Fragen der Kunst und des Mäzenatentums mit dem Adel wetteiferte und deshalb daheim seine eigenen „Hofkonzerte“ ausrichtete. Zwar legte Mozart in einem Werk wie dem E-Dur-Trio nicht den strengen Ehrgeiz an den Tag, der seine Streichquartette auszeichnet, hier wurde weder „speculirt“ noch „studiert“, im Gegenteil. Eine souveräne Mühelosigkeit, der vorwaltende Lyrismus, die geradezu genießerische Klangverliebtheit, die Freude am Spiel um seiner selbst willen rücken dieses Trio in die Sphäre musikalischer Unterhaltung – allerdings nicht bloß im Sinne von Kurzweil und Abwechslung, sondern durchaus auch im tieferen Verständnis einer Unterredung, eines Gesprächs unter Freunden, einer Kommunikation unter gleichgestimmten Seelen.

Hören wir unter diesen Vorzeichen nur den Kopfsatz des nachfolgenden Klaviertrios in C-Dur KV 548, das Mozart am 14. Juli 1788 ins „Verzeichnüß“ hineinschrieb! Dieses hinreißende Allegro gleicht einer schriftlich fixierten Improvisation zu dritt, einem musikalischen Stegreifspiel und einem heiteren Disput. Mit einem fanfarenartigen Thema im majestätischen Unisono der drei Instrumente fängt alles an. Doch wird der feierlich und quasi symphonisch tönende Beginn sogleich im Nachsatz vom Klavier leise in Frage gestellt, abgewogen, ironisiert und mit einer wahrhaft spielerisch leichten Geste aufgehoben. Die Violine schließt sich dieser spöttischen Betrachtung an, dann aber wechselt der Pianist abrupt die Gangart und legt, über geradezu swingenden Akkordbrechungen im Klavierbass, eine muntere Motoperpetuo-Episode ein, die rasch auch die beiden Streicher auf den Plan ruft. Wenn die einleitende Fanfare gegen Ende der Exposition wiederkehrt, vom Klavier allein gespielt, klingt sie (in unseren modernen Ohren) etwas wie ein Sendezeichen im Rundfunk – und wird prompt von den Streichern mit mokanten Trillern und Staccati verlacht. In dieser Musik lebt auch nach über 200 Jahren die Spontaneität der ersten Stunde fort, das überraschende, impulsive, wie aus dem Augenblick geborene Musizieren, das Mozart mit seinen Freunden teilte, wenn sie im Hause Jacquin oder bei einer Soiree des musikliebenden Tuchhändlers Michael Puchberg seine Trios erprobten und mit unermüdlicher Begeisterung spielten, für sich und ihre beneidenswerten Zuhörer.

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