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Barenboim, Barenboim & Soltani II

Ein Schatz, ein Vergnügen, eine Herausforderung

Wolfgang Amadeus Mozart: Die Klaviertrios

Wolfgang Stähr

Programm II – 29. Januar

Gleiches Recht für alle!

Zehn Jahre waren vergangen, seit Mozart 1776 in Salzburg zum letzten Mal ein Klaviertrio vollendet hatte (jenes Werk, das er seinerzeit „Divertimento à 3“ nannte). Im Sommer 1786, längst in Wien beheimatet, setzte er die Reihe fort – wenn überhaupt von einer Werkreihe die Rede sein kann bei derart epochalen Unterbrechungen. Diesmal überschrieb er das Trio mit „Sonata“. Wie eine Klaviersonate fängt es tatsächlich auch an, die beiden Streicher bleiben erst einmal im Wartestand, aber dann beginnt ein Zusammenspiel, als sei eine neue Zeitrechnung angebrochen. Das Trio in G-Dur für Klavier, Violine und Violoncello KV 496, das Mozart am 8. Juli 1786 im Werkverzeichnis festhielt, nimmt musikhistorisch den Rang einer Neugründung, einer Stunde null, einer Unabhängigkeits er klärung dieser Gattung ein. Man höre und betrachte nur (und bestaune) die Variationen des Finales, mit einem unternehmungslustigen, zwischen Gavotte und Vogel Star angesiedelten Thema (Mozart besaß damals tatsächlich einen Star, der seine Melodien nachpfeifen konnte), dessen Verwandlungen und Veränderungen den musikalischen Horizont neu vermessen. Zwar näherten sich Variationen im ausgehenden 18. Jahrhundert auch sonst der Idee des Bildungsromans an: Schlicht und unschuldig schreitet der künftige Held (das Thema) in die Welt, um Abenteuer zu bestehen, seine Talente zu mehren und seinen Charakter zu formen. Doch im Finale des G-Dur-Trios wagt Mozart sich weiter denn je hinaus auf unerforschtes Terrain, schärft den Ausdruck, löst die lineare Form auf, lässt in der Minore-Variation den strengsten Satz über einem Ostinatobass in die heftigsten Leidenschaften umschlagen (und ignoriert damit sein eigenes erklärtes Verständnis schöner Musik).

Solche barocken Lamentobässe im Cello tauchen taktweise schon in den anderen Sätzen auf, gänzlich unerwartet, wie ein Bote aus der Unterwelt, und sie prägen neben der mitunter sperrigen Kontrapunktik diesem Trio einen tiefen Ernst, eine rücksichtslose künstlerische Radikalität ein, die sich wenig um zeitgenössische Spiel- und Hörgewohnheiten kümmert und auch ganz neue klangliche Profile zeichnet. Ein anderer auffallender Zug dieses G-Dur-Trios ist der Hang zum Wiederholen, zum Nochmalsagen, zum Insistieren, der nicht als Gedankenverlorenheit erscheint, den Kopf in den Wolken, sondern im Gegenteil mit einer starken rhetorischen Geste auftritt, unbeugsam und unmissverständlich. Aber dieses Trio repräsentiert ohnehin die schönsten republikanischen Tugenden und Ideale: Klarheit, Freiheit, Bildung, Redekunst, Eigensinn, Ehrgeiz, Wagemut – und gleiches Recht für alle! Denn mit dem überkommenen Typus der „begleiteten Klaviersonate“ hat es nichts mehr gemein: Klavier, Violine und Cello agieren als ebenbürtige Partner im gesellschaftlichen Diskurs.

„Die Produktion Mozarts ist in ihrer Fülle und Vielseitigkeit vielleicht das erstaunlichste Phänomen der gesamten europäischen Kunstgeschichte“, urteilte der Wiener Kulturhistoriker Egon Friedell. „Und der Extensität seines Schaffens entspricht die berückende Intensität: der Reichtum der einander jagenden und kreuzenden und doch nie störenden und verwirrenden Einfälle, so abundant und bewältigt nur noch bei Shakespeare, mit dem er auch die einzigartige Mischung von Ernst und Humor gemeinsam hat.“ In seinem Klaviertrio B-Dur KV 502 (Eintragung im „Verzeichnüß“ unter dem 18. November 1786) erlaubte sich Mozart obendrein die Freiheit, die Kammer zum Konzertsaal zu weiten und mit den drei Instrumenten den Wettstreit zwischen Solo und Tutti zu simulieren. Ja, er behandelte sie mitunter wie Akteure einer imaginären Szene, das bürgerliche Musikzimmer wandelt sich zur Bühne, und die Instrumentalisten profilieren sich als Komödianten in einer ungeschriebenen Opera buffa.

Und schon ist alles vorüber. Im Herbst 1788, nach dem Sommer der letzten Symphonien, schrieb Mozart auch sein letztes Klaviertrio, in G-Dur KV 564, das er unter dem Datum des 27. Oktober im Werkverzeichnis vermerkte. Und dieses Werk fiel vergleichsweise kurz und schmerzlos aus – eine Musik ohne Risse, ohne Widerhaken, ohne doppelten Boden. Oder? Nach welchem Maßstab wäre dieses Trio zu ermessen und zu beurteilen? War es auf den Musikalienmarkt zugeschnitten, für die Liebhaber im musikalischen Salon, möglicherweise auf Anregung oder im Auftrag des Londoner Komponisten und Verlegers Stephen Storace, der das Trio in seiner Collection of Original Harpsichord Music publizierte? War es deshalb gefälliger, galanter, eingängiger und praktikabler gehalten und populärer, ganz in dem Sinne, wie Vater Leopold den Sohn einst ermahnt hatte: „du weist es sind 100 ohnwissende gegen 10 wahre Kenner, – vergiß also das so genannte populare nicht, das auch die langen Ohren Kitzelt.“ Oder war das Werk als „Trio facile“ gedacht, als ein Stück für die Anfänger auf dem Klavier (der Geige und dem Cello)?

Mag alles sein – doch könnte man Mozarts letztes Trio auch ganz anders sehen und hören. Wer es für „leicht“ hielte, sollte einmal zur Probe den ersten Satz anspielen, und zwar „Allegro“ (und nicht „moderato“), dann wird er sich gewiss schnell von dieser irrigen Vorstellung verabschieden. Die Frage drängt sich auf, ob nicht gerade die vermeintliche Schlichtheit dieser Musik den „wahren Kenner“ verlangt. Denn die Komposition ist nicht etwa simpel ausgefallen, sondern offen, klar, durchsichtig, durchhörbar und essentiell in jedem Takt. Das „populare“ tendiert in Mozarts Trio paradoxerweise zur Abstraktion, die Elemente aus der Volksmusik, dem Tanz, dem Lied werden in diesem puristischen Stil auf das Wesentliche reduziert, ins rechte Licht gerückt, zur reinen musikalischen Substanz geklärt. Und das Ergebnis ist höchste Verfeinerung, nicht Verarmung, nicht etwa eine Schwundstufe der Kunst, vielmehr eine Vollkommenheit, Vergeistigung und Abgeklärtheit, die am Ende kommt und nicht am Anfang steht – so jung dieser Komponist damals auch war. Er hat danach kein einziges Klaviertrio mehr geschrieben, doch die wenigen, die er hinterließ, bleiben unerschöpflich: ein Schatz, ein Vergnügen, eine Herausforderung. Und weitaus mehr, als sich denken lässt.

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