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Ein Gespr\u00E4ch mit Akinbode Akinbiyi
„In jedem Menschen steckt etwas Schaffendes“
Ergänzend zu Vorträgen, Musik und Film ist während der Edward W. Said Days eine Ausstellung mit Werken des Fotografen, Autors und Kurators Akinbode Akinbiyi zu sehen. Auf seinen Bildern – die Sie auch in diesem Programmheft finden – begegnen uns verunsichernde Darstellungen von Bewegung, die stets die gleiche Frage stellen: Wo und was ist Heimat? Mit dem Künstler sprach Amel Ouaissa.
Im Mittelpunkt dieser drei Tage steht das Thema Kontrapunkt – in musikalischer Hinsicht also ursprünglich die Kombination mehrerer Stimmen, die harmonisch voneinander abhängig sind, rhythmisch und melodisch aber unabhängig. Sehen Sie in Ihrer Arbeit auch solche kontrapunktischen Phänomene?
Seit ich die Einladung zu den Edward. W. Said Days erhalten habe, habe ich oft über diese Frage nachgedacht und bin eigentlich zu keinem endgültigen Ergebnis gelangt. In meiner Sicht der Dinge steckt immer ein gewisses Geben und Nehmen: Ich schaue etwas an, erlebe etwas, aber betrachte es nicht nur aus meiner Sicht, sondern aus verschiedenen Perspektiven. Daraus entstehen oft Gegensätze, Kontrapunkte wenn man so will, die sich gegenseitig ergänzen. Ich bin eigentlich ein Mensch, der Harmonie anstrebt, aber es gibt für mich nicht nur einen Weg, um diese Harmonie zu finden und sie zu ergründen. Deshalb versuche ich immer offen zu sein für die verschiedensten Aspekte und Herangehensweisen an ein bestimmtes Phänomen – in meinem Fall ein Bild.
Said zufolge kann all das, was potenziell mehrstimmig ist, kontrapunktisch sein – so auch der Status des Exils. Er sah darin nicht unbedingt ein harmonisches Konstrukt oder eine harmonische Realität, sondern verstand es vielmehr als Rastlosigkeit, als eine Art von Getrieben-Sein oder einem Zustand, andere zu treiben. Die oder der Exilierte ist gewissermaßen mit dieser Idee vom „Unglücklichsein“ glücklich…
Diese Definition von Exil verstehe ich gut. Gerade in unserer heutigen Zeit sind so viele Menschen auf der Flucht, es nimmt ein schreckliches Ausmaß an, und viele von ihnen fühlen sich in den Gesellschaften, die sie aufnehmen, nicht wirklich zu Hause. Ich persönlich sehe mich als Wanderer – ich weiß aber, dass die Möglichkeit zu wandern ein gewisses Privileg ist. Wandernde bringen immer ihr eigenes Gepäck mit, ihre Biographien, ihre Erfahrungen. Es ist wichtig, diese Erfahrungen und Realitäten, diese Menschen als gleichwertig anzunehmen und vielleicht sogar ein Stück mit ihnen zu gehen. Man beginnt die Welt mit anderen Augen zu sehen, und meines Erachtens kann man mit der Zeit überall zu Hause sein – immer noch wandernd, aber vor allem, um sein eigenes „Menschsein“ zu verstehen.
Sie sind also auf der Suche nach alltäglichen Momenten der Toleranz, der Harmonie – in einem anderen Kontext haben Sie es als „kindliche Unschuldsmomente“ bezeichnet. Trotzdem gelingt es Ihnen, die rauen Realitäten, die Sie mit Ihrer Fotografie einfangen, „ungefiltert“ wiederzugeben…
Toleranz ist mir sehr wichtig. Wenn ich mit einer Situation des Chaos oder der Krise konfrontiert bin, versuche ich deshalb, Ruhepunkte oder Toleranzmomente herauszuarbeiten. Es gibt gewisse Fäden im Leben, Gedankenfäden, Bewegungslinien… Künstler oder Künstlerinnen versuchen, auf unterschiedliche Art und Weise, diese Bewegungslinien aufzunehmen, sie zu beschreiben oder zu musizieren. Für mich ist es so, dass ich durch das Wandern auf diese Linien aufmerksam gemacht werde. Ich entdecke dabei manchmal krasse Gegenschnitte und Kontraste, und dann auf einmal ruhige Momente – das versuche ich einzufangen. Ich arbeite analog, ich muss dann also die Bilder entwickeln, mir die Kontaktbögen anschauen und versuchen, das, was ich erlebt habe, herauszukristallisieren. Jeder Mensch filtert. Ich versuche meinen eigenen Filter immer wieder neu zu definieren, neue Perspektiven zu gewinnen. Es gibt Realitäten, die entsetzlich, sogar unerträglich sind: Krieg, Armut, Elend. Und wenn ich durch solche Realitäten hindurchwandere, stellt sich die Frage: Was mache ich jetzt hier? Bin ich ein Voyeur, ein Flaneur, ein unbeteiligter, privilegierter Mensch? Oder bin ich ein Mensch, der versucht, zu verstehen, mitzuhelfen, dass sich diese elenden Situationen nach und nach verbessern? Ich versuche letzteres zu sein – es ist wichtig, von solchem Elend zu erzählen, das heißt in meinem Fall, Bilder zu zeigen. Ich tue das fast immer mit einer Serie von Bildern, so dass es den Betrachtenden, das hoffe ich zumindest, ermöglicht wird, Verständnis für die Situation zu entwickeln. Meine Herangehensweise ist sehr narrativ, ich finde es wichtig, Geschichten zu spinnen – ich mag diesen Ausdruck – und weiter zu spinnen. Wir hören zu oder hören mit, damit werden wir zu Mittragenden einer Geschichte, und manchmal kommen traurige, entsetzliche Geschichten dabei heraus, ab und zu aber auch sehr schöne.
Warum sind Sie unserer Einladung zu den Edward W. Said Days gefolgt?
Ich glaube, dass das geistige Erbe von Edward Said heute relevanter ist denn je. Die Fortsetzung seiner Ideen, und denen von Daniel Barenboim, in Form dieser Akademie, finde ich sehr wichtig. Die Barenboim-Said Akademie gibt jungen Menschen aus dem Nahen Osten und Nordafrika die Möglichkeit zusammen zu kommen und gemeinsam zu studieren – das ist wunderbar. Ich finde auch den künstlerischen Ansatz in der Wissensvermittlung, der sich dahinter verbirgt, beeindruckend. Meiner Meinung nach wäre es eigentlich ideal, wenn alle Menschen in gewisser Weise zu Künstlerinnen und Künstlern ausgebildet würden: Schülerinnen und Schüler, Lehrende und auch die, die sich bereits als Kunstschaffende verstehen. Es sind insbesondere Bildungsinstitutionen – von der Grundschule bis zur Universität –, die einen entscheidenden Beitrag dazu leisten können, wie die kommenden Generationen sich den Herausforderungen dieser Welt stellen. Mir scheint, dass die Unzufriedenheit, die Engstirnigkeit und die Perversionen, die uns in aktuellen politischen und sozialen Debatten begegnen, ein Zeichen dafür sind, dass sich noch Einiges tun muss. Im Deutschen spricht man von „Kochkunst“. Politik kann auch eine Kunst sein, alles kann Kunst sein. Künstlerische Werte können dem zunehmenden Materialismus und Geltungsbedürfnis unserer Zeit entgegentreten – Projekte wie die Barenboim- Said Akademie, Bildung im Allgemeinen, meine Bilder… Ich habe zwei Enkelsöhne, sie sind zwei und knapp drei Jahre alt, und auch sie sprechen, erzählen Geschichten, und ich wünsche mir, dass sie engagierte, mitwirkende Menschen werden. In jedem Menschen steckt etwas „Schaffendes“, in einer Fotografin und einem Cellisten genauso wie in einer Schreinerin oder einem Politiker.