Festschrift 50 Jahre 3. Kompanie WachBtl BMVg

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Protokollbesichtigung




Vorwort Wir feiern! Werte Kameraden, Ehemalige, Freunde und Bekannte, liebe Leser.

Fünfzig Jahre: ein stolzes Alter! Ein Jubiläum, das es angemessen zu begehen gilt – sowohl in Form einer würdigen Veranstaltung, als auch mit dieser hier endlich vorliegenden Festschrift. Wieso endlich? Es war ein langer, teilweise auch ein äußerst mühsamer Prozess, bevor das endgültige Produkt vorlag. Ein Prozess, der uns manchmal fast in den Wahnsinn getrieben hätte. Aber... Zum Einen wollten wir uns das Recht nicht nehmen lassen, diesen besonderen Geburtstag zu feiern. Und zwar so, wie es sich gehört. Mit möglichst vielen Gästen, vor allem den ehemaligen Angehörigen der Kompanie. Zum Anderen sind wir es allen Angehörigen der Kompanie schuldig, egal ob ehemalig oder gegenwärtig. Schließlich hat hier jeder – egal wie lange, wann oder in welcher Funktion er zur Dritten gehört hat – seinen Beitrag zu der fünfzigjährigen Geschichte dieser glorreichen Kompanie beigetragen. Und dabei darf auch die moralische Unterstützung durch unsere Familien nicht vergessen werden. Danke! Diese jahrzehntelange Geschichte haben wir im Rahmen der Vorbereitungen für die Feierlichkeiten und bei der Erstellung dieser Festschrift ergründet. Das hat uns geholfen, ein engeres und tieferes Verständnis für die eigene Tradition zu entwickeln. So galt es zunächst zu begreifen, welche Kompanie überhaupt dieses Jubiläum begeht. Unzählige Gesprächsrunden, „Verhandlungen“ über mögliche Unterstützungsleistungen, das „Besorgen“ einzelner Gegenstände wie beispielsweise einer Mauer, die sich vor dem alten Kompanieblock der Dritten in Lohmar-Heide befunden hatte, und in mühevollster Kleinstarbeit vor dem heutigen Block in Siegburg wieder aufgebaut wurde – aber auch die Sorge um die Finanzierungsmöglichkeiten, also das liebe Geld, standen an der Tagesordnung. Auch kann das Treffen mit Alfred Kreuser, der im Jahre 1965 als Feldwebel die Truppenfahne Nr. 1 vom zweiten Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Heinrich Lübke, entgegennahm (siehe das Foto auf der vorherigen Seite) und damit der erste Fahnenträger der Bundeswehr war, zweifelsfrei als ein herausragender Moment bezeichnet werden. Nichts wurde dem Zufall überlassen; alles, was angefasst wurde, geschah als Dank und Anerkennung – vor allem aber als tiefe Verbeugung vor den über die Jahrzehnte durch die 3. Kompanie erbrachten Leistungen, die stets durch das Streben nach Perfektion und das Erfüllen höchster Ansprüche bestimmt waren. Gerade die ehrlich gelebte Kameradschaft, die es in Verbindung mit einer enormen Leistungsbereitschaft jederzeit ermöglicht hat, das geforderte Ziel trotz aller Widerstände nicht nur zu erreichen, sondern stets zu übertreffen, war immer das Markenzeichen der Kompanie und ist es auch bis heute geblieben. Dass dabei auch der Humor nie zu kurz kam, ist selbstredend. Und diese Einstellung soll sich nicht ändern, nie enden, sondern auch künftig fortgeführt werden – denn das ist die Tradition, die verpflichtet. Semper Talis! Ihr Radoslaw Lejczak Hauptmann Kompaniechef 3. Kompanie Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung

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Inhaltsverzeichnis 24 Stunden Protokollbesichtigung Seite 02/03, 16/17, 30/31, 44/45, 58/59

Vorwort Kompaniechef

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Grußworte

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Kommandeur Wachbataillon Bürgermeister Siegburg

Gardisten erzählen (Teil Alpha) Dritte? Vierte? Was denn nun… Von Siegburg nach Lohmar-Heide Der erste Fahnenträger der Bundeswehr „No Entry for Officers“? Gib mir meine Legionen wieder! Pascal Lesch: Mein Protokolltagebuch Meine ersten Monate als Gardist Galopprennbahn und Gardisten-Tempel Als Wehrpflichtige(r) beim Wachbataillon

(S. 08) (S. 09)

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Die 3. Kompanie in der Welt

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Einsatzgebiete Deutschland Einsatzgebiete Weltweit

(S. 28) (S. 42)

Gardisten erzählen (Teil Bravo) 50 Jahre 3./: Junge, hier ist alles anders! Traditionspflege: Das Infanterie-Regiment 48 Luftwaffeneinsätze: „Als Grüner in Blau...“ Einsatz: „Draußen ist halt wirklich draußen“ Wintex: „Die Hölle heiß gemacht...“ Hansi, der Gaul: Zweite Schule des Lebens „Moritz II“ oder Tod eines Maskottchens

Chronik der 3. Kompanie

Grußwort Kommandeur Wachbataillon: Seite 8

Ein Tag Protokollbesichtigung - fünf Folgen im Fotoraffer von Stephan Wehling: Beginn Seite 2

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Die Chronik der 3./- von 1961 bis 2011: Seite 54

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Das Stammpersonal Seite 11, 27, 37, 49, 51 und 53

Die Wintex-Übungen am Bunker Marienthal: Seite 46


Impressum Herausgeber 3./Wachbataillon BMVg Luisenstraße 109 - 53721 Siegburg www.wachbataillon.bundeswehr.org

Redaktion Klaus Pokatzky Oberfeldwebel Babak Zand Soldaten der 3./- im Auslandseinsatz: Seite 38

Layout & Grafik Obergefreiter Fabian Briese Stabsunteroffizier Stephan Wehling

Besonderer Dank...

Das Stammpersonal der 3. Kompanie in sieben Folgen: Beginn Seite 11

Besonderer Dank gilt den Angehörigen des Redaktionskomitees dieser Festschrift und jenen Soldaten der 3. Kompanie, die über ihre Erfahrungen im Auslandseinsatz berichtet haben sowie OLt Michel Fritzsche für die Chronik und Gefr Pascal Lesch für sein Protokolltagebuch – das beeindruckend zeigt, mit welchen Mühen aus einem jungen Menschen ein echter Gardist werden kann. Außerdem danken wir der Informations- und Medienzentrale der Bundeswehr, dem Presse- und Informationszentrum der Streitkräftebasis – und vor allem den ehemaligen Angehörigen der 3./ für ihre tatkräftige Unterstützung in Wort und Schrift: Günter Christiansen, Dietmar Eckhart, Günther Harmsen, Josef Mahr, Stephan Schäfer, Hans A. Vogel, Peter Wallraf.

Auf dem Weg zum Ehrenposten. Ein Protokolltagebuch: Seite 16

Wenn Gardisten erzählen... 50 Jahre im Gespräch: 3./WachBtl BMVg: Seite 32

Die Freigabe der abgedruckten Artikel - „Wachbataillon robbte durch EIfelwald“, erschienen in der Rheinischen Post, Rhein und Ruhr Nr. 62 am Samstag, 14. März 1981, Autor: Heinz Schweden - „Letting his Guards down“ erschienen in „The Stars and Stripes“, Vol. 38, No. 181, Tuesday, October 16, 1979 (1F21855 A) liegt der Redaktion in schriftlicher Form vor. Wir bedanken uns für die Unterstützung der betreffenden Verlage.

Druck BAWV ZA 9 - Zentraldruckerei Köln/Bonn Intranet: http://zentraldruckerei.twv


Grußwort „Traditionsträger an Rhein und Sieg“ Soldaten der 3. Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung! Ihre Kompanie begeht am 18. Juni 2011 den 50. Geburtstag und als Ihr Kommandeur gratuliere ich Ihnen dazu sehr herzlich. Nach der Errichtung des Bataillons im Jahre 1957 wurde der Verband um eine weitere Heereskompanie, die damalige 4. Kompanie, am 1. Juli 1961 verstärkt. Aufgestellt und zunächst untergebracht in Baracken der Brückberg-Kaserne, befand sich die Kompanie in der weiteren zeitlichen Folge sieben Jahre abseits des Bataillons in der Ruhe und Beschaulichkeit von Lohmar-Heide. Am 5. Januar 1962 gab die Kompanie unter Führung von Hauptmann Rottländer ihren protokollarischen Einstand vor dem Palais Schaumburg zum 86. Geburtstag des Bundeskanzlers, Dr. Konrad Adenauer. Es folgten weitere herausragende protokollarische Einsätze, wie zum Beispiel beim Besuch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy im Jahre 1963 oder die Übergabe der ersten Truppenfahne der Bundeswehr im Jahr 1965 – empfangen aus den Händen von Bundespräsident Heinrich Lübke. Auch nach der Umbenennung der 4. in die 3. Kompanie im Jahre 1973 blieb die Einheit unverändert eine feste Größe im protokollarischen Ehrendienst. Darüber hinaus war und ist die 3. Kompanie ein wichtiger und würdiger Traditionsträger in unserer Garnisonstadt Siegburg. Die 3. Kompanie hat sich in den vergangenen 50 Jahren hervorragend bewährt – sei es im protokollarischen Einsatz oder im infanteristischen Gefechtsdienst. Stets zeigte sie sich aufgeschlossen gegenüber allen Veränderungen und Herausforderungen und stellte sich diesen uneingeschränkt. Der gelebte Wille zum Erfolg war dabei stets maßgeblich und zielführend. Dieser wurde ergänzt durch den eigenen Esprit, ein gesundes Selbstbewusstsein und einen Korpsgeist, der alle Kompanieangehörigen wie ein festes Band in jeder Situation zusammenhielt. All jene, die in dieser Einheit ihre militärische Heimat hatten oder haben, werden dies bestätigen können. Mit ihrem Leistungsvermögen war die ,,Dritte“ immer eine Bank und wird es in Zukunft auch bleiben, davon bin ich fest überzeugt. Die 3. Kompanie als Gastgeber – unter Führung von Herrn Hauptmann Radoslaw Lejczak – hat ihr besonderes Jubiläum in gewohnter Manier mit Fleiß, Akribie und Liebe zum Detail vorbereitet. Dafür möchte ich an dieser Stelle meine Anerkennung zum Ausdruck bringen. Ihnen, stolze Soldaten der 3. Kompanie, und ihren Angehörigen wünsche ich für die Zukunft alles erdenklich Gute, viel Erfolg, Soldatenglück und Gottes Segen.

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In Kameradschaft & Semper talis Ihr Oberstleutnant Marcus Göttelmann Kommandeur Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung


Grußwort „Feiertage mit dem Wachbataillon“ Sehr geehrte Angehörige der 3. Kompanie, liebe Soldaten! „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“ Dieser Satz des großen Humanisten Thomas Morus (1478-1535) ist zeitlos gültig. Morus will uns begeisterungsfähig machen. Er fordert Mut zur Veränderung. Er möchte, dass eine Sache, die in der Vergangenheit gut war, auch eine rosige Zukunft hat. Fünfzig Jahre gibt es die 3. Kompanie des Wachbataillons in Siegburg. Sie hat Tradition ganz im Sinne des englischen Philosophen. Ein Jubiläum ist der Zeitpunkt, dass wir uns der Qualitäten des Jubilars bewusst werden und diese würdigen. Bei der Würdigung dominiert das Wort „einzigartig“. Einzigartig ist im Wachbataillon der Werdegang der Rekruten. Einzigartig ist im Wachbataillon die gewissenhafte und professionelle Arbeit der Ausbilder, die aus Rekruten in kürzester Zeit Gardesoldaten werden lassen. Einzigartig ist aber auch der Auftritt der Kompanieangehörigen nach außen, der Kontakt zur Siegburger Bevölkerung, die Teilnahme der jungen Männer am Leben in unserer Kreisstadt. Einzigartig ist dadurch auch das Ansehen, dass die Uniformträger in Siegburg genießen. Große Zapfenstreiche auf dem Markt waren Feiertage. Man fieberte schon Tage vorher darauf hin – in der Kompanie und in den Wohnzimmern der Siegburger. Die Bundeswehr hat sich den Spruch von Thomas Morus zu Herzen genommen. Sie verändert sich; sie steuert – statt mit Wehrpflichtigen – mit Freiwilligen in die Zukunft, die für einen gewissen Zeitraum dem Staat und damit ihren Mitmenschen dienen. Das Wachbataillon ist für den anstehenden Wandel gewappnet. Denn dort gibt es sie wirklich: die Flamme, von der Thomas Morus sprach. Sie ist der Fackelschein beim Feierlichen Gelöbnis, beim Großen Zapfenstreich, beim Staatsbesuch. Und sie erleuchtet die stolzen Soldaten, die der Bundesrepublik ein Gesicht geben – die uns allen ein Gesicht geben. Freundliche Grüße Ihr Franz Huhn Bürgermeister

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Dritte? Vierte? Was denn nun… Oder: Von der Suche nach der eigenen Identität

Von Kanzler Konrad Adenauer zu Kanzlerin Angela Merkel – das Wachbataillon ist immer dabei.

Wir schreiben das Jahr 2011: Die 3. Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung begeht ihren fünfzigsten Geburtstag, das Jubiläum ihres fünfzigjährigen Bestehens. Grund genug zum Feiern! Zur Geschichte: Gegründet wurde die Dritte im Jahre des Herrn 1960. Stopp! Irgendetwas stimmt hier nicht. 1960? 2011? 50 Jahre? Also noch mal zum Mitlesen… Gegründet wurde die Dritte am 1. Juli 1961. So, jetzt passt es. Wäre doch gelacht, wenn wir auch dies nicht zu unserem Gunsten auslegen, es wieder hinbiegen würden. Aber mal ernsthaft. Vor diesem Problem standen auch wir, als wir uns zum ersten Mal mit der Erstellung dieser Festschrift befassten und uns in die Geschichte der 3. Kompanie stürzten – denn zunächst galt es, die eigene Identität zu finden und zu ergründen. Und diese soll nun hier verdeutlicht werden. Wenn man es genau nimmt, wurde die 3. Kompanie im Jahre 1960 gegründet. Doch handelt es sich dabei nicht um unsere Kompanie, die in diesem Jahr 2011 ihr Jubiläum begeht, auch wenn die Zahl 3 vor dem Punkt die gleiche ist. Denn die Tradition der heutigen Dritten geht auf eine andere Kompanie zurück: auf die der Vierten

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nämlich. Daher muss es folgerichtig korrekt heißen: Am 1. Juli 1961 wurde die 4./WachBtl BMVg aufgestellt. Und diesen Namen trug sie auch bis zum Jahr 1973, genauer gesagt bis zum 1. Oktober 1973. An diesem Tag wurde nämlich die damalige, die „alte“ Dritte aufgelöst und die Vierte in 3./WachBtl BMVg umbenannt. Alles klar? Also mal langsam. Bereits seit August 1959 fanden protokollarische Einsätze unter Beteiligung aller Teilstreitkräfte statt. Die Luftwaffenkompanie, ursprünglich im Fliegerhorst Köln-Wahn beheimatet, wurde – um organisatorische Schwierigkeiten zu verringern – bereits Ende 1959 in die Brückberg-Kaserne nach Siegburg verlegt und später als 5. Kompanie ins Wachbataillon eingegliedert. Der Marineanteil des Wachbataillons wurde zu dieser Zeit durch die Marineunteroffizierschule Plön gestellt. Als am 28. Juni 1973 die 9. Inspektion der Marineküstendienstschule von Neustadt an der Ostsee nach Siegburg verlegt wurde, beschloss man, diese als 4. Kompanie dem Wachbataillon anzugliedern. Dies hatte zur Folge, dass die bisherige 3. Kompanie aufgelöst und die bis dato als 4. Kompanie bekannte Kompanie in 3./ WachBtl BMVg umbenannt wurde.

Doch weshalb hat man nicht einfach die „alte“ Vierte aufgelöst und dafür die „alte“ Dritte im Dienst belassen? „Na, weil wir einfach die bessere Kompanie waren!“, erinnert sich Stabsfeldwebel a.D. Günter Christiansen, der die Umbenennung als Zeitzeuge miterlebt hat, und unter anderem vierzehn Jahre lang Zugführer in der Kompanie gewesen ist. Er schmunzelt dabei. „Moment mal. Das war aber ein wenig anders!“, fällt Oberst a.D. Stephan Schäfer ein, ehemaliger Kompaniechef der Dritten und später Bataillonskommandeur: „Das weiß ich. Schließlich war ich damals der Personaloffizier des Bataillons.“ Ein lautes Lachen legt sich über die Gesprächsrunde. Einigen wir uns einfach darauf, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt... Auch wollen wir so ehrlich sein und zugeben, dass wir, die heutigen Angehörigen der dritten Kompanie, gar nicht so richtig an der Wahrheit interessiert sind. Denn heute gefällt auch uns der Gedanke, die Traditionslinie der „besseren“ Kompanie fortzuführen. Auf die nächsten fünfzig Jahre… SEMPER TALIS!

Hauptmann Radoslaw Lejczak


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Von Siegburg nach Lohmar-Heide Bei Vogelgezwitscher und Waldluft klappt der Griff besonders gut / Von Günter Christiansen

„Ich bin ein Berliner“: US-Präsident John F. Kennedy bei seiner Ankunft in Deutschland – vor seinem Berlin-Besuch am 24. Juni 1963.

Im Februar 1962 bekam die 4. Kompanie ihren neuen Standort in Lohmar-Heide. Vier Tage benötigen die Soldaten, um das alte Barackenlager in der BrückbergKaserne endgültig hinter sich zu lassen und in Heide eine neue, freundliche Unterkunft zu beziehen. Der Empfang durch die Bevölkerung des Ortes ist sehr herzlich und die Soldaten sind überall gerne gesehen. Die Liegenschaft besteht aus einem Hauptgebäude, einem Bungalow und einem Schwedenhaus als Unterkunft – sowie einer Schirrmeisterei mit KfzWaschplatz in einer parkähnlichen Anlage. Im unteren Teil befinden sich Schleppdächer als Abstellplatz für die Dienstkraftfahrzeuge. Zur Formalausbildung marschiert die Kompanie in den Wald. Ein etwa 400 Meter langer asphaltierter Waldweg ist der neue Exerzierplatz der Heider- Gardisten. Bei Vogelgezwitscher und gesunder Waldluft klappt der Griff besonders gut. Neue Bauvorhaben werden im Jahr 1966 geplant und zügig umgesetzt. Als Planer, Leiter und Organisator geht der Kompaniechef Hauptmann von Prondzynski in die

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Noblesse oblige – Adel verpflichtet: Ein Kompaniechef und zwei seiner Oberleutnante mit Sekt im Bade…

Geschichte des Wachbataillons ein. Er will für seine Soldaten ein eigenes Schwimmbad – und er bekommt es auch: einmalig in der Bundeswehr. In der Mitte der Parkanlage entsteht in monatelanger, mühevoller Arbeit der Gardisten ein wunderschönes Schwimmbad. Jetzt hat die Kompanie in ihrer Freizeit „Erholung pur“, um die sie von vielen Kameraden aus der Brückberg-Kaserne beneidet werden. Während der Feierlichkeiten zur Übergabe der Traditionspflege des ehemaligen Infanterieregiments 48 an die 4. Kompanie am 12. September 1966

findet die Einweihung des Schwimmbades statt. In voller Montur macht der Chef den schon legendären Kopfsprung in das neue 20-Meter-Schwimmbecken und trinkt dort ein Glas Sekt auf das Wohl seiner Kompanie und des Traditionsregiments 48. Noblesse oblige – Adel verpflichtet... Auch seine beiden Kompanieoffiziere, die Oberleutnante Schwabe und Flohr, müssen den Sprung ins Wasser wagen, um mit dem Chef in der Mitte des Bades anzustoßen. Dieses idyllische Domizil in Heide muss am 19. Februar 1969, nach sieben Jahren, mit dem Umzug nach Bergisch Gladbach aufgegeben werden.


Der erste Fahnenträger der Bundeswehr Übergabe der Truppenfahne Nummer 1 Von Babak Zand

Empfang der ersten Truppenfahne: Oberst a.D. Stefan Schäfer (links) und Feldwebel Alfred Kreuser (rechts)

„Mit zackigem Zugriff der weißbehandschuhten Fäuste des Feldwebels Alfred Kreuser, 26, der das bunte Seidentuch künftig dem Wachbataillon vorantragen soll, eroberte die Bundeswehr am Donnerstagnachmittag letzter Woche auf der Bonner Hardthöhe wieder ein Stück deutscher Militärtradition zurück“. Mit diesen Worten beschrieb der Spiegel in seiner Ausgabe am 13. Januar 1965 die Übergabe der Truppenfahne Nummer 1 von Bundespräsident Heinrich Lübke an das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung auf der Bonner Hardthöhe. Alfred Kreuser war der erste Soldat,

der als Fahnenträger des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung die Fahne von Bundespräsident Lübke entgegen nehmen durfte. Der heute 72jährige Sankt Augustiner erinnert sich vage an die Geschehnisse vor 46 Jahren. „Es wurde im Bataillon nachgefragt, wer die Fahne entgegennehmen wollte, und da hab ich mich direkt gemeldet. Und bin es dann auch geworden“ so Kreuser. Das Treffen des alten und des derzeitigen Fahnenträgers war in erster Linie ein Zufall. Durch die Recherche Arbeit an dieser Festschrift wurden Angehörige der Kompanie auf die Geschichte des

ersten Fahnenträgers aufmerksam. Dabei fand man Berichte über die erste Fahnenübergabe - und auf Feldwebel Alfred Kreuser. Dieser war Angehöriger der „alten“ 3./ Kompanie – zu diesem Zeitpunkt war dies aber für die Kompanie nicht klar. Erst nach den Treffen wurde die Verwechslung offensichtlich. Aber ein Ehemaliger des Wachbataillons, der die erste Truppenfahne der Bundeswehr aus den Händen des Präsidenten empfangen hatte, musste es in unsere Festschrift schaffen. Zudem auch der derzeitige Bataillonsfahnenträger aus den Reihen der „richtigen“ Dritten kommt. Dabei waren die Wurzeln von Kreuser schon vor seinem Eintritt in das Wachbataillon eng mit diesem verbunden. „Nicht nur, dass mein Vater in der gleichen Kompanie wie ich seinen Dienst versah. Er war auch noch mein Ausbilder und Vorgesetzter, und das bekam ich oft zu spüren“ so Kreuser. Auch der Sohn von Alfred Kreuser leistete seinen Dienst beim Wachbataillon ab. „Drei Generationen im Wachbataillon, davon einer als erster offizieller Fahnenträger des Wachbataillons und der Bundeswehr - das ist schon eine historische Besonderheit“ so Thomas Stahl. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste die noch junge Bundeswehr zunächst ohne Fahnen und Symbole auskommen. Doch die Einheiten behalfen sich und kreierten selbstständig eigene Truppenfahnen. 1959 trat das deutsche Kontingent bei einer NATO-Truppenparade mit einer eigenmächtig gefertigten Truppenfahne an. Den Offizieren war es peinlich, ohne Fahne anzutreten. Der Trend setzte sich fort, und immer mehr Bundeswehr-Einheiten nahmen eigene Fahnen in Ihren Verband auf, die durch Bürgermeister und auch Ministerpräsidenten offiziell verliehen wurden. Erst mit dem damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke endete das Wirrwarr der Eigenbau-Fahnen und die erste offizielle Truppenfahne der Bundeswehr wurde in einem feierlichen Zeremoniell übergeben - an das Wachbataillon beim Bundesministerium der Verteidigung.

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„No Entry for Officers“? Beim Bicentennial in den USA Von Oberst a.D. Stefan Schäfer*

Daneben war eine Einladung zur Deutschen Vereinigung in Richmond mit Besuch auf deren Oktoberfest zu absolvieren…

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Die entscheidende Schlacht im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg wurde nach fünfjährigem Kampf auf dem Feld nahe der kleinen Stadt Yorktown im US-Bundesstaat Virginia ausgetragen. Dorthin verschlug es im September 1981 die 3. Kompanie. Wie kam es dazu und was hatte das Wachbataillon und seine 3. Kompanie dort zu tun? Die 13 ersten Provinzen im Osten von Nordamerika wurden vom Mutterland England mit immer härteren Steuern belegt. 1776 kam es dann zum Aufstand (Boston-Tea-Party) und zur Verkündigung der Unabhängigkeitserklärung. Die USA waren geboren. Natürlich ließ sich England dies nicht gefallen und schickte Truppen nach Nordamerika. Dabei waren auch hessische Soldaten, die der Kurfürst kurz vorher aus Geldmangel an die Briten verkauft hatte. Kaum auf der Insel angekommen, wurden diese in den Krieg gegen die abtrünnigen Provinzen in Amerika geschickt. Der Krieg tobte fünf Jahre und endete im September 1781 mit dem Sieg der Amerikaner bei Yorktown. Diesen Geburtstag galt es

nun im September 1981 zum 200. Mal zu feiern. „Bicentennial“ nennen es die USAmerikaner. Alle damaligen am Krieg beteiligten Nationen waren zur großen Parade auf dem Schlachtfeld von Yorktown eingeladen. So auch Deutschland wegen der beteiligten Hessen. Und die 3. Kompanie war dabei! Einige Besonderheiten für uns Bundeswehrsoldaten gab es bei diesem Besuch allerdings. Von wegen Vier-Mann-Stube oder gar „Kaserne 2000“ Untergebracht waren alle Soldaten in Fort Eustis in Virginia. Die Kaserne war sehr einfach, aber blitzsauber. So lagen alle Mannschaftsdienstgrade und auch die Unteroffiziere in einer großen Baracke ohne Trennwände. Von wegen VierMann-Stube oder gar „Kaserne 2000“… Um die Hygieneräume einfacher reinigen zu können, hatten die Erbauer der Kaserne eine „geniale“ Idee. Es genügte ein einziger rundum gekachelter Raum. Auf einer Seite Waschbecken, auf der anderen Brauseköpfe zum Duschen und an der dritten Wand Toilettenschüsseln. Sicht-

schutz war Fehlanzeige. Täglich, nachdem die nunmehr etwas gewöhnungsbedürftige Morgentoilette aller Soldaten erledigt war, kam ein Arbeiter und spritzte mit einem C-Rohr und mit Desinfektionsflüssigkeit den ganzen Raum ab. Fertig war der Revierdienst! Streng getrennt waren auch die Betreuungseinrichtungen. Auf Bitten des Kompaniefeldwebels begleitete der Kompaniechef, wegen seiner besseren Englischkenntnisse, die Unteroffiziere zum NCO-Club, dem Unteroffizierheim. In der Eingangstür stand ein kräftiger Corporal, ein Hauptgefreiter, der unschwer erkannte, dass neben den deutschen Unteroffizieren auch ein Hauptmann hinein wollte. Dies verwehrte er mit strengem Gesichtsausdruck: „No Entry for Officers“. Erst mit vielen Erklärungen warum und wieso, ließ er den Kompaniechef mit seinen Unteroffizieren ein. Und alle waren erstaunt, dass kurz nach Dienstende, es war gegen 18:00 Uhr, das Unteroffizierheim voll belegt war. Warum das so war, wurde uns allen wenige Minuten später klar. Eine junge Frau erschien und ging auf die kleine Bühne. Scheinwer-


fer leuchteten auf, Musik erklang und alle Besucher erlebten einen gekonnten Striptease. Der Club-Manager, mit dem die völlig verblüfften Deutschen ins Gespräch kamen, erklärte dann, dass er dies zu solch einem frühen Zeitpunkt als Programm biete, weil er nur so die Unteroffiziere in dieser großen Zahl in den Club bekäme. Seien sie nach Dienstende erst zuhause, kämen sie ja nicht mehr in den Club zurück. Ob das auch in einem Unteroffizierheim der Bundeswehr möglich wäre? Zurück zum eigentlichen „Übungszweck“. Vorüben für die Parade stand täglich auf dem Dienstplan. Daneben war eine Einladung zur Deutschen Vereinigung in Richmond mit Besuch auf deren Oktoberfest zu absolvieren. Besichtigt werden konnten Norfolk mit dem gewaltigen Marinestützpunkt und eine der ältesten Siedlungen in Nordamerika: das historisch erhaltene Williamsburg. Aber der Höhepunkt war natürlich die große Feier auf dem Schlachtfeld von Yorktown. Als wir dort eintrafen, war aber noch genügend Zeit, um all das, was sich uns dort bot, ausreichend zu besich-

tigen. Um die Schlacht in ihrem kompletten Verlauf darzustellen, haben sich in den USA viele historische Vereinigungen gegründet. So gibt es britische, französische und hessische Einheiten zu bewundern – aber auch die „Abtrünnigen“, also die Amerikaner. Streng wird bei allen auf möglichst originalgetreue Ausrüstung und Ausstattung geachtet. So werden Uniformen, Bekleidung und Zelte aus Stoffen hergestellt, die nach alten Methoden gewebt werden. Jährlich trifft man auf dem Schlachtfeld zusammen, richtet seine Lager ein, übt und kämpft schließlich. Viel Geknalle und Pulverdampf schwappt dann über dem Land, aber niemand wird verletzt. Natürlich haben wir auf dem weitläufigen Areal auch die Hessen gesucht. Die immer wieder gestellte Frage „Where are the Hessians?“ hat uns schließlich zu deren Camp geführt. Die rot-weiße Truppenfahne mit dem hessischen Löwen wehte über den Zelten, ein Wachposten in hessischer Uniform ließ uns ein. Ein seltsames Erlebnis war dies. Alles war irgendwie vertraut, aber keiner der „Hessen“ konnte auch nur ein Wort Deutsch sprechen.

Na ja, sie sind halt in den historischen Verein eingetreten, treffen sich in ihrem Wohnort und kommen einmal im Jahr für zwei Wochen in ihrem Urlaub nach Yorktown. Dann begann die eigentliche Feierlichkeit. Die Schlacht wurde von den „Historischen“ durchgekämpft und dann marschierten die Ehrenformationen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands auf. Höhepunkt der Parade, die in Anwesenheit des US-Präsidenten Ronald Reagan stattfand, war das Hissen einer überdimensionalen amerikanischen Flagge. Getragen von zehn Soldaten, wurden die „Stars and Stripes“ an einem wuchtigen, rund 30 Meter hohen, schnurgeraden Baumstamm befestigt und langsam in die Höhe gezogen. Das sehr leichte Gewebe entfaltete sich und die riesige Flagge wehte über dem Schlachtfeld. Kein Soldat und kein ziviler Teilnehmer an dieser Zeremonie, der nicht tief beeindruckt war.

* Kompaniechef der 3. Kompanie von 1978 bis 1982.

Gib mir meine Legionen wieder! Auf dem Übungsplatz „In der Senne“ Ihren ersten Übungsplatz-Aufenthalt unter Führung des neuen KompanieChefs, Hauptmann Fulst, verbrachte die 3. Kompanie vom 18. bis zum 23. Februar 1974 „In der Senne“. Vom Truppenlager „Staumühle“ fuhren die Soldaten täglich auf die eingeteilten Schießbahnen und absolvierten ein reichhaltiges und abwechslungsreiches Programm. Für die Gefechtsschießen des Einzelschützen war die Waldkampfbahn „Border“ ein unvergessliches Erlebnis. Der einzelne Soldat war auf sich gestellt und musste den Wald durchkämmen. Der Feind lag dabei in gut getarnten Stellungen oder tauchte als Baumschütze ganz plötzlich auf – und musste mit schnellen, aber dennoch gezielten Schüssen bekämpft werden. Hierbei wurden gute Ergebnisse erzielt. Beim Angriffsschießen einer Jägertruppe wurden an die Soldaten hohe Ansprüche gestellt. Auch diese Hür-

de konnte mit überdurchschnittlichen Ergebnissen gemeistert werden. Der Höhepunkt des Übungsplatzaufenthalts war allerdings das Gefechtsschießen eines Jägerzuges im Angriff. Nach Ausgabe der Lage und einer gründlichen Vorbereitung griff der Zug, gefechtsmäßig gegliedert und STAN-mäßig ausgerüstet, einen Feind an, der sich zwar aus gut versteckten Feuerstellungen verteidigte, aber schließlich fast völlig vernichtet wurde. Damit war das Angriffsziel erfüllt. Die schnell wechselnden Feindlagen und die im Ablauf geschickt eingebaute Zielfeuerdarstellung verlangte von allen beteiligten Soldaten ein schnelles und übersichtliches Handeln – sowie zweckmäßigen Einsatz der Waffen. Zum Abschluss dieser ereignisreichen Woche führte die Kompanie noch eine Gefechtsübung – ohne scharfen Schuss – durch. Während die Zugführer, auf den

Spuren des Arminius, am Fuße des Teutoburger Waldes ihre Stützpunkte erkundeten, mussten sich die Gruppen über eine Entfernung von zehn Kilometern durch ein unübersichtliches Waldgelände und durch die nasskalte Nacht durchkämpfen. Dort sollten sie ihre Gruppenstellungen beziehen und sich zur Verteidigung einrichten. Das Feindkommando, unter Führung des im Nachtkampf bewährten Schirrmeisters, wandte eine Kriegslist an, die schon Arminius in der Schlacht 9 n. Chr. kannte. Er zündete mehrere Lagerfeuer an, um den Eindruck zu erwecken, dass es sich um einen zahlenmäßig stärkeren Feind handele. Nach dieser für den Feind verlustreichen Woche steht als Inschrift im Argonnenkreuz folgender Spruch: „Zenturio Fulstinus – gib mir meine Legionen wieder!“ Günter Christiansen

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Mein Protokolltagebuch Erste Woche: Gewehr auf, Gewehr ab, links um, rechts um Das Werden des jungen Pascal Lesch zum Ehrenposten

Man soll den Tag nicht vor dem Abend belächeln – der Karabiner wird mit jeder Minute schwerer und mein Arm zunehmend lahmer…

Nachdem wir Anfang Februar unser Gelöbnis abgelegt hatten, haben wir in dieser Woche den nächsten Schritt auf unserem Weg zum repräsentativen Soldaten bei der Bundeswehr gemacht – zum protokollarischen Ehrendienst. Wir haben die anderen Züge beobachtet, die schon etwas weiter waren; und so können wir im Groben erahnen, was uns erwarten wird. Allerdings nur im sehr Groben: wie sehr wir noch an unsere körperlichen Grenzen geführt würden – das ist uns bis zum Beginn der Protokollausbildung noch nicht klar. Wenn wir Deutschland im In- und Ausland repräsentieren wollen, dann ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir den Protokolldienst erlernen. Dazu werden verschiedene Aufgriffstechniken antrainiert, die mit dem Karabiner K 98 durchgeführt werden. Der Karabiner ist dabei nicht schussfähig. Wir zeigen damit: wir leben im Frieden – und wir setzen uns für den Frieden auf der Welt ein. Als wir uns am ersten Tag der Protokollausbildung auf dem großen Übungsplatz unserer Kaserne in Siegburg einfinden, habe ich

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gemischte Gefühle. Zum Einen weiß ich nicht, wie lange der Dienst dauern soll; zum Anderen denke ich mir, dass dieser Dienst nicht viel anstrengender sein könnte, als das, was wir bisher schon hinter uns gebracht haben. Dabei schießt mir vor allem die Biwak-Woche durch den Kopf und insgeheim muss ich lächeln: Wenn ich die Biwak-Woche geschafft habe, dann schaffe ich den Protokolldienst doch wohl auch noch. Doch: Man soll den Tag nicht vor dem Abend belächeln. Meine Zuversicht sinkt merklich, nachdem ich den Karabiner eine Stunde lang bei mir tragen muss und das ständige Marschieren an den Nerven zehrt. Das Gewehr muss dabei hochgehalten werden; das Gewehr wird mit jeder Minute schwerer und mein Arm zunehmend lahmer. Dennoch will ich mir keine Schwäche eingestehen. Trotz schmerzender Handgelenke und eines Muskelkater im Anmarsch beiße ich die Zähne zusammen und versuche, mein Bestes zu geben. Immer empfindlicher reagieren wir auf Fehler der Kameraden – denn bei jedem Fehler müssen wir den gleichen Griff immer und immer wiederholen. Also

hören wir alle besonders aufmerksam zu und agieren so gleichmäßig wie möglich: Gewehr auf, Gewehr ab, links um, rechts um – ich weiß nicht mehr, wie oft wir unsere Übungen wiederholen. Wenn man mal aus dem Augenwinkel auf die Kameraden schielen kann, wird mir vor allem eins klar: bis wir das Wachbataillon und Deutschland wirklich repräsentieren können, liegt noch ein weiter Weg vor uns. Wer die Biwak-Woche geschafft hat, schafft den Protokolldienst noch lange nicht…

Auf zum protokollarischen Ehrendienst!


Zweite Woche: The same procedure as every day

Man kann nicht sagen, dass wir schon eine gleichmäßige Einheit bilden…

Mittlerweile haben wir die zweite Woche in unserer Protokollausbildung hinter uns gebracht. Man kann nicht sagen, dass wir schon eine gleichmäßige Einheit bilden – aber ich habe das Gefühl, dass wir doch viel besser sind als in der Vorwoche. Zumindest gewöhnen wir uns langsam an das lange Stehen und die harten Bewegungen. Unsere Ausbilder haben ihre eigenen Mittel zur Steigerung unserer Leistung. Zu unseren wechselnden Uniformen, die aus

Semper Talis, stets gleich!

dem Protokollanzug der Luftwaffe, der Marine und des Heeres bestehen, gehören weiße Handschuhe, die wir später des Protokolldienstes tragen müssen – wenn wir das Wachbataillon und Deutschland repräsentieren. Wenn wir uns so gekleidet mit dem Rücken zur Sonne stellen, können die Ausbilder uns selbst zwar nur schemenhaft erkennen – da die leuchtenden weißen Handschuhe jedoch deutlich und klar sichtbar sind, wird jeder Fehler direkt erkannt und jede Unregelmäßigkeit

ausgemerzt. Zwar geht es beim Protokolldienst auch um das Marschieren, das beinahe schon durch choreographiert wirkt – ein zentraler Bestandteil ist aber der Präsentiergriff. Was nach außen hin wie eine einfache Griffabfolge wirkt, ist in Wirklichkeit körperlich anstrengendste Arbeit. Am Ende der einmonatigen Ausbildung darf sich niemand mehr verhaspeln, geschweige denn das Gewehr fallen lassen. Wenn ich mir vorstelle, dass mir so etwas bei unserer Protokollabnahme oder sogar nach dem Ende der Protokollausbildung bei einem Staatsbesuch passiert, wird mir ganz anders. (Anmerkung der Redaktion: Zu diesem Thema empfehlen wir die Lektüre der Seite 13.) Unsere Protokollabnahme wird Ende März stattfinden, so hat man es uns mitgeteilt. Hier in Siegburg werden wir Noten dafür bekommen, wie fehlerfrei unsere Bewegungen sind – alles nach dem Motto des Wachbataillons: Semper Talis, stets gleich. Die Biwak-Woche war wirklich gar nicht so schwer…

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Mein Protokolltagebuch Dritte Woche: Halbzeit im Prot-Loch

Wir beherrschen unsere Bewegungen keineswegs schon hundertprozentig…

Wir haben jetzt Halbzeit in unserer Protokollausbildung. Wir beherrschen unsere Bewegungen keineswegs schon hundertprozentig. Und wir fallen langsam in das allseits bekannte „Prot-Loch“, bei dem die Motivation fast in den Keller sinkt. Doch mich hat in dieser Woche etwas ganz neu motiviert: Ich wurde als späterer Ehrenposten ausgewählt –als einer von ganz wenigen Grundwehrdienstleistenden. Ehrenposten sind immer zwei. Das heißt: ich muss die gleichen Griffe und Schritte lernen muss wie meine Kameraden – aber noch viel präziser und ausgefeilter. Wie beide müssen dann völlig synchron agieren. Unsere Bewegungen stehen unter enormer Beobachtung. Wir beide sind im Fokus der Aufmerksamkeit, wenn wir direkt an der Tür stehen, durch die der Staatsgast bei Empfängen schreitet. Was die Wahl zum Ehrenposten bedeutet, merke ich außerhalb der eigentlichen Ausbildung. In dieser Woche steht die Pflege unserer Uniformen auf

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dem Plan. Zum Einen müssen wir unsere Knöpfe verstärken; das heißt sie so bearbeiten, dass sie fest und aufrecht stehen. Zum Anderen müssen wir unsere Anzüge bügeln. Ich erledige dies in üblicher Manier. Nachdem ich der Meinung bin, dass mein Hose und meine Jacke faltenfrei genug sind, lege ich sie unseren Gruppenführern zur Abnahme vor: mit mittelmäßigem Erfolg. Meine Anzüge werden abgenommen – nach dem ich vier Mal zurückgeschickt wurde, um sie endlich in Topform zu bringen. Die eigene Ausrüstung perfekt zu pflegen und keine Mängel an der Kleidung aufzuweisen, gehört ebenso zur Ausbildung wie das Erlernen des Protokolldienstes. Etwas wundere ich mich allerdings schon, dass ich die Sachen so oft neu bearbeiten muss. Als diese dann endlich abgenommen werden, kann ich mir die Frage nicht verkneifen, was ich so falsch gemacht hatte. Antwort: Ich habe nichts falsch gemacht. Aber, so der Gruppenführer: „Jetzt wo Sie Ihren Protokolldienst angetreten haben, gelten

andere Regeln als in ihrer vorhergegangenen Bundeswehrzeit. Was früher hundert Prozent war, reicht jetzt nicht mehr. Geben Sie tausend Prozent – und ich bin zufrieden.“ Bei der Biwak-Woche reichen hundert Prozent…

Keine Mängel an der Kleidung!


Vierte Woche: Eine Zwei reicht nicht

Die Schritte sitzen – ich fühle mich schon relativ sicher…

Donnerstag nächster Woche ist unsere Protokollabnahme. Mittlerweile haben sich unsere Leistungen deutlich verbessert. Die Schritte sitzen – auch, wenn

Weiterüben!

sich auch zwischendurch kleine Fehler einschleichen. Ich fühle mich schon relativ sicher, mein größtes Problem ist meine Nervosität. Immer wenn einer von den Vorgesetzten unsere Arbeit kontrolliert, möchte ich meine Bewegungen noch ruckhafter und meinen Schlag noch lauter ausführen. Wie es der allseits bekannte Vorführungseffekt so mit sich bringt, klappt das dann natürlich weniger gut als in den Proben. Ich hoffe nur, dass alles klappt, wenn es wirklich darauf ankommt. Donnerstag nächster Woche ist unsere Protokollabnahme. Mein Kamerad und ich werden als Ehrenposten einzeln abgenommen werden. Bei der Benotung handelt es sich um Noten, die wie in der Schule von Eins bis Sechs gehen.

Wir simulieren schon mal eine Protokollabnahme auf dem Übungsplatz. Eigentlich entspricht dieser Durchgang genau dem, was wir zuvor etliche Male geübt haben – allerdings mit einem Unterschied: diesmal ist ein Klemmbrett dabei. Nachdem unser Anleiter das Klemmbrett gezückt hat, geht alles schief, was nur schief gehen kann. Naja: im Groben und Ganzen hat es schon geklappt – doch mein Ehrenposten-Kamerad und ich sind alles andere als zufrieden. Wieder hat uns unsere Nervosität einen Strich durch die Rechnung gemacht. Es liegt wohl daran, dass wir beide versuchen, so synchron wie möglich zu agieren und dabei vernachlässigen wir offenbar die Konzentration auf die ganz eigenen Bewegungen. Am Ende des Durchlaufs gehen wir mit der Note „gut“ in unser Wochenende und obwohl sich viele damit sicher zufrieden gegeben hätten, bin ich mit meiner Leistung nicht zufrieden. Jetzt wo ich Ehrenposten werden soll, reicht mir eine Zwei einfach nicht mehr aus. Deshalb heißt es nun für mich: Weiterüben. Donnerstag nächster Woche ist unsere Protokollabnahme. Und wir sind hier schließlich nicht in der Biwak-Woche…

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Mein Protokolltagebuch Fünfte Woche: Endspurt

Alle fiebern dem Donnerstag entgegen – dann zeigt sich endlich, ob sich das harte Training ausgezahlt hat…

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In dieser Woche geht es noch einmal heiß her. Da werden Anzüge gebügelt, gefaltet, Krawatten gebunden und Knöpfe angenäht. Angefangen haben wir mit unserem Protokollanzug des Heeres. Die Temperaturen sind in dieser Woche in die Höhe geschossen. Das macht alles nicht einfacher. Auch unabhängig vom Wetter liegen unsere Nerven blank. Alle fiebern dem Donnerstag entgegen. Dann zeigt sich endlich, ob sich das harte Training ausgezahlt hat. Weiter geht es in dieser Woche mit der Anprobe des Protokollanzugs der Luftwaffe. In dem machen wir dann am Dienstag eine Art Generaldurchlauf der Protokollabnahme. Dabei werden die Wege, die zu Laufen sind, auf das Bundeskanzleramt in Berlin und die Hardthöhe in Bonn angepasst. Mein Ehrenposten-Kamerad und ich müssen das nicht mitüben, da wir am Tag der Abnahme unseren gesonderten Protokolldienst vorzeigen müssen. Nach dem Generaldurch-

lauf stärkt der Protokollfeldwebel unser Selbstbewusstsein: Bis auf einige Feinheiten war alles schon sehr gut. Wir müssen nur noch die Anpassung der Hände und das Timing beim Aufgrifftempo verbessern – und die Stärke des Schlags auf das Gewehr erhöhen. Dieser ist im Idealfall sehr abgehackt und ruckartig. um eine bestimmte Härte zu erreichen. Im Laufe der Woche üben wir dann auch noch in unserem Feldanzug Prot auf dem Explatz. Erneut wird auf die Handhaltung und die Körperspannung geachtet. Dieser Durchlauf ist besonders wichtig, weil die Bedingungen, unter denen wir geübt haben, genau mit denen übereinstimmen, unter denen wir am Donnerstag agieren müssen. Am Abend vorher werden wir früh schlafen gehen, damit wir am nächsten Tag wirklich fit sind. Alle gehen früh schlafen – auch, wenn es mit dem Einschlafen dauert: wir sind alle wahnsinnig nervös. Die Biwak-Woche war ein Kinderspiel…

Früh ins Bett!


Die Protokollabnahme: Jetzt gilt‘s! gemacht. Alle Ehrenpostenpärchen bestehen trotz Einschränkungen und kleiner Fehler mit einem guten Resultat. Nachdem die Ehrenposten fertig sind, treten wir vom Explatz ab – und die Kompanie muss vortreten und mit ihrer ProNachdem wir vollständig angezogen sind, gehen wir zur Waffenkammer, wo wir unsere Karabiner empfangen… tokollabnahme beginnen. Am Donnerstag müssen wir noch frü- nicht an der Protokollabnahme mitma- Wir Ehrenposten können uns also eine her aufstehen als sonst. Wir sollen uns in chen können, kontrollieren gemeinsam kleine Pausen gönnen und die Züge anRuhe fertig machen. Wir sollen nicht in mit unseren Ausbildern noch einmal un- sehen, wie sie bei der Protokollabnahme Hektik geraten. Um sieben Uhr soll es sere Uniformen. Die sind der erste Teil abschneiden. Sie schneiden gut ab. Am mit der Protokollabnahme losgehen. Zum der Abnahme. Also werden hier noch ein Ende bekommen wir ein Feedback des Frühstück gehen wir noch im Sportanzug. paar Flusen entfernt oder da eine Naht ge- Kommandeurs: der erste Durchgang war Dann ziehen wir den Paradeanzug Heer rade gerückt, bis alle zufrieden sind. besser, da die Konzentration im zweiten an. Der Stabsfeldwebel, der Kommandeur Durchgang etwas nachgelassen hat. Der Da das Wetter sehr schlecht aussieht, und der General gehen durch die Reihen dritte Zug geht als der Beste hervor und tragen wir statt der Jacke, den Mantel. Bei und jeder von uns wird einzeln betrachtet bekommt einen Pokal. der Hose muss darauf geachtet werden, und auf Fehler hingewiesen. Bis auf ein Nachdem die Protokollabnahme fertig dass der Hosenbeinsitz unten auf Kol- paar Kleinigkeiten wird zum Glück nichts ist, fällt alle Anspannung von uns ab. Wir bennasenhöhe des Karabiners ist. Wenn Schwerwiegendes festgestellt: der erste marschieren zu unserem Gebäude zurück, der Karabiner auf dem Boden steht, sieht Teil ist bestanden! händigen die Waffen aus, ziehen unsere auch die allerkleinste Differenz nicht gut Im Anschluss daran gehen die einzel- Protokollanzüge aus und den Feldanzug aus. nen Züge zu ihren Aufenthaltsbereichen wieder an. Gemeinsam können wir den Über das Unterhemd müssen wir ein und die Ehrenposten müssen sich schon Tag mit einem kühlen Blonden ausklinblaues Hemd und den dazugehörigen mal warm greifen, da wir jetzt benotet gen lassen. Oder sind es zwei? Langbinder anziehen. Vollendet wird un- werden sollen. Wir müssen uns aufstellen Nach einem schönen Tagesabschluss sere Uniform durch den Mantel, über den und unser Oberfeldwebel kündigt uns bei müssen wir am Freitag dann noch den am wiederum die Weißkoppel gezogen wird den Vorgesetzten an. Dann treten die ein- Vortag getragenen Protokollanzug Heer – und natürlich durch die Protokollstiefel. zelnen Ehrenpostenpärchen nacheinander aufbereiten. Dazu gehört das Ausbügeln Nachdem wir vollständig angezo- vor und gehen zu ihren Plätzen. Mein der entstandenen Falten, das Stiefelputgen sind, gehen wir zur Waffenkammer, Ehrenposten-Kamerad und ich treten als zen und das Überprüfen der Uniform auf wo wir unsere Karabiner empfangen. Fünfte vor. Vollständigkeit. Draußen auf dem Platz treten wir an und Da alle Blicke auf uns gerichtet sind, Zeit für eine Bilanz der fünf Wochen empfangen die Truppenfahne. Dann mar- sind wir extrem nervös. Beim Präsentie- Protokollausbildung: sie war sehr anschieren wir gemeinsam zum Explatz. ren schleichen sich kleine Fehler in un- strengend, aber auch sehr lehrreich. Wir Dort werden erst einmal unsere Anzüge sere Bewegungen ein – auf die wir im wissen noch nicht, was uns in Zukunft kontrolliert, damit beim Eintreffen des Anschluss hingewiesen werden. Das ist erwartet – aber die Ausbildung hat uns Kommandeurs alles richtig sitzt. Nach- eigentlich nicht weiter dramatisch, trotz- alle in unserer persönlichen und berufdem der Kommandeur angekommen ist, dem ärgern wir uns im Nachhinein sehr lichen Ausbildung weiter gebracht. stellen sich alle Züge einzeln hin und darüber. Wir wissen: wären wir nicht so Die Biwak-Woche war dagealle, die wegen Krankheit oder ähnlichem nervös gewesen, hätten wir es besser gen ein Erholungsurlaub…

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Meine ersten Monate als Gardist Mit einem ganzen Infanteriezug in einer Stube Von Hans A. Vogel

Tagtäglich über Stunden Exerzieren wie Antreten…

Der Weg: Kaum hatte ich als gelernter Stahlbauschlosser (IHK Köln) nach dem parallel verlaufenden Besuch einer Berufsaufbauschule (Abendschule) und der Leistung von Praktika als Maurer und Betonfachwerker die Zugangsberechtigung zum Eintritt in eine Staatliche Ingenieurschule für Bauwesen am 10. Mai 1961 erhalten, meldete sich auch schon wenig später das Kreiswehrersatzamt Köln II mit einer Einladung zur Musterung am Mittwoch, 31. Mai 1961, bei mir. Ohne weitere (Wehrdienst-) Beratung, nur auf meinen Wunsch hin, wenn, dann eine Einberufung als Wehrpflichtiger (W 12) zu einem Heerestruppenteil im Rheinland zu erhalten, wurde mir das WachBtl BMVg [hier: 4. Kompanie in geplanter Neuaufstellung ab 01. Juli 1961] im rechtsrheinischen Siegburg offeriert. Ich stimmte dem zu. Bald danach lag mir, wiederum vom Kreiswehrersatzamt Köln II, der „Einberufungsbescheid“ zur Grundausbildung für das Wach Btl BMVg in der Pionier-Ausbildungs-

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kompanie 4 / 7 in Höxter/Weser ab dem 01. beziehungsweise ab Montag, 03. Juli 1961, vor – dem ich natürlich folgte. Zunächst erfuhren wir dort über einen Zeitraum von acht Wochen eine infanteristische Grundausbildung: mehrmalige Vermessung der Lüchtringer-Heide in Körperlängen und Verlegung per Bahn zur Schießausbildung nach Hammelburg zur Infanterie-Schule. Dann Rückverlegung und weitere vier Wochen, bis zum 28. September 1961, Pionierausbildung in den Grundzügen Geländesperren, Sprengladungen, Gewässerdienst – einschließlich der „Pioniertaufe“ mit Weserwasser. Beide Ausbildungsabschnitte wurden mit Besichtigungen der Leistung durch den Kommandeur Pionierbataillon 7 Höxter sichtbar abgeschlossen. Die Verlegung der für das WachBtl BMVg vorgesehenen Soldaten stand bevor. Parallel hierzu trafen, ebenfalls am 01. Juli 1961, allerdings in der Siegburger Brückberg-Kaserne, die zukünftigen Führer und Unterführer der nun aufgestellten 4. Kompanie des WachBtl BMVg ein. Es

begann deren Ausbildung zum Ausbilder und Vorgesetzten von Wach- und Protokollsoldaten unter Leitung des KpChefs (Hauptmann Rottländer) und seinem Spieß (HFw Krog, sen.); Kommandeur des Bataillons war Oberstleutnant Erwin Koch. Wir sind da: So wurden wir am Montag, 02. Oktober 1961, in Siegburg innerhalb eines tristen Barackengevierts, von dem heute nur noch die SanBaracke steht, vom wohl vorbereiteten Stammpersonal der ersten (kompletten) WehrpflichtigenKompanie des Wachbataillons freundlich empfangen. Natürlich lagen die Zug- und Gruppeneinteilung sowie der Stubenbelegungsplan vor – der Dienstplan hing am schwarzen Brett. Ich landete im 3. Zug. Zugführer: Stabsunteroffizier Kauer; mein Gruppenführer: Gefreiter Unteroffizieranwärter W. Schulz. Wir, das waren junge, zum Teil volljährige Soldaten aus allen Teilen der Bundesrepublik Deutschland, die an unterschiedlichen Standorten und in unterschiedlichen Heerestruppenteilen ihre


Uniformen, persönlichen Ausrüstungsgegenstände und ihre soldatische Grundausbildung erhalten hatten und nun in der Vollausbildung zum Wach- und Protokollsoldaten, zum Soldaten in der Gruppe auf infanteristischer Basis ausgebildet werden sollten. Dazu mussten wir zunächst unsere farblich unterschiedlichen Kragenspiegel durch einheitlich grüne ersetzen lassen; ein zweites Paar Marschstiefel (mit Absatzbeschlag), komplettes „Blauzeug“ mit einem schwarzen Lederkoppel und einem Parade-Kunststoffhelm (später noch das sogenannte Weißzeug) empfangen – und dann wurde uns ein belgisches FN-Gewehr (Infanteriewaffe) sowie der Mauserkarabiner >K 98 k< (Exerzier- beziehungsweise Protokollwaffe) übergeben. Nachdem wir das Zusammenleben in hauptsächlich fremdbestimmter Gemeinschaft „gelernt“ hatten, war die Unterbringung in der Brückberg-Kaserne zu Siegburg in diesem Barackengeviert gewöhnungsbedürftig – hinsichtlich Stubengrößen (rund ein Infanteriezug in einer Stube), der Raumbeheizungen (stinkende Öl-Einzelöfen) und der spärlich vorhanden Sanitäreinrichtungen „über den Hof“. Sie entsprachen in keinem Fall den gewohnten Standards von solchen Ge-

meinschaftsanlagen, die beispielsweise die Industrie (auch) zu dieser Zeit zur Verfügung stellte (Stichwort: Schwarz-/ Weißanlagen, Waschkauen). Davon unabhängig begann nun die bereits erwähnte Ausbildung zum Wachund Protokollsoldaten: Reihenfolge = Rangfolge. Tagtäglich über Stunden Exerzieren wie Antreten, Grundstellung (mit NATO-Faust), Wendungen, Marsch, Richtungsänderungen (mit Gewehr K 98 k), Griffe (preußischer Infanteriegriff). Einzelner, Gruppe, Zug, Kompanie (Bataillon). Dann: Wachbelehrung, Unterrichte (rechtliche Rahmenbedingungen, Waffengebrauch, Festnahmen), Ausweisarten zum Betreten der Liegenschaften des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), Einzelheiten zu den Örtlichkeiten der Liegenschaften des BMVg, auch Sport (Leichtathletik, Gewehrgymnastik) –und Schießausbildung auf der Hardthöhe in Bonn. Höhepunkte waren die gelegentlichen infanteristischen Eroberungen des „Feldherrnhügels“ in der Wahner Heide; ein Truppenübungsplatzaufenthalt in Schwarzenborn – samt Unterbringung der gesamten Kompanie im Festsaal (mit Empore) des Schwarzenborner Gemeindehauses. Meine Begeisterung für die Viel-

falt dieser Ausbildung hielt sich in sehr engen Grenzen; einer von mir beantragten Versetzung wurde nicht stattgegeben. Meine Ausbilder in dieser Zeit waren, dies möchte ich hier unbedingt herausheben, in der Sache unerbittlich – aber keine sturen Schleifer. So in der dritten Dezemberwoche 1961 hatte unser Kompaniefeldwebel zum Schluss der Befehlsausgabe noch eine „frohe“ Botschaft“ aus dem Bundestag für uns: Das Parlament habe dort, infolge des Mauerbaus in Berlin vom 13 August 1961, eine Erhöhung der Wehrpflichtdauer von zwölf auf 18 Monate beschlossen – und dass unser Einberufungs-Quartal (ab 01. Juli 1961) als erstes davon betroffen sei! Unbändige Freude brach nicht aus… Zielerreichung: Das Hauptausbildungsziel, das des Wach- und Protokollsoldaten erreichte die 4. Kompanie letztlich, nach der Exerzierabnahme durch den Bataillonskommandeur, Oberstleutnant Erwin Koch, mit ihrem ersten öffentlichen Auftritt am Freitag, 05. Januar 1962, anlässlich der Feierlichkeiten des 86. Geburtstages des damaligen Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer vor seinem Amtssitz – auf der Auffahrt zum Palais Schaumburg in Bonn.

Galopprennbahn und Gardisten-Tempel

Umzug nach Bergisch Gladbach

Das Kompanierevier in Bergisch Gladbach: Es war so schön, Soldat zu sein…

„Hermann Löns – die Heide ruft!“ Mit dieser Parole verließ die 4. Kompanie am 19. Februar 1969 ihren Standort Heide und marschierte in die vorläufig letzte Liegenschaft nach Bergisch Gladbach. Dort in der Hermann-Löns-Kaserne bekamen die Soldaten endlich eine echte soldatische Unterkunft. Außer den drei vorhandenen Kompanie-Blocks für die 2./, 3./ und die Ausbildungskompanie 708 war ein umfangreicher technischer Bereich vorhanden. Die körperliche Leistungsfähigkeit der Gardegrenadiere wurde auf einer schönen Sportanlage mit Sporthalle und einer gut ausgelegten Hindernisbahn ständig überprüft und erhöht. Für die älteren Baujahre war eine kleine Tennisanlage vorhanden. Der Mittelpunkt der Kaserne war der große Exerzierplatz: die Galopprennbahn der Grenadiere. Hier verbrachte der Gardist sein halbes Soldatenleben mit seiner Braut,

dem Karabiner 98 K. Sie war schlank und rank, alle beweglichen Teile waren geölt, der Riemen lag eng an und der Soldat hatte immer einen Finger am Drücker. Es war so schön, Soldat zu sein. Bei ungünstiger Witterung fand die Formalausbildung im „Greifer Vatikan“ statt: unter dem Schleppdach mit der guten Akustik im technischen Bereich. Im schlichten militärgotischen Baustil befand sich hinter dem Offizierkasino eine kleine Standortkirche, der sogenannte Gardisten-Tempel. Als Grenadiere der 4. Kompanie kamen die Soldaten 1969 nach Bergisch Gladbach – und als Jäger der 3. Kompanie verließen sie den Ort 1990 (siehe hierzu Artikel „Dritte? Vierte? Was denn nun?“ auf Seite 10/11). Endgültig bezogen die Gardisten nun die neu erbauten Unterkünfte in der Siegburger Brückberg-Kaserne. Günter Christiansen

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Als Wehrpflichtige(r) beim Wachbataillon Wenn der Exerzierplatz zur zweiten Heimat wird Von Peter Junker, Gerd Ries und Günter Christiansen

Das Kompanierevier in Bergisch Gladbach: Der erste Tag in der Protokoll-Kompanie machte auf uns noch einen erfreulichen Eindruck…

Am 05. Januar 1976 begann ein neuer Abschnitt in meinem Leben. Ich wurde zum Wachbataillon einberufen. Meine Vorstellung über die Bundeswehr und die Aufgaben des Wachbataillons waren sehr karg. Den ersten Eindruck bekam ich von einem Unteroffizier der Ausbildungskompanie 708, der uns am Bahnhof empfing. Die strenge militärische Art stand in keinem Verhältnis zu unserer bisherigen zivilen Arbeitsatmosphäre. Es musste in jeder Beziehung kürzer getreten werden. Die ersten Tage gehörten der Eingewöhnung. Wir wurden richtig eingeordnet, bekamen von den älteren Kameraden spezielle Beinamen und fielen sofort durch unser ziviles Verhalten überall auf. Dieses sollte sich bald ändern – denn in der Ausbildungskompanie 708 machte man uns zu richtigen Soldaten. Die Ausbildung war von Anfang an auf Drill

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ausgerichtet. So langsam wurde jedem von uns klar, dass Kameradschaft, die wir aus dem Zivilleben kaum kannten, im Soldatenleben eine große Rolle spielt. Viele Probleme wurden leichter gelöst, wenn ein guter Zusammenhalt vorhanden war. Nach der Grundausbildung kamen wir in unsere Stammeinheit, die 3. Kompanie. Der erste Tag in der ProtokollKompanie machte auf uns noch einen erfreulichen Eindruck. ...doch dann kamen Papphelm und Karabiner Doch nach dem Empfang von Papphelm und Karabiner bekam manch einer von uns Sehnsucht zur Ausbildungskompanie 708. Der Exerzierplatz wurde von nun an unsere zweite Heimat. Keiner hatte sich träumen lassen, dass es eine solche Ausbildung in der Bundeswehr gibt. Nur wenige Kameraden sahen in

der Formalausbildung, in Laufschule, Gymnastik und Sport einen Sinn. Doch nach dem ersten Einsatz begriffen wir die Zusammenstellung dieser Ausbildung. Nach dreimonatiger Ausbildung kam der Tag der Besichtigung. Es gab auch bei uns Kameraden, die „schwer von Begriff waren“. Sie konnten mit der „Erna“ – das war der Kosename für den Karabiner K98 – einfach nichts anfangen. Jeder von uns, der den Griff beherrschte, wurde dann mit der Überreichung des GardistenDiploms in die Gemeinschaft der ProtSoldaten aufgenommen und bekam als Anerkennung einen Tag Sonderurlaub. Trotz der persönlichen Opfer, trotz der Einschränkungen der Freizeit durch protokollarische Einsätze oder den Wachdienst, bei aller strengen Ausbildung zu Disziplin und Ordnung – ich bin der Meinung, dass während meiner Dienstzeit im Wachbataillon die positiven und angenehmen Seiten überwogen haben.


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Protokolleinsätze und Übungsplätze





50 Jahre 3. Kompanie im Gespräch Junge, hier ist alles anders! Von Klaus Pokatzky* möglich: Rotwein, Weißwein, Wasser. Der normale Franzose trinkt natürlich Wasser und Wein in geringen Maßen gemischt. Nicht so der deutsche Soldat, der glaubt: jetzt werde ich hier verwöhnt, jetzt ist Gott in Frankreich. Der Wein musste dann beim Abendessen weg gelassen werden – sonst hätte es gar kein richtiges Vorüben mehr gegeben.

Wachbataillon – Die Erste: Damals, das erste Mal im Wachbataillon. Mit der Personalakte unter dem Arm, durch die Wache gegangen – und da marschierte ein Zug der 3./ vorbei, mit eingesetztem Karabiner. Mein Gott. Erstens: falsche Waffe. Zwotens: falsche Trageweise. Junge, hier ist alles anders! Eine kleine Anekdote? Anfang 1988 in Paris, vier Tage lang. Auch im Dom, wo Napoleon begraben liegt. Tolle Betreuung durch die Franzosen: für jeden eine Tüte vom Stadtkommandanten von Paris mit Postkarten und Kugelschreiber, Ticket für die Metro und Eintrittskarte für den Eiffelturm. Nach dem ersten Mittagessen war das geplante Vorüben nicht mehr so richtig

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Der ideale Protokollsoldat: Der muss eine hohe gesundheitliche Eignung mitbringen, eine körperlich hohe Leistungsfähigkeit und er muss abschalten können. Er muss, zumindest in der Protokollausbildung, blinden Gehorsam an den Tag legen. Und Gelassenheit braucht er! Er muss absolut gelassen sein; er muss eine dreiviertel Stunde auf einem Flughafen im Pulverschnee aushalten können, ohne sich zu bewegen. Abschalten können muss er, völlig abschalten. Sich konzentrieren können, total konzentrieren. Dafür weiß der ideale Protokollsoldat, dass er an tollen Sachen teilnimmt und kann am Wochenende in der Kneipe oder zu Hause der Oma sagen: „Hier ist der Bundespräsident, und hier ist der König von Spanien, und hier – das bin ich.“ Das Wachbataillon ist einzigartig – weil: Weil es den protokollarischen Auf-

trag hat, den gibt es sonst nirgendwo in der Bundeswehr: Hochkarätige Gäste für die Bundesrepublik Deutschland begrüßen. Als militärische und friedfertige Visitenkarte aller Deutschen. Auge in Auge mit Präsidenten und Königen stehen und sie durch das Verhalten der Gardisten denken lassen: „Donnerwetter das muss aber ne Armee sein“. Und einen deutschen Papst auf deutschem Boden hat man ja auch nicht so oft. Noch eine kleine Anekdote? In Heide damals gab es den längsten Protplatz der Welt. Weil es nämlich keinen Explatz gab, musste auf einem Waldweg geübt werden, aber immer nur höchstens mit einem Zug. Und wenn die Kompanie übte, musste der Kompaniechef ständig in den Wald treten, damit er ein bisschen Abstand von der Crew hatte – aber es war eine wunderschöne Zeit. Und da gab es dann den Kompaniechef aus altem Adel. Der wohnte auch da, genau gegenüber seiner Kompanie in einem kleinen Häuschen. Und einmal hat sich der Bataillonskommandeur aus Siegburg zur Dienstaufsicht angemeldet. Morgens früh gleich. Das war damals so üblich, dass vorher anstandshalber angerufen wurde. Das war um 07:30 Uhr und der Kommandeur hatte sich schon auf den Weg gemacht nach Heide. Der Kompaniefeldwebel, der den Anruf aus Siegburg entgegennahm, wusste aber, dass sein Kompaniechef nie vor 9:00 Uhr zum Dienst erschien. Also hat er seinen Gefreiten aus dem Geschäftszimmer im Laufschritt gegenüber ins Wohnhaus vom Hauptmann von B. geschickt: der Kommandeur nähere sich,

* Mit Dank an die Gesprächsrunde ehemaliger und jetziger Angehörigen der 3. Kompanie des Wachbataillons: Dietmar Eckhart, Günther Harmsen, Radoslaw Lejczak, Stephan Schäfer, Thomas Stahl, Peter Wallraf.


er möge doch bitte kommen. Doch der Hauptmann frühstückte gerade und sagte nur zum Gefreiten: „Ein Hauptmann von B. kommt nie vor 9:00 Uhr.“ Das wurde dem Kommandeur so mitgeteilt, und der hat das akzeptiert. Ein Lieblingseinsatz: Die Festung Ehrenbreitstein zum Volkstrauertag. Immer am Ehrenmal des Heeres. Antreten mit einem Ehrenzug für alle gefallenen Soldaten. 130, 140 Generäle mit dabei. Dann das „Lied vom guten Kameraden“ auf der Trompete solo – ganz oben, hinten irgendwo auf der Mauer. Das läuft einem wirklich kalt den Rücken runter. Der ideale Unteroffizier: Der ist ein Phänomen. Der muss tagtäglich bei der Protausbildung acht Stunden am Tag, bei jedem Wetter draußen stehen. Wenn es heiß ist, wenn es kalt ist und wenn es schneit und wenn es dunkel ist, noch früh am Morgen und spät abends. Unter einem Schleppdach, in einer Halle, auf einem Exerzierplatz. Und er muss immer wieder die gleichen Kommandos geben. Jahrelang – jahrelang! Immer weiter, immer weiter. Zum fünfhundertsten Mal zum Gefreiten Müller sagen: „Linkes Ohr tiefer! Müller in der Schulter nach rechts einknicken! Rechtes Ohr tiefer, Schulter nach vorne!“ Wochenlang, wochenlang immer wieder, ohne dem Gefreiten Müller irgendetwas Böses zu wollen, der kann ja nichts dafür. Und in der sechsten oder siebten Woche dann sehen: Mensch, der Gefreite Müller, der steht! Das sind die Erfolgserlebnisse. Da färbt einfach eine starke äußere Disziplin das Innere ab. Die Unteroffiziere und Feldwebel des Wachbataillons – die sind das Rückgrat, da können die Offiziere tun und machen was sie wollen, die können das nie so gut wie die. Die Unteroffiziere und Feldwebel bestimmen den Wert der Ausbildung und das Auftreten der Protokollsoldaten. Das Wachbataillon ist einzigartig – weil: Weil es das nur einmal gibt – jedes Bataillon hat eine Nummer, das Wachbataillon nicht. Und weil wir das gotische „W“ am Barett tragen und unser Ärmelband haben, zumindest am Ausgehanzug und am Paradeanzug – das macht stolz. Und wenn die Jungs im Drill-Team sind, dann treten sie in der ganzen Welt auf – und üben und üben und üben mit dem

K98, auch abends noch, solange, bis es passt. Noch eine Anekdote? Biwak im Wald für 14 Tage. Es war in den frühen achtziger Jahren, im März und eisig kalt mit Schnee. Viele Zelte: Mannschaftszelte und die Gefechtszelte der Kompanieführungsgruppe. Und um den Komfort für die zwei Wochen etwas zu erhöhen, brachte der Kompanietruppführer einen bequemen Campingtisch von daheim für sein Zelt mit. Und als er einmal auf Kontrolle fuhr, die mehrere Stunden dauerte, stellte er seinen Ölofen auf volle Pulle,

selbst die hohen Generäle ein Späßchen mit – und wir sehen: das sind ja auch nur Soldaten. Eine Anekdote? Nochmal Biwak im Wald im März. Fünfzig Meter entfernt war eine Kreuzung mit einem Bilderstock mit Kreuz und Jesus und Mutter Maria. Und in der ersten Woche kommt abends ein Zivilauto angefahren, der Fahrer hält am Bilderstock und stellt eine Kerze auf. Und dann hat er erzählt, dass seine Tochter im Krankenhaus operiert werden soll und, wie im Rheinland üblich, will er nun für diese Operation eine Kerze aufstellen.

Das Wachbataillon bleibt bei Dir – Dein Leben lang: Semper Talis! Sieben Köpfe für ein Gespräch über das gotische „W“: Dietmar Eckhart, Peter Wallraf, Klaus Pokatzky, Stephan Schäfer, Günther Harmsen, Thomas Stahl, Radoslaw Lejczak (v.l.n.r.)

damit es im Zelt auch schön warm ist, wenn er zurück kommt. Und unten am Boden im Zelt ist es dann natürlich zwei Grad über Null und in der Höhe unter dem Zeltdach ist es 70 Grad über Null. Und als der Kompanietruppführer zurück kam, war der schöne bequeme Campingtisch kein Tisch mehr, sondern sah aus wie Eifel-Hunsrück und Rheintal zusammen. Der war geschmolzen. So heiß ist das gewesen. Das Wachbataillon ist einzigartig – weil: Weil es schon Streitkräftebasis war, als noch kein Mensch die Abkürzung SKB kannte: Heer, Luftwaffe, Marine – alle Teilstreitkräfte unter einem Dach. Weil es im Wachbataillon einen besonderen Geist gibt: uns stehen auch die angetretene Zweisterne- oder Dreisterne-Generäle Auge in Auge gegenüber. Und wenn wir dann gemeinsam schon 20 oder 25 Minuten auf den Staatsgast warten, machen

Die Soldaten: „Okay, das ist kein Problem, wir passen darauf auf, dass die Kerze nicht aus geht.“ Und da hat er gleich noch mehrere Kerzen da gelassen. Und einen Tag später kommt das gleiche Auto wieder angefahren und im Kofferraum sind drei Riesentabletts mit geschmierten Brötchen für die Soldaten: Dankeschön für die Kerzenwacht am Hain! Der ideale Politiker: Der zum Wachbataillon ausgesprochen freundlich ist. Der egal, ob es donnert, blitzt oder schneit – der immer die Kompanie begrüßt, die angetreten ist. Der sich einfach die Zeit nimmt. Und früher, als die Minister noch auf der Hardthöhe in diesem kleinen Bungalow gewohnt haben, innerhalb des Areals: wenn die Ministerfrau am Sonntag Kuchen gebacken hat für die Soldaten des Wachbataillons an der Wache und der Minister den Kuchen zur Wache gebracht hat.

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Eine Anekdote? Am schlimmsten war früher immer die Wachwoche während der Karnevalszeit. Ganz schlimm! Das war ein Drama! Eine Zitterpartie für den Spieß, der dann den Wachplan erstellen musste. Jeden Morgen beim Frühstück: Hoffentlich sind sie alle da. Und wenn das Telefon ging, wusste man schon Bescheid: „Herr Hauptfeldwebel...“ Der ist nicht gekommen und der ist nicht gekommen und der auch nicht. Da musste man den Wachzug dauernd neu zusammenstellen. Und abends waren die Kasernen trotzdem voll, am Wochenende auch. Damals gab es noch keinen Freifahrtschein für die Bahn. Und ein Auto hatte auch nicht jeder. Jeden Abend war dann in der Karnevalszeit High-Life in der Kaserne. Und wenn das dann auch noch kurz vor der Entlassung war, dann ließ der Kantinenwirt um viertel vor zehn unter größtem Trara die Rollläden runter und rief den Spieß an. Der hatte dann den Schwarzen Peter – und musste die Kantine räumen von 150, 180 Wilden. Da war nichts mehr mit Befehl und Gehorsam. Da konnte der Spieß nur auf den Tisch klettern: „Kommt Jungs, wir singen noch einen zusammen, ich trink mit euch auch noch ein Bier. Das letzte Abschlussbier und dann machen wir hier einen Abflug gemeinsam.“ Und das klappte in der Regel auch.

res Auto. Kommandeur ganz alleine beim Bundespräsidenten? Kommandeur macht Kontrollanruf im Büro des Bundespräsidenten: „Bin ich denn hier richtig?“ – „Ja, ja, das ist schon richtig und der Termin stimmt.“ Also Villa Hammerschmidt, Foyer. Bundespräsident von Weizsäcker begrüßt Kommandeur: „Folgen sie mir, jetzt gehen wir ins Empfangszimmer, wo sonst immer die Staatsgäste sitzen, da können Sie sich jetzt hinsetzen. Was wollen Sie denn trinken?“ – „Was trinken Sie denn, Herr Bundespräsident?“ – „Ja, ich trinke Tee.“ – „Ja das ist ja mein Lieblingsgetränk!“ Kommandeur trinkt ganz allein eine Stunde lang mit dem scheidenden Bundespräsidenten Tee. Mit einem tollen, lockeren Gespräch. Das Wachbataillon ist einzigartig – weil: Weil es so leicht in der sonstigen Bundeswehr unterschätzt wird. Da sagen einige andere Soldaten gerne: „Tja, Paradehaufen. Keine Ahnung, nur Griffe kloppen und im Warmen sein.“ Das sind die, die das Wachbataillon noch nie selbst erlebt haben. Und beim Tag der deutschen Infanterie stehen dann auf einmal Fallschirmjäger am Stand des Wachbataillons und sagen fassungslos: „Ja, das gibt es doch gar nicht; das kann ja gar nicht wahr

sein, das sollen Wehrpflichtige sein? Donnerwetter, das ist ja super.“ Und dann sagen sie plötzlich: „Das ist unser Wachbataillon. Das ist unser Aushängeschild der Bundeswehr – nicht nur der Bundeswehr, der Bundesrepublik Deutschland.“ Und dann sind auch die Fallschirmjäger stolz auf das Wachbataillon. Auf ihr Wachbataillon. Wachbataillon – Die Letzte: Du gehst vielleicht mit falschen Vorstellungen in Deine Verwendung beim Wachbataillon. Mein Gott. Erstens: Paradesoldaten. Zwotens: nur Griffe kloppen. Junge, hier ist alles anders! Aber Du wirst dann selber geprüft: körperlich, geistig und vom Charakter her. Und wenn Du die Prüfung bestehst, wirst Du zum Gardisten befunden. Das prägt dich dein Leben lang und bringt dich auch weiter – in der Armee, aber auch Privat. Wenn Du mal die alt gedienten Feldwebel, besonders die Kompaniefeldwebel betrachtest: da ist ja fast jeder Oberstabsfeldwebel geworden. Jeder Kompaniechef ist ja mindestens Oberstleutnant, Oberst, sogar General geworden. Und das macht das Wachbataillon so anders, so besonders – es bleibt bei Dir, Dein Leben lang.

Ein Lieblingseinsatz: Die Verabschiedung der Westalliierten aus Berlin – die Souveränität Deutschlands. Große Parade am Denkmal der Luftbrücke, wo erstmals ein deutscher Offizier ausländische angetretene Truppenteile kommandiert. Abends der Große Zapfenstreich am Brandenburger Tor. Da war der Gardist stolz: darauf, dass das Wachbataillon an diesem historischen Tag dabei war. Eine Anekdote? Bundespräsident Richard von Weizsäcker ist in seinen letzten Amtstagen. Anruf vom Bundespräsidialamt an Kommandeur Wachbataillon BMVg: Donnerstag nachmittag in der Villa Hammerschmidt melden. Kommandeur fährt vor – eine halbe Stunde vor der Zeit ist des Gardisten Pünktlichkeit. Doch: kein anderes Auto da und es kommt auch kein ande-

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„Längster Protplatz der Welt“ - zumindestens Gefühlt: Formaldienstausbildung in Heide 1963


Traditionspflege Das Infanterie-Regiment 48 hat seine Heimat im Wachbataillon gefunden / Von Günter Christiansen

Die Traditionsfahne des Infanterie-Regimentes 48 nun im Wachbataillon

In militärisch feierlicher Form übernahm die ehemalige 4. und jetzige 3. Kompanie des Wachbataillons BMVg am 12. September 1966 in Lohmar-Heide die Tradition des Infanterie-Regimentes 48. Rund 150 ehemalige Soldaten der Infanterie-Regimenter 24, 48 und 172 waren gekommen. Unter ihnen Major Cordt von Brandis, der fast schon legendäre Erstürmer der Panzerfeste Fort Douaumont aus dem Ersten Weltkrieg, der damals mit dem Orden Pour le Mérite ausgezeichnet wurde – sowie General Engel, der letzte Chef der 12. Infanterie-Division, General a.D. Stumm und Oberst a.D. Demuth. Unter den Klängen des preußischen Präsentiermarsches schritten General a.D. Stumm, Oberstleutnant Blumenthal und Hauptmann von Prondzynski die Front der angetretenen Ehrenkompanie ab. Am Schluss seiner Begrüßungsrede sagte General Stumm: „Regimenter sind oft aufgelöst worden, geblieben sind aber die Tugenden des deutschen Soldaten – Treue, Kameradschaft und Aufopferung für das Vaterland.“ Danach erfolgte die Übergabe der alten Traditionsfahne des InfanterieRegimentes 48 sowie der Traditionsabzeichen an den Kompaniechef Hauptmann von Prondzynski.

Nach der feierlichen Übergabe konnten die Gäste die Unterkünfte der „Heider Kompanie“ besichtigen. Aber auch Waffen und Fahrzeuge waren zur Besichtigung freigegeben. Der erste Tag endete am späten Abend mit einem Manöverball im Hause Kettwig in Seelscheid. Dass der zweite Tag der Traditionsübernahme und des Kameradschaftstreffens der 48er in Heide noch so große Überraschungen barg – damit hatte wohl keiner mehr gerechnet. Eine Schwimmbadeinweihung besonderer Art fand bei der Vierten statt. In voller Montur sprang Hauptmann von Prondzynski in das neue 20-MeterSchwimmbecken und trank dort ein Glas Sekt auf das Wohl seiner Kompanie und des Traditions-Regimentes 48. Einen Ehrenplatz hat der Widerständler Graf von Sponeck Mit einem gemeinsamen Feldgottesdienst endete die Traditionsübernahme zwischen einem ehemaligen Wehrmachtstruppenteil, dem Infanterie-Regiment 48, und der 4. Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung. Seit der Übernahme findet jedes Jahr ein Traditionstreffen mit den ehe-

maligen Soldaten und deren Angehörigen statt. In einer kameradschaftlichherzlichen Atmosphäre treffen sich die „alten“ und die „jungen“ Kameraden zum Preisschießen mit Pistole und Gewehr, zu Vorträgen und Filmvorführungen über die Bundeswehr und das Wachbataillon – und natürlich zum gemütlichen Beisammensein. Jedes Jahrestreffen endet mit einer Kranzniederlegung am Gedenkstein für die gefallenen und verstorbenen Kameraden vor dem Kompanieblock der Dritten in Bergisch Gladbach. Zur Erinnerung an das Traditionsregiment sind im Kompanierevier der Dritten Erinnerungsstücke der 48er von der Aufstellung am 01. Oktober 1934 in Döberitz bis zur Auflösung des Regimentes 1945 ausgestellt. Einen Ehrenplatz in der Traditionskompanie hat der erste Kommandeur des Infanterie-Regimentes Döberitz, des späteren Infanterie-Regimentes 48, Generalleutnant Hans Graf von Sponeck. Der Generalleutnant wurde als Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 am Morgen des 22. Juli im Wehrmachtsgefängnis Germersheim auf Befehl des SS-Führers Heinrich Himmler ohne Verfahren erschossen.

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„Luftwaffeneinsätze“ Als Grüner in der blauen Uniform – mit einem fröhlichen Lachen... Von Oberst a.D. Stephan Schäfer

„You look much better now!“ Die 3./ führt das blaue Barett der Luftwaffe im Wachbataillon ein.

Es geschah zu der Zeit, als für den Protokolleinsatz noch nicht bei allen Soldaten des Wachbataillons im Spind die Uniformen jeder Teilstreitkraft lagen. Wenn die „blaue“ 5. Kompanie gerade ihre wehrpflichtigen Soldaten entlassen hatte und mit der Protokoll-Ausbildung des neuen Rekrutenjahrgangs begann, war die 3. Kompanie zuständig für die dann notwendigen „Luftwaffeneinsätze“. Dazu die Anekdote Nr. 1: Die Heereskompanien des Wachbataillons trugen das grüne Barett der Infanterie schon seit Ende der siebziger Jahre. Die Luftwaffenkompanie trug das blaue Schiffchen zum Dienst- und Ausgehanzug. War die 5. Kompanie zum Protokolleinsatz befohlen, musste nach wie vor der Helm getragen werden. Prot-Anzug und Schiffchen passten nicht zusammen – und die Schiffchen wären auf der stets windigen Hardthöhe bestimmt auch öfters „fliegen gegangen“. Bei Staatsempfängen mit Bataillonseinsatz musste auch das Heer wieder den Helm tragen, denn Barett beim Heer und Helm bei der Luftwaffe – das passte schon gar nicht zusammen. Nach langer Überlegung zwischen der Bataillonsführung und der 5. Kompanie wurde entschie-

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den, auch für die Luftwaffenkompanie ein Barett zu beantragen. Dies löste nun einen langen Abstimmungs- und Mitzeichnungsprozess im Führungsstab der Luftwaffe und im Bundesministerium der Verteidigung aus. Aber Anfang 1980 war es dann tatsächlich soweit: Die 5. Kompanie des Wachbataillons war die erste Einheit der Luftwaffe, die das blaue Barett tragen durfte. Und sie blieb es innerhalb der Luftwaffe auch für lange Zeit. Den ersten Einsatz mit „neuer Kopfbedeckung“ als Luftwaffenkompanie auf der Hardthöhe konnte nun leider nicht die 5. Kompanie selbst durchführen, denn – so siehe oben: es war die 3. Kompanie! Natürlich löste dieser Auftritt mit dem neuen Luftwaffen-Barett bei den anwesenden Generalen und dem Inspekteur der Luftwaffe heftiges Interesse aus. So kam es, dass ich nach dem Einsatz zum Inspekteur der Luftwaffe befohlen wurde. Allerdings hatte niemand der LuftwaffenFührung gemeldet, dass nicht die echten, sondern nur „umgezogene“ Soldaten der 3. Kompanie des Wachbataillons den Protokolldienst durchführten. Überzeugt davon, den Kompaniechef seiner Luftwaffen-Kompanie vor sich zu sehen, befragte mich der Inspekteur, wie denn das neue blaue Barett bei den Soldaten der 5. Kompanie „ankomme“. – „Wie es bei der fünften Kompanie ankommt Herr General, das kann ich heute noch nicht sagen, der dritten Kompanie und mir gefällt es aber gut“, antwortete ich. Nach kurzem Erstaunen und meiner anschließenden Erklärung warum und wieso endete der erste Auftritt des neuen Luftwaffen-Baretts in Bonn mit einem fröhlichen Lachen – teilstreitkraftübergreifend. Dazu auch die Anekdote Nr. 2: Verabschiedet durch den Inspekteur der Luftwaffe wurde auf der Hardthöhe in Bonn der damalige Oberbefehlshaber der 4. AlliedTacticalAirForce, der britische Air Marshal Sir Peter Hunt. Der Einsatzbefehl dazu traf bei der 3. Kompanie ein. Wegen: siehe oben! Allerdings wurde durch das Protokollreferat im Verteidi-

gungsministerium versäumt, den Hinweis aufzunehmen: „In Luftwaffen-Uniform“. In der S3-Abteilung des Wachbataillons fiel dies Fehlen niemandem auf. So marschierte die 3. Kompanie in Heeresuniform mit dem klingenden Spiel des Stabsmusikkorps auf den Appellplatz vor dem Hochhaus 207. Die Parade lief ohne Probleme ab, aber irgendwem im Führungsstab der Luftwaffe muss die „falsche Uniform“ sauer aufgestoßen sein. Kaum zurück in der Hermann-LönsKaserne in Bergisch Gladbach, lag der Einsatzbefehl für die internationale Parade zur Verabschiedung des Air Marshal in seinem Hauptquartier in Rheindalen am nächsten Tag vor. Fettgedruckt stand da zu lesen: „Lw-Uniform“! Die Zeremonie im Hauptquartier der 4. ATAF erfolgte nach den Vorgaben des britischen Protokolls. Das hieß unter anderem, zwischen dem 1., dem 2. und dem 3. Glied der Ehrenformation war ein Abstand von jeweils zwei Schritt befohlen. Dies ermöglichte dem Abnehmenden das Abschreiten aller drei angetretenen Glieder und nicht nur des 1. Gliedes wie sonst üblich. Dies tat dann auch der Air Marshal. Gemessen Schrittes und jedem Soldaten der Kompanie in die Augen schauend, mit seinem Marschallstab unter dem Arm, ging Air Marshal Sir Peter Hunt die angetretenen Ehrenformationen der vier Nationen ab. Nach dem Ende des Abschreitens kam er zur 3. Kompanie und zu mir in der blauen Uniform zurück. Er schaute mich nochmals genau an und sagte dann schmunzelnd: „You look much better now!“ Natürlich musste ich später wieder zum Rapport beim Inspekteur der Luftwaffe antreten. Er selbst hatte die 3. Kompanie ja vor zwei Tagen auf der Hardthöhe in Heeresuniform bei der Verabschiedung erlebt und war auch bei der Parade in Rheindalen anwesend. Er wollte nun wissen, was denn der Air Marshal nach dem Abschreiten im Hauptquartier noch mit mir zu reden hatte. Auch mein Bericht über dieses Erlebnis der 3. Kompanie in der Uniform der Luftwaffe endete im gemeinsamen fröhlichen Lachen.


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„Draußen ist halt wirklich draußen…“ Wenn Soldaten des Wachbataillons vom Auslandseinsatz berichten… Von Klaus Pokatzky*

Das bekommt man nicht aus dem Kopf: die Gefahr, dass man angesprengt wird.

Wenn die Soldaten der dritten Kompanie vom Auslandseinsatz träumen, was hin und wieder vorkommt, dann können auch Tote in den Träumen vorkommen. Aber auch immer wieder taucht der „Bäcker des Vertrauens“ in den Träumen auf. Den afghanischen Bäcker des Vertrauens gibt es überall. Den gibt es in den großen deutschen Feldlagern. Den gibt es aber auch da, wo die Soldaten des Wachbataillons etwa bei der afghanischen Armee in einem Infanteriebataillon eingesetzt sind. Fünf deutsche Soldaten – 350 Kilometer entfernt von den nächsten deutschen Seelen; mitten in einer afghanischen Kompanie mit 120 Mann. Und wenn dann der Soldat auf Stube in der heimischen Brückberg-Kaserne Nächtens von seinem Afghanistan träumt, sind das nicht unbedingt Alpträume. Da taucht dann der Kühlschrank wieder auf, den der Spieß doch tatsächlich über die 350 Kilometer zu seinen Deutschen in den afghanischen Außenposten geschafft hat: fast zwei Meter hoch und prall gefüllt mit Käse und Salami. Was der Spieß nicht bedacht hatte, war, dass es dort in der Einöde kein stabiles

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Stromnetz gab. Bei Temperaturen von 55 Grad im Schatten. Und wenn die Soldaten dann vom Außeneinsatz zurück kamen und das Stromnetz wieder ausgefallen war, dann musste der ganze Kühlschrank eben schnell leer gegessen werden: „ Jetzt müssen wir aber alle hier im Feldlager verpflegen, weil der Käse und die Salami sonst vergammeln“. Wenn der Strom aber normal lief und der Kühlschrank funktionierte, gab es ein schönes Ritual: die Vorbereitung der Käse-Salami-Wurstplatte. Die einen sind Brot holen gefahren zum Brotbäcker des Vertrauens in das nächstgelegene Dorf und haben sich mit dem mit Händen und Füßen verständigt. Und in der Zeit hat einer, nach einem bestimmten Ritus, die Salami vorbereitet, so wie sie geschnitten werden musste. Den Brotbäcker des Vertrauens gibt es aber eben auch in den deutschen Feldlagern. 350 Kilometer weiter, wo viele deutsche Seelen wohnen. Man ist ja irgendwann die reguläre Verpflegung etwas Leid und freut sich auch mal über etwas, das nicht aus der Dose oder einer Plastiktüte kommt. Und das afghanische Brot ist schon echt lecker. Man kann es sehr

gut kombinieren mit deutschen Wurstwaren. Und wenn dann ein Hauptgefreiter im Trupp ist, dessen Eltern eine Landschlachterei und Metzgerei im Schwarzwald besitzen, dann kommen natürlich regelmäßig die Pakete aus Deutschland: mit Schwarzwurst und Leberwurst, mit Blutwurst, Schinkenspeck und den verschiedenste Salamisorten. Und damit harmoniert das afghanische Brot vom Bäcker des Vertrauens ganz hervorragend – besonders mit frisch geschnittenem afghanischen Knoblauch. Das wird dann schnell zum Standard-Ritus im deutschen Feldlager. Und davon träumt man doch gern, später wieder, auf Stube in der Brückberg-Kaserne. Es gibt aber daheim in Deutschland auch die dunklen Träume. Von dem Gefecht etwa, in dem damals drei Kameraden gefallen sind. Und der Soldat des Wachbataillons, der einen Trupp im Feuergefecht führte, hat im Traum auf einmal seine Tochter auf dem Arm und kann des-

* mit Dank an die Soldaten der 3. Kompanie, die von ihrem Auslandseinsatz berichtet haben.


jetzt nicht mehr hier. Er redet viel mit anderen Kameraden von damals darüber. Und er weiß dann immer, dass sie damals alles Hundertprozent richtig gemacht haben. Doch im Traum ist es halt immer so, dass man denkt: hätte man irgendetwas anders machen können? Hätte man...? Lange hat den Soldaten beschäftigt, von wo aus sie damals genau beschossen worden sind. Das konnte er ums Verrecken nicht aufklären. Und das hat ihm so lange keine Ruhe gelassen, auch im Traum nicht, bis er irgendwann, wieder daheim, über Google die Karte von der Gegend des Feuergefechts aufgemacht hat. Und dann hat er seine eigene alte Karte noch einmal raus geholt und das alles mit den Bildern in seinem Kopf von der Gegend verglichen. Und 350 Kilometer entfernt von den nächsten deutschen so hat er heraus gefunden, dass auf Seelen – mitten in einer afghanischen Kompanie mit einem Gelände 25 Meter entfernt, 120 Mann… wo ein Landarbeiter vorher auf wegen mit dem G36 nicht richtig zielen. dem Feld gearbeitet und ihm sogar noch Und das regt ihn tierisch auf und so zu gewunken hatte – dass genau von da flucht er im Traum die ganze Zeit vor geschossen worden ist. Das ist wichtig für sich hin: „was die verdammte Scheiße ihn, dass er das jetzt weiß. Das hilft ihm jetzt soll, weil ich kann ja so nicht rich- bei seinen Träumen. Meistens. tig kämpfen, das kann ja nicht wahr sein.“ Ja, wie kommt man damit klar? Es ist Das lässt den Soldaten eben nicht mehr differenziert zu sehen, das kann man jetzt los, diese Fragerei, die in den Träumen nicht einheitlich sehen. Jeder ist ja auch kommt: ist etwas falsch gelaufen, hätte anders, jeder geht damit anders um, jeich irgendwo schneller reagieren können, der erlebt das anders für sich selber. Und was hätte ich besser machen können? Es jetzt zu sagen: es gibt ein Schema F, was ist schlimm, wenn der Soldat die drei Ge- einfach überall aufgesetzt wird und das fallenen besonders gut gekannt hat. Sie funktioniert – das gibt es ja so nicht. Es waren auf dem TPZ (Transportpanzer gab welche, die haben das gut verkraftet. Fuchs). Und der Soldat, der jetzt von ih- Es gab Leute, die haben das weniger gut nen träumt, wurde damals bei dem Feuer- verkraftet. Und wenn dann eine Kompagefecht mit seinem Trupp aus drei Rich- nie im Einsatz ganz bunt aus Standorten tungen beschossen, auf kurze Distanz. Er in ganz Deutschland zusammengewürfelt und seine Männer waren der letzte Trupp, wird – dann haben die nach der Rückkehr der abgesessen noch gekämpft hat. Sie aus dem Einsatz natürlich nicht den täglisaßen in einer gefährlichen Position fest chen Zusammenhalt wie die, die alle aus und kamen nicht mehr raus aus dem Feu- einem Verband kommen. Die sind dann ergefecht – standen unter Kalaschnikow- einfach besser dran. Und wenn die dann Feuer, intensiv, aus mehreren Richtungen. auch noch einen guten Truppenarzt oder Der Rest des Zuges war schon weg, aber einen guten Truppenpsychologen vor Ort ein TPZ hat dann noch einmal gewendet haben, machen die natürlich viel möglich. und ihm Deckungsfeuer gegeben, damit Da wird dann viel getan und auch nacher aufschließen konnte zu den anderen gedacht: Wie reagiert der einzelne Soldat, abgesessenen Kameraden. Und dabei hat der im Einsatz gewesen ist, auf die und es dann den TPZ erwischt. Und der Soldat die Situation jetzt im alltäglichen Dienstmuss denken: ohne die drei, die da gefal- betrieb in der Heimat – und dann wird len sind auf dem TPZ, wäre ich vielleicht auch reagiert: „Okay, da muss man noch

einmal Nachsteuern.“ Und anderswo läuft es eben, sagen wir mal, eher „suboptimal“ – da, wo die Bürokratie einfach zu viel greift, und der Verwaltung vielleicht gar nicht richtig klar ist: dem Mann ist das und das passiert, das und das sind die offensichtlichen Verwundungen die er hat. Und die Betreuung, Der Umgang und die Versorgung der Familien der Gefallenen – das alles ist auch ausbaufähig durch die Bundeswehr, das könnte länger und intensiver sein. Da klappen die selbst organisierten sozialen Netzwerke von betroffenen Familien viel besser, die schon Soldaten im Einsatz ver-

…und zwischendurch mal auftanken im amerikanischen Feldlager.

loren haben. Da fahren dann Abordnungen am Todestag eines gefallenen Kameraden zu seiner Grabstätte und auch zu der Mutter und unterhalten sich mit ihr und kümmern sich um sie. Im Einsatzland selbst kann man nach Gefechten mit Gefallenen und Verwundeten ein Debriefing bekommen – also ein Treffen mit dem Truppenpsychologen, wo noch einmal über alles geredet wird. Das kann sehr hilfreich sein. Aber es gibt auch Situationen, wenn zum Beispiel ein Zug fünf Verwundete durch einen Selbstmordanschlag hat – dann wollen die Soldaten des Zuges kein Debriefing. Die wollen dann, wenn

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sie danach ins Feldlager reinkommen, einfach nur ihre Ruhe. Die wollen dann auch nicht mit anderen Kameraden, die nicht dabei waren, darüber sprechen – auch, wenn die es ja nur gut meinen. Und dann zieht sich eben der gesamte Zug in seinen eigenen abgeschotteten Bereich zurück; für ein, zwei Tage komplett abgeschottet. Und macht das mit sich selbst aus. Kümmert sich um die verwundeten Kameraden im San-Bereich. Sitzt zusammen und redet da drüber. Ohne Psychologen. Das muss auch möglich sein. Gut

kickert. Da ist man dann ja sehr oft und sehr lange draußen, sehr weit draußen. Und im amerikanischen Feldlager kann man dann endlich mal wieder abschalten. Kann sich auch sagen: „Alles klar, ich befinde mich wieder in einem Umfeld, das ich von zu Hause vielleicht gewohnt bin“. Das ist dann beim Kicker sozusagen ein geschützter Bereich. Das ist dann sozusagen Frieden. Und man merkt dann, dass selbst erwachsene Männer sich wie bei einem Schulausflug benehmen können – so ausgelassen ist dann die Stimmung. Da-

sche Soldaten, die wirklich Ihren Auftrag durchgesetzt haben, mit den wenigen Mitteln die sie haben. Und mit denen lief es einfach. Aber: Es war eben gemischt, man konnte nie sicher sagen, es läuft oder es läuft nicht, wenn es hieß: „Es kommt wieder ein KANDAK von den Afghanen“. KANDAK ist das afghanische Wort für „Bataillon“. Kilo, Alpha, November, Delta, Alpha, Kilo. Sie haben aber auch eine andere ZeitVorstellung als wir. Die arbeiten ja auch

Die Afghanen haben ein Sprichwort dafür: „Ihr habt die Uhr und wir haben die Zeit!“

ist auch, wenn etwa der Zugführer ausgebildeter Peer ist, ein Gleichgestellter, der einen besseren Zugang zu den Kameraden finden kann, da er „einer von Ihnen“ ist und weiß, was es heißt, im Gefecht zu stehen. Damit kann auch vieles aufgefangen werden, ohne dass gleich immer mit dem Psychologen geredet werden muss. Und viele kickern sich auch den Frust und die Probleme von der Seele. Wenn man zum Beispiel als einer von fünf deutschen Soldaten in einem afghanischen Bataillon 350 Kilometer von den nächsten deutschen Seelen entfernt ist, und dann mal für ein paar Tage in ein amerikanisches Feldlager zum seelischen Auftanken kann und da ein Kicker steht: dann wird da die Seele frei ge-

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nach sind die fünf dann wieder im afghanischen Nirwana. Sechs Monate. Sechs Monate am Stück. Im ISAF-Einsatz gibt es ja das „Partnering“-Konzept. Also: alle Operationen sollen mit der afghanischen Polizei oder der afghanischen Armee gemeinsam gefahren werden. Dazu gibt es keine Alternative. Da gibt es aber auch unterschiedliche Erfahrungen. Es gab die einen Afghanen, die beim ersten Schuss weg waren – die sind verschwunden, da waren die Deutschen dann auf einmal alleine vor Ort auf breiter Flur. Und dann gab es die anderen, die waren Top, die haben alles abgesprochen mit den deutschen Kompaniechefs und Zugführern und dann lief das rund. Das waren eben sehr mutige afghani-

ganz anders als wir. Zeit hat da keine Bedeutung. Wenn man da sagt, man hat morgens um fünf Uhr eine Operation geplant, dann heißt das für einen deutschen Soldaten: der ist um fünf Uhr abmarschbereit, alle sind aufgesessen, es kann los gehen. Morgens um fünf Uhr heißt bei einem Afghanen nicht morgens um fünf Uhr. Der kommt entweder um fünf, um sechs oder um sieben Uhr. Die Afghanen haben ein Sprichwort dafür: „Ihr habt die Uhr und wir haben die Zeit!“ wenn ein deutscher Soldat das das erste Mal hört, denkt er nur: „Hä!? – was soll das denn heißen!“. Und wenn dann also um neun Uhr eine gemeinsame Operation mit Afghanen beginnen soll, wird daraus dann zehn Uhr, dann elf Uhr – und dann wird gemel-


…dann wird da die Seele frei gekickert. Das ist dann beim Kicker sozusagen ein geschützter Bereich. Das ist dann sozusagen Frieden.

det, dass der Kommandeur der Afghanen Kopfschmerzen hat und heim gefahren ist und die kommen erst morgen früh wieder. Und dann steht man da im Niemandsland, ganz alleine. Man kann sich da auch schon mal verarscht vorkommen. Oder wenn die Patrouille auf einen Polizeiposten zu fährt. Da fragt man sich immer: sind das jetzt wirklich afghanische Polizisten, an denen wir gleich vorbei fahren, oder sind das schon Aufständische? Weil man eben nie sicher sein kann: ist das einer, der uns wohlgesonnen ist, oder eben doch ein verkleideter Aufständischer? Und dann die IED-Bedrohung – die bekommt man nicht aus dem Kopf: die Gefahr das man angesprengt wird. Das begleitet einen dort vom ersten bis zum letzten Tag. Dauernd hört man im Feldlager, wenn es nachts draußen mal kurz knallt – und dann einen lauten, tiefen, dumpfen Rums. Am nächsten Morgen fährt man raus und findet nur noch Leichenteile. Da haben sie Sprengfallen vergraben und dabei ist irgendetwas schief gegangen. Sicher: eine gewisse Grundspannung verliert man nie. Aber man gewöhnt sich an vieles; es gibt eben Dinge, an die muss man sich gewöhnen. Das dauert je nach Situation unterschiedlich. Manchmal geht das Gewöhnen recht schnell. Zum Beispiel, wenn man die ersten beiden Wochen nur im Freien draußen pennen kann, neben den Fahrzeugen, an irgendwelchen Brücken. Daran gewöhnt man sich sehr schnell: Wagen geparkt, Plane neben dem Fahrzeug abgespannt, Feldbetten hin, drauf

gelegt und gepennt. Und wenn dann in der dritten Woche noch diese schwarzen Camping-Solarduschen kommen, umso besser: Wasser rein, warm werden lassen, kurz ab duschen. Aber erst nach drei Wochen. Bis die Duschen kommen, wäscht man sich dann eben in irgendwelchen Bächen oder Brunnen. Oder zwischendurch, wenn mal kurz Zeit ist: Flasche genommen, abgelaufenes Wasser, passt, Deckel auf und abgespült. Nass gemacht, eingeseift, abgeduscht. Geht alles. Wenn man aber 350 Kilometer von den anderen deutschen Seelen mit fünf Mann im Nirwana ist und zu einer Kompanie mit 120 Afghanen gehört, dann muss man auch sehr schnell und sehr nah an der afghanischen Lebenskultur dran sein. Da ist man dann auch viel draußen. Und draußen ist dann halt wirklich draußen. Wer da Afghanen ausbilden will, der muss sich auch auf ihre Kultur einlassen. Sonst wird es mit der Vertrauens-Bildung nicht klappen. Und die afghanische Lebenskultur ist schwer zu beschreiben, die muss man erleben. Man muss Rituale mit aufnehmen. Wenn man zum Beispiel einen afghanischen Gegenpart hat und der will einem deutlich zeigen, dass der deutsche Soldat bei ihm wirklich anerkannt ist, dann nimmt er den deutschen Soldaten an die Hand und beide gehen Hand in Hand an den anderen Soldaten vorbei und unterhalten sich. Das ist für den deutschen Mann so in der Erziehung eigentlich ja nicht vorgesehen. Aber der deutsche Soldat kann das schon in der Einsatzvorbereitung in

Deutschland lernen: wie man mit einem anderen Mann Hand in Hand herumläuft. Jedenfalls dann, wenn man dafür vorgesehen ist, dass man später in die afghanische Armee eingegliedert wird. In der Ausbildung in Deutschland, abends beim Bier, macht man natürlich Witze darüber. Der erste Afghane, der den deutschen Soldaten dann am Hindukusch an die Hand genommen hat, das war ein Oberleutnant – und der ist dann mit dem deutschen Soldaten Hand in Hand an den afghanischen Soldaten vorbei gelaufen. Da war der deutsche Soldat froh über seine Einsatzvorbereitung: ja, es kann nur so funktionieren – sonst kannst du deinen Auftrag nicht erfüllen. Es ist aber wirklich ein komplett anderer Kulturkreis. Allein die ganze Lebensweise. Zum Beispiel beim Essen: alle essen aus einem Topf mit den Fingern. Dabei ziehen sie sich die Schuhe aus und kratzen sich an den Füßen – und danach greifen sie wieder in den Topf. Es ist ein komplett anderer Kulturkreis. Wirklich. Er war nie ganz weg, sagen wir mal so, ein Unbehagen. Es hängt ja auch davon ab, was letztendlich aufgetischt wurde. Der deutsche Soldat hat dann halt auch nur selektiv gegessen. Es hat alles dann eine Anlaufphase gedauert. Aber nach so drei Wochen, vier Wochen war das überhaupt kein Problem mehr. Ja, Afghanistan ist wirklich ganz anders als der Einsatz auf dem Balkan, im Kosovo etwa. Kosovo ist wirklich Wiederaufbau. Da haben wir so eine Art Entwicklungshilfe gemacht. Und im Kosovo ist es ruhig. Aber der Soldat, der in Afghanistan war, würde sich niemals darüber lustig machen, wenn zu der gleichen Zeit jemand aus seiner Kompanie im friedlicheren Kosovo war oder bei der Piratenjagd oder wo auch immer auf dieser Welt. Es kann nur immer jeder das erzählen, was er selber erlebt hat. Oft kann er selber ja nicht beeinflussen, in welches Einsatzland er geschickt wird. Doch, wenn er mal in Afghanistan war, und dann irgendwann die Abfrage kommt, ob er auf einen Balkan-Einsatz gehen würde, dann sagt er lieber Nein. Aber zu ISAF? Da ist er jederzeit wieder bereit.

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Weltweite Einsatzorte Belgien Br端ssel

Frankreich Lourdes Fontaine

USA Virginia

Kanada Hallifax

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Kosovo

Afghanistan Mazar e Sharif Kunduz

Italien Rom

Ungarn Milit채rwettkampf

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„Die Hölle heißgemacht…“ Wintex-Übung am Bunker Marienthal Von Babak Zand

Der Ausweichsitz der Bundesregierung im Kriegsfall: eng mit der militärischen Geschichte der 3. Kompanie verknüpft.

Laut krächzen die Sirenen im Tunnel des Regierungsbunkers in Marienthal, dem Ausweichsitz der Bundesregierung. Innerhalb von Sekunden schließen sich die schweren Betontore der Schließanlage hinter den Bewohnern des Bunkers. Die Mitglieder des Notparlaments, das im Verteidigungsfall für die Regierungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich ist, sind bereits nach einem Alarmplan in die Anlage gebracht worden. Nach einem atomaren Angriff ist die Kommunikation mit der Außenwelt so gut wie abgeschnitten. Man versucht, Kontakt zu den Nachbarstaaten aufzunehmen. Der Bundeskanzler bestellt sein Kabinett im Sitzungsraum für eine Krisensitzung ein. Alle führenden Ministerien sind vertreten; gemeinsam wird überlegt, wie der Erhalt der Bundesrepublik gesichert werden kann. So ähnlich dürften die Abläufe während der „Winter Exercise“, kurz „Wintex“, stattgefunden haben. Die NATO-Stabsrahmenübung wurde alle zwei Jahre durchgeführt.

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Ziel war es, das Szenario eines Atomkrieges so realistisch wie möglich darzustellen, um die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung in einem Ernstfall sicherzustellen. Das Szenario war in Zeiten des Kalten Krieges für die meisten eine reale Bedrohung. Man ging davon aus, dass Truppen des Warschauer Paktes in Jugoslawien eingefallen waren. Nach Einmischung der NATO-Streitkräfte eskalierte die politische Lage und es kam zum Einsatz von Atombomben. „Man ging damals davon aus, dass nicht nur der Köln-Bonner Raum angegriffen wurde“, so Heike Hollunder, Leiterin der Dokumentationsstätte Regierungsbunker, „sondern dass nach einem atomaren Angriff in Mitteleuropa in Deutschland nur noch 3000 Menschen hätten überleben können.“ Der Regierungsbunker wurde so konzipiert, dass im Falle eines atomaren Angriffes 3000 Personen 30 Tage lang autark überleben konnten. Doch vieles basierte auf theoretischen Vermutungen. „Der Bunker war ohnehin nie sicher“, erklärt Frau Hollunder, „da die Waffenentwick-

lung so schnell voranschritt, dass man mit dem Nachrüsten der Bunkeranlage gar nicht hinterherkam.“ Anfang der 1960er Jahre gingen die Ingenieure noch von einer atomaren Sprengkraft mit 20 Kilotonnen aus, ähnlich der Nagasaki-Bombe im Zweiten Weltkrieg – auch, wenn die Sowjets damals schon bei der Erprobung einer 50-Megatonnen-Bombe waren, also einem Vielfachen dessen, wofür der Bunker ausgelegt war. Heike Hollunder: „Also hat man sich gesagt, wir glauben nicht, dass der Feind willens und in der Lage ist, uns mit diesen Waffen anzugreifen und den Bunker zu zerstören.“ Für die militärischen Einheiten außerhalb der Bunkeranlage, darunter auch die 3. Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung, wäre dies ohnehin nur ein schwacher Trost gewesen. Sie hatten den Auftrag, die Außenanlagen des Bunkers zu sichern. „Die Soldaten des Wachbataillons durften niemals in den Bunker hinein, die waren ja nicht sicherheitsüberprüft“, erinnert


sich Paul Groß, der als Techniker mehr als 36 Jahre in Marienthal gearbeitet hat: „Für die innere Sicherheit waren zivile Wachdienste und der Bundesgrenzschutz zuständig, die äußere Sicherheit übernahmen die Soldaten.“ Daran kann sich Günter Christiansen, Stabsfeldwebel a.D. und in jenen Jahren unter anderem Zugführer in der 3. Kompanie des Wachbataillons, gut erinnern. „Wir durften zwar nicht in den Bunker, waren jedoch trotzdem mit unserem Kommandeur drin“, schmunzelt Christiansen heute: „Wir wollten ja wissen, was wir überhaupt da draußen bewachen. Unser Kommandeur hat die Zugführer um sich versammelt, denen Kurierausweise gegeben, und ist dann mit allen in das Innere des Bunkers rein.“ Christiansens eigentlicher Auftrag aber war die Sicherung des äußeren Verteidigungsringes –im Schwerpunkt beim Haupteingang Ost des Bunkers. Seit 1966 nahmen Soldaten des Wachbataillons, darunter war immer die 3. Kompanie, regelmäßig an den NATO-Übungen teil. Die erste Übung 1966 wurde noch „Fallex“ genannt – für Fall Exercise: Herbstübung. Sie waren Vorläufer der ersten Winterübung „Wintex“ 1971, die aber im Kern das gleiche Szenario behandelte: die Sicherung des Notparlamentes nach einem atomaren Angriff. Günter Christiansen war insgesamt sieben Mal bei „Wintex“ dabei, auch 1983. Damals verlegten die Infanteriezüge zum Einsatzraum und wurden aufgeteilt, so dass man zwei verstärkte Züge hatte, Erdstaffeln genannt. Dann wurden zuerst die Zugführer in die Räume eingewiesen, anschließend die Unterführer. In den Stellungen, die die 3. Kompanie übernehmen sollte, lagen noch die Verteidiger einer Bundesgrenzschutz-Einheit. „Und die haben wir dann aus den Stellungen herausgelöst. Und das bei Nacht war ein schwieriges Unterfangen“, betont Christiansen. Nachdem die Stellungen übernommen wurden, begann das infanteristische Handwerk der Soldaten. Wirkungs- und Beobachtungsbereiche wurden zugeteilt, Sperren und Alarmposten um den Zuggefechtstand ausgelegt: „Und dann begann die Übung. Feinkommandos, die aus Soldaten des Wachbataillons bestanden, griffen uns jede Nacht an. Und die haben uns die Hölle heißgemacht.“ In einem Beitrag für den „Gardisten“

(Ausgabe Nr. 12 vom Juni 1983) schrieb Christiansen seine noch frischen Eindrücke auf: „Am Morgen des 14. März 1983 begann dann der Großkampftag für die Truppe. Eine Feindmeldung jagte die andere. Im Bereich der Luftlandewiese wurden belgische Fallschirmspringer abgesetzt, feindliche Luftlandetruppen an

Eine andere Zeit erlebte Hauptfeldwebel Thomas Stahl in den neunziger Jahren. Er selbst hat keine „Wintex“-Übung im Rahmen der NATO noch mitgemacht. Allerdings wurde zur Führerweiterbildung auch nach dem „Wintex“-Ende jedes Jahr eine taktische Übung im Raum Marienthal durchgeführt.

Seit 1966 nahmen Soldaten des Wachbataillons, darunter war immer die 3. Kompanie, regelmäßig an den NATO-Übungen teil.

mehreren Stellen eingeflogen, sodass es im Kampfgebiet von Stunde zu Stunde heißer wurde. Die erste Feindberührung wurde von Stabsunteroffizier Moss, Führer der Sicherungskräfte am Antennenfeld, gemeldet. Minuten später war der Feuerkampf im vollen Gange. Die Übermacht der ‚belgischen Jäger‘ war so groß, dass auch der Einsatz der Zugreserve nicht den erhofften Erfolg brachte. Die Reserve musste wenig später im Schutz der im Objekt liegenden Kräfte ausweichen. Das Antennenfeld fiel dem Feind in die Hände.“ Das Antennenfeld konnte jedoch wieder zurückgewonnen werden. Warum die Belgier aber so genau wussten, wo die Stellungen der Gardesoldaten lagen, kann sich Christiansen erklären. „Die belgischen Jäger waren zwei Tage vorher als Spaziergänger getarnt durch unsere Gefechtstände gewandert, und wussten ganz genau, wo wir unsere Stellungen hatten“, ärgert er sich noch heute, 28 Jahre später: „Und die hatten somit leichtes Spiel. Wir durften den Übungsraum um den Bunker herum ja nicht für Zivilisten sperren.“

„Von militärischer Seite aus wurde der Bereich nicht mehr mit der Volltruppe beübt“, so der altgediente Gardist: „Aber er war aus den Gedanken noch nicht weg. Der Verteidigungsauftrag des Wachbataillons blieb ja unverändert – im sogenannten V-Fall den Regierungssitz der Bundesregierung zu verteidigen. Und darum wurde er, wenn auch nur taktisch, zumindest mit dem Führungspersonal weiter beübt. Die letzte Übung war dann 1998.“ Die Bedrohungslage sah zu diesem Zeitpunkt ja auch anders aus. „Anfang der neunziger Jahre ging man gar nicht mehr im Schwerpunkt von einer atomaren Bedrohung aus, sondern man sah die Gefahr eher durch Kommandounternehmen, die in den Bunker eindringen wollten. Wir sind in unseren Szenarien davon ausgegangen, dass es verdeckte feindliche Operationen wie Aufklärungsversuche und Sabotage geben würde.“ Der Auftrag des Wachbataillons war es, diese Eindringversuche zu verhindern. „189“ war die Bezeichnung einer der Lüftungsschächte, die unter

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So konzipiert, dass im Falle eines atomaren Angriffes 3000 Personen 30 Tage lang autark überleben konnten…

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anderem durch das Wachbataillon gesichert wurden. Diese Außenanlagen wurden nach einem Operationsplan bewacht, der je nach Wichtigkeit durch Soldaten ständig gesichert – oder zumindest regelmäßig bestreift wurde. „Die Zuluftschächte waren der wunde Punkt der Anlage“, erinnert sich Paul Groß, 36 Jahre lang Techniker und Verantwortlicher für die Lüftungsschächte im Bunker: „Wenn da einer was reingeworfen hätte, wäre es schlimm ausgegangen. Aber dahinzukommen war aufgrund der guten Überwachung fast unmöglich.“ Die Anlagen waren großräumig eingezäunt, die Kampfstände waren mit Stacheldraht umzäunt, der zivile Wachschutz machte seine Kontrollgänge mit insgesamt vierundzwanzig Schäferhunden. Wenn irgendwo unerlaubt eine Tür oder eine Öffnung bei den Schächten aufgemacht wurde, dann konnte die Kommandozentrale des Bunkers sofort sehen, wo genau der vermutete Eindringling war. Bei Auslösen eines Alarms schlossen sich innerhalb von Millisekunden die schweren Schutzdeckel der Zuluftschächte. Paul Groß: „Wenn da einer zwischen gesteckt hätte, der wäre zermalmt worden. Die Deckel wogen mehrere Tonnen, das

war lebensgefährlich.“ Aber Spionage war vielleicht die realste Bedrohung. Markus Wolf, Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung der DDR, schrieb in einem Bericht einmal: „Bereits vor der Inbetriebnahme des Bunkers im Jahr 1972 lag unserer Auswertung eine ausführliche Dokumentation und Analyse des Bauwerkes vor.“ Heike Hollunder, die

Leiterin der Dokumentationsstätte Regierungsbunker, hat auch ihre Einblicke in die Spionagegeschichte des Bunkers: „Wir haben auch Kontakt zu einem Spion, dessen Lebensgefährte im Verteidigungsministerium gearbeitet hat, und der Inhalte der Übung direkt an seinen Partner, und dieser dann an die Aufklärung der DDR weitergeleitet hat. Das ging über Jahre so. Es handelte sich hierbei um einen westdeutschen Staatsbürger, der für die DDR spioniert hatte, und einer seiner Top-Agenten war.“ Der Regierungsbunker, der Ausweichsitz der Bundesregierung in einem Krisen- beziehungsweise Verteidigungs-Fall, ist eng mit der militärischen Geschichte der 3. Kompanie, aber auch mit den anderen Teilen des Wachbataillons verknüpft. Über Jahrzehnte gehörten die Übungen „Wintex“, im Bataillon auch „Sicheres Heim“ genannt, fest zum militärischen Auftrag. Heute ist der Regierungsbunker eine Dokumentationsstätte und ein Dokument der jüngeren Geschichte Deutschlands. Es lohnt sich, diese Gedenkstätte einmal zu besuchen. Unter www.dokumentationsstaette-regierungsbunker.eu gibt es Informationen über die Termine von Führungen und weitere Kontaktdaten.

Heike Hollunder, Leiterin der Dokumentationsstätte: „Der Bunker war ohnehin nie sicher, da die Waffenentwicklung so schnell voranschritt, dass man mit dem Nachrüsten der Bunkeranlage gar nicht hinterherkam.“


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Hansi, der Gaul Mein Dank gilt allen aus der zweiten Schule des Lebens Von Josef Mahr

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die Wochenenden hier mit Bibelstunden zu verbringen. Also beschlossen wir, uns einen lockeren Abend im nahegelegenen Örtchen Heide (das hatte wirklich etwas von einem Örtchen) zu verleben. Nun denn – mit den letzten Barschaften auf zum Festzelt. Die finanziellen Mittel waren damals nicht gerade üppig. Oder anders formuliert: wir sind fast „blank“ zum Festzelt marschiert. Aber der „Bund“ war ja schon immer beim Volke hoch angesehen, so dass wir uns mit einigen Runden über Wasser halten konnten. Dank einiger älterer Herrschaften, Und abends in den Driescher Hof… denen wir „Jungs“ (Anzeige aus: „Der Gardist“ 1968, Nummer 1.) wohl irgendwie leid taten. Hardthöhe. Es wird wohl ein Freitag Die Stimmung stieg, unsere Schlaggewesen sein. Einer, an dem man sich zahl an Getränken auch, da startete eine nicht auf das Heimatwochenende freuen Tombola. Mit den letzten drei Groschen, durfte. Wir mussten schließlich Dienst die der Autor dieser Geschichte in der Taschieben. Wir, die Jungs vom Wach- sche hatte, wurde ein Los aus der Tombobataillon, 4. Kompanie. 1967 sind wir la gekauft. eingezogen worden. An diesem Freitag Der gewonnene Preis war zwar kein (irgendwann zwischen 1967 und 1969) Opel Kadett oder eine Kreidler Florett, überlegten wir, wie wir den Abend ge- aber immerhin ein Reservekanister, mit stalten würden. Auf der Bude hocken? fünf Liter Fassungsvermögen. Was machDarauf hatte keiner von uns sechs Mann ten wir mit dem wertvollen Stück? Klar, Lust. Kanister, Flüssigkeit: der musste gefüllt Unsere Kaserne, ein umgebau- werden. tes ehemaliges MormonenklosWie mit einem „Klingelbeutel“ lief ter lud nicht gerade dazu ein, unser Kamerad Grabe damit rum – und

wieder hatten viele Leute ein Herz für uns. Hier ein Schnäpschen, da ein Weinchen, dort ein Bierchen, hier ein AsbachUralt – ein bisschen Limo und Cola drauf, die Plörre wurde immer schlimmer. Aber Jungs wie wir sind tapfer: Wir haben den teuflischen Mix geschluckt wie einst unsere Kaba-Rationen in der Schule. Irgendwann zeigte der leicht nach Kommoden-Lack schmeckende „Drink“ noch mehr Wirkung. Also beschlossen wir: Jungs, es ist Schlafenszeit. Möglichst auf der eigenen Bude (wir waren ja zum Teil frisch verheiratet und dachten gar nicht an „andere Möglichkeiten“). Die Nacht wäre sicherlich ganz normal verlaufen, wenn wir nicht unserem „Hansi“ (der hieß wirklich so) über den Weg gelaufen wären. Hansi, ein Hafflinger-Gaul stand ganz friedlich auf seiner Koppel. Ich glaube er (oder sie – dass wissen wir heute nicht mehr) mochte uns. Denn wir beschlossen von jetzt auf gleich: „Wenn dem Hansi kalt ist, kommt er mit auf die Bude!“ Natürlich nicht in unsere. Ein staatlicher Gaul wie er sollte schon die UvD-Bude kriegen. Das waren wir ihm schuldig. Der Zossen machte auch gar nicht erst die Verweigerungshaltung, der lief direkt mit. Ein imposanter Zug setzte sich mitten in der Nacht in Richtung „Mormonen-Kaserne“ in Gang. Die Herren Vorgesetzten nächtigten komplett bei ihren Familien. Es gab deshalb keine Barrieren, unseren neuen „Talisman“ mit ins Haus zu nehmen. Das einzige Problem, über das wir jetzt noch schwer nachdachten: der Kanister war um viereinhalb Liter unseres hochexplosiven Gemisches leichter. Aber wie kriegen wir diese gefühlte Tonne lebenden Pferdefleisches die Treppe zur UvD-Bude rauf? Mit dem Glück, das nun mal Besoffene und kleine Kinder sprichwörtlich haben, gelang uns diese schwierige Aufgabe. Der Hottimax war in „Schmidtchens“ (Hauptmann Schmidt) Domizil angekommen. Tja, und wir hatten nun das Gefühl, die personifizierten Siegermächte zu sein. Wir klatschten uns ab und streckten unsere durchtrainierten Körper: Mit solchen Jungs gewinnst Du jeden Krieg! Ob Hansi – im Gefühl seiner


Beförderung zum „Kompaniechef“ – fröhlich abgewiehert oder die Bude mit Freudenschissen durchzogen hat, wussten wir nicht. Die Nacht war schon weit fortgeschritten – oder anders formuliert: draußen wurde es schon helle. Nach einer guten Stunde Schlaf mussten wir alle antreten. Schmidtchens schneidige Stimme hat uns in Windeseile erst in die Klamotten und anschließend vor die Tür gebracht. Unser Chef war so erfreut, dass er sich für unseren Ideenreichtum eine tolle Belohnung erdacht hatte. Wir durften mit vollem Marschgepäck zweimal zur Wahnbach-Talsperre abdampfen.

Das wäre kein großes Problem gewesen, wenn die Talsperre nicht sieben Kilometer entfernt gewesen wäre. Zeit, unterwegs Fotos zu machen oder die herrliche Landschaft zu genießen oder Lunchpakete zu verkimmeln, ließ man uns übrigens nicht. Kamerad Theo Weinhold kam dieser „fröhliche Ausflug“ übrigens besonders gelegen. Er verlor seine Körperflüssigkeiten nicht nur über die Drüsen, nein, er nutzte auch die oralen Möglichkeiten zum anfallartigen Flüssigkeitsverlust. Die Geschichte hat sich – wie vieles im Leben – nie so richtig geklärt. Als Bundeswehrsoldat hat man eben

das eine oder andere kleine Geheimnis. General Steinhoff hat mich mal persönlich gefragt: „Mahr, sind Sie gerne Soldat?“ – „Natürlich“, habe ich ihm geantwortet. Ich habe ihm die Wahrheit gesagt. Diese Zeit meines Lebens hat mir neue Erfahrungen in Sachen Menschenkenntnis schon in jungen Jahren gebracht. Man entwickelt mehr Verantwortung für den Mitmenschen, der Respekt vor dem anderen wächst. Man wird geradliniger. Insofern ist es die zweite Schule des Lebens – in der ich gerne gelernt habe. Von Schmidtchen, von Christiansen, vom Zimmernachbarn. Mein Dank gilt allen.

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„Moritz II“… …oder der Tod eines Maskottchens Von Hans A. Vogel Im Februar 1962, nach dem Umzug der 4. (der späteren 3.) Kompanie in die neue Unterkunft in Lohmar-Heide, die im Rückblick auf die Unterbringungsenge im Baracken-geviert der Brückberg-Kaserne keine nennenswerte Besserung brachte, übergaben die Unteroffiziere des Bataillons anlässlich eines Umtrunks denen, die nun in Lohmar-Heide wohnten oder dienten, ein Maskottchen in Gestalt einer kleinen männlichen Bergziege mit Name „Moritz“. Sie stammte aus den Beständen des Bataillonsgeheges um die Oberziege „Kuno“ vis-à-vis des Offizierheimes. Die Bataillonsunteroffiziere übergaben das Tier, wohl mit frommen Wünschen, in die Obhut des Kompaniefeldwebels der 4./WachBtl BMVg, Hauptfeldwebel Krogsen. Dieser überantwortete wiederum Moritz, an einer Schnur führend, einem Soldaten der Kompanie, dem Grenadier D. aus dem 3. Zug, der, wie ich, ein Mitbewohner im Bungalow war. Dieser brachte nun das Tierchen in eine, sich im rückwärtigen Unterkunftsgelände befindliche, rundum verglaste und beleuchtbare Voliere mit Kegeldach und mittiger Dachstütze unweit des Schwimmbades. Als sich der kleine Ziegenbock nun im spiegelnden Glas der Voliere sah, glaubte er einen Konkurrenten zu sehen und nahm den Kampf auf – er schlug mit der Stirnpartie seines Kopfes zu. Grenadier D. befürchtete nun, das Tier könne die Scheibe(n) zertrümmern und sich dabei verletzen. Er band es mit der Führleine an der Dachstütze so fest, das es nicht bis zum Glas gelangen konnte. Er verließ die Voliere und ging zur Unterkunft – zum Bungalow, wo er mich antraf und mir von dem neuen Maskottchen erzählte. Er schloss mit der Frage, ob ich mir den Moritz mit ihm zusammen „mal eben ansehen“ wolle… Damit war ich einverstanden und wir stiefelten los. Wir kamen zur beleuchteten Voliere

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Lohmar-Heide zu Zeiten der Ziegen Moritz I und Moritz II – mit einem Moritz III, aus dem Internet heruntergeladen…

und sahen, das Moritz, um sich seinem vermeintlichen Gegner nähern zu können, wohl immer wieder um die Stütze gelaufen war, bis sich die Führleine so verkürzt hatte, dass sie ihm die Atemluft abgeschnürt hatte. Er hing am Halse mit heraushängender Zunge an der Dachstütze. Sofortige Loslösung der Schnur und Wiederbelebungsversuche unsererseits, konnten unserem Maskottchen nicht mehr helfen – es war tot. Punkt. Mein Kamerad D. war auf der Stelle blass. Eine jetzt notwendige, mündlichpersönliche Todesmeldung könne er gegenüber dem Hauptfeldwebel Krogsen jetzt nicht abgeben. Er bat mich dies zu übernehmen, ich sei am Ableben des Moritz ja nicht schuld und er liefe dem Kompaniefeldwebel noch früh genug über den Weg. So verblieben wir – ich meldete. Herr Hauptfeldwebel Krogsen nahm meine Meldung entgegen. Kamerad D. hatte Recht, er hätte diese Meldung „nicht überlebt“. Nachdem er sich beruhigt hatte durfte ich gehen. Überlegungen ergaben, dass letztlich ein Problem blieb. Wie konnte verhindert werden, dass die Unteroffiziere des Bataillons vom Ableben des

jungen Maskottchens erfahren würden; Lösung: der Kauf einer ähnlichen jungen Ziege an Stelle von Moritz, gegebenenfalls im Bonner Kinderzoo an der Römerstraße. Am nächsten Morgen wurden ich und mein Kamerad D. beauftragt, mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus und Bahn, eben ohne Fahrbefehl) von Lohmar-Heide (Franz-Häuschen) nach Bonn und, wenn möglich, mit „Moritz II“ zurück zu reisen. Ob wir dies in Uniform oder in Zivilkleidung unternahmen, weiß ich nicht mehr. Wir fanden im Bonner Kinderzoo einen entsprechenden kleinen Ziegenbock, den wir für wenig Geld erwarben. Die Rückfahrt mit Moritz II wurde ein Erlebnis der besonderen Art. Wir trugen ihn abwechselnd in den Armen, dabei zappelte der kleine Ziegenbock unentwegt und schrie dabei laut und jämmerlich sein Leid in Welt – in Bahn und Bus bis FranzHäuschen. Aber die Unteroffiziere der 4. /WachBtl BMVg hatten ihr Maskottchen wieder. Nach einigen Monaten erkannten wir, dass es nicht gut sei, einen Ziegenbock allein zu halten – ihm wurde eine junge Zicke beigegeben.


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Chronik der 3. Kompanie Von Siegburg nach Siegburg Von Michael Fritzsche

Am 1. Juli 1961 beginnt unter Hauptmann Rottländer, dem ersten Kompaniechef, mit einem Vorauspersonal von 17 Mann, die Aufstellung der 4. Kompanie. Nachdem diese anfänglich in den Baracken der Brückberg-Kaserne in Siegburg untergebracht sind, ziehen sie in ein ehemaliges Jugendheim nach Lohmar-Heide. Am 1. September nimmt die Kompanie

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mit dem Einzug von Wehrpflichtigen den Tagesdienst auf und feiert im Palais Schaumburg für Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer, zu dessen 85. Geburtstag, erfolgreich ihren protokollarischen Einstand. Im folgenden Jahr wird durch die noch junge 4. Kompanie bereits der fünfte Geburtstag des gesamten Wachbataillons zelebriert.

Das Jahr 1964 beginnt mit der Abschaffung des weißen Koppelzeugs und der weißen Handschuhe, was dem protokollarischen Ehrendienst, nach Einschätzung von Zeitzeugen, den gewohnten Glanz nimmt. Das sieht man im Bundesministerium der Verteidigung ähnlich und somit werden weißes Koppelzeug und weiße Handschuhe wenige Jahre später wieder eingeführt. Im September 1964 ist Hauptmann Rottländer bereits am Ende seiner Verwendungszeit angelangt und übergibt sein Amt an Hauptmann von Prondzynski. Dieser führt die Kompanie auch am 7. Januar 1965, als Bundespräsident Heinrich Lübke dem Feldwebel Kreuser aus der 4. Kompanie die Truppenfahne Nummer 1 des Wachbataillons überreicht, und Feldwebel Kreuser damit erster Fahnenträger des Bataillons und zugleich der Bundeswehr wird. Das gesamte Bataillon nimmt an diesem feierlichen Zeremoniell im offenen Karree teil. Am 12. September übernimmt die Vierte die Tradition des Infanterieregimentes 48, das sich um die Erstürmung der französischen Festung Fort Douaumont verdient gemacht hat. Dabei wird gleichzeitig das Schwimmbad in der Truppenunterkunft in Heide eingeweiht. In das dortige Schwimmbecken macht der Chef, Hauptmann von Prondzynski, einen Kopfsprung, um danach mit seinen Offizieren auf beide Anlässe feierlich mit einem Glas „leckeren Kaltgetränks“ anzustoßen. Dieser Anblick blieb einem Fotografen nicht verborgen, der eine unvergessliche Aufnahme davon macht (Foto siehe Seite 12). Die Traditionstreue zum IR 48 ist bis heute dem Wappen der Vierten zu entnehmen. Kurz darauf übernahm am 1. Oktober 1966 Hauptmann Schmidt die Kompanie und Oberfeldwebel Jakubeit, der seit 1961 in der Kompanie dient, wird zum Kompaniefeldwebel. Kurz bevor die Vierte in die HermannLöns-Kaserne umzieht, wechselt wieder die Führungsriege der Kompanie. Am 1. Oktober 1968 übernimmt der ehemalige S1 Oberleutnant Feldmann die Kompanie und kurz darauf wird Oberfeldwebel Grosser vom Kompanietruppführer zum Spieß. Nach sieben Jahren Wartezeit zieht die Kompanie am 19.02.1969 mit „Sack


und Pack“ nach Bergisch Gladbach und hat fortan dort ihr Hauptquartier. Am 8. Mai 1971 fällt das zehnjährige Bestehen der Vierten mit einem Traditionstreffen Ehemaliger des IR 48 zusammen und wird ordentlich gefeiert. Im September ist dann die Stehzeit des Kompaniechefs vorüber und Hauptmann Czarnecki übernimmt. Im Jahr 1972 findet eine Verkürzung des Wehrdienstes statt, was die Auflösung und Versetzung von zwei Zügen zur Bei Wind und Wetter: Soldaten des Wachbataillons trotzen dem Wetter und stehen stramm Folge hat. Statt der bisherigen 18 Monate, müssen die Grundwehrdienstleisten- Generalinspekteur General Wust ins Amt Dritte beim Bataillonssportfest erneut die den nun nur noch 15 Monate dienen. einführt und 34 Jahre später, durch zwei punktbeste Kompanie. Unvergesslich für 1973 ist für die bisherige Vierte ein Oberleutnante der Dritten begleitet, im 19 Soldaten wird die Einladung anlässbesonders interessantes Jahr. Nach eini- Oktober 2010, zu Grabe trägt. lich des 200. Jahrestages der Schlacht ger Umstrukturierung wird die „alte“ dritAm 23. September 1977 findet das bei Yorktown (Virginia/USA) gewesen te Kompanie aufgelöst und die Soldaten Bataillons-Unteroffizierschießen statt. sein. Sie dürfen als Abordnung der Bunwerden zur „alten“ Vierten versetzt. Da Der Kompaniechef Hauptmann Fulst be- deswehr am umfangreich gestalteten Besie die drittälteste Kompanie ist, wird sie legt den ersten Platz beim Gewehrschie- treuungsprogramm teilnehmen, was unter fortan zur Dritten. ßen und der Kompaniefeldwebel Haupt- anderem ein Schießen mit den AmerikaAb dem 1. Oktober tritt diese Rege- feldwebel Grosser den zweiten beim nern und die Besichtigung verschiedener Sehenswürdigkeiten beinhaltet. lung in Kraft, welche auch beinhaltet, Pistolenschießen. Ende März 1982 nimmt die Kompadass die Nummer 4 fortan der MarinesiNach seiner knapp fünfjährigen Vercherungskompanie des Bataillons zu Ei- wendung als Kompaniechef wird Haupt- nie Abschied von ihrem Kompaniechef gen wird. Alles klar? Die 4./ heißt jetzt mann Fulst im Januar 1978 von Haupt- Hauptmann Schäfer, der eine neue Ver3./, sonst ändert sich aber nichts – bitte! mann Schäfer abgelöst. Noch im gleichen wendung als Chef einer FallschirmjägerDoch: Hauptmann Czarnecki wird Kom- Jahr im November wird das grüne Barett kompanie antritt. Zur Freude der Kompapaniechef der Ersten und die Dritte steht an die Heeressoldaten übergeben, welches nie kehrt er später als Kommandeur des ab sofort unter Führung des Hauptmann mit dem gotischen „W“ bestückt ist. Das Wachbataillons BMVg noch einmal zum Fulst. Barett wird seitdem zu protokollarischen Bataillon zurück. Er wird durch Herrn Im Mai 1974 wird die infanteristische Einsätzen, aber auch im Tagesdienst ge- Hauptmann Graf von Westerholt abgeAusbildung kurz durch Traditionstreffen tragen. Außerdem wird Hauptfeldwebel löst. Erstmals geht es in diesem Jahr auch unterbrochen, an dem erstmals der Sem- Christiansen, seit der Aufstellung Angeper Talis Bund, die Ehemaligen des IR höriger der Dritten, als erstem Soldaten per Eisenbahntransport auf den Übungs48 sowie die Ehemaligen des WachBtl des Bataillons das Abzeichen für Leistun- platz Sennelager, an den Fuß des TeutoBMVg teilnehmen. Noch im selben Jahr gen im Truppendienst in der Stufe Gold burger Waldes. Neben den zahlreichen Protokolleinsätzen, die die Kompanie mit wird das WachBtl BMVg aus dem Ver- mit fünf Wiederholungen verliehen. band des Wehrbereichskommandos III Wie die Zeit vergeht, erkennt man, Bravour absolviert, gewinnt die Dritte herausgelöst und untersteht sodann dem als die Dritte am 1. Juli 1981 ihren zwan- beim Bataillonssportfest den WanderpoSicherungs- und Versorgungsregiment zigsten Geburtstag feiert – und das mit kal für die beste Leistung. Der Kompaniefeldwebel BMVg. vielen geladenen Gästen und Ehemaligen Das lange Bestehen der Dritten wird der Dritten beziehungsweise der Vierten. Hauptfeldwebel Wallraff erhält besonders deutlich, weil sie 1976 den Wie nicht anders zu erwarten, wird die in Beisein des Bataillons das

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Ehrenkreuz der Bundeswehr in Silber. Noch ein Höhepunkt folgt für Hauptfeldwebel Christiansen kurz vor der Jahreswende, als er das Ehrenkreuz der Bundeswehr in Gold verliehen bekommt. Die folgenden Jahre vergehen mit zahlreichen protokollarischen Einsätzen, die die Dritte zumeist mit äußerstem Erfolg absolvieren. 1985 löst Hauptmann Schättinger den Kompaniechef ab, der 1987 wiederum von Hauptmann Wieser abgelöst wird. Dieser ist Chef, als für die Kompanie eine erwähnenswerte Veränderung im April 1990 in Kraft tritt. Nach langjähriger Bauzeit werden neue Unterkunftsgebäude in der Brückberg-Kaserne fertiggestellt und die Dritte zieht zum zweiten, zumindest bis heute auch zum vorerst letzten Mal, seit ihrem Bestehen um. Durch die neuen Gebäude ist das Bataillon nun fast vollständig , abgesehen von der Ausbildungskompanie 902, in der Brückberg-Kaserne in Siegburg vertreten. Eine Veranstaltung, an die sich auch der derzeitige Spieß, Stabsfeldwebel Jansen, gern zurück erinnert, ist die Unteroffizierverabschiedung, zu der der damalige amtierende Verteidigungsminister Volker Rühe eingeladen wird. Wider Erwarten kommt dieser der Einladung gern nach und so wird bei so manchem „Kaltgetränk“ gemeinsam gefeiert. Im Februar 1994, Hauptmann Röper ist mittlerweile drei Jahre Kompaniechef, verlegt das Bataillon in einer 35 Kilometer langen Marschkolonne auf den Truppenübungsplatz Schwarzenborn. Immer unter den wachsamen Augen des Kommandeurs, der das Ganze aus der Luft im eigenen Hubschrauber begutachtet. Doch nicht nur dies ist ungewöhnlich: auf dem Truppenübungsplatz findet ein Gelöbnis für neue Rekruten im Feldanzug statt, wobei die Dritte die Ehrenformation stellt. Das Jahr 1995 wartet nicht nur mit dem Chefwechsel in der Dritten von Hauptmann Röper zu Hauptmann Grundmann, sondern auch mit dem Umzug mit Teilen des Bataillons nach Berlin in die Julius-Leber-Kaserne. Der Umzug wird nötig, da mittlerweile viele protokollarische Einsätze in Berlin stattfinden und die Reisen für Musikkorps und die Wachkompanien zu anstrengend, aber auch zu kostenintensiv werden.

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1997 übergibt Hauptmann Grundmann die Kompanie an Hauptmann Houben, einen im Wachbataillon gewachsenen Offizier, der seine Ausbildung zum Protokollsoldaten in der Fünften erhalten hat. Im Januar 1999 verlegt die Dritte dann als erste Kompanie des Wachbataillons zum Regionalen Übungszentrum Infanterie nach Hammelburg und beweist dort, dass das Wachbataillon nicht nur Experten im Infanteriegriff sind, sondern sich auch im Gefechtsdienst herausragend schlagen und dies bei widrigsten Witterungsbedingungen. Dies ist einer der letzten Höhepunkte für den Kompaniechef, der im Juni die Kompanie an Hauptmann Faul, einen Offizier der Gebirgsjägertruppe, übergibt. Während im Jahr 2000 durch den Umzug der Fünften nach Berlin nunmehr die Hälfte des Bataillons in Berlin stationiert ist, hält die Dritte ihre Stellung in Siegburg – und das bis heute, wie wir wissen. Nach rund drei Jahren Dienstzeit kommt die Kompanie im November 2002 in die Obhut von Hauptmann Doert. Die Jahre verstreichen mit Höhepunkten wie den Öffentlichen Gelöbnissen in Siegen oder auf dem Siegburger Marktplatz, wie es auch im Februar 2011 wieder durchgeführt wurde. Auch die Dienstzeit des Hauptmann Doert geht vorüber und es übernimmt im Februar 2005 Oberleutnant Volkmann,

der von der Siebten zur Dritten versetzt wird. Ein Highlight dieses Jahres ist die Weiterbildung des Führerkorps der Dritten, die in Sonthofen durchgeführt wird und ganz im Zeichen des „Drahtesels“ steht, mit dem die Ausbilder einige Kilound Höhenmeter zurücklegen. Hauptmann Volkmann wird von Oberleutnant Jänicke abgelöst, der von der Siebten zur Dritten versetzt wird. Im Februar 2011 übernimmt Oberleutnant Lejczak, ehemaliger Zugführer in der Sechsten, die Kompanie und führt diese bis heute. Fakt ist: die dritte Kompanie des Wachbataillons beim Bundesministerium der Verteidigung kann auf eine ereignisreiche fünfzigjährige Geschichte zurückblicken. Unzählige protokollarische Einsätze – darunter auch für US-Präsident John F. Kennedy und Papst Johannes Paul II. – bleiben den Beteiligten unvergesslich. Doch die Herausforderungen werden nicht weniger: im Gegenteil. Die aktuelle Strukturreform und die damit verbundene Aussetzung der Wehrpflicht führen zu einem Personalengpass, an deren Beseitigung sowohl auf Kompanieebene, als auch auf Bataillonsebene fieberhaft gearbeitet wird. Zuversichtlich hofft das derzeitige Stammpersonal auf weitere fünfzig Jahre dritte Kompanie – und das am liebsten auch in der Heimat: der Garnisonstadt Siegburg.

Ein Tag beim Wachbataillon: Soldaten des Salutzuges bei der Arbeit


Semper Patientia...

Semper Calix...

Semper Salus...

Semper Urgens...

Semper Talis!

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