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Regionale Produkte finden immer mehr Zuspruch, denn damit setzen Konsumenten ein Zeichen

Aus der Region, für die Heimat

Schweizweit werben Plakate für regionale Produkte, in Restaurants wird die Herkunft der Speisezutaten angegeben, Gemüsekisten-Abos aus Landwirtschaftsbetrieben haben Zulauf. Regionalität ist ein Megatrend.

TEXT DANIELA PALUMBO

Ganz genau wollen sie es wissen, die zahlreichen Kundinnen und Kunden, die wie an diesem Dienstagmorgen die Hallen des Puuremärkt betreten. Sie interessieren sich nicht nur für die Herkunft von Gemüse, Früchten und Zutaten in den verarbeiteten und veredelten Produkten, sondern auch dafür, in welchem Verfahren die Konfitüren, Würste und Brote hergestellt wurden. Auf diese Anfragen reagieren die zehn Bauernfamilien, die in der alten Feuerwehrhalle ihre Produkte direkt vermarkten, mit detaillierten Auskünften. Seit einem halben Jahr kleben etwa auf den Konfitüren der Familie Schwyn vom Aazheimerhof in Neuhausen Etiketten, die transparent deklarieren, wo die Beeren aufgezogen und geerntet wurden, welche die Bauernfamilie in die Einmachgläser gefüllt hat. Auf den Deckeln kann die Kundschaft die Herkunft lesen: «Eigene», «Region» oder «Thurgau».

ANSTURM AUF REGIONALES

«Unsere Kundschaft ist sehr kritisch und vielschichtig», sagt Puuremärkt-Präsident Hanspeter Tanner. Der Puuremärkt existiert seit 1999, wurde also zu einer Zeit gegründet, in der die Produzentenpreise für Fleisch, Milch, Gemüse und Getreide im Sinkflug waren. «In den letzten 20 Jahren sind die Absätze stetig gestiegen», sagt Tanner. Die starke Nachfrage nach regionalen Produkten ist kein neues Phänomen, hat sich aber in der Coronakrise deutlich manifestiert. So wurde der Puuremärkt während des Lockdowns, als die Grenze zu war, «regelrecht überrannt», sagt Tanner. Mittlerweile habe sich der Ansturm gelegt und auf einem guten Level eingependelt.

Zahlen aus der gesamten Schweiz, erhoben von der Hochschule Luzern (HSLU), bestätigen den verstärkten Trend zum Kauf von regionalen und Schweizer Produkten. Während des Lockdowns gaben 86 Prozent der Befragten an, häufig oder ab und zu auf die regionale Herkunft zu achten. Nach der Lockerung im Sommer waren es sogar noch mehr, 95 Prozent.

SOLIDARITÄT MIT BAUERNFAMILIEN

Wer sich an diesem Morgen umhört, erfährt von der Kundschaft, dass sie den Puuremärkt und den Wochenmarkt nicht nur besucht, um frische Produkte aus der Region zu kaufen, sondern dass sie mit ihrem Kauf ebenso die hiesigen Bauernfamilien unterstützen möchte. Ein Zeichen der Solidarität und direkte Wirtschaftsförderung durch die Einheimischen.

Der aktuelle europäische Konsumbarometer zum Verhalten der Bevölkerung in 17 Ländern im Jahr 2019 unterstreicht die Bedeutung dieses Kaufmotivs. So greifen die meisten Menschen weniger aus ökologischen Motiven bei regionalen Produkten aus allen Sparten zu. Hauptantrieb sei die positive Auswirkung auf die regionale Wirtschaft und den heimischen Arbeitsmarkt.

«Die Direktvermarktung ist ein wichtiger Betriebszweig geworden», sagt Tanner. «Sie erwies sich als wertvolle Ergänzung, erlaubt eine bessere Wertschöpfung und gerechte Preise.» Daher investierten mehrere Bauernfamilien in professionelle Infrastruktur und richteten auf ihren Höfen Bäckereien, Fleischverarbeitung und Teigwarenproduktion ein. «Mit dem Puuremärkt haben wir einen Absatzkanal geschaffen, der ein vernetztes Angebot von regionalen Produkten bietet. Damit stellen wir Regionalität sicher.»

Vom Megatrend profitieren nicht nur Bauernfamilien, sondern auch Grossverteiler, die mit ihren Labels etwa «Aus der Region, für die Region», «Miini Region» oder «Lokal» werben. Der Boom bei Regionalprodukten sei ein Zeichen gegen die intransparente, globalisierte Wirtschaft. «Der Konsument sucht das Überschaubare, die Nähe, das Vertraute», sagt Josianne Walpen, Leiterin Ernährung und Mobilität der Stiftung für Konsumentenschutz. In einer von ihr geleiteten und von der Allianz für Konsumentenschutz unterstützten Studie von 2017 nahm sie 55 Regionallabels genauer unter die Lupe. Während die Labels regio.garantie, die Landschaftspärke Schweiz und die Migros auf gutem Weg waren, mussten sich einige Labels wie die von Landi, Volg und Spar damals den Vorwurf gefallen lassen, als Trittbrettfahrer zu agieren: keine Kontrolle, keine Transparenz, teilweise auch keine Richtlinien. Eine weitere Überprüfung fand bislang nicht statt.

REGIONAL IST NICHT BIO

Doch was bedeutet regional, abgesehen von einer geografischen Definition, die oft schwammig ausgelegt wird? Die Qualität und der Geschmack sind nicht zwingend besser als bei auswärtigen Produkten. Regional ist auch nicht gleichzusetzen mit Bio. «Die meisten halten sich an ökologische Auflagen, um von staatlichen Direktzahlungen zu profitieren», sagt Josianne Walpen. «Hier lauert ein Fallstrick. Nicht alle Regionalprodukte sind nachhaltig und in kleinbäuerlichen Strukturen entstanden, obwohl das der Auftritt und die Werbung glauben machen.» Trotz Regionallabel solle man deshalb auch darauf achten, wie etwas produziert wurde. Sonst unterstütze man allenfalls eine Produktionsweise, die man gar nicht möchte. Landfrauenverband, Bauernverband und Landi zum Verein «Gemeinsames Marketing für Schaffhauser Regioprodukte» zusammengeschlossen. Das Ziel: eine gemeinsame Plattform für Produkte aus dem Kanton Schaffhausen zu lancieren. Dazu gehört die Website www.schaffhauser-regioprodukte.ch. «Zudem fördern wir die Direktvermarktung der einzelnen Betriebe und bieten Unterstützung, um in den Läden der Region Produkte zu vermarkten», sagt Yasmin Spengler vom Naturpark Schaffhausen, der den Verein unterstützt und die Geschäftsführung zur Verfügung stellt. Gemeinsame Auftritte an Messen wie demnächst an der «Olma» in St.Gallen und auf Facebook gehören zur Strategie dazu. Derzeit prüft der Verein zusammen mit den Betreibern der Schaffhauser Ess-Box, ob für die 64 Mitglieder ein Onlineshop rentabel sein könnte, der den Kunden regionale Lebensmittel aus der Region Schaffhausen und Umgebung direkt nach Hause liefert.

Bauernfamilien im Puuremärkt bieten auch verarbeitete und veredelte Produkte wie Wein und Honig an.

BILDER MELANIE DUCHENE

vermag seinen Mitgliedern ein zertifiziertes und kontrolliertes Label zu verleihen, das den Richtlinien der Regionalmarken unterliegt», bestätigt Martina Isler, stellvertretende Geschäftsführerin des Regionalen Naturparks Schaffhausen. Alle Partnerbetriebe werden jedes zweite oder vierte Jahr von einer externen Zertifizierungsstelle überprüft. Die vom Naturpark Schaffhausen umschlossene Region ist indes nicht identisch mit dem Kanton Schaffhausen, sie überschreitet mit Jestetten und Lotstetten sogar Grenzen und umfasst 13 von den 26 Schaffhauser Gemeinden: Beringen, Gächlingen, Löhningen, Oberhallau, Schaffhausen, Schleitheim, Trasadingen, Wilchingen, Buchberg, Hallau, Neunkirch, Rüdlingen, Thayngen. Die Gemeinden hatten es 2016 selbst in der Hand, ob sie dem Naturpark beitreten wollten oder nicht. Die Bevölkerung aus Neuhausen und Siblingen etwa entschied sich dagegen. Der Aazheimerhof kann daher nicht mit einem zertifizierten Regionallabel werben. Aber spielt das eine Rolle?

Für die Betriebe kann sich ein anerkanntes Label durchaus lohnen – so darf zum Beispiel die Rötiberg-Kellerei aus Wilchingen dank der Kontakte des Naturparks seine Produkte neuerdings im Coop anbieten. «Der Naturpark übernimmt die Funktion der Wirtschaftsförderung auf dem Land», so Isler. Mit Erfolg. 2019 erwirtschafteten die 177 Produkte einen Umsatz von rund 2.7 Millionen Franken. Die Naturpark-Produktepalette verdreifachte sich innerhalb von drei Jahren auf 207 im Jahr 2020.

SCHWATZ STATT LABEL

Für den Konsumenten mag ein offizielles Label in einem überschaubaren Kanton wie Schaffhausen vielleicht weniger bedeutsam sein. Schlussendlich geht es beim Kaufentscheid um Vertrauen. «Lebensmittel konsumieren ist Vertrauenssache», sagt denn auch der Puurermärkt-Präsident Tanner. Er sei zwar ebenfalls ganz klar der Meinung, dass der Naturpark ein Förderinstrument für den ländlichen Raum sei. «Jedoch bin ich mir sicher, dass in der Vermarktung der einzelne Betrieb beziehungsweise Produzent mehr zählt, als ein weiterer Kleber auf dem Produkt. Wir sind sehr nah am Kunden, halten einen Schwatz, reagieren auf Rückfragen.»

Cornelia Ritter zum Beispiel steht schon seit 19 Jahren hinter dem Puuremärkt-Verkaufsstand des Tanner-Betriebs aus Merishausen. «Die Kundinnen und Kunden stellen seit jeher Fragen», sagt sie. «Aber sie fragen vermehrt, wie die Kühe gehalten werden, ob die Kälber bei der Mutterkuh bleiben dürfen, wie und wo sie geschlachtet werden. Woher das Mehl kommt, was alles im Brot drin ist. Es wird viel über Produkte geredet.» So können die Bauern auf die Nachfrage eingehen und zum Beispiel einzelne Brot- und Backwaren nach älteren, traditionellen Rezepten herstellen, die man sonst nicht mehr bekommt.

Für den Kaufentscheid genügt manchmal auch nur ein Bild. So entscheidet sich eine Kundin an diesem Dienstag für die Eier vom Aazheimerhof, weil ein Foto, das am Stand hängt, frei herumlaufende Hühner abbildet. An einem anderen Stand hat sie schwarzen Rettich, Rüebli, Äpfel gekauft, den Kohlrabi legt sie indes wieder zurück. Auf dem Schildchen steht Italien als Herkunftsland. 

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