Produktregulierung im EU-Binnenmarkt

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Position | New Legislative Framework BDI-Kernforderungen zur Produktregulierung im EU-Binnenmarkt



Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. Abteilung Umwelt, Technik und Nachhaltigkeit

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Inhaltsverzeichnis Einleitung .................................................................................................................................................................................. 5 Inverkehrbringen deutscher Industrieprodukte im europäischen Binnenmarkt ................................................... 5 Kernforderungen der deutschen Industrie an die Weiterentwicklung des NLF .................................................... 6 1. Wirtschaftsgetragene Konformitätsbewertung beibehalten – keine behördlichen Produktzulassungsverfahren 6 2. Akkreditierungssystem stärken – keine nationalen Sonderwege ............................................................................ 8 3. Marktüberwachung effektiv gestalten ......................................................................................................................... 10 4. Stabilität, Kohärenz und Klarheit des EU-Regelwerkes unabdingbar ................................................................... 11 5. Stärken des europäischen Normungssystems erhalten .......................................................................................... 12 Zusammenfassung ............................................................................................................................................................... 13 Impressum .............................................................................................................................................................................. 14


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Das New Legislative Framework ist das Regulierungsmodell, das den europäischen Binnenmarkt erst ermÜglicht hat. Dieses Erfolgsmodell sollte weiter verwendet und ausgebaut werden.


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Einleitung Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland eine Sonderrolle ein. Es gibt nur wenige andere hoch entwickelte Industrieländer mit einem hohen und stabilen Industrieanteil. Diese Industrie erwirtschaftet ein Viertel des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zählt man die industrienahen Dienstleistungen hinzu, ist es sogar ein Drittel des BIP. Der BDI als Spitzenverband der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister spricht für 36 Branchenverbände. Er repräsentiert die Interessen von über 100.000 großen, mittleren und kleinen Unternehmen gegenüber Politik und Öffentlichkeit.

Inverkehrbringen deutscher Industrieprodukte im europäischen Binnenmarkt Deutschland hat mit Abstand den größten Industrieanteil und erwirtschaftet fast ein Drittel der gesamten industriellen Wertschöpfung in Europa. Es ist Lieferant und Empfänger von über 40 Prozent aller grenzüberschreitenden Vorleistungen des Verarbeitenden Gewerbes. Basierend auf einer marktwirtschaftlichen Ordnung bildet der europäische Binnenmarkt für die deutsche Industrie einen unverzichtbaren, stabilen und harmonisierten Wirtschaftsraum. Hier können Unternehmen Produkte nach einheitlichen Regeln vermarkten. Die Produkte müssen dabei nach dem sog. „Neuen Konzept“ (New Approach) den grundlegenden Anforderungen, insbesondere den einschlägigen Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen auf hohem Schutzniveau entsprechen. Die Pflicht zur Erfüllung dieser Konformitätsanforderungen liegt bei den Unternehmen.

Getragen vom Leitgedanken, den freien Marktzugang weiter zu fördern und das Inverkehrbringen von konformen Produkten auf dem Binnenmarkt zu verbessern, verabschiedete der europäische Gesetzgeber im Jahr 2008 den neuen Rechtsrahmen „New Legislative Framework“ (NLF) für die Vermarktung und Überwachung von Produkten in der Europäischen Union. Der NLF vereint die beiden, in den Jahren zuvor etablierten Rechtsrahmen „New Approach“ (1985) und „Global Approach“ (1993), entwickelt sie weiter und bildet somit die tragende Säule des Europäischen Binnenmarkts für Produkte. Dieses Regulierungsmodell hat den Binnenmarkt erst ermöglicht und ist damit ein Erfolgsmodell, das weiter verwendet und ausgebaut werden sollte.


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Kernforderungen der deutschen Industrie an die Weiterentwicklung des NLF Die deutsche Industrie beobachtet mit Sorge aktuelle Entwicklungen auf europäischer Ebene bei der legislativen Überarbeitung und Neuformulierung von Produktanforderungen. Die am politischen Prozess Beteiligten (EU-Kommission, Mitgliedstaaten, Europäisches Parlament, etc.) tendieren dazu, den erfolgreichen NLF nicht mehr hinreichend konsequent und durchgängig anwenden oder bei bestimmten Fragestellungen sogar gravierend vom NLF abweichende, mithin systemfremde Regelungen treffen zu wollen. Beispiele hierfür sind die Fahrzeug-Typgenehmigungsverordnung, die Medizinprodukteverordnung oder die Bauproduktenverordnung. Solche Vorschläge für produktsektorale Sonderwege treten insbesondere als Reaktion auf bekannt gewordene Skandale bezüglich nicht-konformer Produkte verstärkt auf. Sie lassen indessen eine überzeugende, logisch nachvollziehbare Begründung für die avisierten Systemwechsel vermissen und tragen den tatsächlichen Ursachen

für die festgestellten Nicht-Konformitäten der Produkte nicht konsequent Rechnung. Mit anderen Worten, es wird voreilig unter dem Leitmotiv „Reform“ ein de facto zu rechtlichen Inkohärenzen und Wettbewerbsnachteilen führender „Systemwechsel“ eingefordert. Tatsächlich jedoch könnte der bewährte Systemansatz des NLF durch passgenaue Schließung von Regelungslücken und punktuelle sektorale Nachjustierungen ohne Reibungsverluste nachhaltig gestärkt werden. Zudem ist eine effektive Marktüberwachung erforderlich. Aus Sicht der deutschen Industrie, mit starker Stellung in Europa und auf dem Weltmarkt, hat der BDI mit Blick auf eine sachgerechte und effiziente Produktregulierung in Europa wesentliche Kernanliegen in den Bereichen Konformitätsbewertung, Akkreditierung, Marktüberwachung, Stabilität des Regelwerkes und Normung. Im Einzelnen:


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1. Wirtschaftsgetragene Konformitätsbewertung beibehalten – keine behördlichen Produktzulassungsverfahren Die zahlreichen Richtlinien und Verordnungen nach den Grundsätzen des New-Approach bzw. NLF schreiben vor, dass betroffene Produkte nur mit einer CE-Kennzeichnung und zugehöriger EG/EU-Konformitätserklärung in Verkehr gebracht werden dürfen. Damit erklären die Hersteller, dass ihre Produkte die einschlägigen Vorschriften erfüllen, also konform sind. Das hierfür notwendige Konformitätsbewertungsverfahren führen die Hersteller in den meisten Fällen selbst und in Eigenverantwortung durch; bei Produkten mit besonders hohem Gefährdungspotential ist zumeist die Einbindung einer unabhängigen Prüforganisation (Benannte Stelle) vorgesehen. In diesem Zusammenhang weist der BDI auf folgende, aus seiner Sicht zu beachtende Fehlentwicklungen in der aktuellen politischen Diskussion hin: -- Allein der Hersteller des Produktes trägt die Verantwortung für die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben. Daher ist die privatwirtschaftlich organisierte und getragene Konformitätsbewertung in jedem Fall staatlichen bzw. behördlichen Produktzulassungsverfahren vorzuziehen. Nur in einigen Ausnahmefällen hat der Hersteller nach den einschlägigen EU-Vorschriften eine Drittstelle hinzuzuziehen. Die Einbindung der Drittstelle ist eine privatrechtlich ausgestaltete Beauftragung zwischen den Wirtschaftsbeteiligten. Dies führt zu einer kurzen „time-to-market“-Zeitspanne sowie zu marktgerechten Konditionen für Konformitätsbewertungstätigkeiten. Die deutsche Industrie ist überzeugt davon, dass ein vereinzelt auszumachendes Vollzugsdefizit nicht durch verstärkte unmittelbare staatliche Intervention (z.B. behördliche Produktzulassungsmodelle) kompensiert werden sollte. In diesem

Kontext sind auch zuweilen (z.B. zuletzt bei der Fahrzeug-Typgenehmigungs-verordnung) vorgeschlagene „Gebührenordnungen“ für Konformitätsbewertungstätigkeiten unabhängiger Dritter unter zugleich ausschließlicher Beauftragung seitens der Behörden strikt abzulehnen. Solche regulativen Sonderwege schaden in erheblichem Umfang der deutschen Industrie und sind daher als ordnungspolitischer Irrweg entschieden abzulehnen. -- Der Beschluss Nr. 768/2008/EG umfasst unter Anhang II eine abschließende Liste sinnvoller, effizienter und effektiver Konformitätsbewertungsmodule. Die Wirtschaft fordert im Sinne der notwendigen Konsistenz und Einheitlichkeit des europäischen Regelwerks die strikte Beibehaltung der dort genannten Module. Von einer Konzipierung neuer, abweichender Module ist abzusehen. Bei Auswahl der Module für die Konformitätsbewertung ist ein risikobasierter Ansatz unter strikter Einhaltung der unter Art. 4 des Beschlusses Nr. 768/2008/EG genannten Auswahlkriterien für das auf ein bestimmtes Produkt anzuwendende Konformitätsbewertungsverfahren zu wählen. -- Nicht alle bestehenden Vorschriften zur CE-Kennzeichnung entsprechen dem NLF. Da für viele Produkte mehrere Vorschriften zur CE-Kennzeichnung anzuwenden sind, ist eine konsequente Angleichung dieser Vorschriften an den NLF wichtig. Daher fordert die Wirtschaft den europäischen Gesetzgeber auf, bestehende und neue Vorschriften zur Produktregulierung konsequent an den NLF anzupassen bzw. zu konsolidieren. Sektorale Abweichungen sind strikt zu vermeiden.


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2. Akkreditierungssystem stärken – keine nationalen Sonderwege Die Akkreditierung international und in Europa ist ein von der Wirtschaft aktiv mitgetragenes und entschieden befürwortetes System. Akkreditierungsstellen sind mit hoheitlichen Aufgaben betraute nationale Stellen, die auf Antrag der Konformitätsbewertungsstellen deren Kompetenz zur Durchführung von Konformitätsbewertungen feststellen. Neben der Vergabe von Akkreditierungsurkunden haben nationale Akkreditierungsstellen unter dem NLF auch die Aufgabe, die Arbeit der akkreditierten Konformitätsbewertungsstellen zu überwachen. Durch die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 sind einheitliche Anforderungen für die Akkreditierung in Europa festgeschrieben. Über die Abkommen und Institutionen European Accreditation, International Laboratory Accreditation Cooperation und International Accreditation Forum ist die internationale Anbindung des Akkreditierungssystems sichergestellt. Somit bietet das Akkreditierungssystem insgesamt ein konsistentes, effizientes, zugleich aber auch völlig hinreichendes Instrument zur Kompetenzfeststellung von Konformitätsbewertungsstellen. Die deutsche Wirtschaft setzt sich mit Nachdruck für die folgenden Punkte ein: - Die europäische Akkreditierungsverordnung Nr. 765/2008 muss in den Mitgliedstaaten einheitlich umgesetzt werden. Diese Verordnung beschreibt die maßgeblichen Anforderungen für die Organisation und Durchführung der Akkreditierung von Konformitätsbewertungsstellen unter dem Dach des NLF. Als Dienstleister müssen Konformitätsbewertungsstellen selbst ausdifferenzierte Anforderungsnormen erfüllen, die den Stand der Technik bezüglich der Organisation und der Kompetenz von Konformitätsbewertungs-stellen beschreiben. Die Reihe DIN EN ISO/IEC 17000 bildet die normativen Grundlagen für die Anforderungen an die Konformitätsbewertungsstellen und deren Akkreditierung und dient somit im Ergebnis einer Vereinheitlichung der Konformitätsbewertung. Diese Normenreihe trägt damit entscheidend zur Vergleichbarkeit und Anerkennung von Konformitätsbewertungsergebnissen bei. Zur Sicherstellung eines einheitlichen Kompetenzniveaus sollten europaweit

im Zuge der Akkreditierung die gleichen normativen Grundlagen genutzt werden. - Es darf keine über die Akkreditierung hinausgehenden nationalen Anforderungen zur Benennung von Konformitätsbewertungsstellen geben. Vor dem Hintergrund, dass nach dem NLF eine Benennung dieser Stellen durch die zuständigen nationalen Behörden vorgesehen ist, sollte sich das Benennungsverfahren auf einen Verwaltungsakt beschränken, der sich im Hinblick auf die Kompetenzfeststellung betreffend der Stelle fachlich allein auf die Akkreditierung stützt. Ein sog. „Gold-Plating“, d. h. über die Anforderungen des EU-Rechts bzw. über die Akkreditierungsanforderungen hinausgehende behördliche oder nationale Benennungsanforderungen für Konformitätsbewertungsstellen sind strikt zu vermeiden. Denn sie widersprechen dem Gedanken der europaweit einheitlichen Rechtsanwendung/-umsetzung, führen zu unnötigem bürokratischen Aufwand sowie Doppelprüfungen, erzeugen neue Binnenmarkthindernisse infolge unterschiedlicher Kompetenzanforderungen, verzerren den Wettbewerb und belasten die hiervon betroffenen Wirtschaftsakteure unverhältnismäßig. Der europäische Gesetzgeber sollte daher bei der Formulierung von Richtlinien und Verordnungen darauf hinwirken, überschießende nationale Tendenzen durch klare und abschließende europäische Vorgaben für die Benennung von Konformitätsbewertungsstellen und die von ihnen zu erfüllenden Anforderungen nach Möglichkeit auszuschließen. Die Mitgliedstaaten sowie ihre zuständigen Behörden sollten seitens der EU-Kommission zur umfassenden Akzeptanz von Akkreditierungen als bevorzugtem und adäquatem Mittel der Kompetenzfeststellung angehalten werden. - Die gegenseitige Anerkennung von Akkreditierungen innerhalb der Europäischen Union muss effektiv und dauerhaft sichergestellt werden. In diesem Zusammenhang setzt sich die Wirtschaft auch dafür ein, dass das Regelwerk von European Accreditation deutlich praktikabler formuliert wird und dass die Widerspruchsfreiheit auch zu nationalen rechtlichen Sonderregelungen gegeben ist.


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Der BDI beobachtet auf europäischer Ebene Fehlentwicklungen bei der Überarbeitung bestehender und der Formulierung neuer Produktanforderungen. Es besteht eine Tendenz, den erfolgreichen NLF nicht mehr zu 100 % konsequent und durchgängig anzuwenden.

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3. Marktüberwachung effektiv gestalten Gute Rechtsetzung allein sorgt noch nicht für konforme Produkte. Die Einhaltung der rechtlichen Anforderungen ist die wesentliche Grundlage für einen funktionierenden Binnenmarkt. Der Inverkehrbringer ist für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich. Die staatliche Marktüberwachung hat zu prüfen, ob das auch geschieht. Sie soll es ermöglichen, zum einen unsichere oder auf andere Weise schädliche Produkte zu ermitteln und vom Markt fernzuhalten oder zu nehmen und zum anderen unehrliche oder kriminelle Akteure abzustrafen. Nur eine funktionierende Marktüberwachung sorgt für ein „Level Playing Field“. Nichts zerstört den fairen Wettbewerb gründlicher als Marktakteure, die sich aufgrund der Vermarktung nicht rechtskonformer Produkte einen ungerechtfertigten Vorteil erschleichen.

des sog. Produktsicherheits- und Marktüberwachungspakets enthaltene Begriff der „Angemessenheit“ von Stichproben ist viel zu unbestimmt und führt letztlich infolge des damit verbundenen weiten Auslegungs- und Umsetzungsspielraums zu inakzeptablen Diskrepanzen bei der Marktüberwachungspraxis innerhalb der EU. Die konkretisierende Umsetzung der aktuellen Bestimmungen durch das Deutsche Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) ist der richtige Ansatz. Artikel 26 ProdSG sieht einen „Richtwert von 0,5 Stichproben pro 1 000 Einwohner und Jahr“ vor. Eine die erforderliche Anzahl der Stichproben konkretisierende Größenvorgabe sollte somit in die europäischen Gesetzesvorgaben zur Marktüberwachung ergänzend aufgenommen werden.

Mit der Verordnung (EG) Nr. 765/2008 existiert grundsätzlich ein funktionierender Rechtsrahmen für die Marktüberwachung, dessen EU-weit einheitliche und konsequente Anwendung aus Sicht der Industrie allerdings zu wünschen übrig lässt:

-- Der BDI weist darauf hin, dass es seit einigen Jahren einen neuen Wirtschaftsakteur am Markt gibt: die Fulfillment Center. Fulfillment sind alle Aktivitäten, die nach dem Abschluss eines Vertrags der Belieferung des Kunden und der Erfüllung der sonstigen Vertragspflichten dienen. Fulfillment-Aufgaben werden oft von spezialisierten Logistikdienstleistern übernommen. Der Begriff des Fulfillment taucht meistens im Zusammenhang mit Onlinehandel auf. In diesem Fall übernimmt der Logistikdienstleister alle jene Aufgaben, die nach dem Tätigen einer Online-Bestellung erfolgen. Dieser Akteur innerhalb der Lieferkette erfüllt formal nicht alle Tatbestandsmerkmale der EG-Verordnung 765/2008 für einen der dort definierten „Wirtschaftsakteure“. Daher kann die Marktüberwachungsbehörde gegen ihn nur sehr eingeschränkt vorgehen. Hier besteht aus Sicht der Industrie Nachbesserungsbedarf dergestalt, dass die Marktüberwachung Maßnahmen in vergleichbarer Weise wie bei den klassischen Wirtschaftsakteuren nach EG-Verordnung 765/2008 gegen Fulfillment Center ergreifen kann.

-- Eine funktionierende Marktüberwachung profitiert auch von einer effektiveren Zusammenarbeit zwischen Industrie und Behörden. Die Wirtschaft setzt sich dafür ein, einen entsprechenden Austausch, beispielsweise im Rahmen von Arbeitsgruppen unter Beteiligung aller relevanten Akteure, sicherzustellen. Marktüberwachungsbehörden können so vom technischen Wissen der Hersteller sowie unabhängiger Drittstellen profitieren und wären besser in der Lage, nicht-konforme Produkte am Markt zu identifizieren bzw. bei der Marktüberwachung sachgerechte Schwerpunkte zu setzen. -- Es ist darauf hinzuwirken, dass die Häufigkeit der Stichprobenziehungen durch die Marktüberwachungsbehörden auf europäischer Ebene verbindlich konkretisiert und somit vereinheitlicht wird. Der konkrete Umfang der Marktüberwachungstätigkeiten und die Häufigkeit der Kontrollen sollten somit zukünftig nicht länger allein dem Ermessen der jeweiligen EU-Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Der zum Beispiel in der Verordnung 765/2008 über die Akkreditierung und Marktüberwachung (vgl. dort Artikel 19 Abs. 1) sowie im aktuellen Verordnungsentwurf im Rahmen

-- Es ist ein neuer, vor allem aber ambitionierter Legislativvorschlag erforderlich, um die Bestimmungen zur Marktüberwachung weiter zu verbessern und europaweit einheitlich zu konsolidieren. Im Zuge dessen sollten auch die in diesem BDI-Papier aufgestellten Forderungen Berücksichtigung finden.


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4. Stabilität, Kohärenz und Klarheit des EU-Regelwerkes unabdingbar Ein stabiles europäisches Regelwerk ist sowohl für die Industrie als auch für die Marktüberwachungsbehörden wichtig. Um dies zu gewährleisten, sind eine klare Formulierung und eine ausreichende Berücksichtigung aller Anwendungsfälle unabdingbar. Aus Sicht der Industrie gilt bei der Formulierung von Verordnungen und Richtlinien der Grundsatz „Qualität vor Schnelligkeit“. Dies setzt voraus, dass alle interessierten Kreise ausreichend in die Diskussion einbezogen werden. -- Der BDI fordert, bei der Formulierung von Richtlinien und Verordnungen nach dem Grundsatz „Qualität vor Schnelligkeit“ zu agieren. Dies setzt auch voraus, dass die EU-Kommission, wenn sie Legislativvorschläge erarbeitet, alle Hauptbetroffenen möglichst frühzeitig und weitreichend in die Erarbeitung von Vorschlägen einbezieht. Nur so kann sichergestellt werden, dass alle wesentlichen Anwendungsfälle ausreichend diskutiert und letztlich auf Regulierungsebene in sich schlüssig sowie ausgewogen behandelt werden. Daher wünscht sich die Wirtschaft, dass sowohl ihre Vertreter als auch Vertreter der Mitgliedstaaten und Marktüberwachungsbehörden bei der EU-Produktregulierung möglichst sehr frühzeitig involviert werden, um mit ihrem Engagement und hoher Sach- und Fachkompetenz zur angestrebten „better Regulation“ beizutragen. Dies kann beispielsweise über ständige oder auch Ad-hoc-Arbeitsgruppen organisiert werden. -- Ein gutes Regelwerk ist ein stabiles Regelwerk. Dazu gehört, dass der Gesetzgeber sich auf die grundlegenden Anforderungen beschränkt und diese eindeutig formuliert. Der Rechtsrahmen für die Produktregulierung in Europa muss kohärent und einheitlich sein und den Wirtschaftsakteuren eine stabile und verlässliche Basis für effizientes unternehmerisches Handeln bieten. Eine sorgfältige, wissenschaftlich fundierte und für die Betroffenen logisch-nachvollziehbare Folgenabschätzung sollte bei jeder neuen Rechtsetzung bzw.

Gesetzesbearbeitung eine Selbstverständlichkeit sein. Die Wirtschaft sieht hier Handlungsbedarf. -- Die Leitfäden der EU-Kommission zur Anwendung der Richtlinien sind im Großen und Ganzen eine wertvolle Hilfe. Gleichzeitig offenbaren sie eine Schwäche der zugrundeliegenden Gesetzgebung, die oft für die Praxis nicht eindeutig genug formuliert ist oder sich im Nachhinein als nicht ausreichend durchdacht erweist. Mit echter Sorge jedoch beobachtet die Wirtschaft die Tendenz, dass über den tatsächlichen europäischen Rechtsbestand hinausgehende oder diesen gar verändernde „Regelungen“ in dem einen oder anderen Fall praktisch durch die Hintertür, unter anderem durch Leitfäden, Empfehlungen oder FAQ, seitens der Mitgliedstaaten und deren Behörden oder auch seitens der Europäischen Kommission implementiert werden. Ähnliches gilt auch für kommissions- bzw. verwaltungsinterne Dokumente, die letztendlich in ihrer Auslegung durch die Exekutive für die Wirtschaftsakteure häufig eine verbindliche Wirkung erlangen. Bei der Neufassung sowie Überarbeitung der Binnenmarktvorschriften ist deshalb verstärkt darauf zu achten, dass sprachliche Unklarheiten und eventuelle Interpretationsspielräume bei der Auslegung der rechtlichen Bestimmungen im Sinne einer europaweit einheitlichen Anwendungspraxis so weit wie möglich beseitigt und vermieden werden. Auch bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Konformitätsbewertungsverfahren sollten die entsprechenden Anforderungen an die Pflichten der Wirtschaftsakteure so klar wie möglich gefasst werden und internationale Standards Berücksichtigung finden. Durch Befolgung dieser Handlungsmaxime kann eine Vielzahl „klarstellender“ Dokumente im Nachgang durch Kommissionsempfehlungen, FAQ, Interpretationspapiere und Ähnliches, die kein Plus an Rechtsklarheit schaffen, vermieden werden.


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5. Stärken des europäischen Normungssystems erhalten Das europäische Normungssystem ist international wettbewerbsfähig. Letztendlich ist die Normung wirtschaftsgetrieben und wirtschaftsgetragen. Denn vor allem die Wirtschaftsbeteiligten sorgen dafür, dass die richtigen Inhalte zur richtigen Zeit genormt werden. Das internationale Normenwerk über ISO und IEC ist im Wesentlichen widerspruchsfrei und besitzt hohe Akzeptanz. Auch das ist ein wichtiger Baustein der starken Stellung der deutschen Wirtschaft am Weltmarkt. Der BDI beobachtet in zunehmendem Maße Missstände in der Normung zum NLF: -- Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft fußt u. a. darauf, dass sie früh über die Normung auf die Vereinheitlichung materieller Güter gesetzt hat. Diese Vereinheitlichung führt dazu, dass europa- und weltweit einheitliche Anforderungen an Produkte gestellt werden. Die Industrie und die Beteiligten im Normungsprozess haben gezeigt, dass sie selbst am besten beurteilen kann, welche Inhalte in welcher Geschwindigkeit normungswürdig sind. Der BDI spricht sich vor diesem Hintergrund deutlich gegen die zunehmende politische Einflussnahme auf Normungsinhalte aus. Im Rahmen des NLF hat die EU-Kommission die Möglichkeit, über Normungsmandate Aufträge an CEN/ CENELEC zu vergeben. Ob und mit welchen genauen

Inhalten dieses Mandat ausgefüllt wird, können die Wirtschaftsbeteiligten häufig besser beurteilen als die Kommission. Die verstärkte Rückkehr zu einem Rahmenmandat ist aus Sicht der Industrie wünschenswert. -- Der Kernbereich der Normung ist die Produktnormung im Rahmen des NLF. Daneben gewinnen jedoch nicht-technische Themen zunehmend an Bedeutung. Die Industrie plädiert in diesem Zusammenhang dafür, die auch in der Wirtschaft begrenzten Ressourcen nicht überzustrapazieren. -- Auch wenn die EU-Kommission und die nationalen Regierungen Interesse an bestimmten Normungsinhalten haben und darüber hinaus auch die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft stärken wollen, plädiert der BDI dafür, dass das Normungssystem im Grundsatz wirtschaftsfinanziert ist und bleibt. Zudem muss Normung marktorientiert und privatwirtschaftlich organisiert sein. Das jüngst ergangene Urteil des EuGH zu harmonisierten Normen im Bereich der Bauproduktenrichtlinie (C-613/14) darf nicht dazu führen, dass der zwischen den an der europäischen Normung Beteiligten herrschende Konsens bezüglich deren Funktionsweise aufgekündigt wird.


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Zusammenfassung Der europäische Binnenmarkt bildet für die deutsche Industrie einen unverzichtbaren, stabilen und harmonisierten Wirtschaftsraum, in dem Unternehmen Produkte nach einheitlichen Regeln vermarkten können. Die Produkte müssen dabei nach dem sogenannten „NLF“ den einschlägigen Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen auf hohem Schutzniveau entsprechen. Die Pflicht zur Erfüllung dieser Anforderungen liegt bei den Herstellern. Der BDI stellt mit Besorgnis fest, dass die Akteure im europäischen politischen Prozess zunehmend dazu tendieren, den erfolgreichen NLF nicht mehr hinreichend konsequent und durchgängig anzuwenden oder bei bestimmten Fragestellungen sogar gravierend vom NLF abweichende, mithin systemfremde Regelungen treffen zu wollen. Im Hinblick darauf formuliert der BDI mit Blick auf eine sachgerechte und effiziente

Produktregulierung in Europa wesentliche Kernanliegen in den Bereichen Konformitätsbewertung, Akkreditierung, Marktüberwachung, Stabilität des Regelwerkes und Normung: -- Wirtschaftsgetragene Konformitätsbewertung beibehalten – keine behördlichen Produktzulassungsverfahren -- Akkreditierungssystem stärken – keine nationalen Sonderwege -- Marktüberwachung effizient gestalten -- Stabilität, Kohärenz, und Klarheit des europäischen Regelwerkes zur Produktregulierung gewährleisteEuropäische Normung marktorientiert, privatwirtschaftlich organisiert und finanziert gestalten – keine politischen Einflussnahmen.


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Impressum Herausgeber Bundesverband der Deutschen Industrie e. V. (BDI) Breite Straße 29 10178 Berlin T: +49 30 2028-0 www.bdi.eu Redaktion Oliver Schollmeyer, Referent Abteilung Umwelt, Technik und Nachhaltigkeit E-Mail: O.Schollmeyer@bdi.eu Konzeption & Umsetzung Sarah Pöhlmann, Referentin Abteilung Marketing, Online und Veranstaltungen Layout Michel Arencibia www.man-design.net Druck Das Druckteam Berlin www.druckteam-berlin.de Verlag Industrie-Förderung GmbH, Berlin Bildnachweis Cover: 65766330 / moonrun / fotolia.com Seite 4: 81751618 / Boggy / fotolia.com Seite 9: 62646671 / Kzenon / fotolia.com Stand März 2017 BDI-Publikations-Nr. 0055

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