Marktzugang

Page 1

POSITION | EUROPAPOLITIK | BREXIT

Marktzugang Herausforderungen durch den Brexit

Februar 2018

Marktzugang sichern, Standards beibehalten. 23. Oktober 2017 Die Belastungen durch nicht-tarifäre technische Handelshemmnisse sind von ähnlich fundamentaler Bedeutung wie Zölle. Es zeigt sich, dass insbesondere ein harter Brexit über die feinen Verästelungen des EU-Produktrechts enorme Bedrohungen für die Lieferketten auslösen könnte. Um das Vertrauen in den Märkten umgehend zu stabilisieren, sollten frühzeitig die Prinzipien der künftigen regulatorischen Kooperation festgelegt werden, die zum beiderseitigen Nutzen den heutigen Binnenmarktbestimmungen entsprechen sollten. Dabei muss der erreichte hohe Standard im Schutz von Umwelt und Gesundheit beibehalten werden.

BDI-Kernforderungen Sicherung des Binnenmarktes Der Binnenmarkt als Kernbestandteil der Europäischen Union, sollte geschützt, werden seine Integrität und Effizienz erhalten werden. Anwendung der Prinzipien des New Legislative Framework Das Produktrecht einschließlich der Normung sollte in einer künftigen Partnerschaft im strikten Einklang stehen mit den Regeln des „New Legislative Framework“ (NLF) Einheitliche Zulassung von Automobilen Es sollte kein unterschiedliches Vorgehen bei der Zulassung von Fahrzeugen geben. Das britische Recht sollte so nah wie möglich an den EU-Automobilvorschriften angelehnt bleiben, jede Abweichung von Vorgaben der EU oder UNECE sollte vermieden werden. Beibehaltung des Marktzugangs im Luftverkehr In der Luftfahrt sollte der offene und liberalisierte Marktzugang zwischen der EU27 und dem Vereinigten Königreich beibehalten und gleichzeitig Reziprozität gewährleistet werden. Einheitliche Richtlinien von Medikamenten Um einen sicheren Zugang zu Medikamenten zu gewährleisten, muss eine übereinstimmende Regulierung pharmazeutischer Produkte sichergestellt werden. Das VK sollte in den europaweiten Systemen zum Schutz des Gesundheitssystems und der Öffentlichkeit verbleiben. Sicherung der Lieferketten bei Chemikalien Die Lieferketten für Chemikalien müssen gesichert bleiben. Zu REACH kohärente Übergangsbestimmungen für Registrierungen und Zulassungen sollten im VK festgelegt werden und die Regulierungsansätze übereinstimmen, damit kostspielige doppelte Registrierungen oder Zulassungen vermieden werden. Es sollte zur Sicherheit ein schneller Registrierungsprozess für EU27-Anwender geschaffen werden, die durch den Brexit schlagartig zu Importeuren werden.


REACH Chemische Stoffe und Gemische sind auf EU-Ebene durchgängig reguliert, unter anderem durch die REACH- (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) und die CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging). Jede abweichende Anforderung an Registrierung, Bewertung, Beschränkung, Zulassung, Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung wäre unmittelbar ein technisches Handelshemmnis. Hier muss der Status quo des heutigen Binnenmarktrechts gesichert werden. Internationale Vorbilder sind vorhanden. Denkbare Optionen sind eine gegenseitige Anerkennung der Chemikalienregulierung wie mit der Schweiz oder eine freiwillige Zugehörigkeit zum REACH-System wie im Fall von Norwegen, Island oder Liechtenstein. Britische Unternehmen werden nach dem Brexit ihren Sitz außerhalb der EU haben. Sie brauchen chemische Stoffe, die sie dort herstellen oder importieren nicht mehr zu registrieren; sie dürfen es allerdings auch nicht mehr. Vorhandene Registrierungen britischer Unternehmen würden mit dem Austritt gegenstandslos. Gleichzeitig würden deren Kunden in der EU27 zu Importeuren britischer Chemikalien mit entsprechenden Rechtsfolgen. Sie könnten die importierten Substanzen beispielsweise selbst registrieren – mit beträchtlichen Kosten. Dies braucht aber seine Zeit und zudem ist eine solche Registrierung vor dem Brexit nach strenger Auslegung nicht möglich. Hiervon geht eine erhebliche Gefährdung der Lieferketten aus. Eine Registrierung bei der Europäischen Chemikalienagentur gilt unbefristet, die Kosten hierfür belaufen sich auf einige 10.000 Euro bis hin zu Größenordnungen von mehr als 200.000 Euro.

Die Kosten variieren je nach Umfang des erforderlichen Dossiers und Anforderungen an den Stoff. Es könnte der Fall eintreten, dass ein chemischer Stoff nur von einem britischen Hersteller registriert wurde, der in der EU27 dann mit Wegfall der Registrierung nach dem Grundsatz „no data, no market“ prinzipiell nicht mehr vermarktet werden dürfte. Daher muss in den Verhandlungen unbedingt eine Weitergeltung von REACH im Vereinigten Königreich oder zumindest eine ausreichende Übergangsfrist erreicht werden. Dies hätte für die britische Seite den Vorteil, dass ihre Registrierungen werthaltig und die Exportkanäle offen blieben. Für den schlimmsten Fall sollte aber zudem überlegt werden, wie das EU-Recht solch gravierenden Folgen begegnen kann. Beispielsweise sollte den Unternehmen, die über Nacht zu Importeuren würden, erlaubt werden, Stoffe bereits unmittelbar nach Einreichung einer Registrierung zu importieren. Zu berücksichtigen wäre ferner, dass britische Registrierungen gegen Kostenerstattung an EU27-Unternehmen übertragen werden dürfen, auch um Wirtschaft und Verwaltung die Kosten mehrfacher Registrierungen zu ersparen. Vor diesem Hintergrund sollten sich auch die Unternehmen auf dem Kontinent auf alle Eventualitäten vorbereiten. Sie sollten ermitteln, welche Stoffe sie aus dem Vereinigten Königreich importieren, ob ihr Lieferant eine Niederlassung in der EU27 hat oder plant, an die eine Registrierung übertragen werden könnte, ob eine eigene Registrierung lohnt – und nicht zuletzt, ob ein Lieferantenwechsel sicherer erscheint. Letzteres zeigt deutlich: Brexit ist schon heute.

Pharma Die pharmazeutische Industrie ist über ganz Europa hinweg eng verflochten und verständlicherweise hoch reguliert per EU-Recht oder Vereinbarungen zwischen EU-Institutionen, Mitgliedstaaten und zuständigen nationalen Behörden. Es ist zu vermeiden, die medizinische Versorgung von Patienten durch zeitaufwändige Prozeduren an den Grenzen, Zollformalitäten oder neue Prüf- und Zulassungsverfahren zu verzögern. Ein abrupter Schnitt könnte hier besonders fatale Auswirkungen haben: Bei einem harten Brexit könnten sich von einem Tag auf den anderen.

Versorgungsengpässe auf beiden Seiten des Kanals ergeben. Dies gilt gleichermaßen für Tierarzneimittel. Daher müssen die Verhandler dringend Regelungen vereinbaren hinsichtlich Zusammenarbeit und gegenseitiger Anerkennung sowie in Bezug auf Zulassung, Tests und Überwachung. Für die Zukunft müssen die Regulierungen so kohärent wie irgend möglich gehalten werden. Im Übrigen dürfen auch hier die Lieferketten nicht unterbrochen werden, auch hier sind dafür ausreichende Übergangsfristen festzulegen.

Luftfahrt Auch in der Luftfahrt sind lange Übergangsfristen erforderlich, insbesondere brauchen die Verhandlungen über neue Luftverkehrsabkommen viel Zeit. Und auch hier gilt „Brexit ist schon heute“, denn die Planungen für die Feriensaison 2019 und die zugehörigen Flugpläne beginnen bereits jetzt. Ein Höchstmaß an Planungssicherheit ist somit das Gebot der Stunde in den anstehenden Verhandlungen.

Trotz enorm hoher Kapitalintensität konnten in diesem Sektor Effizienzgewinne, Kostensenkungen und Verbesserungen im Angebot erreicht werden. Es wäre kontraproduktiv, diese Vorteile nun aufs Spiel zu setzen. Der Brexit würde hiermit fundamental kollidieren und hohe Investitionen massiv entwerten. Es sei denn, es würden entsprechende Drittstaatenregelungen getroffen, wie sie mit anderen Ländern außerhalb der EU bereits existieren.

Das ausführliche Positionspapier in englischer Sprache finden Sie hier: https://english.bdi.eu/media/publications/#/publication/news/market-access/


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.