Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert

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Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert Die Perspektive der deutschen Industrie

8. April 2019

Zusammenfassung ▪

23. Oktober 2017 Die Soziale Marktwirtschaft in Deutschland hat sich über Jahrzehnte als ein erfolgreiches wirtschafts- und sozialpolitisches Modell erwiesen, um Wohlstand, Wachstum und Fortschritt zu sichern. Zunehmend werden diese Prinzipien jedoch vor komplexe Herausforderungen gestellt, sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene.

Hierzu zählen vor allem Trends wie die Digitalisierung, der Klimawandel, finanzpolitische Krisen und eine verstärkte Vernetzung der weltweiten Märkte, aber auch der Wettbewerb mit staatlich gelenkten Systemen. Die deutsche Industrie sieht einen dringenden Handlungsbedarf in einer Vielzahl von Politikfeldern, um diesen aktuellen Entwicklungen mit den Stärken der Sozialen Marktwirtschaft zu begegnen.

Die tiefe Verankerung der Sozialen Marktwirtschaft auch als ordnungspolitisches Prinzip der EU und die wachsenden internationalen Risiken machen ein gemeinsames Vorgehen unabdingbar. Nur so kann neben wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prosperität auch die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit langfristig gesichert werden.

Abteilung Research, Industrie- und Wirtschaftspolitik | www.bdi.eu


Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert

Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung .............................................................................................................................. 1 1.

Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in Politik und Gesellschaft .......................... 3

2.

Für eine zukunftsfeste Soziale Marktwirtschaft ....................................................................... 5

3.

Soziale Marktwirtschaft als Leitmotiv in zentralen Politikfeldern .......................................... 6

Außenwirtschaftspolitik – Globale Ordnung gestalten statt nationale Hürden errichten ....................... 6 Wettbewerbspolitik – Unternehmen brauchen Freiraum ....................................................................... 7 Digitalisierung – Digitale Champions müssen aus eigener Kraft wachsen ........................................... 7 Energie- und Klimapolitik – Marktwirtschaftliche Prinzipien stärken ..................................................... 8 Steuer- und Finanzpolitik – Planbarkeit für die öffentliche Hand .......................................................... 9 Sozialpolitik – Deutschland braucht eine neue große Reformdebatte ................................................ 10 Bildungspolitik – Förderung von Bildung als bestmögliches staatliches Handeln .............................. 11 4.

Soziale Marktwirtschaft als Grundkonzept auch in der EU .................................................. 12

5.

Soziale Marktwirtschaft im Wettbewerb mit autoritären Systemen ..................................... 12

Impressum ......................................................................................................................................... 14

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Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert

1. Die Entwicklung der Sozialen Marktwirtschaft in Politik und Gesellschaft Die Akzeptanz der Sozialen Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung hat in den vergangenen Jahren zunehmend gelitten. Über viele Jahrzehnte stand sie in Deutschland für ein wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Versprechen: Ein stabiles Wachstum und wirtschaftlicher Erfolg für Unternehmen ermöglichten Aufstiegschancen und Wohlstand für alle Bürger sowie einen maßvollen sozialen Ausgleich. In den ersten Jahrzehnten der alten Bundesrepublik gab es kaum ernsthafte Zweifel an der Tragfähigkeit dieses Modells. Der Niedergang des Sozialismus läutete eine Phase marktwirtschaftlicher Erneuerung ein, förderte aber zugleich erste Risse in der gesellschaftlichen Zustimmung zu Tage. Die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, geopolitische Verunsicherungen und eine weiter voranschreitende Globalisierung haben diesen Trend weiter verstärkt. Walter Eucken formulierte sieben Prinzipien für den Ordnungsrahmen der Sozialen Marktwirtschaft: offene Märkte, Vertragsfreiheit, Konstanz der Wirtschaftspolitik, Privateigentum, Haftung, Primat der Währungspolitik und ein funktionsfähiges Preissystem. Zentrale Elemente dieser Prinzipien sind in den vergangenen Jahren durch vielschichtige Ereignisse und Entwicklungen unter Druck geraten: Die internationale Finanzmarktkrise seit 2007, die Staatsschuldenkrisen in der EU, die zunehmende internationale Konkurrenz aus anderen Staaten, aber auch das Fehlverhalten einzelner Unternehmen und Verantwortlicher haben das Vertrauen in unsere Wirtschaft und die bestehende Ordnung beschädigt. Hinzu kommen die wirtschaftlichen und technologischen Erfolge staatlich gelenkter Wirtschaftssysteme (z. B. China), die wiederum in Europa und Deutschland industriepolitische Neigungen in der Politik verstärken. China verkündet eine neue Ära eines Sozialismus chinesischer Prägung. Die Kommunistische Partei erhebt den Anspruch auf umfassende Kontrolle aller Gesellschafts- und Wirtschaftsbereiche, der Staatssektor wird wieder gestärkt, Ideologie spielt abermals eine herausgehobene Rolle. Dem industriepolitischen Masterplan „Made in China 2025“ zufolge sollen chinesische Unternehmen durch immense Förderprogramme zu weltweiten Technologieführern in Schlüsselindustrien aufsteigen. Allerdings werden diese Interventionen langfristig zu neuen problematischen Überkapazitäten und ineffizientem Wirtschaften führen – und allenfalls kurzfristige Erfolge haben. Kapitalismus mit sozialistischer Planung und Härte zu verbinden, das unterdrückt langfristig die enormen Wohlfahrtseffekte einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung. Bei allem Respekt vor den ökonomischen und technologischen Leistungen Chinas: Auf dem Weg in das 21. Jahrhundert sollten wir Freiheitsoptimisten bleiben. Es wäre falsch, unser erfolgreiches Modell wegen dieser Konkurrenz zu verändern, deren langfristige Wirksamkeit noch unsicher ist. Vor diesem Hintergrund erscheint vielen Menschen in Deutschland die Soziale Marktwirtschaft als ein scheinbar nicht mehr zeitgemäßes Konstrukt aus den 1950er Jahren. Das Vertrauen in die Marktwirtschaft hat stark abgenommen, der Glaube an die vermeintlich schützende Regelungskraft des Staates wächst.

„Die Soziale Marktwirtschaft ist gemäß ihrer Konzeption kein fertiges System, kein Rezept, das, einmal gegeben, für alle Zeiten im gleichen Sinne angewendet werden kann. Sie ist eine evolutive Ordnung, in der es neben dem festen Grundprinzip, dass sich alles im Rahmen einer freien Ordnung zu vollziehen hat, immer wieder nötig ist, Akzente neu zu setzen gemäß den Anforderungen einer sich wandelnden Zeit.“ (Müller-Armack, 1981)

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Dabei kommt zu kurz, dass es sich bei der Sozialen Marktwirtschaft gerade nicht um eine bestimmte Politik und damit um vordefinierte Maßnahmen aus einem Instrumentenkasten handelt, sondern „nur“ – und hierin liegt gerade ihre Stärke – um ein Leitbild für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Dennoch erscheint es paradox: Deutschland konnte durch angebotsorientierte Reformmaßnahmen im Rahmen der Agenda 2010 wie kaum ein anderes Land in Europa die eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern. Auch die Sozialpartner sind dabei ihrer Verantwortung gerecht geworden. Zugleich profitiert die deutsche Wirtschaft in besonderer Weise von der Globalisierung und von offenen Märkten. Denn die deutsche Wirtschaft ist mit einer Außenhandelsquote von 86,9 Prozent (2017), der Summe der Export- und Importquote, besonders stark in den Welthandel integriert. Jeder vierte Arbeitsplatz in Deutschland hängt vom Export ab, in der Industrie ist es sogar jeder zweite. Die deutsche Wirtschaft alleine stellt tausende Unternehmen, die mit hochspezialisierten Produkten als Global Player erfolgreich auf den Weltmärkten aktiv sind. Sie bieten ihren Kunden Produkte in Spitzenqualität und sichern hochwertige und gut bezahlte Arbeitsplätze in Deutschland, aber auch im Ausland. Trotz dieser Erfolge werden die Ergebnisse globalen Wirtschaftens von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr als sozial im Sinne ihres Verständnisses von einer Sozialen Marktwirtschaft empfunden. Wachsende regionale Disparitäten und nur behutsam steigende Reallöhne verstärken diese Wahrnehmung. So werden in vielen politischen Parteien und gesellschaftlichen Strömungen alternative Konzepte und Wachstumskritik formuliert. Im selben Atemzug werden jedoch Entscheidungen und politische Maßnahmen häufig als unfair oder neoliberal angeprangert. Angesichts einer Staatsquote von über 40 Prozent und einer relativ konstanten Sozialleistungsquote von rund einem Drittel des BIP erscheinen diese Vorwürfe befremdlich. Allerdings gilt: Soziale Marktwirtschaft darf nicht nur eine leere Hülle sein, sondern sie muss gelebt werden. Hier muss auch die Wirtschaft ihrer Verantwortung gerecht werden – gleich welche Größe oder Rechtsform ein Unternehmen hat. Denn nur so werden sich die Menschen überzeugen lassen, dass es nicht eines Staates bedarf, der jede Kleinigkeit bis ins Detail regelt, sondern eines Staates, der den Unternehmen ausreichend Freiraum für wirtschaftliche Betätigung lässt. In der Sozialen Marktwirtschaft gehören Freiheit und Verantwortung zusammen. In diesen Kontext gehört auch das Euckensche Haftungsprinzip. Die Finanzmarktkrise hat beispielhaft gezeigt, dass es hier erhebliche Defizite gab. Dieser wurde durch mehr staatliche Regulierung, auch auf internationaler Ebene, entgegengewirkt. Das war auch aus Sicht des BDI richtig. Allerdings neigt die Politik dazu, bestehende Fehlentwicklungen nicht nur zu korrigieren, sondern über das Ziel hinauszuschießen. Notwendige Regulierungen müssen zielgerichtet und verhältnismäßig sein. Missbrauch und Fehlentwicklungen muss entgegengewirkt, aber Marktstrukturen sollten möglichst nicht im Einzelnen reguliert werden. Es geht darum, Maß und Mitte zu bewahren. Die Entscheidung hierüber ist für die Politik nicht immer einfach. Es gilt aber, so nah wie möglich an marktwirtschaftlichen Strukturen zu bleiben, um die Grundlage für Wachstum und Beschäftigung auch für die Zukunft zu gewährleisten. Planungssicherheit ist ein weiterer zentraler Begriff der Sozialen Marktwirtschaft. Dabei ist es unerheblich, ob es um die künftige Ausgestaltung der Steuerpolitik, der Energiepolitik oder der privaten Altersvorsorge geht. Notwendig ist ein kohärentes Gesamtkonzept. Gerade im Bereich der Energiepolitik ist dies in den letzten Jahren nicht immer der Fall gewesen. Im Zweifel folgt auf eine Subvention eine andere, um vermeintliche Fehlentwicklungen zu korrigieren. Und auch in der Steuerpolitik fehlt immer wieder ein ganzheitlicher Ansatz. Das kostet Vertrauen bei Unternehmen und Beschäftigten. Dem muss die Politik entgegenwirken

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Der Befund, das positive Image der Sozialen Marktwirtschaft sei auf dem Rückzug, wird sich auf Dauer nicht nur als Problem für die deutsche Wirtschaft, sondern auch für unsere demokratische Grundordnung und damit für die Gesellschaft insgesamt erweisen. Denn Soziale Marktwirtschaft und Demokratie gehören zusammen: Sie bilden das politische und ökonomische Ordnungsprinzip einer freien Gesellschaft. Politik und Wirtschaft sind in der Pflicht, dem Trend einer nachlassenden Unterstützung für das Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft entgegenzuwirken. Sie sollen die Ursachen für die sinkende Akzeptanz erkennen und gegensteuern.

2. Für eine zukunftsfeste Soziale Marktwirtschaft Die soziale Komponente war Ludwig Erhard von Anfang an wichtig. Aber nicht, indem der Staat massiv umverteilt, sondern indem der Staat sich dafür einsetzt, darauf zu achten, dass es bei aller Marktwirtschaft auch sozial und gerecht zugeht: etwa durch ein leistungsorientiertes Steuerprinzip, das Ende unternehmerischer Kartelle und einen verlässlichen Geldwert. Wirtschaftliches Wachstum und die Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung sind Leitmotive der Sozialen Marktwirtschaft. „Wohlstand für alle“ lässt sich am besten durch eine kluge Politik für Investitionen, Bildung und technischen Fortschritt schaffen. Der Staat ist bei öffentlichen Investitionen, einem hervorragenden regulatorischen Umfeld für private Investitionen, im Bildungssystem, in der Hochschul- und Grundlagenforschung und in der Forschungsförderung von Unternehmen gefordert. Darüber hinaus ist es höchste Zeit, das Wettbewerbsprinzip als ureigenen Bestandteil der Sozialen Marktwirtschaft wieder stärker in Erinnerung zu rufen. Die Erhöhung der Produktivität der gesamten Wirtschaft stellt langfristig den wesentlichen Baustein zum Wohlstand aller dar. Diese sollte in Deutschland von einem modernen Verbund von innovativen Industrien und sie unterstützenden Dienstleistungen erzielt werden. Dazu bedarf es exzellenter Rahmenbedingungen sowie einer Verbesserung der wirtschaftsnahen Infrastruktur, damit Unternehmen aus aller Welt in Deutschland Jobs schaffen. Zu diesem unternehmerischen Umfeld zählen auch die Sicherung einer ausreichenden Gründungsdynamik und ein Ausscheiden erfolgloser Unternehmen aus dem Markt, denn nur so kann der Wettbewerb auf den Produktmärkten auch Wohlstand schaffen. Um weiter an der Spitze der internationalen Konkurrenz zu stehen, brauchen wir auch entsprechende Rahmenbedingungen für neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle, mit denen die Verbraucher bessere und günstigere Produkte erhalten. In der Industrie bleiben weiterhin Anlagen und Ausrüstungen wichtige Investitionsfelder. Allerdings entstehen im Zeichen von Industrie 4.0 gänzlich andere Produktionsprozesse. Eine Förderung, die die Umstellung von kleinen und mittleren Unternehmen auf Industrie 4.0 unterstützt, sorgt für breitenwirksame Produktivitätssteigerungen und gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt. Der Strukturwandel im Verarbeitenden Gewerbe zeigt sich in unterschiedlichen Mustern von Bau- und Ausrüstungsinvestitionen. Sogar in den großen und erfolgreichen Industriebranchen gibt es solche, die ihren Kapitalstock in den vergangenen 25 Jahren kaum ausgeweitet, aber trotzdem enorme Wachstumsraten der Wertschöpfung erwirtschaftet haben, z. B. die Elektro-, Elektronik- und die Chemieindustrie. Hier zeigt sich, dass Investitionen in physisches Kapital nicht mehr eins zu eins in Wertschöpfung umgesetzt werden. Um im Wettbewerb zu bestehen, brauchen unsere Unternehmen heute mehr Innovationen, mehr qualifiziertes und hochqualifiziertes Personal sowie bessere Produkt- und Prozessideen, also Investitionen in immaterielle Wirtschaftsgüter.

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3. Soziale Marktwirtschaft als Leitmotiv in zentralen Politikfeldern Außenwirtschaftspolitik – Globale Ordnung gestalten statt nationale Hürden errichten Deutschland ist Gewinner von weltweit offenen Märkten, von freiem Handel und einem verlässlichen internationalen Regelungsrahmen. Auch weltweit führt freier Handel zu positiven Wohlstandseffekten, auch wenn noch nicht alle Menschen gleichermaßen davon profitieren. Die wirtschaftshistorische Erfahrung wie auch die ökonomische Theorie zeigen, dass sich die Erfolge für Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit nur dann einstellen können, wenn der freie Handel im Rahmen guter Regeln abläuft. Diese Regeln müssen konsequent gestaltet werden, sodass Handel begünstigt wird und gleichzeitig gesellschaftlich verträglich ist. Deutschland hat diesen Zusammenhang schon lange verinnerlicht und nimmt die Globalisierung nicht nur als gegeben hin, sondern engagiert sich aktiv für die Weiterentwicklung des globalen Ordnungsrahmens. An erster Stelle für diese Weiterentwicklung steht für den BDI die Welthandelsorganisation (WTO). Als Hüterin des Welthandels sorgt sie für einen regelbasierten und fairen globalen Handel. Das WTOSystem bietet das unverzichtbare Grundgerüst an Regeln, ein einmaliges Forum für konsensbasierte Verhandlungen und einen wirksamen Mechanismus für Transparenz und Regeltreue. Bilaterale Freihandelsabkommen (FTAs) bieten im Rahmen der WTO-Regeln eine sinnvolle Möglichkeit, um Märkte zu öffnen, neue Regeln zu setzen und damit das multilaterale Regelwerk zu ergänzen. Gerade in Deutschland sind diese aber im Zuge der Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) in die Kritik geraten. Die Europäische Union will mit ihrer Strategie „Handel für alle“ Handelsabkommen nicht nur effektiver gestalten, sondern auch auf die Sorgen der Bürger eingehen, transparenter werden und für mehr Nachhaltigkeit sorgen. Der große Erfolg der deutschen Wirtschaft auf den globalen Märkten brachte Deutschland den Titel des Exportweltmeisters ein. Die hohen Überschüsse in der deutschen Handelsbilanz führen aber zu globalen Risiken, weil etwa in manchen Ländern hohe Importe mit steigenden Schulden einhergehen. Stärkere Investitionen im Inland könnten durch dann steigende Importe zu einem Abbau der deutschen Handelsdefizite beitragen. Investitionen sind auch ganz grundsätzlich ein wichtiger Treiber der Globalisierung. Die Auslandsumsätze, die deutsche Unternehmen über ihre Auslandsstandorte erwirtschaften, übersteigen die deutschen Exporte noch einmal um das Doppelte. Die Gestaltung der internationalen Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Investitionen ist deshalb ein wichtiges Feld der globalen Ordnungspolitik. Weltweit regeln mehr als 3.300 Investitionsförder- und Schutzverträge (Bilateral Investment Treaties, BITs) den Schutz von Investitionen im Ausland. Doch diese Verträge stehen in der öffentlichen Kritik, viele sind reformbedürftig und müssen weiterentwickelt werden, etwa durch die Schaffung eines multilateralen Investitionsgerichtshofs (MIC). Außerdem muss der weltweite Trend zum Investitionsprotektionismus verhindert werden. Wie im Rahmen der OECD vereinbart, sollten staatliche Investitionskontrollen kein Instrument der Industriepolitik sein und sollten auch in Zukunft nur dem Zweck dienen, nationale Sicherheitsinteressen zu schützen. Zunehmend wichtig für die Gestaltung der weltweiten Ordnungspolitik sind die informellen Foren der Global Governance. Die Bedeutung der G20 und der G7 für die Gestaltung der Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft ist mit der zunehmenden Globalisierung gewachsen. Die Politik muss diese Formate verstärkt nutzen, um mit anderen Staaten Übereinstimmung zu grundlegenden Fragen globaler Ordnungsgestaltung zu erreichen.

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Neben allen Bemühungen im Bereich der internationalen Ordnungspolitik kommt es aber auf nationaler Ebene darauf an, die Handelspolitik in anderen Politikfeldern wirksam zu begleiten. So können durch zielgerichtete Sozial- und Bildungspolitik Härten, die sich in bestimmten Wirtschaftsbereichen durch internationalen Wettbewerb ergeben können, abgefedert werden. Wettbewerbspolitik – Unternehmen brauchen Freiraum In einer freiheitlichen, dezentral gelenkten und wettbewerblich organisierten Wirtschaftsordnung gilt das Primat privatwirtschaftlichen Handelns. Stärker als bislang muss die Politik Antworten darauf finden, dass eine interventionistische Industriepolitik in anderen Staaten innerhalb und außerhalb Europas zunehmend Praxis wird. Umso mehr sollte sich die Wirtschaftspolitik im Zweifel immer gegen einen Eingriff in den Marktprozess entscheiden und Konstanz beweisen. Der Wettbewerbsrahmen in Deutschland und in der EU hat sich grundsätzlich bewährt, auch mit Blick auf digitale Märkte. Um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu stärken, sind eine bessere Rechtsetzung und der Abbau von administrativen Belastungen von entscheidender Bedeutung. Schon jetzt bestehen im Rahmen des geltenden Wettbewerbsrechtsrahmens Möglichkeiten, flexibler auf neue Marktherausforderungen zu reagieren und für Unternehmen den Standort Europa attraktiv zu gestalten. Denn gerade bei den digitalen Märkten bedarf es eines erheblichen regulativen Fingerspitzengefühls, damit Innovationswettbewerb und somit Wachstum nicht unnötig behindert werden. So stellt die digitale Wirtschaft insbesondere auch das Kartellrecht vor neue Herausforderungen. Dies gilt vor allem mit Blick auf die Entwicklung neuer und innovativer Geschäfts- und Vertriebsmodelle. Der Frage, ob ein Unternehmen marktbeherrschend ist, kommt bei einer Kartellrechtsanwendung hinsichtlich des Missbrauchs einer dominierenden Marktposition eine entscheidende Bedeutung zu. Denn Dynamik und Unvorhersehbarkeit neuer Trends und Innovationen lassen Marktanteile in kürzester Zeit explodieren, aber auch rasant erodieren. Das Bundeswirtschaftsministerium hat in seinem Weißbuch „Digitale Plattformen“ für ein neues proaktives, duales Wettbewerbsrecht geworben, das eine deutlich aktivere und systematischere Marktaufsicht vorsieht. Konzentrationsentwicklungen und monopolähnliche Strukturen einzelner Plattformen dürfen nicht vorschnell verurteilt werden. Unternehmen dafür zu kritisieren, dass sie dank attraktiver Angebote sehr erfolgreich sind, widerspricht marktwirtschaftlichen Grundsätzen und damit auch den Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft. Ob es zielführend wäre, die Missbrauchsaufsicht dahingehend zu verschärfen, dass es für eine wettbewerbsbehördliche Intervention nicht mehr auf eine marktbeherrschende Stellung ankommen soll, wird derzeit diskutiert. Hier besteht ein gewisses Spannungsverhältnis zum Wunsch, starke deutsche und europäische Konzerne insbesondere auf digitalen Märkten entstehen zu lassen. Erfolg hängt ganz entscheidend davon ab, dass Unternehmen im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähig sind. Dafür brauchen Unternehmen Freiraum. Aufgabe des Staates ist es, durch die Gewährleistung stabiler und vorhersehbarer Rahmenbedingungen dafür zu sorgen, dass ein Standort für Investitionen attraktiv bleibt und so Teilhabe und Wohlstand entsteht. Digitalisierung – Digitale Champions müssen aus eigener Kraft wachsen Durch die digitale Transformation werden marktwirtschaftliche Mechanismen zunehmend in Frage gestellt. Die Entstehung nationaler oder europäischer digitaler Champions ist wünschenswert, sie sollten

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jedoch aus eigener Kraft wachsen. Der Staat sollte Qualifizierung und Bildung vorantreiben sowie wirksame Investitionsanreize setzen. Es ist jedoch nicht seine Aufgabe, selbst unternehmerisch aktiv zu werden, wettbewerbsschwache Branchen zu subventionieren oder gar internationale Konkurrenten gezielt zu schwächen. Hingegen ist ein wichtiger und überfälliger Investitionsanreiz die steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung. Dieses Instrument ist technologieneutral, schnell wirksam und universell für alle Branchen gültig. Zudem sind der Abbau von administrativen Belastungen und eine bessere Rechtsetzung von entscheidender Bedeutung für die Entstehung digitaler Champions. So viele Veränderungen die Digitalisierung auch mit sich bringt: Reflexartige Gesetzesregelungen sind meist der falsche Weg. Selbst Technologien, die sich dynamisch entwickeln, wie zum Beispiel die Künstliche Intelligenz, bewegen sich nicht im rechtsfreien Raum. Erst wenn sich zeigen sollte, dass in bestimmten Bereichen Missbräuche oder unerwünschte Begleiterscheinungen auftreten, sind spezifische regulatorische Anpassungen sinnvoll, um die Rechtssicherheit zu wahren. Die Regulierung sollte dann passgenau erfolgen und auf den jeweiligen Bereich zugeschnitten und nicht vorsorglich flächendeckend konzipiert werden. Überregulierung sollte in jedem Fall vermieden werden, um das Innovationspotenzial nicht zu bremsen. Sonst läuft Deutschland Gefahr, einem jungen, für die Zukunft der deutschen Industrie entscheidenden Wirtschaftszweig den Nährboden zu entziehen. Wenn Deutschland digitale Champions schaffen möchte, sollte es auch weiterhin auf marktwirtschaftliche Prinzipien vertrauen. Im Wettbewerb der Standorte muss es vor allem darum gehen, die optimalen Bedingungen für funktionierende digitale Ökosysteme zu schaffen, damit sich genug Anziehungskraft für Fachkräfte und genügend Investitionsanreize für Unternehmen ergeben. So stellen wir unter anderem sicher, dass aus den zahlreichen Hidden Champions künftig Digital Champions werden. Energie- und Klimapolitik – Marktwirtschaftliche Prinzipien stärken Der Energie- und Klimapolitik sind wie generell jeder Infrastrukturpolitik Phänomene inhärent, die auch in einer Sozialen Marktwirtschaft ein Eingreifen des Staates erforderlich machen. Das reine Spiel der Marktkräfte kommt daher in Deutschland wie auch weltweit kaum zur Anwendung, führte es doch zu gesamtgesellschaftlich ineffizienten Ergebnissen in diesem Wirtschaftsbereich. Gleichwohl ist es wichtig, marktwirtschaftliche Prinzipien auch in diesem Politikbereich zu stärken. Vor allem gehen mit der Produktion, Verteilung und Nutzung von Energie seit Beginn der Industrialisierung bis zum heutigen Tag Externalitäten einher. Diese können sowohl positiver als auch negativer Art sein. Eine sichere Stromversorgung ist Grundvoraussetzung jeder industrieller Aktivität. Der – auch externe – Wert (Schaden) eines nicht gelieferten Elektrons im Fall eines Blackouts übersteigt den marginalen Wert einer Stromlieferung bei weitem. Externalitäten betreffen aber auch die Umwelt. Wassernutzung, Flächenverbrauch, industrielle Immissionen und Emissionen: Dies alles kann externe Kosten verursachen. Deren Vermeidung, Verminderung oder „Inrechnungstellung“ muss staatlich organisiert werden. Auch handelt es sich bei leitungsgebundener Infrastruktur in der Regel (Stromnetze, Pipelines) um natürliche Monopole. Ist bereits eine Leitung mit ausreichenden Kapazitäten vorhanden, hat es für einen „Energieverkäufer“ aufgrund der hohen Kapital- und geringen marginalen Kosten keinen Sinn, selbst eine alternative Leitung zum Kunden zu bauen. Es wäre stets wirtschaftlicher, den Handel über die vorhandene Infrastruktur zu tätigen. Natürliche Monopole werden daher zurecht von staatlichen Aufsichtsbehörden bei ihrer Preissetzung reguliert und Netzzugang Dritter garantiert.

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Es ist auch in einer Sozialen Marktwirtschaft Konsens, dass Gesellschaft und Politik Ziele für die Dimensionen der Externalitäten setzen und diese staatlich regulieren. Dabei ist jedoch zu gewährleisten, dass staatliche Intervention die externen Kosten möglichst präzise adressiert und klare Ziel- und Instrumentenhierarchien verfolgt werden. Eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Energie- und Klimapolitik muss vermeiden, dass die Politik zur Reduktion der Externalitäten technologiespezifische Regulierung verabschiedet und „präferierte“ Einzelanwendungen politisch bevorzugt. Ein solches Vorgehen führt dazu, dass ökomische Sonderrenten an Partikularinteressen verteilt werden, ohne zu garantieren, dass Ziele, wie beispielsweise Emissionen zu reduzieren, auch erreicht werden. Analog sollte das Erreichen der klimapolitischen Ziele für 2050 marktwirtschaftlich adressiert so ausgestaltet werden, dass die Politik die auszustoßende absolute Menge an schädlichen Treibhausgas(THG)-Emissionen begrenzt und die Einhaltung dieser Emissionsobergrenze überwacht wird. Wie und wo dann tatsächlich in der Volkswirtschaft Treibhausgase vermieden werden, sollte eine staatliche Regulierung mangels Verfügbarkeit von Wissen nicht festlegen wollen. Bestmöglich wird ein solcher Ansatz international verfolgt, da die THG-emittierenden Anlagen und Prozesse in Deutschland im internationalen Vergleich schon recht effizient sind und jede THG-Einsparung so zwangsläufig teurer als in Entwicklungs- und Schwellenländern ist. Deshalb sieht auch das Pariser Klimaschutzabkommen ausdrücklich den Einsatz marktwirtschaftlicher Instrumente vor. Der europäische Emissionshandel stellt ein solches funktionierendes und über Staatsgrenzen hinweg wirkendes Instrument dar. Wenn sich die Politik dennoch entscheidet, spezifische Technologien zu favorisieren, sollte deren Aufbau zumindest möglichst durch Auktionen kosteneffizient bestimmt werden. Eine technologieoffene Grundlagen- und Anwendungsforschung stellt den Grundpfeiler einer solchen marktwirtschaftlicher Energie- und Klimapolitik dar. Unsere äußerst anspruchsvollen (Klima-) Ziele können letztlich nur realisiert werden, wenn bahnbrechende Innovationen in allen Sektoren gefunden und in der Fläche eingesetzt werden. Private Akteure würden jedoch aufgrund der Energieund Klimapolitik inhärenten politischen Risiken wohl kaum die notwendigen Langfristinvestitionen in Forschung und Entwicklung sowie den Einsatz neuer Technologien tätigen. Steuer- und Finanzpolitik – Planbarkeit für die öffentliche Hand Die Unternehmen in Deutschland tragen durch die Beschäftigung von Mitarbeitern und die daraus erzielte Wertschöpfung maßgeblich zur Finanzierung des Gemeinwesens bei. Im Jahr 2019 beträgt die Steuerbelastung von Gewerbebetrieben voraussichtlich über 150 Milliarden Euro. Das entspricht mehr als einem Drittel des gesamten Ertragssteueraufkommens von Bund, Ländern und Gemeinden. Im internationalen Wettbewerb gewinnen die steuerlichen Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland zunehmend an Bedeutung. Andere mit Deutschland im Wettbewerb stehende Industriestaaten nehmen Steuersenkungen vor und verbessern ihre Investitionsbedingungen für die Unternehmen, insbesondere die USA, aber auch Frankreich und Großbritannien. In Deutschland liegt die letzte größere Unternehmenssteuerreform mittlerweile zehn Jahre zurück. Vor diesem Hintergrund sollten Unternehmen in Deutschland steuerlich entlastet werden. Ziel ist es, langfristig eine international vergleichbare Gesamtsteuerbelastung der Unternehmen von maximal 25 Prozent in den Blick zu nehmen. Im Vergleich zu dem EU-Durchschnitt von rund 22 Prozent ist Deutschland mit einer effektiven Steuerbelastung der Unternehmen von rund 30 Prozent mittlerweile Hochsteuerland. Bei mittelständischen Familienunternehmen liegt die steuerliche Belastung sogar weit darüber. Dauerhaft wird sich Deutschland keine höhere Steuerbelastung als andere Industriestaaten leisten können.

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Die Weichen für eine international vergleichbare Steuerbelastung der Unternehmen in Deutschland müssen jetzt gestellt werden. Darüber hinaus sind wichtige Steuerstrukturreformen anzustoßen, um Wachstum und Beschäftigung weiterhin am Unternehmensstandort Deutschland sicherzustellen. Ein wichtiges Signal ist der Einstieg in eine steuerliche Forschungs- und Entwicklungsförderung, damit Deutschland auch in Zukunft bei wichtigen Innovationen der Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. Dringender Handlungsbedarf besteht bei der Gewerbesteuer, die im Kontext europäischer Harmonisierung als Sonderweg Deutschlands nicht mehr zu rechtfertigen ist. Auch eine Reform des Außensteuerrechts ist notwendig, um Auslandsinvestitionen nicht zu benachteiligen. Schließlich ist eine Anpassung des Zinssatzes an die Niedrigzinsphase überfällig. Ein wichtiger Schritt, um die Steuerbelastung der Unternehmen auf ein wettbewerbsfähiges Niveau zu senken, könnte über den vollständigen Abbau des Solidaritätszuschlags für alle Zahler erreicht werden. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte nur teilweise Abbau des Solidaritätszuschlags ist nicht ausreichend. Insbesondere ein genereller Ausschluss von Kapitalgesellschaften ist gleichheitswidrig und damit nicht verfassungsgemäß. Sozialpolitik – Deutschland braucht eine neue große Reformdebatte Anreize und Signale sind auch auf dem Arbeitsmarkt wichtig: Sie machen klar, wo man sich weiterbilden, welchen Schwerpunkt man in seiner Ausbildung setzen oder wohin am besten die nächste berufliche Station führen sollte. Dass unser Arbeitsmarkt gut funktioniert, ist erkennbar am Beschäftigungsrekord in unserem Land – auch bei sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Deshalb sollten wir allerhöchstes Interesse haben, diesen Mechanismus zu bewahren. Die deutsche Sozialpolitik hat sich in der Nachkriegszeit am Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft ausgerichtet. Gleichwohl änderte sich die Ausprägung der Politik mehrfach. Alte Zielsetzungen verloren an Bedeutung, neue kamen hinzu, die Instrumente änderten sich, die Leistungsniveaus und Finanzierungsmodalitäten wurden fortlaufend angepasst und der Blick auf das Gesamtsystem drohte, angesichts einer Vielzahl von Feldern, verloren zu gehen. Während die Sozialbindung des Eigentums, die Mitbestimmung der Arbeitnehmer, der gesetzliche Schutz schwächerer Marktteilnehmer (etwa durch den Arbeits-, Kündigungs- oder Mieterschutz), der Lastenausgleich für Flüchtlinge oder die Wohnungsversorgung in den ersten beiden Jahrzehnten der Bundesrepublik Deutschland die wichtigsten Aufgaben in der Sozialpolitik waren, rückten in den siebziger und achtziger Jahren der Auf- und Ausbau und die Konsolidierung der sozialen Sicherungssysteme in den Vordergrund. Im vergangenen Jahrzehnt spielten dann Reformen in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik die dominante Rolle, während in diesem Jahrzehnt erneut Leistungsausweitungen in den Sicherungssystemen und in der Familienpolitik im Wettbewerb der Volksparteien auf die Tagesordnung rückten. Auf die „aktivierende Sozialpolitik“ folgte die Rückkehr zu eher traditionellen Leistungsausweitungen. Insgesamt betrachtet weitete sich die sozialstaatliche Tätigkeit aus. Dies erfolgte zwar nicht stetig und überall, aber erstreckte sich auf immer breitere Ziele und Handlungsfelder. Dabei erzielte die Sozialpolitik in vielen Feldern Erfolge, vor allem im Hinblick auf die soziale Sicherheit und die Armutsvermeidung. Deutschland weist heute, neben Frankreich und Belgien, das wohl umfassendste soziale Sicherungssystem der Welt auf. Zugleich blieb die wirtschaftliche Tragfähigkeit des gesamten Leistungsspektrums abhängig von einer erfolgreichen Entwicklung der Wertschöpfung und Beschäftigung und deren positiven fiskalischen Effekten.

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Die Sozialversicherungssysteme zur Absicherung der großen Lebensrisiken von Alter, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, Berufsunfällen und Pflege sind in erheblichem Umfang durch Zuschüsse aus den öffentlichen Haushalten finanziert, die jedoch nicht alle „versicherungsfremden Leistungen“, etwa die Mitversicherung von Familienangehörigen in der Krankenversicherung, abdecken. Der Löwenanteil der Mittel wird hier ausgegeben. In den kommenden Jahren werden trotz der sehr guten Entwicklung der Beschäftigung in Deutschland, die wesentlich von der Zuwanderung aus Europa profitiert, vor allem alterungsbedingte Kostenerhöhungen in den Systemen der sozialen Sicherung für Alter, Gesundheit und Pflege bei gleichem Leistungsniveau entstehen. Angesichts der ohnehin bereits sehr hohen Belastung der Arbeitnehmer mit Sozialabgaben und Steuern ist der alleinige Weg über höhere Finanzierungen nicht zielführend. Insbesondere die Probleme an der Schnittstelle zwischen Fürsorge und Aktivierung im Arbeitsmarkt bei Geringverdienern würden sich dann noch weiter verschärfen. Zwar gäbe es mögliche Reformen, um das Problem von Grenzbelastungen in der Übergangszone von weit über 100 Prozent anzugehen, aber die Politik hat dies bisher nicht auf die Agenda gesetzt. Die allgemeine Belastung der Bürger und Unternehmen wird sich daher bei konstanter Politik weiter erhöhen. Es ist absehbar, dass Deutschland eine neue große Reformdebatte braucht, um sich über das politisch gewollte Maß an sozialpolitischer Leistung und deren Finanzierung neu zu verständigen. Eine viel klarere Orientierung an fiskalisch tragfähigen Lösungen ist erforderlich. Der Blick auf das fiskalische Gesamttableau, eine wirtschaftspolitisch vertretbare Dimensionierung der Rentenpolitik, die private Ergänzung von gesetzlichen Sicherungssystemen, die Fokussierung von Mitteln auf klar benennbare wachstums- oder verteilungspolitische Schwerpunkte und Instrumente, etwa in der Familienpolitik, und die bessere Integration von Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sollten dabei im Vordergrund stehen. Letztlich müssen die Bürger an der Wahlurne über das gesamte Leistungs- und Finanzierungspaket gut informiert entscheiden. Die Balance zwischen Sozialpolitik und anderen Anforderungen an die öffentlichen Haushalte wird jedenfalls neu austariert werden müssen. Bildungspolitik – Förderung von Bildung als bestmögliches staatliches Handeln Um im internationalen Wettbewerb zu bestehen, muss Deutschland über ein erstklassiges Bildungsund Ausbildungssystem verfügen. Womöglich handelt es sich bei der Förderung von Bildung im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft um das bestmögliche staatliche Handeln, denn hier ist es notwendig und zudem unverdächtig, als staatlicher Eingriff das Wirtschaftsgeschehen zu stören. Gleichzeitig werden mit guter Bildungspolitik die Rahmenbedingungen für alle Unternehmen verbessert. Tatsächlich ist es jedoch so, dass die ausgeprägte Sozialstaatstätigkeit des Bundes wenig finanziellen Spielraum für die Bildungspolitik der Länder gelassen hat, deshalb weist Deutschland seit Jahrzehnten ein unterfinanziertes Bildungssystem auf, das im internationalen Vergleich eine gewisse Vernachlässigung in der Haushaltsplanung erkennen lässt. Zudem ist das Bildungssystem in der Fläche nicht leistungsstark genug, wenn auch einzelne Komponenten international nach wie vor Beachtung finden, etwa die berufliche Bildung. Konsequente Strukturreformen im Bildungswesen sind zudem geeignet, die primäre Einkommensverteilung positiv zu beeinflussen. Insbesondere Investitionen in Bildung und Wissenskapital können mittelfristig die Arbeitseinkommen erhöhen und die Chancen von Bevölkerungsschichten mit niedrigeren Bildungsniveaus verbessern. Die Förderung von Bildung muss deshalb ein Eckpfeiler der Sozialen Marktwirtschaft sein. Qualifizierte Arbeitskräfte sind ein Wettbewerbsvorteil Deutschlands. Trotz der Reformen im deutschen Bildungssystem in der Folge des „PISA-Schocks“ im Jahre 2001 ist der Handlungsbedarf in vielen

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Bereichen immer noch groß: Die Kinderbetreuung, frühkindliche Bildung und Ganztagsschulen müssen beispielsweise konsequent weiter bedarfsgerecht, flächendeckend sowie qualitativ hochwertig auf- und ausgebaut sowie budgetiert werden. Im Schulsystem sind weder die Aufwendungen noch die Ergebnisse in der Summe zufriedenstellend. Im Hochschulwesen gibt es neben der Unterfinanzierung auch vielfältige institutionelle Schieflagen. Besondere Defizite sind jedoch gerade angesichts des rapiden Strukturwandels im Hinblick auf die fortwährende Bildung von Humankapital der Erwerbstätigen festzustellen. Angesichts der durch den Strukturwandel absehbaren Erhöhung der Anforderungen an die Qualifikation von Beschäftigten braucht Deutschland eine transparentere und wirkungsvollere Förderung des lebenslangen Lernens. Ergänzende Strukturreformen im Bildungssystem auf dem Arbeitsmarkt müssen hinzukommen, um Reserven zu heben und insbesondere die Erwerbstätigkeit von Frauen, älteren Arbeitnehmern und Flüchtlingen weiter zu erhöhen.

4. Soziale Marktwirtschaft als Grundkonzept auch in der EU Den Begründern der Sozialen Marktwirtschaft war durchaus bewusst, dass Wirtschaft nicht an den Landesgrenzen Halt macht. Aber der Anfang dieser Ordnung fand in noch weitgehend abgeschotteten Volkswirtschaften der frühen Nachkriegsjahre statt. Der Außenhandel, der Zahlungs- und Kapitalverkehr und die Wanderungsbewegungen nach den großen Kriegsflüchtlingswellen waren sehr beschränkt. Europas Wirtschaft stand noch vor der Integration im Binnenmarkt. In der EU ist diese in den Folgejahrzehnten auf ein sehr hohes Niveau gestiegen, das in Teilbereichen durch die Große Finanzund Wirtschaftskrise jedoch wieder Rückschritte erlitten hat. Im Grundsatz gilt, dass mit der Etablierung der vier Grundfreiheiten (freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital), ihrer rechtlichen Durchsetzung und ihrer praktischen Umsetzung in der EU eine liberale Marktordnung geschaffen wurde. Es gibt zwar noch immer Felder, in denen diese vertieft werden können, wie zum Beispiel im digitalen Binnenmarkt, in der Energiewirtschaft oder in allgemeinen Dienstleistungsbranchen, die keiner besonderen Sektorregulierung unterliegen. Aber die Freizügigkeit ist mit minimalen Abstrichen ebenso verwirklicht wie die Freiheit des Kapitalverkehrs. Für die soziale Flankierung zeichnet nach wie vor die mitgliedstaatliche Ebene hauptverantwortlich, über die nationalen Systeme der Absicherung von Lebensrisiken, das Steuer-Transfer-System und andere Mechanismen. In diesen Feldern ist in der EU nur eine Vereinbarung bestimmter Mindestregeln und solcher Materien gelungen, in denen die Schnittstellen zwischen Freizügigkeit oder Binnenmarkt auf der einen Seite und sozialen Belangen auf der anderen Seite geregelt werden mussten.

5. Soziale Marktwirtschaft im Wettbewerb mit autoritären Systemen Die heutige globalisierte Ökonomie stellt uns vor gänzlich neue Herausforderungen. Die binnenwirtschaftliche Perspektive der 1950er Jahre mit einer überschaubaren Anzahl von im rheinischen Kapitalismus integrierten Unternehmen und Konzernen wirkt aus aktueller Sicht geradezu idyllisch. Denn der gegenwärtige Protektionismus einiger großer Volkswirtschaften gefährdet die offenen Märkte und schränkt damit die Chancen der deutschen Industrie unmittelbar ein. Aus der Protektionsspirale drohen erhebliche Verwerfungen an den Weltmärkten, für das offene Welthandelssystem, mittelfristig auch für die freien Märkte für Kapital und Investitionen, für den Technologieaustausch, den Datenverkehr und die Migration.

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Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert

Dies gilt sogar in verstärktem Maß für die politischen Ordnungen in der Welt, denn politische und wirtschaftliche Unfreiheit gehen oftmals Hand in Hand. Neben dem Protektionismus muss daher der Gegenwind für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftliche Freiheit weltweit Sorgen bereiten. Der Trend zu autoritären und populistischen Regierungen hält seit einem Jahrzehnt unverändert an. Laut Freedom House verzeichnen seit zwölf Jahren mehr Staaten Rückschritte in der politischen Freiheit als Fortschritte, 2017 ging in 71 Staaten der Grad politischer Freiheit zurück und nur in 35 nach oben. Nur 45 Prozent der Länder sind wirklich frei, 30 Prozent nur sehr eingeschränkt und 25 Prozent autoritär. Die Weltbank stellt mit ihrem Rechtsstaatsindikator fest, dass sich die Lage seit 2005 in 92 Ländern verschlechtert hat. Die Bedrohung nimmt zu. Deutschland, dessen Wirtschaft so unmittelbar auf offene Weltmärkte und den Fortschritt in der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der wirtschaftlichen Freiheit in der Welt angewiesen ist, darf dieser Trend nicht egal sein. Auch den Unternehmen bereiten diese Entwicklungen Sorge, sind sie doch in zahlreichen Ländern vor Ort in Produktion und Dienstleistung aktiv. Es gilt für unsere Werte in einer Sozialen Marktwirtschaft einzutreten. Am besten gelingt dies, wenn Europäer zusammenstehen, um die bedrohlichen Szenarien abzuwenden und Europa zu stärken – erst recht in Zeiten von Disruptionen durch mehr Digitalisierung, höhere geopolitische Unsicherheiten und voranschreitender Globalisierung.

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Soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Dr. Klaus Günter Deutsch Cedric von der Hellen Matthias Krämer Niels Lau Philipp Nießen Clemens Otte Dr. Christoph Sprich Dr. Jobst-Hinrich Wiskow Ansprechpartner Herr Dr. Klaus Günter Deutsch Abteilungsleiter Research, Industrie- und Wirtschaftspolitik T: +49 30 2028-1591 k.deutsch@bdi.eu Herr Matthias Krämer Abteilungsleiter Strategische Planung und Koordination T: +49 30 2028-1629 m.kraemer@bdi.eu BDI-Dokumentennummer: D1017

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