Regionaler Ausgleich durch Investitionen

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POSITION | EUROPAPOLITIK

Regionaler Ausgleich durch Investitionen Zur Reform der Kohäsionspolitik der EU 2021 -2027

April 2019

BDI Empfehlungen 23. Oktober 2017 ▪ Die Kohäsionspolitik sollte auch zukünftig ausreichend budgetiert werden, um die regionale Konvergenz der wirtschaftlichen Leistungskraft zu fördern. Geringe reale Ausgabenkürzungen sind angesichts der erheblichen wirtschaftlichen Entwicklungsfortschritte insbesondere der ärmsten Regionen vertretbar. Generell sollten alle Länder und Regionen antragsberechtigt bleiben. ▪ In der Regional- und Kohäsionspolitik ist es wichtig, die Ausrichtung der Mittelvergabe auf Wachstum, Infrastruktur, Investitionen und Qualifikation der Beschäftigten zu stärken. ▪ Die Kohäsionspolitik sollte zudem stärker mit den Reformschwerpunkten für die Länder im Europäischen Semester verbunden werden, und zwar zu Programmbeginn und in der Zwischenüberprüfung 2023/24. ▪ Das Ineinandergreifen verschiedener Förderinstrumente der Regionalpolitik, des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) und anderer Ausgabenprogramme (Forschung, Klimaschutz, Landwirtschaft) sollte verbessert werden. ▪ Die Kohäsionspolitik muss wirtschafts- und innovationsfreundlicher umgesetzt und administrativ im ganzen Zyklus von Mittelbeantragung, -vergabe und -prüfung stark vereinfacht werden. Dies soll erstmalig über ein einheitliches Regelwerk und eine einmalige Wirtschaftsprüfung erleichtert und sichergestellt werden. Der sogenannte Rechtsstaatsmechanismus zur Überprüfung der Mittelverwendung ist zu begrüßen.


Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Inhaltsverzeichnis Hintergrund .......................................................................................................................................... 3 EU-Haushaltsprozess ............................................................................................................................ 3 Brexitfolgen. Kleinerer oder größerer Haushalt?................................................................................... 3 Kohäsionspolitik ................................................................................................................................. 3 Kofinanzierungsraten, Einteilung von Regionen und thematische Konzentrationen ............................ 4 Thematische Schwerpunkte der ESI-Fonds .......................................................................................... 5 Kohäsionspolitische Mittelzuweisung .................................................................................................... 7 Erleichterungen für Unternehmen ......................................................................................................... 9 Ex-Ante-Konditionalitäten bzw. grundlegende Voraussetzungen ......................................................... 9 Europäisches Semester ...................................................................................................................... 10 Geplante Sanktionen bei Nichteinhaltung der Empfehlungen des Europäischen Semesters ............ 10 Rechtsstaat als Voraussetzung von gutem EU- Finanzmanagement................................................. 10 Wie soll festgestellt werden, dass eine Rechtsstaatsschwächung vorliegt? ...................................... 10 InvestEU .............................................................................................................................................. 11 Funktionsweise von InvestEU ............................................................................................................. 11 Kohäsionsmittel und InvestEU ............................................................................................................ 11 Synergien ............................................................................................................................................ 11 Fazit .................................................................................................................................................... 12 Quellenverzeichnis ............................................................................................................................ 13 Impressum ......................................................................................................................................... 13

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Hintergrund EU-Haushaltsprozess Der Haushalt der Europäischen Union wird über mehrere Jahre hinweg als „Mehrjähriger Finanzrahmen“ (MFR) nach Artikel 312 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) beschlossen. Anders als ein nationaler Haushalt muss der europäische Haushalt ausgeglichen sein. Die langfristige Ausrichtung des Haushalts hat sich in der Vergangenheit bei Krisen jedoch als nachteilig herausgestellt, weshalb Vorschläge für eine größere Flexibilität auf dem Tisch liegen. Die Vorschläge der Europäischen Kommission für den nächsten MFR, der 2021 beginnen soll, sehen eine leichte Erhöhung der Mittel vor.

Vergleich gegenwärtiger EU-Haushalt mit vorliegendem Vorschlag, in Milliarden Euro* MFR 2014-2020

MFR 2021–2027 Vorschlag

Veränderung in %

1.106,7

1.134,6

+2,5 %

Landwirtschaft und Umwelt

428,0

336,6

-21,4 %

Kohäsion

377,9

330,6

-12,6 %

Forschung (Horizon)

79,4*

97,6*

+22,9 %

Gesamthaushalt

*konstante Preise von 2018, außer*: laufende Preise in Milliarden Euro Quellen: Europäisches Parlament, Europäische Kommission, eigene Berechnungen

Brexitfolgen. Kleinerer oder größerer Haushalt? Durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ergibt sich ein Nettoeffekt in den Haushalten der EU in Höhe von elf bis 14 Milliarden Euro jährlich. Die Kommission verwendet als Angabe einen Nettoeffekt von ca. elf Milliarden Euro im Jahr. Zudem hat sich im Zuge der Migrationskrise ein Bedarf bei der europäischen Finanzierung von Grenzschutz und Sicherheit aufgetan. Die Finanzierung neuer Aufgaben und der Austritt des Königreichs sollen mit höheren Beitragszahlungen der Mitgliedstaaten der EU27 und durch Kürzungen in den bisherigen Hauptprogrammen für die Landwirtschaft und die Kohäsion aufgefangen werden. Dies sehen die Vorschläge der Kommission vor.

Kohäsionspolitik Die Kohäsionspolitik verfolgt das Ziel der Stärkung des wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalts. Besonders im Fokus ist dabei der wirtschaftliche Ausgleich von Regionen, von denen es 276 in der EU gibt (Busch 2017). Die Ausgaben der Kohäsionspolitik werden durch drei verschiedene Fonds getätigt. Darüber hinaus gibt es zwei weitere Fonds, die bisher als Strukturpolitikfonds abgerechnet wurden, jedoch nicht zur Regional- und Strukturpolitik zählen (Busch 2017): ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

Europäischer Fonds für regionale Entwicklung (EFRE): für 2021-2027: 200,6 Milliarden Euro Europäischer Sozialfonds (ESF): für 2021 – 2027: 88,6 Milliarden Euro Kohäsionsfonds (KF): für 2021 – 2027: 41,3 Milliarden Euro Europäischer Meeres- und Fischereifonds (EMFF) Europäischer Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER).

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Diese fünf Fonds werden zusammen mit der Beschäftigungsinitiative für junge Menschen (YEI) als Europäische Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) bezeichnet. In einigen Mitgliedstaaten haben die EU-Struktur- und Investitionsfonds einen erheblichen Teil an den öffentlichen Investitionen:

Anteil* europäischer Struktur- und Investitionsfonds an öffentlichen Investitionen 2015-2017 in Prozent 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0

*Werte sind geschätzt Quelle: Europäische Kommission

Kofinanzierungsraten, Einteilung von Regionen und thematische Konzentrationen Die durch die EU-Kohäsionspolitik geförderten Programme oder Investitionen werden zusammen mit dem jeweiligen Mitgliedsstaat bzw. der Region finanziert. Als Regionen gelten Verwaltungseinheiten nach der Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik, zweite Hierarchie, genauer NUTS-2, die in Deutschland in der Regel den Regierungsbezirken entsprechen. 1 Je nach Wirtschaftskraft des Landes, gemessen am BIP, gibt es unterschiedliche Kategorien und Kofinanzierungsraten. Für den Finanzrahmen 2021 – 2027 hat die Europäische Kommission folgende Raten für den EFRE und ESF vorgeschlagen: ▪ ▪ ▪

1

70 Prozent in weniger entwickelten Regionen (2014-2020: 85 Prozent) 55 Prozent in Übergangsregionen (2014-2020: 75 Prozent) 40 Prozent in weiter entwickelte Regionen (2014-2020: 50 Prozent)

Für die aktuelle Liste der europäischen Regionen nach NUTS-2 siehe die Europäische Verordnung 2016/2066.

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Regionen werden nach dem Verhältnis zum Durschnitt-BIP der EU für die Förderperiode 2021-2017 kategorisiert: Weniger entwickelte Regionen

Regionen mit einem BIP unter 75 Prozent des EU-Durchschnitt

Übergangsregionen

Regionen mit einem BIP zwischen 75 und 100 Prozent des EU-Durchschnitt

Weiter entwickelte Regionen

Regionen mit einem BIP von mehr als 100 Prozent des EU-Durchschnitt

Europäische Kommission (COM 375, 2018)

Die deutschen Übergangsregionen in der Förderperiode 2014-2020 sind: Lüneburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Dresden, Chemnitz und Thüringen. Die Definition der Übergangsregionen soll für die Förderperiode 2021-2027 angepasst werden. Für die Periode 2014-2020 lag die Abgrenzung zwischen einer Übergangsperiode und einer weiter entwickelten Region bei 90 Prozent des durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommens in der EU. Für 20212027 soll dieser Schwellenwert auf 100 Prozent angehoben werden. Durch diese Änderung allein wird die Region Trier eine „neue“ Übergangsregion. Daher ist ein direkter Vergleich zwischen Übergangsregionen 2014-2020 und Übergangsregionen 2021-2027 wegen der Definitionsänderung nicht zulässig. Thematische Schwerpunkte der ESI-Fonds Die Regionen waren frei in ihrer Wahl der thematischen Konzentrationen, sofern sie einige recht großzügige Auflagen der Europäischen Kommission erfüllten. Beispielsweise ist die Verteilung der EFREMittel auf diese Schwerpunkte abhängig davon, welcher Kategorie die jeweilige Region angehört:

Vorgaben der EU für thematische Schwerpunkte der Regionen Entwickelte Regionen

80 Prozent der Mittel auf mindestens zwei der elf Prioritäten konzentriert; Mindestens 20 Prozent der Mittel für eine CO2-arme Wirtschaft

Übergangsregionen

60 Prozent der Mittel auf mindestens zwei der elf Prioritäten konzentriert; Mindestens 15 Prozent der Mittel für eine CO2-arme Wirtschaft

Weniger entwickelte Regionen

50 Prozent der Mittel auf mindestens zwei der elf Prioritäten konzentriert; Mindestens zwölf Prozent der Mittel für eine CO2-arme Wirtschaft

Quelle: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Der Finanzrahmen 2014-2020 sieht elf Schwerpunkte der Förderung vor (bekannt als „thematische Konzentrationen“), die sich aus der Strategie Europa 2020 der EU für „Intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ ableiten:

Verpflichtungen für 2014-2020 nach thematischen Konzentrationen: Ziel

Milliarden Euro

Prozent

1

Stärkung von Forschung, technologischer Entwicklung und Innovation

43,7

9,6

2

Verbesserung der Nutzung und Qualität von Informations- und Kommunikationstechniken

14,2

3,1

3

Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU)

63,4

14,0

4

Förderung der Verringerung von CO2-Emissionen

45,0

9,9

5

Anpassung an den Klimawandel; Risikoprävention und Risikomanagement

29,1

6,4

6

Erhaltung und Schutz der Umwelt; Förderung der Ressourceneffizienz

60,6

13,3

7

Nachhaltigkeit im Verkehr; Beseitigung von Engpässen in wichtigen Netzinfrastrukturen

58,5

12,9

8

Förderung nachhaltiger und hochwertiger Beschäftigung; Mobilität und Arbeitskräfte

40,7

9,0

9

Förderung der sozialen Inklusion; Bekämpfung von Armut und Diskriminierung

44,5

9,8

10

Investitionen in Bildung, Ausbildung und Fortbildung; lebenslanges Lernen

34,5

7,6

11

Verbesserung der Effizienz in der öffentlichen Verwaltung

5,0

1,1

14,9

3,3

454,1

100

Übrige: technische Hilfen; Gebiete in äußerster Randlage; Maßnahmen, die nicht weitergeführt werden Insgesamt Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Der Vorschlag für den Finanzrahmen 2021-2027 sieht anstelle der jetzigen elf thematischen Ziele nur noch fünf Prioritäten vor: 1. „Ein intelligenteres Europa“ (Innovation, KMUs, digitale Technologien, industrielle Modernisierung) 2. „Ein grüneres, CO2-armes Europa“ (CO2-Reduzierung, Kreislaufwirtschaft, Klimawandel/Pariser Abkommen) 3. „Ein stärker vernetztes Europa“ (strategischer Transport, digitale Netzwerke) 4. „Ein sozialeres Europa“ (Beschäftigung, Bildung, soziale Inklusion) 5. „Ein bürgernäheres Europa“ (lokale Entwicklungsinitiativen und nachhaltige Stadtentwicklung). Die Prioritäten werden künftig national und nicht mehr regional festgestellt. Dies bedarf einer stärkeren Koordination zwischen Bund, Ländern und Regionen.

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Je nach Einstufung sollen die thematischen Schwerpunkte der Fördermittel anders gestaltet werden: Weniger entwickelte Regionen

Priorität 1 zu mindestens 35 Prozent, Priorität 2 zu mindestens 30 Prozent

Übergangsregionen

Priorität 1 zu mindestens 45 Prozent, Priorität 2 zu mindestens 30 Prozent

Weiter entwickelte Regionen

Priorität 1 zu mindestens 60 Prozent, Summe der Prioritäten 1 und 2 zu mindestens 85 Prozent

Quelle: Europäische Kommission (COM 372, 2018)

Kohäsionspolitische Mittelzuweisung In der öffentlichen Diskussion werden die Mittelverteilung und eventuelle Änderungen dieser Zuweisungen stark thematisiert. Hierzu muss man einige Unterschiede zwischen dem System der Mittelverteilung der jetzigen Förderperiode und dem Kommissionsvorschlag für den nächsten Finanzrahmen beachten. Mittelzuweisungskriterien im Finanzrahmen 2014-2020: Die Verteilung der Mittel auf die Mitgliedstaaten wird hauptsächlich nach BIP je Einwohner auf regionaler Ebene, Arbeitslosigkeit, Bevölkerung und Bevölkerungsdichte kalkuliert (Busch 2017). Voraussetzung der Förderung ist eine vertragliche Vereinbarung der Europäischen Kommission mit dem jeweiligen Mitgliedstaat. Vorgeschlagene Mittelzuweisungskriterien im Finanzrahmen 2021-2027: Die Bundesregierung und die Bundesländer haben im Vorlauf der Vorstellung des Kommissionsvorschlages für eine weitere Förderung aller europäischen Regionen geworben. Diesem Anliegen ist die Kommission gefolgt: alle 276 Regionen werden demnach weiterhin Zugang zu den Kohäsionsmitteln haben.

Haupttriebkraft für Veränderungen: Änderung des Pro-Kopf-BIP* 2007-2009 gegenüber 2014-2016 40 30 20 10 0 -10 -20 -30 EL CY ES IT FI NL PT SI HR SE FR BE DK AT CZ LU BG HU DE SK EE LV RO PL ML LT IE * in Prozentpunkten Quelle: Europäische Kommission

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Bei der Aushandlung von Programmen werden ebenfalls bestimmte Vorbedingungen erfüllt werden müssen (Ex-Ante Konditionalität). Diese sollen stärker mit den Empfehlungen aus der wirtschaftspolitischen Überwachung im Rahmen des Europäischen Semesters verbunden werden. Vergleich der Zuweisungen nach Mitgliedsstaat für Kohäsionspolitik, aktuelle und nächste Programmperiode: Mitgliedstaat

Zuweisung 2021-2027 (Mrd., Preise 2018)

Änderung zum Zeitraum 2014-2020 (%)

Beihilfeintensität (EUR/Kopf)

Änderung zum Zeitraum 2014-2020 (%)

BG

8,9

8

178

15

RO

27,2

8

196

17

HR

8,8

-6

298

0

LV

4,3

-13

308

0

HU

17,9

-24

260

-22

EL

19,2

8

254

12

PL

64,4

-23

239

-24

LT

5,6

-24

278

-12

EE

2,9

-24

317

-22

PT

21,2

-7

292

-5

SK

11,8

-22

310

-22

CY

0,9

2

147

-5

SI

3,1

-9

213

-11

CZ

17,8

-24

242

-25

ES

34,0

5

105

3

MT

0,6

-24

197

-28

IT

38,6

6

91

5

FR

16,0

-5

34

-9

FI

1,6

5

42

2

BE

2,4

0

31

-5

SE

2,1

0

31

-6

DE

15,7

-21

27

-20

DK

0,6

0

14

-3

AT

1,3

0

21

-4

NL

1,4

0

12

-3

IE

1,1

-13

33

-17

LU

0,1

0

16

-14

EU27

331

-9,9

106

-11

Quelle: Europäische Kommission

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

75 Prozent der Kohäsions- und Strukturfonds sollen weiterhin an unterentwickelte Regionen gehen. Dies ist prozentual gesehen mehr als in der bisherigen Budgetplanung. Die Berechnung der Mittel für die Regionen soll nach der Formel funktionieren: zu 80 Prozent BIP/Kopf und zu 20 Prozent Indikatoren zu Jugendarbeitslosigkeit, Bildungsgrad der Bevölkerung, Klimaveränderung, Aufnahme und Integration von Migranten. Nach Angaben der EU-Kommissarin für Regionalpolitik, Corina Cretu, müssen einige Länder mit Kürzungen der Kohäsionsmittel rechnen. Gründe hierfür sind der Brexit, die neue Prioritätensetzung Richtung Sicherheit und Migration sowie ein starker Aufholprozess einiger Regionen. Am Anfang ihrer EUMitgliedschaft lag deren BIP/Kopf-Wert bei 47 Prozent des EU-Durchschnitts, jetzt liegt dieser Wert bei 75 Prozent des EU-Durchschnitts. Erleichterungen für Unternehmen Unternehmen bemängeln den übermäßigen Verwaltungsaufwand, der sich aus der Beteiligung an kohäsionsgeförderten Projekten ergeben. In Extremfällen können zum Beispiel sieben Prüfungsverfahren für dieselbe Projektbeteiligung von verschieden Kontrollinstanzen durchgeführt werden. Der erhebliche Mehraufwand bewegt viele kleine und mittelständische Unternehmen in Deutschland dazu, auf die Kohäsionsgelder und Aufträge zu verzichten und sich für eigene Projekte andere Finanzierungsmöglichkeiten zu suchen. Der Vorschlag der Kommission sieht eine Reihe von Erleichterungen für Unternehmen und Verwaltungen vor: ▪ ▪ ▪ ▪ ▪

Geringere bürokratische Belastungen durch Einführung des Prinzips des einheitlichen Prüfverfahrens und des einheitlichen Regelwerks für alle Fördermittel. Höhere Flexibilität: fünf Prozent der Gelder können flexibel von einer regionalen Priorität zu einer anderen nach Bedarf umgeschichtet werden. Mitgliedstaaten dürfen Kohäsions- und Strukturfonds in das „InvestEU“-Schema umschichten. Synergien zwischen den verschiedenen Haushaltssäulen und Fonds werden gewährleistet. Die Einbindung der Smart Specialisation Strategies ist ein neuer und nützlicher Ansatz für Unternehmen in Clusterregionen.

Ex-Ante-Konditionalitäten bzw. grundlegende Voraussetzungen Ex-Ante-Konditionalitäten sind Voraussetzungen zur Förderung in der jetzigen Programmperiode. In der neuen Förderperiode ab 2021 heißen diese Prinzipien „grundlegende Voraussetzungen“ und greifen den Ansatz der Ex-Ante-Konditionalitäten auf. Sie zielen auf das öffentliche Auftragsvergabewesen, die staatlichen Beihilfen sowie die Achtung von Grundrechten ab. Die Smart Specialisation Strategy (Regionen mit ähnlichen Stärken spezialisieren sich auf ihre wettbewerbsfähigen Produkte und Dienstleistungen) wird ebenfalls von den grundlegenden Voraussetzungen gestärkt. Einige Wirtschaftswissenschaftler (Ciffolilli, Condello, Naldini, Richter 2018) wiesen den positive Zusammenhang zwischen Ex-Ante-Konditionalitäten und der Verbesserung der Vergabe und des Investitionsklimas sowie einem guten Einfluss auf Strukturreformen nach.

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Europäisches Semester Das Europäische Semester stellt den finanz-, haushalts- und wirtschaftspolitischen europäischen Koordinierungsrahmen dar. Dabei bewertet die Europäische Kommission die finanz- und haushaltspolitischen Pläne der Regierungen der Mitgliedstaaten und richtet „Länderspezifische Empfehlungen“ an diese. Innerhalb des Europäischen Semesters gibt es präventive und sanktionierende Instrumente zur Beseitigung von wirtschafts- oder haushaltspolitischen Regelverstößen. Die einzuhaltenden Kriterien wurden aus dem Maastrichter Vertrag mittels des „Two-Pack“ und des „Six-Pack“ abgeleitet. Da das Europäische Semester jährlich Analysen und Empfehlungen zu strukturellen Mängeln (oft auch Investitionsschwächen) der Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten bietet, ist es sinnvoll, über eine Verknüpfung des Europäischen Semesters mit der Regionalpolitik nachzudenken. Diese Verknüpfung soll nach Ansicht der Kommission an mehreren Stellen erfolgen: Am Anfang der Programmperiode 2021-2027 und bei der Festlegung der Roadmap (also der einzelnen Prioritäten). Die für 2024 angekündigte Halbzeitüberprüfung soll auf den länderspezifischen Empfehlungen basieren. Mitgliedstaaten sind dazu aufgerufen, ihre Fortschritte der Kommission regelmäßig zu melden. Geplante Sanktionen bei Nichteinhaltung der Empfehlungen des Europäischen Semesters Falls ein Mitgliedstaat gegen die Regelwerke der europäischen Wirtschafts- und Haushaltsgovernance (wie Excessive Deficit Procedure, Excessive Imbalance Procedure, ggf. ESM-Programme) verstößt, darf die Kommission dem Rat einen Vorschlag unterbreiten, alle oder einen Teil der Strukturfondsmittel für dieses Land einzufrieren. Der Rat kann diesen Vorschlag ablehnen, falls eine qualifizierte Mehrheit dagegen zustanden kommen sollte („Reversed QMV-Prozedur“). Nach Beseitigung der festgestellten Regelverstöße darf die Kommission ggf. einer Bitte des Mitgliedsstaats folgen und dem Rat empfehlen, diese Sperrung des Zugangs zu den Strukturfonds aufzuheben. Rechtsstaat als Voraussetzung von gutem EU- Finanzmanagement Dem Prinzip der Ex-Ante-Konditionalitäten bzw. grundlegenden Voraussetzungen folgend, schlägt die Kommission einen neuen Mechanismus vor: im Falle von gravierenden Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit und den damit einhergehenden schwachen Verwaltungsinstitutionen bzw. Verwaltungsqualität und -prüfung soll es ein Instrument geben, den Zugang des betroffenen Mitgliedstaates zu den europäischen Fördertöpfen einzufrieren. Das Ziel ist, eine unzweckmäßige Verwendung der europäischen Mittel zu beschränken und zu verhindern. Genauer soll auf die Einhaltung der Rechtsstaatlichen Prinzipien geachtet werden, wie: Legalität, Rechtssicherheit, Verbot der Willkür der Exekutivgewalten, Gewaltenteilung und wirksamer gerichtlicher Schutz durch unabhängige Gerichte (letzteres wird in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Artikel 47 vorgesehen). Legale Basis dieses Mechanismus sind Artikel 2, 19 und 317 AEUV. Wie soll festgestellt werden, dass eine Rechtsstaatsschwächung vorliegt? Die Europäische Kommission müsste ein qualitatives Assessment durchführen, um eine Rechtsstaatsschwächung festzustellen. Dazu würden Informationen von allen möglichen Quellen und anerkannten Institutionen genutzt, z. B. Urteile des EuGHs, Berichte des Europäischen Rechnungshofes, Schlussfolgerungen und Empfehlungen relevanter internationaler Organisationen

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

und Netzwerke wie dem Europarat oder dem europäischen Netzwerk von obersten Gerichten der Justiz.

InvestEU Verschiedene Investitionsfinanzierungsmöglichkeiten sollen im neuen MFR unter einem Dach namens „InvestEU“ gebündelt werden, z. B.: European Fund for Strategic Investments (EFSI), Connecting Europe Facility (CEF), einige Instrumente des Competitiveness of Enterprises and Small and Medium-sized Enterprises (COSME) und InnovFin. Darüber hinaus soll eine Beratungsplattform technische Unterstützung sowie Hilfe bei Vorbereitung, Entwicklung und Durchführung von Projekten bieten. Mit Hilfe des dazugehörigen Portals InvestEU sollen Investoren und Projektträger zusammengeführt werden. Mit InvestEU sollen zusätzliche Investitionen in Höhe von 650 Milliarden Euro mobilisiert werden. Der Investitionsfokus liegt auf nachhaltiger Infrastruktur, Forschung, Innovation und Digitalisierung, KMU, sozialen Investitionen und Kompetenzen. Funktionsweise von InvestEU Mithilfe von Garantien aus dem EU-Haushalt (38 Milliarden Euro) werden Investitionsprojekte von Finanzpartnern wie z. B. der Europäischen Investitionsbank (EIB) besichert. Private Finanzpartner investieren wiederum in die garantierten Projekte. Als Modell gilt der EFSI, der erfolgreich von der EIB umgesetzt wurde. Kohäsionsmittel und InvestEU Jedem Mitgliedstaat steht es frei, einen freiwilligen Betrag von bis zu fünf Prozent seiner kohäsionspolitischen Mittel für InvestEU umzulegen. Synergien In der Vergangenheit haben Unternehmen oft und ausgiebig die Zersplitterung und Unübersichtlichkeit der europäischen Finanzierungslandschaft bemängelt. Die Europäische Kommission räumt mit dem MFR-Vorschlag erstmalig die Möglichkeit ein, Mittel aus verschiedenen Fördertöpfen zu kombinieren, und zwar: ▪ ▪ ▪

Horizon Europe (Fortsetzung von Horizon 2020) und Kohäsionsprojekte durch ein „Seal of Excellence“. Mittelkombinationen aus dem EFRE und ESF+ für urbane Entwicklungsprojekte. Förderung durch Horizon Europe für Forschung und Innovation in den Bereichen Landwirtschaft, Ernährung und ländliche Entwicklung (Synergien mit der Gemeinsamen Agrarpolitik). InvestEU und kohäsionspolitische Mittel.

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Fazit Angesichts der Herausforderungen, die sich durch den Brexit und durch die neuen europäischen Prioritäten wie Sicherheit, Grenzschutz und Migration ergeben, ist der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 solide und ambitioniert. Die Kohäsions- und Strukturpolitik muss ihren investitions- und innovationsfördernden Charakter stärken, um zur Konvergenz der Regionen beizutragen. Die Reduzierung der thematischen Schwerpunkte kommt dem Grundsatz einer schlankeren Handhabung der Fonds und Projekte entgegen und ist daher eine bedeutende Verbesserung zur Bürokratieentlastung der Empfänger, die oft auch Unternehmen sind. Die Europäische Kommission will die industrielle Modernisierung, Innovation und KMUs besser fördern. Die Regional- und Kohäsionspolitik hat darunter gelitten, dass sie in der Vergangenheit als separates Politikfeld innerhalb der EU gesehen wurde. Dies Bild ist verzerrt. Da das Herzstück der Kohäsionspolitik in der Förderung und Angleichung der verschiedenen Wirtschaftsräume liegt, kann die Regionalpolitik erheblich zu höheren Investitionen in schwachen Regionen beitragen. Die Verknüpfung der Kohäsionspolitik mit dem Europäischen Semester und anderen Investitionsfonds, die zukünftig unter dem InvestEU-Dach gebündelt werden sowie die Mitberücksichtigung solcher Indikatoren wie Jugendarbeitslosigkeit, Bildungsgrad, Klimaveränderung und Aufnahme von Migranten ist zielführend und wird, wenn richtig umgesetzt, zu Investitionssynergien führen. Besonders wichtig für ein gutes Investitionsklima auf regionaler Ebene ist der Bürokratieabbau bei der Antragstellung, -verwaltung und -prüfung. Konditionalität vor und nach der Projektfinanzierung sollte selbstverständlich werden. Die Vereinfachungen für Verwaltung, Unternehmen und weitere Organisationen wie Universitäts- oder Forschungseinrichtungen wurden von Vertretern der Zivilgesellschaft und Unternehmern (insbesondere KMU) in den letzten Jahren immer wieder gefordert. Es ist sehr erfreulich, dass diese verwaltungstechnischen Erleichterungen nun auch ernsthaft umgesetzt werden sollen.

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Regionaler Ausgleich durch Investitionen

Quellenverzeichnis Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2014). EU-Strukturpolitik in Deutschland. Busch, Berthold 2017. IW-Analysen 121. Kohäsionspolitik in der Europäischen Union. Köln. Ciffolilli, Andrea; Condello, Stefano; Naldini, Richter, Sandor (2018). Support of ESI Funds to the implementation of the Country Specific Recommendations and to structural reforms in Member States. Juni. Luxemburg. Europäische Kommission 2016. Verordnung 2016/2066. 21. November. Brüssel. -- 2017. Reflection paper on the future of EU finances. 28. Juni. Brüssel. -- 2018a. Single market, innovation and digital – legal texts and factsheets. 6. Juni. Brüssel. -- 2018b. EU Budget for the future. New legislative package for cohesion policy 2021-2027. Brüssel. Europäisches Parlament 2018. Multiannual Financial Framework 2021-2027: Commission Proposal - Initial comparison with the current MFF. 4. Mai. Haas, Jörg; Rubio, Eulalia 2017. Brexit and the EU Budget: Threat or Opportunity? 16. Januar.

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29 10178 Berlin T: +49 30 2028-0 www.bdi.eu Autorin Valerie Ross T: +49 30 2028 1623 v.ross@bdi.eu Redaktion/Grafiken Dr. Klaus Günter Deutsch T: +49 30 2028 1591 k.deutsch@bdi.eu Marta Gancarek T: +49 30 2028 1588 m.gancarek@bdi.eu

BDI-Dokumentennummer: D 1029

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