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Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
November 2019
Der aktuelle Wasserstoff-Hype hat seine Berechtigung. Denn Wasserstoff bietet Chance, die Kli23.eine Oktober 2017 maschutzziele beim gleichzeitigen Erhalt der industriellen Wertschöpfung in Deutschland und der EU zu erreichen. Wasserstoff kann die Zukunft der energieintensiven Branchen wie der Stahl- und der Chemieindustrie in Deutschland sichern und eine nachhaltige Transformation im Transport- sowie im Wärmesektor unterstützen. Zugleich eröffnen Wasserstofftechnologien neue Exportmöglichkeiten für die deutsche Industrie. Schließlich hat das erste Element des Periodensystems der Elemente das Potenzial, die Energiewende auf globaler Ebene voranzutreiben. Nun muss es seinen Weg in den Markt finden. Auf Grundlage seiner „Industrie-Roadmap für den Einsatz klimafreundlicher Gase“ stellt der BDI in diesem Positionspapier Maßnahmen vor, die aus Sicht der deutschen Industrie erforderlich sind, um den Technologiehochlauf zu unterstützen. Diese Maßnahmen sollen aus Sicht der deutschen Industrie bereits in der Nationalen Wasserstoffstrategie adressiert und im Rahmen des europäischen Gaspakets weiter vertieft werden. Das langfristige Ziel ist es, einen liquiden Wasserstoffmarkt sowohl in Europa als auch global zu schaffen. Denn nur so können die Bedarfe des Industrie-, Verkehrs- und künftig auch des Wärmesektors gedeckt werden.
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Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
Executive Summary
1. Rahmenbedingungen schaffen: Branchenübergreifende Maßnahmen zum Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wasserstoffwirtschaft Die Wettbewerbsfähigkeit von klimaneutralem Wasserstoff verbessern: ▪
Operative Kosten durch eine EEG-Befreiung für klimafreundliche Verfahren zur Wasserstoffherstellung senken. Hierfür ist eine Ausweitung der Kategorie „Herstellung von Industriegasen“ (20.11) in Anlage 4 (Liste 1) des EEG 2017 sowie eine differenzierte Abschaffung des Rückverstromungserfordernises nach § 61l Abs. 1 und 2 EEG 2017 notwendig.
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Investitionen in erste Anlagen zur Wasserstoffherstellung im industriellen Maßstab sollen mit einem Marktanreizprogramm unterstützt werden.
Ein CO2-basiertes Zertifizierungssystem für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase in Anlehnung an eine europäische Klassifizierung der Gastypen implementieren: ▪
Für die Klassifizierung der verschiedenen Gastypen sollte der tatsächliche CO 2-Fußabdruck maßgeblich sein. Eine Einigung auf eine EU-weite Klassifizierung sollte zügig erzielt werden.
▪
Auf Grundlage der einheitlichen Klassifizierung sollte ein europaweites Zertifizierungssystem für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase implementiert werden. Die Zertifikate für Gase müssen über die heute geltenden Anforderungen an Herkunftsnachweise für Strom hinausgehen und die Angaben zum CO2-Fußabdruck mit einbeziehen.
Regulatorische Grundlagen für den Aufbau von Wasserstoffinfrastrukturen schaffen: ▪
Es bedarf eines erweiterten, technologieoffenen Wasserstoffbegriffs im EnWG. Zum Beispiel könnte Wasserstoff als dritte Gasqualität neben L- und H-Gas definiert werden. Wichtig ist, dass hierdurch der Transport von reinem Wasserstoff ermöglicht wird.
▪
Darüber hinaus sollte ein Rechtsrahmen für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase im Netzentwicklungsplan Gas definiert werden.
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Schließlich bedarf es einer Entscheidung zum künftigen Zielmodell des Marktdesigns für Gase. Aus heutiger Sicht scheint die Entwicklung von parallelen Methan- und Wasserstoff-Infrastrukturen auf der Transportebene mit Möglichkeiten punktueller Wasserstoffbeimischung auf der Verteilnetzebene eine Lösung darzustellen, die den Anforderungen verschiedener Verbrauchergruppen gerecht werden kann. Die Beimischung darf dabei nur in den Netzgebieten erfolgen, in denen keine sensiblen Anlagen angeschlossen sind.
Maßnahmen zur Entwicklung einer Power-to-X-Importstrategie ergreifen: ▪
Als erster Schritt in der Entwicklung einer Importstrategie von klimaneutralen und treibhausgasarmen Energieträgern bedarf es bereits kurzfristig erster Demonstrationsprojekte von internationalen Lieferketten mit deutscher Beteiligung.
▪
Zur Durchführung von internationalen Power-to-X-Aktivitäten sollte eine ressortübergreifende Koordinierungsstelle etabliert werden.
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Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
2. Nachfrage schaffen: Maßnahmen für den „Kick-Off“ der Markteinführung im Raffinerie- und Fahrzeugbereich – der erste Bereich der Roadmap des BDI Regulatorische Spielräume der Renewable Energy Directive II (RED II) für den Markthochlauf von erneuerbarem Wasserstoff nutzen: ▪
Art. 25 (1a): Erneuerbarer Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe sollen als Erfüllungsoptionen zur Erreichung des Erneuerbaren-Energien-Ziels im Verkehr anerkannt werden.
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Zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sollte die Erarbeitung relevanter delegierter Rechtsakte adressiert werden: nach Art. 27 (3) RED II zur Entwicklung einer Methodologie zur Berechnung des erneuerbaren Anteils beim Strombezug aus dem Netz; nach Art. 25 (2) zur Berechnung von CO2-Einsparungen unterschiedlicher synthetischer Kraftstoffe.
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Eine Erhöhung des Ambitionsniveaus in der nationalen Umsetzung von Art. 25 zum Erneuerbaren-Energien-Ziel könnte den Markthochlauf zusätzlich unterstützen. Im Fall der Einführung einer technologiespezifischen Unterquote müssen Wettbewerbsverzerrungen zwischen verschiedenen Unternehmen bzw. Standorten und die Erreichbarkeit der Quote (u. a. Mengenverfügbarkeit, technische Machbarkeit) adressiert werden.
Durch substanzielle Förderung von synthetischen Kraftstoffen den Markthochlauf zusätzlich unterstützen: ▪
Das Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) könnte ein geeignetes Instrument zum Hochlauf synthetischer Kraftstoffe darstellen. Dies könnte durch Mehrfachanrechnungen in Form von Zusatzzertifikaten geschehen, um die jeweiligen höheren CO 2-Vermeidungskosten dieser Kraftstoffe über die Hochlaufphase auszugleichen.
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Sollte die europäischen Energiesteuerrichtlinie künftig eine vollständige Reduktion der Energiesteuer für synthetische Kraftstoffe erlauben, könnte die Anzahl der Zertifikate für die Mehrfachanrechnung im Rahmen des BEHG Ende der 2020er Jahre teilweise zurückgefahren werden.
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Zudem sollte die Anrechenbarkeit von synthetischen Kraftstoffen auf die EU-Flottenemissionsgrenzwerte in den anstehenden Review-Prozessen ermöglicht werden.
3. Strategisch planen: Maßnahmen für die Umsetzung der mittel- bis langfristigen Schritte der Industrie-Roadmap des BDI Rahmenbedingungen für die Markteinführung alternativer Kraftstoffe im Luftverkehr schaffen: ▪
Es bedarf einer europäischen PtL-Roadmap für den Aufbau von Anlagen zur Produktion von alternativen Kraftstoffen. Zudem fordert der BDI eine Absichtserklärung der Bundesregierung, einen signifikanten Anteil der Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer (>30 Prozent) in die Förderung des Markthochlaufs dieser Technologien zu investieren.
Potenziale von Wasserstoff im Wärmemarkt berücksichtigen und deren Entwicklung politisch stärker vorantreiben: ▪
Im Förderregime sollte Technologieoffenheit gewahrt und die Förderfähigkeit der Brennwerttechnik dauerhaft erhalten bleiben. Bei der Weiterentwicklung der Anforderungen zur energetischen Bewertung des Gebäudesystems sollte die mögliche Nutzung erneuerbarer Gase und Brennstoffe als Energieträger berücksichtigt werden.
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Bei den nationalen Vorgaben für die Wärmeerzeuger muss Kompatibilität zu EU-Vorgaben, u. a. EU-Ökodesign-Richtlinie, gewährleistet werden.
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Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
Von der Industrie-Roadmap zu strategischen Maßnahmen Das vorliegende Papier baut auf dem im Juli 2019 veröffentlichten Diskussionspapier Eine IndustrieRoadmap für den Einsatz klimafreundlicher Gase des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) auf12. Die Industrie-Roadmap wurde im Rahmen des Dialogprozesses des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) „Gas 2030“ erarbeitet, den der BDI ausdrücklich begrüßt.
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* Untersuchungen zur Überprüfung der Wasserstoffverträglichkeit im Bestand sind gestartet. Die entsprechenden Projekte3 haben eine Laufzeit von drei Jahren, so können weiterführende Ergebnisse bereits bis 2025 vorgelegt werden.
Grafik 1: Anwendungsbereiche für klimafreundliche Gase in verschiedenen Sektoren. Quelle: BDI, 2019.
Aus Sicht des BDI bedarf es für die Markteinführung klimafreundlicher Gase einer Fokussierung auf den Industrie- und Verkehrssektor, um bereits kurzfristig eine wettbewerbsfähige Technologieentwicklung und die erforderlichen Kostenreduktionen zu erzielen. Insbesondere können große Industriestandorte und auch -regionen mit einem großen zur stofflichen Verwendung vorgesehenem Wasserstoffbedarf- eine große Abnahme sicherstellen. Die hierbei erzielten Reduktionen der Wasserstoffgestehungskosten können in einem späteren Schritt die Markteinführung von Wasserstoff in anderen Sektoren unterstützen.
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BDI (2019). Eine Industrie-Roadmap für den Einsatz klimafreundlicher Gase. Die einzelnen Pfeile geben eine Indikation für den Beginn des Markthochlaufs bestimmter Technologien in den identifizierten Anwendungsbereichen/Implementierung notwendiger regulatorischer Maßnahmen/Infrastrukturmaßnahmen usw.; sie geben allerdings kein Enddatum vor. 3 Z. B. ist hier das Projekt DVGW Roadmap Gas 2050 zu nennen. 2
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Auf der Anwendungsseite (Grafik 1) beginnt die Roadmap mit den Industrien, die bereits heute den Wasserstoff aus der Erdgasreformierung in ihren Prozessen nutzen und diesen sukzessive durch klimaneutralen Wasserstoff ersetzen können. So wird heute in den Raffinerien und in der chemischen Industrie der Wasserstoff aus der Erdgasreformierung für stoffliche Nutzung eingesetzt. Die sukzessive Substitution dieses fossilen Wasserstoffs, durch klimaneutralen Wasserstoff, eröffnet eine kosteneffiziente und ab sofort verfügbare Integrationslösung von klimaneutralem Wasserstoff in den Wirtschaftskreislauf. Um in der Stahlindustrie eine weitestgehende Reduzierung der CO 2-Emissionen zu erreichen, ist eine vollumfassende Transformation der integrierten Primärstahlerzeugung notwendig. Die Bereitstellung von ausreichenden und gesicherten Wasserstoffmengen zu wettbewerbsfähigen Kosten, stellt dabei die einzige Option zur Klimaneutralität dar. Denn klimaneutraler Wasserstoff ist sowohl für die Transformation der Stahlproduktion von der bisherigen Hochofenroute zu einer Direktreduktionsmetallurgie (in Verbindung mit Elektrolichtbogenöfen) als auch für die weitere Nutzung und Kreislaufführung von prozessbedingt entstehendem CO2 im industriellen Wertschöpfungsverbund (Carbon Capture and Utilization) unabdingbar.
Grafik 2: Gasnetzinfrastruktur, technische Aspekte der Infrastruktur, Dargebot und regulatorische Instrumente. Quelle: BDI, 2019.
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Langfristig wird eine Substitution von fossilem Erdgas in allen Sektoren angestrebt, was eine Anpassung der Gasinfrastruktur und des Marktdesigns für Gase erfordert (Grafik 2). Um die Anfangsinvestitionen möglichst effektiv zu gestalten, könnte in der ersten Phase der Markteinführung auf lokale Lösungen zur Wasserstofferzeugung und bereits bestehende Wasserstoffinselnetze zurückgegriffen werden, die über Umstellung von Teilen der bestehenden Gasinfrastruktur erweitert werden können. Diese sind No-Regret-Maßnahmen, da hiermit die Wasserstoffversorgung der Branchen sichergestellt wird, die den reinen Wasserstoff in ihren Prozessen benötigen. Es ist bereits aus heutiger Sicht zu erwarten, dass der Bedarf an reinem Wasserstoff insbesondere bei großindustriellen Verbrauchern langfristig vorhanden bleibt oder tendenziell steigt. Es muss deshalb der Grundsatz einer technologieoffenen Förderung von klimaneutralen und treibhausgasarmen Wasserstoffherstellungsverfaren verfolgt werden, um das übergeordnete Ziel der Reduktion von CO2-Emissionen abzubilden. In dieser ersten Phase soll zudem eine tiefgehende Untersuchung der potenziellen Szenarien zur künftigen Infrastrukturentwicklung durchgeführt werden. Das strategische Ziel solch einer Evaluierung ist die Festlegung eines Zielmodells bzw. Marktdesigns für eine flächendeckende Nutzung kli-mafreundlicher Gase in Deutschland und im nächsten Schritt auch in der EU. Auf Grundlage der Industrie-Roadmap formuliert der BDI nun konkrete Maßnahmen, die für einen erfolgreichen Startschuss einer Nationalen Wasserstoffstrategie aus Sicht der deutschen Industrie notwendig sind. Im ersten Teil werden branchenübergreifende Maßnahmen adressiert; im zweiten Teil des Papiers werden Maßnahmen für den „Kick-Off“ des Markthochlaufs im Raffineriebereich – dem ersten Bereich der BDI-Roadmap – dargestellt; schließlich werden im dritten Teil Maßnahmen zur Unterstützung der mittel- bis langfristigen Schritte der Roadmap behandelt. Die verwendete Terminologie zur Bezeichnung verschiedener Gastypen wurde an den aktuellen Vorschlag der europäischen Gasindustrie angelehnt (s. Anhang 1) 4. Im Unterschied zu diesem Vorschlag hält der BDI Schaffung einer gemeinsamen Kategorie – „klimaneutrale Gase“ - für Gase mit einem CO2-Fußabdruck von weniger als 10 Prozent bzw. für die bisherigen Kategorien erneuerbare und dekarbonisierte Gase für sinnvoll5. Die Gase innerhalb dieser Kategorie sollen regulatorisch gleichgestellt werden (s. Kapitel 1.2.). Unter dem Begriff „synthetische Kraftstoffe“ versteht dieses Positionspapier sowohl strombasierte Kraftstoffe (auf Basis des elektrolytisch erzeugten Wasserstoffs) als auch Kraftstoffe, bei deren Herstellung dekarbonisierter Wasserstoff eingesetzt wird. Der Begriff „alternative Kraftstoffe“ umfasst sowohl synthetische Kraftstoffe als auch Biokraftstoffe.
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Vorgestellt beim 33. Madrid Forum am 23. – 24. Oktober 2019. Diese Gase weisen max. 9,1 g CO2-äquiv. pro Mol Wasserstoff auf. 6
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1. Branchenübergreifende Maßnahmen zum Aufbau einer wettbewerbsfähigen Wasserstoffwirtschaft 1.1 Die Wettbewerbsfähigkeit von klimaneutralem Wasserstoff verbessern Die Gestehungskosten von klimaneutralem Wasserstoff werden durch die Technologiekosten der Anlagen (CAPEX), die Laufzeiten (Volllaststunden) und vor allem die Stromkosten (OPEX) beeinflusst. Nur durch Dämpfung der zentralen Kostentreiber kann die aktuelle Kostendifferenz zwischen dem klimaneutralen und dem im Prozess der Erdgasreformierung erzeugten Wasserstoff reduziert werden. 1.1.1
EEG-Befreiung für klimafreundliche Verfahren zur Wasserstoffherstellung
Der mit erneuerbaren Energien erzeugte Strom wird dauerhaft von Umlagen und Abgaben – allen voran der EEG-Umlage – befreit werden müssen, um die Gestehungskosten von Wasserstoff in Deutschland zu senken. Die im Klimaschutzprogramm 2030 in Aussicht gestellte EEG-Entlastung ist für die nationale, technologische Entwicklung wirtschaftlicher Power-to-X-(PtX) Konzepte dabei absolut unzureichend6. Der BDI hält eine Ausweitung der Kategorie „Herstellung von Industriegasen“ (20.11) in Anlage 4 (Liste 1) des EEG 2017 und somit Entlastung von der EEG-Umlage zumindest auf stand-alone Anlagen für notwendig, sprich für Anlagen, die Strom nicht von einer gemäß BesAR entlasteten Abnahmestelle beziehen, aber Wasserstoff zum Zwecke der industriellen Nutzung (u.a. stoffliche Nutzung, Kraftstoffherstellung) nachweisbar produzieren. Eine zusätzliche regulatorische Möglichkeit bietet die Abschaffung der Rückverstromungserfordernis nach § 61l Abs. 1 und 2 EEG 2017, wenn zur Wasserstoffproduktion Strom eingesetzt wird, der nachweislich aus erneuerbaren Energien stammt. Zusätzlich ist einzubeziehen, dass PtX-Anlagen bei einem netzdienlichen Betrieb eine angemessene Vergütung dafür erhalten, dass der Netzbetreiber das Ausmaß an Redispatch-Maßnahmen verringern kann. Dies kann ggf. auch über eine vertragliche Regelung zwischen Netzbetreiber und PtX-Betreiber sichergestellt werden, die von der BNetzA anzuerkennen ist. Bei den genannten Neuregelungen ist von entscheidender Bedeutung, dass die jeweilige regulatorische Situation von Stromnebenkosten (Abgaben, Umlagen, Steuern) am Tag der finalen Genehmigung einer Investition (FID – Final Investment Decision) für den üblichen Anlagenhorizont von 15 - 20 Jahren festgeschrieben ist und bleibt. Zukünftige Änderungen können sich nur auf zukünftige Anlageninvestitionen beziehen, nicht auf existierende Assets. 1.1.2
Ein Marktanreizprogramm zur Förderung von Investitionskosten von Anlagen zu Wasserstoffherstellung einführen
Trotz der bereits vorhandenen Technologieentwicklungen sind die infrage kommenden Anlagen zur Erzeugung von klimaneutralem Wasserstoff überwiegend noch nicht wettbewerbsfähig. Zudem ist zu betonen, dass insbesondere bei der Integration von erneuerbarem Wasserstoff in industrielle Prozesse kurz- bis mittelfristig beide Erzeugungsstrukturen von Wasserstoff (Erdgasreformer und ElektrolyseAnlage) doppelt vorgehalten werden müssten. Ein Marktanreizprogramm zur Förderung von Investitionskosten könnte die Markteinführung und Skalierung unterstützen. Dafür müsste es allerdings weit über die „Reallabore für die Energiewende“ hinausgehen und Anlagen im industriellen Maßstab umfassen. Zunächst sollte sich das Programm auf die Bereiche fokussieren, in denen ein möglichst kosteneffizienter Markthochlauf zu erwarten ist. Da-
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2021 – 3 Prozent, 2022 – 6 Prozent, 2023 – 10 Prozent der Umlagehöhe im Jahr 2019. 7
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von ist zunächst bei der stofflichen Nutzung des Wasserstoffs in der Industrie und in der Kraftstoffproduktion auszugehen. Eine weitere Voraussetzung für die Zuschlagszuteilung könnte sein, dass die Elektrolyseure an den infrage kommenden Standorten netzdienlich eingesetzt werden können. Die Höhe der Investitionsförderung kann z. B. im Rahmen einer Ausschreibung für Euro/MW installierter Kapazität ermittelt werden.
1.2 Ein CO2-basiertes Zertifizierungssystem für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase in Anlehnung an eine europäische Klassifizierung der Gastypen implementieren Die Festlegung von Standards und Definitionen gasförmiger Energieträger ist eine wichtige Grundlage für den Markthochlauf klimafreundlicher Gase und Kraftstoffe. Ebenso ist eine einheitliche Klassifizierung Grundvoraussetzung für eine mögliche Anrechenbarkeit von klimafreundlichen Gasen auf die Erfüllung von erneuerbaren-Energien-Zielen bzw. Quoten sowie CO2-Minderungszielen. 1.2.1
Klassifizierung: Eine transparente Terminologie in der Nationalen Wasserstoffstrategie implementieren, eine Einigung auf EU-Ebene zügig erzielen
Die aktuell geläufige Klassifizierung nach Wasserstofffarben – „grün“, „blau“, „grau“ – bietet keine Transparenz in Bezug auf die tatsächliche CO 2-Einsparung, die mit der Nutzung dieser Gase verbunden ist. Aus Sicht des BDI stimmt dieser Ansatz mit dem übergeordneten Ziel einer CO2-Minderung nicht überein. Stattdessen sollte für die Klassifizierung der verschiedenen Gastypen der tatsächliche CO2-Fußabdruck maßgeblich sein, unabhängig von der Technologie und dem Rohstoff, mit dem das Gas hergestellt wird. Die Nationale Wasserstoffstrategie sollte vor diesem Hintergrund eine neue Richtung vorgeben. Die Klassifizierung von Gasen könnte sich an dem aktuell vorliegenden Vorschlag der europäischen Gasindustrie für eine einheitliche EU-weite Klassifizierung der Gase orientieren (s. Anhang 1). Dieser Ansatz sollte jedoch weiterentwickelt werden, um dem Grundsatz einer Klassifizierung auf Basis des tatsächlichen CO2-Fußabdrucks zu entsprechen. So hält der BDI Schaffung einer übergreifenden Kategorie – klimaneutrale Gase – für notwendig. Diese soll alle Gase mit einem CO2-Fußabdruck von weniger als 10 Prozent miteinbeziehen, um somit eine regulatorische Gleichstellung von erneuerbaren und dekarbonisierten Gasen zu ermöglichen. Zudem sollte synthetisches Methan auch bei dekarbonisierten und treibhausgasarmen Gasen berücksichtigt werden (s. Anhang 1). Der Terminologievorschlag der europäischen Gasindustrie soll im Rahmen der anstehenden Verhandlungen zum europäischen Gaspaket bzw. „decarbonisation package“ weiterentwickelt werden. Dennoch hält der BDI eine möglichst zeitnahe Einigung auf eine EU-weite Klassifizierung z.B. im Rahmen einer Commission Recommendation (entkoppelt von der Verabschiedung des Gesamtpakets) für erforderlich. Ein wesentlicher Grund hierfür sind die Vorgaben des Art. 19 RED II, die eine Ausweitung der Ausstellung von Herkunftsnachweisen auf Gase ermöglichen. Die Umsetzungsfrist der RED II ist Juni 2021. Ohne eine einheitliche Klassifizierung besteht die Gefahr, dass Art. 19 je nach Mitgliedstaat unterschiedlich umgesetzt wird, was zu einem späteren Zeitpunkt die Etablierung eines EU-weiten Herkunftsnachweissystems für Gase und die Handelbarkeit von Zertifikaten negativ beeinflussen könnte7. 1.2.2
Ein CO2-basiertes Zertifizierungssystem für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase in Anlehnung an eine EU-weite Klassifizierung einführen
Auf Grundlage der einheitlichen Klassifizierung sollte ein europaweites Zertifizierungssystem für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase implementiert werden. Die Zertifikate für Gase müssen über
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So hat Österreich Art. 19 RED II im September 2019 bereits umgesetzt (275. Verordnung der E-Control über die Regelungen zur Gaskennzeichnung und zur Ausweisung der Herkunft nach Primärenergieträgern). 8
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die heute geltenden Anforderungen an Herkunftsnachweise für Strom hinausgehen und die CO 2-Komponente bzw. Angaben zum CO2-Fußabdruck mit einbeziehen8. Dies ist unter anderem deshalb notwendig, um darauf aufbauend Produkte und Dienstleistungen, wie z.B. „grünen Stahl“ oder CO2-arme Transporte, entsprechend ausweisen zu können. Somit wird ein Link zwischen den bisher getrennten Herkunfts- und Nachhaltigkeitsnachweissystemen geschaffen, was zur Wertigkeit der Zertifikate und somit zur Wirtschaftlichkeit der Wasserstofferzeugung beitragen kann. Die Voraussetzung hierfür ist allerdings die Anrechenbarkeit solcher Zertifikate auf EE- und CO2-Minderungsziele bzw. Quoten sowie die Möglichkeit der bilanziellen Anrechenbarkeit, die ggf. einer geografischen Einschränkung unterliegen könnten. Die bilanzielle Anrechenbarkeit ist insbesondere in der Markteinführungsphase von hoher Bedeutung, solange die Möglichkeiten einer physischen Lieferung durch die begrenzten Erzeugungs- und Netzkapazitäten eingeschränkt sind. Schließlich ist aus Sicht des BDI eine Zusammenführung der bestehenden und künftigen nationalen Registersysteme in einem zentralen Register für einen effektiven Zertifikatehandel notwendig.
1.3 Regulatorische Grundlage für den Aufbau von Wasserstoffinfrastrukturen schaffen Wasserstoffnetze Es ist bereits aus heutiger Sicht zu erwarten, dass der Bedarf an reinem Wasserstoff insbesondere bei großindustriellen Verbrauchern langfristig bestehen bleibt oder tendenziell steigt9. Die Kapazitäten der bestehenden Wasserstoffinselnetze werden mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ausreichen, um diesen und den künftigen Bedarf anderer Sektoren zu decken. Daher spricht sich der BDI für die Etablierung dezidierter Wasserstoffnetze aus. Zwar wäre schon im heutigen Rechtsrahmen ein öffentliches Wasserstoffnetz möglich, wenn die Bundesnetzagentur entsprechende Entscheidungen treffen würde. Die Anforderungen, insbesondere zur Wahrung der Interessen der Netznutzer und der technischen Sicherheit, wären allerdings ohne die notwendigen Änderungen am Rechtsrahmen sehr hoch. Daher sind die regulatorischen Grundlagen anzupassen. 1.3.1
Eine technologieoffene Definition von Wasserstoff im EnWG einführen und eine Kostenwälzung für den Aufbau von Wasserstoffnetzen ermöglichen
Wasserstoff als solcher ist in der aktuellen Fassung des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) nicht definiert. Die Anwendbarkeit des EnWG ist ausschließlich auf, mit „weit überwiegend erneuerbarem Strom“10 erzeugten, elektrolytischen Wasserstoff beschränkt, der als Biogas und nur als Beimischung zum Erdgas im Methannetz behandelt wird (§3 (10c) EnWG). Das Potenzial anderer Wasserstoffherstellungspfade findet im bestehenden Rechtsrahmen keine Berücksichtigung. Zudem führt die bestehende Privilegierung von Biogas zu Problemen beim Aufbau von Wasserstoffnetzen in Bezug auf Anschluss- und Zugangsverweigerungsrechte11.
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Dies soll allerdings die Ausstellung von einfachen Herkunftsnachweisen für Gase (als Vorstufe zu Gas-Zertifikaten) sowie die Einbeziehung weiterer Nachhaltigkeitskriterien nicht ausschließen (Rucksackprinzip). Die Zertifikate mit Angaben zum CO2-Fußabdruck sollten aber das zentrale Instrument darstellen. 9 S. hierzu auch „Industrie-Roadmap für den Einsatz klimafreundlicher Gase“ (BDI, 2019). 10
Wasserstoff aus der Elektrolyse gilt als Biogas, wenn der zur Elektrolyse eingesetzte Strom nachweislich weit überwiegend aus erneuerbaren Energiequellen im Sinne der Richtlinie 2009/28/EG stammt. „Weit überwiegend“ wird dabei im EnWG nicht näher definiert. 11 Für nähere Informationen dazu siehe eine rechtswissenschaftliche Studie des IKEM „Rechtsrahmen für ein H2-Teilnetz. Nukleus einer bundesweiten, öffentlichen Wasserstoffinfrastruktur“ (September 2019). 9
Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
Der BDI spricht sich daher für die Einführung eines erweiterten, technologieoffenen Wasserstoffbegriffs im EnWG aus. Zum Beispiel könnte Wasserstoff als dritte Gasqualität neben L- und H-Gas definiert werden. Wichtig ist, dass hierdurch der Transport von reinem Wasserstoff ermöglicht wird. Die Begriffsdefinition bzw. -erweiterung muss zudem mit der Einführung eines eigenen Bilanzkreissystems für Wasserstoff einhergehen. Hierfür ist eine Änderung in der GasNZV erforderlich. Zudem muss auch die Einführung eines Anschluss- und Zugangsverweigerungsrechts für andere privilegierte Einspeiser (z. B. von Biogas) in ein reines Wasserstoffnetz erfolgen. Schließlich ist die Frage der Infrastrukturfinanzierung zu regeln. Im aktuellen Rechtsrahmen ist eine Kostenwälzung für den Aufbau von Wasserstoffnetzen auf die Verbraucher nicht vorgesehen. In Anlehnung an die Marktraumumstellung nach § 19a EnWG könnte durch den Gesetzgeber eine Kostenwälzung eingeführt werden. Bleibt es bei dem bisherigen Rechtsrahmen, ist grundsätzlich von einer Kostentragungspflicht der Netzbetreiber auszugehen. 1.3.2
Überarbeitung der technischen Regelwerke
Für die künftig breite Nutzung von Wasserstoff in verschiedenen Endanwendungen sollten Standards für Wasserstoffqualität (analog zur Gasqualität) entwickelt werden. Es muss u. a. definiert werden, welche Reinheitsansprüche verschiedene Verbraucher zukünftig haben. Dafür müssen die einschlägigen technischen Regelwerke überarbeitet und entsprechend der Entwicklungslinien angepasst werden. Der DVGW hat hierzu schon die Arbeiten aufgenommen. 1.3.3
Einen Rechtsrahmen für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase im Netzentwicklungsplan Gas definieren
Der BDI spricht sich dafür aus, dass Wasserstoff-Gasversorgungsnetze als dritte Netzstruktur (neben L- und H-Gasleitungen) Einzug in den Netzentwicklungsplan Gas erhalten. Daher ist es zu begrüßen, dass die Fernleitungsnetzbetreiber „Grüngas-Projekte“ in den Szenariorahmen für den NEP Gas 2020 – 2030 bereits aufgenommen haben. Eine Genehmigung seitens der Bundesnetzagentur sollte nun zeitnah folgen. 1.3.4
Ein Marktdesign für klimaneutrale und treibhausgasarme Gase in Abstimmung mit europäischen Partnern entwickeln
In der „Industrie-Roadmap für den Einsatz klimafreundlicher Gase“ hat der BDI die Frage des Marktdesigns für klimaneutrale Gase bereits adressiert. Aus heutiger Sicht scheint die Entwicklung von parallelen Methan- und Wasserstoff-Infrastrukturen auf der Transportebene mit hoher Flexibilität bzw. Möglichkeiten punktueller Wasserstoffbeimischung auf der Verteilnetzebene eine Lösung darzustellen, die den Anforderungen verschiedener Verbrauchergruppen gerecht werden kann. Die Beimischung darf dabei nur in den Netzgebieten erfolgen, in denen keine sensiblen Anlagen angeschlossen sind (s. Anhang 2). Um die notwendige Infrastrukturentwicklung in Abstimmung mit den europäischen Partnern vorantreiben zu können, empfiehlt der BDI eine Evaluierung verschiedener Infrastrukturentwicklungsszenarien für klimaneutrale Gase auf der EU Ebene im Rahmen des europäischen Gaspakets einzuleiten.
Wasserstofftankstellen Ob der Einstieg in die Brennstoffzellenmobilität mit direkter Wasserstoffnutzung ab 2025 gelingt, hängt vor allem von den technologischen Lernkurven, der weiteren Förderung der Brennstoffzellentechnologie und der Verfügbarkeit entsprechender Fahrzeugmodelle ab. Brennstoffzellenfahrzeuge zeichnen sich durch hohe Reichweite, schnelle und gewohnte Betankung sowie den hohen Wirkungsgrad aus und sind damit insbesondere für Nutzfahrzeuge eine attraktive Lösung für emissionsfreie Mobilität. Die hohe Übertragbarkeit von Kompetenzen in den Bereichen Verbrennungsmotoren und hybriden Antriebssträngen kann die Beschäftigung entlang dieser Wertschöpfungskette am Wirtschaftsstandort Deutschland und Europa stärken. 10
Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
Grundvoraussetzung für den Markthochlauf der Brennstoffzellenmobilität bleibt allerdings, dass auch die Wasserstofftankinfrastruktur weiterhin konsequent ausgebaut wird. Derzeit 76 Tankstellen in Deutschland sind für einen flächendeckenden Einsatz nicht ausreichend und öffentliche, für Nutzfahrzeuge geeignete H2-Tankstellenfehlen bislang. Die Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland werden durch die Bundesregierung über das Nationale Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP) gefördert. Bis Anfang2020 soll das Wasserstoff-Tankstellennetz in Deutschland auf 100 Stationen anwachsen. Mittel- und langfristig muss an einem dichten europaweiten H2-Tankstellennetz gearbeitet werden, das PKW und LKW gleichermaßen berücksichtigt und neben Druckwasserstoff auch flüssiges H2 bereitstellt. Hierfür ist die Stärkung gemeinsamer europäischer Initiativen wie „H2 Mobility Europe“ notwendig.
1.4 Maßnahmen zur Entwicklung einer PtX-Importstrategie ergreifen Der erste Bilanzbericht des Dialogprozesses Gas 2030 des BMWi macht deutlich, dass Deutschland auch langfristig ein Energieimporteur bleiben wird. Dann allerdings von klimaneutralen und treibhausgasarmen Energieträgern. Der Aufbau solcher Importbeziehungen erfordert eine Importstrategie. 1.4.1
Demonstrationsprojekte von internationalen PtX-Lieferketten im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie unterstützen
Als erster Schritt in der Entwicklung einer künftigen Importstrategie von klimaneutralen und treibhausgasarmen Energieträgern für Deutschland bedarf es bereits kurzfristig erster Demonstrationsprojekte von internationalen Lieferketten mit deutscher Beteiligung. Solche Projekte erfordern völlig neue Förderformate, die u. a. ▪ Elemente der Energieforschung beinhalten, ▪ rechtliche Absicherung für private Investitionen im Ausland garantieren, ▪ attraktive Finanzierungsmöglichkeiten ermöglichen, ▪ Abnahmegarantien für die im Ausland produzierten Kraftstoffmengen sichern, ▪ Zertifizierung der produzierten Mengen über Herkunftsnachweise ermöglichen. Die Bundesregierung sollte einen ersten Vorschlag zur Unterstützung von internationalen Demonstrationsprojekten im Rahmen der Nationalen Wasserstoffstrategie vorstellen. Die Industrie steht hierzu für einen Dialog gerne bereit. 1.4.2
Eine ressortübergreifende Koordinierungsstelle zur Durchführung von internationalen PtX-Aktivitäten etablieren
Versorgungssicherheit, Wettbewerbsfähigkeit der Energiepreise und CO 2-Reduktion in Deutschland sind die übergreifenden langfristigen Ziele einer Importstrategie von klimaneutralen und treibhausgasarmen Energieträgern. Die künftige Importstrategie sollte daher ein breiteres Spektrum von potenziellen Exporteuren umfassen (sowohl Länder der Entwicklungszusammenarbeit als auch Industrieländer). Kurz- bis mittelfristig stehen aber auch weitere Ziele im Fokus. So können neue industriepolitische Potenziale sowohl für die deutsche Industrie als auch neue Wortschöpfungspotenziale in anderen Ländern gehoben werden. Zudem können solche Projekte einen Beitrag im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit leisten und das internationale Image der deutschen Energiewende positiv beeinflussen. Der BDI spricht sich daher für die Etablierung einer ressortübergreifenden Koordinierungsstelle zur Durchführung internationaler Aktivitäten zur Erzeugung, zum Transport und zur Nutzung von klimaneutralen und treibhausgasarmen Energieträgern aus, um den vielfältigen Anforderungen und Zielen einer künftigen Importstrategie bereits bei der Ausgestaltung von Demonstrationsprojekten gerecht zu werden. 11
Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
2. Maßnahmen für den „Kick-Off“ der Markteinführung im Raffinerie- und Fahrzeugbereich – der erste Bereich der Industrie-Roadmap des BDI Wie bereits im ersten Bilanzbericht des Dialogprozesses „Gas 2030“12 richtig angemerkt, besteht mit der Renewable Energy Directive II (RED II) schon heute eine regulatorische Grundlage auf europäischer Ebene, die grundsätzlich Optionen für eine wirtschaftliche Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff im Raffineriebereich eröffnet. Aus diesem Grund wurde der Raffineriesektor als erster Bereich der BDI-Roadmap identifiziert. Ob die bestehenden Potenziale gehoben werden können, hängt allerdings sowohl von der nationalen Umsetzung der RED II Art. 25 und künftigen Anforderungen der EU an die Bestimmung der grünen Eigenschaft beim Strombezug aus dem Netz ab (RED II Art. 27) als auch von nationalen und europäischen Entscheidungen zur Förderung von synthetischen Kraftstoffen im Straßenverkehr.
2.1 Regulatorische Spielräume der Renewable Energy Directive II (RED II) nutzen 2.1.1
Art. 25 (1a): Erneuerbaren Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe als Erfüllungsoptionen zur Erreichung des Erneuerbaren-Energien-Ziels im Verkehr anerkennen
In der nationalen Umsetzung der RED II müssen die Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff zur Entschwefelung der Vorprodukte von Benzin und Diesel sowie die Beimischung von synthetischen Kraftstoffen als Erfüllungsoptionen zur Erreichung des Erneuerbaren-Energien-Ziels am Endenergieverbrauch des Verkehrssektors anerkannt werden (Mindestanteil von 14 Prozent bis 2030)13. Dann stünden diese Maßnahmen als weitere Optionen neben z. B. der Beimischung von Biodiesel und Bioethanol zur Verfügung. Im Verhältnis zu anderen Erfüllungsoptionen kann die Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff im Raffineriebereich je nach relativen Preisverhältnissen, Stromnebenkosten und Verfügbarkeit des nachweisbar grünen Stroms wirtschaftlich sein. Die frühzeitige Umsetzung von synthetischen Kraftstoffen als nationale Erfüllungsoption schafft darüber hinaus einen technologieoffenen Rechtsrahmen für künftige Anwendungen. 2.1.2
Art. 27 (3) und Art. 25 (2): Zu Beginn der deutschen EU-Ratspräsidentschaft die Erarbeitung relevanter delegierten Rechtsakte angehen
Die Bundesregierung ist aufgefordert, die EU-Kommission bei der Vorlage des delegierten Rechtsakts nach Art. 27 (3) RED II zur Entwicklung einer Methodologie zur Berechnung des erneuerbaren Anteils beim Strombezug aus dem Netz zu unterstützen. Vor allem der Zeitpunkt der Bearbeitung des Rechtsakts (bis Dezember 2021) ist zu spät für die notwendige Investitionssicherheit. Sowohl für eine frühzeitige Technologieentwicklung in Deutschland als auch zum Erreichen der nationalen Klimaziele wird eine Umsetzung bis Mitte 2020 zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft zwingend benötigt. Die relevanten Sollbestimmungen des Erwägungsgrunds 90 der RED II bzgl. der Anforderungen an den Strombezug für die Kraftstoffproduktion sind allerdings aus Sicht des BDI für den Markthochlauf der Wasserstoffproduktion zu restriktiv und können zu einer wesentlichen Hürde für die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Wasserstoffmarktes in Deutschland und in der EU werden. Beim aktuellen Stand des Netzausbaus und des Ausbaus von erneuerbaren Energien in Deutschland (aber auch der EU) werden nur sehr wenige Standorte mit geringer Kapazität die vier Anforderungen – erneuerbare Eigenschaft des Stroms, geografische und zeitliche Korrelation der Strom- und Kraftstoffproduktion sowie die Zusätzlichkeit der Stromerzeugung – erfüllen können. Daher sollen diese Anforderungen bei der Formulierung der delegierten Rechtsakte überdacht werden. Sowohl auf Bundes- als auch auf EU-Ebene sind pragmatische Regelungen zu erarbeiten, die u.a. anknüpfend an
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BMWi (2019). Dialogprozess Gas 2030. Erste Bilanz.
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Art. 25 (1): Damit erneuerbare Energie im Verkehrssektor durchgängig genutzt wird, verpflichtet jeder Mitgliedstaat die Kraftstoffanbieter, dafür zu sorgen, dass der Anteil erneuerbarer Energie am Endenergieverbrauch des Verkehrssektors bis 2030 einem von dem betreffenden Mitgliedstaat festgelegten indikativen Zielpfad entsprechend mindestens 14 % beträgt (Mindestanteil). 12
Prioritäten der Industrie für die Nationale Wasserstoffstrategie
Herkunftsnachweise, den Markthochlauf unterstützen, anstatt ihn zu verhindern. Erst mit wachsendem Ausbau erneuerbarer Energien, dem Netzausbau und zunehmender Marktreife sollen weitere Anforderungen schrittweise miteinbezogen werden. Die Industrie hat hierzu erste Vorschläge bereits vorgelegt. Für deren Weiterentwicklung steht der BDI für einen Dialog mit der Bundesregierung bereit. Zudem wird in Absatz 2 Art. 25 eine CO2-Reduktion von synthetischen Kraftstoffen von mindestens 70 Prozent gefordert. Die CO2-Einsparungen bei der Produktion von synthetischen Kraftstoffen sind neben dem gewählten Strombezug von der CO2-Quelle abhängig. In einem delegierten Rechtsakt soll die EU-Kommission bis Ende 2020 mittels Lebenszyklusanalysen die CO 2-Einsparungen unterschiedlicher synthetischer Kraftstoffe definieren. Um eine Investitionssicherheit zu gewähren, wäre auch hier eine frühere Umsetzung im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft sehr zu begrüßen. 2.1.3
Zusätzliche regulatorische Anreize für die Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen schaffen
Die Industrie spricht sich für eine rasche und ambitionierte Umsetzung der Vorgaben der RED II zum Erneuerbaren-Energien-Ziel am Endenergieverbrauch im Verkehrssektor aus (Art. 25). Eine Erhöhung des Ambitionsniveaus in der nationalen Umsetzung gegenüber dem europäisch vorgegebenen Mindestanteils von 14 Prozent könnte eine technologieoffene Entwicklung des Mobilitätssektors grundsätzlich unterstützen. Dies ist allerdings nur möglich, wenn das gesetzte Ziel für die Verpflichteten erfüllbar ist. Das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung stellt die Prüfung einer Unterquote von strombasierten Kraftstoffen14 im Rahmen der nationalen Umsetzung von RED II in Aussicht. Bei der Einführung einer technologiespezifischen Unterquote können Wettbewerbsverzerrungen zwischen verschiedenen Unternehmen bzw. Standorten entstehen. Bevor eine solche Unterquote umgesetzt werden kann, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt werden: -
Für die verpflichteten Unternehmen müssen entweder ausreichende Mengen strombasierter Kraftstoffe von im Wettbewerb stehenden Anbietern oder technologische Optionen im industriellen Maßstab zur Verfügung stehen: -
Der technische Nachweis, dass strombasierte Kraftstoffe im industriellen Maßstab hergestellt werden können, muss zunächst erbracht werden. Entsprechende erste Anlagen müssen durch Fördermaßnahmen angereizt werden (z. B. Marktanreizprogramm Punkt 1.1.2.).
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Eine Unterquote darf nicht zur Benachteiligung von Unternehmen führen, die keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu ausreichenden Mengen erneuerbaren Stroms oder erneuerbaren Wasserstoffs haben.
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Sowohl die Nutzung von erneuerbarem Wasserstoff in Raffinerieprozessen, als auch die Beimischung von strombasierten Kraftstoffen werden als Erfüllungsoptionen zur Erreichung einer möglichen Unterquote anerkannt (Punkt 2.1.1.).
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Die Methodologie zur Erreichung einer möglichen nationalen Unterquote sollte ggf. ebenfalls auf nationaler Ebene festgelegt werden. Die Methodologie soll transparent darlegen, wie die verschiedenen Optionen zur Erreichung einer nationalen Unterquote bewertet werden. Eine Zielsetzung ohne den begleitenden Methodologievorschlag kann in nicht-erfüllbaren Vorgaben resultieren: -
Es muss Klarheit darüber vorhanden sein, mit welchem Faktor z. B. der erneuerbare Wasserstoff angerechnet werden kann.
Der Begriff „strombasierte Kraftstoffe“ schließt die Herstellung von Kraftstoffen auf Basis von dekarbonisiertem Wasserstoff aus. Die Bundesregierung sollte in Bezug auf die verwendete Terminologie eine Konkretisierung vornehmen. 14
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Zudem sollen erfüllbare Vorgaben zur Berechnung des erneuerbaren Anteils beim Strombezug aus dem Netz vorgelegt werden (Punkt 2.1.2.).
Instrumente zur Förderung von strombasierten bzw. synthetischen Kraftstoffen auf nationaler und europäischer Ebene unterstützen die Erreichung einer möglichen Unterquote (Kapitel 2.2.).
2.2 Durch substanzielle Förderung von synthetischen Kraftstoffen den Markthochlauf zusätzlich unterstützen Für das Erreichen der Klimaschutzziele der Bundesregierung im Verkehrssektor sind CO 2-arme Kraftstoffe und der Antriebswechsel zur Elektromobilität die beiden zentralen Hebel, die zusammen über 70 Prozent der erforderlichen THG-Reduktionen erreichen können. Denn bereits heute könnte eine Beimischung von klimaneutralen Kraftstoffen für sofortige, nachweisbare Klimaeffekte auch im Fahrzeugbestand sorgen. Langfristig gibt es vor allem in der Luft- und Schifffahrt keine Alternative zur Nutzung von strombasierten bzw. synthetischen Kraftstoffen. Aufgrund in diesem Bereichen fehlender Regulierungen und Zahlungsbereitschaften würde sich aber ein Technologiehochlauf zunächst im Straßenverkehr anbieten. Grundsätzlich gilt es, die Förderung und Regulierung alternativer Kraftstoffe technologieneutral auszurichten, so dass keine Vorfestlegung auf den Einsatz bestimmter Ausgangsstoffe, Zwischenprodukte oder Produktionsverfahren erfolgt. Das heißt, auch andere CO2-arme oder –neutrale alternative Kraftstoffe (z. B. fortschrittliche Biokraftstoffe) sollten analog behandelt werden. Dieser Aspekt wird im Folgenden nicht weiter ausgeführt, da der Fokus des Papiers Technologiepfade auf Wasserstoffbasis ist. 2.2.1
Mehrfachanrechnung synthetischer Kraftstoffe im nationalen Emissionshandelssystem und Ausrichtung der Energiesteuer am CO 2-Ausstoß von Kraftstoffen
Die Berücksichtigung von strombasierten Kraftstoffen im Rahmen des Entwurfs des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) ist im Moment noch nicht endgültig geregelt. Dabei könnte das BEHG ein geeignetes Instrument zum Hochlauf synthetischer Kraftstoffe darstellen. Für synthetischer Kraftstoffe könnte dies durch Mehrfachanrechnungen in Form von Zusatzzertifikaten geschehen, um die jeweiligen höheren CO2-Vermeidungskosten dieser Kraftstoffe über die Hochlaufphase bis zum Jahr 2030 auszugleichen. Sollte die europäischen Energiesteuerrichtlinie künftig eine vollständige Reduktion der Energiesteuer für synthetische Kraftstoffe erlauben, könnte die Anzahl der Zertifikate für die Mehrfachanrechnung im Rahmen des BEHG Ende der 2020er Jahre teilweise zurückgefahren werden. Bislang sieht die europäische Energiesteuerrichtlinie keine Befreiung oder Reduktion der Energiesteuer für synthetische Kraftstoffe vor, sondern stellt diese den fossilen Kraftstoffen gleich. Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, im EU-Rat einen Vorschlag zur vollständigen Ausrichtung der Energiesteuer am CO2-Ausstoß einzubringen und so für synthetische Kraftstoffe einen Ausnahmetatbestand zu schaffen. Kurzfristig wäre eine Ausnahme gemäß Art. 19 EU-Energiesteuerrichtlinie möglich. Darüber hinaus wäre es denkbar, den Steueranteil, der die EU-Mindeststeuersätze für Kraftund Brennstoffe auf Energie übersteigt, als CO 2-Komponente zu behandeln und entsprechend CO2neutrale Kraftstoffe hiervon zu befreien.
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2.2.2
Anrechenbarkeit von synthetischen Kraftstoffen auf die EU-Flottenemissionsgrenzwerte in den Review-Prozessen ermöglichen und Anreizmaßnahmen technologieoffen ausgestalten
Die derzeitigen regulatorischen Rahmenbedingungen lassen keine Anrechenbarkeit von synthetischen Kraftstoffen auf die EU-Flottenemissionsgrenzwerte zu. In den geplanten Review-Prozessen für EUFlottenemissionsgrenzwerte im Jahr 2022 (Lkw) und 2023 (Pkw) müssen daher die notwendigen regulatorischen Anpassungen zur Anrechenbarkeit von strombasierten Kraftstoffen auf die THG-Minderungsziele vorgenommen werden. Dies könnte deren Anwendung schon kurz- bis mittelfristig für die Branche wirtschaftlich attraktiv machen, wenn bis 2022 weiterführende Erkenntnisse z. B. aus Pilotanlagen zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen vorliegen. Insbesondere wenn die bilanzielle Klimakompensation durch Kraftstoffe in den Zulassungsbescheiden der Fahrzeuge aufgenommen wird. Flankierend gilt es, konsequent alle Anreizmaßnahmen technologieoffen auszugestalten. So enthält das Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung eine CO 2-orientierte Ausrichtung der Kfz-Steuer und eine CO2-Differenzierung der Lkw-Maut. Um den Markthochlauf von synthetischen Kraftstoffen sowie künftig auch Fahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb von Beginn an zu unterstützen, muss die Politik ein praktikables Anrechnungssystem für einen ganzheitlichen Ansatz bei synthetischen Kraftstoffen anstelle des heutigen Fahrzeugansatzes schaffen. Das schließt auch die Berücksichtigung von strombasierten Kraftstoffen sowie Fahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb bei öffentlicher Fahrzeugflottenbeschaffung ein. 2.2.3
Bedeutung der CO2-Infrastruktur für die notwendige Skalierung von synthetischen Kraftstoffen
Mit dem Fortschreiten der Dekarbonisierung muss auch die Verfügbarkeit von CO2 als Rohstoff zur Herstellung von synthetischen Kraftstoffen geklärt werden. Hierzu gehören der Aufbau einer leistungsfähigen CO2-Infrastruktur sowie die Frage der Anrechenbarkeit von CO 2-Minderungen, sowohl bei der Nutzung von biogenen als auch von industriellen CO2-Quellen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, diese Fragen von Beginn an in den Blick zu nehmen und mit den relevanten Stakeholdern zu diskutieren.
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3. Weitere Maßnahmen zur Umsetzung der mittel- bis langfristigen RoadmapSchritte 3.1 Rahmenbedingungen für die Markteinführung alternativer Kraftstoffe im Luftverkehr schaffen 3.1.1
Für das CO2-neutrale Fliegen sind eine Power-to-Liquids-Roadmap sowie die Investition eines signifikanten Anteils aus der Luftverkehrssteuer in die Förderung von synthetischem Kerosin entscheidende Hebel
Um das ambitionierte Ziel des klimaneutralen Fliegens zu erreichen, ist der Einsatz von alternativen nachhaltigen Kraftstoffen15 – insbesondere Power-to-Liquid (PtL)-Kraftstoffen – dringend erforderlich. Es gilt, kurz- und mittelfristig die marktfähige Entwicklung von PtL-Kraftstoffen zu fördern. Hierzu müssen die europäische Energiewirtschaft, Anlagenbauer, Luftfahrtindustrie und Luftverkehrsunternehmen eine PtL-Roadmap für den Aufbau entsprechender Produktionsanlagen und die Bereitstellung von alternativen Kraftstoffen zu wettbewerbsfähigen Preisen definieren und gemeinsam umsetzen. Die Bundesregierung ist aufgefordert, dabei eine führende Rolle einzunehmen. Die Bundesregierung sollte gemeinsam mit der EU und ihren Mitgliedstaaten die Internationale Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) bei der Setzung der erforderlichen Rahmenbedingungen für die Nachfrage nach PtL unterstützen. Mit Blick auf die im Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung beschlossene Erhöhung der Luftverkehrsabgabe fordert der BDI eine klare Absichtserklärung der Bundesregierung, einen signifikanten Anteil der Einnahmen aus der Luftverkehrsteuer (>30 Prozent) in die Förderung des Markthochlaufs von synthetischem Kerosin zu investieren. Die Fluggesellschaften haben sich bereits verpflichtet, die freiwillige Klimakompensation von Flugreisen durch den Passagier stärker zu bewerben. Wenn es die Bundesregierung mit der Förderung von CO2-neutralem Fliegen erst meint, dann sollten Fluggesellschaften die Mehrkosten für CO 2-armes Kerosin direkt bei der Abführung der Luftverkehrssteuer verrechnen können.
3.2 Potenziale von Wasserstoff im Wärmemarkt berücksichtigen und deren Entwicklung politisch stärker vorantreiben Zum Erreichen der Klimaschutzziele im Jahr 2050 muss im Gebäudesektor sukzessive ein Wechsel auf CO2-arme Energieträger erfolgen. Dabei erfolgt die Wärmeversorgung im Gerätebestand zu zwei Dritteln durch Gasgeräte. Der Einsatz von klimaneutralen Gasen bietet daher mittel- bis langfristig einen wirksamen Hebel, das CO2-Minderungsziel im Gebäudesektor zu erreichen, was bereits heute erfolgreich demonstriert wird. So z. B. werden Beimischungen von 10 Prozent (Volumen) im Energiepark Mainz mit 1000 Hausanschlüssen bereits seit vier Jahren durchgeführt. Die notwendigen Weichen für die künftige Entwicklung müssen schon heute gestellt werden. Im Rahmen der Überarbeitung der EU-Ökodesign-Verordnung wird ein generelles "H2 ready" Kriterium im Evaluierungsbericht vorgeschlagen. Die deutsche Heizungsindustrie ist bereit, entsprechende Geräte bis 2024 mit einer 30 prozentigen Wasserstoffverträglichkeit zu entwickeln. Bereits im heutigen Gebäudebestand sind Wasserstoffbeimischungen von bis zu 10 Prozent (Volumen) technisch möglich. Die mit den höheren Beimischungsmengen verbundenen Entwicklungskosten müssen sich allerdings in der Anwendung durch den Einsatz und die Anrechenbarkeit von Wasserstoff wiederfinden. Daher sind Anpassungen an dem heutigen regulatorischen Rahmen notwendig.
Der Begriff „alternative Kraftstoffe“ umfasst sowohl die Biokraftstoffe der 2. und 3. Generation als auch die synthetischen Kraftstoffe. 15
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3.2.1
Technologieoffenheit im Förderregime wahren
Die Einsetzbarkeit von Wasserstoff in Wärmeanwendungen und Heizungssystemen und die dadurch mögliche CO2-Reduktion sollte im Förderregime der Bundesregierung für den Wärmemarkt berücksichtigt werden. Über die in heute verfügbaren Gasgeräten bereits einsetzbaren Wasserstoffbeimischungen von bis zu 10 Prozent (Volumen), erscheint bei neuen Geräten mittelfristig ein Wasserstoffanteil von bis zu 30 Prozent möglich und die Hersteller sehen sich sogar zur Entwicklung von Geräten mit noch deutlich höherer Wasserstoffverträglichkeit in der Lage (konstantes Beimischungsverhältnis muss dennoch gegeben sein). Im Förderregime sollte deshalb Technologieoffenheit gewahrt und die Förderfähigkeit der Brennwerttechnik dauerhaft erhalten bleiben. 3.2.2
Anrechenbarkeit klimaneutraler Gase und Brennstoffe ermöglichen
Die Möglichkeiten von Effizienzverbesserungen im Sinne des „Efficiency First“ und die lokale Produktion von erneuerbaren Energien an Gebäuden werden allein oft nicht ausreichen, um das Ziel eines klimaneutralen Gebäudebestands zu erfüllen. Bei der Weiterentwicklung des Systems der energetischen Bewertung und der abgeleiteten ordnungsrechtlichen Anforderungen (Gebäudeenergiegesetz) sollte deshalb die mögliche Nutzung erneuerbarer Gase und Brennstoffe als Energieträger berücksichtigt werden. 3.2.3
Bei Wärmeerzeugern Kompatibilität der nationalen Wasserstoffstrategie zu EU-Vorgaben gewährleisten
Auf europäischer Ebene wird angesichts der dadurch möglichen CO 2-Einsparungen im Gebäudesektor im Rahmen der Ökodesign-Richtlinie eine verpflichtende Vorgabe für deutlich höhere Wasserstoffverträglichkeiten von gasbasierten Wärmeerzeugern angedacht. Die Bundesregierung muss diese Planungen auf EU-Ebene für den verstärkten Einsatz von Wasserstoff im Gebäudesektor berücksichtigen und die Kompatibilität ihrer Wasserstoffstrategie zu europäischen Vorgaben und einer europäischen Wasserstoffstrategie sicherstellen.
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Anhang Anhang 1: 1.1. Vorschlag der europäischen Gasindustrie für eine einheitliche Gas-Klassifizierung. Vorgestellt beim 33. Madrid Forum, 23. – 24. Oktober 2019.
1.2. Alternativvorschlag des BDI auf Basis des Konzepts der europäischen Gasindustrie.
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Anhang 2: Technologische Einschränkungen für eine flächendeckende Beimischung von Wasserstoff. Auszug aus der Industrie-Roadmap für den Einsatz klimafreundlicher Gase (BDI, Juli 2019) .
Exkurs: Technologische Einschränkungen für eine flächendeckende Beimischung von Wasserstoff Anforderungen der Verbraucher Unter den industriellen Verbrauchern sind die Glas- und die Keramikindustrie besonders anfällig gegenüber Schwankungen in der Gasbeschaffenheit. Hier haben bereits die geringsten Temperaturabweichungen Auswirkungen auf die Beschaffenheit (z. B. Gebrauchseigenschaften, Optik sowie Qualität) von Endprodukten. Darüber hinaus kann die Wasserstoffbeimischung in Erdgas negative Auswirkungen auf die stoffliche Nutzung von Erdgas in der chemischen Industrie nehmen. Beimischungsmengen bereits oberhalb von 1,5 Prozent werden in bestimmten Prozessen als kritisch eingestuft. Die Anpassung an einen neuen konstanten „Gasmix“ ist teilweise technisch machbar, vielmehr sind es allerdings gerade die Schwankungen, die einen limitierenden Faktor für eine flächendeckende sukzessive Beimischung von Wasserstoff darstellen. Zudem liegt die aktuelle Norm für Erdgasfahrzeuge bei max. 2 Prozent Wasserstoffkonzentration. Für höhere Wasserstoffbeimischungsmengen geben bspw. die CNG-Tankhersteller keine Garantie für die Sicherheit des Fahrzeugbetriebs. Mit Membrantechnik soll künftig eine Filterung des Gasgemischs aus dem öffentlichen Netz vor dem Endkundenanschluss ermöglicht werden. Diese Technologie befindet sich allerdings derzeit noch im Forschungsstadium. Außerdem könnte eine fortschrittliche Mess- und Regelungstechnik die negativen Auswirkungen der Schwankungen in der Gasbeschaffenheit minimieren. Für die Implementierung dieser Technik im großindustriellen Maßstab bei erheblich schwankenden Gaseigenschaften bedarf es allerdings weiterer experimentellen Untersuchungen und Tests in der industriellen Praxis. Generell kann davon ausgegangen werden, dass bei höheren Schwankungen die Energieeffizienz der Produktion durch Umstellungsprozesse, Produktionsverluste und eine nicht gleichmäßige Fahrweise u. U. in erheblichem Maße sinken kann. Limitierende Faktoren auf der Infrastrukturseite Laut einer Studie des DVGW aus dem Jahr 2014 ist ein sicherer Betrieb von Gasturbinen im Hinblick auf die zum Untersuchungszeitpunkt betriebene Maschinenflotte mit einer Konzentration von bis zu 1 Prozent Wasserstoff im Brenngas möglich. Laut Aussagen der Turbinenhersteller wäre aus heutiger Sicht auch eine Beimischungskonzentration von bis zu 5 Prozent für die bestehende Flotte technisch implementierbar. Hierbei gilt es allerdings auf die potenziellen Änderungen in NO x-Emissionen zu achten. Gasturbinen aktueller Bauart haben hingegen eine höhere Wasserstoffverträglichkeit, ohne dass die genannte NO x-Problematik verursacht wird. Zudem ist die Wasserstoffkonzentration im Gesamtnetz im Fall von Beimischungen ungleichmäßig. An bestimmten Stellen im Netz können sogenannte „Wasserstoffblasen“ entstehen, die den durchschnittlichen Beimischungswert um ein Vielfaches übersteigen können. Für eine flächendeckende Wasserstoffbeimischung ist daher zu klären, wie mit solchen Situationen künftig umzugehen ist.
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Redaktion BDI Abteilung Energie- und Klimapolitik Dr. Carsten Rolle c.rolle@bdi.eu +49 30 2028 1595 Jekaterina Boening j.boening@bdi.eu +49 30 2028 1429 BDI Abteilung Mobilität und Logistik Jürgen Hasler j.hasler@bdi.eu +49 30 2028 1436 Petra Richter p.richter@bdi.eu +49 30 2028 1514
Dokumentennummer D 1104
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