BDI-Bewertung der EU-Industriestrategie

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BDI-Bewertung der EU-Industriestrategie Zur Mitteilung der Kommission: Eine neue Industriestrategie für Europa COM (2020)102

27. April 2020 Allgemeine Bewertung Die deutsche Industrie begrüßt die Vorlage des Industriestrategiepakets durch die EU-Kommission als wichtigen und lange überfälligen Impuls. Die Kommission zeigt damit, dass sie Wirtschafts- und Industriepolitik wieder zu einer politischen Top-Priorität in der EU machen will. Diese Re-Fokussierung auf die Stärkung der europäischen Industrie ist in Anbetracht der Covid-19-Krise und ihren massiven Auswirkungen auf die europäischen Volkswirtschaften von besonderer Dringlichkeit. Es ist nun zwingend erforderlich, dass die Kommission den Ankündigungen in der Strategie so schnell wie möglich konkrete Taten folgen lässt und die Strategie zu einem integralen Bestandteil ihres Wiederaufbauplans macht. Außerdem gilt es, die angestrebten erhöhten Zielsetzungen im Klimaschutz intelligent mit höherer Wettbewerbsfähigkeit, Wachstum und der Schaffung neuer Arbeitsplätze in Einklang zu bringen. Nur mit einer gestärkten Industrie wird Europa die drohende Rezession abfedern und auch die mittelbis langfristigen sozioökonomischen Folgen der Corona-Krise bewältigen können. Kritisch anzumerken ist, dass die Strategie Züge einer paternalistischen Industriepolitik enthält. Sie will “Ziele, Tempo und Marschrichtung für die kommenden Jahre” vorgeben (S. 1), betont die Rolle von Wettbewerb und Markt jedoch nur rudimentär. Die Kommission verengt die vielfältigen Herausforderungen weitgehend auf den ökologischen und digitalen Wandel. Ungeachtet der aktuellen Covid-19Krise, deren Ausmaß zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Strategie noch nicht absehbar war, stellen jedoch auch andere Megatrends wie die veränderten Rahmenbedingungen der Globalisierung, der demografische Wandel oder zunehmende Sicherheitsrisiken Herausforderungen für Wirtschaft und Gesellschaft dar und müssen auf dem industriepolitischen Radar bleiben. Die Kommission formuliert deutlich eine hohe Erwartungshaltung gegenüber der Industrie. Von allen industriellen Wertschöpfungsketten – auch von den energieintensiven Sektoren – erwartet sie, dass “(s)ie alle darauf hinwirken, den eigenen ökologischen Fußabdruck zu verringern, gleichzeitig aber auch den Wandel vorantreiben, indem sie bezahlbare, umweltfreundliche Technologielösungen bereitstellen und neue Geschäftsmodelle entwickeln” (S. 4). Die deutsche Industrie ist der Nachhaltigkeit seit langem verpflichtet und bildet bei einer Vielzahl “grüner” Technologien bereits die Weltspitze. Die Kommission geht davon aus, dass sich Unternehmen vor allem die Möglichkeit biete, die grüne Transformation aktiv zu gestalten und die Chancen zu nutzen, die Europas starke Position im Bereich

Dr. Heiko Willems | BDI/BDA – The German Business Representation T: +32 2 7921002 | h.willems@bdi.eu | www.bdi.eu


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der Kreislaufwirtschaft und sauberen Technologien gewähre. Die neuen Initiativen und angekündigten Regelungen stellten demnach als solche einen Wettbewerbsvorteil dar. Demgegenüber fehlt jedoch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie die sich bei der Transformation ergebenden Herausforderungen von Unternehmen, insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen sowie „small midcaps“, zu bewerkstelligen sind. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise, in der viele Unternehmen um ihr Überleben kämpfen, gilt dies umso mehr. Es braucht einen gewaltigen Investitionsschub in Europa, für den die Unternehmen eine Unterstützung der EU selbst und ihrer Fördereinrichtungen sowie der jeweiligen Mitgliedsstaaten benötigen. Insofern ist nicht nur die „Maximierung der Wirkung des EU-Haushalts“ und „die Einigung auf einen EU-Haushalt“ von entscheidender Bedeutung, sondern es müssen die in der Strategie angerissenen Ziele auch ausreichend finanziell untermauert werden. Die vorliegende Strategie gibt auf diese Fragen noch keine konkrete Antwort. Mit der Gewährleistung der finanziellen Basis aber stehen und fallen wesentliche Teile dieser Industriestrategie sowie des angekündigten Erholungsplans insgesamt. Jenseits politischer Visionen und allgemeiner Ankündigungen vermisst die deutsche Industrie in der Strategie außerdem einen kohärenten Umsetzungsplan mit einem umfassenden Maßnahmenpaket, um dem rasant steigenden Bedarf an sicherer, sauberer und bezahlbarer Energie für klimaneutrale Produktionsprozesse zu begegnen und Produktionsverlagerungen in Drittstaaten mit geringeren Energiekosten zu vermeiden. Durch die Umstellung auf klimaneutrale Produktionsprozesse steigt der Bedarf an grünem Strom- und Wasserstoff zu international wettbewerbsfähigen Preisen rasant an. Unsere Unternehmen brauchen eine groß angelegte europäische Strategie zum Import erneuerbarer Energieträger und zum europaweiten Aufbau von Wasserstoffinfrastrukturen. Unklar bleibt schließlich, wie die Kommission “Industrie” definiert. Nur an ausgewählten Stellen scheint die Bedeutung von nach Branchen, Regionen und Unternehmensgrößen differenzierten Wertschöpfungsverbünden auf. Grundsätzlich entsteht der Eindruck, dass Industrie primär im Sinne von Großunternehmen verstanden wird. Der Bezug auf die gleichzeitig vorgelegte KMU-Strategie weckt allerdings die Hoffnung auf einen koordinierten Ansatz und den strategischen Gleichklang bzw. das notwendige Verschmelzen von Industrie- und KMU-Politik auf europäischer Ebene. Synergien gilt es zu suchen und zum Nutzen des Standorts EU – egal ob Ballungsraum oder ländliche Region – zu entwickeln. Es ist zu begrüßen, dass die Kommission einen Fokus auf „industrielle Ökosysteme“ und auf „Wertschöpfungsketten“ legen will. Hier sind unweigerlich auch Mittelstand und Familienunternehmen beziehungsweise KMU und „small mid-caps“ in industriepolitische Erwägungen einzubeziehen. Wichtig ist auch, dass der Blick auf die Industrie nicht allein auf das verarbeitende Gewerbe verengt wird, denn die voranschreitende Tertiarisierung führt dazu, dass sich das Leistungsportfolio der Unternehmen zunehmend um Dienstleistungsaspekte z. B. mehr produktbegleitende Dienstleistungen, FuE, IT und Logistik erweitert. Während das verarbeitende Gewerbe in den Ländern der EU12 im Zeitraum von 2001 bis 2015 Beschäftigung abgebaut hat, haben die unternehmensnahen Dienstleistungen Beschäftigung aufgebaut1. Insofern müssen die industriellen Wertschöpfungsverbünde aus verarbeitendem Gewerbe und unternehmensnahen Dienstleistungen auch gemeinsam betrachtet und gefördert werden.

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IW Consult, “Produktivitätswachstum in Deutschland” (2019)

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Inhaltsverzeichnis Zusammenfassung.............................................................................................................................. 5 Industrial Mainstreaming ....................................................................................................................... 5 Ermöglichung privater Investitionen in klimaschützende Technologien ................................................ 5 Emissionsminderung im Mobilitätssektor fördern .................................................................................. 5 Importstrategie für erneuerbare Energieträger entwickeln .................................................................... 5 Schutz vor CO2-Verlagerungen (Carbon-Leakage) belastbar klären ................................................... 5 Regeln für die Strompreiskompensation schaffen ................................................................................ 6 Rechts- und Finanzrahmen für IPCEIs überarbeiten ............................................................................ 6 Wasserstoff fördern ............................................................................................................................... 6 Wettbewerbsrecht überarbeiten ............................................................................................................ 6 5G für die Industrie anwendbar machen / 6G mitdenken ...................................................................... 6 Rechtssicherheit bei der Datenschutzgrundverordnung schaffen......................................................... 6 Kompetenzen in Schlüsseltechnologien gezielt fördern ........................................................................ 7 Bewertung der einzelnen Maßnahmen .............................................................................................. 7 Zu Kapitel 3.1. Schaffung von Sicherheit für die Industrie: ein vertiefter und digitalerer Binnenmarkt (S. 6-7) ................................................................................................................................................... 7 Zu Kapitel 3.2. Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen in der Welt (S. 8-9) .................................. 10 Zu Kapitel 3.3. Unterstützung der Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität (S. 9-10) ................... 12 Zu Kapitel 3.4. Aufbau einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft (S. 11-12) ................................. 15 Zu Kapitel 3.5. Förderung des Innovationsgeistes in der Industrie (S. 12-13) .................................... 15 Zu Kapitel 3.7. Investitionen und Finanzierung des Übergangs (S. 14-15)......................................... 16 Zu Kapitel 4 Stärkung der industriellen und strategischen Autonomie Europas (S. 16-18) ................ 17 Zu Kapitel 5 Verbindungen schaffen: Ein partnerschaftlicher Governance-Ansatz (S. 18-19) ........... 20 Impressum ......................................................................................................................................... 22

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Zusammenfassung Industrial Mainstreaming Die EU-Institutionen sollten ein Industrie-Mainstreaming einführen, um die Perspektive der industriellen Wettbewerbsfähigkeit frühzeitig in umwelt-, klima- oder verbraucherpolitische Diskussionen einzubringen. Zur Bewältigung der sozioökonomischen Folgen der Covid-19-Krise erscheint dies sogar unentbehrlich. Die in der Strategie formulierten Ziele sollten zudem durch ein Indikatoren-Set ergänzt werden, das ein quantitatives Monitoring der industriellen Entwicklung in Europa im globalen Vergleich ermöglicht. Ermöglichung privater Investitionen in klimaschützende Technologien Die Transformation zu mehr Klimaschutz setzt Unternehmen unter Druck und erfordert jährliche Mehrinvestitionen in Höhe von 250-300 Milliarden Euro. Steigende klimaschutzbedingte Kosten in Europa dürfen aber keinesfalls zu Produktionsverlagerungen führen. Damit wäre weder der Wirtschaft noch dem Klima gedient. Dem Bekenntnis, dass energieintensive Industrien in Europa unverzichtbar sind, folgen aber lediglich vage Absichtsbekundungen. Nur wenn die Investitionsbedingungen in der EU richtig gesetzt werden, wird investiert. Die Kommission sollte dringend ein steuerliches, förderpolitisches und beihilferechtliches Regelwerk zum Anreiz privater Investitionen in klimaschützende Technologien erarbeiten. Emissionsminderung im Mobilitätssektor fördern Die Ankündigung einer Strategie für smarte und nachhaltige Mobilität wird vom BDI begrüßt. In diesem Zusammenhang fehlt allerdings neben der Zusage zur Förderung von Forschung und Entwicklung, die Vorstellung einer gezielten Strategie für den Markthochlauf alternativer Antriebe und Kraftstoffe für alle Verkehrsträger. Hier gilt es, neben Wasserstoff auch synthetische und biogene Kraftstoffe als Alternativen aufzubauen. Importstrategie für erneuerbare Energieträger entwickeln Eine der Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Dekarbonisierung der Industrie, auf die in der Strategie nicht eingegangen wird, ist der verlässliche Zugang zu kostengünstigem Strom aus erneuerbaren Energiequellen. Unternehmen brauchen eine groß angelegte EU-Strategie zum Import erneuerbarer Energieträger. Die EU muss dabei die Kostenvorteile zur Strom- und Wasserstoffherstellung in asiatisch-pazifischen und afrikanischen Ländern nutzen. Schutz vor CO2-Verlagerungen (Carbon-Leakage) belastbar klären Die Strategie nimmt nicht Bezug auf den viel konkreteren Masterplan der Kommission “For a Competitive Transformation of EU Energy-intensive Industries”.2 Das Klimaschutz-Ambitionsgefälle zu Wettbewerbern wächst, daher ist ein erweiterter Carbon Leakage-Schutz erforderlich. Zusätzliche technologieneutrale Maßnahmen und marktwirtschaftliche Anreize sind nötig, um die notwendigen Investitionen und Innovationen für die Realisierung des “Green Deal” zu ermöglichen. Die Kommission sollte 2020 einen Maßnahmenplan vorlegen, wie europäische Unternehmen zukünftig Carbon LeakageSchutz erhalten werden. Dazu zählt eine Anpassung des europäischen Beihilferechts, um internationale Kostendifferenzen adäquat zu adressieren.

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https://ec.europa.eu/docsroom/documents/38403

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Regeln für die Strompreiskompensation schaffen Die in der Strategie herausgestellten CO2-Grenzausgleichsmaßnahmen können nach heutigem Stand die kostenfreie Zuteilung und die Strompreiskompensation gemäß EU ETS-Richtlinie nicht ersetzen. Die Liste der strompreiskompensationsberechtigten Unternehmen darf nicht von 14 auf acht Sektoren verkürzt werden. Die energie- und stromintensiven Unternehmen werden von der Umsetzung der im “Green Deal” avisierten Vorhaben ganz besonders betroffen sein. Es sollte im Gegenteil untersucht werden, ob der Kreis der berechtigten Sektoren nicht ausgeweitet werden muss, um in Zeiten zunehmender globaler Herausforderungen die Wertschöpfung in der EU effektiver zu unterstützen. Rechts- und Finanzrahmen für IPCEIs überarbeiten Die „Wichtigen Projekte von besonderem europäischem Interesse“ (IPCEIs) ermöglichen die Umsetzung von technologiepolitisch strategischen Innovationen. IPCEIs müssen durch die Europäischen Institutionen von ihrem derzeitigen Ad-hoc-Ansatz befreit und auf eine veränderte europarechtliche und finanzielle Basis gestellt werden. In diesem Sinne begrüßen wir die Festlegungen der Kommission. Wasserstoff fördern Es ist begrüßenswert, dass eine europäische Wasserstoffallianz („Clean Hydrogen Alliance“) gegründet werden soll. Die kapitalintensiven Investitionen in Wasserstofftechnologien sowie die Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei Fragen der Infrastrukturentwicklung erfordern eine gemeinsame europäische Antwort. Es kommt bei der konkreten Ausgestaltung der Allianz darauf an, ob diese Initiative in den Kontext einer europäischen Wasserstoffstrategie gestellt wird, welche im Moment noch fehlt. Zwar soll die Rolle von Wasserstoff in der geplanten Strategie für eine intelligente Sektorenintegration adressiert werden, bislang ist allerdings keine dezidierte „Wasserstoff-Roadmap der EU“ geplant. Wettbewerbsrecht überarbeiten Die Kommission will zu Recht die Wettbewerbsregeln auf ihre Schlagkraft und Vereinbarkeit mit aktuellen Kernherausforderungen der Industrie überprüfen. Unsere Unternehmen verlangen Antworten auf den unfairen Wettbewerb durch staatlich subventionierte Unternehmen aus Drittstaaten. Auch eine bessere Förderung von Unternehmenskooperationen in der EU sowie schlankere und schnellere Fusionskontrollverfahren sind notwendig. 5G für die Industrie anwendbar machen / 6G mitdenken Auch wenn die Bedeutung der 5G-Netze in der Strategie gezielt hervorgehoben wird, mangelt es an einer konkreten Ausgestaltung, vor allem bei der Netzsicherheit, industriellen Anwendungen und 6G. Wie auch im Rahmen des Ausbaus der 5G-Netze, muss schnellstmöglich ein 6G-Aktionsplan bis Mitte des Jahres 2020 erarbeitet werden. Auch hier gilt es, die Bedarfe der Industrie frühzeitig einzubeziehen. Rechtssicherheit bei der Datenschutzgrundverordnung schaffen In der Industriestrategie fehlt eine Aussage zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Bei der anstehenden Evaluation der DSGVO 2020 sollten gezielte gesetzliche Anpassungen vorgenommen werden, um die Rechtssicherheit in der Anwendungspraxis von Unternehmen zu erhöhen. Ein Großteil der rechtlichen Vorgaben in der DSGVO sind sehr knapp formuliert und dementsprechend auslegungsbedürftig. Innerhalb der EU kommt es zu einer uneinheitlichen Interpretation durch die nationalen Aufsichtsbehörden.

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Kompetenzen in Schlüsseltechnologien gezielt fördern Es ist begrüßenswert, dass die EU-Kommission eine „auf industrielle Innovation ausgerichtete Strategie“ verfolgt. Gerade bei Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) muss der Schwerpunkt auf industriellen Anwendungen liegen, um im Wettbewerb mit China oder den USA bestehen zu können. Allerdings bleibt es bei einer Formulierung von Zielen. Es werden keine neuen Impulse gegeben, wie diese Ziele erreicht werden können. Vielmehr verweist die Strategie auf die bereits gestarteten Vorhaben seitens der Kommission.

Bewertung der einzelnen Maßnahmen Zu Kapitel 3.1. Schaffung von Sicherheit für die Industrie: ein vertiefter und digitalerer Binnenmarkt (S. 6-7) Der BDI weist regelmäßig darauf hin, dass der EU-Binnenmarkt trotz anhaltender politischer Bekenntnisse zu einer vertieften Integration in allen Bereichen fragmentiert bleibt. Unternehmen können aufgrund zu komplexer und inkohärenter Regelungen, ineffizienter Um- und Durchsetzung von EU-Recht und Protektionismus durch die Mitgliedsstaaten das volle Potential des gemeinsamen Markts nicht voll ausschöpfen. Nicht zuletzt die gegenwärtigen Corona-bedingten Blockaden und Störungen der Lieferketten im Binnenmarkt haben die zentrale Bedeutung des gemeinsamen Markts für die europäische Wirtschaft eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Es ist daher positiv zu bewerten, dass die Kommission die Vertiefung des Binnenmarkts zu einem Schwerpunkt ihrer Industriestrategie gemacht hat. Dies wird auch von zentraler Bedeutung für die wirtschaftliche Erholung sein. Die Corona-Krise muss zum Anlass genommen werden, einen grundlegenden Neustart des Binnenmarkts in allen Bereichen zu forcieren. Wichtig bleibt dabei, Industrie- und Binnenmarktpolitik nicht künstlich voneinander zu trennen, sondern als zwei Seiten derselben Medaille zu betrachten. Zum Aktionsplan zur Durchsetzung des Binnenmarkts: Der von der EU-Kommission vorgeschlagene Aktionsplan zur Durchsetzung des Binnenmarkts ist dringend notwendig. Die mangelhafte Um- und Durchsetzung von EU-Recht in den Mitgliedstaaten bleibt eines der größten Hindernisse für einen gut funktionierenden Binnenmarkt. Die Durchsetzung des Binnenmarkrechts und die Ahndung von Regelverstößen sind für viele Binnenmarktmaterien wie Wettbewerbspolitik und -recht oder das öffentliche Auftragswesen wesentlich. Die angekündigten Maßnahmen für einen besseren Austausch zur Anwendung und Durchsetzung sowie zum Reformbedarf des EU-Rechts scheinen geeignet, um zu vertiefter Integration und einem „level playing field“ beizutragen. Die deutsche Industrie wird die industrierelevanten Einzelmaßnahmen begleiten und bewerten. Die im Aktionsplan angekündigte Schaffung einer Task Force zur Durchsetzung der Binnenmarktvorschriften ist ebenfalls zu begrüßen. Allerdings sollte ihr Mitgliederkreis unbedingt um Wirtschaftsvertreter erweitert werden. Dies ist unentbehrlich, um in der Praxis bestehende Probleme und adäquate Lösungsansätze besser identifizieren zu können. Im Übrigen sollte die EU-Kommission bei Verletzungen des Binnenmarktrechts weiterhin engagiert vom Instrument des Vertragsverletzungsverfahrens Gebrauch machen. Das gilt auch insoweit, als daneben nationale Rechtsmittel zur Verfolgung von Verstößen gegen national umgesetztes EU-Recht zur Verfügung stehen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das EU-Vertragsverletzungsverfahren als ein wichtiges Korrektiv erforderlich ist, wenn nationale Rechtsbehelfe erfolglos bleiben oder EU-Recht im Rahmen nationaler Verfahren nicht hinreichend berücksichtigt wird.

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Zum Bericht über Hindernisse im Binnenmarkt: Der Bericht der EU-Kommission zu Barrieren im Binnenmarkt ist ebenfalls uneingeschränkt zu begrüßen. Die dreizehn im Bericht identifizierten Hindernisse spiegeln die Probleme vieler deutscher Unternehmen zutreffend wider - vor allem des Mittelstandes und kleiner Unternehmen. Zurecht weist die EU-Kommission darauf hin, dass die Mitgliedstaaten für die größten Barrieren verantwortlich sind. Es bleibt jedoch unklar, wie die identifizierten Barrieren beseitigt werden sollen. Daher sollte die EU-Kommission zu jedem identifizierten Hindernis zügig Gegenmaßnahmen vorschlagen beziehungsweise transparent machen, welche bereits im Arbeitsprogramm der EU-Kommission genannten Initiativen geeignet sind, Abhilfe zu schaffen. Hinsichtlich des Abbaus von steuerlichen Hindernissen (Hindernis Nr. 9, S. 7) ist die Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) richtig. Mit der Umsetzung der gemeinsamen Bemessungsgrundlage allein geht allerdings noch keine Erleichterung für die Unternehmen einher. Um das ursprünglich mit der GKKB verbundene Ziel zu erreichen, die Rahmenbedingungen für grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeit im Binnenmarkt zu verbessern, müssen beide Stufen, Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage und Konsolidierung, zügig nacheinander umgesetzt werden. Daneben muss auch das europäische Mehrwertsteuersystem beim Abbau von Hindernissen im Binnenmarkt Beachtung finden. Der Bericht listet eine Reihe von Maßnahmen auf, um die Komplexität von EU-Recht (S. 13) zu adressieren. Das REFIT Programm ist in diesem Zusammenhang positiv zu bewerten. Das Programm sollte jedoch hinsichtlich des sog. “Acquis-Screening” der EU-Kommission transparenter gemacht werden: Es bedarf klarer Auswahlkriterien für die Aufnahme von Regularien in REFIT. Die künftige Fitfor-Future-Plattform muss es weiterhin ermöglichen, konkrete Probleme “bottom-up” an die EU-Kommission heranzutragen. Sie muss weiterhin mit dem jährlichen Arbeitsprogramm verbunden bleiben. Wichtig ist, die Mitgliedstaaten und die Wirtschaft aktiv bei der Ausarbeitung von Lösungen einzubeziehen. Dies gilt auch für Evaluierungen und Fitness-Checks. Ferner muss die Agenda für Bessere Rechtsetzung erweitert und vertieft sowie die Interinstitutionelle Vereinbarung über bessere Rechtsetzung von allen EU-Institutionen vollständig umgesetzt werden. Die EU-Kommission weist zurecht auf die Notwendigkeit hin, wesentliche Änderungen an Rechtsvorschlägen durch die Gesetzgeber einer Folgenabschätzung zu unterziehen. Sie erklärt jedoch nicht, wie sie dies sicherstellen will. EU-Kommission, Rat und EP sollten gemeinsam eine Definition einer “wesentlichen Änderung” entwickeln – beispielsweise in Form einer “Guidance”. Schließlich darf ein europäischer „One-in-One-out“-Mechanismus (OIOO) keinesfalls zu einer Segmentierung des bestehenden Binnenmarkt-Acquis führen. OIOO muss komplementär zu den bestehenden Instrumenten für bessere Rechtsetzung angewendet werden und sowohl administrative als auch Erfüllungskosten erfassen. Außerdem setzt OIOO voraus, dass die Kommission ihre Kapazitäten für die Quantifizierung von regulatorischen Kosten und Nutzen in ex-ante Folgenabschätzungen und ex-post Evaluierungen stärkt. Zu einer Strategie zur Vernetzung von KMU: Eine Strategie zur Vernetzung von KMU ist grundsätzlich positiv zu bewerten. Die Vernetzung von KMU allein hilft jedoch nicht weiter. KMU sind oft bereits integraler Bestandteil von Wertschöpfungsverbünden, in denen KMU, „small mid-caps“ und Großunternehmen gemeinsam wettbewerbsfähige Lösungen entwickeln und global anbieten. Daher sollte die geplante Strategie von einer künstlichen Trennung zwischen „technologisch versierten KMU“ und „etablierten Industrieunternehmen“ absehen. Stattdessen sollte sich die EU-Kommission auf die Stärkung der Zusammenarbeit in nach Branchen, Regionen und Unternehmensgrößen differenzierten Wertschöpfungsverbünden fokussieren und damit gleichzeitig industrie- und mittelstandspolitischen Nutzen stiften.

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Zu Standardisierungs- und Zertifizierungssystemen: Ein verstärktes Engagement der EU in internationalen Standardisierungsgremien wird begrüßt. Das New Legislative Framework (NLF), das den Rahmen für den europäischen Harmonisierungsprozess von Standards darstellt, sollte wieder zu einem gut funktionierenden Standardisierungssystem weiterentwickelt werden. Überbürokratisierte Mandate sowie lange Prüfungsprozesse der Kommission verhindern seit einigen Jahren eine schnelle Listung von harmonisierten Normen im EU-Amtsblatt und gefährden damit den schnellen Marktzugang und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Industrieunternehmen. Zum Aktionsplan für geistiges Eigentum: Eine Evaluierung des Rechtsrahmens für geistiges Eigentum – insbesondere hinsichtlich des Schutzes, der Durchsetzung und der Wertschätzung von Rechten am geistigen Eigentum – ist grundsätzlich sinnvoll. Die deutsche Industrie wird die Evaluierung und mögliche Folgemaßnahmen begleiten und bewerten. Das von der EU ansonsten geltend gemachte Bestreben, Schutz und Durchsetzung von Rechten am geistigen Eigentum durch Handelsund Investitionsabkommen zu erreichen, ist grundsätzlich ebenfalls begrüßenswert. Allerdings sollte die Kommission sicherstellen, dass tatsächlich ein „level playing field“ für alle Unternehmen geschaffen wird: Schutz und Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum müssen auch in der Rechtspraxis für EU-Unternehmen und Nicht-EU-Unternehmen gleichermaßen angewendet werden. Zur Bewertung, Überprüfung und erforderlichenfalls Anpassung der EU-Wettbewerbsvorschriften: Die Kommission will zu Recht die Wettbewerbsregeln auf ihre Schlagkraft und Vereinbarkeit mit aktuellen Kernherausforderungen der Industrie überprüfen. Dabei dürfen bewährte Instrumente des EU-Wettbewerbsrechts wie die Fusionskontrolle und das Beihilferecht, die zu einem „level playing field“ innerhalb des Binnenmarkts beitragen, aber nicht an Schlagkraft verlieren, denn offene Märkte und eine effektive Wettbewerbskontrolle durch die Kommission und die nationalen Kartellbehörden gehören zu den Kernelementen unserer Wirtschaftsordnung und sind auch Schlüsselelemente im systemischen Wettbewerb. Die Harmonisierung der wettbewerbspolitischen und -rechtlichen Bedingungen muss sowohl im Binnenmarkt als auch auf internationaler Ebene – insbesondere im Rahmen der WTO – vorangetrieben werden. Die EU-Kommission sollte bei Fusionsentscheidungen – wo dies erforderlich ist – den globalen Wettbewerb durch außereuropäische Unternehmen noch stärker in den Fokus nehmen, den potenziellen Wettbewerb auf einer längeren Zeitschiene prüfen und Effizienzerwägungen stärker berücksichtigen. Die Kommission sollte Fusionskontrollverfahren außerdem beschleunigen und verschlanken. Wettbewerbsrechtlich stärker zu berücksichtigen sind die mit der fortschreitenden Digitalisierung verbundenen Veränderungen in Märkten und Wertschöpfungsketten. Datenkooperationen oder die (notwendige) Zusammenarbeit zur Realisierung innovativer Projekte z. B. im Rahmen gemeinsamer Plattformen und Durchführung gemeinsamer Forschungsprojekte werden in der Praxis durch fehlende Rechtssicherheit hinsichtlich der kartellrechtlichen Beurteilung erschwert oder sogar verhindert. Die Kommission sollte die Gelegenheit nutzen und bei der aktuellen Überarbeitung der Rahmenbedingungen für horizontale Kooperationsvereinbarungen die dringend gebotene Rechtssicherheit erhöhen, indem sie den Anwendungsbereich näher erläutert, präzisiert und um weitere Fallgestaltungen erweitert. Der BDI hat diesbezüglich auch bereits Vorschläge unterbreitet, beispielsweise zugunsten informeller Vorabgespräche und behördlicher Entscheidungen, die besagen, dass „kein Anlass zum Tätigwerden besteht“. Er hat zudem eine ausführliche Stellungnahme mit vielen Änderungsvorschlägen im Rahmen der Konsultation zu den Horizontal-Leitlinien abgegeben. Das EU-Beihilferecht sollte einen Fokus auf Investitions- und Innovationsförderungen in Schlüsseltechnologien legen und europäischen Unternehmen dadurch bessere Ausgangschancen im globalen Wettbewerb gewähren. Der BDI begrüßt die beihilferechtliche Förderung von „IPCEI-Projekten“ in Bereichen wie Mikroelektronik, Batteriezellfertigung oder „Low Carbon Industry”. Allerdings sind insoweit

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eine breitere Ausrichtung, mehr Praxisfälle und schnellere Genehmigungen erforderlich. Die „Matching-Klauseln“, die auch im Forschungsbeihilferahmen und in der Mitteilung zu den IPCEIs vorgesehen sind, sollen dazu dienen, Wettbewerbsnachteile europäischer Unternehmen gegenüber Konkurrenten aus Drittstaaten in spezifischen Fällen auszugleichen. In ihrer derzeitigen Form sind sie allerdings nicht praktikabel und müssen überarbeitet werden. Die im Rahmen der von der Kommission im „Green Deal“ beabsichtigten "green transition" notwendigen, kostenintensiven Umstellungen industrieller Prozesse sollten bei der Evaluierung der jeweiligen beihilferechtlichen Regelungen berücksichtigt werden. Überdies sind auch die aufgrund der COVID19-Auswirkungen hervorgerufenen wirtschaftlichen Belastungen der Unternehmen, in eine Gesamtbetrachtung mit einzustellen Zur Weiterverfolgung der Europäischen Datenstrategie sowie zum Gesetz über digitale Dienste: Die deutsche Industrie begrüßt den grundsätzlichen Ansatz, den regulatorischen Rahmen für digitale Plattformen europaweit zu vereinheitlichen. In einem digitalen Binnenmarkt bedarf es eines LevelPlaying-Fields für Betreiber und Nutzer digitaler Plattformen. Gleichzeitig müssen die unterschiedlichen Charakteristika von B2C- und B2B-orientierten digitalen Plattformen bei der Ausarbeitung des Gesetzes über digitale Dienste berücksichtigt werden. Dies ist umso bedeutender, als dass regulatorische Maßnahmen disproportional stark kleine, häufig durch KMU oder Start-Ups betriebene B2BPlattformen treffen, für die die Einhaltung von Monitoring-Pflichten sowie sich stetig wandelnde regulatorische Anforderungen mit besonders hohen Erfüllungsanstrengungen verbunden sind. Zu Kapitel 3.2. Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen in der Welt (S. 8-9) Zum Weißbuch über ein Instrument gegen ausländische Subventionen: Zur Wahrung des fairen Wettbewerbs in der Welt ist es geboten, die international geregelten Möglichkeiten der handelspolitischen Schutzinstrumente im Interesse der gesamten Industrie in der EU auszuschöpfen. Subventionen von ausländischen Anbietern in der EU, die diesen aus ihren Heimatländern gewährt werden, können zu negativen Folgen für den fairen Wettbewerb bzw. für europäische Unternehmen im Wettbewerb führen. Eine stärkere Ausrichtung der Anwendungspraxis auf ausländische Investitionen und eine ergebnisoffene Prüfung eines neuen EU-Instruments ist daher begrüßenswert. Bedeutsam ist vor allem die von der Kommission erwähnte Frage des Zugangs von Staatsunternehmen aus Drittstaaten zu Beschaffungsmärkten und Förderinstrumenten der EU. Dabei ist es wichtig, der nicht wünschenswerten Praxis etlicher EU-Mitgliedstaaten entgegenzuwirken, im Rahmen von EU-geförderten Projekten Bieter aus Drittstaaten (insbesondere Staatsunternehmen) zu bevorzugen, die zu dumpingverdächtigen Preisen anbieten und damit eine wettbewerbswidrige Konkurrenz zu Unternehmen aus der EU bilden. Dies könnte beispielsweise dadurch bewirkt werden, dass im Falle der Förderung von Projekten durch EU-Mittel für nachfolgende Vergaben bindend vorgeschrieben wird, dass dabei bestimmte auftragsbezogene EU-Mindestbedingungen, etwa in Bereich des Umweltschutzes, einzuhalten sind. Ziel muss es sein, dem Unterlaufen eines fairen Wettbewerbs entgegenzuwirken. Dabei muss – ebenso wie bei der Diskussion über das „International Procurement Instrument“ („IPI“, siehe unten) – sorgfältig darauf geachtet werden, dass bei einem etwaigen Instrument gegen ausländische Subventionen nachteilige Wirkungen für EU-Akteure, die nicht von Unternehmen aus verschlossenen Drittstaaten beherrscht oder kontrolliert werden, vermieden werden. Zur Stärkung der weltweiten Regeln für Industriesubventionen: Der BDI unterstützt grundsätzlich die Initiativen der EU, Industriesubventionen in der WTO stärker zu regeln. Ein Positionspapier dazu legt der BDI in Kürze vor. Notwendige Maßnahmen und Anreize für die Industrie, um die Klimaschutzziele zur erreichen und Carbon-Leakage zu bekämpfen, sollten dadurch allerdings nicht eingeschränkt werden.

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Zum Instrument betreffend das internationale Beschaffungswesen: Die Bemühungen der Kommission zur Verbesserung des Zugangs europäischer Unternehmen zu noch verschlossenen Märkten in Drittstaaten sowie die Zielsetzung des IPI sind sehr zu begrüßen. Allerdings muss der muss der vorliegende Verordnungsvorschlag für ein „International Procurement Instrument“ („IPI“) nachgebessert werden. Andernfalls wäre das IPI für eine Marktöffnung von Drittstaaten zu ineffektiv, und es drohten unnötige bürokratische Belastungen, Rechtsunsicherheiten und -risiken für öffentliche Auftraggeber ebenso wie für Unternehmen. Der BDI begleitet die diesbezüglichen Beratungen weiter aktiv. Zum Aktionsplan für die Zollunion einschließlich verstärkter Zollkontrollen: Die deutsche Industrie lehnt verstärkte Zollkontrollen ab. Bei den Unterschieden in der europaweiten zollrechtlichen Praxis scheint dies eine eher plumpe Maßnahme zu sein. Der deutsche Zoll ist in vielerlei Hinsicht im 21. Jahrhundert angekommen und bedient sich längst IT-gestützter Verfahren zu Risikoanalyse. Damit erfüllt er bereits jetzt eine seiner Kernaufgaben und schützt den Binnenmarkt effektiv und effizient. Allerdings könnte es eine der Aufgaben des Leitenden Handelsbeauftragten (siehe unten) sein, die Zollpraxis auch europaweit zu prüfen und die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten. Hier herrschen noch erhebliche Unterschiede; das betrifft ganz ausdrücklich das unterschiedlich ausgeprägte Digitalisierungsniveau in der Union. Grundsätzlich sollte eine solche Transparenz zu neuen Erkenntnissen darüber führen, wie digitalisierte Maßnahmen die Zollverfahren für die Wirtschaftsbeteiligten erleichtern. Dies war das zentrale Versprechen des Unionszollkodex. Bislang haben jedoch mögliche Erleichterungen zu oft Nachrang gegenüber immer neuen digitalisierten Kontrollmöglichkeiten eingenommen. Zur Einsetzung eines Leitenden Handelsbeauftragten: Die Einhaltung internationaler Handelsabkommen ist zentral und bleibt eine Herausforderung, insbesondere aufgrund der wachsenden Zahl von umfassenden EU-Freihandelsabkommen und der WTO-Krise im Bereich der Streitschlichtung. Deswegen begrüßt der BDI den neuen Fokus auf die Durchsetzung von Regeln grundsätzlich. Ob allerdings die Schaffung eines neuen Amtes hilfreich ist, hängt von der Ausgestaltung und Praxis ab. BusinessEurope hat wichtige Anforderungen an den leitenden Handelsbeauftragten an die Kommission übermittelt.3 Zum Vorschlag, die Einhaltung des Übereinkommens von Paris zu einem wesentlichen Bestandteil aller künftigen umfassenden Handelsabkommen zu machen: Sollte die Einhaltung des Klimaschutzübereinkommens von Paris zu einem wesentlichen Bestandteil aller künftigen umfassenden Handelsabkommen werden, wird nicht nur die Ratifizierung, sondern auch die zum Teil nur schwer zu überprüfende Einhaltung des Klimaabkommens zu einem ausschlaggebenden Kriterium. Dies könnte die Aufnahme von Verhandlungen, den Verhandlungsabschluss und die Umsetzung umfassender Handelsverträge mitbestimmten, auch strategisch äußerst wichtigen Partnern wesentlich erschweren oder gar unmöglich machen (z.B. mit den USA). Der BDI unterstützt verbindliche Nachhaltigkeitskapitel in Handelsabkommen, zu denen auch entsprechende Vereinbarungen zum Pariser Klimaschutzabkommen gehören können. Da aber auch Freihandelsabkommen ohne diese Komponente einen substanziellen Beitrag zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit leisten können, lehnt der BDI es ab, der Einhaltung des Übereinkommens von Paris ein so dominantes Gewicht in Freihandelsabkommen zu geben. Wenn es im Interesse der EU ist, Handelsabkommen abzuschließen, darf dies nicht durch starre rote Linien verhindert werden, auch wenn diese das Klimaschutzabkommen betreffen.

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https://www.businesseurope.eu/publications/chief-trade-enforcement-officer-letter-markus-j-beyrer-eu-commissioner-phil-hogan (eingesehen am 2.04.2020)

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Zu Kapitel 3.3. Unterstützung der Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität (S. 9-10) Zur Strategie für eine intelligente Sektorenintegration: Bei der konkreten Umsetzung kommt es darauf an, ob diese Initiative in den Kontext einer europäischen Wasserstoffstrategie gestellt wird, welche im Moment noch fehlt. Zwar soll die Rolle von Wasserstoff in der geplanten Strategie adressiert werden, bislang ist allerdings keine dezidierte „Wasserstoff-Roadmap der EU“ geplant. Diese ist aus Sicht des BDI für ein koordiniertes Vorgehen seitens der Mitgliedstaaten notwendig. Ebenso ist eine solche Roadmap für die Konkretisierung der Zielsetzung der „Clean Hydrogen Alliance“ erforderlich. Im Moment bleiben Zielsetzung und Maßnahmen ziemlich vage. Es darf nicht passieren, dass die „Clean Hydrogen Alliance“ zu einem reinen groß angelegten F&E-Projekt wird. Der Fokus sollte vor allem auf der Umsetzung erster Anlagen im industriellen Maßstab und der Entwicklung und Finanzierung der notwendigen Infrastrukturen liegen. Zur Steigerung der Innovationsfähigkeit des Energiesektors durch die Nutzbarmachung von Daten im gemeinsamen europäischen Energiedatenraum: Die Nutzbarmachung von Daten im gemeinsamen europäischen Energiedatenraum ist zur Steigerung der Innovationsfähigkeit des Energiesektors von zentraler Bedeutung. Die flächendeckende Erhebung, Erschließung und Verfügbarmachung großer heterogener Daten sollte unter Berücksichtigung der regulatorischen Vorgaben der Entflechtung ermöglicht werden. Die Energiewirtschaft hat bereits heute viele Schnittstellen zu anderen Wirtschaftssektoren. In einer KI-basierten Echtzeit-Energiewirtschaft gewinnen diese Schnittschnellen nicht nur an Bedeutung, sondern werden zu einer ökonomischen Komponente. Daten sind der Rohstoff der Zukunft. Die Schnittstellen der Echtzeit-Energiewirtschaft u. a. zu Open Data gilt es zum Nutzen aller Bereiche zu fördern. Insbesondere würde die integrierte Datennutzung zwischen Netz und Vertrieb weitere KI-Effizienzpotenziale erschließen. Die Nutzungsrechte von Daten müssen privatautonom definiert und geregelt werden, auch für den Bereich der Daseinsvorsorge. Zur Einrichtung der Plattform für einen gerechten Übergang zur technischen Unterstützung und Beratung CO2-intensiver Regionen und Industriezweige: Um innerhalb der nächsten fünf Jahre die richtigen Weichen für die bezweckten Transformationen der Industrie zu stellen, bedarf es der Verbesserung der wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen. Unternehmen müssen bei kostenintensiven Innovationsprozessen unterstützt werden. Mehr Raum und mehr Rechtssicherheit für horizontale Kooperationen von Unternehmen sowie der Ausbau von „Important Projects of Common European Interest“ („IPCEI“) sind wesentliche Bestandteile. Zur EU-Strategie für sauberen Stahl und Nachhaltigkeitsstrategie für Chemikalien: Den Themen sauberer Stahl sowie Chemikalien widmet die Strategie nur wenig Beachtung. Der “Masterplan for a Competitive Transformation of EU Energy-intensive Industries”4 befasst sich in einem 13 Seiten umfassenden Kapitel vergleichsweise ausführlich mit „Developing climate-neutral solutions and financing their uptake“. Es ist unverständlich, wieso darauf nicht Bezug genommen wird. Eine der Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche Dekarbonisierung der Industrie, auf die in der Industriestrategie nicht eingegangen wird, ist der verlässliche Zugang zu kostengünstigem erneuerbarem Strom. Der Verband der chemischen Industrie (VCI) hat in seiner Studie „Roadmap Chemie 2050“5 nachgewiesen, dass die massiven, in der chemischen Industrie erforderlichen Investitionen, nur unternommen werden, wenn erneuerbarer Strom (in ausreichender Menge, d. h. ab Mitte der 2030er Jahre etwa 628 TWh

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https://ec.europa.eu/docsroom/documents/38403?locale=de

https://www.vci.de/services/publikationen/broschueren-faltblaetter/vci-dechema-futurecamp-studie-roadmap-2050-treibhausgasneutralitaet-chemieindustrie-deutschland-langfassung.jsp

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jährlich) zuverlässig für nicht mehr als 4 €Cent/kWh zur Verfügung steht. Ähnliche Abschätzungen existieren auch für andere Sektoren. Weiterhin ist nicht nachvollziehbar, warum nicht auf das Thema Emissionshandel und CO2-Bepreisung eingegangen wird (Carbon Leakage etc.), zumal das EU-ETS von DG Klima als Schlüsselinstrument für den Klimaschutz in der Industrie dargestellt wird6. Zur Überarbeitung der Verordnung über die transeuropäischen Energienetze: Der BDI begrüßt ausdrücklich, dass die Verordnung über die transeuropäischen Netze in diesem Jahr überarbeitet werden soll. Der BDI begrüßt ferner die von der Kommission identifizierten neun prioritären Korridore im Bereich Energie, Gas und Öl. Auch unterstützt der BDI die prioritären Themen. Die Smartifizierung der Netze soll die Erneuerbaren Energien besser integrieren und Möglichkeiten schaffen, den Energieverbrauch noch besser zu regeln. Der von der Kommission angedachte Bau von „Electricity Highways“ innerhalb der EU ist ebenfalls positiv. Hervorzuheben ist, dass die Kommission nicht nur o. g. Korridore und Themen inhaltlich fördern will, sondern gleichzeitig ein „funding“ für neue Infrastrukturen in Aussicht stellt. Auch dies erachten wir als positiv. Im Sinne der „Sector Integration Strategy“ sollte der Ausbau von Strom- und Gasleitungen gemeinsam gedacht sein. In diesem Zusammenhang begrüßt der BDI den erstmalig durch die Übertragungsnetzbetreiber gemeinsam erstellten Szenariorahmen für Strom und Gas auf europäischer Ebene. Zudem sollte der regulatorische Rahmen den Transport von erneuerbaren Gasen und Wasserstoff ermöglichen. Eine Umwidmung von Gasnetzen bzw. der Ausbau von wasserstofffähigen Transportnetzen und dessen Betrieb ist Grundvoraussetzung für die Entstehung eines europäischen Wasserstoffbinnenmarktes. Zur EU-Strategie für erneuerbare Offshore-Energie: Die Ankündigung einer europäischen Off-horeWindstrategie ist generell positiv zu bewerten. Die Potenziale der Offshore-Windenergie wurden bislang in Europa noch nicht ausreichend erschlossen. Dabei verfügt die EU, insbesondere mit der Nordsee sowie im Mittelmeerraum, über ertragreiche Standorte für Offshore-Wind. Um diese Standorte vollumfänglich zu erschließen, bedarf es eines verlässlichen europäischen Regulierungsrahmens für gemeinsame Wind-Offshore-Projekte. Dieser muss daher im Rahmen der geplanten Offshore-Windstrategie adressiert werden bzw. mit der Strategie soll ein Vorschlag für einen solchen europäischen Regulierungsrahmen vorgelegt werden. Erste Schritte hierzu wurden bereits unter der deutschen Präsidentschaft der Nordsee-Kooperation im ersten Halbjahr 2020 vorgenommen. Zur Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität: Die Ankündigung einer Strategie für smarte und nachhaltige Mobilität wird vom BDI begrüßt. Es ist unerlässlich, dass diese Strategie die Vorteile eines jeden Verkehrsträgers für das ganze System erkennt und nutzbar macht. In diesem Zusammenhang fehlt allerdings neben der Zusage zur Förderung von Forschung und Entwicklung die Vorstellung einer gezielten Strategie für den Markthochlauf alternativer Antriebe und Kraftstoffe für alle Verkehrsträger. Hier gilt es, neben Wasserstoff auch synthetische und biogene Kraftstoffe als Alternativen aufzubauen. Neben der Strategie für smarte und nachhaltige Mobilität sollte auch die angekündigte Strategie für intelligente Sektorintegration Querverbindungen zwischen dem Mobilitätssektor und der Industrie

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Vgl. Website DG CLIMA: „The EU emissions trading system (EU ETS) is a cornerstone of the EU's policy to combat climate change and its key tool for reducing greenhouse gas emissions cost-effectively. It is the world's first major carbon market and remains the biggest one“ https://ec.europa.eu/clima/policies/ets_en

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erkennen und die entsprechenden Rahmenbedingungen für eine bessere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Bereichen ermöglichen. Richtigerweise setzt die Kommission auf gezielte Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur. Hier sollten bessere Rahmenbedingungen sowohl für ein multimodales Verkehrssystem als auch für den Hochlauf alternativer Antriebe und Kraftstoffe geschaffen werden. Es fehlen aber konkrete Vorschläge, wie eine Incentivierung zum Umstieg auf klimafreundliche Technologien nicht nur auf der Angebots-, sondern auch auf der Nachfrageseite aussehen kann. Hinsichtlich der erforderlichen Infrastruktur für den ökologischen Wandel gilt es, neben dem Ausbau des Schienennetzes für Personen- und Güterverkehr, die Errichtung von Lade- und Tankinfrastrukturen im Straßenverkehr voranzutreiben. Darüber hinaus fehlt in der Strategie eine fundierte Abschätzung der heutigen und zukünftig möglichen Leistungsfähigkeit (d.h. u.a. Transportkapazitäten) des Verkehrsträgers Schiene. Dem Umstand, dass für die Attraktivität des Schienengüterverkehrs effiziente Zu- und Nachläufe auf der Straße gewährleistet sein müssen, wird keine Rechnung getragen. Es ist richtig, dass diese Technologieführerschaft der Mobilitätsbranche nur mit einem Plus an Investitionen in den Sektor beibehalten werden kann. IPCEIs bieten hier die Möglichkeit, neue Technologien voranzutreiben. Die Weiterentwicklung der Batterieallianz ist sehr wichtig; gleiches gilt auch für die Wasserstofftechnologie. Außerdem ist es erfreulich, dass die EU-Kommission erkennt, dass neue Standards für eine sichere, nachhaltige, bezahlbare und zuverlässige Mobilität auf internationaler Ebene vereinbart und entlang der gesamten Wertschöpfungskette in der Entwicklung eingebunden sein sollten. In Sachen vernetzter und automatisierter Mobilität trifft die EU-Industriestrategie keine konkreten Aussagen. Im Rahmen der Strategie für smarte und nachhaltige Mobilität müssen konkrete Maßnahmen angekündigt werden, die die Potentiale dieser Innovation im Transformationsprozess der nächsten Jahrzehnte anerkennen. Intelligente Verkehrsmanagementsysteme, vernetztes und automatisiertes Fahren und „Mobility as a Service“-Anwendungen sind ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur sicheren und klimafreundlichen Mobilität und bieten neue Geschäftsmodelle in einer sich wandelnden Branche. Der Ausbau der 5G-Infrastruktur entlang der Verkehrswege sowie die Schaffung einer Verkehrsdateninfrastruktur sind für diese Entwicklung von hoher Bedeutung. Zur „Renovierungswellen“-Initiative und Strategie für die bauliche Umwelt: Bei der Umsetzung des Klimapakets geht es auch darum, die großen Treibhausgaseinsparpotenziale im Gebäudesektor schnell und umfassend zu mobilisieren. Im Gebäudesektor können Treibhausgasminderungen nachweislich volkswirtschaftlich günstiger und leichter umgesetzt werden als in anderen Sektoren. Das Vorhaben der Kommission zur rigoroseren Durchsetzung der Rechtsvorschriften über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, beginnend mit einer Bewertung der langfristigen nationalen Renovierungsstrategien der Mitgliedstaaten im Jahr 2020, ist deshalb sehr wichtig. Bei der Bewertung der Nachhaltigkeit der baulichen Umwelt müssen bereits etablierten Instrumente, die, wie z.B. der ETS, die Nachhaltigkeit der Bauprodukte-Herstellung sichern, berücksichtigt werden. Zum CO2-Grenzausgleichssystem: Das Klimaschutz-Ambitionsgefälle zu Wettbewerbern wächst, daher ist ein erweiterter Carbon Leakage-Schutz erforderlich. Zusätzliche technologieneutrale Maßnahmen und marktwirtschaftliche Anreize sind nötig, um die notwendigen Investitionen und Innovationen für die Realisierung des Green Deal zu ermöglichen. In der Industrie gibt es Bedenken gegen CO2-Grenzausgleichsmaßnahmen (CBA). Es ist eine umfassende und ergebnisoffene Prüfung dieses Instruments notwendig. CBA können die kostenfreie Zuteilung und die Strompreiskompensation gemäß EU ETS-Richtlinie nicht ersetzen.

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Zu Kapitel 3.4. Aufbau einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft (S. 11-12) Der Aktionsplan Kreislaufwirtschaft enthält zahlreiche Maßnahmen, die erheblich in die Gestaltung von Produkten, den Ablauf von Produktionsprozessen sowie die Ausgestaltung von Wertschöpfungsketten eingreifen werden. Dies gilt etwa für den angekündigten Rahmen für eine nachhaltige Produktpolitik, der u.a. Fragen der Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Reparierbarkeit oder des Rezyklatanteils in Produkten regeln wird. Ebenso relevant sind verbraucherbezogene Initiativen, wie das geplante „Recht auf Reparatur“, das Auswirkungen auf das allgemeine Gewährleistungsrecht haben wird. Des Weiteren wird das Ziel von schadstofffreien Kreisläufen erhebliche Umstellungen in der Produktgestaltung und in Produktionsprozessen nach sich ziehen. In der Strategie geht die Kommission davon aus, dass sich Unternehmen vor allem die Möglichkeit biete, die grüne Transformation aktiv zu gestalten und die Chancen zu nutzen, die Europas starke Position im Bereich der Kreislaufwirtschaft und sauberen Technologien gewähre. Die neuen Initiativen und angekündigten Regelungen stellten demnach als solche einen Wettbewerbsvorteil dar. Demgegenüber fehlt jedoch eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie die sich bei der Transformation ergebenden Herausforderungen von Unternehmen, insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen zu bewerkstelligen sind. Die Industriestrategie müsste hierauf eine konkretere Antwort geben, etwa im Hinblick auf die notwendigen Investitionen oder die Förderung der Innovation in diesem Bereich. Die angekündigte Innovationsstrategie könnte hier einen Ansatz bieten. In dieser Strategie müsste jedoch ein konkreter Bezug zu Klima- und Umwelttechnologien sowie zur Kreislaufwirtschaft hergestellt werden. Zu Kapitel 3.5. Förderung des Innovationsgeistes in der Industrie (S. 12-13) Die zentrale Bedeutung von Innovation, innovativem Mindset und Kompetenzen („Skills“) für die Wertschöpfung am Standort Europa – insbesondere auf dem Gebiet der digitalen Technologien – wird zurecht betont. Der BDI teilt auch die weitere Analyse der Kommission, von der Notwendigkeit in Zukunft noch stärker in Forschung und Innovation zu investieren und vermehrt industrielle Innovationen (statt rein „digitalen“) zu fördern. Ebenso stimmt die Analyse, dass in Europa zu wenig bahnbrechende/disruptive Innovationen – insbesondere von KMU – geschaffen und erfolgreich am Markt implementiert werden. Anreize für mehr Innovation können auch dem Mittelstand und Familienunternehmen nutzen. Allerdings gilt es hier, zu bürokratiearmen, niederschwellig erreichbaren und praxistauglichen Angeboten zu kommen. Der neue Europäische Innovationsrat (EIC) in Horizon Europe (HEU) soll diesem Missstand ab 2021 durch die konkrete Förderung von innovativen/disruptiven europäischen Startups/KMU abhelfen. Zur Mitteilung über die Zukunft von Forschung und Innovation sowie den Europäischen Forschungsraum: Die zentrale Bedeutung eines innovationsfördernden Rechtsrahmens wird zumindest angerissen. Hier hätte die Strategie auf aktuelle Diskussionen, zum Beispiel zur weiteren Verankerung des Innovationsprinzips, hinweisen können. Es fehlt der konkrete Hinweis auf aktuell laufende, beziehungsweise geplante Instrumente, beispielsweise auf Horizon Europe (HEU) insgesamt. Es gibt nur einen Verweis auf die Notwendigkeit, öffentlich-private Partnerschaften zur Erreichung der Ziele des “Green Deal” zu gründen, und auf einen bevorstehenden Pakt für Kompetenzen. Dies hätte am Beispiel von einzelnen Instrumenten/Initiativen von HEU konkretisiert werden können. Es ist begrüßenswert, dass die Kommission eine „auf industrielle Innovation ausgerichtete Strategie“ verfolgt. Gerade bei Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz muss der Schwerpunkt auf industriellen Anwendungen liegen, um im Wettbewerb mit China oder den USA bestehen zu können. Es werden allerdings keine neuen Impulse gegeben, wie die genannten Ziele erreicht werden können. Vielmehr verweist die Strategie auf die bereits gestarteten Vorhaben seitens der Kommission. Es wird

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betont, dass wir „grundsätzlich unsere Risikoscheu ablegen und Rückschläge akzeptieren“ müssen. Allerdings wird dies in der Realität nicht gelebt. So sieht das Weißbuch zu Künstlicher Intelligenz einen horizontalen Regulierungsrahmen vor, um die Risiken von KI abzufangen. Dies steht im Widerspruch zu einer risikofreudigeren Ausrichtung der Innovationspolitik. Die im Weißbuch zu KI vorgeschlagenen Maßnahmen, wie zum Beispiel die geplanten Konformitätsbewertungen, können die Markteinführung innovativer KI-Anwendungen erheblich verzögern oder gar verhindern. Zu Kapitel 3.7. Investitionen und Finanzierung des Übergangs (S. 14-15) Zur Annahme und Umsetzung des nächsten langfristigen Haushalts: Zur Bewältigung der ökonomischen und sozialen Auswirkungen der Corona-Krise sowie auch der ökologischen Herausforderungen unserer Zeit braucht es einen gewaltigen Investitionsschub in Europa, für den die Unternehmen eine Unterstützung der EU selbst und ihrer Fördereinrichtungen sowie der jeweiligen Mitgliedsstaaten benötigen. Dafür müssen vor allem auch die in der Industriestrategie angerissenen Ziele ausreichend finanziell untermauert werden. Im angekündigten neuen Vorschlag für einen Mehrjährigen Finanzrahmen muss dies – anders als im bisherigen Vorschlag – gewährleistet sein. Damit stehen und fallen wesentliche Teile dieser Industriestrategie und der wirtschaftlichen Krisenbewältigung insgesamt. Zur Prüfung der Möglichkeiten für koordinierte Investitionen von Mitgliedstaaten und Industrie in Form neuer IPCEI: Die „Wichtigen Projekte von besonderem europäischem Interesse“ (IPCEIs) stellen ein wichtiges Instrument dar, um technologiepolitisch bedeutsame Innovationen bis hin zur Umsetzung im Markt zu ermöglichen. Die Ausarbeitung von Investitionsfeldern im Rahmen von „strategischen Wertschöpfungsnetzwerken“ in industriellen Ökosystemen und die Schaffung eines neuen Rechts- und Finanzrahmens für IPCEIs müssen durch die Europäischen Institutionen von ihrem derzeitigen Ad-hoc-Ansatz befreit und auf eine veränderte europarechtliche und finanzielle Basis gestellt werden. In der Ausgestaltung der Vorhaben sollte die Finanzierung auch aus Mitteln des europäischen Haushalts, von InvestEU und von der Europäischen Investitionsbank in Ergänzung zu nationalen Haushaltsmitteln ermöglicht werden. Die Kommission sollte zudem ein standardisiertes Rechtsvehikel mit strukturierter Finanzierungsmöglichkeit und Kreditaufnahmefähigkeit schaffen, um die Administration, europarechtliche Klärung und Finanzierung in konkreten Fällen rascher bewirken zu können. Die deutsche Industrie wird diese Fragen der Ausgestaltung konsequent begleiten. Zur Überarbeitung der Beihilfevorschriften für IPCEI: Die Absicht, die Beihilfevorschriften für IPCEI zu überarbeiten, ist grundsätzlich positiv. Die im Jahr 2021 avisierte Überarbeitung darf allerdings nicht zu einer Verzögerung bei der Umsetzung von IPCEI führen. Denn Projektideen liegen schon heute auf dem Tisch. Eine zügige Umsetzung ist für die Technologieführerschaft der EU im Wettkampf insbesondere mit den asiatischen Herstellern absolut zentral. Zur Strategie für ein nachhaltiges Finanzwesen (EU-Taxonomie): Die Kommission stellt zurecht fest, dass im Finanzsystem Anreize für Investitionen in wettbewerbsfähige Nachhaltigkeit geschaffen werden müssen. Die Taxonomie wird hierbei eine entscheidende Rolle einnehmen. Für die Industrie ist wichtig, dass mit der Taxonomie Investitionen in eine große Technologiebreite zur Erreichung der Klimaziele angereizt und die Unternehmen in ihren zum Teil sehr kostenintensiven Transformationsprozessen unterstützt werden. Vor allem KMU und “small mid-caps" werden vor erhebliche Herausforderungen bei der Unternehmensfinanzierung gestellt werden und sollten in sämtlichen Initiativen sowie Folgenabschätzungen der Kommission gesondert geprüft werden. Vor dem Hintergrund des Finanzierungsbedarfs der Unternehmen nach der Covid-19-Krise ist die praxisnahe Ausgestaltung der technischen Kriterien von entscheidender Bedeutung. Zudem dürfen Unternehmen hinsichtlich der Informationsbereitstellung in Form von Offenlegungspflichten nicht überfordert werden.

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Zum Aktionsplan zur Schaffung einer Kapitalmarktunion: Der BDI teilt das fortgesetzte Bemühen der Kommission hinsichtlich der Schaffung einer Kapitalmarktunion. Im Fokus sollte der Verbriefungsmarkt, ein erleichterter Zugang zu den Anleihe- und Aktienmärkten, insbesondere für größere mittelständische Unternehmen und die Förderung der Risikokapital- und Beteiligungsfinanzierungen stehen. Ebenso schätzen wir die Beseitigung struktureller Hemmnisse im Insolvenz-, Unternehmens-, Wertpapier- und Steuerrecht für das Vorhaben von großer Bedeutung ein. Zu Kapitel 4 Stärkung der industriellen und strategischen Autonomie Europas (S. 16-18) Zu den Folgemaßnahmen zur Mitteilung zur 5G-Einführung und zur Empfehlung zur Cybersicherheit von 5G-Netzen: Um das Ziel der industriellen und strategischen Autonomie Europas erreichen zu können, bedarf es einer ganzheitlichen europäischen Industrie-, Innovations- und Sicherheitspolitikstrategie, die an dem Leitprinzip der strategischen digitalen Souveränität ausgerichtet ist. Bisher fehlt es jedoch an dem Willen, unterschiedliche politische Handlungsstränge genau hierauf kohärent auszurichten. Hinsichtlich digitaler Souveränität gilt zu beachten, dass das Streben nach einer strategischen digitalen Souveränität nicht um ihrer selbst willen thematisiert werden darf, sondern als Kernbestandteil einer zukunftsgerichteten Standortpolitik verstanden werden muss. Hierfür bedarf es eines ganzheitlichen Ansatzes, der Technologien, Kompetenzen und den regulatorischen/politischen Rahmen ebenso verzahnt wie die individuelle, organisatorische und politische Ebene. Hinsichtlich Schlüsseltechnologien ist es begrüßenswert, dass in der Strategie ein besonderer Fokus auf Schlüsseltechnologien und insbesondere auf Quantencomputing gelegt wird – hier liegen für Europa enorme Chancen. Denn wissenschaftlicher Fortschritt und erfolgreiche neue Geschäftsmodelle basieren in immer größerem Maße auf der Auswertung großer Datenmengen. Die Verfügbarkeit hochperformanter Rechenkapazitäten ist daher eine wesentliche Voraussetzung, um langfristig die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu sichern. Mit der Überarbeitung der EU-Vorschriften für den Telekommunikationsbereich (EU-Kodex/ EECC), welche nun in den Mitgliedstaaten implementiert werden, hat die Kommission kluge Anreize für Investitionen in Gigabit-Netze geschaffen. Es braucht nun ehrgeizige Ziele im Ausbau der Fest- und Mobilfunknetze und ein punktgenaues Monitoring der verabschiedeten Maßnahmen, um die Wirtschaft mit den besten Netzen der Welt auszustatten. Hinsichtlich 5G wird die Bedeutung der 5G-Netze in der Industriestrategie gezielt hervorgehoben. Allerdings mangelt es an der konkreten Ausgestaltung, vor allem bei: 

Netzsicherheit: Die bisher durch die Kommission getätigten Schritte zur Stärkung der Sicherheit von 5G-Netzen sind richtig und wichtig. Einen Ausschluss von Herstellern einzelner Komponenten aus dem Kernnetz darf nur auf Basis transparenter Sicherheitsanforderungen erfolgen. Alle Hersteller von 5G-Netzkomponenten müssen die gleichen hohen technischen, politischen und rechtlichen Kriterien erfüllen. Es braucht eine Benennung und Umsetzung konkreter Maßnahmen, u.a. die Ausarbeitung des Cybersicherheitskatalogs auf Basis des EURechtsakts zur Cybersicherheit für 5G-Netzwerkkomponenten. Hierüber könnten europaweit einheitlich die Sicherheitsanforderungen an 5G-Netzwerkkomponenten gestellt werden.

Industrielle Anwendungen: Die Ziele hochgesicherter und hochmoderner 5G-Netze und die Stärkung der Standardisierungs- und Zertifizierungssysteme gilt es zu vereinen. Industrielle Anforderungen müssen schon im frühen Stadium des 5G Standardisierungsprozesses einbezogen werden. Hierfür ist eine stärkere Zusammenarbeit der Kommission mit Industrie-

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Standardisierungsplattformen wie der 5G-ACIA - Arbeitsgemeinschaft notwendig. Ziel müssen weltweit gültige Rahmenbedingungen sein, die der Industrie einen Zugang zu einem 5G Spektrum gewährleisten. 

6G: Wie auch im Rahmen des Ausbaus der 5G-Netze, muss schnellstmöglich ein 6G-Aktionsplan bis Mitte des Jahres 2020 erarbeitet werden. Auch hier gilt es, die Bedarfe der Industrie frühzeitig einzubeziehen.

Kritisch ist zu bemerken, dass die Strategie das Thema Gewährleistung konsistenter Cyber-Regulierungen für Europa nicht aufgreift. Die Stärkung der Cyberresilienz von Hard- und Softwareprodukten muss auch zukünftig vorangetrieben werden. Dabei gilt es, eine konsistente Cyber-Regulierung für Europa zu gewährleisten. Für Unternehmen ist es von großer Bedeutung, dass ihre Bemühungen zur Stärkung der Cyberresilienz nicht durch inkonsistente Regulierungen, nationale Alleingänge oder einseitige Anforderungen konterkariert werden. Da auf Produkte regelmäßig mehr als eine Vorschrift anzuwenden ist, sind insbesondere widerspruchsfreie und kohärente Anforderungen essenziell. Auch zukünftig sollte die europäische Normungsarbeit nach den Prinzipien des New Legislative Framework (NLF) aktiv in die Erarbeitung von Cybersicherheitsanforderungen eingebunden werden. Zum Aktionsplan für Synergien zwischen der zivilen, der Verteidigungs- und der Weltraumindustrie: Stärkere gemeinsame Anstrengungen im Bereich „Sicherheit und Verteidigung“ sind zu begrüßen und längst überfällig. Leider greifen die angekündigten Maßnahmen der Kommission zu kurz bzw. zielen in die falsche Richtung. Zum jetzigen Zeitpunkt scheint der Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) als unterfinanziert, bürokratisch und – gemessen an den in diesem Rahmen zur Verfügung gestellten Mitteln und Strukturen – überambitioniert. Weder Mitgliedstaaten noch Industrie werden absehbar damit umgehen können. Der EDF scheint wie ein politisches Tool der Kommission, um viele Stakeholder nach dem Gießkannenprinzip zu befriedigen und wird somit in seiner Wirkung beschränkt sein. Die Kommission berücksichtigt nicht im ausreichenden Maße politische und wirtschaftliche, sondern auch nicht zentrale verteidigungs- und rüstungspolitische Rahmenbedingungen. Um der starken Fragmentierung des europäischen Rüstungsmarktes entgegenzuwirken, braucht es vor allem eine Harmonisierung der Bedarfe der Mitgliedsstaaten. Nur wenn diese im EDF und dessen Projekten einen konkreten militärischen, technologischen und industriellen Mehrwert sehen und sich auf gemeinsame Spezifikationen einigen, kann der EDF zum Aufbau europäischer Verteidigungskapazitäten und zur Schließung kritischer Fähigkeitslücken beitragen. Gemeinsame Forschung, Entwicklung und ggf. Beschaffung, leistungsfähige Wertschöpfungsketten, grenzüberschreitende Zusammenarbeit, offene und dynamische Lieferketten mit KMU und disruptive Technologien lassen sich nicht verordnen, sondern resultieren aus dem Streben nach Exzellenz und dem freien und fairen Wettbewerb. Leider lässt die Industriestrategie die weiterhin bestehenden ungleichen wettbewerblichen Rahmenbedingungen außer Acht. Dies gilt insbesondere für die unzureichende Umsetzung und Anwendung der Vergaberichtline 2009/81 und die direkte und indirekte Einflussnahme von Staaten auf Unternehmen. Neben der vorgelegten Industriestrategie und den schon vorliegenden politikfeld- und branchenspezifischen Papieren sind folgende weitere Maßnahmen erforderlich:   

Orientierung an realen militärischen Bedarfen; zwingende Synchronisierung nationaler Fähigkeitsbedarfe/Harmonization of requirements; Abstimmung europäischer Prozesse mit nationalen Planungen und Haushaltsaufstellungen;

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   

Vereinfachung der Verfahren und Bürokratieabbau bei europäischen Vorhaben in Forschung und Entwicklung; dabei auch branchenspezifische Finanzierung/Fördermittelvergabe; Orientierung an Exzellenzkriterien; Abschaffung von Offsets; Einhaltung wettbewerblicher Rahmenbedingungen/Level Playing Field. Dies gilt im europäischen und globalen Kontext.

Sehr zu begrüßen ist, dass dem Weltraumsektor eine zentrale Bedeutung für die Zukunft der EU zugeschrieben wird. Zudem ist richtig und wichtig, dass der Einfluss von Weltraumtechnologien, -daten und -diensten auf die Entwicklung sämtlicher Spitzentechnologien hervorgehoben wird, auch in Bereichen, die auf den ersten Blick nicht zwangsläufig mit der Raumfahrt verbunden zu sein scheinen. Die Verknüpfung der zivilen, Verteidigungs- und Weltraumindustrie in EU-Programmen zur Erzielung von Synergien ist zu begrüßen, muss aber konkretisiert werden. Dem Zusammenhang zwischen den digitalen Zukunftstechnologien (KI, Big Data, IoT), der wachsenden Bedeutung von Daten(-zugang) und dem Weltraumsektor wird im Papier nicht ausreichend Rechnung getragen: Raumfahrt sollte als Schlüssel für die entsprechenden Datenverfügbarkeiten stärker herausgestellt werden. Diese, sowie ein unabhängiger, eigenständiger und selbstbestimmter Zugang zum Weltraum, sind essenziell für die industrielle Wettbewerbsfähigkeit sowie die technologische und strategische Souveränität der EU. Zudem wäre auch ein stärkerer Fokus auf die steigende Kommerzialisierung der Raumfahrt weltweit und konkrete Maßnahmen auf die hieraus resultierenden Herausforderungen erforderlich und wünschenswert. Zur neuen Arzneimittelstrategie der EU: Der BDI begrüßt die Absicht der Kommission, die Herstellung und Erforschung von medizinischen Produkten und Arzneimitteln mit einer eigenständigen Strategie zu stärken. Vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie ist die Bedeutung funktionierender Gesundheitssysteme augenfällig. Wichtig ist, dass zur medizinischen Versorgungssicherheit unterschiedliche Branchen der Gesundheitswirtschaft beitragen: Die pharmazeutische Industrie, die Medizintechnik, die Biotechnologie sowie die Informations- und Kommunikationstechnik. Zusätzlich zu einer Arzneimittelstrategie braucht Europa eine Industriestrategie für die gesamte industrielle Gesundheitswirtschaft. Ziel muss die Schaffung von Strukturen sein, die es Unternehmen ermöglichen, nachhaltige, innovative Lösungen schnell in die Regelversorgung für Patienten zu bringen. Hierbei kommt einer stärkeren Digitalisierung der europäischen Gesundheitssysteme – insbesondere in Form eines European Health Data Spaces – eine besondere Bedeutung zu. Als konkrete Maßnahmen für die Stärkung der industriellen Gesundheitswirtschaft in Europa schlägt der BDI folgendes vor: 1. Den Ausbau der industriellen Forschungsförderung; 2. Den Aufbau eines europäischen Datenraums für den sicheren Austausch und die Verwendung von Gesundheitsdaten für die akademische und industrielle Forschung; 3. Die bessere Honorierung von europäischen Herstellungsstätten mit hoher Produktions- und Lieferqualität. Letzteres sollte stets auf der gezielten Setzung von Anreizen beruhen. Die Wettbewerbsfähigkeit des Gesundheitsstandorts Europa geht einher mit einer sicheren, qualitativ hochwertigen und bezahlbaren Versorgung der europäischen Gesundheitssysteme.

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Zum Aktionsplan zu kritischen Rohstoffen: Sehr zu begrüßen ist, dass der Sicherstellung der zukünftigen Rohstoffversorgung der EU eine hohe Bedeutung zugeschrieben wird. Ein Aktionsplan zu kritischen Rohstoffen ist eine längst überfällige Maßnahme, die nun zügig umgesetzt werden muss. Jedoch müssen zeitnah, unter Einbeziehung von Experten aus der Industrie, weitere konkrete Ansätze und Maßnahmen definiert und umgesetzt werden. Dabei müssen alle drei Säulen der Rohstoffsicherung – Importrohstoffe, heimische Rohstoffe und Recyclingrohstoffe – gleichrangig beachtet werden. Die Politik muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, um einen fairen Wettbewerb auf offenen Märkten zu ermöglichen und so einen diskriminierungsfreien Zugang zu Rohstoffen aus dem Ausland sicherzustellen. Die Ausweitung internationaler Partnerschaften für den Rohstoffzugang ist ein richtiger Schritt. In diesem Zusammenhang sollte die EU sich noch stärker für den Abschluss internationaler Handelsabkommen einsetzen und mithilfe einer stärkeren Verzahnung von Rohstoffförderung und Entwicklungspolitik auf die Rahmenbedingungen vor Ort Einfluss nehmen. Es ist unabdingbar, die im Papier angestrebte diversifizierte Rohstoffbeschaffung zu erreichen. Erforderlich sind konkrete Maßnahmen, wie dies und eine Verringerung der Abhängigkeit erfolgen kann. Der strategischen und sicherheitstechnischen Relevanz einer sicheren Rohstoffversorgung, welche essenziell für die Funktion sämtlicher industrieller Wertschöpfungsketten ist, sollte noch stärker Rechnung getragen werden. Schließlich bedarf es der Etablierung eines faktenbasierten Rohstoffbewusstseins als Grundlage eines gesamtgesellschaftlichen Vertrauens in eine verantwortungsvolle Rohstoffgewinnung. Zu Kapitel 5 Verbindungen schaffen: Ein partnerschaftlicher Governance-Ansatz (S. 18-19) Zur europäischen Allianz für sauberen Wasserstoff: Es ist begrüßenswert, dass eine europäische Wasserstoffallianz („Clean Hydrogen Alliance“) gegründet werden soll. Die kapitalintensiven Investitionen in Wasserstofftechnologien sowie die Notwendigkeit einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bei Fragen der Infrastrukturentwicklung erfordern eine gemeinsame europäische Antwort. Hinsichtlich der Bildung von Industrieallianzen begrüßt der BDI die EU-seitige Unterstützung von Industrie-Clouds und -Plattformen, weist aber darauf hin, dass diese unternehmerisch und nicht staatlich gelenkt werden müssen. Der Staat kann sich als Promoter und insbesondere als großer Kunde einbringen und jungen Industriecloud-/plattformlösungen durch seine Nachfrage zum Markterfolg verhelfen. Aufbauend auf der industriellen Stärke der europäischen Wirtschaft leisten deutsche Unternehmen mit ihren digitalen B2B-Plattformen einen essenziellen Beitrag zur Implementierung der Industrie 4.0. Bei einer etwaigen Regulierung dieser Plattformen muss der europäische Gesetzgeber unbedingt mit Augenmaß vorgehen und die europäische Plattformlandschaft vorab eingehend analysieren. Denn aktuell sind im Bereich digitale B2B-Plattformen keine marktbeherrschenden Tendenzen einzelner Plattformen in Europa festzustellen. Industrielle Plattformen sind vielfach hochgradig fokussiert auf bestimmte, eng definierte Einsatzfelder und Branchen. Zudem gibt es hier deutlich geringere Asymmetrien zwischen Plattformbetreibern und Plattformnutzern, da letztere ebenfalls Unternehmen sind. Diese unterschiedlichen Realitäten müssen in zukünftigen regulatorischen Maßnahmen (insbesondere Digital Services Act) berücksichtigt werden. Zur Ermittlung von Ökosystemen: Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass die Kommission unter Beteiligung der Betroffenen analysieren will, welche Risiken und Bedürfnisse auch aus der „Rolle von KMU und Großunternehmen“ entstehen. Mittelständler aus dem BDI stehen für konkreten Input hier

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und für „Botschafter für strategisches Unternehmertum“ im Sinne der europäischen KMU-Strategie gern bereit Zur Einrichtung eines Industrieforums: Der BDI begrüßt diese Initiative als Maßnahme zur Erhöhung der Sichtbarkeit und politischen Relevanz einer europäischen Industriepolitik. Zugleich gilt darauf hinzuweisen, dass ein solches Forum den weiterhin parallel erforderlichen kontinuierlichen Austausch mit den repräsentativen Verbänden der europäischen Industrie nicht ersetzen kann und darf.

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Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Dr. Heiko Willems Geschäftsführer BDI/BDA The German Business Representation T.: + 3227921002 h.willems@bdi.eu Dr. Klaus Deutsch Abteilungsleiter Research, Industrie- und Wirtschaftspolitik T.: +493020281591 k.deutsch@bdi.eu Dokumenten Nummer: D 1668

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