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Carbon Border Adjustment Zum geplanten EU-Vorschlag eines CO2-Grenzausgleichsmechanismus
18. Mai 2020
Kernpunkte ▪ Die deutsche Industrie unterstützt die Pariser Klimaziele. Damit das Klima wirksam geschützt werden kann, müssen die Staaten global enger als bisher kooperieren. ▪ Im Klimaschutz wächst das Ambitionsgefälle zu Wettbewerbern. Wenn Unternehmen in der EU mehr Klimaschutz realisieren als anderswo, ist ein erweiterter Carbon Leakage-Schutz erforderlich. Dieser sowie zusätzliche technologieneutrale Maßnahmen und Anreize sind nötig, um die notwendigen Investitionen und Innovationen für die Realisierung des Green Deal zu ermöglichen. ▪ Wenn die herkömmlichen Instrumente der freien Zuteilung sowie Strompreiskompensation für einen vollständigen Carbon Leakage-Schutz nicht ausreichen, können zusätzlich auch ein Grenzausgleich und andere Schutzmechanismen ergebnisoffen geprüft werden. ▪ Solche Maßnahmen müssten WTO kompatibel und praktikabel ausgestaltet werden, und ihr Einsatz sollte international abgestimmt erfolgen, um neue Handelskonflikte zu vermeiden. Große Teile der deutschen Industrie hegen jedoch starke Bedenken gegen Grenzausgleichsmechanismen. ▪ Grenzausgleichsmaßnahmen können kostenfreie Zuteilungen und Strompreiskompensation nicht ersetzen, sondern allemal nur ergänzen. ▪ Keine Legislativvorschläge ohne umfassendes Impact Assessment. Es braucht Antworten auf Fragen zu praktischer Umsetzbarkeit, Auswirkungen auf komplexe Wertschöpfungsnetzwerke, auf handelspolitische Beziehungen/Exporte etc. Die Erfassung und Verifizierung von „Product Carbon Footprints“ ist für viele Produkte nicht leistbar. ▪ Eine kraftvolle und konkrete EU-Industriestrategie ist unerlässlich. Die Beihilferegeln und das Innovationumfeld sind nicht kompatibel mit den Green Deal Herausforderungen. In vielen Politikbereichen müssen die Regeln noch verbessert werden.
Eckart von Unger | Außenwirtschaftspolitik | T: +3227921020 | e.vonunger@bdi.eu | Dr. Joachim Hein | Energie und Klimapolitik | T: +49 30 20281555 | j.hein@bdi.eu | www.bdi.eu
Carbon Border Adjustment
Die deutsche Industrie unterstützt die Pariser Klimaziele. Das im Green Deal formulierte Ziel der Klimaneutralität Europas bis 2050 wird dem Weltklima nur helfen, wenn andere Volkswirtschaften ebenfalls substanziellen Klimaschutz betreiben. Letztlich müssen die Staaten enger als bisher kooperieren, damit das Klima wirksam geschützt werden kann. Ein auf G20-Ebene vereinheitlichtes CO2-Bepreisungssystem würde hierzu einen großen Beitrag leisten. Verschärft die EU-Kommission einseitig die europäischen Klimaziele, wächst das bestehende Ambitionsgefälle zu internationalen Wettbewerbern noch weiter. Ohnehin haben Industrie und Verbraucher, vor allem energieintensive Unternehmen, in Deutschland bereits erhebliche energiewendebedingte Sonderlasten zu tragen. Eine Verringerung der freien Zuteilung von Treibhausgas-Zertifikaten und steigende CO2-Kosten in Kombination mit weiteren Einschnitten bei der Strompreiskompensation machen auf absehbare Zeit einen erweiterten Carbon Leakage-Schutz notwendig. Ohne diesen werden ganze Industriebranchen in Europa durch internationale Wettbewerber mit niedrigeren Klimaschutz-Standards in der Existenz bedroht sein. Eine Verlagerung industrieller Produktion in Regionen mit weniger strengen Auflagen schadet dem Standort Europa und konterkariert auch das globale Klimaziel. Die Transformation hin zu CO2-neutralem Wirtschaften ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie wird von der Industrie mitgetragen, nicht zuletzt da sie grundsätzlich neue Marktchancen eröffnet und Impulse für Investitionen entfalten kann. Die Industrie kann diese enorme Transformation nicht allein erbringen und benötigt deshalb zusätzliche Unterstützung. Die EU-Kommission muss daher in dieser Amtszeit zusätzliche technologieneutrale Maßnahmen und Anreize beschließen und die nötigen Freiräume und Fördermaßnahmen für Investitionen und Innovationen schaffen, um bei dem durch den Green Deal vorgegebenen Umbau unserer Gesellschaften voranzukommen. CO2-Grenzausgleichsmaßnahmen stehen aus Sicht des BDI unter dem strikten Vorbehalt, dass WTOKompatibilität und Praktikabilität gewährleistet sind. Eine mit den WTO-Regeln kompatible Ausgestaltung hat hohe Hürden und würde voraussichtlich die Erfassung (und Verifizierung) von „Product Carbon Footprints“ für viele Produkte im In- und Ausland erfordern. Eine einfach zu handhabende und allgemein akzeptierte Einordnung von Produkten nach der CO2-Intensität ihrer Herstellung wäre erforderlich, existiert bis heute aber noch nicht. Unverhältnismäßiger bürokratischer Aufwand für Administration und Wirtschaft muss vermieden werden. Ein symmetrischer Mechanismus, der den CO2Fußabdruck von Produkten belastet, muss auch eine Kompensation für den Export von Produkten vorsehen, um Wettbewerbsnachteile der europäischen Industrie auf Exportmärkten zu verhindern. Eine zusätzliche Belastung für die europäische Produktion muss verhindert werden. Die Gefahr von „Carbon Leakage“ darf deshalb nicht einfach in andere Teile der Wertschöpfungskette verlagert werden. Negative Auswirkungen auf Downstream-Industrien und Disruptionen in internationalen Wertschöpfungsketten müssen vermieden werden. Grenzausgleichsmechanismen können keinesfalls die kostenfreie Zuteilung und die Strompreiskompensation ersetzen. Große Teile der deutschen Industrie hegen daher starke Bedenken gegen Grenzausgleichsmechanismen. Vor legislativen Initiativen der Kommission zu Grenzausgleichsmaßnahmen ist ein sorgfältiges und umfassendes Impact Assessment unabdingbar. Dieses sollte neben verschiedenen Ausgestaltungen dieser Maßnahmen auch zusätzliche Instrumente zum bestehenden Schutz vor Carbon Leakage und zur Unterstützung der Transformation der Industrie darstellen. Die praktische Umsetzbarkeit, die möglichen Auswirkungen auf die komplexen Wertschöpfungsketten und -netzwerke sowie auf die Exportseite der Wirtschaft sind bei der Bewertung der Alternativen ausführlich zu würdigen.
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Carbon Border Adjustment
Retorsionsmaßnahmen von Drittstaaten müssen vermieden werden. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen daher den Dialog mit internationalen Partnern über Klimaschutzmaßnahmen intensivieren. Carbon Leakage-Schutz, z. B. durch Grenzausgleichsmaßnahmen, darf nicht zu Protektionismus und mehr Handelskonflikten führen. Die EU-Kommission muss den Green Deal mit einer kraftvollen und konkreten Industriestrategie flankieren, welche wirksame Maßnahmen beinhaltet, um Klimaschutz auch wirtschaftlich erfolgreich betreiben zu können und einen Verlust an industrieller Wertschöpfung zu verhindern. Bestehende Maßnahmen für den Schutz vor Carbon Leakage (z. B. kostenfreie Zuteilung und Strompreiskompensation) müssen in jedem Fall erhalten bleiben, neue hinzukommen. Auch die Rahmenbedingungen (z. B. Innovationsumfeld, Industriestrompreise) müssen angesichts der nie dagewesenen Heraus-forderungen des Green Deal deutlich verbessert werden. Sie spielen eine entscheidende Rolle für den Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit in diesem Transformationsprozess. Dabei müssen auch die Beihilferegeln angepasst werden.
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