Spannungen im internationalen Container-Seeverkehr

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Spannungen im internationalen Container-Seeverkehr Vier Kernforderungen der seeverladenden Industrie

3. Juni 2021

Hintergrund Das unter der Flagge Panamas fahrende 400 Meter lange, 224.000 Tonnen schwere und voll beladene Containerfrachtschiff EVER GIVEN kam am 23. März im Suezkanal vom Kurs ab und versperrte rund eine Woche lang die Durchfahrt durch den Suezkanal in beide Richtungen. Der Suezkanal ist mit 193 Kilometer die kürzeste Seewegverbindung zwischen Asien und Europa. Im Jahr 2019 durchquerten den Kanal knapp 19.000 Schiffe, über 50 Schiffe täglich; knapp zwölf Prozent des Welthandels (vgl. https://de.statista.com). Der Vorfall führte daher in der Folge zu einem erheblichen Rückstau von fast 400 Schiffen an beiden Eingängen des Kanals und damit zu negativen Effekten auf die maritimen Lieferketten. Denn die Blockade mit ihren Nachwirkungen auf die Lieferketten der Industrie kamen zu einer Unzeit und verschärften eine sich seit Ende 2020 aufbauende Spannungslage im internationalen Container-Seeverkehr. Ein aktuelles Stimmungsbild aus der seeverladenden Industrie spiegelte aber bereits vor der Blockade die angespannte Situation im Container-Seeverkehr wider, vor allem auf den Strecken zwischen Asien und Europa: Mangelnde Containerverfügbarkeit, fehlende Transportkapazitäten und Unpünktlichkeit der Schiffsankünfte sowie Qualitätsdefizite bei steigenden Transportkosten beeinträchtigten sektorenübergreifend die Lieferketten und teilweise auch die Produktionsabläufe bereits seit dem Jahreswechsel. So erschweren zunehmend unkalkulierbare Frachtkosten für die Containertransporte, beispielsweise auf für die deutsche Industrie wichtigen Seerouten nach Nordamerika, die Planbarkeit von Logistikprozessen der Unternehmen infolge von kurzfristigen und unvorhersehbaren Mehrkosten mit eheblichen Auswirkungen auch auf die Produktpreise. Des Weiteren ist ein merklicher Anstieg der Verschiebungen von Container-Abfahrtszeiten bzw. -terminen bei den Reedereien eine zusätzliche Belastung für die Planbarkeit von maritimen Lieferketten und Produktionsprozessen für die Industrie. Die infolgedessen teils massiven Verspätungen der Transporte von teils mehreren Wochen in Im- und Export gehen zu Lasten der Unternehmen. Zusätzliche Transportmengen finden aktuell kurzfristig kaum Transportkapazitäten und können teilweise erst nach mehreren Wochen verladen werden, während in manchen Fällen vertraglich geregelte Mengenvereinbarungen von den Reedereien nicht eingehalten werden.

Robin Kunst | Mobilität und Logistik | T: +49 30 2028-1751 | r.kunst@bdi.eu | www.bdi.eu


Spannungen im internationalen Container-Seeverkehr

Die Blockade im Suezkanal verschärfte die Lage zusätzlich. So sieht sich die seeverladende Industrie, die auf Rohstoff- oder Bauteillieferungen sowie den Versand ihrer Fertigprodukte über Seetransporte angewiesen ist, neben Auswirkungen auf ihre maritimen Lieferketten auch mit Beeinträchtigungen ihrer Produktionsabläufe konfrontiert. Von den Spannungen im Container-Seeverkehr sind insbesondere die Linienverkehre im ContainerSeeverkehr von Europa und Deutschland nach Asien-Pazifik, insbesondere China und Nordamerika, betroffen. Umgekehrt ist der Container-Seeverkehr aus Asien-Pazifik, zuvorderst aus China und von Nordamerika nach Europa und Deutschland, von Unregelmäßigkeiten und Defiziten betroffen. Die Gründe für die Spannungen im Container-Seeverkehr sind vielfältig: Im Bereich des internationalen Seeverkehrs kam es mit Ausbruch der Pandemie und dem Herunterfahren weiter Teile der industriellen Produktion weltweit zu zahlreichen sogenannten „blank sailings”, d. h. dem Ausfall ganzer Liniencontainerschiffe zur Kapazitätsverknappung, als Reaktion auf ein Überangebot an Schiffsraum infolge von zurückgegangener Nachfrage. Auch corona-bedingte Schwierigkeiten beim Crewwechsel (aufgrund von länderspezifischen Quarantänebestimmungen) sowie in den Häfen (aufgrund von Erkrankung bzw. Quarantäne) führten zu Personalengpässen und begrenzten Umschlagskapazitäten in den Häfen mit negativen Konsequenzen für den internationalen Seeverkehr. Auf ein zügiges Wiederhochfahren infolge einer gestiegenen Nachfrage nach Schiffsraum war der Markt augenfällig nicht vorbereitet. Hinzu kam eine gestiegene Nachfrage nach Container-Kapazitäten für den Transport von Konsumware, die während der Lockdowns weltweit angestiegen ist. Zusammen mit der turnusmäßig gesteigerten Nachfrage nach Seetransporten über den Jahreswechsel in Vorbereitung auf die Feiertage über das Chinesische Neujahrsfest nahmen die Spannungen im internationalen Container-Seeverkehr, insbesondere zwischen Europa und Asien/China, mit Verspätungen in den Häfen und Defiziten in Qualität und Verfügbarkeit von Containern enorm zu – zum Leidwesen der seeverladenden Industrien, die auf Transportkapazitäten und planbare Schiffsankünfte angewiesen sind. Auch nach der Öffnung des Suezkanals ist weiterhin mit Problemen zu rechnen: Der Rückstau verlagert sich auf die Häfen. Eine zeitverzögerte Abfertigung und noch längere Wartezeiten der Schiffe, die auf Löschung der Fracht an den Hafenterminals warten, baut zusätzlichen Druck auf die Lieferketten auf. Der Druck im Seeverkehr wird nach ersten Prognosen voraussichtlich bis ins dritte Quartal 2021 weiterbestehen.

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Spannungen im internationalen Container-Seeverkehr

Forderungen der seeverladenden Industrie Zuverlässige, robuste internationale Lieferketten im Container-Seeverkehr sind für die seeverladende exportorientierte Industrie von fundamentaler Bedeutung. Die Nachwehen der pandemiebedingten Ausfälle und Qualitätsmängel im Linienseeverkehr holen die Industrie aktuell erneut ein. Bereits vor der Coronakrise waren Defizite im Seeverkehrs-Transportmarkt erkennbar. Der BDI hat daher zuletzt bei der erst im April 2020 von der EU-Kommission verlängerten Gruppenfreistellungsverordnung für Seeschifffahrtsunternehmen (GVO) auf die Notwendigkeit von Ergänzungen, die die Qualität der Transportdienstleistungen und Pünktlichkeit der Schifffahrtskonsortien nachweisbar gewährleisten, deutlich hingewiesen. Es fehlt an regulatorischen Mechanismen, um Defizite in Qualität, Pünktlichkeit von Schiffsankünften und Verfügbarkeit von Containern und Frachtkapazitäten zu sichern. Die Industrie ist auf einen verlässlichen Seeverkehr gerade jetzt angewiesen, um den Hochlauf der Industrie nicht erneut zum Stottern zu bringen. Daher richten wir unseren dringenden Appell an die Europäische Kommission, folgende Punkte der GVO zu analysieren und etwaige Ergänzungen zur Sicherung von Qualität und Zuverlässigkeit im Seeverkehr zu berücksichtigen, damit Seelogistikketten nicht weiteren Schaden nehmen: 1. Zuverlässigkeit gewährleisten: Aktuell, wie schon in den zurückliegenden Jahren, sind zunehmend Defizite im Seeverkehrs-Transportmarkt erkennbar geworden, die auf ein abnehmendes Wettbewerbsniveau hindeuten. Hierzu zählen eine spürbare Verknappung des Schiffsraums, das bisherige Ausbleiben einer Erhöhung der Schiffsabfahrtfrequenzen und die Abnahme angebotener Hafenpaare mit direkten Diensten. Insbesondere ist bei der Pünktlichkeit kein Trend der Verbesserung erkennbar. Die Zuverlässigkeit der Transportdienstleistungen muss besser sichergestellt werden. 2. Qualität sichern: Qualitätsdefizite, wie Beschädigungen an gestellten Containern und Defizite bezüglich der Pünktlichkeit der Containerbereitstellung, die Knappheit an Leerequipment sowie Unpünktlichkeit der Schiffsankünfte, beeinträchtigen die maritime Lieferkette massiv. Eine Überprüfung der Qualität der Konsortien im Sinne der Transparenz für mehr Zuverlässigkeit, Planbarkeit und Pünktlichkeit ist erforderlich. 3. Qualitäts- und Produktivitätssteigerung rechtlich verankern: Das zentrale Ziel der regulatorischen Ermöglichung der Konsortienbildung, nämlich eine Produktivitätssteigerung und eine Steigerung der Qualität der Transportdienstleistung, sollten deutlicher als bisher im Text der GVO fixiert werden. Ein planbares Kapazitätsmanagement muss gewährleistet werden können, wenn die Vorzüge der Konsortienbildung in der Linienschifffahrt auch weiterhin wettbewerbskonform genutzt werden sollen. 4. Transparenz schaffen: Inwieweit diese mit der Verordnung verbundenen Ziele erreicht werden, sollte effizient ermittelbar sein. Hierzu sollte die Kommission einheitliche, mit wenig Aufwand erfüllbare Berichts- und Transparenzpflichten vorschreiben, zum Beispiel durch regelmäßig zu veröffentlichende Berichte bezüglich der Ankunftspünktlichkeit auf den von Konsortien betriebenen Routen.

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Spannungen im internationalen Container-Seeverkehr

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Robin Kunst Referent Mobilität und Logistik T: +49 30 2028-1751 r.kunst@bdi.eu

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