Die Wettbewerbsfähigkeit Europas: Stellungnahme zum Draghi-Bericht

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STELLUNGNAHME | EUROPAPOLITIK | WETTBEWERB

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas

Eine Bewertung des Draghi-Berichts

27. November 2024

Der Bericht von Mario Draghi zur „Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union“ vom 9. September 2024 stellt einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über die langfristige wirtschaftliche Stärke und Stabilität Europas dar. In einer Zeit schwachen Wirtschaftswachstums, globaler Unsicherheiten, geopolitischer Spannungen und wachsender internationaler Konkurrenz – insbesondere seitens der USA und Chinas – ist der Bericht ein Weckruf an Europa.

Die Analyse verdeutlicht schonungslos, dass die Wettbewerbsfähigkeit der EU unter erheblichem Druck steht. Die EU hat in den letzten dreißig Jahren beim Wachstum, der Produktivität und der Innovationskraft gegenüber den USA und China erheblich nachgegeben. Europa droht in Schlüsseltechnologien wie Künstlicher Intelligenz und Quantencomputing den Anschluss zu verlieren. Die hohe Abhängigkeit von Drittstaaten bei kritischen Rohstoffen und die hohen Energiepreise belasten zusätzlich Gleichzeitig muss die EU die Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft vorantreiben, um die Klimaziele zu erreichen

Erforderlich ist eine industriepolitische Strategie für die EU, mit der Schlüsseltechnologien wie Künstliche Intelligenz und grüne Innovationen vorangetrieben werden. Forschung und Entwicklung müssen gestärkt und die Resilienz gegenüber Schocks verbessert werden Notwendig sind eine radikale Verbesserung der Rahmenbedingungen für Europas Unternehmen, günstigere Energiepreise, eine ambitionierte Kapitalmarktunion, besserer Zugang zu Fachkräften und vor allem Bürokratieabbau. Zudem sollte die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten intensiviert und der Binnenmarkt vertiefet werden Viele Empfehlungen des Draghi-Berichts spiegeln sich in den Mission Letters der neuen EUKommissionsmitglieder wider.

Der Antritt der neuen Europäischen Kommission im Dezember 2024 bietet eine gute Gelegenheit die zentralen Inhalte des Draghi-Berichts umfassend zu beleuchten. Neben einer Zusammenfassung der Inhalte des Draghi-Berichts aus Sicht der deutschen Industrie, enthält diese Stellungnahme eine Bewertung der wesentlichen Empfehlungen. Die Gliederung orientiert sich dabei am Draghi-Bericht. Die Stellungnahme enthält zudem zwei Exkurse zu steuerlichen Aspekten sowie Planungs- und Genehmigungsverfahren, die nicht in eigenen Kapiteln, aber an vielen Stellen des Draghi-Berichts angesprochen und daher gesondert betrachtet werden. Governance und Finanzierung werden im ersten Teil der Stellungnahme adressiert.

Allgemeine

Empfehlungen / Part A

Gesamtwirtschaftliche und wirtschaftspolitische Themen

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Wachstumsabstand der Europäischen Union (EU) zu den Vereinigte Staaten von Amerika (USA) hat sich in den letzten 20 Jahren erhöht, bei der Wirtschaftsleistung von 15 auf 30 Prozent, beim kaufbereinigten Wert von plus vier zu minus zwölf Prozent (um 16 Prozentpunkte), pro Kopf und kaufkraftbereinigt von 31 auf 34 Prozent.

▪ Der Haupttreiber ist die fehlende Innovationskraft in digitalen Technologien in Europa, die das Produktivitätswachstum in den USA ganz wesentlich vorangetrieben haben.

▪ Europa leidet auch stärker unter dem schwachen Wachstum des Welthandels, dem durch den russischen Angriffs-Krieg verursachten Energie-Schock und der notwendigen Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Erschwerend kommt die vorauslaufende Dekarbonisierung bei sehr hohen Energiekosten hinzu.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Laut dem Draghi-Bericht ist eine kohärente Klima-, Industrie- und Handelspolitik ebenso erforderlich wie eine Resilienzstrategie. Binnenmarkt, Industriepolitik, Governance und Finanzierung müssen allesamt vertieft und verbessert werden. Sektoraufgaben kommen hinzu. Außenschutz, Offenheit und Dekarbonisierung müssen mit einer sehr differenzierten, fallweisen Strategie verfolgt werden.

▪ In der Finanzierung sind alle relevanten Bausteine zu verbessern: Fokus und Volumen von Programmen für Wettbewerbsfähigkeit, höhere Risikofreude der Europäischen Investitionsbank (EIB), verstärkter Einsatz von Garantien, um die Risiken für den Privatsektor zu reduzieren, dedizierte Kreditprogramme für transeuropäische Netze und Forschung und Entwicklung (FuE) für Verteidigung, neue wichtige Projekte von gemeinsamem europäischem Interesse (Engl: Important Projects of Common European Interest, IPCEI) für strategische Felder der Wettbewerbsfähigkeit (unter anderem energieintensive Industrie, Automobile, Weltraum) und Modulierung der Rückzahlung von NextGenerationEU. Der Löwenanteil der Impulse muss jedoch durch nationale Investitionsanreize für den privaten Sektor erfolgen (zum Beispiel steuerliche Anreize und Zuschüsse).

▪ Im Bereich Governance schlägt der Draghi-Bericht vor, einen neuen Rahmen für die Koordinierung der Wettbewerbsfähigkeit zu etablieren, um diese im Europäischen Rat entlang der strategischen Leitlinien sicherzustellen. Dies soll in Ergänzung zum europäischen Semester für fiskal-strukturelle Reformen über einen vier- bis siebenjährigen Rahmen geschehen und die nationalen Energie- und Klimaplänen mit umfassen. Für jeden strategischen Schwerpunkt soll es einen klaren Plan mit Zielen, Governance und Finanzierung geben, dem zukünftig im Haushalt der EU entsprechende Obertitel zuzuordnen sind. Zur Entscheidungsbeschleunigung sind alle bestehenden Vehikel (Qualifizierte Mehrheitsabstimmung (QMV), verstärkte Zusammenarbeit und andere) stärker zu nutzen. Es brauche einen Vize-Präsidenten der Europäischen Kommission für Bürokratieabbau und eine vorherige Überprüfung neu entstehender Belastungen. Für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie für mid-caps soll die Belastung um die Hälfte abgebaut werden

Bewertung:

▪ Die Analyse der Wirtschafts- und Wettbewerbslage ist weitgehend schlüssig, mit gewissen Defiziten bei den Energiemärkten. In vielen Feldern werden Lösungswege aufgezeigt, die von der bisherigen politischen Linie der europäischen Institutionen im Allgemeinen oder der Europäischen Kommission im Besonderen abweichen (Wettbewerbspolitik, Bürokratieabbau, Regelungsdichte und Digitalpolitik). In anderen Feldern werden Vorschläge unterbreitet, die bekanntermaßen bisher an harten Interessenkonflikten im Rat scheiterten (Banken, Kapitalmarktunion). In der Summe enthält der Bericht jedoch viele konkrete, umsetzbare Empfehlungen, die in der Regel nicht von Vertragsänderungen oder weitreichenderen institutionellen Neuordnungen abhängig sind.

▪ Der Draghi-Bericht vertritt die richtige Diagnose der europäischen Wachstums- und Wettbewerbslage und betont insbesondere das Innovations- und Produktivitätsgefälle zu den USA und in wachsendem Maße auch zur Volksrepublik China. Die bekannten Schwächen in der Innovation (zu wenig FuE, Innovation und Kommerzialisierung dieser, Wagniskapital, neue Unternehmen, Künstliche Intelligenz (KI) und Qualifikationen), die inkohärente Klima- und Industriepolitik und die zarten, noch unzureichenden Elemente in der europäischen Resilienzstrategie werden dargelegt. Wirtschaftspolitisch werden alle wesentlichen Bereiche angesprochen. Finanzpolitisch sind die Empfehlungen zielführend, aber vergleichsweise verhalten und nicht durchgängig quantifiziert.

▪ Positiv zu bewerten im Sinne von strategischer Kohärenz und politischer Differenzierung ist, dass Draghi die Bedeutung der überregionalen und branchenübergreifenden Zusammenarbeit von kleinen, mittleren und großen Unternehmen in Wertschöpfungsverbünden und Lieferketten erkennt. Entsprechend geht der Blick über den allzu engen Fokus auf KMU hinaus und bezieht per mid-cap auch Unternehmen des industriellen Mittelstands ein, für die aus guten Gründen finanzielle Anreize und bürokratische Entlastungen vorgeschlagen werden.

Innovation

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Die mangelnde industrielle Dynamik Europas ist laut dem Draghi-Bericht zu einem großen Teil auf Schwächen im „Innovationslebenszyklus“ zurückzuführen, die verhindern, dass beispielsweise neue industrielle Sektoren und Akteure entstehen. Im Vergleich mit den USA gaben EU-Unternehmen 2021 im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur etwa halb so viel für Forschung und Innovation wie US-Unternehmen aus. Einer der größten Schwächen des Innovationszyklus ist der Transfer, also aus Forschung Innovationen zu generieren, die zu mehr Wertschöpfung in Europa führen. Dies sei einer der Hauptgründe für die schwache industrielle Dynamik in Europa.

▪ Ferner stagniert die EU laut dem Bericht in den letzten beiden Dekaden in den Sektoren, in denen Forschung stattfinde. Seit dem Jahr 2000 stammen in der EU die Top drei F&EUnternehmen aus dem Automobilsektor, wohingegen sich die Sektoren in den USA seitdem dynamisch verändert haben von Automobil und Pharmaindustrie zur Digitalindustrie.

▪ Darüber hinaus ist die öffentliche Unterstützung für Forschung und Innovation (FuI) in der EU zu ineffizient mangels Fokussierung auf strategische Ziele und Innovationen sowie

zersplitterter Finanzierung. All dies verhindere die Durchschlagskraft. Zwar verfüge die EU mit dem Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe über eine Summe von fast 100 Milliarden Euro. Dieses Geld wird allerdings auf zu viele verschiedenen Forschungsfelder zersplittert, sodass dies letztlich nicht zu bahnbrechenden Innovationen führe. Infolgedessen suchen viele innovative Unternehmen Risikokapitalgeber (VC) in den USA und sehen in der Expansion auf dem großen US-Markt eine lohnendere Option als die Auseinandersetzung mit den fragmentierten EU-Märkten.

▪ Auch werden in dem Bericht die Nachteile von innovativen Start-ups bei Gründung, Finanzierung und Markterschließung in Europa insbesondere im Vergleich zu den USA analysiert: Die segmentierten europäischen Märkte führen auf der Finanzierungs- und der Absatzseite sowie bei den Regulierungen zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für die europäische Gründer und damit für den Standort.

▪ In allen Phasen, aber vor allem in der Later-Stage-Finanzierung, stehen in Europa im Vergleich zu den USA nur rund 20 Prozent des VC-Volumens zur Verfügung. Zudem sind die Fonds der Venture Capital Finanzierer in den USA deutlich größer. Sie können damit größere Investitionen eingehen. Daher wird die Skalierung von innovativen, zukunftsträchtigen Start-ups allzu häufig durch Venture Capital aus den USA finanziert. Zwischen 2008 und 2021 haben 30 Prozent der europäischen Unicorns ihre Sitze ins Ausland verlagert.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ In seinen Vorschlägen setzt der Bericht unter anderem auf die Erhöhung der Mittel für die europäischen Förderung von disruptiven Innovationen, der Aufstockung europäischer VC-Finanzierung und der Erleichterung von Börsengängen in der EU.

Bewertung:

▪ Forschung und Innovation müssen strategisch in das Zentrum der europäischen Wirtschafts-, Industrie- und Innovationspolitik gerückt werden, um die Innovations- und Wirtschaftskraft Europas signifikant zu stärken. Die Einschätzung, dass es erheblicher konkreter politischer Maßnahmen bedarf, um den digitalen Rückstand der EU gegenüber den USA und China zu verkleinern ist folgerichtig.

▪ Der Bericht unterstreicht, dass sich die Innovationsaktivitäten in der EU in erster Linie auf Sektoren mit mittlerer bis geringer FuE-Intensität konzentrierten mit der Gefahr, dass die EU in eine sogenannte „mittlere Technologiefalle“ treibe. Ein starker Fokus auf Exzellenz und Reichweite (scale) ist daher richtig.

▪ Eine Erhöhung des FP10-Budgets auf 200 Milliarden Euro, mithin eine Verdopplung ist notwendig und hätte schon im jetzigen mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) erfolgen müssen Die Analyse, dass nationale und regionale Forschungsinitiativen nicht gut genug mit den EUProgrammen abgestimmt seien, ist treffend. Hier müssten die einzelnen Maßnahmen besser ineinandergreifen, um ihre Durchschlagskraft zu erhöhen. Die Analyse zum Forschungsrahmenprogramm Horizon Europe ist korrekt, insbesondere bezüglich seiner Komplexität.

▪ Ob die Schaffung einer Forschungs- und Innovationsunion am Ende zielführend ist, kommt auf deren Ausgestaltung an. Jedenfalls sollte eine solche Union sinnvoll mit dem bereits existierenden Europäischen Forschungsraum verbunden werden.

▪ Die Verbindungen zwischen der Hochschulbildung und der Wirtschaft müssen richtigerweise gestärkt werden. Bisher hätten Forscher wenig Anreize, unternehmerisch tätig zu werden, so der Bericht. In der Tat sollte das Bewusstsein für die potenziellen Vorteile der Zusammenarbeit mit der industriellen Forschung gestärkt werden und das Management der Rechte an geistigem Eigentum (IPR) und der Vermarktung von Forschungsergebnissen verbessert werden.

▪ Speziell für Deep-Tech-Start-ups gibt es Nachteile, die wesentlich aus der Segmentierung der europäischen Märkte rühren. Die Vorschläge des Berichts (im Teil B) zielen daher zurecht darauf ab, die Größennachteile zu verringern.

Dekarbonisierung

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Die Analyse der aktuellen Ausgangslage und Herausforderungen weist viele Überschneidungen mit der Transformationspfade-Studie des BDI auf

- Hohe Energiekosten in der EU sind ein Hindernis für Investitionen und Wachstum und haben bereits zur Nachfrageschwächung in energieintensiven Industrien geführt. Die stärkere Volatilität der Energiepreise stellt ebenfalls eine Herausforderung dar. Die Ursachen für hohe Energiepreise sind vielfältig: Europas Mangel an natürlichen Ressourcen, fehlende Investitionen in Infrastruktur, hohe Energiebesteuerung, etc.

- Langwierige und unsichere Genehmigungsverfahren sind ein großes Hindernis. Insbesondere die Zeit, die für Umweltverträglichkeitsprüfungen aufgewendet wird, macht hier einen wesentlichen Teil des Unterschieds zwischen den ‚besten‘ und ‚schlechtesten‘ EU-Ländern aus.

- Es gibt eine Asymmetrie in den Klimazielen zwischen der EU und ihren Hauptwettbewerbern, was kurzfristig zu hohen zusätzlichen Kosten für die EU-Industrie führt, die massive Investitionen tätigen muss. (Energieintensive) Industrien in anderen Regionen haben nicht die gleichen Dekarbonisierungsziele und erhalten großzügigere staatliche Unterstützung, was zu einem Carbon Leakage-Risiko führt.

▪ Die Dekarbonisierung bietet aber auch Chancen. Einerseits ist Europa nach wie vor führend in der Clean-Tech-Innovation (der globale Markt wächst schnell). Andererseits kann der massive (und kosteneffiziente) Ausbau von kohlenstoffarmer Energie in Europa die Energiesicherheit erhöhen.

▪ Bestimmte chinesische Technologien (zum Beispiel Photovoltaik) könnten der kostengünstigste Weg sein, einige der Klimaziele der EU zu erreichen, wobei Überkapazitäten vor-aussichtlich anhalten werden. Die zunehmende Zahl von Ländern, die Zölle und nicht-tarifäre Handelshemmnisse gegen China erheben, wird den europäischen Markt für chinesische Produkte stärker ins Visier rücken lassen. Zudem ist Europas Führungsrolle in der Clean-Tech-Branche stark umkämpft, zum Beispiel bei Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologien.

▪ Europa muss seine Dekarbonisierung anders als bisher vorantreiben, um Deindustrialisierung zu vermeiden. Obwohl ein Ausschluss bestimmter chinesischer Technologien die

Kosten erhöhen und zu Gegenmaßnahmen führen könnte, muss Europa künftig selbstbewusster auftreten.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Europa braucht eine differenzierte Strategie, die verschiedene politische Instrumente und Ansätze für verschiedene Industrien kombiniert.

- In Branchen, in denen Europas Kostennachteil zu groß ist, macht es Sinn, Technologie zu importieren und gleichzeitig die Lieferketten zu diversifizieren, um Abhängigkeiten zu verringern.

- In Bereichen, in denen Arbeitsplätze vor unfairem Wettbewerb geschützt werden müssen, sollte die EU ausländische Direktinvestitionen (FDI) fördern und gleichzeitig handelspolitische Maßnahmen gegen ausländische Subventionen ergreifen.

- In strategisch wichtigen Industrien muss sichergestellt werden, dass europäische Unternehmen Know-how und Produktionskapazitäten behalten, etwa durch Local Content Requirements und Joint Ventures, um die technologische Souveränität der EU zu sichern.

- Bei aufstrebenden Industrien mit großem Zukunftspotenzial kann die EU zeitweise handelspolitische Schutzmaßnahmen einsetzen, bis die Branche ausreichend gewachsen ist.

▪ Zudem werden die folgenden drei Handlungsfelder benannt:

- Senkung der Energiekosten für Endverbraucher (siehe Energie-Kapitel in Part B),

- Nutzung der industriellen Chancen der grünen Transformation – von der Führungsrolle in der Clean-Tech-Innovation über die Massenproduktion sauberer Technologien bis hin zur Kreislaufwirtschaft (siehe Clean-Tech-Kapitel in Part B),

- Sicherstellung fairer Wettbewerbsbedingungen in Sektoren, die dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind und strengere Dekarbonisierungsziele verfolgen (siehe Kapitel zu energieintensiven Unternehmen und Mobilität in Part B).

Bewertung:

▪ Die Analyse ist treffend und deckt sich weitestgehend mit der Transformationspfade-Studie des BDI. Bezüglich der Lösungsansätze ist die allgemeine Auffassung, dass ein differenziertes Vorgehen bei der Entwicklung einer europäischen Industriestrategie erforderlich ist, zu begrüßen. Eine Bewertung der einzelnen Vorschläge findet sich in den entsprechenden Kapiteln in Teil B

Sicherheit, Resilienz

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Bericht stellt insbesondere bei der Versorgung von kritischen Rohstoffen und neuen Technologien hohe Abhängigkeiten fest. So stammen 40 Prozent der Importe von wenigen

Lieferanten und sind nur schwer substituierbar. Ungefähr die Hälfte der Importe kommt aus Ländern, mit denen Europa nicht strategisch liiert ist. Diese Abhängigkeiten erhöhen die Bedrohung durch unkalkulierbare Lieferschocks, aber auch durch geopolitischen Druck.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Um diese bedrohlichen Abhängigkeiten zu reduzieren, würden Unternehmen derzeit ihre Zulieferungen diversifizieren. Es sind aber darüber hinaus signifikante Investitionen und Ausgaben notwendig, um diese Abhängigkeiten in strategischen Feldern zu reduzieren.

▪ Um unabhängiger zu werden, braucht es einen umfassenden Ansatz, der (wie bei einer Versicherungsprämie) zunächst zu einem höheren Kostendruck führen könnte. Dieser Kostendruck kann durch eine stärkere Kooperation innerhalb der EU und mit europäischen Partnern entschärft werden.

Bewertung:

▪ Der Bericht hebt richtigerweise hervor, dass Europa eine Strategie braucht, um Abhängigkeiten wie bei Rohstoffen und Technologien, zu verringern.

▪ Ordnungspolitisch sollten dabei vier Ziele im Vordergrund stehen: Lieferketten sollten stabilisiert, Technologiefähigkeiten erlangt und ausgebaut, industrielle Fertigkeiten zur Wahrung der eigenen Handlungsfähigkeit inklusive der nationalen Sicherheit verstärkt und die internationale Wettbewerbsfähigkeit behauptet werden, etwa mit fairen und effektiven Handelsregeln.

▪ Zeitgleich müssen schnellstmöglich konkrete Projekte eingeleitet werden. Unter anderem muss Europa:

- Produktions- und Entwicklungsfähigkeiten im Halbleiterbereich ausbauen;

- Koordiniert beim Ausbau einer nachhaltigen Energieinfrastruktur vorgehen;

- Bezugsquellen kritischer Rohstoffe durch Import, heimische Förderung, Recycling und Substitution sowie deren Weiterverarbeitung auch in Europa diversifizieren und

- den europäischen Normungsprozess stärken, vor allem durch Priorisierung kritischer Projekte wie Technologien für Verkehr, Energiewirtschaft oder Künstliche Intelligenz.

Finanzierung (Research, Banken und Kapitalmarkt)

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Die europäischen Kapitalmärkte werden als noch immer fragmentiert beschrieben. Neben hohen Volumina an privaten Spareinlagen schaffen es die Märkte nicht, diese für produktive Investitionen zu nutzen. Der Hauptgrund für das Fehlen der nötigen Markttiefe wird der Unterentwicklung des Angebots von Pensionsfonds zugeschrieben.

▪ Das Finanzierungspotenzial des europäischen Bankenmarkts bleibt unter seinen Möglichkeiten, vor allem aufgrund einer zu geringen Profitabilität, zu hohen Kosten und deutlich kleineren Skaleneffekten besonders im Vergleich mit amerikanischen Banken. Zudem können

europäische Banken weniger stark das Verbriefungsinstrument für ihr Bilanzmanagement nutzen.

▪ Der Draghi-Bericht übt zudem Kritik am bestehenden MFR. So sind die gegenwärtigen Ausgabenschwerpunkte nicht zielführend. Die Anteile von Kohäsion (30,5 Prozent von 2021 bis 2027) und Landwirtschaft (30,9 Prozent) sind zu hoch. Zudem ist Horizon Europe als wichtigstes Einzelprogramm auf zu viele Bereiche verteilt, und der Zugang ist zu komplex und bürokratisch. Außerdem sei das Programm nicht ausreichend auf disruptive Innovationen ausgerichtet. NextGenerationEU sei gut und half, Mittel de facto auf knapp zwei Prozent des BIP anzuheben. Die Rückzahlungen ab 2028 liegen laut Bruegel-Berechnungen in der Größenordnung von fast 14 Milliarden Euro für Tilgung und anfänglich 8 bis 13 Milliarden Euro für Zinszahlungen, welche dann bis 2058 graduell abnehmen werden. Dies beläuft sich zu Beginn des neuen MFR im Jahr 2028 in Summe auf circa 22 bis 27 Milliarden Euro bei einem jetzigen Haushalt von jährlich 192 Milliarden Euro. Rückzahlungen in einer solchen Höhe würden schwierig, sofern nicht Eigenmittel erhöht werden. Der MFR ist laut dem Bericht zudem zu statisch und unflexibel. Die insgesamt 50 Ausgabenprogramme sind zu viel, zu komplex, überlappend und nicht den strategischen Prioritäten ausreichend zugeordnet.

▪ Die Nachhaltigkeitsberichterstattung als Teil von Sustainable Finance wird als eine Hauptquelle für bürokratische Lasten beschrieben. Dabei führen Unklarheiten in der gesetzlichen Ausgestaltung und das Zusammenspiel mit anderen Anforderungen zu einem hohen Komplexitätsgrad. Die Ausnahme von KMUs bei den Berichtspflichten würde ihnen die Möglichkeit nehmen, an positiven Aspekten von Sustainable Finance partizipieren zu können (Greenium).

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Die gesamtwirtschaftliche Investitionstätigkeit in der EU sollte massiv erhöht werden, und zwar um circa 4,4 - 4,7 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU pro Jahr beziehungsweise um 750 - 800 Milliarden Euro bis 2030 (450 Milliarden Euro für Energie und Transport, 150 Milliarden Euro für Digitaltechnologien, 50 Milliarden Euro für Verteidigung und 100 - 150 Milliarden Euro für radikale Innovationen). Drei Viertel der Investitionen wird vom privaten Sektor erbracht werden müssen. Auf den öffentlichen Sektor entfallen werden strikte Erhöhungen der öffentlichen Investitionstätigkeit, steuerliche Anreize und Subventionszahlungen für die Transformation und Innovation.

▪ Im nächsten MFR sind die Programme zu fokussieren, zu vereinfachen und flexibler auszugestalten. Umweltauflagen sollten vereinheitlicht und vereinfacht werden. Zudem sollte ein Obertitel Wettbewerbsfähigkeit geschaffen werden, in dem zentrale Programme gebündelt werden. Spezifische Programme für Digitaltechnologien, Halbleiter, Netze, die Dekarbonisierung der Industrie, den Weltraum und andere strategische Prioritäten sollten dort finanziert sein.

▪ InvestEU ist laut dem Bericht von der EIB nicht risikofreudig genug umgesetzt worden; das muss sich ändern. Zudem sind Risikoteilungsinstrumente viel stärker einzusetzen. Die EUGarantie sollte kräftig erhöht werden, um die Hebelwirkung auf private Investitionen deutlich anzuheben. Zudem soll die EIB einen „Eigenkapitalarm” errichten, der Investitionen in Fonds und Unternehmen ausführt.

▪ Die Koordination nationaler Förderbanken muss verbessert und an den gemeinsamen Prioritäten ausgerichtet werden.

▪ Europäische Energienetze und FuE-Ausgaben für die Verteidigung sollten über Kreditinstrumente finanziert werden. Falls die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nicht anziehen sollte, muss über weitere Felder nachgedacht werden. Der Bericht äußert sich nicht zu den genauen Modalitäten. Der einfachste und verlässlichste Weg ist die Begebung von Anleihen der Europäischen Kommission für die EU gegen den EU-Haushalt im Gegenzug zur Bereitstellung von Eigenmitteln beziehungsweise durch Beitragszusagen für den Schuldendienst. Komplementär ist sicherzustellen, dass die nationalen Haushalte tragfähig werden, durch strenge EU-Fiskalregeln für die nationale Ebene.

▪ Der Bericht spricht sich für die Schaffung und Ko-Finanzierung von Wettbewerbsfähigkeits-IPCEIs in weiteren Feldern aus, unter anderen für Automobiltechnologien, transeuropäische Netze und Halbleiter.

▪ Der Schuldendienst für NextGenerationEU sollte aufgeschoben werden (2028-2058), um Luft im EU-Budget zu schaffen.

▪ Die Bankenunion sollte vervollständigt werden, dies insbesondere durch die Einführung einer eigenen regulatorischen Umgebung für paneuropäisch auftretende Großbanken. Somit soll die Kapital- und Liquiditätsallokation in der Bankengruppe verbessert, die Pattsituation im Bereich der europäischen Einlagensicherung gelöst und die Abwicklungsmöglichkeiten für Großbanken verbessert werden.

▪ Die europäische Finanzmarktregulierung soll von Gold-Plating befreit und durch die Stärkung des Binnenmarkts und damit neu entstehender Großprojekte die Nachfrage nach Finanzierungslösungen angetrieben werden.

▪ Die Entstehung eines echten europäischen Kapitalmarkts soll durch mehrere Maßnahmen vorangetrieben werden: Stärkung des Verbriefungsmarkts, vereinheitlichte Funktionen im Bereich des Wertpapierhandels (zentrale Gegenpartei und Zentralverwahrer), Errichtung einer einheitlichen Marktaufsicht für große Unternehmen, Börsenplätze und zentrale Gegenparteien, Vereinheitlichungen im Bereich Steuern und Insolvenzregimen und der Förderung der Bildung von Pensionsfonds.

▪ Die EU-Taxonomie soll vereinfacht werden. Damit würde Komplexität entzogen als auch eine bessere Vergleichbarkeit geschaffen. Die Anwendungspflicht sollte auch auf KMUs ausgeweitet werden, unter der Bereitstellung von Tools (IT-Anwendungen) zur Berechnung eines Nachhaltigkeits-Scorings

Bewertung:

▪ Der Bericht enthält viele langbekannte Vorschläge, aber auch neue, gute Ideen sowie einen denkbaren Ausweg auf der verfahrenen Schuldendienstlage.

▪ Positiv sind die klarere Fokussierung des Haushalts an den strategischen Prioritäten, die Vorschläge für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen mit einem klaren, einfachen und durchschlagskräftigen Wettbewerbstitel im Haushalt, die Verdopplung von Horizon-Mitteln bei erleichterten Zugangsmöglichkeiten, die stärkere Nutzung von Risikoteilungsinstrumenten

durch die EIB, die Schaffung von weiteren IPCEIs nebst ihrer administrativen Vereinfachung und ihre wettbewerbsrechtliche Erleichterung und die budgetäre Verankerung zentraler Instrumente der Klima- und Industriepolitik, zum Beispiel von Differenzverträgen

Einige dieser Vorschläge und insbesondere eine Referenz zu den IPCEIs finden sich bereits in den Mission Letters von Stéphane Séjourné und Piotr Serafin, auch wenn diese relativ unkonkret ausformuliert wurden.

▪ Die Vorschläge zur erneuten Kreditfinanzierung beziehen sich zunächst auf transeuropäische Energienetze und FuE im Verteidigungsbereich (Ausgaben 2022: 10,7 Milliarden Euro) und sind im Lichte ihrer moderaten potenziellen Finanzdimension sehr vorsichtig formuliert. Zugleich lösen sie politische Debatten aus. Die Aufschiebung des Schuldendiensts für NextGenerationEU scheint eher eine Notlösung, da die Institutionen bislang nicht über die Eigenmittelfrage entschieden haben. Rechtlich gesehen ist die Verankerung von Kreditinstrumenten auch außerhalb von Notlagen möglich. Ihre ökonomische Dimensionierung muss in Relation zu den gesamten EU-weit zu konsentierenden Ausgabenprioritäten, zum Haushalt der EU und zu möglichen Eigenmittelbeschlüssen bewertet werden. Eine gewisse Flexibilisierung der EU-Finanzierung an dieser Stelle ist das notwendige Komplement zum bereits beschlossenen straffen Regelwerk für die nationalen Haushalte.

▪ So spricht der Mission Letter zum EU-Haushalt von Piotr Serafin von einem „einfacherem, gezielterem und reaktionsschnellerem Budget“ sowie einem Übergang von einem „programmorientierten Haushalt“ zu einem „politikorientierten Haushalt“. Hierbei wird ebenfalls die Relevanz neuer Eigenmittel hervorgehoben.

▪ Im Draghi-Bericht werden auch mehrere Vorschläge erwähnt, die auf die Bereitstellung von Finanzierungsmitteln durch den Privatsektor abzielen. Hierbei findet man viele hilfreiche und bekannte Ansätze aus den bisherigen Diskussionen zur Banken- und Kapitalmarktunion. Interessant, wenn auch in der politischen Umsetzung etwas schwieriger vorstellbar, klingt der Vorschlag für paneuropäisch agierende Großbanken ein separates Framework errichten zu wollen. Der Vorschlag könnte besonders bei dem Vorhaben einer einheitlichen europäischen Einlagensicherung eine Lösung bedeuten Bezüglich eines kräftigeren europäischen Kapitalmarkts scheint der avisierte Weg über die Errichtung von Pensionsfonds zielführend. Eine allgemeine Annäherung der fragmentierten europäischen Kapitalmärkte unter regulatorischen und aufsichtlichen Gesichtspunkten ist grundsätzlich unterstützenswert.

▪ Bei Vorschlägen bezüglich Banken- und Kapitalmarktunion muss die richtige Gewichtung der Maßnahmen im Hinblick auf die europäische Wettbewerbsfähigkeit gefunden werden. Die Fokussierung bei der Umsetzung sollte daher auf jenen Vorschlägen liegen, die hier den größten Hebel entfalten. Dies sind aus Sicht der Industrie vor allem Verbesserungen im Bereich des Angebots von Risikokapital.

▪ Viele der Vorschläge zum Kapital- und Bankenmarkt sind im Mission Letter berücksichtigt worden. Besonders die Fokussierung auf Pensionsfonds, Risikokapital und die Vollendung der Bankenunion ist begrüßenswert. Die Separierung des Regelwerks für kleine und große Banken wurde bislang nicht berücksichtigt, was noch nachgeholt werden sollte.

▪ Dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu komplex und umfangreich ist, ist eine richtige und wichtige Feststellung. Der Vorschlag, die EU-Taxonomie zu vereinfachen, führt allerdings nicht zu gewünschtem Zielbild: eine überschaubare Anzahl an steuerungsrelevanten

Environmental, Social and Governance (ESG)-KPIs. Dafür sollte eine signifikante Entschlackung der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vorgenommen werden und die EU-Taxonomie nur noch als freiwilliges Tool den Unternehmen zur Verfügung stehen. Die Ausweitung der Anwendungspflicht der EU-Taxonomie auf KMUs geht in die völlig falsche Richtung. Da die EU-Taxonomie konzeptionell nicht in der Lage ist, zu einer aussagekräftigen Einschätzung des Nachhaltigkeitsprofils eines Unternehmens zu führen, wäre eine Anwendungspflicht selbst bei einer Vereinfachung nicht zielführend.

▪ Im Bereich Sustainable Finance spricht der Mission Letter nur von einer einfach umzusetzenden Anwendung des Sustainable Finance-Rahmenwerks. Von einer Vereinfachung des Rahmenwerks selbst, ist nicht die Rede. Hier besteht ein großer Änderungsbedarf.

Governance

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Draghi-Bericht stellt fest, dass die legislative Aktivität der Europäischen Kommission in den letzten Jahren enorm zugenommen hat. Das Resultat ist massive Überregulierung

▪ Daraus folgernd beklagt der Bericht an mehreren Stellen die massiven regulatorischen und bürokratischen Belastungen für die europäische Wirtschaft, allen voran für KMU und small mid-caps. Bisherige Maßnahmen hätten (noch) keine greifbare Entlastung gebracht.

Zusammenfassung der Vorschläge:

▪ Politische Priorisierung:

- Der Draghi-Bericht fordert allgemein, dass auf EU-Ebene „weniger gemacht” werden solle, dies dafür besser und mit einem wesentlich stärkeren Fokus auf Implementierung und Durchsetzung der bereits existierenden Aquis. Politiken und Akte, bei denen die EU-Maßnahmen den größten Mehrwert erbringen, sollen Vorrang eingeräumt werden.

- Das bedeutet „mehr Europa“ dort, wo es wirklich wichtig ist, und gleichzeitig mehr Spielraum und Rechenschaftspflicht für die Mitgliedstaaten und den Privatsektor –unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips.

▪ Regulatorische Zurückhaltung:

- Der Bericht fordert die Europäische Kommission zu mehr Zurückhaltung auf durch Anwendung eines Selbstbeschränkungsprinzips

- Bezüglich des Abbaus regulatorischer Belastungen und Bürokratie empfiehlt der Bericht die vollständige Umsetzung des 25-Prozent-Abbauziels für Berichtspflichten (50 Prozent für KMU) und die Ernennung eines neuen Vizepräsidenten der Europäischen Kommission für Vereinfachung, um den regulatorischen Besitzstand zu straffen.

- Zu Beginn jeder Amtszeit sollte vor der Verabschiedung neuer EU-Rechtsvorschriften ein fester Zeitraum von mindestens sechs Monaten für die systematische Bewertung und den Stresstest aller bestehenden Rechtsvorschriften nach Sektoren vorgesehen werden, gefolgt von Kodifizierung und Konsolidierung. Sektoren, in denen Europa dem internationalen Wettbewerb besonders ausgesetzt ist, solle Vorrang eingeräumt werden.

- Schließlich fordert der Draghi-Bericht die Einführung einer einheitlichen, klaren Methode zur Quantifizierung der Kosten des neuen Regelungsflusses, mit dem alle drei Institutionen arbeiten sollen, auch während des legislativen Prozesses (bei wesentlichen Änderungen des Kommissionsvorschlags durch die Gesetzgeber).

- Zudem empfiehlt der Bericht einen Wettbewerbsfähigkeitscheck. So sollen alle neuen Vorschläge einer überarbeiteten Prüfung der Wettbewerbsfähigkeit unterzogen werden, mit einer klaren, soliden Methodik zur Messung der kumulativen Auswirkungen, einschließlich der Befolgungskosten und des Verwaltungsaufwands. Diese Prüfungen sollten unter Einbeziehung von Ausschüssen der Wirtschaftsbeteiligten durchgeführt werden.

▪ Um Übererfüllung zu bekämpfen, empfiehlt der Draghi-Bericht die Aufnahme einer neuen Standardanforderung in den Artikel über die Umsetzung von Richtlinien, die die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Auswirkungen ihrer Umsetzungsmaßnahmen auf die betroffenen Parteien (einschließlich der Fälle von Gold-Plating) systematisch zu bewerten und dabei dieselbe Methodik wie die EU-Institutionen anzuwenden. Die Ergebnisse dieser Bewertung sollten veröffentlicht werden, um die Transparenz zu verbessern und dem Gold-Plating entgegenzuwirken.

Bewertung:

▪ Dieses Kapitel ist als sehr positiv zu beurteilen. Dies betrifft alle genannten Vorschläge. Der Bericht greift viele langstehende Forderungen des BDI bekräftigend auf. Wie immer wird es entscheidend sein, wie effektiv und konsequent diese Vorschläge in der Praxis umgesetzt werden.

▪ Zu begrüßen ist insbesondere die Empfehlung, Gesetzgebung zu überprüfen und gegebenenfalls zu vereinfachen und Widersprüche abzubauen. Dies ist insbesondere im Bereich des „European Green Deal“ ein großes Problem. Regulierungsziele, insbesondere die des Green Deal, müssen effektiver aufeinander abgestimmt sein, damit sie erreicht werden können. Das ist in der vergangenen Legislaturperiode nicht immer gelungen. Im Bereich der Umweltpolitik sind die Industrieemissionsrichtlinie und die Luftqualitätsrichtlinie hierfür negative Beispiele. Deren Revision wird zu deutlich mehr Bürokratie für Unternehmen führen, mit immer umfangreicheren und langwierigeren Genehmigungsverfahren für die Umstellung von Industrieanlagen. Damit wird das rechtzeitige Erreichen der Klimaziele und die Transformation insgesamt gefährdet.

Sektorempfehlungen / Part B

Energie

Zusammenfassung der Analyse:

Draghi beginnt mit einer allgemeinen Bestandsaufnahme: Ende 2023 lagen die Industriestrompreise in der EU über 150 Prozent und die industriellen Gaspreise um knapp 350 Prozent höher als in den USA. Die darauffolgende Analyse lässt sich vereinfacht in vier Hauptprobleme unterteilen.

▪ Erstens stellen die hohen Gaspreise an sich ein zentrales Problem dar. Diese sind teilweise durch die geringe Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen in der EU bedingt, weshalb die Energiekosten in der EU schon immer höher waren als in den USA. Allerdings hat sich diese Lücke vor allem durch den Wegfall russischen Pipelinegases deutlich vergrößert. Seit 2021 musste der Anteil von 20 Prozent LNG-Importen auf 42 Prozent (2023) mehr als verdoppelt werden. Da LNG kostspieliger als Pipeline-Gas ist (unter anderem wegen zusätzlichen Kosten für Verflüssigung, Transport und globalem Wettbewerb), führt dies zu erhöhten industriellen Gaspreisen und höheren Preisschwankungen. Darüber hinaus kritisiert der Draghi-Bericht die hohen Gewinne großer Rohstoffhändler, die vor allem in den Jahren 2021 und 2022 deutlich angestiegen sind. Finanzielle (zum Beispiel Konzentration in Handelsmärkten) und verhaltensbezogene Aspekte der Gasderivatemärkte (zum Beispiel algorithmischer Handel) könnten insbesondere in Verbindung mit angespannten Marktbedingungen, wie sie in der EU vorliegen, die Volatilität erhöhen und die Auswirkungen von Nachfrage- und Angebotsschocks verstärken.

▪ Zweitens kritisiert Draghi das europäische Strommarktsystem und dessen „marginale Preisbildung“ (Marginal Pricing). Der Gaspreis bestimmt deutlich öfter die Stromkosten, als es seinem Anteil am Strommix entspricht: So setzte Gas im Jahr 2022 in 63 Prozent der Stunden den Strompreis, obwohl es nur 20 Prozent des europäischen Strommixes ausmachte. Diese Dynamik wird sich voraussichtlich bis Mitte der 2030er Jahre kaum ändern, da die preisbestimmenden Gasstunden trotz eines prognostizierten Anstiegs der erneuerbaren Energien im Strommix (optimistisch von 46 Prozent auf 67 Prozent bis 2030) stabil bleiben könnten.

▪ Als drittes großes Problem nennt Draghi den schleppenden Ausbau und die steigenden Kosten der Stromnetze. Überlastete Netze beschränken bereits heute den „Transport“ erneuerbarer Energien, was zu höheren Redispatch-Kosten führt. Bis 2040 könnten Netzengpässe bis zu 310 Terawattstunden an abgeregeltem EE-Strom verursachen und zusätzliche Kosten von bis zu 100 Milliarden Euro nach sich ziehen. Der Netzbetreiber TenneT geht laut dem Draghi-Bericht zudem davon aus, dass die Netzentgelte in Deutschland bis 2045 um 185 Prozent steigen werden.

▪ Viertens hebt der Bericht die durchschnittlich hohe Energiebesteuerung in der EU hervor, die den Mitgliedstaaten 2022 ca. 85 Milliarden Euro einbrachte, davon 13 Milliarden Euro allein aus dem industriellen Stromverbrauch. Die Abgaben variieren stark zwischen den Mitgliedstaaten, wobei Deutschland leicht über dem EU-Durchschnitt liegt. Im globalen Vergleich ist die EU-Energiebesteuerung allerdings deutlich höher – so werden beispielsweise in den USA auf Bundesebene überhaupt keine Abgaben auf Strom- oder Erdgasverbrauch erhoben.

▪ Zusammenfassend betont Draghi, dass es noch einige Zeit dauern wird, bis die Dekarbonisierung einen signifikanten Rückgang der Energiepreise bewirkt. Kurzfristig steht Europa vor der Herausforderung, dass die vollen Vorteile der grünen Transformation erst dann spürbar werden, wenn erneuerbare Energien (und Kernkraft) regelmäßig die Preisbildung bestimmen und die notwendigen Investitionen in Netze, Speicher und Flexibilität abgeschlossen und amortisiert sind.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

Gas

▪ Es sollte eine umfassende EU-Strategie zur Erdgasbeschaffung entwickelt werden, um die Versorgungssicherheit langfristig sicherzustellen. Dazu gehört vor allem der Aufbau langfristiger Partnerschaften mit zuverlässigen und diversifizierten Handelspartnern. Außerdem sollte die Rolle der inländischen Gasproduktion hinsichtlich Versorgungssicherheit und Preisstabilität neu bewertet werden.

▪ Eine schrittweise Abkehr von der spotmarktgebundenen Gasbeschaffung wird empfohlen. Basierend auf einer Analyse der Gasproduktions- und Transportkosten könnte die Europäische Kommission europäischen Industrien empfehlen, den Ansatz „Produktionskosten plus Aufschlag“ bei Vertragsverhandlungen mit Drittstaaten zu verfolgen. Diese Empfehlung könnte den Unternehmen helfen, langfristige Verträge direkt mit Exporteuren abzuschließen und so Zwischenhändler sowie Spotmarkt-Käufe weitgehend zu vermeiden.

▪ Die EU sollte das Instrument AggregateEU zu einer zentralen EU-Kaufstelle weiterentwickeln, die Pipelinegas und / oder Flüssigerdgas (Engl: „Liquefied Natural Gas“, LNG) für Grundmengen kauft und diese dann in Auktionen zu vorher festgelegten Preisen („Produktionskosten plus Aufschlag“) an EU-Unternehmen weiterverkauft. Ein solches Modell würde unter anderem die Risiken der Energiewende, wie etwa das schnellere Sinken der Gasnachfrage in einigen Ländern im Vergleich zu anderen oder das Risiko langfristiger Vertragsbindungen, besser beherrschbar machen.

▪ Die Weiterentwicklung bestimmter strategischer (LNG-) Importinfrastrukturen, sowie eine verlängerte und verbesserte Koordination des EU-weiten Gasspeichermanagements wird empfohlen.

▪ Die Qualität von Daten und Prognosen sollte verbessert werden, unter anderem, indem alle öffentlichen Energie-Datenquellen (zum Beispiel ENTSO-G, ENTSO-E, ACER und Eurostat) in einer gemeinsamen EU-Energiedaten-Plattform zentralisiert werden. Dies würde den Zugang zu qualitativ hochwertigen öffentlichen Daten verbessern und so ein besseres Verständnis der Energiemärkte durch die Industrie fördern.

▪ Weitere Regulierung der Energiemärkte unter einem einheitlichen EU-Regelwerk und Einschränkung spekulativer Verhaltensweisen (zum Beispiel Preisregulierungen für Gasterminmärkte, durch Finanzpositionslimits, dynamische Obergrenzen für Preise, eine Stärkung der Aufsicht über den außerbörslichen Handel (Engl: „Over-The-Counter-market“)) werden empfohlen. Mit der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Engl: „Agency for the Cooperation of Energy Regulators“, ACER) und der Europäischen Wertpapierund Marktaufsichtsbehörde (Engl: „European Securities and Markets Authority“, ESMA) sollte künftig ein gemeinsames Koordinierungsgremium aus Energie- und Derivatemarktregulatoren

auf europäischer Ebene die integrierte Aufsicht über Energie- und Energiederivatemärkte übernehmen. Dieses Gremium müsste befugt sein, wettbewerbswidriges Verhalten, Marktmissbrauch und andere Störungen des fairen Energiehandels zu verhindern, aufzudecken und zu verfolgen.

▪ Eine verstärkte Nutzung der Einnahmen des EU-Emissionshandelssystem (Engl: „Emissions Trading System“, ETS), um die frühzeitige Produktion und den Einsatz von Wasserstoff zu fördern wird empfohlen.

▪ Die Preisbildungsmechanismen für Erdgas sollten die unterschiedlichen Beschaffungskosten differenzierter und realistischer abbilden. Während der Energie-Krise führte die EU einen LNG-Referenzpreis basierend auf realen Lieferungen ein, der die tatsächlichen LNG-Kosten in der EU widerspiegelt. Neue Benchmarks für EU-Pipeline-Importpreise und Industrieeinkaufspreise, ergänzt durch den ACER-Referenzpreis, könnten die Preisbildung verbessern und die Beschaffungsbedingungen besser abbilden. Dies würde wettbewerbsfähigere Gasvertragsindexierungen und Hedging-Strategien fördern, sowie die Verhandlungsmacht der Industrie und anderer Gasverbraucher durch erhöhte Transparenz stärken. Zudem wird der grenzüberschreitende Gashandel derzeit mehrfach belastet, was zum sogenannten „Pancaking“ von Netztarifen führt. Neue Mechanismen, ähnlich dem Inter-TSO-Kompensationsmechanismus (ITC) für Strom, könnten die tatsächlichen Netzwerkkosten besser widerspiegeln.

▪ Es sollten Gaspreisvergleichswerkzeuge entwickelt werden, die transparente Informationen über die Industriepreise verschiedener Einzelhändler in den Mitgliedstaaten bereitstellen, um den Wettbewerb im Einzelhandelsmarkt zu fördern. Eine bessere Transparenz bei Einzelhandelsverträgen könnte die Wettbewerbsfähigkeit von Industriebetrieben erhöhen, die sich nicht selbst mit Erdgas versorgen, und ihnen helfen, fundierte Entscheidungen zu treffen. Einzelhändler hätten dadurch stärkere Anreize, Rückgänge bei den Großhandelspreisen weiterzugeben, um ihren Marktanteil in wettbewerbsintensiveren Märkten zu sichern.

Strom, Infrastrukturen und CCU/S:

▪ Die Vergütung von Erneuerbaren Energien (und Kernkraft) sollte von der fossilen Stromerzeugung entkoppelt werden (durch langfristige Verträge wie Power Purchase Agreements (PPAs) und zweiseitige Contracts for Difference (CFDs)) Marginal Pricing sollte beibehalten werden, um eine effiziente Balance im Energiesystem zu gewährleisten. Allerdings sollten Stromlieferanten verpflichtet werden, einen vordefinierten Anteil ihrer öffentlich subventionierten Produktion über PPAs zu „Produktionskosten plus Aufschlag“ an Unternehmen zu liefern, die unter internationalem Wettbewerbsdruck stehen. Darüber hinaus sollte zur Förderung industrieller PPAs die Nachfrage nach erneuerbarer Energie von Industriekunden gebündelt werden können, um Kosten zu reduzieren. Dies könnte unter der Aufsicht einer öffentlichen Stelle erfolgen, die als zentraler Käufer und Verkäufer für die beteiligten Unternehmen agiert.

▪ Genehmigungs- und Verwaltungsprozesse sollten vereinfacht und gestrafft werden, um den Ausbau von erneuerbaren Energien, „Flexibilitätsinfrastrukturen“ und Stromnetzen zu beschleunigen. Beispielsweise sollte geprüft werden, ob Ausnahmen im EU-Umweltrecht (zum Beispiel bei der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie oder der Vogelschutzrichtlinie) bis zur Erreichung der Klimaneutralität eingeführt werden können. Außerdem sollte in jedem Mitgliedstaat eine nationale Behörde als „letzte Instanz“ benannt werden, um die Genehmigung von Projekten sicherzustellen, falls nach einer vorab festgelegten Frist keine Antwort von den lokalen Behörden erfolgt. Darüber hinaus sollten bestimmte Beschleunigungsmaßnahmen aus der

Erneuerbare-Energien-Richtlinie und EU-Notfallverordnung auf Wärmenetze, Wärmeerzeuger, Wasserstoffinfrastruktur (einschließlich Speicherung) und Infrastruktur für Kohlenstoffabscheidung, -verwertung und -speicherung (Engl: „Carbon Capture, Utilisation and Storage“, CCUS) ausgeweitet werden.

▪ Investitionen in Stromnetze fördern, um die Elektrifizierung der Wirtschaft voranzutreiben und Engpässe zu vermeiden: Es brauche eine umfassende Strategie für die Entwicklung und Finanzierung strategischer EU-weiter Infrastrukturen wie Interkonnektoren und hybriden Offshore-Projekten. Für Interkonnektoren und bestimmte sehr große erneuerbare Energieprojekte (zum Beispiel große Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee) soll ein spezieller rechtlicher Rahmen (außerhalb der 27 nationalen Rechtsordnungen) geschaffen werden, um entsprechende Verfahren zu verkürzen und zu verhindern, dass Projekte durch nationale Interessen blockiert werden. Außerdem sollte das CEF-E-Budget erhöht werden („Connecting Europe Facility for Energy“), unter anderem zur Finanzierung von Interkonnektoren.

▪ Die Eigenstromerzeugung durch energieintensive Nutzer sollte gefördert werden, unter anderem durch den weiteren Abbau von Barrieren in den Mitgliedstaaten.

▪ Um die Gesamtsystemkosten wettbewerbsfähig zu halten, sollten Energiespeicherung, Nachfrageflexibilität, etc. gestärkt werden. Dazu sollte unter anderem ein standardisierter Entschädigungsmechanismus für industrielle Nachfrageflexibilität eingeführt werden (der Marktpreis für „freiwillige Nachfrageflexibilität“ bleibt aus der Perspektive des Binnenmarkts unklar). Außerdem sollten Genehmigungsprozesse für Kapazitätsmechanismen und Flexibilitätsinstrumente beschleunigt und lokale Preissignale weiterhin schrittweise entwickelt werden (zum Beispiel in Ausschreibungen für Erneuerbare oder bei der Gestaltung von Netzentgelten).

▪ Die Versorgung mit Kernenergie sollte aufrechterhalten und die Entwicklung neuer Kernkraftwerke beschleunigt werden.

▪ Die Rolle von CCUS-Technologien (als „wesentliches Instrument zur Beschleunigung der grünen Transformation“) sollte gestärkt werden. ETS-Einnahmen könnten genutzt werden, um die Entwicklung von CCUS-Lösungen in den vom ETS abgedeckten Sektoren, einschließlich der Stromerzeugung, zu unterstützen.

▪ Die Energiebesteuerung sollte vereinheitlicht und gesenkt werden. Eine mögliche Maßnahme könnte die Einführung einer gemeinsamen Obergrenze für Steuern, Abgaben und Netzentgelte in der gesamten EU sein. Zudem sollten gezielte Steuervergünstigungen eingeführt werden, die an die Implementierung „sauberer“ Energielösungen in der Industrie gekoppelt sind, oder beschleunigte Abschreibungsregelungen für solche Investitionen geschaffen werden. Dies sollte idealerweise innerhalb eines harmonisierten EU-Rechtsrahmens geschehen, um beihilferechtliche Bedenken auszuräumen.

▪ Preiserleichterungen (in Krisenzeiten) sollten harmonisiert und Verzerrungen im Binnenmarkt vermieden werden. Die Europäische Kommission sollte Leitlinien entwickeln, um die Art der Unterstützung zu konkretisieren, die im Rahmen staatlicher Beihilfen gewährt werden darf. Dazu sollte eine EU-weite Sektorliste erstellt werden, die zwei Kriterien berücksichtigt: 1.) die Außenhandelsintensität und 2.) die Energieintensität. Mitgliedstaaten sollten zudem keinen Endpreis für ihre Industrie garantieren dürfen, sondern einen prozentualen Rabatt auf den regulären Marktpreis anbieten, um relative Preisunterschiede zwischen den nationalen

Energiemärkten zu wahren. Zusätzlich sollten Leitlinien vorgeschlagen werden, um die Methodologien für Netzentgelte in der EU zu harmonisieren. Mit dem zu erwartenden Anstieg der Netzentgelte durch die Elektrifizierung der Wirtschaft werden Unterschiede in den nationalen Tarifstrukturen zunehmend das Wettbewerbsumfeld beeinflussen. Daher ist eine stärkere Angleichung von Netzentgeltbefreiungen und degressiven Tarifstrukturen notwendig.

▪ Innovation im Energiesektor sollte stärker gefördert werden. F&E-Finanzierung sollte im EUHaushalt für bestimmte Schlüsseltechnologien (zum Beispiel Batterien, CO2-arme Wasserstoffproduktion, Kohlenstoffabscheidung, innovative Netztechnologien, günstigere Erneuerbare) erhöht werden.

▪ Die notwendigen Governance-Strukturen für einen echten Energiebinnenmarkt sollten entwickelt werden. Dazu könnte beispielsweise eine zentrale regulatorische (EU-)Aufsicht über alle Prozesse und Entscheidungen von grenzüberschreitender Relevanz gehören.

Bewertung:

▪ Einige der Vorschläge sind grundsätzlich positiv zu bewerten. Besonders die EU-weite Senkung der Energiebesteuerung wäre eine wirksame Maßnahme, um die Energiekosten für industrielle Verbraucher zu senken und so den Kostennachteil gegenüber unseren Wettbewerbern zumindest teilweise auszugleichen. Die Idee von Steuervergünstigungen oder beschleunigten Abschreibungen für Investitionen in „saubere“ Energielösungen in der Industrie erinnert stark an den Ansatz des amerikanischen „Inflation Reduction Act“. Allerdings bleibt unklar, wie sich ein solches Vorhaben auf EU-Ebene umsetzen ließe, da Steuerfragen die Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten erfordern und europäische Lösungsansätze somit erheblich erschwert werden.

▪ Deutlich erhöhte Investitionen in den (grenzüberschreitenden) Stromnetzausbau sind ebenfalls enorm wichtig. Die vorgeschlagene Erhöhung des Budgets der „Connecting Europe Facility“ wäre ein wichtiger erster Schritt. Dazu wäre entweder eine entsprechende Priorisierung oder Erhöhung des EU-Haushalts erforderlich. In dem Zusammenhang sind auch die Vorschläge zur weiteren Beschleunigung von Genehmigungs- und Verwaltungsprozessen positiv hervorzuheben, insbesondere die vorgeschlagenen Ausnahmen im EU-Umweltrecht bis zur Erreichung der Klimaneutralität. Eine generelle Überarbeitung des EU-Umweltrechts wäre darüber hinaus notwendig, um Verfahren für die gesamte Industrie effektiv zu beschleunigen.

▪ Darüber hinaus werden einige Vorschläge gemacht, die teils tiefgreifende Eingriffe in die europäischen Energiemärkte erfordern würden. Ein verpflichtender Stromverkauf von öffentlich subventionierten Stromlieferanten zu „Produktionskosten plus Aufschlag“ käme einem abgeschwächten „Industriestrompreis“ auf europäischer Ebene nahe. Ein solches Instrument könnte einen stärkeren Carbon Leakage-Schutz bieten; jedoch sollte ein solch potenziell weitreichender Eingriff in den Strommarkt sorgfältig hinsichtlich seiner möglichen Auswirkungen geprüft und abgewogen werden.

▪ Das Problem hoher Energiekosten wird in den Mission Letters der designierten EU-Kommissare anerkannt und klar thematisiert. So soll der neue Energiekommissar Dan Jorgensen etwa einen „Action Plan for Affordable Energy Prices“ und eine „Clean Energy Investment Strategy“ entwickeln (unter anderem, um Investitionen in Energieinfrastrukturen zu mobilisieren). Allerdings bleibt der Mission Letter an dieser Stelle vage und lässt offen, welche konkreten

Maßnahmen diese Initiativen umfassen sollen. Deutlich konkreter bezieht sich der Mission Letter des Klimakommissars Wopke Hoekstra auf den Draghi-Bericht: Er soll unter anderem die steuerliche Förderung „sauberer“ Energielösungen für die Industrie entsprechend den Draghi-Vorschlägen voranbringen.

Kritische Rohstoffe

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Draghi-Bericht identifiziert die Abhängigkeit Europas von kritischen Rohstoffen als eines der größten Risiken für seine wirtschaftliche und geopolitische Stabilität.

▪ Die Analyse betont, dass Europa für viele strategisch bedeutende Rohstoffe – darunter Seltene Erden und Metalle für die Hightech-Industrie – stark auf Importe aus Drittstaaten, besonders China, angewiesen ist.

▪ Dies macht die europäische Wirtschaft anfällig für Lieferengpässe und Preisschwankungen, die durch geopolitische Spannungen oder Handelsbeschränkungen verursacht werden können. Der Mangel an alternativen Lieferquellen könnte Europas Wettbewerbsfähigkeit langfristig beeinträchtigen.

▪ Während andere Regionen schneller agieren, um kritische Rohstoffe zu sichern, liegt die EU mit ihren Anstrengungen zurück, hat aber ungenutztes Potential

Zusammenfassung der Empfehlungen:

Die Empfehlungen des Draghi-Berichts zielen darauf ab, die europäische Industrie widerstandsfähiger zu machen und durch Diversifizierung, Innovation und Kreislaufwirtschaft die strategische Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen zu minimieren. Konkret fordert der Bericht die volle und schnelle Umsetzung des Critical Raw Materials Acts (CRMA) und macht darüber hinaus zusätzliche Vorschläge:

▪ Erstens wird die Entwicklung einer umfassenden Strategie auf EU-Ebene auf der Grundlage des CRMA vom Bergbau bis zum Recycling empfohlen. Hierzu gehört das Zusammendenken der verschiedenen Stufen der Wertschöpfungskette (Gewinnung, Abbau, Verarbeitung, Raffination, Legierung, Herstellung, tatsächliche Produktnutzung, Recycling, Wiederverwendung, Schließung, Nachsorge) und den damit verbundenen verschiedenen europäischen und nationalen Politiken und Rechtsvorschriften. Zudem sei die Nutzung des Rahmens für wirtschaftliche Sicherheit wesentlich, um sicherzustellen, dass die verschiedenen Rechtsvorschriften (zum Beispiel Umwelt, Soziales, Wettbewerb, wirtschaftliche Sicherheit) auf EU- und nationaler Ebene nicht im Widerspruch zueinanderstehen

▪ Zweitens wird die Einrichtung einer EU-Plattform für kritische Rohstoffe zur Umsetzung der EU-Strategie und zur Nutzung der Marktmacht empfohlen, aufbauend auf den Erfahrungen von AggregateEU und der Euratom-Versorgungsagentur und unter Berücksichtigung des japanischen Modells. Aufgaben wären die jährliche Überwachung der Risiken in der Lieferkette und der Frühwarnabhängigkeiten auf der Grundlage des CRMA; die Bündelung der Nachfrage für den gemeinsamen Einkauf von kritischen Materialien; die Entwicklung von Finanzprodukten für Investitionen in die Sicherung der vorgelagerten Versorgung in der EU und in Drittländern und die Verwaltung künftiger strategischer Vorräte in der EU.

▪ Drittens empfiehlt der Bericht die Entwicklung von Finanzlösungen zur Unterstützung der kritischen Wertschöpfungskette bei Rohstoffen (öffentlich-private Partnerschaften; Zusammenarbeit mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD); Nutzung von Freihandelsabkommen und Entwicklungszusammenarbeit / Global Gateway zur Rohstoffsicherung; steuerliche Anreize oder Differenzverträge zur Förderung privater Investitionen; nachfrageorientierte Förderung von Industrieproduktion, die kritische Rohstoffe benötigt).

- Die EIB soll zur Bereitstellung von Kofinanzierungsmitteln und zur Verringerung des Investitionsrisikos mobilisiert werden. Projektfinanzierungs- und De-Risking-Instrumente sollten direkt auf die strategischen Projekte in der EU abgestimmt werden. Darüber hinaus sollte in Erwägung gezogen werden, die EIB-Darlehen um Bestimmungen zum Thema „Made in EU“ zu ergänzen. Dies bedeutet, dass EIB-Darlehen, die zum Beispiel für die Herstellung von Elektrofahrzeugen und Batteriezellen gewährt werden, einen Mindestanteil an von verarbeiteten kritischen Mineralien aus der EU verlangen.

- Ein spezieller „Dachfond“ soll eingerichtet werden. Aufbauend auf den Erfahrungen der Europäischen Rohstoffallianz könnte die EU-Mitgliedstaaten, Finanzinstitute, große Kapitalanleger nationale Förderbanken und Exportagenturen zusammenbringen und Ressourcen in einer Art Dachfonds bündeln, der dann für Investitionen entlang der kritischen Rohstoff-Wertschöpfungskette genutzt werden könnte.

- Die Bindung öffentlicher Förderung beziehungsweise Vergabe europäischer Anlagen zum Beispiel im Bereich Wind und Solar solle danach erfolgen, dass ein Mindestanteil an EU-Materialien verwendet wird, oder Vergünstigungen, wenn solche Bedingungen erfüllt werden (nach einem ähnlichen Ansatz wie die Anreize des Inflation Reduction Act für die Aufnahme der Produktion in den USA).

▪ Viertens empfiehlt der Bericht die Weiterentwicklung der Rohstoffdiplomatie mit attraktivem EU-Angebot, den Ausbau von Global Gateway und konkrete Projekte im Rahmen der existierenden Strategischen Partnerschaften.

▪ Darüber hinaus sollen gemeinsame Strategien mit anderen globalen Abnehmern in der G7 / OECD (zum Beispiel Japan) durch einen G7+-Klub für kritische Rohstoffe in Ergänzung zu der US-geführten Minerals Security Partnership entwickelt werden. Ein Klub für kritische Rohstoffe würde seinen Mitgliedern vier Güter zur Verfügung stellen:

- Freier Handel mit kritischen Rohstoffen, die unter Einhaltung von Umwelt- und Sozialstandards abgebaut und verarbeitet werden.

- Gemeinsame Initiativen für Technologietransfer, Forschung und Entwicklung. Die EU könnte modernste Ausrüstung zur Verfügung stellen, um die ökologischen und sozialen Auswirkungen des Bergbaus zu mindern.

- Eine langfristige Perspektive für faire Preise für mineralische Rohstoffe. Dies könnte in Form von Abnahmevereinbarungen erfolgen und Bestimmungen darüber enthalten, wie die Preise an die sich verändernden Marktbedingungen angepasst und Rückverkäufe über billigere Angebote.

- Eine Kombination von Instrumenten für Investitionen in nachgelagerte Kapazitäten und Energiekapazitäten. Diese ermöglichen rohstoffreichen Ländern, ihre Rohstoffe

zu Mehrwertgütern zu veredeln und bieten so neue Entwicklungsmöglichkeiten durch Industrie, Arbeitsplätze und Steuereinnahmen.

▪ Sechstens soll der heimische Bergbau gefördert werden, unter anderem durch folgende über den CRMA hinausgehende Vorschläge:

- Überprüfung der Wettbewerbsregeln: Derzeit erschweren die Wettbewerbsregeln die vertikale Integration von Projekten entlang der Wertschöpfungskette. Es gibt jedoch immer mehr Hinweise darauf, dass zur Förderung von Investitionen in neuen Sektoren die Garantie einer Abnahme für einen bestimmten Zeitraum entscheidend für die endgültige Investitionsentscheidung ist (zum Beispiel für eine Lithiumverarbeitungsfabrik in der Nähe von Li-Ionen-Fabriken).

- Nutzung des öffentlichen Beschaffungswesens und Anforderungen für inländische Produktionsziele: Auf der Nachfrageseite spielen die europäischen und nationalen Verwaltungen eine wichtige Rolle bei der Schaffung des Marktes durch öffentliche Beschaffung.

▪ Siebtens empfiehlt der Draghi-Bericht die Förderung der europäischen Exzellenz in Forschung und Innovation bei alternativen Materialien oder Prozessen zur Substitution kritischer Rohstoffe in verschiedenen Anwendungen.

▪ In Bezug auf die Kreislaufwirtschaft soll ein echter Binnenmarkt für Abfall und Recycling in Europa geschaffen werden, unter anderem durch die Lenkung des Sekundärmarktes; Nutzung und wirksame Durchsetzung der bestehenden Vorschriften und Überprüfung, dass neue Bestimmungen nicht umgangen werden und der Koordinierung der EU-Ausfuhrkontrollen für Abfälle.

▪ Neuntens soll die Schaffung eines nachhaltigen CRM-Marktes in der EU beschleunigt werden (zum Beispiel durch Importzollmaßnahmen und der Entwicklung europäischer ESG-Standards).

▪ Zehntens rät der Bericht zum Aufbau von strategischen Vorräten für ausgewählte kritische Mineralien in der EU. Dies sollte nach dem Rotationsprinzip geschehen, bei dem Mineralien beschafft, für eine bestimmte Zeit gelagert und dann an die lokale Industrie abgegeben werden. Die Vorratshaltung könnte in der EU für Mineralien in Betracht gezogen werden, bei denen der Markt relativ klein und daher anfällig für potenzielle Störungen ist, der Grad der Angebotskonzentration hoch ist und die Preisbildungssysteme unausgereift und intransparent sind. Eine Regelung für die Bevorratung sollte so konzipiert sein, dass potenzielle Marktverzerrungen vermieden werden:

- Ein Rahmen für die Bevorratung sowohl von globalen als auch von recycelten Ressourcen, differenziert nach Art der seltenen Materialien (aufbauend auf den derzeitigen strategischen Vorräten für Erdöl und der obligatorischen Lagerung von Erdgas) könnte die Bedenken der EU hinsichtlich der Versorgungssicherheit und der Volatilität der Marktpreise entgegenwirken. Dieser Rahmen könnte vor allem Rohstoffen zugutekommen, bei denen die Märkte stark konzentriert sind und die unter mangelnder Preistransparenz leiden. Reserven könnten mit klaren und transparenten Regeln für den Aufbau und die Freigabe von Vorräten entwickelt werden.

- Die CRM-Plattform der EU könnte den kritischen Bedarf an Mineralien ermitteln und Mindestvorräte auf EU- und nationaler Ebene festlegen. Ein integrierter Ansatz würde Vorteile beim Ausgleich von Angebots- und Nachfrageschocks bringen.

- Angesichts der erheblichen Kosten, die mit der Bevorratung verbunden sind, sollten die Kriterien für die selektive Bevorratung kritischer Mineralien bei der Bewertung potenzieller EU-Versorgungs- und Preisschocks auf Liquiditäts- und Konzentrationsmaßnahmen beruhen.

- Die Auftragsvergabe für die Bevorratung könnte mit Projekten in geografisch unterschiedlichen Regionen und mit hoher ESG-Performance verknüpft werden, um eine Diversifizierung der Lieferkette zu ermöglichen. In einigen Fällen könnten die Beschaffung und Freigabe der Vorräte Informationen über die Marktpreise liefern, was für illiquide oder undurchsichtige Märkte wertvoll sein könnte.

▪ Elftens soll Markttransparenz für Großhandelsverträge mit kritischen Mineralien in der EU verbessert werden (unter anderem durch Schaffung einer Aufsicht für kritische Mineraliengroßhandelsverträge, die derzeit nicht reguliert sind, sowie die Entwicklung von EU-Metallpreis-Benchmarks).

Bewertung:

▪ Die Zielsetzung der Empfehlungen, Europas Rohstoffsouveränität zu stärken, ist grundsätzlich positiv. Sie adressieren die Kernprobleme der großen einseitigen Abhängigkeiten insbesondere von China im Kontext des weltweit ansteigenden Bedarfs und Wettlaufs um knappe kritische Rohstoffe im geopolitischen Systemwettbewerb.

▪ Die aufgezeigte Notwendigkeit von Investitionen in heimische Kapazitäten, Kreislaufwirtschaft und Innovation sowie einer koordinierten Außenwirtschaftspolitik sind zu begrüßen.

▪ Auch viele der vorgeschlagenen Maßnahmen erscheinen zielführend. Es gibt allerdings einige offene Fragen bei der Umsetzung. Generell sind die Vorschläge sehr voraussetzungsvoll, was die Themen Finanzierung, Standortbedingungen und Governance anbelangt.

▪ Das Thema Vorrats- / Lagerhaltung ist diskussionswürdig, aber auch anspruchsvoll, was die Ausgestaltung anbelangt. In Deutschland lagern die Unternehmen selbst, aber werden bislang steuerbilanziell benachteiligt. Daher sollte eine Rohstoffbevorratungsrücklage geschaffen werden, um Anreize für eine Bevorratung wichtiger Rohstoffe zu geben.

▪ Auch die EU-Plattform für kritische Rohstoffe, unter anderem für den gemeinsamen Einkauf ist noch mit vielen Fragezeichen verbunden. Unternehmen bündeln zum Teil bereits selbst ihre Beschaffung in industriellen Einkaufsgemeinschaften. Mit der Industrie wäre in jedem Fall genau zu diskutieren, wie ein gemeinsamer europäischer Einkauf, die Lagerung und Verteilung im Detail aussehen könnten. Je nach kritischem Rohstoff sind zudem spezifische Besonderheiten zu beachten.

▪ Einige Vorschläge wie Metallpreis-Benchmarks sind neu und werden gerade auch jenseits des Atlantiks diskutiert. Nachfrageorientierte Instrumente ähnlich zum IRA (zur Förderung gebunden an die Verwendung eines Mindestanteils europäischer Materialien) erscheinen positiv, sind aber innerhalb der deutschen Industrie strittig.

▪ Das Thema Rohstoffförderung in der Tiefsee wird nicht angeschnitten. Die EU sollte das Potenzial einer umweltverträglichen Rohstoffförderung in der Tiefsee sorgfältig prüfen. Der BDI hat dazu kürzlich ein Diskussionspapier erarbeitet.

▪ Laut seines Mission Letter wird der designierte französische Kommissar und Vize-Präsident für Wohlstand und Industriestrategie Séjourné die Arbeiten zu kritischen Rohstoffen leiten. Er soll eine EU-Plattform für kritische Rohstoffe einrichten, welche den gemeinsamen Einkauf unterstützen, strategische Lagerbestände managen und die Umsetzung des Critical Raw Materials Acts vorantreiben soll.

Digitalisierung und fortgeschrittene Technologien

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektor (IKT-Sektor) hat im Jahr 2021 5,5 Prozent zum BIP der EU beigetragen und 6,7 Millionen Menschen beschäftigt.

▪ Der Draghi-Bericht betont, dass Digitalisierung positive Beiträge zu Europas offener strategischer Autonomie, der Dekarbonisierung und sozialer Gerechtigkeit leistet.

▪ Europas industrielles Modell trägt jedoch bisher nicht hinreichend der Geschwindigkeit des technologischen Wandels Rechnung – da 70 Prozent der in den nächsten zehn Jahren geschaffenen weltweiten Wertschöpfung digital unterstützt sein wird, droht Europa weiter wirtschaftlich abgeschlagen zu werden.

▪ Zwischen 2013 und 2023 ist der Anteil der EU an globalen IKT-Einnahmen von 22 auf 18 Prozent zurückgegangen, während jener der USA von 30 auf 38 Prozent angestiegen ist.

▪ Zudem ist die EU zu mehr als 80 Prozent abhängig von digitalen Produkten, Dienstleistungen, Infrastrukturen und Intellectual Property (IP) aus Drittstaaten.

▪ Im Folgenden werden im Einzelnen drei wesentliche Säulen im Bereich Digitalisierung vertieft: Digitale Infrastruktur, Rechenkapazitäten und KI sowie Halbleiter.

Digitale Infrastruktur

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Den Unternehmen in der EU fehlt die nötige Größe, um den Bürgern einen flächendeckenden Zugang zu Glasfaser- und 5G-Breitbandanschlüssen zu bieten und die Unternehmen mit fortschrittlichen Innovationsplattformen auszustatten.

▪ Während es in den USA drei Mobilfunkanbieter gibt, sind es in Europa 34; während in den USA die drei größten Festnetz-Breitband-Anbieter 66 Prozent des Marktes abdecken, sind es in Europa nur 35 Prozent. Zwar profitieren Kunden in Europa von vergleichsweise niedrigen Preisen, dies hat jedoch negative Auswirkungen auf die Rentabilität der Telekommunikationsinfrastruktur (TK-Infrastruktur) und damit auch auf die Investitionsfähigkeit der Unternehmen – die EU liegt insgesamt über der optimalen Anzahl von TK-Betreibern.

▪ Die ex ante Regulierung sowie die Wettbewerbspolitik in Europa wirken einer Konsolidierung im TK-Markt entgegen.

▪ Erschwerend kommen in Europa die zwischen den Mitgliedstaaten nicht-koordinierte und auf Erlöserzielung ausgerichtete Frequenzvergabe, die Unterstützung nicht-investitionsorientierter Marktteilnehmer und die durch Mitgliedstaaten geschaffene Regulierungsdickicht hinzu.

▪ Nur 56 Prozent der Haushalte in Europa verfügen über einen Glasfaseranschluss (Engl: „fiber-to-the-premise“).

▪ Während in Europa 81 Prozent der Bevölkerung durch 5G-Netze versorgt sind, sind es in den USA und China jeweils 95 Prozent. Um eine flächendeckende Gigabitversorgung zu erreichen, müssen in Europa 200 Milliarden Euro investiert werden.

▪ Nokia und Ericsson (globaler Marktanteil jeweils 16 Prozent) sind zwei der drei größten Anbieter von TK-Netzwerkkomponenten; nur Huawei hat einen größeren Marktanteil (30 Prozent). Der Schritt in Richtung Open-RAN-basierter TK-Netze könnte dazu führen, dass die europäischen Anbieter weitere Marktanteile an Softwareanbieter aus Drittstaaten einbüßen.

▪ Die Bedeutung von Satelliten-Konnektivität nimmt zu. Europäische Unternehmen treten bei Low-Earth-Orbit-(LEO)-Konstellationen bisher nicht als signifikante Marktakteure auf.

▪ Kein europäisches Unternehmen hat einen nennenswerten Marktanteil im Sektor der Software für Kommunikationsgeräte – Google und Apple dominieren den europäischen Markt.

▪ Die Marktkapitalisierung der europäischen TK-Betreiber und -Ausrüster ist zwischen 2015 und 2023 um 41 Prozent zurückgegangen. Nur vier der 50 nach Marktkapitalisierung größten Tech-Unternehmen haben ihren Hauptsitz in der EU (ASML Holding N.V., SAP SE, Siemens AG und Schneider Electric SE).

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Der Draghi-Bericht empfiehlt einen neuen „EU Telecoms Act“, welcher mit sieben Maßnahmenbereichen eine strategische Neuausrichtung der Telekommunikationsdienste vornehmen soll.

▪ Reform der EU-Regulierung und Wettbewerbspolitik zur Vollendung des digitalen Binnenmarkts für Telekommunikation. Regeln sollen harmonisiert und grenzüberschreitende Fusionen und Geschäftstätigkeiten begünstigt werden.

▪ Harmonisierung der EU-weiten Vorschriften und Verfahren zur Spektrumsvergabe, einschließlich jener für Satellitenanwendungen, und Koordination von Auktionsdesigns auf EUEbene, um Skalenvorteile zu schaffen und die Konsolidierung digitaler Netzwerke zu fördern.

▪ Vereinfachung und Harmonisierung der Cybersicherheits- und Abhörarchitektur über Ländergrenzen hinweg sowie Verbesserung der Zusammenarbeit von den Cybersicherheitsbehörden der EU. Dies umfasst die Einführung verhältnismäßiger, konsistenter und technologieneutraler Regeln für kritische nationale Infrastrukturen.

▪ Förderung des Ausbaus neuer Infrastrukturen, indem Abschaltdaten für ältere Technologien (zum Beispiel Kupfernetze) festgelegt werden. Hierdurch sollen die Renditeerwartungen von Investitionen in neue Technologien verbessert werden.

▪ Einführung des „Passporting“ von Business-to-Business-Dienstleistungen, um Betreibern in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, ihre Dienstleistungen EU-weit anzubieten. Dies erleichtert die Entstehung von EU-weiten Dienstleistern, unabhängig vom Gründungsland. Die Anwendung des Herkunftslandprinzips als harmonisierender Faktor soll die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung erleichtern.

▪ Unterstützung von in der EU ansässigen Telekommunikationsausrüstungs- und Softwareanbietern, um die strategische Autonomie der EU bei der Beschaffung von Technologien zu stärken.

▪ Zur Förderung von Innovation und Zusammenarbeit unter EU-Akteuren sollten EU-weite technische Standards für den Einsatz von Netzwerk-Schnittstellen (APIs), Edge Computing und dem Internet der Dinge (IoT) koordiniert werden – ähnlich wie in der Vergangenheit beim Roaming. Dies sollte durch geeignete EU-Institutionen erfolgen.

Bewertung der Empfehlungen des Draghi-Berichts:

▪ Die deutsche Industrie begrüßt das im Februar 2024 von der Europäischen Kommission vorgelegt Weißbuch „How to master Europe's digital infrastructure needs?“ grundsätzlich und die damit verbundene Schwerpunktsetzung auf digitale Infrastrukturen – der Draghi-Bericht greift den Grundgedanken der zweiten Säule mit seiner Forderung nach einem EU-Telekommunikationsgesetz (Engl: „EU Telecoms Act“) auf; vernachlässigt jedoch Säule eins (Förderung) und Säule drei (Unterseedatenkabel).

▪ Der Vorschlag eines vereinfachten und stärker harmonisierten europäischen Regulierungsrahmens ist grundsätzlich unterstützenswert. Es ist jedoch notwendig, einen umfassenden und tiefgehenden Konsultationsprozess mit allen relevanten Interessengruppen – einschließlich Telekommunikationsnetzbetreibern, Cloud-Dienstanbietern sowie Anwenderindustrien – einzuleiten, um die Auswirkungen von Veränderungen des Umfangs und der Ziele des aktuellen regulatorischen Rahmens, zu evaluieren.

▪ Ein koordinierteres Vergabeverfahren von Frequenzen in Europa ist generell zu befürworten. Ziel sollte es sein, Investitionen zu stärken, Nutzungsrechte zu erweitern, geeignete Frequenzen zeitnah zu vergeben und ineffiziente oder diskriminierende Auktionsdesigns zu verhindern. Dabei sollte der Fokus nicht auf der Erlösmaximierung für die EU-Mitgliedstaaten liegen. Aufgrund der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten sollten die nationalen Vergabeverfahren nicht harmonisiert werden.

▪ Eine Harmonisierung des europäischen Rechtsrahmens für Cybersicherheit sowie Abhörverfahren ist ausdrücklich zu begrüßen

▪ Eine verbindliche Kupferabschaltung bis 2030 wie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen ebenso wie das im Draghi-Bericht vorgeschlagene EU-weite, aber zeitlich unbestimmte Datum ist entschieden abzulehnen, da dies zu ehrgeizig ist und die unterschiedlichen Netzmerkmale in den EU-Mitgliedstaaten völlig außer Acht lässt.

▪ Die Einführung eines Herkunftslandprinzips ist skeptisch zu sehen. Ein umfassenderes Herkunftslandprinzip müsste eine breite Palette von Überlegungen beinhalten, um Verzerrungen hinsichtlich fairer Wettbewerbsbedingungen zu vermeiden. Die Folgen solcher Maßnahmen könnten sogar nachteilige Effekte haben und sollten daher sorgfältig geprüft werden.

▪ Eine Industriepolitik, die europäische TK-Ausrüster unterstützt, und Forschung in den Bereichen 6G, Cloudification und Virtualisierung, fördert, wäre von herausgehobener Bedeutung, um einen signifikanten Beitrag zur Stärkung der digitalen Souveränität Europas leisten.

▪ Die Förderung von technischen Standards sowie von EU-weit einheitlichen Schnittstellen wäre ein sinnvoller Schritt, um Marktbarrieren abzubauen.

▪ Die Vorschläge des Draghi-Berichts werden voraussichtlich im Rahmen des Digital Networks Act (DNA) aufgegriffen, welcher sich als Gesetzesvorhaben im Mission Letter von Henna Virkkunen befindet. Mit der Veröffentlichung eines ersten Gesetzesentwurfs ist bereits im ersten Halbjahr 2025 zu rechnen.

Rechenkapazitäten und KI

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Künstliche Intelligenz wird vom Draghi-Bericht als Katalysator eines neuen „window of opportunity“ für die Wiedergewinnung industrieller Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Europa betrachtet.

▪ Die EU verliert an Boden in F&E sowie bei der Schaffung innovativer Technologieunternehmen mit globaler Reichweite.

▪ EU-Unternehmen machen nur sieben Prozent der F&E-Ausgaben im Software- und Internetbereich aus, verglichen mit 71 Prozent in den USA und 15 Prozent in China.

▪ Der EU-Markt für Cloud-Dienste wird von US-Anbietern dominiert, wobei europäische Anbieter nur einen Marktanteil von unter 16 Prozent (Stand: 2021) haben.

▪ Die EU hat jedoch eine starke Position im Bereich Hochleistungsrechnen (HPC) und könnte diese nutzen, um private Investitionen anzulocken.

▪ KI wird derzeit nur von elf Prozent der EU-Unternehmen genutzt, was weit unter dem Ziel von 75 Prozent bis 2030 liegt.

▪ Die Wettbewerbsfähigkeit der EU hängt von der Digitalisierung aller Sektoren ab, was jedoch eine moderne Infrastruktur und weitere digitale Voraussetzungen erfordert.

▪ Das industrielle Modell der EU spiegelt nicht das aktuelle Tempo des technologischen Wandels wider und ist auf Drittstaaten für über 80 Prozent ihrer digitalen Produkte, Dienstleistungen, Infrastruktur und geistigen Eigentumsrechte angewiesen

▪ EU-Technologieunternehmen fehlt die Größe, um F&E zu unterstützen und Investitionen in Telekommunikation, Cloud-Dienste, KI und Halbleiter zu tätigen.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Die Rechenkapazität für das Training und die Feinabstimmung von KI-Modellen soll erhöht werden.

▪ Prioritäre KI-Anwendungen in Schlüsselindustrien sollen identifiziert und gefördert werden.

▪ Die Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und des EU-AI-Acts soll harmonisiert und vereinfacht werden.

▪ Eine einheitliche EU-weite Politik für Cloud-Dienste und Datensicherheit soll entwickelt werden.

▪ Ein EU-weites „Pass-System” für Cloud-Dienste soll eingeführt werden.

▪ Datenvermittler sollen als vorab genehmigte Datenintermediäre unterstützt werden.

▪ Die Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA im Bereich Cloud und Datenmärkte soll verstärkt werden.

▪ Es soll ein neues “Tech Skills Acquisition Programme” eingeführt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU in fortschrittlichen Technologien zu verbessern.

▪ Ein neuer „EU Cloud and AI Development Act” soll angenommen werden, um HPC-, KIund Quantenfähigkeiten und -infrastrukturen zu verbessern und Cloud-Architekturanforderungen und Beschaffungsprozesse zu harmonisieren.

▪ Ein „EU Vertical AI Priorities Plan” soll eingeführt werden, um wichtige vertikale KI-Modelle in verschiedenen Industriezweigen zu finanzieren, basierend auf Datenaustausch und geschützt vor Kartellrechtsdurchsetzung.

▪ Nationale „AI Sandbox Regimes” sollen harmonisiert werden, um Experimente und die Entwicklung innovativer KI-Anwendungen in ausgewählten Industriezweigen zu ermöglichen.

Bewertung:

▪ Die Empfehlungen zur Erhöhung der Rechenkapazität und zur Förderung von KI-Anwendungen könnten die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Unternehmen stärken.

▪ Neben der Harmonisierung der DSGVO mit dem AI-Act sollte insgesamt eine Harmonisierung der verschiedenen EU-Digitalgesetze, wie etwa dem Data Act, dem Cyber Resilience Act und dem Data Governance Act vorangetrieben werden.

▪ Die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA im Bereich Cloud und Datenmärkte ist an sich richtig, bei sensiblen, öffentlichen Daten sollten aber technologiesouveräne Lösungen „made in Europe” gefördert werden.

▪ Die Empfehlungen zu Hochleistungsrechenzentren finden sich in umfangreicher Form in den Mission Letters wieder. Auch der EU Cloud und AI Development Act wurde wie vom DraghiBericht gefordert aufgenommen. Weitere industriebezogene Maßnahmen wie die Harmonisierung der nationalen Reallabore und eine harmonisierte und vereinfachte Umsetzung des EU AI Acts fehlen.

Halbleiter

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Die EU hat in bestimmten Segmenten des Chipmarktes Stärken, leidet jedoch unter einer starken Abhängigkeit von nicht-EU-Akteuren.

▪ Der globale Chipmarkt wird von wenigen großen Akteuren dominiert, wobei die EU in bestimmten Segmenten (zum Beispiel Sensoren, Leistungskontrollen, Chips für die Automobilindustrie, Ausrüstung und Materialien) führend ist. Gleichzeitig ist sie beispielsweise bei Graphics Processing Units von Drittstaaten abhängig.

▪ Die EU hat eine starke Position in der Herstellung von Lithografiemaschinen und anderen Materialien, könnte jedoch durch Exportkontrollen beeinträchtigt werden.

▪ Es fehlt an Kapazitäten in der Produktion von fortschrittlichen Prozessoren und Speicherchips, was die Abhängigkeit von US-amerikanischen und asiatischen Herstellern verstärkt.

▪ Der EU-Chipmarkt wird auf 57 Milliarden US-Dollar geschätzt, was zehn Prozent der globalen Wertschöpfungskette (520 Milliarden US-Dollar) entspricht, gegenüber 20 Prozent in den neunziger Jahren. Der aktuelle Wert beträgt die Hälfte des im Chips Act festgelegten Ziels von 20 Prozent Marktanteil bis 2030.

▪ Der Chips Act der EU war ein guter erster Schritt, aber die öffentliche Unterstützung auf EU-Ebene bleibt hinter der in den USA zurück (zum Beispiel hat der US-Chips Act 52 Milliarden Euro zugewiesen, während die EU 3,3 Milliarden Euro zugewiesen hat). Zudem ist die nationale Unterstützung fragmentiert und unterliegt der Kontrolle staatlicher Beihilfen.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Eine neue EU-Halbleiterstrategie mit einem speziellen Budget und koordinierter Nachfrage soll entwickelt werden.

▪ Innovationen und Testlaboren in der Nähe bestehender Exzellenzzentren sollen finanziert werden.

▪ Es sollen Anreize für innovative Designfähigkeiten und Fabless Produktionen geschaffen werden.

▪ Foundries in strategischen Segmenten sollen subventioniert werden.

▪ Die Innovationspotenziale von Mainstream-Chips und Chiplets sollen unterstützt werden.

▪ Ein innovationsförderndenes Genehmigungsregimes für Chips in der gesamten EU soll gefördert werden.

▪ Ein langfristiger EU-Quantenchips-Plan soll eingeführt werden.

▪ Die Konsolidierung und Führungsrolle exzellenter Halbleiterunternehmen soll als Reaktion auf Exportbeschränkungen von Wettbewerbern unterstützt werden.

▪ Ein Chip-Unterprogramms des „Tech Skills Acquisition Programme” soll eingeführt werden, um Talente anzuziehen (zum Beispiel spezielle Einreisevisa).

Bewertung:

▪ Grundsätzlich sind die Empfehlungen zu begrüßen.

▪ Die Mikroelektronik-Politik benötigt jedoch im Sinne des nachhaltigen Resilienzaufbaus einen noch holistischeren Ansatz, der auch Standortpolitik, Rohstoffpolitik und Bildungspolitik einschließt und Halbleiter zu einer Säule der European Economic Security Strategy macht.

▪ Positiv hervorzuheben sind die angedeuteten Gegenmaßnahmen gegen Exportkontrollen, jedoch ist dieser Punkt nur sehr knapp und vage gehalten und bedarf weiterer Konkretisierung.

▪ In den Mission Letters an die designierten EU-Kommissare finden sich Halbleiter im Zusammenhang mit der Umsetzung des Chips Act. Auch die Einführung eines EU-QuantenchipsPlans wird dem Draghi-Bericht folgend angewiesen. Alle anderen Empfehlungen fehlen.

Energieintensive Industrien

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Draghi-Bericht hebt zunächst die große Bedeutung energieintensiver Industrien (Engl: „Energy Intensive Industries“ , EII) für die EU hervor, sowohl hinsichtlich der Beschäftigung als auch der strategischen Unabhängigkeit Europas, etwa in Bereichen wie Ernährungssicherheit und dem Verteidigungssektor.

▪ Er zeigt jedoch auf, dass die energieintensive Produktion in der EU zwischen 2021 und 2023 bereits um zwölf Prozentpunkte zurückgegangen ist – ein Hinweis darauf, dass eine Deindustrialisierung dieser Branchen bereits begonnen hat. Ohne angemessene politische Maßnahmen könnte sich dieser Trend weiter beschleunigen.

▪ Der Bericht identifiziert zwei zentrale Ursachen für die Herausforderungen der energieintensiven Industrie: hohe Energiekosten (siehe Energiekapitel) und signifikant strengere Dekarbonisierungsziele im Vergleich zur internationalen Konkurrenz. Diese unterschiedlichen Ambitionsniveaus schaffen kurzfristig erheblichen Investitionsbedarf für europäische Unternehmen, während ihre globalen Wettbewerber davon weitgehend unberührt bleiben. Allein die Dekarbonisierung der vier größten energieintensiven Sektoren – Chemie, Grundmetalle, nichtmetallische Mineralien und Papier – wird in den kommenden 15 Jahren voraussichtlich Kosten in Höhe von 500 Milliarden Euro verursachen. Der Draghi-Bericht weist zudem darauf hin, dass die EU bislang die einzige große Wirtschaftsregion mit einem signifikanten CO2-Preis ist. Während dieser Kostenfaktor für energieintensive Unternehmen aufgrund der kostenlosen Zuteilung im EU-ETS bisher eine begrenzte Rolle spielte, wird sich dies mit der Einführung des Carbon Border Adjustment Mechanism ändern. Dessen Erfolg bezeichnet der Draghi-Bericht unter anderem aufgrund der hohen Komplexität und der notwendigen internationalen Zusammenarbeit jedoch als „ungewiss“.

▪ Als weiteres Problem werden die teilweise massiven Überkapazitäten in bestimmten Sektoren genannt, insbesondere im Stahlsektor. Hier werden die globalen Überkapazitäten 2023 auf mehr als 611 Millionen Tonnen geschätzt und dürften weiter steigen – insbesondere durch neue Kapazitäten in Asien, die überwiegend auf dem CO2-intensiven Hochofenprozess basieren.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Insbesondere in der Übergangsphase sollen für EII wettbewerbsfähige Energiepreise (Strom, Gas, Wasserstoff) geschaffen werden (siehe die verschiedenen Vorschläge dazu im Energiekapitel).

▪ Genehmigungsverfahren sollen für EII vereinfacht und beschleunigt werden. Bürokratie und regulatorische Belastungen sollen abgebaut werden. Hierbei werden viele Vorschläge gemacht, die bereits im NZIA enthalten sind („one-stop-shop“, etc.). Außerdem werden unter anderem Genehmigungsfiktionen („positive silence“) vorgeschlagen.

▪ Die Marktfinanzierungsbedingungen für EII sollen verbessert werden, zum Beispiel durch finanzielle Garantien der EIB oder Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

▪ Fördermittel für die Dekarbonisierung von EII sollten verstärkt werden, zum Beispiel finanziert durch ETS-Einnahmen. Außerdem sollten Förderprogramme sowohl CAPEX als auch OPEX-Kosten abdecken. Entsprechende Instrumente sollten (auch und vor allem) auf EUEbene eingeführt, beziehungsweise ausgebaut werden (Europäische Wasserstoffbank, Carbon Contracts for Difference, etc.).

▪ Die Implementierung des CBAM in der Übergangsphase sollte sorgfältig überwacht und (wo nötig) optimiert werden. Zudem sollte die Europäische Kommission evaluieren, ob die Abschmelzung der kostenlosen Zuteilung im EU-ETS verschoben werden sollte, falls die Implementierung des CBAM nicht wie erwartet funktioniert. Eine CBAM-Exportlösung müsste „im Einklang mit den Regeln des internationalen Handelssystems“ geprüft werden.

▪ Die Nachfrage nach klimafreundlichen Produkten sollte gesteigert werden, indem Transparenz gefördert und einheitliche Kriterien für CO2-arme Produkte in öffentlichen Ausschreibungen eingeführt werden („Green Public Procurement“).

▪ Die Kreislauffähigkeit von Rohstoffen soll verbessert werden (durch Recyclingquoten, einen Binnenmarkt für Kreislauffähigkeit und Anregung der Nachfrage dort, wo es nötig ist). Weitere Anmerkungen hierzu befinden sich in dem Kapitel „Kritische Rohstoffe“

▪ Handelsabkommen sollen effektiv gestaltet werden Die Reaktionsfähigkeit der EU muss (bei Bedarf) gewährleistet sein Handelsabwehrinstrumente und Antisubventionsmaßnahmen sollen (wo nötig) strategisch und zügig angewendet werden.

▪ Die Schaffung „grüner regionaler Industriecluster“ rund um die EII der EU soll gefördert werden. Als Beispiel werden die Sognenannten „Net Zero Acceleration Valleys“ im Rahmen des Net Zero Industry Act genannt.

Bewertung:

▪ Die Schaffung wettbewerbsfähiger Energiepreise für EII ist die absolute Grundlage zur Wiederherstellung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit (eine Bewertung der konkreten DraghiVorschläge ist im Energiekapitel zu finden).

▪ Die Erkenntnis, dass aufgrund der absehbar höheren Kosten vieler klimafreundlicher Produktionsprozesse eine Förderung der Dekarbonisierung energieintensiver Industrien notwendig ist (nicht nur CAPEX, sondern auch OPEX) ist begrüßenswert. Um entsprechende

Förderinstrumente auf EU-Ebene auszubauen, müsste allerdings der EU-Haushalt entsprechend priorisiert oder erhöht werden, da derzeit keine zusätzlichen Mittel verfügbar sind.

▪ Ebenfalls positiv ist die klare Benennung der zahlreichen Probleme und Unzulänglichkeiten des CBAM, inklusive der Forderung einer Evaluierung der Abschmelzung der kostenlosen Zuteilung im EU-ETS, sollte die Implementierung nicht wie ursprünglich erwartet funktionieren.

▪ Die Schaffung einer Nachfrage nach klimafreundlichen Produkten, allen voran durch „grüne“ öffentliche Beschaffung, ist ebenfalls positiv.

▪ Beim Abbau bürokratischer Hürden und der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren bleibt der Draghi-Bericht jedoch hinter den Erwartungen zurück. Um Genehmigungsverfahren für die Industrie effektiv zu beschleunigen, wären eine grundsätzliche Überarbeitung des materiellen EU-Umweltrechts, klare Stichtagsregelungen und praxistaugliche Standards erforderlich.

▪ Zur Senkung der Energiekosten soll der neue Energiekommissar Dan Jorgensen einen „Action Plan for Affordable Energy Prices“ vorlegen. Zudem soll ein „Electrification Action Plan“ entwickelt werden. Der Mission Letter bleibt jedoch vage und konkretisiert nicht, welche Maßnahmen diese Initiativen umfassen sollen. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass der designierte Industriekommissar Stéphane Séjourné im Rahmen des Clean Industrial Deal einen „Industrial Decarbonisation Accelerator Act“, unter anderem zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und Schaffung von Leitmärkten, entwickelt und die EU-Vergaberichtlinien entsprechend anpasst.

▪ Zur Stärkung der Fördermittel für die Dekarbonisierung soll ein „European Competitiveness Fund“ ins Leben gerufen werden. Ob dieser neue Fonds allerdings nur bestehende Programme vereinfachen und zusammenführen oder auch ein höheres Gesamtbudget aufweisen wird, bleibt offen und wird voraussichtlich erst in den Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU entschieden. Klimakommissar Wopke Hoekstra soll zudem den „effektiveren“ Einsatz der ETS-Einnahmen vorantreiben.

▪ Bedauerlicherweise fehlt in den Mission Letters ein klares Bekenntnis, die zahlreichen Probleme und Unzulänglichkeiten des CBAM entschlossen anzugehen, einschließlich der Bereitschaft, bei ausbleibendem Erfolg eine Überprüfung der vorgezogenen Abschmelzung der kostenlosen Zuteilung im EU-ETS in Erwägung zu ziehen.

Clean-Tech

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Draghi-Bericht hebt zunächst die wirtschaftlichen Chancen im Bereich sauberer Technologien (Engl: „Clean-Tech“) hervor und weist darauf hin, dass der globale Clean-Tech-Markt bis 2030 ein Volumen von etwa 650 Milliarden Euro erreichen könnte.

▪ Europäische Hersteller haben in einigen Technologien wie Windkraft, Elektrofahrzeugen (BEV) und Elektrolyseuren nach wie vor eine starke Marktposition. Die EU steht jedoch im zunehmenden Wettbewerb mit internationalen Unternehmen, insbesondere aus China. In

einigen Technologien, wie der Photovoltaik, hat die EU ihre Produktionsbasis bereits weitgehend an China verloren.

▪ Tatsächlich dominiert China mittlerweile aufgrund niedriger Produktionskosten, Unabhängigkeit bei kritischen Rohstoffen und umfangreicher staatlicher Subventionen die globalen Exporte im Bereich der sauberen Technologien und schafft teilweise erhebliche Überkapazitäten. Diese Überkapazitäten könnten vermehrt auf den EU-Markt drängen, da andere Länder Handelsbarrieren gegen China errichten. Der Draghi-Bericht warnt daher, dass die steigende europäische Nachfrage nach sauberen Technologien durch die ambitionierte Klimapolitik vermehrt durch (chinesische) Importe gedeckt werden könnte und somit deutlich weniger neue Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der EU entstehen.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Um dieser Herausforderung zu begegnen, empfiehlt der Draghi-Bericht die Entwicklung einer einheitlichen europäischen Industriestrategie. Neben China haben auch andere große Länder wie die USA bereits mit der massiven Förderung von Investitionen in saubere Technologien und der Stärkung der heimischen Produktion begonnen (siehe „Inflation Reduction Act“). Ein Laissez-faire-Ansatz würde daher die europäische Industrie gefährden. In diesem Fall könnte nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank beispielsweise die Produktion von Elektrofahrzeugen in der EU um bis zu 70 Prozent zurückgehen, falls chinesische BEVHersteller vergleichbare Subventionen erhalten wie die chinesische Solarindustrie. Eine Nachahmung der US-Strategie, die auf den systematischen Ausschluss chinesischer Technologien setzt, könnte hingegen die Energiewende verzögern und zu erhöhten Kosten für die europäische Wirtschaft führen. Ebenso wäre eine Erhebung wechselseitiger Zölle für die exportorientierte EU deutlich kostspieliger. Europa benötigt daher einen differenzierten Ansatz, um seine wirtschaftlichen und strategischen Interessen zu schützen.

▪ Darüber hinaus ist es laut dem Draghi-Bericht erforderlich, die Forschungs- und Entwicklungspolitik der EU enger an die Industriepolitik anzubinden und die Skalierung von Innovationen zu ermöglichen. Bisher gelingt es Europa nur unzureichend, neue Technologien in großem Maßstab auf den Markt zu bringen und langfristig zu etablieren.

▪ Es sollte insbesondere sichergestellt werden, dass die nationale Umsetzung des Net Zero Industry Act (NZIA) zeitnah und vollständig erfolgt. Zudem sollte die Europäische Kommission ein Impact Assessment und einen Gesetzesvorschlag vorlegen, um bis 2026 den Anteil der (Erneuerbaren-)Auktionsvolumina, der nicht-preislichen Kriterien unterliegt, zu überprüfen und gegebenenfalls zu erhöhen (von aktuell 30 Prozent jährlich).

▪ Dort wo es zur Erreichung der NZIA-Produktionsziele notwendig ist und die EU anders keine „Autonomie“ (wieder-)gewinnen kann, sollte bei öffentlichen Ausschreibungen und CfD-Auktionen eine explizite Mindestquote für ausgewählte lokal produzierte (innovative und nachhaltige) Produkte und Komponenten eingeführt werden (also eine Art „Local Content Requirement“). Ähnliches sollte auch für sämtliche Förderprogramme in den Mitgliedstaaten, EU-Finanzierungsprogramme und EIB-Programme gelten.

▪ Private und öffentliche Clean-Tech-Finanzierung sollte mobilisiert werden, insbesondere indem der Zugang zu EU-Fördermitteln vereinfacht und beschleunigt wird, sowie die verfügbaren Mittel erhöht und die Unterstützung auf OPEX ausgeweitet wird. Zudem sollten gezielt Finanzierungssysteme zur Mobilisierung von privatem Kapital gestärkt werden (zum Beispiel

mit Hilfe der EIB). Als ein konkretes Beispiel sollen neue „Competitiveness IPCEIs“ eingeführt werden, indem das aktuelle Instrument ausgeweitet wird: IPCEIs sollten künftig nicht nur auf „breakthrough technologies“ mit dem Status „global state of the art in the sector“ beschränkt sein, sondern auch industrielle Projekte von gemeinsamem Interesse (zum Beispiel Infrastrukturen) sowie alle Innovationsformen umfassen, die Europa in strategisch wichtigen Sektoren an die Spitze bringen und den Binnenmarkt weiter stärken könnten. Außerdem könnte das Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) für Clean-Tech-Beihilfen vorübergehend verlängert werden. Entsprechende Unterstützungsmaßnahmen sollten allerdings schrittweise auf EU-Ebene verschoben werden.

▪ Diversifizierung von Versorgungsquellen und Aufbau industrieller Partnerschaften mit Drittstaaten sollten vorangetrieben werden: Neben der Umsetzung der NZIA-Resilienzkriterien für öffentliche Ausschreibungen und Auktionen für Erneuerbare, sollten zusätzliche „Importdiversifizierungsziele“ pro Technologie eingeführt werden (ähnlicher Ansatz wie beim Critical Raw Materials Act). Diese Ziele sollten sich auf wenige Produktkategorien konzentrieren, bei denen eine erhebliche Abhängigkeit von einzelnen Drittländern besteht und die Versorgung der EU stark konzentriert ist. Außerdem müssten die Ziele mit einer Kostenanalyse in Einklang gebracht werden, die die Auswirkungen der Diversifizierung aufzeigt.

▪ Forschung und Entwicklung im Clean-Tech-Bereich sollte massiv gestärkt werden (durch viele konkrete Maßnahmen).

Bewertung:

▪ Die Vorschläge zur Vereinfachung und Beschleunigung des Zugangs zu EU-Fördermitteln sowie zur Bereitstellung zusätzlicher Mittel sind zu begrüßen. Allerdings ist die Finanzierung auch hier noch völlig offen und könnte voraussichtlich erst im Zuge der bevorstehenden Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen der EU abschließend geklärt werden. Dies betrifft auch den Bereich Forschung und Entwicklung.

▪ Die Einführung von Resilienzkriterien oder expliziten „Local Content Requirements“ im öffentlichen Auftragswesen ist kritisch zu betrachten (siehe Kapitel „Öffentliches Auftragswesen“ im Wettbewerbsteil). Ein solcher Ansatz könnte in der Ausgestaltung von Differenzverträgen und Förderprogrammen eine Rolle spielen, jedoch sollte auch hier jede Anwendung sorgfältig geprüft und abgewogen werden, um negative Folgeeffekte auf europäische Exporte zu minimieren.

▪ Eine Erhöhung des Anteils des (Erneuerbaren-)Auktionsvolumens, das im Rahmen des NZIA nicht-preislichen Kriterien unterliegt, ist ebenfalls denkbar. Dabei wird die genaue Ausgestaltung dieser Kriterien, die bis zum 30. März 2025 im Rahmen eines Durchführungsrechtsakts erfolgen soll, allerdings eine wesentliche Rolle spielen.

▪ Um die Clean-Tech-Förderung zu stärken, ist unter anderem die Einrichtung eines „European Competitiveness Fund“ vorgesehen. Dabei bleibt jedoch offen, ob dieser neue Fonds nur bestehende Programme vereinfacht und zusammenführt oder tatsächlich ein höheres Gesamtbudget erhält; diese Frage wird voraussichtlich erst in den anstehenden Verhandlungen zum nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen der EU geklärt. Parallel dazu soll Teresa Ribera, die designierte Wettbewerbskommissarin, den beihilferechtlichen Rahmen der EU entsprechend anpassen, aufbauend auf dem aktuellen „Temporary Crisis and Transition Framework“. Als Ergänzung soll außerdem ein neues „Competitiveness Coordination Tool“ die

Koordination zwischen europäischen und nationalen Förderprogrammen verbessern, um eine stärkere Zielharmonisierung und positive Synergieeffekte zu erzielen.

▪ Im Bereich „Lokalisierung neuer Produktion“ hat die EU bereits mit der Einführung von „Resilienzkriterien“ im Rahmen des Net Zero Industry Act einen Anfang gemacht. Dieser Weg wurde kürzlich in den „Terms and Conditions“ zur zweiten Auktionsrunde der Europäischen Wasserstoffbank fortgesetzt, wo pro Projekt bestimmte Obergrenzen für Elektrolyseure aus China eingeführt wurden. Dieser Ansatz wird vermutlich unter dem Motto „Schaffung von Leitmärkten“ von der neuen Europäischen Kommission weitergeführt.

Automobile

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Die Automobilindustrie ist von zentraler Bedeutung für die europäische Industrie mit vielfältigen vor- und nachgelagerten Verflechtungen.

▪ Die Branche befindet sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel, der sich in hohem Tempo vollzieht. Dieser Wandel geht mit einer Verlagerung der Nachfrage auf Drittmärkte und Verschiebungen in Richtung neuer Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodelle wie beispielsweise digitale Technologien, zum Beispiel „softwaredefinierte Fahrzeuge“, umweltfreundliche Mobilität oder Kreislaufwirtschaft einher. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass die traditionelle globale Führungsrolle der EU in der Automobilindustrie erodiert.

▪ Die Automobilzulieferkette in der EU leidet derzeit unter Wettbewerbslücken, sowohl hinsichtlich der Kosten als auch der Technologien. Die abnehmende Wettbewerbsfähigkeit der EU im Automobilsektor ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen:

- Während die EU-Klimapolitik ehrgeizige Treibhausgasminderungsziele für die Branche vorschreibt, hat die EU es versäumt, diesen Pfad durch einen Gesamtansatz abzusichern.

- Es fehlen eine durchgehend kohärente Gesetzgebung, der Grundsatz der Technologieoffenheit und ein synchron zum Markthochlauf der E-Mobilität wirkender Impuls zur Umstellung der automobilen Lieferkette.

- Im Gegensatz dazu haben China und die USA ihre Strategien für die Stärkung der jeweils heimischen Automobilbranchen erfolgreich neu ausgerichtet.

▪ Wenn die EU nicht in der Lage ist, sich rasch an dieses neue Wettbewerbsumfeld anzupassen, könnte der EU-Automobilsektor noch schneller an Boden verlieren.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Zwei Hauptziele mit unterschiedlichen Zeithorizonten sollen erreicht werden, um die europäische Automobilindustrie zu stärken und Arbeitsplätze, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie die Produktion in der Region zu sichern:

- Kurzfristig muss es darum gehen, eine radikale Verlagerung der Produktion aus dem EU-Automobilsektor oder die Übernahme von europäischen Werken und Unternehmen durch staatlich subventionierte Wettbewerber zu vermeiden.

- Mittelfristig sollte die EU ihre Politik darauf ausrichten, eine wettbewerbsfähige Führungsposition der europäischen Automobilindustrie für die „nächste Generation“ von Fahrzeugen wiederherzustellen und die europäische Produktionsbasis mit den derzeitigen technologischen Vorteilen aufrechtzuerhalten, solange die internationalen Märkte Nachfrage zeigen.

▪ Zehn Empfehlungen sollen dazu beitragen, die beiden Hauptziele zu erreichen, darunter insbesondere:

- Wettbewerbsfähige Transformationskosten sollen gestellt werden. Insbesondere die Energiekosten und die Arbeitskosten werden hier adressiert. Zusätzliche Empfehlungen zielen darauf ab, eine Angleichung der globalen Wettbewerbsbedingungen und Verbesserung des Marktzugangs zu erreichen sowie die erforderliche Qualifizierung und Umschulung der Arbeitskräfte beim Übergang zu Elektromobilität, bei der Digitalisierung und weiterer Automatisierung der Automobilproduktion zu unterstützen.

- Es soll ein industrieller EU-Aktionsplan für Automobilsektor entwickelt werden. Der Aktionsplan soll die vertikale und horizontale Koordinierung in der Wertschöpfungskette verbessern. Ziel ist eine gezielte und vorausschauende Industriestrategie für den europäischen Automobilsektor, der die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA adressiert, da beide Staaten ihre Automobilindustrie in erheblichem Maße unterstützen. Gefordert wird ein umfassender Ansatz, der die Verknüpfung der beteiligten Wertschöpfungsketten (Elektromobilität, Digitalisierung, Mobilität und Kreislaufwirtschaft) sowie alle Phasen innerhalb der Wertschöpfungsketten (Forschung und Entwicklung, Abbau und Lieferung von Rohstoffen, Veredelung, Komponenten, Datenaustausch, Herstellung, Recycling) umfasst.

- Zusätzliche Empfehlungen zielen darauf ab, so genannte verstärkte „Net-Zero Acceleration Valleys“ für das Ökosystem der Automobilindustrie einzurichten, gemeinsame europäischer Projekte in den innovativsten Bereichen (zum Beispiel erschwingliche europäische E-Fahrzeuge, Software-definierte Fahrzeuge und autonomes Fahren, Kreislaufwirtschaft) zu unterstützen, Standardisierung weiterhin politisch zu flankieren sowie den Auf- und Ausbau von Lade- und Tankinfrastrukturen zu fördern.

- Ein kohärenter Regulierungsansatz soll sicherstellt werden. Der Bericht fordert die EU auf, für die anstehenden Regulierungsvorhaben zu gewährleisten, dass die Gesetzgebung kohärent (das heißt entlang der gesamten Wertschöpfungskette), vorhersehbar, mit einem angemessenen Zeitplan (zur Anpassung von Produkten und Prozessen) und Konsultationen mit der Branche und anderen relevanten Stakeholdern erfolgt. Insbesondere soll dabei ein technologieneutraler Ansatz bei der Überprüfung des Fit-for-55-Pakets verfolgt werden. Die Bedeutung einer kohärenten Digitalpolitik für die europäische Automobilindustrie hebt der Bericht als gesonderte Empfehlung hervor.

Bewertung:

▪ Die Analyse und Beschreibung der Hauptursachen entsprechen weitgehend den Ergebnissen, die BDI, BCG und IW in dem gemeinsamen Studienprojekt „Transformationspfadestudie für die deutsche Industrie“ (September 2024) aufzeigen.

▪ Die Empfehlungen adressieren die richtigen Handlungsfelder und zeigen geeignete Maßnahmen auf, um die europäische Automobilindustrie zu stärken und gleichzeitig Arbeitsplätze, Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen sowie die Produktion in der Region zu sichern.

▪ Der Mission Letter an den designierten EU-Kommissar für Nachhaltigen Verkehr und Tourismus, Apostolos Tzitzikostas, enthält den zentralen Auftrag aus dem Draghi-Bericht, einen Industrieplan für den Automobilsektor vorzulegen. So richtig eine Federführung in der Umsetzung ist, bleibt offen, wie die Einbindung und Abstimmung mit den Kommissar/innen erfolgen wird, in deren politischen Verantwortungsbereichen die zentralen Dossiers für einen kohärenten Gesamtansatz fallen, vor allem die CO2-Flottenregulierungen, der EU-Emissionshandel, die Batterieverordnung oder generelle Industriethemen wie Energie, Handel, Digitalisierung, Rohstoffe und Wettbewerb. Bei EU-Kommissar Tzitzikostas liegt insbesondere die Verordnung für den Aufbau von Lade- und Tankinfrastrukturen für alternative Kraftstoffe.

▪ Der Mission Letter an den designierten EU-Kommissar für Klima, Net Zero und Sauberes Wachstum, Wopke Hoekstra, enthält den Auftrag aus dem Draghi-Bericht, im Rahmen der geplanten Überprüfung der CO2-Flottenregulierung für einen technologieneutralen Ansatz zur Einbindung von E-Fuels zu sorgen. Die übergreifende Forderung aus dem Draghi-Bericht, einen kohärenten Regulierungsansatz sicherzustellen, ist damit noch nicht abgedeckt.

Verteidigung

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Um strategische Autonomie zu erreichen, muss die EU ihre Verteidigungsfähigkeiten stärken, um auf externe Bedrohungen, wie den russischen Angriffs-Krieg gegen die Ukraine und hybride Bedrohungen, reagieren zu können. Dies gelte umso mehr in der Erwartung, dass die USA ihren Fokus zunehmend auf den Pazifikraum legen.

▪ In Bezug auf die Innovationskraft der Verteidigungsindustrie stellt der Report fest, dass die Verteidigungsindustrie historisch wichtige technologische Innovationen hervorgebracht habe (zum Beispiel GPS, Internet, Infrarotüberwachung). Heute kämen indes zahlreiche Innovationen auch aus dem zivilen Bereich. Daher müssten künftig zivile und militärische Innovations- und Entwicklungsprozesse enger miteinander verzahnt werden. Der Bericht hebt die Rolle von KMU und Start-ups als Treiber von Innovation hervor, insbesondere in Bezug auf Dual-Use-Technologien.

▪ Der Report beleichtet zudem Schwächen der EU-Verteidigungsindustrie. Trotz globaler Wettbewerbsfähigkeit in bestimmten Bereichen (zum Beispiel Kampfpanzer, U-Boote) leide die europäische Industrie unter strukturellen Problemen, wie unzureichender öffentlicher Verteidigungsausgaben und mangelnder Standardisierung.

▪ Der Abschnitt im Report zum Thema „Begrenzter Zugang zu Finanzierung“ beschreibt die Herausforderungen der europäischen Verteidigungsindustrie, insbesondere für KMUs sowie Mid-Caps. Diese Unternehmen haben Schwierigkeiten, private Finanzierungen zu sichern, zum einen da nach wie vor viele Finanzinstitute die europäischen ESG-Vorgaben sehr restriktiv interpretieren. Zum anderen wird die Komplexität der regulatorischen Rahmenbedingungen, insbesondere in Bereichen wie Produktion, Export und Beschaffung angeführt. Nicht zuletzt wird der Exklusionspolitik der Europäischen Investitionsbank (EIB) ein Anteil an den Finanzierungsproblemen zugeschrieben: Die EIB schließt den Kernbereich der Verteidigungsindustrie von ihren Finanzierungsinstrumenten aus, was auch von anderen öffentlichen und privaten Banken übernommen wird und die Möglichkeiten der Branche stark begrenzt.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Der Report betont die Notwendigkeit, die europäische Verteidigungsindustrie für zukünftige Herausforderungen zu rüsten, insbesondere durch verstärkte Investitionen, Kooperationen und Innovationen.

▪ Der Report fordert die rasche Umsetzung der Europäischen Verteidigungsstrategie (EDIS) und des Europäischen Verteidigungsprogramms (EDIP).

▪ Der Bericht spricht sich zudem für verstärkte Maßnahmen aus, um Start-ups besser zu integrieren, und schlägt Programme zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen der zivilen und militärischen Industrie vor, um Innovationen voranzutreiben und die Beteiligung von Start-ups zu erleichtern.

▪ Zur Finanzierung sollen EU-weite Mittel genutzt werden, um neue Verteidigungsfähigkeiten und die Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung zu fördern. Der Bericht empfiehlt, den ESG-Rahmen so anzupassen, dass Investitionen in die Verteidigungsindustrie nicht mehr automatisch als problematisch gelten. EU-weite Finanzierungsprogramme sollten besser auf die Bedürfnisse von Start-ups, KMUs und Mid-Caps der Verteidigungsindustrie zugeschnitten werden, einschließlich spezieller Finanzierungsprogramme und Garantien. Zudem fordert der Bericht, dass die EIB ihre restriktive Haltung überdenkt und die Ausschlusspolitik lockert. Es gelte, Wege zu finden, um die Verteidigungsindustrie zu unterstützen, ohne gegen bestehende ESG-Vorgaben zu verstoßen. Auch die intensivere Nutzung von öffentlich-privaten Partnerschaften wird empfohlen, um Investitionen zu mobilisieren und Risiken zu teilen.

▪ Darüber hinaus sollte die EU die Standardisierung und Harmonisierung von Verteidigungsgütern sowie die Integration von KMUs in die Lieferketten vorantreiben.

Bewertung:

▪ Die Positionen des Kapitels „Defence“ decken sich in vielen Aspekten mit den Positionen des BDI und seiner Mitgliedsverbände. Es gibt eine weitgehende Übereinstimmung in zentralen Themen wie strategische Autonomie, Innovationsförderung, die Rolle von KMUs und Finanzierungsfragen. Unterschiede könnten sich in der Gewichtung von EU- und nationalen Ansätzen sowie in der Strenge der ESG-Vorgaben ergeben.

▪ Die Bedeutung einer stärkeren europäischen strategischen Autonomie ist unbestritten. Dabei darf jedoch nicht in die nationale Entscheidungshoheit eingegriffen werden. Der Aufbau

europäischer Verteidigungsfähigkeiten ist essenziell. Gleichzeitig muss klar sein, dass die Kooperation mit Partnern außerhalb der EU auch technologisch und strategisch notwendig ist.

▪ Zudem gilt es die Bedeutung der Innovationskraft der Verteidigungsindustrie zu betonen, insbesondere bei der Verbindung von zivilen und militärischen Technologien (Dual-Use-Technologien). Die engere Verzahnung von militärischer und ziviler Forschung und Entwicklung sollte gefördert werden.

▪ Es ist ebenfalls richtig, dass KMUs sowie Start-ups stärker in europäische Verteidigungsprogramme integriert werden müssen, um Innovationen zu fördern und eine robustere europäische Verteidigungsindustrie aufzubauen.

▪ Die Finanzierungslücken in der Branche sind aktuell das zentrale Thema in der Sicherheitsund Verteidigungsindustrie. Daher sollten Finanzierungsmodelle angepasst werden, um der Branche bessere Zugangsmöglichkeiten zu Kapital zu verschaffen. Aktuell erfolgt im Kapitalmarkt eine Anpassung im Umgang mit Produkten der Verteidigungsindustrie. Die europäische Wertpapieraufsicht ESMA erlaubt mittlerweile, Rüstungshersteller als nachhaltig zu klassifizieren – Ausnahme sind Produzenten geächteter Waffen wie etwa Anti-Personen-Minen und Streumunition. Die EIB sollte ihren Ausschluss der Finanzierung der Verteidigung beenden.

▪ Während der EU-Bericht eine verstärkte Steuerung durch die EU fordert, sollten stattdessen innerhalb der EU abgestimmte nationale Programme beziehungsweise Programme mit klaren Federführungen das Ziel sein. Industrieseitig dominiert der Eindruck, dass sich insbesondere nationale und europäische Forschungs- und Entwicklungsvorhaben mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel wechselseitig kannibalisieren. Um diesen Konflikt zu entspannen und gleichsam das politische Ziel der Kooperation zu konkretisieren, sollte mit Blick auf die EU und konkret den European Defence Fund (EDF) das Handlungsfeld der nationalen Ko-Finanzierung gestärkt werden. So würde ein eigener Haushaltstitel für die Ko-Finanzierung ermöglichen, nationale Schwerpunkte mit eigenem Führungsanspruch zu setzen und technologische Exzellenz der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (SVI) auch im europäischen Kontext noch weiter zu verankern. Zudem sollte geprüft werden, welche Innovationen rein national vorangetrieben werden müssen, welche im Bündnis sinnvoll sind und wo Zusammenarbeit keine Rolle spielt – ähnlich wie bei Schlüsseltechnologien ist aus Industriesicht eine „Schlüsselinnovationsstrategie“ notwendig. Die EU sollte sich auf das Setzen von wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen und die Koordination von gemeinsamen Beschaffungen konzentrieren. Marktinterventionen zur Konsolidierung sind kritisch zu sehen; die Herausbildung von Champions sollte der Industrie überlassen bleiben.

▪ Aufgrund der besonderen Haushaltssituation Deutschlands – insbesondere des Fehlens eines überjährigen Verteidigungsetats im Vergleich zu vielen anderen europäischen Staaten – sind langfristige Planungen und eine enge Kooperation zwischen der Bundesregierung und der Industrie von zentraler Bedeutung. Der Draghi-Bericht fordert eine schnelle Umsetzung von Programmen und Maßnahmen. Obwohl diese Zielsetzung richtig ist, liegt jedoch das grundlegende Problem in der fehlenden Planungssicherheit in Deutschland. Dies erschwert nach wie vor ein zügiges Hochfahren von Produktionskapazitäten.

▪ Viele Empfehlungen wurden bereits in den Mission Letter übernommen. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie Planungssicherheit benötigt, die führenden Mitgliedstaaten ihre Kooperationsvorhaben intensivieren und vorantreiben

müssen und die Europäische Kommission dafür die Rahmenbedingungen schaffen muss. Darüber hinaus muss das Thema „Resilienz”, beispielsweise von Lieferketten, in den Fokus gerückt werden.

Weltraum

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Report stellt fest, dass die EU ihre führende Marktposition bei kommerziellen Trägern und geostationären Satelliten verloren habe. Durch den temporären Verlust des souveränen Zugangs zum All musste man für institutionelle Starts auf private US-amerikanische Trägerraketen (SpaceX) zurückgreifen.

▪ Weiterhin liege die EU hinter den USA in den Bereichen Raketentriebwerke, Megakonstellationen für Telekommunikation sowie Satellitentechnologie zurück. Dies sei besonders gravierend, da es sich bei Letzterem um einen Markt handelt, der weitaus größer ist als andere Raumfahrtsegmente.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Zur Stärkung des Space-Ökosystems empfiehlt der Report die schrittweise Abschaffung des Geo-Returns der Europäischen Weltraumorganisation (Engl: „European Space Agency“, ESA).

▪ Ressourcen sollten zudem auf Projekte konzentriert werden, die das Potenzial für entscheidende wissenschaftliche oder technologische Fortschritte aufweisen, unabhängig vom Standort der beteiligten Akteure.

▪ Die Schaffung eines funktionierenden Binnenmarkts für den Weltraum mit gemeinsamen Standards und der Harmonisierung der Lizenzanforderungen ist ebenfalls eine zentrale Forderung des Reports.

▪ Zudem spricht sich der Report für die Einrichtung eines Raumfahrt-Industriefonds aus, mit dem die Europäische Kommission als „Ankerkunde“ auftreten kann, um gemeinsam Weltraumservices und -produkte zu erwerben und kritische Technologien zu finanzieren.

▪ Die Unterstützung gemeinsamer strategischer Prioritäten für Weltraumforschung undinnovation soll durch verstärkte Koordination, Finanzierung und die Bündelung von Ressourcen zur Entwicklung neuer großer gemeinsamer EU-Programme erfolgen.

▪ Das Wachstum von EU-Space-KMUs, Start-ups und Scale-ups soll durch einen verbesserten Zugang zu Finanzmitteln und der Einführung gezielter europäischer Präferenzregelungen gefördert werden.

Bewertung:

▪ Die Analyse der europäischen Raumfahrt ist zutreffend und die Empfehlungen weitgehend wettbewerblich ausgerichtet. Jedoch greift die Forderung nach der Abschaffung des GeoReturns zu kurz. Der Geo-Return stellt sicher, dass die Beiträge der Mitgliedstaaten

weitgehend in Form von Aufträgen in die nationalen Industrien zurückfließen. Die ESA-Mitgliedstaaten sind bei Anwendung des Geo-Returns zudem eher bereit, sich an optionalen ESA-Programmen zu beteiligen. Er stärkt damit die Bereitschaft nationaler Regierungen in die ESA zu investieren. Dies trifft insbesondere auf kleinere Mitgliedstaaten zu. Er trägt damit zu einem diversifizierten europäischen Raumfahrt-Ökosystem bei. Er stärkt darüber hinaus auch die Position der ESA gegenüber der EU beziehungsweise der Agentur der Europäischen Union für das Weltraumprogramm (EUSPA).

Gleichzeitig führt der Geo-Return aber zu einer weniger effizienten Mittelverwendung, da Aufträge nicht immer im echten Wettbewerb an die besten und kostengünstigsten Anbieter vergeben werden. Dies kann Programme komplexer und damit langsamer und teurer machen. Oftmals sind zudem kleine- und mittelständische Unternehmen aus denjenigen Mitgliedstaaten benachteiligt, aus denen der Prime Contractor kommt. Die immer wieder geforderte Abschaffung des Geo-Returns bei der ESA blendet allerdings aus, dass damit die Bereitschaft von kleineren Staaten in Raumfahrt zu investieren eher sinken dürfte.

▪ Die Schaffung eines funktionierenden Binnenmarkts für den Weltraum mit gemeinsamen Standards und der Harmonisierung der Lizenzanforderungen ist ebenfalls kritisch zu bewerten. Dies geht einher mit dem geplanten EU-Weltraumgesetz (Engl: „EU Space Law“). Weltraumgesetze sind in jedem Fall durch Genehmigungs-, Haftungs-, Versicherungs- und auch Sicherheitspflichten mit zusätzlichem Aufwand und Kosten für Unternehmen verbunden. Je nach Ausgestaltung können sie dem NewSpace-Ökosystem nachhaltig schaden. Ein einheitliches EU-Weltraumgesetz kann die spezifischen Bedürfnisse und Stärken einzelner Mitgliedstaaten zudem nicht adäquat berücksichtigen und wird somit zwangsläufig die Wettbewerbsfähigkeit nationaler Raumfahrtindustrien einschränken. Ein One-Size-Fits-All-Approach erscheint wenig zielführend.

▪ Eine Schwächung der ESA als Raumfahrtagentur Europas ist ebenfalls abzulehnen. Daher sollten große europäische Raumfahrtprojekte weiterhin dort angesiedelt werden und nicht bei der Europäische Kommission.

▪ Letztlich hat Europa nicht nur ein Governance-Defizit in der Raumfahrt, sondern auch zu geringe Investitionen, wie der Vergleich mit den USA und China zeigt. Europa braucht deshalb beides – mehr innereuropäischen Wettbewerb und größere staatliche Investitionen, am besten in Form von Aufträgen.

Verkehr

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Verkehrssektor ist eine entscheidende Säule der EU-Wirtschaft. Er trägt fünf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und stellt fünf Prozent aller direkten Arbeitsplätze. Er spielt eine Schlüsselrolle für die wirtschaftliche Entwicklung und den territorialen Zusammenhalt, indem er den Zugang zu Gütern und Dienstleistungen ermöglicht.

▪ Gleichzeitig ist der Sektor global aufgestellt und für den Übergang der EU zu einer klimaneutralen Wirtschaft von zentraler Bedeutung, da er etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen verursacht. Die EU verfolgt ehrgeizige Ziele zur Dekarbonisierung, mit dem Plan, die Verkehrsemissionen bis 2050 um 90 Prozent zu reduzieren.

▪ Zudem profitiert der europäische Verkehrsmarkt von einem intensiven Wettbewerb, der zu besseren und günstigeren Dienstleistungen im innereuropäischen Luft-, Schienen- und Fernbusverkehr geführt hat.

▪ Angesichts des globalen Wachstums des Passagier- und Güterverkehrs sowie der zunehmenden klimatischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen wird die Widerstandsfähigkeit des Verkehrssektors immer wichtiger.

▪ Der europäische Verkehrssektor steht vor folgenden Herausforderungen:

- Strategische Investitionen sind notwendig, um die Lücken im europäischen Verkehrsnetz zu schließen und die Modernisierung der Infrastruktur voranzutreiben. Jedoch bliebt die Finanzierung sowohl im öffentlichen als auch privaten Sektor eine Herausforderung. Hohe administrative Hürden sowie nationale Unterschiede in Gesetzgebung und Reformbereitschaft erschweren die Umsetzung und führen zu Verzögerungen bei Projekten. Die EU ist noch weit davon entfernt, ihre Ziele für einen nachhaltigen, integrierten Verkehrsmarkt zu erreichen, da Wettbewerb und Wachstum europäischer Akteure durch diese Hindernisse gehemmt werden.

- Der europäische Verkehrssektor weist erhebliche Optimierungspotenziale aufgrund von Fragmentierung und fehlender Intermodalität auf. Ein grenzüberschreitendes Luftverkehrsmanagement sowie eine ausreichende Flughafenkapazität fehlen, während auch die Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsmärkte weiterhin zersplittert sind. Der Ausbau des intermodalen Güterverkehrs ist möglich, wird jedoch durch begrenzte Interoperabilität und den mangelnden Einsatz harmonisierter digitaler Lösungen gehemmt.

- Die Digitalisierungspotenziale im europäischen Verkehrssystem werden bislang nicht optimal genutzt. Im Schienenverkehr fehlen einheitliche digitale Standards, da die Systeme in den Mitgliedstaaten stark variieren. Grenzüberschreitende Abläufe sind nur zu einem Prozent vollständig digitalisiert, was weiterhin physische Dokumente im Transportprozess erfordert und die multimodale Logistik erschwert. In anderen Regionen der Welt schreitet die Digitalisierung schneller voran, da dort die öffentliche Unterstützung für technologische Innovationen stärker ist.

- Die EU strebt eine Dekarbonisierung des Verkehrssektors an und setzt die Branche dabei stark unter Druck. Um die Emissionsziele zu erreichen, werden von 2031 bis 2050 jährlich 61 Milliarden Euro für den Luftverkehr und 39 Milliarden Euro für die internationale Schifffahrt an Investitionen benötigt. Die Automobilindustrie kämpft jedoch mit Herausforderungen wie einem rückläufigen Markt für Elektrofahrzeuge, mangelnder Netzanschlüsse und einer schleppenden Ladeinfrastruktur. Zudem mangelt es noch am Aufbau einer Versorgungskette für alternative Kraftstoffe wie Wasserstoff, da erneuerbare und kohlenstoffarme Kraftstoffe für den Luft- und Seeverkehr und möglicherweise auch für schwere Nutzfahrzeuge unverzichtbar sind.

- Der EU-Transportsektor steht durch hohe Standortkosten und verstärkten globalen Wettbewerb unter Druck. Zudem gefährdet der zunehmende ausländische Einfluss auf die Infrastruktur die Autonomie des Sektors EU, insbesondere im Bereich der Seeschifffahrt, in dem der europäische Anteil sinkt. Der Fachkräftemangel kommt hinzu und macht die Umschulung von Arbeitskräften immer dringlicher.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Die EU sollte ihre Infrastrukturplanung verbessern, um Wettbewerbsfähigkeit und Kohäsion zu vereinen und einen multimodalen Verkehr zu fördern. Im Fokus stehen Wettbewerbsfähigkeit, Effizienz und Klimarisiken, gestützt auf den Trans-European Transport Network (TEN-T)Prozess und die Kohäsionspolitik für Mindestkonnektivität. Bessere Koordination und schnellere Genehmigungsverfahren sind nötig, um den Anforderungen eines grüneren und intelligenteren Verkehrs zu entsprechen.

▪ Öffentliche und private Mittel müssen mobilisiert werden, um grenzüberschreitende Verbindungen, militärische Mobilität und die Klimarobustheit der EU-Infrastruktur zu stärken. Priorität sollten dabei EU-Fördermittel für Projekte mit grenzüberschreitender Wirkung haben, die insbesondere militärische Mobilität und Klimarisiken adressieren. Zudem sollen Mitgliedstaaten ihre Investitionen in den Verkehrssektor steigern und private Investitionen durch Risikoteilung, öffentlich-private Partnerschaften und spezielle Modelle für mobile Vermögenswerte wie Schiffe fördern, während die EIB ihre Unterstützung für strategiekonforme Verkehrsprojekte ausweiten soll.

▪ Zur Förderung der Integration und Interoperabilität sollen nationale Barrieren im EU-Verkehrssektor abgebaut werden. Maßnahmen wie regulatorische Reformen, Anreize und harmonisierte Vorschriften sollen wettbewerbsfähige Märkte schaffen. Schwerpunkte sind die Kapazitätsverwaltung im Schienenverkehr, das Single European Sky 2 Plus-Paket im Luftverkehr sowie EU-weite Standards für Schifffahrt und Straßenverkehr.

▪ Die EU sollte die Digitalisierung zur Effizienzsteigerung im Verkehrssektor durch Anreize und Standards vorantreiben und Mitgliedstaaten sowie die Industrie zur Umsetzung motivieren. Dabei sind KI, Cybersicherheit und Verkehrsdatenintegration im EU-Datenraum, auch papierlos, zentral. Digitale Lösungen für Schienen-, Luft-, Schiffs- und Straßenverkehr sollten weiterentwickelt und umgesetzt werden, zum Beispiel durch das European Rail Traffic Management System (ERTMS) im Schienenverkehr, das Single European Sky ATM Research Programme (SESAR) im Luftverkehr, das Maritime Single Window (MSW) für die Schifffahrt und intelligente Systeme im Straßenverkehr.

▪ Spezielle EU-Innovationsprojekte sollen durch öffentlich-private Partnerschaften und grenzüberschreitende Zusammenarbeit gefördert werden, um Innovationen bis zur Marktreife zu bringen. Zielsegmente sind: Schiene (automatisierte Operationen, ERTMS), Luft (emissionsfreie Flugzeuge), Wasser (autonome Schiffe), Straße (vernetzte Mobilität). Zudem wird die Förderung nachhaltiger Kraftstoffe und EU-weiter Demonstrationsprojekte angestrebt.

▪ Die EU sollte gezielte Maßnahmen ergreifen, um Investitionen in die Dekarbonisierung schwer zu dekarbonisierender Sektoren wie Luftfahrt, Schifffahrt und Schwerlastverkehr zu fördern. Dazu zählen Programme wie Contracts for Difference und Auktionsmodelle zur Unterstützung erneuerbarer und kohlenstoffarmer Kraftstoffe sowie die Erweiterung bestehender Fördermechanismen wie die Fazilität für Infrastrukturen für alternative Kraftstoffe (Engl: „Alternative Fuels Infrastructure Facility“, AFIF). Zudem sind spezielle Ausschreibungen im Innovationsfonds empfehlenswert, um neue Dekarbonisierungstechnologien schneller einzuführen.

▪ Die EU sollte Maßnahmen ergreifen, um ihre Industrie zu stärken und globale Ungleichgewichte bei Vorschriften und Subventionen auszugleichen. Dazu gehören die Förderung innovativer Lösungen durch öffentliche Beschaffungsverfahren, die Untersuchung

ausländischer Geschäftspraktiken und die Einrichtung einer EU-Exportkreditfazilität. Im Schiffbau sollen Synergien mit der Verteidigungsindustrie genutzt, finanzielle Anreize für EU-gefertigte Schiffe geschaffen und die Produktion nachhaltiger Kraftstoffe gesichert werden. Im Schienenverkehr ist die Erhaltung der industriellen Basis sowie der Export von automatisierten Zügen wichtig. Die Luftfahrt will ihre Führungsposition festigen und Autonomie in der Lieferkette erreichen, während auch Autonomie bei nachhaltigen und kohlenstoffarmen Kraftstoffen angestrebt wird.

▪ Die EU sollte internationale Partnerschaften stärken und strategische Infrastrukturen ausbauen, um die globale Integration in Klimapolitik und Resilienz zu fördern. Dabei ist es wichtig, die Solidaritätskorridore mit der Ukraine und Moldawien durch Investitionen in Infrastruktur und optimierte Grenzverfahren zu unterstützen. Zudem soll die Einbindung dieser Länder sowie der westlichen Balkanländer in das transeuropäische Verkehrsnetz und eine internationale Konnektivitätsstrategie, die alternative Transportverbindungen verbessert, vorangetrieben werden. Eine EU-weite Krisenbewältigungsstrategie zur Sicherung von Handelsrouten und die Förderung globaler Emissionsstandards in der Luft- und Seeschifffahrt sind ebenfalls zentrale Maßnahmen, um die EU als führenden Akteur in der internationalen Zusammenarbeit und Klimadiplomatie zu positionieren.

▪ Die EU sollte den zukünftigen Qualifikationsbedarf im Verkehrssektor ermitteln, um Bildungsprogramme gezielt zu gestalten und vielfältige Berufsprofile für den grünen und digitalen Wandel zu fördern. Dies würde die Anpassung der Branche unterstützen und eine größere Vielfalt an Arbeitskräften anziehen. Außerdem ist ein aktueller Rahmen für die gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen nötig, um die berufliche Mobilität innerhalb der EU zu erleichtern.

Bewertung:

▪ Die Vorschläge des Draghi-Berichts können grundsätzlich einen wichtigen Beitrag zur Stärkung des europäischen Verkehrssektors leisten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen bieten vielversprechende Ansätze, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu intensivieren, die Infrastruktur widerstandsfähiger gegenüber Klimarisiken zu machen und den Verkehr insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Diese richtigen Ansätze gilt es, durch eine vertiefte und präzisere Ausgestaltung weiterzuentwickeln, um die angestrebten Ziele effizient und nachhaltig zu erreichen.

▪ Der Vorschlag zur Beseitigung nationaler Barrieren und zur Förderung der Interoperabilität im Verkehrssektor ist zu begrüßen, auch wenn er in einigen Aspekten noch zu vage bleibt.

▪ Richtigerweise wird die Bedeutung des Auf- und Ausbaus von Lade- und Tankinfrastrukturen hervorgehoben und eine weitere Förderung gefordert. Der diesbezügliche Auftrag im Mission Letter an den designierten EU-Kommissar für Nachhaltigen Verkehr und Tourismus, Apostolos Tzitzikostas, sieht vor, dass die Elektrifizierung des Straßenverkehrs beschleunigt und dafür der schnelle Aufbau der Ladeinfrastruktur überwacht werden soll. Damit bleibt aus Industriesicht offen, wie weitreichend die Ambitionen der neuen Europäische Kommission sein werden. Für den weiteren Hochlauf von alternativen Antrieben, vor allem Elektromobilität, muss aber das Ambitionsniveau der Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (Engl: „Alternative Fuels Infrastructure Regulation“, AFIR) hinsichtlich des Aufbaus von Lade- und H2-Wasserstofftankinfrastrukturen für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sowie für schwere Nutzfahrzeuge angepasst werden. Die Europäische Kommission und die

Mitgliedstaaten sollten konkrete Fördermaßnahmen entwickeln und diese auch in den vorgezogenen Überprüfungen der CO2-Flottenregulierungen berücksichtigen. Zudem braucht es Maßnahmen zum Aufbau von Lade- und Betankungsinfrastrukturen für alternative Antriebe an Flug-, See- und Binnenhäfen.

▪ Die gezielte Nutzung von Einnahmen aus dem Emissionshandel (ETS) zur Finanzierung von Projekten, die zur Emissionsreduzierung beitragen, spiegeln eine langjährige Forderung des BDI wider. Es bleibt jedoch fraglich, inwieweit die Mitgliedstaaten diese Zweckbindung umsetzen werden, da sie bisher die Verwendung der ETS-Einnahmen weitgehend selbst bestimmen.

▪ Das Trans-European Transport Network sowie der Ausbau und die Digitalisierung der Schieneninfrastruktur (unter anderem ERTMS) werden sowohl im Draghi-Bericht als auch im Mission Letter als wichtige Faktoren für einen wettbewerbsfähigen, effizienten und nachhaltigen Standort hervorgehoben. Während im Draghi-Bericht jedoch erste Impulse bis hin zu konkreten Vorschlägen hinsichtlich der notwendigen europäisch koordinierten Finanzierung unterbreitet werden, bleibt der Mission Letter mit Blick auf die Umsetzung beziehungsweise Finanzierung dieser gesteckten Ziele und Maßnahmen vage. Zudem finden sich beispielsweise im Schienensektor nicht alle im Draghi-Bericht inkludierten wichtigen europäischen Innovationsprojekte wie den Einsatz der Digitalen Automatischen Kupplung (Engl: „Digital Automatic Coupling“, DAC) im Mission Letter wieder.

▪ Die Einigung zum Single European Sky (SES2+) im März 2024 bleibt hinter den Erwartungen der Luftverkehrswirtschaft zurück. Um die möglichen Effizienzgewinne eines einheitlichen europäischen Luftraums zu realisieren, genügt nicht allein die im Draghi-Bericht geforderte zügige Umsetzung der neuen Vorgaben, sondern es bedarf eines Neuanlaufs für die Regulierung mit ambitionierter Zielsetzung. Dies hebt auch der Mission Letter an Tzitzikostas hervor, welcher weitere Maßnahmen zur Vereinheitlichung des europäischen Luftraums fordert.

▪ Hinsichtlich der industriepolitischen Zielsetzungen im Verkehrssektor, insbesondere für Schienenverkehr, Luftfahrt und Schiffbau, spricht der Bericht wichtige Maßnahmen an, greift an einigen Stellen aber zu kurz. Richtig ist beispielsweise, dass die europäischen Strategien für die maritime Wirtschaft (Engl: „Industrial Maritime Strategy“) und Häfen (Engl: „EU Port Strategy“) rasch realisiert werden müssen; ein Punkt, den auch der Mission Letter adressiert. Die besonderen Herausforderungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie greift der Bericht in dem Extrakapitel sechs auf.

▪ Während die Stärkung der europäischen Industrie und die Förderung von Innovationen als durchweg positiv einzustufen sind, bedarf es insbesondere bei den erneuerbaren und kohlenstoffarmen Kraftstoffen für schwer zu dekarbonisierende Verkehrsträger weiterer Überlegungen. Trotz der klaren Fokussierung auf eine stärkere EU-Autonomie in der Lieferkette wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass ein signifikanter Anteil dieser Kraftstoffe, insbesondere Power-to-Liquid (PtL), weiterhin importiert werden muss.

▪ Im Mission Letter fehlen zudem zentrale Punkte zur Umsetzung der Empfehlungen des DraghiBerichts oder sind nicht ambitioniert genug angesetzt:

- Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, um Carbon Leakage in internationalen Verkehren zu verhindern und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Fluggesellschaften und Reedereien sowie Flug- und Seehäfen zu stärken.

- Es braucht Initiativen zur beschleunigten Einführung nachhaltiger Kraftstoffe für alle Verkehrsträger.

- Es sind Strategien zur Stärkung der europäischen Luftfahrtindustrie zu entwickeln.

- Es besteht Unklarheit darüber, wie die Abstimmung verkehrsrelevanter Vorhaben mit anderen Generaldirektionen erfolgen soll, insbesondere im Hinblick auf Klimaschutzregulierungen im Verkehr vor allem durch ETS, Energy Taxation Directive, CO2-Flottenregulierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge sowie schwere Nutzfahrzeuge, ReFuelEU Aviation, FuelEU Maritime, Renewable Energy Directive und die EU-Taxonomie.

Industrielle Gesundheitswirtschaft

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Gesundheit spielte nicht nur wegen der Coronapandemie in der zurückliegenden Legislaturperiode in Brüssel eine wichtige Rolle. Der Draghi-Bericht betont die strategische Bedeutung insbesondere des Pharma-Sektors für Europa.

▪ Zur industriellen Gesundheitswirtschaft (iGW) gehören daneben auch Medizintechnik, Biotechnologie sowie digitale Gesundheitslösungen.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Um die globale Führungsrolle Europas bei Lifesciences zu behaupten, sind Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie stabile regulatorische Rahmenbedingungen entscheidend. Dazu gehören koordinierte Maßnahmen von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten zur Förderung von Schlüsseltechnologien und Finanzierung von Zukunftsprojekten im Gesundheitssektor.

▪ Der Bericht enthält acht zentrale Vorschläge für die Gesundheitswirtschaft, unter anderem:

- Der Europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) soll gestärkt werden, indem der EU-weite Zugang zu Patientendaten gewährleistet und Genomsequenzierungskapazitäten ausgebaut werden.

- Die länderübergreifende Pharma-Forschung soll erleichtern werden

- Der Marktzugang soll „durch koordinierte Maßnahmen der Arzneimittelbehörden, HTA-Behörden zur Gesundheitstechnologie-Bewertung (Engl: „Health Technology Assessment“, HTA) und öffentlichen Kostenträgern“ bei der Beratung der Industrie und Preisgestaltung beschleunigt werden.

- Zudem sollen mittelfristig Leitlinien zur Nutzung Künstlicher Intelligenz bei der Arzneimittelentwicklung erstellt werden.

Bewertung:

▪ Die Einschätzung des Draghi-Berichts ist insbesondere in Bezug auf die Pharmaindustrie grundsätzlich positiv. Dies ist allerdings mit der Forderung nach einer raschen Umsetzung der Empfehlungen verbunden. Aktuell fällt die EU bei pharmazeutischen Innovationen hinter den USA und China zurück (unter anderem durch einen Rückstand bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie eine fragmentierte Regulierung).

▪ Der Bericht liefert gute Ansätze zur Unterstützung der iGW, die jedoch widersprüchlich zu neuen Erschwernissen sind. Dazu gehört zum Beispiel durch die noch in der letzten Legislaturperiode des Europäischen Parlaments beschlossene europäischen Abwasserrichtlinie (europaweite Einführung einer vierten Klärstufe unter Zuweisung des Großteils der Kosten an die Pharma- und die Kosmetikbranche). Fraglich ist auch der Vorschlag von gemeinsamen Preis- und Erstattungsverhandlungen für neue Medikamente, die eigentlich in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten liegen und nicht im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission.

▪ Insgesamt liegt der Fokus stark auf der Pharmabranche, lässt aber die Medizintechnik und anderen Bereiche der iGW weitgehend außen vor. Besser wäre eine Wertschätzung und Förderung der gesamten industriellen Gesundheitswirtschaft. Allgemeinere Maßnahmen wie beispielsweise Bürokratieabbau, Fachkräftesicherung, Erhalt des europäischen Binnenmarktes ohne nationale Sonderregelungen lassen sich auf die MedTech übertragen. Jedoch wird auf die spezifischen Anforderungen der Branche, wie zum Beispiel eine gezielte Unterstützung von KMU sowie eine effizientere Regulatorik ohne Doppelstrukturen, nicht eingegangen. Auch ein zügiger Abschluss der Verhandlungen über Freihandelsabkommen sowie Handelspartnerschaften und -abkommen sind für die stark exportorientierte MedTech-Branche entscheidend. Die dringend notwendigen Nachbesserungen an der EU-Medizinprodukteverordnung (Engl: „Medical Device Regulation“ , MDR) werden im Mission Letter an das für Gesundheit zuständige EU-Kommissionsmitglied bereits konstruktiv adressiert.

Horizontale Empfehlungen / Part C

Innovationsbeschleunigung (zu Vorschlag 6c: Einführung eines EU-weiten Rechtsstatus für innovative Start-ups)

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Draghi-Bericht zeigt auf, dass Unternehmen im Moment nicht in der Lage sind die Vorteile des europäischen Binnenmarktes voll auszuschöpfen. Grund dafür sind erhebliche Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten, die das Funktionieren der Verbraucher-, Arbeits- und Kapitalmärkte beeinträchtigen und die Möglichkeiten der Unternehmen einschränken, in anderen EU-Mitgliedstaaten tätig zu werden. Diese Einschränkungen der Niederlassungs- und Mobilitätsfreiheit treffen insbesondere innovative Unternehmen.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Der Draghi-Bericht empfiehlt die Schaffung einer „Innovativen Europäischen Gesellschaft“ (Engl: „Innovative European Company“, IEC) als neuen EU-weiten Rechtsstatus für innovative Start-ups. Mit der neuen Rechtsform der IEC könnten Unternehmen Zugang zu

harmonisierten Rechtsvorschriften in allen Mitgliedstaaten in Bezug auf das Gesellschaftsrecht, Insolvenzverfahren sowie einige Schlüsselaspekte des Arbeitsrechts und der Besteuerung erhalten. IEC könnten zudem in allen Mitgliedstaaten über Tochtergesellschaften tätig sein, ohne in jedem Mitgliedstaat eine eigene Gesellschaft gründen zu müssen. Die Rechtsform der IEC steht – so der Draghi-Bericht – innovativen Start-ups offen, die sich anhand von Kriterien wie der Qualifikation ihrer Arbeitskräfte, ihren FuE-Ausgaben und dem Besitz von Rechten an geistigem Eigentum als innovativ qualifizieren.

▪ Hintergrund zum Vorschlag: Seit 2004 gibt es eine Rechtsform für Aktiengesellschaften auf europäischer Ebene (sogenannte Societas Europaea, SE). Eine vergleichbare Rechtsform für KMU fehlt. Dem europäischen Rechtsetzer ist es aufgrund der blockierenden Haltung der Mitgliedstaaten im Rat der Europäischen Union bis heute nicht gelungen, eine Europäische Privatgesellschaft, die sogenannte Societas Privata Europaea (SPE), auf den Weg zu bringen. Die Idee wurde als Etablierung der „28ten Regelung” in diesem Jahr kürzlich auch im sogenannten Letta-Bericht (April 2024) und in den politischen Leitlinien der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen (Juli 2024) wieder aufgegriffen. Hervorzuheben ist, dass sich der DraghiBericht auf innovative Start-ups beschränkt.

Bewertung:

▪ Der BDI sprach sich im Jahr 2020 für die Schaffung einer europäischen Rechtsform für KMU aus und unterstützte den (damaligen) Vorschlag einer SPE. Der Vorschlag des Draghi-Berichts greift die Idee der Schaffung einer neuen Rechtsform für kleinere und mittlere Unternehmen auf, was grundsätzlich zu begrüßen ist. Allerdings schränkt der Draghi-Bericht den Zugang zur neuen europäischen Rechtsform auf innovative Unternehmen ein.

▪ Im Mission Letter an Michael McGrath (designierter Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit) findet sich der Vorschlag zur Schaffung eines EU-weiten Rechtsstatus für innovative Unternehmen in der Form einer 28ten Regelung aus dem Draghi-Bericht wieder. Damit soll im Binnenmarkt tätigen Unternehmen Wachstum durch einfachere und harmonisierte Regeln ermöglicht werden.

Wettbewerbspolitik

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Das Grundprinzip des fairen und freien Wettbewerbs zur Gewährleistung eines Level Playing Fields für Unternehmen im Binnenmarkt bleibt nach wie vor gültig, muss aber an die sich radikal ändernden Rahmenbedingungen angepasst werden.

▪ Ein starker funktionierender Wettbewerb führt zu niedrigeren Preisen und stimuliert Produktivität, Investitionen und Innovation. Die Herausforderung besteht darin, ein Gleichgewicht zwischen der Einhaltung wettbewerbsrechtlicher Grundsätze und der Notwendigkeit von Skaleneffekten und weiteren Innovationsanreizen für europäische Unternehmen herzustellen.

▪ Die wachsende Bedeutung von digitalen Technologien, Daten und Netzwerkeffekten verändert die Art und Weise, wie Wettbewerb funktioniert. Die Wettbewerbsbehörden müssen das nötige technische Know-how entwickeln und schnellere und zukunftsgewandte Entscheidungen treffen. Hierzu werden auch verstärkte Ressourcen benötigt.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Innovation und künftiger Wettbewerb soll stärker in Kommissionsentscheidungen berücksichtigt werden. Die Europäische Kommission urteilt in manchen Wettbewerbsentscheidungen zu rückwärtsgewandt und schaut nur auf Preiseffekte für Verbraucher und bestehende Marktanteile, während in vielen Sektoren vielmehr der künftige zu erwartende Wettbewerb und Innovationsaspekte im Vordergrund stehen sollten. Erforderlich sind Anpassungen in der Fallpraxis und eine Änderung der Leitlinien in der Fusionskontrolle. Darin soll erläutert werden, wie die Europäische Kommission die Auswirkungen des Wettbewerbs auf den Innovationsanreiz bewertet und welche Anforderungen an eine „Innovationseinrede“ gestellt werden. Die Zusammenschlussparteien, die diese Einrede vorbringen, müssten sich zu einer bestimmten Investitionshöhe bereiterklären, die ex post überprüft wird.

▪ Klare Leitlinien und Vorgaben zur wettbewerbsrechtlichen Bewertung von Kooperationen und gemeinsamer Entwicklung zwischen Wettbewerbern sollen bereitgestellt werden. Diese können erforderlich sein, um zum Beispiel Forschungsinvestitionen oder Nachhaltigkeitsinitiativen überhaupt zu ermöglichen. Ein Beispiel für einen Bereich, in dem bislang kaum Kooperation stattfindet, ist der Verteidigungssektor. Für Unternehmen muss klar erkennbar sein, welche Kooperationen sie ohne rechtliche Risiken eingehen können.

▪ Sicherheits- und Resilienzkriterien sollen in wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen berücksichtigt werden. Eine externe Stelle, zum Beispiel ein „Resiliency Assessment Body“, soll eine Sicherheits- und Resilienzbewertung durchführen in Wettbewerbsfällen, in denen diese Dimensionen besonders relevant sind, und für Unternehmen und Sektoren, die von strategischer Bedeutung sind (genannt werden Sicherheit, Verteidigung, Energie und Raumfahrt). Die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission soll diese Bewertung in ihrer Entscheidung als ein Element des öffentlichen Interesses berücksichtigen.

▪ Zudem wird in dem Draghi-Bericht die Beihilfekontrolle als Wettbewerbsinstrument für eine effizienzsteigernde Industriepolitik betrachtet. Die Krisenbeihilfen der vergangenen Jahre haben größtenteils zu unkoordinierten nationalen Fördermaßnahmen und einer Fragmentierung des Binnenmarktes geführt. Es ist nun wichtig, zum einen wieder zurück zu einer strengen Anwendung der Beihilfekontrolle zu kommen und zum anderen auf EU-Ebene koordinierte Fördermaßnahmen zu verstärken, um Produktivität und Wachstum in strategischen Sektoren zu fördern. Neben einer Ausweitung des IPCEI-Instruments sollen in der beihilferechtlichen Bewertung die Kohärenz der Beihilfe mit Vorgaben der EU-Industriepolitik sowie die potenziellen Auswirkungen auf Innovation und Resilienz stärker berücksichtigt werden. In Bereichen, in denen nationale Fördermaßnahmen auf europäischer Ebene koordiniert werden, sollen höhere Beihilfebeträge zugelassen werden.

▪ IPCEI sollen reformiert und ausgeweitet werden. Sie sollen zu einem Schlüsselelement des neuen „Competitiveness Coordination Frameworks“ werden. Hierzu soll der Innovationsstandard gesenkt werden, so dass nicht nur „Breakthrough Innovationen“ durch IPCEI gefördert werden können, sondern auch Industrieprojekte von gemeinsamem Interesse (zum Beispiel Infrastruktur) sowie alle Arten von Innovationen, die das Potential haben, in strategischen Bereichen, in denen Europa aktuell im Rückstand ist, an die technologische Spitze zu gelangen. Es soll eine stärkere Verknüpfung mit EU-Fördermitteln stattfinden. Es ist außerdem essenziell, die Verfahren zu entbürokratisieren und zu beschleunigen.

▪ Es sollen Anreize für die Einführung des offenen Zugangs, der Interoperabilität und der Einhaltung von EU-Standards geschaffen werden. In passenden Fällen soll die Gewährung staatlicher Beihilfen an die Verbesserung des offenen Zugangs und interoperabler Lösungen sowie an die Entwicklung europaweiter Normen und Standards geknüpft werden. Dieser Ansatz soll nicht auf digitale Dienstleistungen beschränkt sein, sondern könnte auch Sektoren wie Energie, Konnektivität und Verkehr einbeziehen. Auf digitalen Märkten sollten neben dem Gesetz über digitale Märkte (DMA) und in enger Abstimmung mit datenrechtlicher Regulierung wie dem Data Act und dem Data Governance Act neue Anforderungen in Bezug auf die Gewährung offenen Zugangs und die Interoperabilität erlassen werden, wenn starke Netzeffekte und datenbezogene Marktzutrittsschranken den Wettbewerb behindern. KI-Produkte undDienstleistungen haben ein größeres Potenzial, der Gesellschaft zu nutzen, wenn sie so entwickelt werden, dass sie miteinander interagieren.

▪ Der Draghi-Bericht empfiehlt die wirksame Durchsetzung des Gesetzes über digitale Märkte (DMA) und der Verordnung über ausländische Subventionen (FSR). Beide Verordnungen müssen mit den dafür nötigen Ressourcen effektiv durchgesetzt werden und die beabsichtigten positiven Wirkungen für die EU-Wirtschaft und die europäischen Verbraucher entfalten.

▪ Zudem wir die Verstärkung der ex post- gegenüber der ex ante-Regulierung und Überwachung gefordert. Um der Europäischen Kommission die ex post-Bewertung eines Falles zu erleichtern, sollen neue Berichtspflichten für Unternehmen nach bestimmten Wettbewerbsentscheidungen eingeführt werden, insbesondere in Fällen, in denen größere Bedenken hinsichtlich des künftigen Wettbewerbs bestehen. Die Europäische Kommission kann die Daten speichern und gegebenenfalls auf Grundlage der eingereichten Informationen erneut tätig werden.

▪ Ein „New Competition Tool“ soll eingeführt werden. Die Europäische Kommission soll die Möglichkeit erhalten, nach einer Marktuntersuchung festgestellte strukturelle Wettbewerbsprobleme „gemeinsam mit den Unternehmen“ anzugehen. Der Fokus liegt dabei auf vier Bereichen, in denen die aktuellen Wettbewerbsinstrumente als unzureichend beschrieben werden:

- stillschweigende Absprachen;

- Märkte, auf denen Verbraucherschutz eher erforderlich ist, zum Beispiel weil die Verbraucher zu sensiblen Gruppen gehören;

- Märkte, auf denen die wirtschaftliche Resilienz schwach ist, was unter anderem an der Marktstruktur liegen könnte (zum Beispiel Abhängigkeit von einer einzigen Rohstoffquelle);

- frühere Durchsetzungsmaßnahmen, bei denen die bei der Behörde eingegangenen Informationen darauf hindeuten, dass die eingegangenen Verpflichtungen oder Abhilfemaßnahmen nicht zu mehr Wettbewerb führen.

▪ Entscheidungsprozesse sollen beschleunigt und die Vorhersehbarkeit von Entscheidungen erhöht werden. Die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts soll in allen Bereichen schneller, unbürokratischer und unternehmensfreundlicher ausgestaltet werden. Initiativen wie das 2023 verabschiedete Vereinfachungspaket in der Fusionskontrolle sollten auch auf andere

Bereiche ausgedehnt werden. Ex ante-Regulierung wie der DMA muss die Ausnahme bleiben und nur angewandt werden, wenn besondere strukturelle Wettbewerbshindernisse bestehen. Unklarheiten in der Praxis und in den existierenden Vorschriften und Leitlinien müssen beseitigt werden.

Bewertung:

▪ Viele der vorgeschlagenen Maßnahmen entsprechen bestehenden BDI-Forderungen. Der Draghi-Bericht plädiert richtigerweise für schnellere und unbürokratischere Verfahren im Wettbewerbsrecht, insbesondere im Bereich der Fusionskontrolle. Effizienzerwägungen, wie Innovationsaspekte müssen stärker in die wettbewerbliche Analyse integriert werden. Unternehmen müssen die realistische Möglichkeit haben, entsprechende Einreden vorzubringen. Auch der Aspekt, dass die Europäische Kommission zukunftsgewandte Entscheidungen treffen muss und beispielsweise den zu erwartenden Wettbewerb und die dynamische Marktentwicklung stärker einbezieht, ist wichtig. Bei Kooperationsvorhaben mit Wettbewerbern müssen die Unternehmen anhand klarer Leitlinien oder der Möglichkeit zu informellen Beratungsgesprächen mit den Kartellbehörden schnell Rechtssicherheit hinsichtlich der kartellrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens erhalten können.

▪ Eine stärkere Kohärenz zwischen Fördermöglichkeiten nach dem Beihilferecht und Vorgaben der EU-Industriepolitik ist wesentlich. Eine stärkere Koordinierung von Beihilfen auf EUEbene kann zwar innereuropäische Subventionswettläufe verhindern und den Vorwürfen der Fragmentierung des Binnenmarktes durch hohe Beihilfen in einzelnen Mitgliedstaaten entgegenwirken. Gleichzeitig darf eine solche Koordinierung – ähnlich wie der im Letta-Bericht vorgeschlagene „State Aid Contribution Mechanism“ – aber nicht dazu führen, die ohnehin komplexe Beihilfenvergabe noch aufwendiger und langwieriger zu machen. Solange keine ausreichende Förderung durch EU-Fördermittel möglich ist, bleiben nationale Beihilfen in vielen Bereichen erforderlich. Die Krisenbeihilfemaßnahmen der vergangenen Jahre waren gerechtfertigt. Die vorgeschlagene Vereinfachung und Beschleunigung der IPCEI-Genehmigungsverfahren sowie eine Ausweitung der nach IPCEI-Vorgaben genehmigungsfähigen Projekte entspricht bestehenden BDI-Forderungen. Bei besserer Ausgestaltung könnten IPCEIs für deutlich mehr Wirtschaftsbereiche eine Option sein, als dies bislang der Fall ist.

▪ Einige der Vorschläge sind jedoch auch klar abzulehnen.

- Dies betrifft die Einführung von ex post-Berichtspflichten der Unternehmen nach erfolgten Wettbewerbsentscheidungen. Neuen Berichtspflichten stehen wir grundsätzlich kritisch gegenüber. Es ist auch nicht Aufgabe der Unternehmen, die Europäische Kommission in ihrer ex post-Marktbetrachtung zu unterstützen.

- Sehr negativ zu betrachten ist der Vorschlag zur Einführung eines New Competition Tools (NCT) auf europäischer Ebene. Der Bericht verschweigt, dass das NCT ein Instrument ist, das – ähnlich wie das mit der 11. GWB-Novelle in Deutschland eingeführte Eingriffsinstrument des § 32 f GWB – tief in unternehmerische Tätigkeit und den Leistungswettbewerb eingreifen und Marktprozesse steuern kann bis hin zur Unternehmensentflechtung – und das bei kartellrechtlich völlig legalem Verhalten der Unternehmen. Ein kooperatives Procedere zwischen Europäischer Kommission und Unternehmen, wie im Draghi-Bericht anklingend, ist mit einem NCT generell nicht verbunden. Es ist nicht Aufgabe einer Kartellbehörde, einen Markt neu zu gestalten. Auf

europäischer Ebene wurde bereits 2020 die Einführung eines NCT geprüft und abgelehnt und stattdessen mit dem Digital Markets Act eine sektorspezifische Regulierung nur für große digitale Gatekeeper vorgelegt. Seitdem ist kein neuer Grund ersichtlich geworden, ein neues Regulierungsinstrument für alle Branchen und Märkte vorzusehen. Falls doch erforderlich, sollten allenfalls gezielte sektorspezifische Instrumente auf singuläre Situationen in einzelnen Branchen angewandt werden. Der Draghi-Bericht nennt weder Sektoren, in denen ein NCT erforderlich wäre, noch gibt er eine stichhaltige Begründung für seinen Vorschlag. Im Gegenteil: Die vier genannten Fallgruppen sind so vage gehalten, dass fast jeder Markt darunterfallen könnte. Dringend erforderliche Verfahrensgarantien und Verteidigungsmöglichkeiten der Unternehmen werden nicht adressiert.

▪ Der Mission Letter an die designierte Exekutive Vizepräsidentin Ribera greift mehrere Vorschläge zur Reform des Wettbewerbsrechts aus dem Draghi-Bericht auf.

- Im Bereich der Fusionskontrolle soll Ribera die Leitlinien in der Fusionskontrolle überarbeiten. Diese sollen ein stärkeres Gewicht auf Aspekte wie Resilienz, Effizienz, Innovation, den Zeithorizont bei der Bewertung eines Fusionsvorhabens, die Investitionsintensität in bestimmten strategischen Sektoren sowie das veränderte Sicherheitsund Verteidigungsumfeld legen. Insgesamt sollen die Verfahren der Generaldirektion Wettbewerb, gerade in strategisch wichtigen Bereichen, beschleunigt und verbessert sowie schnelle Rechtssicherheit bei Kooperationsvorhaben gewährleistet werden. Die Drittstaatensubventionsverordnung (FSR) und das Gesetz über digitale Märkte (DMA) sollen strikt durchgesetzt werden.

- Im Beihilferecht geht der Mission Letter über die Vorschläge im Draghi-Bericht hinaus. Als Teil des Clean Industrial Deal soll Ribera einen neuen Beihilferahmen entwickeln, um erneuerbare Energien zu fördern, die industrielle Dekarbonisierung voranzubringen und ausreichende Produktionskapazitäten für saubere Technologien sicherzustellen. Hierzu soll auf den Erfahrungen mit dem Temporary Crisis and Transition Framework (TCTF) aufgebaut werden. Eine strenge Beihilfekontrolle soll auch weiterhin wichtig bleiben. Das Beihilferecht soll weiter vereinfacht werden, gleichzeitig aber auch das Level Playing Field im Binnenmarkt bewahren. IPCEIs sollen gefördert, vereinfacht und beschleunigt und eventuell auch auf neue Bereiche erweitert werden und der künftige European Competitiveness Fund muss mit der Beihilfepolitik koordiniert werden.

▪ Nicht im Mission Letter sind die Vorschläge erwähnt, die besonders kritisch zu bewerten sind: Einführung eines New Competition Tools auf europäischer Ebene und neue Unternehmensberichtspflichten nach vollzogenen Wettbewerbsentscheidungen.

Öffentliches Auftragswesen

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Das öffentliche Auftragswesen beziehungsweise Vorschläge für einzelne Änderungen des EUVergaberechts werden im Draghi-Bericht in verschiedenen Zusammenhängen angesprochen. Besonders weitreichend ist eine in Bezug auf Clean-Tech geäußerte Empfehlung zur

Schaffung von Mindestquoten für die lokale Produktion von bestimmten Produkten und Komponenten bei der öffentlichen Beschaffung Ferner finden sich Aussagen zum öffentlichen Auftragswesen auch in Zusammenhang mit Empfehlungen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Start-ups sowie bei Ausführungen zu Cloud Computing

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Im Kontext der Förderung der Produktion von Clean-Tech-Gütern in der EU wird im DraghiBericht für das öffentliche Auftragswesen die Schaffung einer ausdrücklichen Mindestquote für die lokale Produktion bestimmter Produkte und Komponenten vorgeschlagen (siehe Teil A, S. 47 f. des Berichts).

▪ Für den Bereich von Start-ups wird empfohlen, dass staatliche Stellen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens als „launch customers” auftreten sollten

▪ Im Hinblick auf Cloud Computing in der EU werden unter anderem divergierende Vergabevorschriften und Gold-Plating durch nationale Gesetzgeber beklagt. Unter anderem schlägt der Bericht vor, dass die EU verbindliche europäische Standards für die öffentliche Auftragsvergabe im Hinblick auf Cloud-Dienste festlegen sollte.

Bewertung

▪ Die im Draghi-Bericht bekundete Absicht, die Produktion von Clean-Tech-Gütern in der EU zu fördern, ist grundsätzlich zu begrüßen. Auch die Vorgabe von Mindestquoten für den Einsatz bestimmter Stoffe kann sinnvoll sein, um ressourcenschonende und klimafreundliche Produkte wie zum Beispiel „grünen Stahl“ in der öffentlichen Beschaffung zu fördern. Dabei muss jedoch differenziert und mit Augenmaß vorgegangen werden. Mindestquoten eignen sich nicht für alle Produkte und Märkte, sondern müssen branchen- und produktspezifisch betrachtet werden. Wichtig ist, darauf zu achten, dass Mindestquoten nicht zu einer unbeabsichtigten Marktverengung und weniger Wettbewerb führen.

▪ Die Empfehlung des Draghi-Berichts, im öffentlichen Auftragswesen eine ausdrückliche Mindestquote für die lokale Produktion bestimmter Produkte und Komponenten vorzusehen, ist dagegen nicht sinnvoll und daher abzulehnen.

- Eine solche pauschale Quote für die lokale Produktion würde zu einer nicht wünschenswerten Einschränkung des Wettbewerbs beziehungsweise Abschottung lokaler Märkte nicht nur gegenüber Bewerbern aus Nicht-EU-Staaten, sondern auch gegenüber sonstigen Anbietern aus der EU und aus dem jeweiligen Mitgliedstaat jenseits des jeweiligen lokalen Bereichs führen.

- Gegen diese Empfehlung des Berichts spricht auch, dass es sich bei einer solchen Quote um eine problematische lokale Präferenz handeln würde, wie sie die EU mit Recht bereits wiederholt gegenüber Drittstaaten kritisiert hat, welche derartige lokale Marktabschottungen praktizieren.

- An der ablehnenden Position gegenüber einer Mindestquote für lokale Produktion ändert auch die Tatsache nichts, dass die Quote nach der Empfehlung des Berichts mit Kriterien kombiniert werden soll, die auf EU-Ebene zur Orientierung der lokalen Produktion mit Blick auf möglichst innovative und nachhaltige Lösungen etabliert werden sollen. Gleiches gilt im Hinblick auf die ebenfalls vorgeschlagene Unterstützung des

empfohlenen Ansatzes durch Joint Ventures oder Kooperationsabkommen zum Know-how-Austausch zwischen EU- und Nicht-EU-Unternehmen. Denn auch bei Anwendung dieser zusätzlichen Elemente bliebe es dabei, dass die Schaffung lokaler Mindestquoten auf jeden Fall eine nicht wünschenswerte marktverzerrende beziehungsweise -abschottende Wirkung auch innerhalb der EU und sogar innerhalb eines EU-Mitgliedstaates haben könnte.

▪ Mindestquoten sollten aus den vorgenannten Gründen nicht auf die lokale Ebene, sondern auf die EU-Ebene bezogen sein, im Sinne einer Mindestquote für europäische Anbieter.

▪ Der Zugang zu öffentlichen Aufträgen kann für Start-ups sehr hilfreich sein. Bei etwaigen Regelungen für diesen Bereich muss allerdings darauf geachtet werden, dass diese nicht diskriminierend gegenüber anderen Bietern wirken.

▪ Die Kritik an Gold-Plating im Vergaberecht durch nationale Gesetzgeber trifft zu. Die Empfehlung zur Schaffung verbindlicher europäischer Standards im Cloud-Sektor kann hilfreich sein, allerdings müssten solche Standards sorgsam und unter hinreichender, EU-weiter Beteiligung der Akteure abgestimmt werden.

▪ Im Mission Letter an den designierten Kommissionsvizepräsidenten Séjourné wird eine Revision der EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge und in diesem Rahmen unter anderem die Schaffung einer Präferenzregelung für europäische Produkte in bestimmten strategischen Sektoren angekündigt.

- Letztere Ankündigung ähnelt der Empfehlung Draghis zur Schaffung von Mindestquoten, unterscheidet sich davon allerdings in einem wichtigen Detail: Ähnlich wie Draghis Empfehlung will die Kommissionspräsidentin europäische Produkte in für die EU wichtigen Bereichen gegenüber Angeboten aus Drittstaaten bevorzugen. Allerdings ist der Mission Letter an Séjourné abweichend von Draghis Empfehlung nicht auf lokale Mindestquoten, sondern Präferenzen für europäische Produkte ohne Fokussierung auf lokale Produktion ausgerichtet.

- Die im Mission Letter an Séjourné angekündigte Schaffung von Präferenzen für europäische Produkte in bestimmten strategischen Sektoren ist Draghis Empfehlung lokaler Mindestquoten vorzuziehen. Im Übrigen ist auch die Ankündigung in den Mission Letters differenziert zu betrachten: Einerseits können Präferenzen für europäische Produkte in für die EU strategisch wichtigen Bereichen sinnvoll sein, wenn dies zum Beispiel aus Gründen der Versorgungssicherheit oder Ähnliches erforderlich erscheint. Andererseits dürften allzu pauschale Präferenzen, wie sie die EU ihrerseits in Drittstaaten kritisiert, eher nicht sinnvoll sein, da sie zu einer weiteren Verschärfung des Protektionismus in Drittstaaten führen können.

▪ Die in dem Mission Letter an Séjourné ferner bekundete Absicht der Vereinfachung der EUVergabevorschriften insbesondere mit Blick auf Start-ups und Innovatoren ist grundsätzlich zu begrüßen. Etwaige Sonderregelungen dazu dürfen allerdings nicht marktverzerrend wirken. Sehr wichtig ist schließlich, dass das Ziel der Vereinfachung nicht als Deckmantel für eine teils geforderte, jedoch nicht wünschenswerte Erhöhung der Schwellenwerte für die Geltung der EU-Richtlinien für öffentliche Aufträge genutzt werden darf. Eine Erhöhung dieser Schwellenwerte würde zu einer für die exportorientierte deutsche Wirtschaft nachteiligen Reduzierung der europäischen und internationalen Marktöffnung im Beschaffungssektor sowie

des notwendigen effektiven Vergaberechtsschutzes führen, der nur ab den Schwellenwerten gilt.

Exkurs: Steuerliche Themen

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Bericht setzt die dringend erforderliche Stärkung des EU-Binnenmarkts und einen wirtschaftlichen Aufbruch als zentrale Prioritäten für die neue Legislaturperiode.

▪ Allerdings fehlt eine kohärente steuerpolitische Strategie, die zur Vertiefung des Binnenmarkts beiträgt. Eine wettbewerbsfähige Steuerpolitik muss über die zielgerichteten sektoralen Ansätze des Berichts hinausgehen und einen investitionsfreundlichen Rahmen für alle Unternehmen schaffen.

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Anreize und Kostendeckelung im Energiebereich: Neben maßgeschneiderten (gegebenenfalls übertragbarer) Steuergutschriften oder beschleunigter Abschreibungsregelungen bei Nutzung vonInvestition in saubere(n) Energielösungen sollen auch die Energiekosten gesenkt werden, unter anderem durch eine EU-weite Kappung von Zuschlägen.

▪ Förderung strategischer Sektoren: Für Chipdesign-Unternehmen und Gießereien in strategischen Segmenten sollte es steuerliche Anreize und Zuschüsse geben Zudem sollen Steuervergünstigungen öffentliche Investitionen in kritische Rohstoffe fördern Weitere steuerliche Förderungen betreffen unter anderem zirkuläre Wirtschaftsmodelle, den Kauf von in der EU gebauten Schiffen, sowie steuerliche Vorteile für Unternehmen, die verstärkt in Erwachsenenbildung und Schulungen investieren.

▪ Innovationsförderung: Der Bericht empfiehlt nationale Steuererleichterung für Digitalisierungsmaßnahmen im Transportsektor, sowie eine temporäre Senkung der Steuersätze für innovative Automobilökosysteme. Werden Kapitalgewinne aus Anteilsverkäufen in innovative Start-ups reinvestiert, sollen diese auch einem bedingten Steueraufschub erhalten

▪ Förderung grenzüberschreitender Investitionen: Zudem empfiehlt der Bericht den Abbau steuerlicher Hemmnisse für grenzüberschreitende Investitionen. Daneben sollen Fragmentierungen im Bereich der Kapitalbesteuerung reduziert werden.

▪ Arbeitnehmerbesteuerung und Altersvorsorge: Damit die EU attraktiver für Arbeitnehmer wird, könnten Steueranreize für Nachwuchskräfte in der EU eingeführt werden. Daneben soll eine Steuerbefreiung eines festen Anteils der Rentenbeiträge sowie eine koordinierte Senkung der Lohnbesteuerung für Arbeitnehmer mit niedrigem bis mittlerem Einkommen das Sparen fördern

▪ Vereinfachung der Nachhaltigkeitsberichterstattung und Ausweitung auf nicht-börsennotierte KMU: Die nachhaltige Berichterstattung wird als eine bedeutende Quelle für regulatorische Belastungen identifiziert, die durch fehlende Leitlinien zur Anwendung der komplexen Vorschriften und zur Klärung des Zusammenspiels verschiedener Gesetzgebungen noch

verstärkt wird. Es besteht ein Risiko von Über-Compliance. Vor diesem Hintergrund muss der Ansatz der Nachhaltigkeitsberichterstattung vereinfacht werden. Gleichzeitig wird eine Ausweitung der ESG-Berichtspflicht auf nicht kapitalmarktorientierte KMU mit der Bereitstellung geeigneter Werkzeuge unterstützt.

Bewertung:

▪ Hohe Steuerbefolgungskosten stellen Innovationshemmnisse dar. Vor diesem Hintergrund sind entschlossene Maßnahmen zum Bürokratieabbau erforderlich, damit der Satz im Mission Letter an Wopke Hoekstra – „schneller und einfacher“ – nicht bloß eine Worthülse bleibt. Überbordende Berichtspflichten müssen abgebaut und bereits harmonisierte Steuern stärker verzahnt werden. Ein konsequentes „Entrümpeln“ redundanter Vorschriften (Stichwort Decluttering), die zum Beispiel durch die Umsetzung der globalen Mindeststeuer in der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie der EU (Engl: „Anti Tax Avoidance Directive“, ATAD) und der Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden (Engl: „Directive on Administrative Cooperation“, DAC) entstanden sind, ist dringend nötig. Die Vereinfachung und Entlastung der Unternehmen bleiben bisher unzureichend. Unternehmensfreundliche und pragmatische Lösungen fehlen. Mehr Effizienz und der Abbau von Doppelstrukturen würden das Steuersystem modernisieren und wettbewerbsfähiger machen. Hier fehlt es im Bericht an konkreten Vorschlägen, die der Mission Letter dagegen adressiert.

▪ Aus steuerpolitischer Sicht sind besonders die Vorschläge im Bereich Energie und Kapitalmarktunion hervorzuheben:

- Energie: Die im Bericht vorgeschlagene Senkung der Energiekosten durch eine EUweite Kappung von Zuschlägen sowie die steuerliche Förderung sauberer Energielösungen und zirkulärer Modelle ist sinnvoll. Die Förderung sauberer Technologien wurde auch in den Mission Letter aufgenommen. Eine klare Positionierung zur steuerlichen Förderung von Übergangstechnologien und energieintensiven Branchen jenseits von CBAM sowie im Luft- und Seeverkehr fehlt allerdings. Diese Maßnahmen wären entscheidend für die Sicherung der globalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft.

- Kapitalmarktunion: Der Abbau von Steuerhindernissen für grenzüberschreitende Investitionen ist ein richtiger Schritt, der auch in verschiedenen Mission Letters thematisiert wird. Dabei sollte jedoch nicht nur der Finanzsektor gestärkt werden, sondern ein kohärenter Steuerrahmen alle Unternehmen berücksichtigen. Eine bessere Verzahnung der Mitgliedstaaten, insbesondere im Bürokratieabbau, wäre wünschenswert. Wichtig ist, den Grundsatz der Steuerhoheit der Mitgliedstaaten zu wahren. Direkte Steuern sind ein zentraler Bestandteil nationaler Souveränität (Stichwort: wirtschaftliche Eigenverantwortung) und bieten den Staaten die notwendige Flexibilität zur Anpassung an ihre wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse. In diesem Zusammenhang sollte auch – entgegen dem Draghi-Bericht – keine Ausweitung des Mehrheitsprinzips auf Steuerfragen erfolgen. Hier ist seitens der Europäischen Kommission aber keine Initiative zu erwarten.

▪ Ein weiterer bedeutender Punkt ist die Besteuerung von Arbeitnehmern im Kontext der modernen Arbeitswelt. Zwar wird im Bericht die Notwendigkeit betont, internationale Fachkräfte zu gewinnen, jedoch fehlt eine klare Aussage zur Besteuerung von mobilem Arbeiten und den damit verbundenen steuerlichen Fragestellungen. Diese Thematik, die auch in den Mission

Letters nicht adressiert wurde (dafür aber im Arbeitsprogramm des Steuerausschusses des Europäischen Parlaments), gewinnt für Arbeitgeber in einem vereinten Europa zunehmend an Bedeutung. Es bedarf einer abgestimmten Lösung auf EU-Ebene und perspektivisch einen internationalen Konsens auf OECD-Ebene. Von zentraler Bedeutung ist die Festlegung klarer Kriterien, wann grenzüberschreitendes mobiles Arbeiten zur Begründung von Betriebsstätten führt. Zudem sind Erleichterungen bei der Lohnsteuer notwendig, etwa in Form von Regelungen, die verhindern, dass Arbeitgeber Lohnsteuerverpflichtungen im anderen Staat eingehen, solange eine bestimmte Anzahl an mobilen Arbeitstagen nicht überschritten wird.

▪ Eine Vereinfachung des Sustainable Finance Frameworks und ein verbesserter Zugang zu Finanzmitteln, insbesondere für KMU, ist zu begrüßen. Allerdings sind von der ESG-Berichtspflicht ausgenommene KMU in vielen Fällen durch den sogenannten trickle-down Effekt, also das Zuliefern von Nachhaltigkeitsdaten an nachgelagerte, berichtspflichtige Unternehmen in ihren Wertschöpfungsketten, bereits ebenfalls indirekt berichtspflichtig. Gleichzeitig wird mit dem VSME-Standard (Engl: „Voluntary Sustainability Standard for SMEs“) ein Instrument geschaffen, mit dem die Anfragen an diese KMU vereinheitlicht werden und ihnen außerdem die Möglichkeit gegeben wird, auf freiwilliger Basis einen Nachhaltigkeitsbericht zu erstellen. Es sollte daher auf keinen Fall eine Ausweitung der Verpflichtung zum ESG-Reporting auf bisher nicht betroffene KMU geben. Bereits große Teile des betroffenen Mittelstands sind von den neuen Regelungen überfordert.

Exkurs: Planungs- und Genehmigungsverfahren

Zusammenfassung der Analyse:

▪ Der Bericht zeigt auf, dass 83 Prozent der 2023 von BusinessEurope in 21 Mitgliedstaaten befragten Unternehmen die Komplexität und Dauer der Genehmigungen als Haupthindernisse für Investitionen in Europa im Vergleich zu anderen Regionen nannten.

▪ Zudem verdeutlicht der Bericht, wie regulatorische Überschneidungen innerhalb und zwischen Produkt-, Chemikalien- und Abfallrecht doppelte Kontrollen der Einhaltung der Vorschriften und Rechtsunsicherheit verursachen.

▪ Speziell im Hinblick auf Genehmigungen ergeben sich daraus nach einer Lückenanalyse von 13 EU-Rechtsvorschriften Überschneidungen bei 169 Anforderungen, darunter Unterschiede (29 Prozent) und völlige Unstimmigkeiten (elf Prozent).

Zusammenfassung der Empfehlungen:

▪ Im Hinblick auf die Beschleunigung von Genehmigungen für Industrieanlagen beschränkt sich der Bericht auf Vorschläge für neue Stromversorgungen und Netze, auf die Ausweitung der Beschleunigungsmaßnahmen für Wärmenetze, Wärmeerzeuger sowie Wasserstoffinfrastrukturen und Kohlenstoffabscheidungs- und -speicherungsinfrastrukturen und kürzere Genehmigungsfristen für „strategische Projekte“ im Hinblick auf einige kritische Mineralien. Der Bericht empfiehlt in diesen Feldern zusätzliche Maßnahmen, um das Tempo der Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, zum Beispiel die Erhöhung der Verwaltungskapazität, Schulungsmaßnahmen für Behördenmitarbeiter, Personalaufbau und Digitalisierung der Verfahren.

▪ Der Bericht schlägt weiter vor, Beschleunigungsgebiete und strategische Umweltverträglichkeitsprüfungen zur Regel für den Ausbau der erneuerbaren Energien zu machen und die Einzelprüfungen pro Projekt zu ersetzen, entsprechen der NZIA-Regelungen. Gezielte Aktualisierungen der einschlägigen EU-Umweltvorschriften könnten genutzt werden, um begrenzte Ausnahmen in den EU-Umweltrichtlinien und Genehmigungsfiktionen vorzusehen, bis die Klimaneutralität erreicht ist. Dies bezieht sich jedoch nur auf für Anlagen und Netze für erneuerbare Energien.

Bewertung:

▪ Der Bericht analysiert die Probleme im Hinblick auf komplexe und investitionsfeindliche Genehmigungsverfahren hinreichend, bietet jedoch kaum Lösungsvorschläge für die produzierende Industrie oder Verkehrsinfrastrukturprojekte.

▪ Das europäische Umweltrecht ist inzwischen ein deutlich zu enges Korsett, um die Verfahren wirklich nachhaltig beschleunigen zu können. Die zunehmend komplexe, unübersichtliche und teilweise veraltete europäische Rechtslage bedarf dringend einer Modernisierung. Daher zielt der Vorschlag in dem Bericht „Überarbeitung / gezielte Aktualisierung der einschlägigen EU-Umweltvorschriften“ in die richtige Richtung, bleibt aber leider wenig konkret. Die bisherigen Versuche der europäischen Institutionen, das bestehende Planungs- und Genehmigungssystem zu optimieren, sind – ebenso wie die weiteren Vorschläge in dem Bericht – auf erneuerbare Energien und Clean Technologie beschränkt. Die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf die gesamte Bandbreite der Industrie sind nicht spürbar.

▪ Es ist zudem naiv zu glauben, dass sich Prozesse durch mehr und besser geschultes Personal beschleunigen lassen. Der extreme Fachkräftemangel schlägt sich auch im Bereich der Genehmiger und Gutachter nieder, daher ist die Forderung nach mehr Personal in der Theorie eine gute Idee, aber keine Lösung für die Praxis. Auf die Digitalisierung von Verwaltungsprozessen hat die EU keinen Einfluss, daher ist diese Forderung auf europäischer Ebene überflüssig.

▪ Die Ausweisung von Beschleunigungsgebieten ist unkritisch, solange die Ausgestaltung bestimmten Maßstäben (zum Beispiel Einhaltung Schutzabstände) unterliegt und alle wirtschaftlichen Interessen berücksichtigt. Jedoch zeigt die Tatsache, dass Beschleunigungsgebiete ausgewiesen werden müssen, dass Verfahren grundsätzlich entschieden zu langsam laufen. Es müssen also alle Verfahren schneller werden, nicht nur zur Genehmigung von Windkraftanlagen.

▪ In der nächsten Legislaturperiode der EU muss eine Konsolidierung und Modernisierung der bestehenden umweltrechtlichen Regelungen durch die Europäische Kommission erfolgen, ohne neue Richtlinien und Verordnungen zum Verfahrens- und Umweltrecht zu erlassen.

▪ Der Mission Letter an Kommissarin Jessika Roswall spricht das Thema Verfahrensbeschleunigung nicht an, vielmehr soll die europäische Umweltgesetzgebung in den Mitgliedstaaten besser implementiert und umgesetzt werden. Er beinhaltet damit keine konkreten Maßnahmen für die Beschleunigung von Verfahren und lässt außer Acht, dass Umweltrecht wesentlich zu langen Verfahren beiträgt.

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BDI Dokumentennummer: D 2015

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