Akut-Programm für mehr Normungspower

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POSITION | WIRTSCHAFTSPOLITIK | NORMUNG

Akut-Programm für mehr Normungspower Zwölf Forderungen an die Bundesregierung 16. September 2021

Der Markt ist die Triebfeder der Normung Der BDI begrüßt es, dass seitens der Politik ein zunehmendes Interesse hinsichtlich der strategischen Bedeutung von technischer Normung und Standardisierung für Wirtschaft und Gesellschaft zu beobachten ist. Normung hat für die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft eine herausragende Bedeutung. Normen sind vom Markt initiierte Dokumente, die in einem freiwilligen und konsensbasierten Prozess erarbeitet werden. Ihr Erfolg beruht auf der Orientierung an Marktrelevanz und Praxistauglichkeit sowie ihrer Legitimierung durch die Teilnahme der interessierten Kreise am Erarbeitungsprozess. Vor diesem Hintergrund sieht der BDI zu folgenden Themen akuten politischen Handlungsbedarf: Normungspolitik braucht wirtschaftliche Expertise Politisches Engagement ist bei der Festlegung normungspolitischer Richtungsvorhaben grundsätzlich begrüßenswert, so wie bei dem 2009 publizierten „Normungspolitisches Konzept der Bundesregierung“. Neben einem einheitlichen Finanzierungskonzept zur Förderung der Normung durch die Bundesregierung umfasste das Konzept deren Erwartungen an die Normung und deren Zielsetzungen. Eine direkte Einbeziehung der Wirtschaft in politische Entscheidungsprozesse zur zukünftigen Ausrichtung der Normung – z. B. über Einrichtung einer nationalen Plattform zum Austausch zwischen Politik und Wirtschaft unter Federführung des Bundeskanzleramtes in Anlehnung an den Standards Market Relevance Round Table (SMARRT) auf europäischer Ebene, würde die Prioritäten der Normung effizienter abstimmen sowie deren Zielsetzungen und Ergebnisse straffen.

Der BDI fordert: ▪ Einführung einer nationalen Normen-Austauschplattform zwischen Wirtschaft und Politik. ▪ Aktualisierung und Überarbeitung des „Normungspolitischen Konzepts der Bundesregierung“, insbesondere hinsichtlich digitaler Technologien. ▪ Einsetzen eines normungspolitischen Koordinators, unter Federführung des Bundeskanzleramtes.

Back to the roots: Qualität statt Quantität Die derzeitige Vielfalt an top-down initiierten Normungsroadmaps und -projekten beansprucht in der deutschen Wirtschaft enorme Kapazitäten. Die Herausforderung besteht allerdings darin, aus Normungsroadmaps konkrete Normungsprojekte abzuleiten, die einen Nutzwert bezogen auf die Etablierung von Innovationen am Markt generieren können. Nur unter aktiver Einbeziehung der jeweils relevanten interessierten Kreise aus der Wirtschaft, an die entsprechende Normen im Regelfall adressiert sind, ist dies möglich. Normen sind ein Mittel, um Innovation zu fördern, aber nicht das einzige! Es bedarf einer Fokussierung, um Kapazitäten auf Expertenebene zielgerecht einsetzen zu können. Gleichermaßen braucht es eine konkrete projektbezogene Finanzierung.

Der BDI fordert: ▪ Generierung einer Entscheidungsstruktur unter Einbeziehung der Wirtschaft. Es braucht: 1. Qualität statt Quantität bei Normungsroadmaps und 2. Identifizierung marktrelevanter Projekte aus Normungsroadmaps und gezielte Förderung der in den Roadmaps skizzierten Schwerpunkte und Ziele.


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Anreize schaffen und Staatshaushalt schonen Normung bedarf einer fundierten Finanzierung. Die Bundesrepublik Deutschland leistet über zielgerichtete Förderungen einen wertvollen Beitrag zur Finanzierung der Normung. Ziel dieser Subventionierung muss die finanzielle Ausstattung der jeweiligen Normungsausschüsse sein, damit diese Normen erarbeiten können. Staatliche Finanzierung sollte immer auf gezielte Normungsprojekte ausgerichtet sein und nicht pauschal ausgeschüttet werden. Eine über das bestehende Maß hinausgehende, erweiterte Förderung in Form von Beihilfen an die institutionellen Träger der deutschen Normung, DIN und DKE, lehnt der BDI ab. Die Überlegung einer öffentlichen Förderung der operativen Normungsarbeit ist zu wenig zielgerichtet und tendiert dazu, am Bedarf des Marktes vorbei zu laufen, wodurch neue Ineffizienzen und Relevanzdefizite entstehen. Hingegen können bei nachgewiesener Marktrelevanz projektbezogene Förderungen des Staates die Schlagkraft der Normung national bzw. die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands in der europäischen und internationalen Normung erhöhen.

Der BDI fordert: ▪ Fördermodelle sollten inhaltlich auf die priorisierten Handlungsfelder und Arbeitspakete mit Praxisrelevanz bezogen sein und der Expertenbasis zugutekommen. ▪ Gezielte Förderung der Normungsarbeit in konkreten Projekten, die als Arbeitsschwerpunkte aus den Normungsroadmaps ausgeleitet werden. ▪ Einführung einer steuerlichen Förderung für aktiv an der Normung beteiligte Unternehmen.

Normung entlastet den Staat Normung ist ein erprobtes Element zur Entlastung des Gesetzgebers und fördert eine praxisnahe, schlanke und damit innovationsfreundliche Regulierung. Die Europäische Normung zur Spezifizierung von Anforderungen aus New Legislative Framework (NLF)-Gesetzesakten ist trotz der im Zusammenhang mit der Rechtssache "James Elliott" vor dem EuGH entstandenen Probleme ein Erfolgsbeispiel! Der BDI unterstützt hier ausdrücklich die konkreten Vorschläge aus den "Joint Industry Recommendations for effective harmonised Standardisation" vom Juli 2021 und setzt dabei auf die weitere Unterstützung von staatlicher Seite in Deutschland.

Der BDI fordert: ▪ Kritische Überprüfung und Anpassung der Rahmenbedingungen für die Beauftragung, Bewertung und Zitierung europaweit harmonisierter Normen. ▪ Konsequente Anwendung und Fortführung der Normung im Rahmen des NLF für neue Rechtsbereiche im Kontext Digitalisierung und Nachhaltigkeit.

Konfrontation oder Kooperation: Normung im geopolitischen Wettbewerb mit China Die verstärkten Anstrengungen Chinas zur Durchsetzung seiner industrie- und handelspolitischen Interessen in der internationalen Normung werden von der Wirtschaft in allen Facetten kritisch beobachtet. Den an Intensität zunehmenden staatlich gesteuerten Bestrebungen Chinas in den internationalen Normungsorganisationen ISO, IEC und ITU kann aus Sicht Deutschlands sowie anderer westlicher Industriestaaten nicht in gleicher Weise entsprochen werden, da der Umfang der Normungsarbeit auf dem freiwilligen Engagement der interessierten Kreise und insbesondere der Wirtschaft beruht. Um die befürchtete Fragmentierung der Normung durch eine zunehmende Implementierung von chinesischen Normen für signifikante Anteile des Welthandels zu verhindern, braucht es eine Präferenz für die aktive Mitarbeit bei der Erarbeitung und anschließende Übernahme internationaler Normen. Die Europäische Union muss vor diesem Hintergrund die volkswirtschaftliche und politische Bedeutung von Normen erkennen und gemeinsam mit der Industrie an einer zukunftsorientierten ChinaStrategie arbeiten.

Der BDI fordert: ▪ Verständigung auf Grundzüge einer Strategie zum zukünftigen Umgang mit China zwischen Staat, Wirtschaft und Normungsorganisationen. ▪ Zielgerichtete und projektbezogene staatliche Förderung zur Intensivierung der deutsch-chinesischen Kooperation bei der gemeinsamen Entwicklung von internationalen Normen. ▪ Projektbezogene Kooperation zu prioritären Themengebieten (Standards Pioneering).

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Qualitätsinfrastruktur: Made in Germany! Nahezu alle weltweit gehandelten Produkte, ihre Herstellungsprozesse und viele der mit ihnen verknüpften Dienstleistungen haben einen direkten oder indirekten Bezug zu Normen. Auf diese Weise fördert Normung die Sicherheit und Gebrauchstauglichkeit von Produkten und Dienstleistungen, unterstützt die Austauschbarkeit und Interoperabilität von Produkten und Komponenten, trägt zur Rechtssicherheit bei, erleichtert den Zugang zu Märkten weltweit und kann zudem Innovation fördern, indem sie hilft, Forschungsergebnisse in Produkten umzusetzen. Daher stellt die Wirtschaft nicht nur den Großteil der Experten, die mit ihrem Fachwissen für praxisrelevante Normeninhalte sorgen, sondern garantiert über Beteiligungsbeiträge bei den Normungsorganisationen und den Normenerwerb den Großteil der Finanzierung des Normungssystems. Der Erfolg von Normen beruht auf der Orientierung an Marktrelevanz und Praxistauglichkeit sowie ihrer Legitimierung durch die Teilnahme der interessierten Kreise am Erarbeitungsprozess. Normen, die diesen grundlegenden Prinzipien folgen, werden auf freiwilliger Basis durch die Adressaten aus der Wirtschaft angewendet und können so den angestrebten praktischen Nutzen entfalten. Werden diese grundlegenden Prinzipien nicht befolgt, finden top-down initiierte Normungsvorhaben letztlich keine Akzeptanz oder erzielen nicht den gewünschten marktwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg; die Ressourcen zu ihrer Erstellung wären verschwendet. Daher ist es für die Wirtschaft essenziell, dass zur Adressierung der aktuellen und zukünftigen Themenfelder der Normung, die zunehmend horizontaler ausgerichtet sind und daher auch verstärkt auf politischer Ebene Beachtung finden, diese grundlegenden Erfolgsprinzipien bei der Priorisierung und Entscheidung über konkrete Normungsprojekte weiterhin Berücksichtigung finden.

Über den BDI Der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an die politisch Verantwortlichen. Damit unterstützt er die Unternehmen im globalen Wettbewerb. Er verfügt über ein weit verzweigtes Netzwerk in Deutschland und Europa, auf allen wichtigen Märkten und in internationalen Organisationen. Der BDI sorgt für die politische Flankierung internationaler Markterschließung. Und er bietet Informationen und wirtschaftspolitische Beratung für alle industrierelevanten Themen. Der BDI ist die Spitzenorganisation der deutschen Industrie und der industrienahen Dienstleister. Er spricht für 40 Branchenverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund acht Mio. Beschäftigten. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. 15 Landesvertretungen vertreten die Interessen der Wirtschaft auf regionaler Ebene.

Impressum Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI) Breite Straße 29, 10178 Berlin www.bdi.eu T: +49 30 2028-0 Redaktion Simon Weimer, M.Sc. Referent Umwelt, Technik und Nachhaltigkeit T: +49 30 2028-1589 s.weimer@bdi.eu BDI Dokumentennummer: D 1445

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